Die durchsichtigen Hände - Xaver Bayer - E-Book

Die durchsichtigen Hände E-Book

Xaver Bayer

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Beschreibung

Das Leben kann einem eine Menge Rätsel aufgeben, vorausgesetzt, man schaut mit wachen Augen in die Welt. Die Luftmatratze, die hinausgeschoben wird aufs offene Meer - welche Geschichte endet oder beginnt da? Die hermetisch verschlossene Box - entwickelt sie sich, einmal im Zimmer abgestellt, nicht ganz schnell zum magischen Zentrum des Denkens und Handelns? Der Abstieg - kaum glaubt man, endlich seinen Weg gefunden zu haben, weicht das Vertraute neuerlich zurück. Und man selbst, kann man sich denn wenigstens auf sich selbst verlassen? Darauf, daß man richtig wahrnimmt? Richtig reagiert? Etwa wenn der Schrei eines Mädchens durch die Wände dringt oder wenn bei einer Wanderung zu den Quellen des Wasserfalls einer nach dem anderen zurückbleibt? Nicht unbedingt. Und dennoch liegt über den Erzählungen ein gelöster, heiterer Ton. Sehnsucht verschränkt sich gern mit ironischer Distanz, Utopie mit früher Abgeklärtheit, der Weg zum anderen endet in einer eleganten Pirouette - man zieht den Hut und grüßt erst wieder aus der Ferne.Diese Geschichten sind voller Esprit, Lust am Gedankenspiel, voller überraschender Einfälle und Wendungen, doch unter der sich in zahlreichen Facetten spiegelnden Oberfläche ruht die Art von ernsthaften, existentiellen Fragen, die jede Generation neu für sich beantworten muß.

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Die durchsichtigen Hände

© 2013 Jung und Jung, Salzburg und WienAlle Rechte vorbehaltenISBN E-Book 978-3-99027-111-7ISBN print 978-3-902497-42-0

XAVER BAYER

Die durchsichtigenHände

„Die Rätsel des Lebens“, sagte er mit harter Stimme und nach oben gerichtetem Gesicht, „kann man wohl sehr ernst nehmen. Es ist aber wohl nicht nötig, wenn man sie immerzu sehr ernst nimmt. Man kann sie auch mal sehr lustig nehmen. Dadurch werden sie ganz bestimmt nicht unbedeutender. Es ist wohl nicht nötig, immer sehr ernst zu sein. Und grade, wenn man Abschied nimmt von alten Zuständen, dann könnte man wohl ganz besonders lustig sein. Jedenfalls wird die Veränderung der Lebensform doch einige Rätsel lösen. Und das kann uns doch ganz heiter stimmen. Man könnte sogar lachen, daß man so voll Bangen ist – da man nicht weiß, wie es kommen wird – ob es enden wird oder nicht. Daß man das nicht weiß – das ist doch nicht traurig. Man könnte darüber auch lachen.“

Er lachte aber nicht. Er befühlte seine durchsichtigen Hände.

Paul Scheerbart, Lesabéndio

Der Durchhaltewettbewerb

An jenem Abend vor dem Neumond, als Hanno mit der Sprache rausrückte und uns von der Idee mit dem Durchhaltewettbewerb erzählte, war das Wasser seltsam schwer und träge, und von der Küste betrachtet, sahen die Wellen bleiern aus, dazu schwappten sie irgendwie langsamer als üblich ans Ufer, wie in zaghaft angedeuteter Zeitlupe. Überwand man die einem angeborene Scheu vor dem Meer und begann darin zu schwimmen, so schien man nicht von der Stelle zu kommen, es wurde einem leicht schwindlig, als wäre etwas mit dem Lymphsystem im Ohr, das für den Gleichgewichtssinn zuständig ist, nicht ganz in Ordnung, ein Anflug von Seekrankheit, was man sonst nur von Bord eines Schiffes her kennt. Tauchte man, so konnte man sehen, wie trüb das Wasser war, Algenbüschel schwebten überall, und zurück an der Oberfläche, verriet eine Blasenspur, wo man entlanggetaucht war. Das Meer machte den Anschein, uns nur unwillig aufzunehmen. Auch wenn wir es uns nicht eingestanden, ich war sicher, dass wir das alle ähnlich empfanden. Wir, das waren in alphabetischer Reihenfolge: Denis, Gustav, Hanno und ich. Wir saßen am Strand etwas abseits von unseren Frauen, und als Hanno damals dieses Wort „Durchhaltewettbewerb“ in den Mund nahm, war es für uns wie eine Erlösung, dass endlich einer den Mut gefunden hatte, es auszusprechen. Vielleicht weil Hanno als Ältester größere Lebenserfahrung hatte oder vielleicht weil er schlichtweg der Tapferste von uns vieren war, jedenfalls hatte er den Stein ins Rollen gebracht, und was daraufhin folgte, waren nur noch kleinere, administrative Probleme, die wir im Handumdrehen gelöst hatten. Wir vereinbarten einen Zeitpunkt sowie die verbindlichen Regeln, dann reichten wir einander wie ein alteingeschworenes Team die Hände und standen auf, um unsere Frauen von dem Vorhaben zu informieren.

Nachdem wir ihnen den Plan ausgebreitet und etwaige Bedenken aus dem Weg geräumt hatten, waren sie einverstanden, ja geradezu eingenommen, beinahe begeistert, und versprachen, das ihre zum Gelingen der Sache beizutragen. Nach Sonnenuntergang stiegen wir alle hoch zu dem Studio, das wir gemietet hatten, und ich schwöre, dass zu keinem Zeitpunkt zuvor und danach unsere Frauen so herrlich und liebevoll gewesen sind wie an jenem Abend. Wir wurden nach Strich und Faden verwöhnt. Kaum dass wir auf der weitläufigen Terrasse des Studios an dem großen, runden Holztisch Platz genommen hatten, brachten sie uns wohltemperiertes Bier und machten sich dann in der Küche zu schaffen, um sich der Zubereitung unserer Lieblingsspeisen zu widmen. Währenddessen ließen wir uns von der heraufziehenden Dämmerung umfangen, nippten an unseren Gläsern und unterhielten uns in gepflegter, gesitteter Manier wie einst die Vorväter unserer Vorväter über die Autoren des klassischen Altertums, insbesondere über Plinius den Jüngeren, von dem wir nur mit Hochachtung und Liebe sprachen. Später speisten wir gemeinsam und beschlossen dann, gegen Mitternacht, in Anbetracht des morgigen Unternehmens, uns früher als sonst zu Bett zu legen. Wir wünschten einander erquickenden Schlaf und schöne Träume und löschten das Licht. Unsere Frauen ließen uns in dieser Nacht unberührt schlafen, damit wir unsere Kräfte schonen konnten, und tatsächlich: Am nächsten Morgen, als wir uns beim Frühstückstisch wiederbegegneten, sahen wir alle frisch aus wie schon lange nicht mehr. Die Gespräche waren heiterer Natur, und trotzdem war die Stimmung von angespannter Konzentration. Alle verweigerten wir größere Nahrungsaufnahme, wir tranken nur, je nach Belieben, eine Tasse Tee oder ein Glas Milch oder Fruchtsaft, und gegen halb acht fingen wir mit leichten Lockerungsübungen an, um unsere Muskeln warm und weich zu bekommen. Unsere Frauen füllten inzwischen Wasser in kleine Plastikflaschen und bereiteten mundgerechte Häppchen vor, die uns im Lauf des Experiments mit Energie versorgen sollten. Dann setzten wir uns in Bewegung, Richtung Strand. Zu dieser Tageszeit war außer uns noch niemand da. Wir sahen zu, wie unsere Frauen ihre Badetücher ausbreiteten und Löcher in den Sand gruben, um darin die Wasserflaschen kühl zu halten. Noch ein paar Kniebeugen, ein Im-Stand-Rennen, Sich-Schütteln, dann ging es los. Punkt acht Uhr verließen wir das Ufer und wateten ins Meer, Schritt für Schritt, bis wir auch auf unseren Zehenspitzen nicht mehr stehen konnten und schließlich schwammen. Wie so oft bei Vollmond oder Neumond hatte das Wetter über Nacht gewechselt, und statt der gestrigen warmen Brise aus dem Süden wehte heute ein kräftigerer Nordwind, der auch höhere Wellen zur Folge hatte, und das Wasser war erfrischend kühl und klar.

Zuerst blieben wir noch eine Weile zusammen, scherzten und bespritzten einander wie spielende Kinder, dann entfernten wir uns, einer nach dem anderen. Denis war der Erste. Er kraulte schnurstracks von uns weg ins offene Meer hinaus, dann folgten Gustav und Hanno, dieser weiter nach links, brustschwimmend, jener im Schmetterlingsoder Delphinstil etwas nach rechts. Ich blieb noch eine Weile im seichteren Gewässer und beobachtete unsere Frauen, die sich inzwischen mit Sonnenmilch eincremten, dann schwamm auch ich, auf dem Rücken liegend, weiter hinaus. Seit jeher war mir Rückenschwimmen das Liebste. Ich konnte auch den toten Mann machen, wobei mir meine Arme, vom Körper weggestreckt, die nötige Balance auch bei stärkerem Wellengang gaben und mein Kopf bis über die Ohren unter Wasser lag. Nur mein Mund und die Nase ragten über die Oberfläche, und so war es mir möglich, mich mit dem geringsten Kraftaufwand über Wasser zu halten. Ich rechnete aufgrund dieser Fähigkeit damit, den Durchhaltewettbewerb für mich entscheiden zu können. So lag ich länger auf dem Rücken und blickte in den Vormittagshimmel. Hin und wieder, aber eher selten, sah ich hoch oben eine Möwe oder ein Flugzeug, ansonsten nur die blaue Fläche des Himmels, der wolkenlos, ohne Makel war.

Es muss ungefähr eine Stunde vergangen gewesen sein, als ich dicht neben mir Gustavs Stimme vernahm, der vermutlich meinen Namen ins Meer hineingerufen hatte. Ich rollte mich auf die Seite und hielt mich dann senkrecht im Wasser. Wir wechselten ein paar Worte miteinander, relativ belangloses Zeug wie die mögliche Investition in ein Leihauto für Ausflüge, dann fachsimpelten wir ein wenig über den Einfluss der Gezeiten auf das Wetter, schließlich verstummten wir und schwammen noch eine Zeitlang nebeneinander her, um uns bald schon übergangslos zu trennen. Um mich in Bewegung zu halten und aus Verlangen nach Abwechslung, unternahm ich an der Stelle, wo ich mich gerade befand, ein paar Tauchversuche, aber der Grund war zu tief, schätzungsweise über zehn Meter, sodass es mir trotz mehrmaliger Anläufe nicht gelang, ganz hinunter zu kommen. Ungeachtet dessen genoss ich jedes Mal die Sekunden des Auftauchens, wenn ich hoch zur Wasseroberfläche schoss, ein längerer Augenblick, den ich schon als Kind geliebt hatte. Ich war danach zwar einigermaßen aufgewärmt, aber auch ein bisschen außer Atem, deshalb begab ich mich wieder in die Tote-Mann-Stellung und ließ mich treiben.

Es war ein nahezu meditativer Zustand, in den ich versenkt war, als ich von Denis angestoßen wurde. Ich richtete mich auf und fragte ihn, was er denn wolle. Denis grinste zunächst auf höhnische Weise, wie es so seine Art ist, dann ließ er mich wissen, dass er soeben in Ufernähe gekrault sei und von unseren Frauen erfahren habe, dass es jetzt Punkt zwölf sei. Vier Stunden waren wir also schon ohne Unterbrechung im Wasser. Ich erklärte mich bereit, zu Gustav hinüberzuschwimmen, um ihm mitzuteilen, dass jetzt Essenszeit sei, und Denis schwamm zu Hanno. Wir trafen uns alle in recht guter Stimmung unweit des Ufers, wo uns unsere Frauen schon mit dem Essen entgegenkamen. Sie hatten eine Luftmatratze aufgeblasen, und darauf, auf einem Tablett, lagen Brötchen, standen Gläser mit Wasser und, für die, die wollten, auch mit Wein. Wir langten tüchtig mit unseren vom Salzwasser eingeschrumpelten Fingern zu und lobten die raffinierte Zusammenstellung der Sandwiches, die genauso waren, wie wir sie mochten. Dann stießen wir mit einem Glas Wein auf gutes Gelingen an, küssten unsere Frauen und bewegten uns gemächlich wieder ins offene Meer hinaus, um zu verdauen. Das Schwimmen mit vollem Magen war jedoch weniger angenehm. Zum ersten Mal meldete sich in meinem Bewusstsein der Wunsch nach festem Boden unter meinen Füßen, aber ich ignorierte den Gedanken, so gut ich konnte, und drehte mich wieder auf den Rücken. Ab und zu musste ich meinen Körper in die Senkrechte bringen, um müheloser aufstoßen zu können. Bei diesen Gelegenheiten nahm ich auch schon eine leichte Muskelerschöpfung in meinen Armen und Beinen wahr, und ich beeilte mich, in die Ruhestellung zurückzukehren. Die Sonne war mittlerweile im Zenit, und mein Gesicht begann ein wenig zu brennen, und immer wieder ließ ich zur Kühlung Wasser darüberschwappen. Einige Male passierte es mir auch, dass mir etwas schwummrig wurde und dass das Land, das ich sah, vor den Augen flimmerte, aber diese Zustände dauerten höchstens wenige Sekunden, und ich fühlte mich bei weitem noch als Herr der Lage. Meine Gedanken allerdings wurden mit der Zeit etwas seltsamer. Als würden sie von Wellen in einer Auf-und-ab-Bewegung gehalten werden, fielen mir in bestimmten Intervallen die merkwürdigsten Begebenheiten ein, teils früher erlebte und bis dato vergessene, teils frei erfundene. Ich stimmte schließlich, um mich abzulenken, ein Lied an. Es hatte die Melodie von „La Paloma“, aber einen Nonsenstext, der sich spontan dazugesellte. Bald jedoch ermüdete mich auch das.

Die Stunden vergingen, so kam mir vor, besonders langsam. Wenn ich mich umdrehte und nach den anderen Ausschau hielt, entdeckte ich sie, im Abstand von vielleicht hundert Metern verstreut, Gustav hier, Hanno da und Denis dort, und keiner schien Anstalten zu machen aufzugeben. Dem Sonnenstand nach schätzte ich die Zeit auf drei oder halb vier. Ich bewegte mich zuerst zu Gustav hin, machte zwischendurch aber eine kurze Pause, in der ich die Zehen meines linken Fußes gewaltsam nach oben bog, weil ich einige Sekunden lang einen Wadenkrampf hatte. Als ich bei Gustav angekommen war, sah ich, dass er sehr bleich war. Ich erkundigte mich, ob bei ihm alles klar sei, er antwortete „Natürlich“ und fragte mich dasselbe, ich versicherte ihm darauf, dass es mir nie besser gegangen sei, und setzte dann meine Runde fort. Bei Hanno angelangt, konnte ich feststellen, dass er mittlerweile meine Taktik des Toten Manns übernommen hatte. Es sah so friedlich aus, wie er da am Wasser trieb, ganz so, als würde er schlafen, deswegen sprach ich ihn auch nicht an und steuerte stattdessen auf Denis zu. Denis sah nicht gut aus. Ich fragte ihn, was los sei, und er berichtete, dass er Kopfweh habe und sich soeben habe übergeben müssen. Als Beweis zeigte er mir in einiger Entfernung Überreste von seinem Erbrochenen. Man konnte sehen, wie kleine Fische gierig danach schnappten. Ich riet ihm, sich wieder mehr in Richtung Ufer zu begeben, aber Denis winkte ab und meinte, es würde schon passen und ich solle mir keine Sorgen machen. Also ließ ich ihn allein, auch weil ich fühlte, dass mich das Umherschwimmen selber ziemlich angestrengt hatte. Weil ich durstig war, paddelte ich noch, auf dem Rücken liegend, zum Strand, bis ich in Rufweite war und meiner Frau den Wunsch nach etwas zu trinken mitteilen konnte. Sie kam mit einer Flasche zu mir geschwommen und wollte wissen, wie es mit mir stehe. Ich war unzweifelhaft etwas erschöpft, doch zu stolz, mir etwas davon anmerken zu lassen, deswegen spielte ich den Vergnügten, aber als ich sie dann wieder zurückließ, blieb mir ein eigenartiger Kloß im Hals.

Zwischenzeitlich hatten auch Denis und Gustav die Tote-Mann-Position für sich entdeckt, und bis auf die Bewegungen der Beine, mit denen wir verhinderten, allzu nahe zum Strand getrieben zu werden, was eine sofortige Disqualifizierung nach sich gezogen hätte, rührte sich kaum einer von uns. Immer wieder kamen Taucher an uns vorüber. Aus den Augenwinkeln sahen wir Segelschiffe und Kite-Surfer, die neben uns vorbeisausten und dutzende Meter durch die Luft flogen, begleitet vom Geräusch von Motorbooten und dem Geschrei der spielenden Kinder am Strand.

Erst am frühen Abend, als die meisten Badegäste ihre Schirme zusammenklappten, ihre Liegetücher ausschüttelten und den Strand verließen, fanden wir alle vier, eher durch Zufall, etwa sechzig Meter vom Ufer entfernt, zusammen. Wir waren ausnahmslos geschlaucht, und keinem von uns wollte mehr ein passender Scherz gelingen, da hörten wir plötzlich vom Strand her Gesang. Wir schwammen näher und konnten nun deutlich erkennen, dass sich unsere Frauen zu einer Art von Cheerleader-Gruppe formiert hatten und uns mit Sprechchören anfeuerten. Dazu schwenkten sie zu offenkundig einstudierten Tanzbewegungen ihre Badetücher und warfen ihre Beine wie Cancan-Tänzerinnen in die Höhe. Trotz aller Erschöpfung mussten wir lachen, und jedem von uns wurde warm ums Herz beim Anblick dieser vier zauberhaften Wesen, die nach wie vor zu uns hielten und dies auch noch durch so eine gelungene Performance zum Ausdruck brachten. Wir ruderten näher, und Hanno und mir gelang es, zwei-, dreimal zu applaudieren, wohingegen Denis bei dem gleichen Versuch Wasser verschluckte und sich wieder übergeben musste, Gustav indessen versuchte es nicht einmal, sondern rief mehrfach „Bravo“, was vom Ufer her mit lautem Gejohle quittiert wurde. Ich schlug, nicht zuletzt hinsichtlich Denis’ Zustand, vor, vielleicht statt eines Abendessens ein bisschen Wein zu trinken, der, so war meine Überzeugung, uns wieder Energie zuführen würde, Treibstoff quasi, und da sich alle sofort damit einverstanden erklärten, schrien wir unser Begehr nach Alkohol in Richtung Ufer, und schon eine Minute später waren wir jeder mit einem Glas versorgt, von unseren Frauen wie von Meerjungfrauen umgeben. Mit dem Wein kam Zuversicht in unsere müde Runde. Denis meinte, sein Kopfweh sei so gut wie verschwunden, und nach einer halben Stunde hatten wir den Doppelliter geleert, das ganze Unternehmen schien auf einmal wieder bewältigbar. Wir küssten unsere Frauen zum Abschied und manövrierten uns durch die Wellen nach draußen.

Zurück in der Toten-Mann-Stellung, merkte ich erst, wie der Wein in meinem Kopf ein Drehen verursachte. Ich musste lachen und mich in die Gerade bringen, und meinen Gefährten ging es nicht anders, wie ich sehen konnte. Denis war inzwischen wieder voll da, was sich daran bemerkbar machte, dass er Gustav Lieder aus seiner Heimat vorsang, und Gustav summte, obwohl ihm die Melodien fremd sein mussten, gut gelaunt mit. Hanno hingegen, der an ihre Seite gekommen war, schlug mit den flachen Händen auf der Wasseroberfläche den Takt, und mir fiel bei diesem Singsang die Aufgabe zu, hin und wieder vergnügte Jauchzer auszustoßen. Das Ganze endete in einem lang anhaltenden Gelächter, dann trieben wir wieder langsam voneinander fort.

Als ich den Sonnenuntergang betrachtete, den wir gestern noch vom Strand aus genossen hatten, wurde mir bewusst, dass wir uns nunmehr seit zwölf Stunden im Wasser aufhielten. Ich warf einen Blick zu unseren Frauen, insgeheim besorgt, sich könnten sich langweilen, aber was ich aus der Weite sehen konnte, sprach nicht dafür. Sie hatten sich wegen der Abendkühle ihre Blusen angezogen und spähten abwechselnd durch einen Feldstecher zu uns hinaus aufs Meer. Das Wasser wurde allmählich ruhiger, und mit der Dämmerung senkte sich auch eine umfassende Friedlichkeit auf uns alle herab. Man konnte bereits die ersten Abendsterne blitzen sehen.

Während ich so versonnen dahinschwebte, spürte ich plötzlich einen weichen Widerstand im Wasser und gleich darauf so etwas wie einen elektrischen Schlag, und erschrocken warf ich mich herum und sah, dass ich in Berührung mit einer Qualle gekommen war. Fluchend brachte ich mich vor ihr in Sicherheit und rieb mir die genesselte Stelle auf meinem Handrücken. Ich wollte den anderen eine Warnung zurufen, aber auf einmal wurde mir schwindlig, und ich brachte mich mühsam erneut in die Tote-Mann-Haltung, von der jähen Panik erfasst, sogleich einen Kreislaufkollaps zu erleiden. Ich lag schwer atmend da und versuchte, mich zu beruhigen. Nach einer gewissen Zeitspanne voller Angst, ich könnte untergehen, hatte ich mich wieder gefangen, obschon ich immer noch zitterte.

Mittlerweile begann die Nacht aufzuziehen. Wie die Laternen einer Großstadt gingen Stern für Stern die Lichter am Firmament an, und mit der Zeit wurde es für meine Augen etwas anstrengend, die anderen drei auf dem Wasser ausfindig zu machen. Auch in den Häusern am Festland hinter der Bucht wurden die Lampen angeschaltet, und die Dunkelheit des Himmels kam am Ende fast wie mit einem Fingerschnippen, unversehens, und finster war es. Unsere Frauen am Strand hatten, wie ich verfolgen konnte, trockenes Treibholz gesammelt und waren dabei, ein Feuer zu entfachen. Hin und wieder schallte ein Aufmunterungsruf zu uns heraus, und irgendwoher hatten sie eine Gitarre organisiert, sodass mit dem Abendwind immer wieder auch Taktfetzen von Liedern zu uns geweht wurden, Lieder, die unzweifelhaft unsere Lieblingslieder waren. Untereinander war kein Blickkontakt mehr möglich.

Ein paar Mal noch im Verlauf der Nacht, die sehr lang war, rief der eine oder andere von uns die Namen der übrigen drei, und nicht immer kam eine Antwort. Das Meer war jetzt wieder so träge wie am Vorabend. Wenn man ins Wasser stampfte oder mit der Hand durchfuhr, glitzerten seltsam fluoreszierende Pünktchen auf, es war, als würden die Bewegungen des Körpers Funkenspuren im Wasser hinterlassen. Ich fand von Zeit zu Zeit die Kraft, ein, zwei Meter hinunterzutauchen, weil mich dieses Glitzerspiel faszinierte. Es schien, als würden am Grund des Meeres ebenfalls Sterne strahlen. Einmal gelang es mir, besonders lange unter Wasser zu bleiben. Ich hatte dabei nicht das Gefühl, dass mir die Atemluft fehlte, sondern dass ich im Gegenteil genügend Sauerstoff in meinen Lungen hatte, um mich da unten ein wenig herumzutreiben. Dann musste ich kurz eingeschlafen sein. Als ich wieder zu mir kam und die Augen mit einem Ruck des Entsetzens aufriss, stellte ich fest, dass ich im Sand am Saum des Ufers lag, und in einiger Entfernung sah ich ein Lagerfeuer und vier Frauen, die zu den Akkorden einer Gitarre einen stimmungsvollen Kanon sangen, und obwohl ich froh war, an Land zu sein, verhielt ich mich, im Bewusstsein, verloren zu haben, still, so still, als würde es mich gar nicht geben.

Zwei