Die deutschen Gewerkschaften - Wolfgang Abendroth - E-Book

Die deutschen Gewerkschaften E-Book

Wolfgang Abendroth

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Beschreibung

Das zugehörige Printbuch ist im DVK-Verlag in der »Reihe Gewerkschaften« erschienen: Wolfgang Abendroth: Die deutschen Gewerkschaften. Weg demokratischer Integration. DVK-Verlag. Berlin (West) 1989.

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Impressum

Wolfgang Abendroth: Die deutschen Gewerkschaften Als E-Book veröffentlicht im heptagon Verlag, Berlin 2020 www.heptagon.de ISBN: 978-3-96024-020-4

Das zugehörige Printbuch ist im DVK-Verlag erschienen: Wolfgang Abendroth: Die deutschen Gewerkschaften. Weg demokratischer Integration. DVK-Verlag. Berlin (West) 1989.

Vorwort von Frank Deppe

Die erste Auflage von Wolfgang Abendroths »Die deutschen Gewerkschaften. Weg demokratischer Integration« erschien im Jahre 1954. Es war seine erste Buchveröffentlichung nach 1945, der freilich zahlreiche Aufsätze vorausgegangen waren, die zwischen 1950 und 1954 Fragen der Gewerkschaftspolitik, des Streikrechts und der Verfassungsinterpretation behandelten.1 Aber es war auch die erste Schrift, in der Wolfgang Abendroth einen knappen Abriß der Geschichte der deutschen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung von ihren Anfängen bis zum Jahre 1949 gab (vgl. S. 5–42).

Die Jahre 1954/55 markieren einen wichtigen Abschnitt in der Nachkriegsgeschichte der DGB-Gewerkschaften. Fast zehn Jahre nach dem »Neubeginn« von 1945 befand sich die Gewerkschaftsbewegung in einer historisch-politischen Situation, in der die Niederlage der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung in der Auseinandersetzung um die antifaschistisch-demokratische Neuordnung, zugleich aber auch die Bedingungen und Ziele in der Auseinandersetzung mit dem sich festigenden konservativen Herrschaftsblock unter der politischen Führung der CDU/CSU in der Perspektive einer programmatischen und strategischen Neuorientierung zu bearbeiten waren. Noch beim Münchener Gründungskongreß des DGB (1949) waren die Grundsätze dieser Neuordnung zusammengefaßt worden: in der Rede des ersten Vorsitzenden, Hans Böckler, in der Satzung des DGB sowie in den wirtschafts- und sozialpolitischen Grundsätzen des DGB, die fortan als das »Münchener Programm« bezeichnet wurden.2 Dabei wurden die folgenden »Grundsatzforderungen« verabschiedet:

»I. Eine Wirtschaftspolitik, die unter Wahrung der Würde freier Menschen die volle Beschäftigung aller Arbeitswilligen, den zweckmäßigen Einsatz aller volkswirtschaftlichen Produktivkräfte und die Deckung des volkswirtschaftlich wichtigen Bedarfs sichert.

II. Mitbestimmung der organisierten Arbeitnehmer in allen personellen, wirtschaftlichen und sozialen Fragen der Wirtschaftsführung und Wirtschaftsgestaltung.

III. Überführung der Schlüsselindustrien in Gemeineigentum, insbesondere des Bergbaus, der Eisen- und Stahlindustrie, der Großchemie, der Energiewirtschaft, der wichtigsten Verkehrseinrichtungen und der Kreditinstitute.

IV. Soziale Gerechtigkeit durch angemessene Beteiligung aller Werktätigen am volkswirtschaftlichen Gesamtertrag und Gewährleistung eines ausreichenden Lebensunterhaltes für die infolge Alter, Invalidität oder Krankheit nicht Arbeitsfähigen. Eine solche wirtschaftspolitische Willensbildung und Wirtschaftsführung verlangt eine zentrale volkswirtschaftliche Planung, damit nicht private Selbstsucht über die Notwendigkeiten der Gesamtwirtschaft triumphiert«.

Schon vor 1949 waren zentrale Weichenstellungen gegen die gewerkschaftliche Neuordnungspolitik erfolgt, die ja zunächst von einem breiten Konsens politischer Kräfte flankiert worden waren.3 Mit der Wende zum »Kalten Krieg« und der internationalen wie nationalen Blockbildung – etwa seit 1947 – wurde unter dem maßgeblichen Einfluß der US-Politik in Westdeutschland zielstrebig eine Restauration jener privatkapitalistischen Eigentums- und Herrschaftsverhältnisse betrieben, die durch die Neuordnung überwunden werden sollte; denn nicht nur in der Arbeiterbewegung dieser Periode war das Wissen und die Erfahrung lebendig, daß Faschismus und Krieg Formen der politischen Gewalt gewesen waren, in denen sich in letzter Instanz eine Krisenbewältigungsstrategie des Monopolkapitals verdichtet hatte. Bis 1949 waren jedoch durch den Marshall-Plan, die Eingriffe der Militärregierung in den Versuch einer gesetzlichen Verankerung der demokratischen Neuordnung von Wirtschaft und Betrieb, durch die Verzögerung der Sozialisierung der Schwerindustrie, die schließlich in die »Entflechtung« einmündete, durch die Währungsreform vom Juni 1948 und dann durch die Gründung eines westdeutschen Teilstaates bereits die wichtigsten Entscheidungen zugunsten der Restauration gefallen. Der frühere Vorsitzende der IG Metall Otto Brenner hat das »Münchener Programm« vor diesem Hintergrund interpretiert:

»Als der DGB im Oktober 1949 sein wirtschaftsdemokratisches Grundsatzprogramm verabschiedete, waren die Weichen in Richtung auf das Wiedererstehen einer bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft schon gestellt. Das Grundsatzprogramm des DGB war insofern nicht das Grundgesetz aller zukünftigen Gewerkschaftspolitik, sondern der Schwanengesang der gesellschaftlichen Neuordnung und der sozialen Umgestaltung.«4

Mit der Gründung der BRD und der knappen Mehrheit des »Bürgerblocks« für die Wahl von Konrad Adenauer zum ersten Bundeskanzler waren dann auch die politischen Rahmenbedingungen für den inneren Restaurationsprozeß gegeben. Bis zum Jahre 1954 hatte sich die konservative Hegemonie gefestigt und ihre Mehrheit bei den Bundestagswahlen des Jahres 1953 ausgebaut. Der DGB hatte in diesen Wahlen – ohne Erfolg – mit der Losung »Wählt einen besseren Bundestag!« eingegriffen. Daraufhin drohten christlich-soziale Gewerkschafter mit der Spaltung der Einheitsgewerkschaft (das von Teilen der CDU lancierte Experiment eines Christlichen Gewerkschaftsbundes scheiterte allerdings kläglich!), um auf diese Weise eigene Machtpositionen in den Apparaten der Gewerkschaften und des DGB auszubauen und den Einfluß von Repräsentanten des sog. »gewerkschaftlichen Radikalismus« (an ihrer Spitze der Leiter des wirtschaftswissenschaftlichen Instituts des DGB, der »Chefideologe« Dr. Viktor Agartz) zurückzudrängen bzw. auszuschalten.

Die konservative Hegemonie profitierte einerseits von der alle ideologischen und politischen Felder durchdringenden Atmosphäre des Kalten Krieges und des – zur Staatsideologie erhobenen – Antikommunismus, der noch durch die Ereignisse in der DDR um den 17. Juni 1953 angeheizt worden war. Andererseits stützte sich diese Hegemonie auf den wirtschaftlichen Aufschwung (»Wirtschaftswunder«), der nach 1948 eingesetzt hatte und der die konservative Propaganda gegen »sozialistische Experimente« ebenso zu bestätigen schien wie er zunächst alle sozialdemokratischen und kommunistischen Warnungen vor wirtschaftlichen Krisenprozessen – auch im Massenbewußtsein – widerlegte. In der Periode zwischen 1949 und 1952 haben die DGB-Gewerkschaften noch einmal – unter der politischen Führung des DGB – den Versuch unternommen, in der Auseinandersetzung mit Unternehmern und der Regierung ihre Grundsatzforderungen zur Neuordnung von Wirtschaft und Gesellschaft durchzusetzen. Dabei konnten sie lediglich in der Auseinandersetzung um die gesetzliche Sicherung der Montanmitbestimmung (1951) einen Teilerfolg erringen. Nur ein Jahr später (1952) mußten sie im Kampf gegen das reaktionäre Betriebsverfassungsgesetz eine schwere Niederlage hinnehmen.5 Damit kamen die Auseinandersetzungen um weitreichende gesellschaftspolitische Reformen im wesentlichen zum Stillstand. Für die Gewerkschaften stellte sich jetzt drängend die Frage nach ihrer zukünftigen Rolle in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft, damit auch nach ihrem programmatischen wie strategischen Selbstverständnis.

Der herrschende konservative Block verfolgte gegenüber den Gewerkschaften eine klare politische Linie. Sie wurden – ebenso wie das System der Tarifautonomie – prinzipiell anerkannt. Gleichzeitig wurden die autonomen Handlungsspielräume der gesamten Arbeiterbewegung (vor allem ihres linken Flügels) radikal – auch mit dem Instrumentarium der administrativen Repression – eingeschränkt und abgebaut. Die Gewerkschaften sollten – gemäß der ideologischen Konzeption der »organischen Integration«6 unter der Voraussetzung anerkannt werden, daß sie die ihnen zugedachte Rolle eines »Sozialpartners« sowie als Träger der antikommunistischen Ideologie in der Arbeiterklasse freiwillig übernehmen. Das bedeutete letztlich auch den Verzicht auf autonome, gewerkschaftspolitische Einwirkungsmöglichkeiten auf die Politik des Staates, wie sie in den Massendemonstrationen und Demonstrationsstreiks des Jahres 1952 noch angewandt worden waren. Diese Linie wurde dann noch durch die Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichtes (ab 1954) zum Arbeitskampfrecht zementiert (u.a. Verbot des politischen Streiks, Diskriminierung spontaner Arbeitsniederlegungen, Legalisierung der Aussperrung). Schließlich gingen schon ab 1951 die Unternehmer, ihre Verbände und ihre Presse zu harten Attacken gegen die gesellschaftspolitischen Forderungen des DGB, aber auch gegen die Tarifpolitik von Einzelgewerkschaften über. Die Lohnkämpfe dieser Periode gerieten so zu harten politischen Auseinandersetzungen.7

In den DGB-Gewerkschaften selbst begann bald eine heftige Diskussion.8 Noch beim 2. o.DGB-Kongreß (Berlin, 1952) entlud sich die innergewerkschaftliche Kritik »von unten« an der schwächlichen und widersprüchlichen Politik der DGB-Führung nach Hans Böckler in der Auseinandersetzung um das Betriebsverfassungsgesetz und die Remilitarisierung. Der Vorsitzende Christian Fette wurde abgewählt. Ab 1952 – verstärkt nach der Niederlage der SPD bei den Bundestagswahlen 1953 – meldeten sich aber die Befürworter eines sozialpartnerschaftlichen Integrationismus zu Wort. Sie forderten die Liquidierung marxistischer und sozialistischer Denktraditionen und Praxisorientierungen. Die Gewerkschaftspraxis soll sich nunmehr auf die stetige Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeitnehmer richten und dabei mit Unternehmern und Staat zusammenwirken. Der Mitbestimmungsgedanke wird so zu einem sozialpartnerschaftlichen Konzept der Kooperation und der – am Gemeinwohl orientierten – gemeinschaftlichen Verantwortung uminterpretiert. Hier formierte sich also eine ideologische Koalition von rechtssozialdemokratischem Integrationismus und katholischer Soziallehre.

Der »gewerkschaftliche Radikalismus« wurde dagegen fast ausnahmslos von Gewerkschaften vertreten, die dem linken Flügel der SPD angehörten.9 Er wollte die Gewerkschaften als Klassen- und Kampforganisationen bestimmt wissen, die nach wie vor – orientiert an den Forderungen des »Münchener Programms« – für eine umfassende Demokratisierung von Wirtschaft, Gesellschaft und Staat wirken. Zugleich hatten die Vertreter dieser Richtung durchaus begriffen, daß sich die politischen Kräfteverhältnisse zuungunsten der Arbeiterbewegung nach rechts verschoben hatten. Daher plädierten sie für eine »expansive Lohnpolitik« (V. Agartz) sowie für ein konkretes Aktionsprogramm, das dann auch vom 3. o.DGB-Kongreß (Frankfurt/Main 1954) verabschiedet wurde. Die große Rede von Viktor Agartz, die von diesem Kongreß mit Begeisterung aufgenommen wurde,10 verband daher die Analyse des Klassencharakters des Restaurationsprozesses mit der Begründung des Aktionsprogramms, das an den unmittelbaren Interessen der Lohnabhängigen anknüpfen und kurzfristig realisierbare Forderungen enthalten sollte. Otto Brenner hat zwei Jahre später das Aktionsprogramm als einen Katalog von Übergangslösungen bezeichnet. Im Kampf um ihre Realisierungen sollten die Voraussetzungen für eine erneute gesellschaftspolitische Offensive des DGB geschaffen werden, um »aus der Defensive, aus der Erstarrung herauszukommen«, in die die Gewerkschaftspolitik durch den Vormarsch der Restauration geraten war.11

Nach dem Frankfurter Kongreß des DGB setzte jedoch eine öffentliche Kampagne gegen Viktor Agartz ein, die letztlich auf seine Entfernung aus dem DGB zielte. Jetzt gingen – angeführt von Oswald von Nell-Breuning SJ – die christlich-sozialen Gewerkschafter wieder in die Offensive und forderten Agartz' Kopf.12 Agartz wurde im Oktober 1955 beurlaubt und im Laufe des Jahres 1956 – zusammen mit seinen engsten politischen Mitarbeitern Pirker und Horn – aus der Leitung des WWI entlassen. Agartz gründete die Zeitschrift »WISO«, mit der in erster Linie auf die Gewerkschaftsbewegung eingewirkt werden sollte. Wolfgang Abendroth sagt in den Gesprächen über sein »Leben in der Arbeiterbewegung« über diese Zeitschrift: »Sie war in ihren ersten Nummern sehr gut durchgearbeitet und hatte unter all den genannten Zeitschriften (Die Andere Zeitung, Sozialistische Politik, Funken) wohl das höchste wissenschaftliche Niveau. Sie wurde auch von den älteren mittleren Gewerkschaftsfunktionären, die noch marxistische Grundkenntnisse und Kenntnisse der Arbeiterbewegung von vor 1933 hatten, sehr geschätzt.«13 Der Hochverratsprozeß gegen Agartz, der dann nach seiner Verhaftung 1957 gegen ihn inszeniert wurde (wegen angeblich konspirativer Beziehungen zum FDGB der DDR) endete zwar mit einem Freispruch. Gleichwohl war damit die Position des »gewerkschaftlichen Radikalismus« auf der Ebene des DGB – nicht jedoch bei allen Einzelgewerkschaften14 – endgültig diskreditiert und ausgeschaltet.

Wolfgang Abendroth hatte mit Agartz eng zusammengearbeitet (z.B. bei der Konzipierung der »Frankfurter Rede«, namentlich ihres staatsrechtlichen Teils) und geriet daher unvermeidlich in den Sog der »Agartz-Kampagne« (bis hin zu seinem brillanten Auftritt während des Agartz-Prozesses). Noch im Oktober 1955 bekannte er sich in seinem letzten großen Aufsatz in den »Gewerkschaftlichen Monatsheften« ausdrücklich zur Position von Agartz: »So hat die reale Entwicklung der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Machtverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland die Analyse voll gerechtfertigt, die Viktor Agartz in seinem repräsentativen Referat auf dem 3. Bundeskongreß des DGB 1954 gegeben hat.«15

Sein Buch »Die deutschen Gewerkschaften« muß daher als eine Intervention gelesen werden, die gleichsam im Vorfeld der Auseinandersetzungen um den »gewerkschaftlichen Radikalismus« (deren brutale Formen und Konsequenzen Abendroth freilich nicht vorausahnen konnte!) die großen gesellschaftspolitischen Aufgaben der neuen deutschen Gewerkschaftsbewegung historisch, soziologisch und verfassungsrechtlich begründete, ohne dabei deren Tagesaufgaben sowie ihre konkreten Organisationsprobleme aus dem Blickfeld zu verlieren.

Im historischen Teil geht es Abendroth zunächst darum, Aufgaben und Rolle der Gewerkschaften in der kapitalistischen Klassengesellschaft zu entwickeln. Die Gewerkschaften knüpfen an die wirtschaftlichen und sozialen Interessen der Arbeitnehmer an, »wie sie sich in ihrem täglichen Dasein immer wieder ergeben und wie sie aus ihrem ständigen sozialen Gegensatz zu ihren Arbeitgebern und ihrer Funktion im Wirtschaftsleben erwachsen.« (S. 42) Der Klassengegensatz beschränkt sich jedoch keineswegs auf die sozial-ökonomischen Gegensätze von Kapital und Arbeit. Wolfgang Abendroth hat – wie K.H. Tjaden betont – den Gegenstand der Politikwissenschaft stets als »ein Gefüge gesellschaftlicher Klassenkräfte und politischer Machtverhältnisse« begriffen: »Er ging dabei von der von Marx und Engels erarbeiteten Erkenntnis aus, daß die kapitalistische Gesellschaft im Grundverhältnis von Lohnarbeit und Kapital begründet ist und durch eine zum Staat verselbständigte politische Macht bekräftigt und geregelt wird. Die Entwicklung der Kräfteverhältnisse der Klassen drückt sich in gesellschaftlichen Machtlagen aus und setzt sich in politische Kämpfe um und wird durch sie verändert, wobei die politischen Kämpfe der Arbeiterklasse durch die Staatsverfassung als einem Waffenstillstandsabkommen zwischen Kapital und Arbeit Rechtsunterstützung erlangen können, was insbesondere für den demokratischen bürgerlichen Rechtsstaat in seiner sozialstaatlichen Ausprägung gilt.«16

Die Gewerkschaften haben daher die Aufgabe, nicht nur Verteidigungsaufgaben hinsichtlich der wirtschaftlichen und sozialen Interessen der Lohnabhängigen wahrzunehmen. Sie müssen stets für eine Demokratisierung der – auf das Kapital gegründeten – Herrschaftsverhältnisse wirken. Die politische Demokratie ist dafür eine unabdingbare Voraussetzung. Sie kann aber langfristig nur gesichert werden, wenn sie durch den Einfluß der Arbeiterbewegung zur sozialen Demokratie – im Sinne einer »lebendigen Selbstverwaltung der Gesellschaft und des Staates« – fortentwickelt wird. Diese – für die Aufgabenbestimmung der Gewerkschaftspolitik wie der Verfassungsinterpretation – zentrale These begründet Wolfgang Abendroth aus den historischen Erfahrungen des Scheiterns der Weimarer Republik:

»Die Geschichte der Weimarer Republik hat deutlich gezeigt, wie unkontrollierte wirtschaftliche Machtzusammenballung in der Hand großer kapitalistischer Machtgruppen im Zusammenhang mit unkontrollierter administrativer und militärischer Gewalt in der Hand von Schichten, die sich den Trägern wirtschaftlicher Macht verbunden fühlen, zunächst durch fast monopolistische Verfügung über die Meinungsbildungsapparate der modernen Gesellschaft die Demokratie aushöhlt und sie dann gewaltsam sprengt, wenn in Zeiten wirtschaftlicher oder politischer Krisen den Massen die Sinnwidrigkeit des traditionellen Systems der wirtschaftlichen Machtverteilung allzu deutlich vor Augen geführt wird. Die formale Demokratie ist nur dann politisch gesichert, wenn sie durch aktive Beteiligung eines jeden am selbständigen politischen Meinungsbildungsprozeß, durch lebendige Selbstverwaltung der Gesellschaft und des Staates Inhalt gewinnt.« (S. 96)17

Aus diesen grundsätzlichen Überlegungen resultiert eine klare Positionsbestimmung in den innergewerkschaftlichen Auseinandersetzungen der frühen 50er Jahre: die wirtschaftspolitischen Forderungen, die der DGB bei seinem Münchener Gründungskongreß beschlossen hat, »sind heute noch ebenso aktuell wie 1949«. Die Niederlagen, die die DGB-Gewerkschaften bis 1952 hinnehmen mußten, dürfen daher nicht zu einer programmatischen Revision führen:

»Wenn auch in diesen Auseinandersetzungen die deutschen Gewerkschaften dem Druck der Arbeitgeber auf Parteien und Staat erlegen sind, so haben sie ihre Ziele doch keineswegs aufgegeben. Sie werden weiter um ihre Verwirklichung ringen müssen, wenn sie durch Erweiterung der nur formal politischen Demokratie den weiteren Aufstieg der Arbeitnehmer sichern und einer Wiederholung jener Entwicklung vorbeugen wollen, die schon einmal die demokratische Struktur des deutschen Staates erst ausgehöhlt und dann zerstört hat und damit gleichzeitig jeden Rest rechtsstaatlichen Denkens für zwölf lange Jahre auslöschte.«(S. 99)

So ist nun auch besser zu verstehen, wie Wolfgang Abendroth in dieser Schrift den Begriff der »demokratischen Integration« (den er von Alfred Weber übernommen hat) verwendet. Integration bedeutet keinesfalls Anpassung der Arbeiterbewegung an die bestehenden Herrschafts- und Machtverhältnisse der – sich restaurierenden – kapitalistischen Gesellschafts- und Staatsordnung der BRD, sondern deren Transformation in Richtung der sozialen Demokratie. Als »Selbsthilfeverbände« der Arbeitnehmer, der größten sozialen Gruppe dieser Gesellschaft, sind die Gewerkschaften zugleich deren wichtigstes Demokratisierungspotential. Sie sind »... die natürlichen Garanten des demokratischen Prozesses der Meinungs- und Willensbildung, den sie aus ihrem gesellschaftlichen Bereich in den politischen und umgekehrt aus dem politischen in den gesellschaftlichen übertragen müssen, um ihr Gesamtinteresse und damit das Gesamtinteresse der friedlichen Fortentwicklung der ganzen Gesellschaft durchzusetzen. Sie können deshalb niemals politisch neutral sein, wenn sie auch parteipolitisch neutral sein wollen.« (S. 101) Eine wesentliche Bedingung, um diese Aufgabe der gesamtgesellschaftlichen Demokratisierung wirkungsvoll zu vertreten, ist das Funktionieren der innergewerkschaftlichen Demokratie:

»Solange der demokratische Integrationsprozeß in den Gewerkschaften intakt bleibt – aber auch nur so lange – sind sie in der Lage, im täglichen Kampfe die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten, die Sonderwünsche der einzelnen Gruppen unter den Arbeitnehmern ihren Gesamtinteressen unterzuordnen und dies Gesamtinteresse im Ringen um die Demokratisierung von Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur einzusetzen. Ob die Gewerkschaft kampffähig und in ihrer Struktur demokratisch bleibt, darüber entscheidet der Wille eines jeden deutschen Arbeitnehmers, sich an ihrer Arbeit und ihrem täglichen Leben aktiv zu beteiligen. Scheitern sie, dann sind nicht nur die elementarsten Lebensbedingungen eines jeden Arbeitnehmers in Frage gestellt, dann ist auch die deutsche Demokratie zum zweitenmal verloren.« (S. 102)

Dieses Buch von Wolfgang Abendroth, das in den »Gewerkschaftlichen Monatsheften« im Jahre 1955 eine heftige, teils polemische Diskussion auslöste18, steht zunächst ganz im Zusammenhang der gesellschaftspolitischen und innergewerkschaftlichen Auseinandersetzungen in der Endphase des Restaurationsprozesses. Gleichwohl ist es auch heute noch lesenswert und von grundsätzlicher Bedeutung für die gesellschafts- und gewerkschaftspolitischen Kämpfe der Gegenwart. Seit der konservativen »Wende« von 1982 sind die »Erben Konrad Adenauers« am Werke, um die zweite, große Restauration in der Geschichte der BRD durchzusetzen. Ihre Politik zielt im Kern darauf, die Macht der Gewerkschaften zu brechen, sozialpolitische Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte und demokratische Rechte – vor allem das Streikrecht – abzubauen, um auf diese Weise Freiräume für die möglichst ungehinderte Kapitalakkumulation zu öffnen und die Machtverhältnisse dieser kapitalistischen Ordnung – ideologisch und politisch – neu und dauerhaft zu stabilisieren. Wolfgang Abendroths Erkenntnis von der notwendigen »Umwandlung der formalen Demokratie des Staates in die soziale der Gesellschaft« ist daher heute – nach den historischen Erfahrungen des Endes der Weimarer Republik und der Niederlagen der Gewerkschaften in der Restaurationsperiode der jungen BRD – von brennender Aktualität.

Frank Deppe

Anmerkungen

1

 Vgl. die Bibliographie der Schriften Wolfgang Abendroths in ders., Antagonistische Gesellschaft und politische Demokratie, Neuwied und Berlin 1967, S. 541ff.

2

 Vgl. Gründungskongreß des DGB, München 1949, Protokoll, S. 184ff., S. 306ff. sowie S. 318ff.

3

 Vgl. u.a. E. Schmidt, Die verhinderte Neuordnung 1945–1952, Frankfurt/M. 1970; L. Niethammer, Entscheidung für den Westen – die Gewerkschaften im Nachkriegsdeutschland, in: H.O. Vetter (Hrsg.), Aus der Geschichte lernen – die Zukunft gestalten, Köln 1980, S. 224ff.; F. Deppe, Die Funktion der Einheitsgewerkschaft und der Kampf um eine gesellschaftliche Neuordnung nach 1945, in: Ders. u.a. (Hrsg.), Einheitsgewerkschaft, Frankfurt/M. 1982, S. 20ff.; H.Lademacher (Hrsg.), Gewerkschaften im Ost-West-Konflikt, Melsungen 1982.

4

 O. Brenner, Gewerkschaftliche Dynamik in unserer Zeit, Frankfurt/M. 1966, S. 116.

5

 Vgl. dazu u.a. F. Deppe u.a., Kritik der Mitbestimmung, Frankfurt/M. 1969, bes. S. 58ff.

6

 Vgl. dazu namentlich die Auffassungen von Goetz Briefs, kritisch dazu F. Deppe, Autonomie und Integration. Materialien zur Gewerkschaftsanalyse, Marburg 1979, bes. S. 130ff.

7

 Zum hessischen Metallarbeiterstreik 1951 vgl. A. Bettien, Arbeitskampf im Kalten Krieg, Marburg 1983.

8

 Vgl. dazu u.a. F. Deppe, Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) 1949-1965, in: Ders. u.a. (Hrsg.), Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung, Köln 1981 (3. Aufl.), S. 356ff.

9

 Kommunisten spielten zu dieser Zeit bei den gewerkschaftlichen Führungstruppen kaum noch eine Rolle. Zum einen waren sie administrativ entfernt worden; zum anderen hatte die KPD durch eine linkssektiererische Politik (»These 37«) ihre Position in den Gewerkschaften erheblich geschwächt. Ihr Einfluß beschränkte sich daher auf Betriebsräte sowie auf einige Einzelgewerkschaften, bei denen – wie z.B. bei der IG-Bau-Steine-Erde – in der zweiten Hälfte der 50er Jahre »Säuberungswellen« stattfanden; vgl. dazu u.a. G. Leber, Vom Frieden, München 1980, S. 26ff.

10

 Vgl. V. Agartz, Wirtschafts- und steuerpolitische Grundsätze und Programm des DGB, Referat auf dem 3.o. Bundeskongreß in Frankfurt, vom 4.–9. Oktober 1954, Protokoll S. 423 -468. Siehe auch: V. Agartz, Wirtschafts- und Steuerpolitik – Expansive Lohnpolitik, hrsg. von Hans Willi Weinzen (mit der Kontroverse Nell-Breuning SJ contra Agartz), Berlin (DVK) 1986, S. 29-74.

11

 Vgl. O.Brenner, Aktionsprogramm des DGB, in: 4.o. Bundeskongreß des DGB, Hamburg 1956, Protokoll, S. 346ff.

12

 Zu diesem Konflikt vgl. die Arbeit des damaligen Mitarbeiters von V. Agartz, T. Pirker, Die blinde Macht, 2 Bde., München 1960, hier: Bd. 2, S. 150ff.; aufgrund der oft unerträglichen Selbstbespiegelung ist die Darstellung, die Viktor Agartz (1958) selbst von diesen Ereignissen gegeben hat, oft nur schwer lesbar: H.H. Hermann (Viktor Agartz), Verraten und verkauft. Eine Abrechnung, Frankfurt/M. 1983 (Neuaufl.); vgl. die neuere, solide Dissertation von J. Hülsdünker, Praxisorientierte Sozialforschung und gewerkschaftliche Autonomie. Industrie- und betriebssoziologische Beiträge des WWI des DGB zur Verwissenschaftlichung der Gewerkschaftspolitik von 1946-1955, Münster 1983, bes. S. 333ff.

13

 W. Abendroth, Ein Leben in der Arbeiterbewegung, hrsg. v. B. Dietrich und J. Pereis, Frankfurt/M. 1976, S. 228.

14

 Die IG Metall unter der Führung von Otto Brenner (zusammen mit F. Strothmann, H. Dürrbeck, G. Benz, F. Opel und W. Thönessen) wurde nunmehr zum Zentrum einer klassenorientierten Politik in der Gewerkschaftsbewegung, obwohl Otto Brenner selbst nur wenig Anstrengungen unternommen hatte, um V. Agartz ab Ende 1955 zu stützen.

15

 W. Abendroth, Zehn Jahre gewerkschaftlicher Kampf für die soziale Demokratie, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, 6. Jg., Oktober 1955, S. 585ff., hier S. 594.

16

 K. H. Tjaden, Die Bedeutung der »Wissenschaft von der Politik« Wolfgang Abendroths, in: Düsseldorfer Debatte, 12/1985, S. 59ff., hier S. 60.

17

 Vgl. auch W. Abendroth, Zur Funktion der Gewerkschaften in der westdeutschen Demokratie, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, 3. Jg., November 1952, S. 641ff.: »Das Ende der Weimarer Republik hat historisch bewiesen, daß auf lange Sicht in unserer Zeit Demokratie als bloß formale Demokratie nicht mehr möglich ist, und daß mit der formalen Demokratie auch die durch den Liberalismus entwickelten kulturellen Werte verschwinden müssen, wenn es nicht gelingt, durch Umwandlung der formalen Demokratie in die soziale der Gesellschaft einer positiven Lösung zuzusteuern.« (S. 642)

18

 Vgl. dazu die Texte von F. Spliedt, W. Abendroth, O. Brenner und I. Enderle im Anhang, S. 104ff.

Dem Andenken meines Lehrers und Freundes

Paul Frölich

des Historikers der deutschen Revolution

und Biographen Rosa Luxemburgs

gewidmet

ERSTER TEIL

Die Entwicklung der deutschen Gewerkschaften bis zu ihrer Zerstörung durch den nationalsozialistischen Terror

1. Die Entstehung des proletarischen Selbstbewußtseins vor der Gewährung des Koalitionsrechts

Der Siegeszug der Maschine, das Zeitalter der Industrialisierung, erreichte Deutschland am Ende des ersten Drittels des vorigen Jahrhunderts. Der gewaltige Aufschwung des nationalen Wohlstandes durch rasche und stetige Steigerung der Produktivität, den die Entwicklung der modernen kapitalistischen industriellen Gesellschaft mit sich brachte, wurde aber hier wie in England, dem Ausgangsland dieser geschichtlichen Wende, dadurch erkauft, daß eine neue soziale Schicht geboren wurde, die mit den neuen Produktionsmitteln zu arbeiten hatte: das Proletariat. Konnte früher der Zunftgeselle der handwerklichen Produktion hoffen, eines Tages selbständiger Handwerksmeister zu werden, so war für die Masse der Industriearbeiter die Aussicht, zu eigenem Besitz an Produktionsmitteln zu gelangen und industrieller Kapitalist zu werden, zur offenkundigen Illusion geworden. Die einzige Ware, die sie besaßen und von deren Verkauf sie leben mußten, war ihre Arbeitskraft. Bei deren Verwertung machten sie sich gegenseitig Konkurrenz: denn jedem Arbeitgeber stand die große Zahl derjenigen, die nur durch Verwertung ihrer Arbeitskraft ihr Leben und das ihrer Familie fristen konnten, in voller Vereinzelung gegenüber, so lange sie ihr gemeinsames Schicksal noch nicht erkannt und die Gedankenwelt ihrer Solidarität noch nicht entwickelt hatten. Deshalb war die Entstehung des Proletariats in allen Ländern mit seiner Verelendung verbunden.

Der Gedankenwelt proletarischer Solidarität stand aber das grundsätzlich liberale Denken dieser Zeit entgegen. Der industrielle Aufschwung war nur dadurch ermöglicht worden, daß die Gewerbefreiheit die Schranken des Zunftzwanges zerbrochen hatte, und daß die Vertragsfreiheit, die alle ständischen Bindungen auflöste, den Einzelnen – wenigstens scheinbar – zum freien Rechtssubjekt machte. Zudem war in Deutschland das Verbot der Gesellenbünde durch die Reichszunftordnung von 1731 – einen späten Nachfahren der Bestrebungen der Reichsgesetzgebung, die damalige soziale und politische Ordnung gegen die Erhebungen der unteren Gesellschaftsschichten seit Beginn des 16. Jahrhunderts zu sichern – in die Gesetzgebung des territorialstaatlichen Absolutismus übernommen worden. Die monarchischen deutschen Staaten der Restaurationsperiode mußten um so mehr an diesem Verbot festhalten, als hinter jedem Zusammenschluß der unteren Gesellschaftsgruppen das Gespenst der demokratischen Revolution zu lauern schien.

So wurden die ersten selbständigen Regungen der neuen Gesellschaftsklasse, die ersten tastenden Versuche, durch solidarische Selbsthilfe ihrer Verelendung zu steuern, durch den energischen Zugriff der Staatsgewalt zerschlagen. 1845 forderten die Leipziger Buchdrucker von ihren Arbeitgebern Verhandlungen über einen Tarifvertragsentwurf, weil sie verstanden hatten, daß nur kollektive Vereinbarung der Lohn- und Arbeitsbedingungen ihre Lage bessern konnte, nachdem sie schon zwei Jahre vorher ein gemeinschaftliches Komitee gebildet hatten. Im gleichen Jahre legten die Maurergesellen der Hansestädte und Schleswig-Holsteins gemeinschaftlich die Arbeit nieder, um bessere Löhne zu erstreiten. Der Deutsche Bund, dem man in anderen Dingen gewiß alles andere als übermäßig schnelles Handeln vorwerfen konnte, reagierte prompt durch einen Beschluß des Bundestages, der allen seinen Mitgliedstaaten die strikte Durchführung des Verbots von Arbeiterkoalitionen zur Pflicht machte. Preußen hat in seiner Gewerbe-Ordnung von 1845, der Gesinde-Ordnung von 1854 und dem Berg-Gesetz von 1860 bzw. 1865 starr an dieser Politik festgehalten.

Die März-Revolution von 1848 konnte nur vorübergehend diese Lage bessern. Noch waren in der werdenden Arbeiterklasse, die zum großen Teil aus ehemaligen Handwerksgesellen bestand, starke zünftlerische Tendenzen vorhanden. Als die Gesellen zu dem dritten Handwerkerkongreß im Juli 1848 nicht zugelassen wurden, traten sie unter geistiger Führung des Professors Winkelblech zu einem eigenen Kongreß zusammen, der einen allgemeinen Arbeiterverein vorbereiten wollte, aber, in den noch relativ wenig industrialisierten Verhältnissen Süddeutschlands verwurzelt, noch erheblich von Zunftvorstellungen beeinflußt war. Auch die »Arbeiterverbrüderung«