Die drei ??? und die Welt der Hörspiele (drei Fragezeichen) - C.R. Rodenwald - E-Book
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Die drei ??? und die Welt der Hörspiele (drei Fragezeichen) E-Book

C. R. Rodenwald

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Beschreibung

Die drei ??? sind fester Bestandteil der deutschen Kulturgeschichte. Statistisch gesehen gibt es in Deutschland keinen Haushalt ohne ein "Die drei ???"-Hörspiel. Aus Kassettenkindern wurden Erwachsene, und deren Kinder hören, lesen und lösen heute wieder Fälle mit den berühmten Detektiven aus Rocky Beach. Doch wie ist dieser Kult entstanden? Und wie konnte sich die Serie über 50 Jahre erfolgreich halten? Dieses Buch geht zurück zu den Anfängen der Hörspielserie und erzählt die ganze Geschichte des Phänomens. Wer waren die Beteiligten – und wer ist heute noch an Bord? Wer hätte gedacht, dass Justus Jonas eine Zeit lang von einem waschechten Punk gesprochen wurde? Aber vor allem: Wie erklärt sich der Mega-Erfolg? Ein spannender Blick hinter die Kulissen und ein Muss für Fans!

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Seitenzahl: 364

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C.R. Rodenwald

Die drei ???

und die Welt der Hörspiele

Für Georg

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Besuchen Sie uns im Internet unterwww.langen-mueller-verlag.dewww.kosmos.de

ISBN 978-3-7844-8372-6

©2020 Langen Müller Verlag GmbH, MünchenAlle Rechte vorbehaltenUmschlagmotiv: Andreas Ruch, auf Basis einerFotografie aus dem EUROPA ArchivLektorat: Silke Arnold, StuttgartRedaktion: Sissi Klauser, Anne PagelSatz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, GermeringGesetzt aus der Minion Pro

„Die drei ???“ sind eine eingetragene Marke der Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Inhalt

Wie alles begann

Dave Miller

Andreas Beurmann

Miller International Schallplatten GmbH

EUROPA

Heikedine Körting

Die drei ??? Die Zeit der Kassettenkinder

Justus Jonas: Oliver Rohrbeck

Zweiter Detektiv: Jens Wawrczeck

Bob Andrews: Andreas Fröhlich

Die ersten gemeinsamen Aufnahmen

Der Cast, Teil 1

Alfred Hitchcock: Peter Pasetti

Tante Mathilda: Karin Lieneweg

Morton und Skinny Norris: Andreas von der Meden

Kommissar Reynolds: Horst Frank

Und wer war außerdem in Rocky Beach?

H. G. Francis

Die Hörspielmusik der Klassiker: Carsten Bohn

Die Cover von Aiga Rasch

Die drei ??? starten durch

Schlechte Presse für Europa

Die drei ??? und der Gameboy-Knick

Der Rechtstreit mit Carsten Bohn

Hörspielmusik von Manuel Backert, Detlef Kuntke und Jan-Friedrich Conrad

Crimebusters

André Minninger

Der Cast, Teil 2

Inspektor Cotta: Holger Mahlich

Erzähler II – Matthias Fuchs

Geheimplan Besetzungswechsel?

Die drei ??? und das Comeback

Corinna Wodrich und Ulli Feldhahn

Neuauflagen, Teil 1

Das Vollplaybacktheater

Toteninsel: Das erste große Jubiläum

Hörspielmusik von Jens-Peter Morgenstern

Neuauflagen, Teil 2

Master of Chess: Die erste Tour

25 Jahre Super-Papagei

Der Rechtstreit zwischen Sony BMG und KOSMOS

DiE DR3i

Die drei ??? in der Zeitblase

Hörspielmusik aus dem Studio STIL

Die drei ??? – Autoren

Das Hörspielskript

Erzähler III – Thomas Fritsch

Erzähler IV – Axel Milberg

Der Cast, Teil 3

Promis in Rocky Beach

Family & Friends

Die Aufnahmen

Geräusche

Hörspielmusik 2.0

Post Production

Die drei ??? und der Kult – ohne Ende

Bildnachweis

Vorwort

Die drei ??? begleiten mich schon mein ganzes Leben. Vielen geht es so. Ich bin Jahrgang 1984, gehöre also nicht zu der gesegneten Generation, die den Hörspielboom der frühen 80er Jahre miterlebte. An meine ersten eigenen Kassetten kann ich mich kaum erinnern. Da gab es diesen sprechenden Elefanten und noch ein paar andere Sachen. Gähnend langweilig wurden diese Hörspiele aber erst, als ich Die drei ??? kennenlernte. Meine Kumpels Attila und Alexander hatten beide ältere Brüder, deren Kassetten wir beim Spielen rauf und runter hörten. Als ich einmal bei einem der beiden übernachten durfte, lauschten wir abends gebannt Die drei ??? und der Super-Papagei. Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, dabei einzuschlafen.

Wie gerne hätten wir damals auch so ein Detektivunternehmen gehabt. Leider gab es gar nichts Spannendes zu ermitteln. Ein paar Jahre später unternahm ich einen zweiten Anlauf. Zusammen mit meinen neuen »Kollegen« Christian und Christian observierten wir nachts ein Bordell. So etwas hatten sich noch nicht einmal die drei ??? getraut! Das Haus betrat in der ganzen Zeit kein Mensch – weder der Pfarrer noch der Bürgermeister. Aber irgendwann kam jemand heraus. Zielstrebig ging er auf unser Versteck zu und fragte: »Was macht ihr hier, Kinder?« Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und sagte: »Wir wissen, dass hier ein Puff ist!« – »Ich auch«, bekamen wir zur Antwort. »Geht heim, Kinder!« Wir gingen.

Das war das Ende meiner Detektivkarriere. Immerhin wurde ich später Historiker. Und vielleicht hängt ja beides miteinander zusammen, aber so tief möchte ich eigentlich nicht in meine Psyche eintauchen.

Jedenfalls habe ich erst beim Schreiben dieses Buchs gemerkt, dass in meinem Leben so einiges schief gelaufen ist: Ob ein Hörspiel mit der Pfeifmelodie oder dem Vocoder-Lied begann, interessierte mich als Kind überhaupt nicht. Mir gefiel beides. Ich wusste lange Zeit auch gar nicht, dass es überhaupt Hörspiele mit alter und neuer Musik gab. In meinem Leben gab es auch nie einen Gameboy-Knick. Wir hörten die Hörspiele damals beim Nintendospielen. Der Knick kam bei mir erst Mitte der 90er Jahre, als ich mich zu alt fürs Hörspielhören fühlte und lieber zu den Büchern griff. Mit 15 Jahren war auch damit Schluss. Dass das nächste Buch von irgendwelchen Vampiren im Internet handeln sollte, erleichterte mir diese wegweisende Entscheidung. Ich wäre aber nie auf die Idee gekommen, meine Kassetten oder Bücher auf dem Flohmarkt zu verscherbeln. Niemals.

Auf einer endlos langen Busfahrt in Richtung Toskana hörte ich auf einem Walkman die Toteninsel. Meine Mitschülerin Tina hatte Hörspielkassetten mit auf Klassenfahrt genommen. Ich konnte so etwas zwar nicht nachvollziehen, genoss aber die Abwechslung. Der Hype um die Folge 100 und die Master of Chess-Tour ging vollkommen an mir vorbei. Ich wollte ins Stadion, auf Rockkonzerte, aber mir mit Sicherheit kein Live-Hörspiel anhören.

Auf dem Weg zur Universität erzählte mir irgendwann mein ehemaliger Mitschüler Johannes in der Bahn davon, dass Justus jetzt anders hieße, nämlich Jupiter. Die Serie sei somit sogar näher am Original dran. Aha. Ich fand das interessant und bescheuert zugleich, war aber meilenweit davon entfernt, mich darüber in irgendeinem Internetforum aufzuregen. Ich kannte auch keines. Ich kannte auch keinen Robert Arthur.

Aber irgendwann war sie da, diese Sehnsucht nach der Kindheit. Dieses unbeschreiblich schöne Nostalgiegefühl. Und kaum etwas war so sehr mit meiner Kindheit verbunden wie diese Serie. Bis ich für Die drei ??? aber wieder richtig Geld ausgeben würde, musste noch einiges passieren. Einmal schnappte ich mir ein preisreduziertes Mängelexemplar, aber in der Regel lieh ich mir die Bücher in der Bibliothek aus. Als ich registrierte, dass der Super-Papagei gar nicht der erste Fall der drei Detektive war, sondern die Buchreihe mit dem Gespensterschloss begann, wurde ich neugierig. Ich recherchierte, ich las und hörte – und schrieb parallel ein Buch: Die Welt der drei Fragezeichen. Vor mir tat sich eine neue Welt auf! Am Anfang hatte ich ein wenig Angst, meine Kindheit und deren Helden zu entzaubern. Doch das Gegenteil trat ein. Heute liebe ich Die drei ??? mehr als je zuvor. Das gilt sowohl für die Bücher als auch für die Hörspiele, um die es hier in meinem neuen Buch geht. Glücklicherweise behielten auch die Hörspiele ihren Zauber. Ich kann mich beim Hören sogar noch mehr entspannen, seitdem ich weiß, warum alles so ist, wie es ist. Ich hoffe, euch wird es genauso ergehen: Taucht ein mit mir in Die drei ??? und die Welt der Hörspiele!

Wie alles begann

Dave Miller

Die Erfolgsgeschichte der Die drei ???-Hörspiele ist untrennbar mit dem Namen Heikedine Körting, dem Label EUROPA sowie den drei Sprechern Oliver Rohrbeck, Jens Wawrczeck und Andreas Fröhlich verbunden. Doch den Grundstein dafür legte David L. Miller, der am 4. Juli 1925 in Pennsylvania als US-Bürger zur Welt kam. Dass Dave Miller gerade am Unabhängigkeitstag geboren wurde, konnte kein Zufall sein – zumindest aus Sicht des Chronisten der Miller-Story: »Dave war ein Mann, der aus dem Bauch heraus lebte. Voller Power, voller Dynamik, voller Lebenshunger. Ein Mann, der sich nicht einengen ließ, dem Freiheit alles bedeutete.«1

Miller wird folgendes Zitat zugeordnet: »Kreativität ist nicht, eine Idee zu haben. Kreativität ist: diese Idee umzusetzen.«2 Seinen Pioniergeist kann man vielleicht am besten mit dieser Anekdote veranschaulichen: Mit gerade einmal 20 Jahren nahm er eine Hochzeitszeremonie mithilfe eines riesigen Apparats direkt in der Kirche auf Wachs auf. Er raste zurück nach Hause, wo der junge Mann in seine Garage selbst Schellackplatten herstellen konnte. Und noch am gleichen Abend konnte man sich Orgelspiel und Ja-Wort nochmals anhören. Kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war das.

Miller machte sein Hobby zum Beruf. 1957 gründete er nach mehreren erfolglosen Versuchen erneut eine Schallplattenfirma. Mit Somerset warf er Tanzmusik, Evergreens und Klassik zu niedrigen Preisen auf den Markt. Miller liebte massentaugliche Unterhaltungsmusik, was sich auch im Repertoire niederschlug. Aber auch Rock’n’Roll lernte bei Somerset laufen, nämlich auf Millers Label Holiday Records: Bill Haley war eine Zeit lang bei Miller unter Vertrag. Den Welthit Rock Around the Clock veröffentlichte Haley wenig später aber bei der Konkurrenz. Die Wege hatten sich getrennt – leider nicht im Guten. Später sahen sich Miller und Haley wegen eines Streits um Tantiemen vor Gericht wieder. Miller unterlag. Rückschläge wie diese gab es in der Karriere von Dave Miller immer mal wieder. Aber mittel- bis langfristig zeigte seine persönliche Konjunkturkurve immer nur in eine Richtung: nach oben, steil nach oben.

Für das Thema dieses Buches ist Millers Deutschlandreise Ende der 50er Jahre von besonderer Bedeutung. In Millers Augen war die junge Bundesrepublik ein »Billigland mit aufstrebender Wirtschaft«.3 Das kann man durchaus so stehen lassen – gerade im Vergleich zu den USA. Das nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführte »Bretton-Woods-System«, ein Wechselkurssystem mit dem Dollar als Leitwährung, begünstigte die deutsche Wirtschaft enorm. In den 50er Jahren bekam man für einen US-Dollar 4,20 D-Mark. Das brachte Miller auf eine Idee. Er wollte seine Platten in Deutschland produzieren lassen, um sie dann in den USA zu verkaufen. Auf diese Weise konnte er dank der unterbewerteten D-Mark viel Geld sparen. Sein Weg führte ihn zum US-Konsulat in der Hansestadt Hamburg. Dort lernte Miller Dr. Andreas Beurmann kennen. Was Beurmann dort genau wollte, konnte nicht mehr rekonstruiert werden. Jedenfalls war es eine glückliche Begegnung.

Andreas Beurmann

Andreas E. – das E steht für Erich – Beurmann wurde am 12. Februar 1928 in Zoppot in der Nähe von Danzig geboren. Die Familie gehörte dem Bildungsbürgertum an. Der Vater war Jurist, die Mutter Konzertsängerin. Schon als Kind war er mit klassischer Musik vertraut. Er spielte Violine, später auch Klavier und trat bereits als Schüler beim Rundfunk in Danzig auf.

Der Krieg bedeutete gerade für die Deutschen in den Ostgebieten eine tiefe Zäsur. Die allermeisten flohen oder wurden vertrieben. Und so machte Beurmann sein Abitur in Göttingen. In der Universitätsstadt schloss er später auch sein Physikstudium und das der Musikwissenschaften ab. Er promovierte schließlich zu den Klaviersonaten von Carl Philipp Emanuel Bach. Seit 1951 arbeitete Andreas Beurmann als Entwicklungsingenieur und Tonmeister beim Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR) in Hamburg. Der NWDR teilte sich erst ein paar Jahre später in die bis heute bestehenden Sender NDR und WDR auf.

Von Anbeginn stimmte die Chemie zwischen Andreas Beurmann und Dave Miller. Schnell kam man ins Geschäft. Das aus den USA bewährte Geschäftsmodell wurde auf Deutschland übertragen. Beurmann sollte für Tonaufnahmen ein Orchester zusammenstellen. Aber Miller wollte nicht irgendein Orchester. Er wollte das größte Orchester der Welt. Analog zu der in seiner Heimat immer dann verwendeten Redewendung, wenn es um die perfekte oder ultimative Anzahl gehen sollte – 101 things to do / to know / to learn / to hear – sollte sein Orchester mit 101 Strings besetzt sein. In Deutschland war das möglich. Gute Musiker waren hier nämlich deutlich günstiger zu bekommen als in den USA.

Für die Aufgabe holte Beurmann zwei Kollegen vom NWDR ins Boot: Dr. Wilhelm Wille und Dr. Hans-Peter Reineke. Das Trio war mit der Musikszene der Hansestadt bestens vernetzt. Die Aufnahmen fanden in der Regel ab 23 Uhr statt. Das war nicht anders möglich, weil die Musiker von der Hamburger Staatsoper, den Hamburger Symphonikern oder dem NWDR rekrutiert wurden. Und die konnte man erst gemeinsam vors Mikrofon bringen, wenn alle Feierabend hatten.

Die Aufnahmebedingungen waren nahezu perfekt, erinnerte sich Beurmann Jahre später: »Wir hatten die Hamburger Musikhalle mit ihrer hervorragenden Akustik als Studio entdeckt. Dort gab es zwei Proszeniumslogen. Eine hatte der NWDR gemietet, die andere ich. In diesen Logen standen unsere Aufnahmegeräte, fast zwanzig Jahre.«4 Schon früh – deutlich früher als in anderen Studios – konnte in der Musikhalle sogar stereo aufgenommen werden.

Miller fand in Beurmann nicht nur einen hervorragenden Musiker, sondern auch einen begeisterten Techniktüftler. Das war er schon als Kind: »In meinem Elternhaus in Zoppot hatte ich beispielsweise am Gartenzaun zur Straße [hin] eine Vogelscheuche aufgestellt. Darin war ein versteckter Lautsprecher, von dem ein Kabel bis zu einem Mikrofon in meinem Kinderzimmer führte. Aus meinem Zimmer konnte ich die Straße beobachten, und wenn jemand am Haus vorbeiging, erschreckte ich die Leute, indem ich die Vogelscheuche sprechen ließ. Nette Mädchen wurden natürlich nicht verschreckt.«5

Für die in Deutschland produzierte Musik hatte Miller ausschließlich die USA als Absatzmarkt im Blick. Während einer Europareise, die der Plattenboss zusammen mit Beurmann unternahm, verschickte er Postkarten an DJs und andere Radioleute in seiner Heimat. Auf allen Karten wurde ohne Angabe eines Absenders lediglich von den 101 Strings gegrüßt. Spätestens nachdem die ersten Platten unter dem gleichen Motto auf den Markt kamen, wussten alle, was es mit den mysteriösen Grüßen auf sich hatte. Beurmann: »Eine ganz neue Promotion-Idee – und eine, die typisch war für Dave: Das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden.«6 Sicherlich nicht nur, aber auch dank des innovativen Marketings wurden weit über hundert Millionen 101 Strings-Platten in den USA verkauft.

Miller International Schallplatten GmbH

Das Miller-Repertoire wurde immer europäischer und vor allem auch deutscher. Die Idee, auch den deutschen Markt zu bedienen, lag auf der Hand. Im Jahr 1961 gründete Dave Miller zusammen mit Andreas Beurmann und Wilhelm Wille die Miller International Schallplatten GmbH, für die beide mit jeweils 250.000 D-Mark bürgten. Viel Geld. »Das haben wir unter anderem von der Commerzbank in Hamburg geliehen bekommen. Der Chef der Bank war sehr offen, weil seine Tochter Musikerin war, die wir auch schon engagiert hatten. Den Kredit haben wir recht schnell zurückzahlen können«, so Beurmann.7 Wille gestand später: »Meine Frau wusste zwei Jahre lang nicht, dass unser Haus verpfändet war.«8

Der Einfachheit halber wurde für die deutsche Unternehmensgründung der gleiche Name verwendet wie in den USA: Miller International. Auch das hauseigene Label hieß dies- und jenseits des Atlantiks gleich: Somerset. Miller hatte als Namensgeber den Hut auf. Wille war als Produzent für die Sparte Musik und Beurmann für alle Wortproduktionen zuständig.

Der erste Unternehmenssitz befand sich in der Randstraße in Hamburg-Stellingen. Das Gebäude hatte etwas von einer Baracke. Als Büro diente ein alter Bauwagen. Anfangs waren bei Miller gerade einmal 20 Mitarbeiter beschäftigt. Es gab sechs Plattenpressen, von denen aber nur zwei funktionierten. Der Großteil der Ware wurde in den USA hergestellt. Zunächst warf Miller International einfach zig ursprünglich für die USA produzierte 101-Strings-Langspielplatten auf den deutschen Markt. Im ersten Jahr betrug der Firmenumsatz aber noch mickrige 250.000 D-Mark.

1963 stieß ein Mann zum Miller-Trio, der das Unternehmen lange Zeit prägen sollte: Harald Kirsten. Mit der Musikbranche hatte er eigentlich gar nichts am Hut. Als waschechter Hamburger machte er nach dem Krieg eine Lehre zum Reedereikaufmann. Der Schifffahrt blieb er lange treu, unter anderem als Juniorchef in der Reederei seines Vaters. Als aber die Branche mehr und mehr in eine Krise schlitterte, wurde er arbeitslos.

In der Tageszeitung Die Welt entdeckte er eine interessante Anzeige. Es wurde ein Mann »mit kaufmännischer Erfahrung und Initiative« für einen »leitenden Posten« bei einem international aufgestellten Unternehmen gesucht.9 Vielleicht fühlte sich Kirsten angesprochen, weil er schon einiges von der Welt gesehen hatte? Wie auch immer. 38 Jahre alt und arbeitslos – das entsprach nicht ganz seinem Karriereplan. Er wollte es nochmal wissen.

Erst beim Vorstellungsgespräch erfuhr Kirsten, dass es bei seinem neuen Job um Schallplatten gehen sollte. Kirsten wurde zunächst als Geschäftsführer eingestellt, ein Jahr später stieg er bei Miller als Anteilseigner ein. Im Vergleich zur Schifffahrt war die Musikindustrie in seinen Augen eine Branche mit Zukunft. Außerdem begeisterte ihn Miller mit seiner amerikanischen Herangehensweise. »Während die deutsche Plattenbranche ihre Produkte als hehres, hohes Kulturgut betrachtet, gelten Platten bei Miller International als Konsumartikel: preiswert und volksnah; keine langüberlegte Anschaffung, sondern ein Mitnahmeartikel«, so Kirsten.10

Bei der Markteinführung 1961 kostete eine Schallplatte noch 15 D-Mark. Die Preise wurden sukzessive gesenkt. Die Umsätze schnellten daraufhin in die Höhe. 1964 waren es schon fast drei Millionen Mark. Eine Platte aus dem Somerset-Katalog kostete zu diesem Zeitpunkt schon nur noch 9,80 Mark. Miller International setzte mit seinen Preisen die gesamte Branche unter Druck. Doch die Konkurrenz zog mit. Wenn sich Miller auf dem Markt behaupten wollte, mussten die Preise weiter gesenkt werden.

1965. Sondersitzung bei Miller International. Harald Kirsten hielt einen Kampfpreis von 5,90 Mark für machbar. Ein großes Risiko. Nachdem sich Kettenraucher David Miller die vermutlich vierzigste Zigarette des Tages angezündet hatte, fällte der Unternehmensgründer eine folgenschwere Entscheidung: »Wenn es mit 5,90 Mark geht, dann müssen auch fünf Mark drin sein. Ein einziges Geldstück. Mit dem Konzept hat die Bild-Zeitung einst auch ihren Erfolg begründet.«11

Fünf D-Mark für eine Schallplatte stellten ein hohes, wenn nicht sogar sehr hohes unternehmerisches Risiko dar. Um dieses Risiko wenigstens ein bisschen einzugrenzen, fuhr Miller International fortan zweigleisig. Die Somerset-Platten kosteten weiter 9,80 D-Mark. Für den »Sensationspreis«12 von fünf Mark sollten die Platten von einem eigens dafür gegründeten Label verkauft werden: EUROPA.

EUROPA

Andreas Beurmann hatte die Idee, das Label nach dem Kontinent zu benennen: »Ich bin ja Nachkriegskind, mir kam Europa viel zu langsam. Ich dachte: Wir müssen doch ein Europa haben endlich, alle Staaten müssen sich zusammenschließen, wie in Amerika einen Staatbund bilden. Deswegen habe ich gedacht: Da machen wir doch wenigstens ein EUROPA auf dem Schallplatten-Sektor.«13 Auch das charakteristische rot-weiß-schwarze EUROPA-Logo entwarf und zeichnete Beurmann in Eigenregie.

Der Plan, den Niedrigpreissektor mit einer neuen Marke zu bedienen, ging auf. Die Umsätze explodierten. 1966 erfolgte die Grundsteinlegung für die neue Firmenzentrale im 20 Kilometer entfernten Quickborn, einer Landgemeinde im Nordwesten von Hamburg. In einer hauseigenen Pressemitteilung hieß es: »Der Neubau wurde durch die rasante geschäftliche Entwicklung der Miller International möglich und nötig. Dave Miller, ein erfahrener amerikanischer Produzent, der bereits den amerikanischen Markt mit preiswerten Schallplatten revolutionierte (amerikanische Redensart: Was Ford für Autos, ist Miller für Schallplatten), brachte 1961 diese Idee auch nach Deutschland.«

Die Musik spielte bei EUROPA aber zunehmend bei Beurmanns Wortproduktionen. Der Produzent hatte eine Marktlücke entdeckt. Kinder hörten zwar auch gerne Schallplatten, als eigene Kundengruppe hatte sie aber noch niemand so richtig in den Fokus genommen. So etwas passte genau in Millers Philosophie. Denn angesichts der niedrigen Gewinnspanne standen EUROPA-Produktionen auch unter einem großen Innovationsdruck. Man musste besser und schneller sein als die Konkurrenz. Nur so konnte man auf dem Markt bestehen.

Bereits ab 1954 produzierte das »Urgestein des kommerziellen Hörspiels«, Sándor Ferenczy, für das Label Polydor, das der Deutschen Grammophon gehörte, Hörspiele zu Märchen und Abenteuergeschichten. Den Anfang machte er mit Peter Pan, der von Matthias Fuchs gesprochen wurde. Es folgten in den Jahren darauf Dutzende weitere Produktionen, zum Beispiel Märchen aus 1001 Nacht, aber auch eigens von Ferenczy geschriebene Geschichten wie Am Marterpfahl, Peterwagen 7 oder Die Marsrakete.14

Die zuweilen kolportierte Meinung, EUROPA habe das Hörspiel als solches erfunden, stimmt also nicht. Hörspiele gibt es schon seit Beginn der 1920er Jahre.15 Aber EUROPA vollzog die stilistische Entwicklung zum modernen Hörspiel. Denn bei den besagten Hörspielen aus den 50er Jahren fehlte noch der typische Mix aus Sprache, Musik und Geräuschen. Den Hörern wurde größtenteils eine eher eintönige Kombination aus Erzählerparts und Dialogen präsentiert.

Ähnlich wie bei Polydor lag auch bei Europa der Schwerpunkt zu Beginn auf gekürzten Versionen von Kinderbüchern. Der bekannte Hamburger Schauspieler Hans Paetsch las Märchen, Sagen und andere Klassiker vor. Doch schon wenig später ging man einen Schritt weiter. Die Geschichten wurden nun als Hörspiele dramatisiert. Beurmann wählte dabei immer Stoffe aus, für die keine Lizenzgebühren entrichtet werden mussten. So erschienen 1966 im Europa-Kinderprogramm zum Beispiel Die Schatzinsel, Münchhausens Abenteuer und Das Wirtshaus im Spessart. Und Hans Paetsch avancierte mit der Zeit zum »Märchenonkel der Nation«.

Wie die Aufnahmen mit Hans Paetsch in den Anfangstagen abliefen, davon weiß Heikedine Körting zu berichten: »Mein Mann hatte sich dafür ein Studio in sein Auto gebaut und ist damit zu Hans Paetsch an den Hamburger Stadtrand in die Garage gefahren. Dort sind dann die Aufnahmen entstanden. Aber nicht nur Garagen und Autos dienten als Studios. Mein Mann hat in der Anfangszeit auch eine in sein Wohnzimmer gestellte Telefonzelle als Sprecherkabine benutzt.«16

Viele Jahre später erinnerte sich Claus Wilcke schmunzelnd an die alten Zeiten: »In den frühen Jahren des Labels hatte man bei Miller […] noch kein echtes Studio [für Wortproduktionen], sondern es wurde regelrecht improvisiert. Andreas Beurmann hatte dazu in seiner Privatwohnung in der Magdalenenstraße eine Ecke im Wohnzimmer vorbereitet. Wir Schauspieler saßen dann um einen runden Tisch versammelt, und alle anderen, die sich noch im Raum befanden, mussten mucksmäuschenstill sein, damit keine Störgeräusche bei den Aufnahmen entstanden. Das war noch echte Pionierarbeit.«17

Nach dem durchschlagenden Erfolg der Einzelhörspiele veröffentliche Europa ab 1967 mit Tom Sawyer den ersten Mehrteiler. Und im Jahr 1968 wurde mit Karl May-Hörspielen die erste Serie gestartet. In den 60er Jahren stürmten die Zuschauer die Kinosäle, um sich die Karl May-Verfilmungen mit Lex Barker, Pierre Briece & Co. anzusehen. 1968 ritten Winnetou und Old Shatterhand zwar das letzte Mal über die Leinwand, dafür eroberten aber jetzt die Figuren im Hörspiel die Kinderzimmer. »Das Jugendprogramm wuchs sich zu einem stabilen Standbein für Europa aus«, heißt es in der Miller-Story.18

Andreas Beurmann war weiterhin Motor und Innovationstreiber. Als der Berliner Autor Eberhard Alexander-Burgh aus in Eigeninitiative ein paar seiner Konzepte bei Europa einreichte, ließ sich der Produzent nicht zweimal bitten. Europa sollte seine erste eigene Serie bekommen: »Geschichten, die man nirgendwo anders bekommen kann, als bei uns. Mit Figuren, die uns gehören.« Besonders das Konzept zu Hui Buh gefiel Beurmann. Genau solch eine Hauptfigur schwebte ihm vor: »Ein Gespenst. Kinder lieben Gespenstergeschichten und haben trotzdem Angst vor Gespenstern. Wir sollten ein nettes, liebenswürdiges Gespenst schaffen, vor dem sich kein Kind fürchtet.«19 Und genau diese Mischung aus Grusel, Spannung und Komik machte Hui Buh, das Schlossgespenst zum Renner und zum Stammvater aller Kinder- und Jugendserien aus dem Hause Europa.

Die erste von insgesamt 23 Folgen erschien im Jahr 1969. Die Besetzung war damals erstklassig – und ist es auch aus heutiger Sicht noch. Als Erzähler brillierte wieder einmal Hans Paetsch, das Gespenst erfüllte Hans Clarin, der Stimme vom Pumuckl, mit Leben. Andreas von der Meden gab den Kastellan. Von der Produktion der ersten Folge ist eine skurrile Anekdote überliefert: Hans Clarin hatte Zweifel, dass er eine Gage für seine Sprecherleistung bekommen würde. Da im Tonstudio kein Bargeld vorhanden war, er einen Scheck aber nicht akzeptierte, beschlagnahmte er kurzerhand die Bänder und fuhr zum Flughafen. Erst als Beurmann ihm hinterher eilte und ihn ausbezahlte, rückte er die Aufnahmen heraus.

1969 erfolgte der erste tiefe Einschnitt in der noch jungen Unternehmensgeschichte: Die Miller International Schallplatten GmbH wurde an MCA Records, die spätere Universal Music Group, verkauft. »Aus einer Laune heraus«, wie es Jahre später in der Unternehmenschronik hieß.20 Was war geschehen? Dave Miller hatte sich über einen Geschäftspartner aus den USA geärgert, der auf dessen Geschäfte in Deutschland Einfluss nehmen wollte. Da verkaufte er die Firma doch lieber an einen Branchenriesen.

MCA Records wollte Miller International entweder ganz oder gar nicht. Also traten Miller, Beurmann, Wille und Kirsten alle ihre Unternehmensanteile an die neuen Eigentümer ab. Im Gegenzug wurden die bisherigen Gesellschafter mit langjährigen Verträgen als Produzenten beziehungswiese Geschäftsführer ausgestattet. Auch nach dem Verkauf sollte Miller International wirtschaftlich und konzeptionell weitgehend unabhängig bleiben.

Miller hatte seine Firma aber nicht nur allein deshalb verkauft, um seinem Partner in den USA eins auszuwischen. Es steckte auch unternehmerisches Kalkül dahinter: Er wollte ins Filmgeschäft einsteigen. Doch an einer Ausweitung von Miller International hatte MCA gar kein Interesse. Dave Miller zog sich infolge allmählich aus dem Tagesgeschäft zurück. Er gründete in England und den USA neue Unternehmen. Nach Deutschland kehrte er nur alle paar Wochen zurück. Das Label Europa war inzwischen die unangefochtene Nummer eins auf dem deutschen Hörspielmarkt. Doch die richtig fetten Jahre standen dem Label erst noch bevor. Und das hatte mit einer Frau namens Heikedine Körting zu tun.

Heikedine Körting

Heikedine Körting wurde am 18. Juni 1945 in Jena geboren. Dass sie in Thüringen das Licht der Welt erblickte, war reiner Zufall. Die Körtings wohnten eigentlich in Berlin. Als das Leben in der ausgebombten Metropole immer schwieriger wurde, floh die hochschwangere Mutter zusammen mit ihren beiden acht und elf Jahre alten Söhnen Klaus und Uwe in Richtung Schlesien. Dort lebten ihre Eltern. Doch die immer weiter nach Westen vorrückende Rote Armee durchkreuzte alle Pläne.

Die Familie fand eine Bleibe auf einem Bauernhof. Sie lebten zwar im Kuhstall, aber immerhin hatten sie ein Dach über dem Kopf. Tagsüber musste die Mutter beim Blaubeerenpflücken helfen. Und so kam in den Blaubeeren ein Kind zur Welt, das später den Namen Heikedine bekam. Das ist ein sehr seltener Name. So selten sogar, dass der Standesbeamte den Namen erst gar nicht in die Geburtsurkunde eintragen wollte. Als die Mutter dann aber mithilfe von Dokumenten aus dem 19. Jahrhundert belegen konnte, dass es unter ihren Vorfahren schon einmal eine Heikedine gegeben hatte, lenkte der Beamte zähneknirschend ein.

Als sich die Mutter von der Geburt wieder erholt hatte, machte sie sich zu Fuß mit den Kindern auf den Weg in Richtung Lübeck. Die Brüder mussten laufen, Heikedine wurde in einem kleinen Bollerwagen gezogen. Die Hansestadt wurde deshalb zur neuen Heimat der Familie Körting, weil dort der Vater in Kriegsgefangenschaft saß. Er blieb dort aber kürzer als seine Kameraden. Denn mithilfe eines selbstgeschnitzten Kartoffelstempels hatte er sich selbst die Entlassungspapiere ausgestellt. Der Familie wurde ein Zimmer in der Wohnung eines Milchmanns zugewiesen, der aber so gar nicht davon begeistert war, nun eine fünfköpfige Familie beherbergen zu müssen. Und das ließ er sie auch spüren, indem der Milchmann den Körtings zum Bespiel das Wasser abdrehte. Die Mutter entnahm es dann aus dem Spülkasten im Klo. Das Baby musste schließlich irgendwie gewickelt werden. Geschichten wie diese kennt Heikedine Körting aber nur aus Erzählungen ihrer Eltern oder Brüder.

Schon bald zog die Familie in das »Tor der Hoffnung«, eine heute unter Denkmalschutz stehenden Wohnanlage mit einem wundervollen Panoramablick auf die beeindruckende Lübecker Stadtsilhouette mit ihren sieben Kirchtürmen. Der Gebäudekomplex lag direkt an der Wakenitz, wo sich Heikedine leider mit fünf Jahren beim Baden mit Kinderlähmung infizierte. Jahrelang konnte sie nicht richtig laufen und musste Metallstützen tragen. Glücklicherweise wurde sie wieder ganz gesund. Schon als Kind war sie eine starke Persönlichkeit. »Von meinem Vater bekam ich häufig zu hören ›Kann ich nicht, gibt es nicht!‹ Das galt für Mädchen und Jungen gleichermaßen, denn ich bin ja mit Brüdern aufgewachsen, also in einer männlich dominierten Welt. Von Kind an war ich immer ein aktiver Mensch, weniger ein verspieltes oder verträumtes Wesen, denn ich habe lieber schaffen und machen wollen«, blickt Körting zurück.21

Trotz der schlimmen Krankheit erinnert Heikedine Körting ihre Kindheit und Jugend als ganz wunderbar. Im Rückblick wirkt ihr Lebensweg geradezu wie vom Schicksal vorbestimmt. Denn im »Tor der Hoffnung« wohnte auch der Intendant des Lübecker Stadttheaters. Durch die Nachbarschaftskontakte hatten die Körting-Kinder freien Zugang zum Theater. Die junge Heikedine machte Bekanntschaft mit Schauspielgrößen wie Will Quadflieg, Hans Paetsch oder Horst Stark. Sie erlebte die Koryphäen ihrer Zeit nicht nur bei deren Auftritten, sondern auch bei den Proben oder in der Kantine. Bei den Proben des Sinfonieorchesters unter Leitung des berühmten Dirigenten Gerd Albrecht in der Lübecker Stadthalle durfte Heikedine ebenfalls Mäuschen spielen.

Das alles inspirierte das Kind ungemein. Wenn die Bühne leer war, spielte Heikedine dort mit ihren Freunden Theaterszenen nach. Mit acht Jahren inszenierte Heikedine selbst geschriebene Stücke für ihr Kasperltheater. Ihr Publikum waren die Nachbarskinder. Körting hörte damals auch schon liebend gerne Hörspiele. Sie erinnert sich: »Ja, als Kind war ich von Hörspielen fasziniert! Leider gab es noch nicht so furchtbar viele Hörspiele im Radio, aber sehr viele Lesungen – zum Beispiel vom berühmten Sprecher Eduard Marks. Für Kinder wurde immer abends um kurz vor sieben beim Nordwestdeutschen Rundfunk die Sendung Husch, husch ins Körbchen gebracht. Ich erinnere mich auch noch, dass es damals am Mittwochnachmittag, Freitagnachmittag und sonntags um zwei Uhr Wortsendungen für Kinder gab. Das waren meist Lesungen, Erzählungen und ab und zu Hörspiele, zum Beispiel Emil und die Detektive. Ich hab eigentlich nichts verpasst, was es damals so gab.«22

Hörspiele wurden damals noch vorwiegend im Radio gehört. »Die einzige hörspielähnliche Schallplatte, die ich als Kind hatte, war Peter und der Wolf, gesprochen von Mathias Wiemann und mit Musik von Sergej Prokofjew. Die habe ich bestimmt 2000-mal gehört. Wunderbar! Noch heute unübertroffen! Die Geschichte habe ich dann Mitte der 70er selbst noch einmal auch ganz wunderbar mit Hans Paetsch produziert«, sagt Körting.23

Bei aller Begeisterung für Hörspiele fiel ihr aber negativ auf, dass die meisten Kinderrollen von Erwachsenen gesprochen wurden. »Als kleines Kind dachte ich damals schon: ›Nee, das würde ich anders machen.‹«24 In ihrer Vorstellung sollte alles lebendiger klingen, nicht so vorgelesen. Also verfasste sie eigene Geschichten. Zehn oder zwölf Jahre alt war sie da. Das Sprecherensemble war in den meisten Fällen überschaubar: sie und ihre Freundin Birgit, wobei Heikedine selbstverständlich die Regie übernahm – und alles mit dem Tonbandgerät ihrer Freundin aufzeichnete. »Wir haben dann zu zweit bis zu zehn Rollen gesprochen. Ich musste Vater, Mutter, Kind machen, sie machte den Polizisten, Hund, Katze, Maus.«25 Auch Geräusche gab es in Heikedines Kinderhörspielen schon, zum Beispiel Türgeklapper oder Schritte.

Doch bis Heikedine Körting hauptberuflich Hörspiele produzieren sollte, war es noch ein weiter Weg. Und der verlief keineswegs geradlinig. Nach dem Abitur wollte sie eigentlich Journalistin werden. Ein wenig Erfahrung hatte sie schon dank ihrer Mitarbeit an einer Schülerzeitung. Auch in den Lübecker Nachrichten waren schon kleinere Artikel von ihr erschienen. Da ihr Vater mit der damals wohl renommiertesten Journalistin Deutschlands, Marion Gräfin Dönhoff, zur Schule gegangen war, fragte Heikedine Körting bei ihr um Rat. Dönhoff schrieb ihr zurück: »Du kannst alles machen, aber bestimmt nicht Zeitungswissenschaften studieren und denken, dann bist du Journalistin. Man muss wirklich viel schreiben, man muss Erfahrung haben durch einen speziellen Beruf.«26 Also entschied sich Körting für Jura. Das Studium passte auch charakterlich zu ihr: »Die Leute, die angegriffen werden, muss ich verteidigen, so bin ich bis heute noch. Ich wäre gerne Verteidigerin geworden.«27

Eine schicksalsträchtige Begegnung

Der Besuch einer Karnevalsparty im Jahr 1963 sollte das Leben der damals 17-jährigen Schülerin entscheidend beeinflussen. Auf dem Nienstedtener Reitermarkt lernte sie den 13 Jahre älteren Andreas Beurmann kennen. Beurmann konnte sich auch fast 50 Jahre später noch haargenau an diesen Abend erinnern: »Ich sah eine bezaubernde Gymnasiastin. Die baggerte ich an. Sie tanzte in einem altgriechisch anmutenden weißen Gewand mit goldenem Mäander-Muster darauf. […] Mäander gehörten zu meinen Lieblings-Ornamenten! Und ausgerechnet ein Mäander-Ornament hatte dieses Mädchen ausgewählt! Auf dem Faschingsball gab es einen Scherenschnitt-Künstler. Von ihm ließ ich mir einen live-Scherenschnitt von ihr machen, den ich immer noch besitze«, schrieb Beurmann 2011 über seine »Hörspielkönigin«, die fortan in seinem Herzen ein »Dauerleben« führte.28

Doch Beurmanns und Körtings Lebenswege trennten sich (zunächst). Er war beruflich häufig in den USA unterwegs, richtete unter anderem für Dave Miller zwei Tonstudios ein, und sie begann mit dem Jurastudium – inklusive Auslandssemester in Genf. Die Eltern unterstützten ihre Tochter zwar mit monatlich 300 Mark in der Vorlesungszeit. Um sich wirklich unabhängig zu fühlen, war die Studentin aber aufs Jobben angewiesen, so Körting: »Ich habe alles Mögliche gemacht, zum Beispiel einen kleinen Plattenladen eröffnet, mit Klimbim und Klamotten. Dann hatte ich eine kleine Galerie. Ich war Ausfahrerin und Nachhilfelehrerin. Zeitweise habe ich auch in einer Apotheke und in einer Werkstatt gearbeitet.«29

In dieser Zeit sammelte sie auch weiter Erfahrungen mit dem Schreiben. Schließlich wollte sie immer noch Journalistin werden. Eines Tages – es muss im Jahr 1967 gewesen sein – rief unverhofft Andreas Beurmann aus den USA bei der Studentin an. Ihm war in der Neue Revue zufällig ein doppelseitiger Artikel von einer »Heikedine K. aus Lübeck« ins Auge gefallen. Für Beurmann war das ein willkommener Anlass, um Körting wiederzusehen. Vielleicht wollte und konnte die junge Frau neben ihrem Studium auch ein paar Sachen für Europa schreiben.

Beurmann lud Körting zu sich nach Hause ein. An sein Aussehen konnte sich Körting gar nicht mehr richtig erinnern. Viel zu lange lag das Treffen auf dem Nienstedtener Reitermarkt zurück. Außerdem war Beurmann damals auch noch als Clown verkleidet gewesen. Körting wollte den Kontakt auch dazu nutzen, um bei Miller International eigene Schlager unterzubringen. Ihr damaliger Freund hatte die Musik komponiert und sie selbst die dazugehörigen Texte geschrieben. »Aber als ich ihn dann besuchte, merkte ich, der hat mit Schlagern gar nichts am Hut. Ein reiner Klassiker, Hilfe! Er spielte mir was auf dem Cembalo vor, da habe ich meine Tasche gar nicht erst aufgemacht und nichts vorgezeigt. Das Gespräch hat ziemlich lange gedauert, und hinterher fragte mein Freund, der unten wartete, wie es denn war. Ich habe es nicht gewagt, ihm zu sagen, dass ich nicht einmal meine Tasche aufgemacht hatte.«30

Wie viel sie ihm schon damals bedeutete, wurde Körting erst klar, als Beurmann ihr bei einem Glas Wein den Scherenschnitt von ihrem Kennenlernen präsentierte. Von da an trafen sich die beiden regelmäßig. Und arbeiten wollte die Studentin für Beurmann natürlich auch gerne. »Ich erhielt dann zunächst von Dr. Beurmann den Auftrag, ein paar Märchen in Hörspielform umzuarbeiten«, erinnert sich Körting an die Anfänge ihrer Hörspielkarriere.31 Den Auftakt machte sie mit Märchen von Hans Christian Andersen: Die kleine Seejungfrau und Die Schneekönigin. Die Skripte gefielen Beurmann.

Irgendwann in dieser Zeit bot Beurmann Körting an, bei ihm einzuziehen – »zu einer echten Sozialmiete von fünfzig Pfennigen im Monat«.32 Platz hatte er zu Genüge. Ende der 60er Jahre war Beurmann in eine Villa in der Agnesstraße umgezogen. Dort befand sich von nun an auch im ersten Stock das Studio. Für Körting war das Engagement bei Europa einfach nur »ein guter Verdienst«.33Besonders die ersten Aufnahmen unter der Leitung von Regisseur Konrad Halver behielt sie in warmer Erinnerung: »Als ich meine erste Produktion selbst durchführen konnte, Die kleine Seejungfrau. Da hatte ich zum ersten Mal die Chance, mit Hans Paetsch eine Aufnahme zu machen. Und plötzlich wurden die geschriebenen Worte wie Musik. Das war einzigartig«.34

Je mehr Körting in die Welt der Hörspiele eintauchte, desto weniger Zeit räumte sie ihrem Studium ein. Das wurde ihr aber erst bei einem Besuch der Eltern in Lübeck bewusst, als sie sich das Unterstützungsgeld für das 7. Semester abholen wollte. Sie hat noch genau die Worte ihres Vaters im Ohr, der damals zu ihr sagte: »Das ist ja wunderbar, das sind ja jetzt die letzten drei [Monate].«35 Zunächst habe sie gar nicht gewusst, was er damit meinte. Doch dann erinnerte der Vater die angehende Juristin an einen gemeinsamen Vertrag. Denn wegen der Sprunghaftigkeit der Tochter, die auch schon Tierärztin oder Modezeichnerin als Berufswunsch hatte, wollte der Vater sicherstellen, dass seine Heikedine das Jurastudium auch durchzog. Und deshalb sollte die elterliche Unterstützung nach sieben Semestern beendet werden. »Da musste ich mich aber dann auf den Hosenboden setzen. Zwar arbeitete ich schon heftig an Hörspielen, ich wollte meinem Vater aber auch nicht antun, dass er in Nichts investiert hätte«, so Körting.36

Also machte sie ganz schnell ihr Erstes Staatsexamen, streckte ihre Fühler aber weiterhin in verschiedene Richtungen aus: Sie versuchte sich als Modeschöpferin, sang und schrieb auch Texte. Als Kleindarstellerin war sie bei Filmen wie Ohrfeigen, Arabella oder Die Brücke von Remagen dabei. Und das alles, ohne ihren Job bei Europa an den Nagel zu hängen. Dort schrieb und bearbeitete sie weiterhin fleißig Manuskripte.

Oft lauschte Körting an der Tür, wenn im Studio aufgenommen wurde. Mit der Umsetzung ihrer Arbeiten war sie dabei aber nie ganz zufrieden. Sie würde es etwas anders machen – wenn man sie denn ließe. »Ich habe daraufhin mit Dr. Beurmann gesprochen und er gab mir die Chance, es selbst einmal auszuprobieren. Am Anfang waren das Märchen für die B-Seiten, wie z. B. Die drei kleinen Schweinchen, Die dicke Trine oder Hans und die Bohne.«37

Die Neue am Regiepult

Heikedine Körting liebt Märchen: »Denn der Zauber von Märchen hat nichts mit kulturellen Veränderungen zu tun. Er beruht auf einfachen und ewigen menschlichen Bedürfnissen wie Träumen und Erkenntnis. Darum finde ich es auch sinnlos, Märchen zu ›modernisieren‹, wie es vor vielen Jahren Praxis war.«38 Mit Absicht wählte sie eher unbekannte Stoffe wie Der kleine Klaus und der große Klaus, Jack und die Wunderbohne oder Die goldene Gans aus.39Die Hörspiele aus der Anfangszeit sind ihr auch heute noch sehr wichtig. An ihnen habe Körting ohne große technische Möglichkeiten, dafür aber mit umso mehr Herzblut gearbeitet.40 Als ihr schönstes Werk bezeichnet sie jedoch Das verzauberte Märchen, die B-Seite von Schneewittchen. »Das hatte ich seinerzeit nach einer Geschichte von Hauff gewissermaßen als Liebeserklärung an meinen Mann produziert.«41

Körting und Beurmann waren seit 1969 tatsächlich ein Paar. Sie erinnert sich: »Es wurde mir häufig unterstellt, dass ich als seine Lebensgefährtin von ihm besonders lanciert würde. Dabei hat mein Mann mir viel weniger beigebracht als allen anderen. Der hat mir immer sehr viel zugetraut und gesagt, wenn du willst, kannst du es ja mal probieren – und daher habe ich eigentlich immer sehr viel alleine vor mich hin gefummelt. Das war mein großes Glück.«42

Körtings frische B-Seiten waren schnell beliebter als die A-Seiten von Andreas Beurmann oder Konrad Halver, die bereits Ende der 60er Jahre produziert und auch schon einmal veröffentlicht worden waren. »Sie haben dem Verlag und der Öffentlichkeit so gut gefallen, den Kindern und dem Käuferkreis auch, dass ich immer mehr machen durfte«, erinnert sich Körting.43 »Lassen Sie mich ruhig sagen, sie hat es auch am besten gemacht!«,44 stellte Beurmann in einem Interview klar.

Dann warb die Konkurrenz mit Konrad Halver und Peter Folken zwei immens wichtige Mitarbeiter von Europa ab. Beide wechselten von Europa zum Chemiekonzern BASF. Das Unternehmen brachte damals auch Tonträger auf den Markt. Halver hatte bei etlichen Hörspielen Regie geführt. Von Folken stammten in der Regel die dazugehörigen Hörspielskripte. Beide waren ein eingespieltes Team, was sie besonders bei den Karl May-Vertonungen bewiesen. Beim neuen Arbeitgeber bekam Konrad Halver die Chance, nicht nur wie bisher Regie zu führen, sondern die gesamte Bandbreite der Hörspielproduktion zu übernehmen. Peter Folken blieb an seiner Seite. Die beiden hinterließen bei EUROPA große Fußstapfen.

Insbesondere der Verlust von Halver konnte nicht so einfach kompensiert werden, sodass die Arbeitsbereiche des Regisseurs aufgeteilt wurden. Fortan führte Dagmar von Kurmin bei den Abenteuer-Hörspielen Regie. Die junge Theaterschauspielerin hatte bereits einige Hörspielskripte verfasst, als plötzlich die dringende Bitte kam, nicht nur eine Reihe neuer Karl May-Hörspiele zu verfassen, sondern dabei auch die Regie inklusive Sprecherauswahl zu übernehmen. In der Märchensparte führte nach Halvers Weggang Heikedine Körting Regie. Ihre erste hauptverantwortliche Produktion und gleichzeitig A-Seite war Das Gespensterschiff, ein Hörspiel nach Wilhelm Hauff.

Stück für Stück ging es für Heikedine Körting die Karriereleiter hinauf. Andreas Beurmann hingegen widmete sich wieder mehr seinem eigentlichen Steckenpferd – der klassischen Musik. Viel Herzblut steckte er auch in seine Sammlung historischer Musikinstrumente, später lehrte er Musikwissenschaften an der Universität in Hamburg. Er behielt zwar die künstlerische Gesamtleitung bei den Wortproduktionen. Heikedine Körting stellte aber das Sprecherensemble zusammen, führte Regie und übernahm auch weitgehend den technischen Ablauf.

1972 stand für die junge Frau der nächste große Schritt an: Heikedine Körting durfte mit Hanni und Nanni ihre erste Serie produzieren. »Die Idee, eine Fährte zu legen und darauf aufzubauen, kannte ich bereits aus meiner Kindheit von Buchreihen wie zum Beispiel Pucki oder Nesthäckchen. Früher konnte ich es gar nicht abwarten, bis der nächste Band einer dieser Serien erschien und ich endlich erfuhr, wie die Geschichte weiterging. Und so konnte ich mir vorstellen, dass es den Kindern ähnlich ging wie mir.«45

»Ich war so aufgeregt und fragte Andreas Beurmann, wie ich das nun genau machen sollte. Und da meinte er nur, ich soll mich ganz und gar auf mein Bauchgefühl verlassen«, erinnert sich Körting.46 Die Serie aus der Feder von Enid Blyton hatte Körting schon als Kind mit Begeisterung gelesen. Der große Erfolg der Reihe kam für Körting nicht überraschend: »Internatsgeschichten voller Spannung, Fröhlichkeit, lustigen Streiche und auch herrlichen Tränen – das musste ja irgendwie passen. Also, das war mir von Anfang an eigentlich klar.«47

Seit 1973 war Körting bei Europa allein verantwortliche Regisseurin im Hörspielbereich. Dagmar von Kurmin hatte Europa ein Jahr nach dem Weggang Konrad Halvers ebenfalls verlassen. Zusammen hatten die beiden Frauen in einem Jahr fast 40 Hörspiele produziert. Körting musste das Verfassen der Hörspielmanuskripte nun zwangsläufig mehr und mehr anderen überlassen.

Mit dem Wechsel Halvers zur Konkurrenz kehrte auch eine ganze Reihe von Sprechern Europa den Rücken. So etwas war normal. Jeder Regisseur hatte seine Leute vor dem Mikrofon. Die Sprecherensembles waren aber natürlich keine statische Größe. Selbst Halver kehrte zurück, um Winnetou erneut seine Stimme zu leihen.

Bei der Besetzung der Rollen profitierte Körting ungemein davon, dass sie als Kind im Theater ein- und ausgegangen war. Einige Schauspieler kannte sie sogar noch von früher, mit anderen kam sie zwar erst durch Andreas Beurmann in Kontakt, aber mit dem Menschenschlag war sie vertraut. Und das war das Wichtigste. Körting sagt: »Mit den Schauspielern kam ich immer sehr gut zurecht, obwohl ich keine gelernte Regisseurin war. Ich habe stets nach meinem eigenen Bauchgefühl gearbeitet […]. Und das kam bei den Schauspielern gut an.«48

Es gab aber auch einige Schauspieler, die die junge Regisseurin nicht ganz ernst nahmen. Erst an dem Tag, als sie ihr Zweites Staatsexamen bestanden hatte, ein vorbereitetes Messingschild mit der Aufschrift Rechtsanwalt Körting an die Tür nagelte und einen entsprechenden Stempel auf den Schreibtisch stellte, änderte sich das schlagartig. Jetzt war sie nicht mehr nur die Freundin von Beurmann, sondern auch Deutschlands jüngste selbstständige Rechtsanwältin – zumindest eine der Jüngsten. »Als ich Anwältin wurde, hatte ich daran aber auch Spaß und wollte das gerne kennenlernen. Ich habe ein paar spannende Fälle gemacht«, erzählt sie.49 Irgendwann drängte sich die Frage auf: Hörspielstudio oder Gerichtssaal? »Ich habe mich dann dafür entschieden, die Anwaltstätigkeit weniger zu betreiben, was manchmal Ärger gab, wenn über die Hörspiele berichtet wurde und Anwaltskollegen meinten, das sei ja Reklame für meine Kanzlei. Anwälte durften früher nicht für sich werben.«50Körting spezialisierte sich schließlich auf Urheberrecht und vertrat nur noch Schauspieler oder Autoren. »Ich kann das natürlich auch sehr gut gebrauchen für die eigenen Verträge und Firmensachen«, sagt sie.51 »Wenn man mich fragt, was mein Beruf ist, dann sage ich, ich bin Rechtsanwältin. Alles andere ist Hobby«, betont Körting.52 Bis heute ist sie beim Oberlandesgericht Hamburg als Anwältin zugelassen.

Als Anwältin hätte Körting in den 70er Jahren viel mehr Geld verdienen können als mit Hörspielen. Aber um Geld allein ging es Körting nicht. Sie widerstand auch den Lockrufen der Konkurrenz, wie sie erzählt: »Ich habe einmal ein Angebot von Ravensburger bekommen, eine neue Serie aufzuziehen. Das war ein sehr interessantes Angebot mit mindestens den doppelten Lizenz- und Verdienstmöglichkeiten.«53 Sie blieb aber Europa treu.

Nachdem die Regisseurin Hui Buh, das Schlossgespenst erfolgreich fortgeführt hatte, kam 1973 eine weitere hauseigene Europa-Serie in die Läden: Die Hexe Schrumpeldei. Die Geschichten wurden ebenfalls von Eberhard Alexander-Burgh geschrieben. Als Erzähler fungierte wieder einmal Hans Paetsch. Die Hexe und ihre Tochter Schrumpelmei wurden von Marga Maasberg beziehungsweise Reinhilt Schneider gesprochen.

Wenn Heikedine Körting über das Phänomen der Hörspielserien redet, gerät sie regelrecht ins Schwärmen: »Das Tolle an einer Serie ist, dass man die Geschichte und ihre einzelnen Figuren in kleinen Schritten aufbauen kann. Der Hörer erfährt sukzessive immer mehr über die Welt, in der diese Geschichten und ihre Charaktere spielen. Das liebe ich sehr.«54 Seit Mitte der 1970er Jahre erschienen bei Europa nur noch wenige in sich abgeschlossene Einzelhörspiele. Das Label brachte nun eine ganze Reihe neuer Serien in die Regale der Kaufhäuser. 1976 starteten Black Beauty sowie Commander Perkins. 1978 ging es mit Sindbad der Seefahrer, Die Jungen von Burg Schreckenstein sowie Tina und Tini weiter. Und am 1. November 1978 kamen die Fünf Freundeauf den Markt.

Mit den Fünf Freunden nach Enid Blyton knüpfte Europa