Die Eissegler von Tran-ky-ky - Alan Dean Foster - E-Book

Die Eissegler von Tran-ky-ky E-Book

Alan Dean Foster

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Beschreibung

Entführung mit Folgen

Es gibt so Tage, an denen geht einfach alles schief: Die Entführung der Tochter des reichen Industriellen du Kang von Bord des interstellaren Liners Antares verlief ganz und gar nicht so wie geplant, denn im Landungsshuttle, das zur Flucht dienen soll, saß schon jemand. Das Shuttle havarierte und musste ausgerechnet auf einem der unwirtlichsten Planeten im Homanx-Commonwealth notlanden: einem Eisplaneten, auf dem die Temperaturen selbst im Sommer weit unter dem Gefrierpunkt liegen und eine gefräßige Fauna alles verschlingt, was sich an der gefrorenen Oberfläche bewegt. Die einzige Chance der Schiffbrüchigen sind die Eingeborenen der Eiswelt …

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ALAN DEAN FOSTER

DIE EISSEGLER VON TRAN-KY-KY

Der Homanx-Zyklus

Eissegler-Trilogie 1

Das Buch

Es gibt so Tage, an denen geht einfach alles schief: Die Entführung der Tochter des reichen Industriellen du Kang von Bord des interstellaren Liners Antares verlief ganz und gar nicht so wie geplant, denn im Landungsshuttle, das zur Flucht dienen soll, saß schon jemand. Das Shuttle havarierte und musste ausgerechnet auf einem der unwirtlichsten Planeten im Homanx-Commonwealth notlanden: einem Eisplaneten, auf dem die Temperaturen selbst im Sommer weit unter dem Gefrierpunkt liegen und eine gefräßige Fauna alles verschlingt, was sich an der gefrorenen Oberfläche bewegt. Die einzige Chance der Schiffbrüchigen sind die Eingeborenen der Eiswelt …

Der Autor

Alan Dean Fosters Arbeiten sind breit gefächert und reichen von Science Fiction und Fantasy über Horror und Krimis bis zu Western. Er schrieb Star Wars-Romane und die Romane zu den ersten drei Alien-Filmen sowie Vorlagen für Hörbücher, Radio und die Story des ersten Star Trek

Titel der Originalausgabe

ICERIGGER

Aus dem Amerikanischen von Heinz Nagel

Überarbeitete Neuausgabe

Copyright © 1974 by Alan Dean Foster

Copyright © 2015 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

1

Der Mann in der Bar der Antares schaffte es auch bei diesem seinem vierten Versuch nicht ganz, sich den Kopf an der gewölbten Sternendecke anzustoßen. Vielleicht war es auch sein fünfter Versuch. Für einige andere Gäste des luxuriösen Salons war dies eine Enttäuschung.

Aufrecht stehend – was in letzter Zeit selten geschah – war der Bursche knapp zwei Meter groß. Jeder Herrenausstatter, der sein Handwerk verstand, hätte seine Masse auf etwa zweihundert Kilo geschätzt, den vielen Alkohol, den er in erstaunlicher Geschwindigkeit in sich hineingeschüttet hatte, noch nicht mitgerechnet. Dass es ihm überhaupt gelungen war, der Decke des Salons und dem nachgebildeten terranischen Nachthimmel darauf auch nur nahe zu kommen, war zum Teil seiner beträchtlichen Statur zuzuschreiben.

Immer wieder sprintete er mit der Grazie eines Elefanten vom anderen Ende des Salons aus auf die Bar zu, sprang auf die hochglanzpolierte Ahornplatte der Theke und segelte von dieser Startbahn deckenwärts. Im Fliegen streckte er sich dann, griff mit den Armen um sich und landete dann spektakulär auf dem Bauch, wobei Plastikflaschen, Gläser und sonstige Barutensilien nach allen Seiten flogen. Worauf er die ärgerlichen Windmühlenschläge des Robotbarkeepers, der jetzt am Rande einer elektronischen Psychose schwebte, abwehrte, zwischen den Tischen davontaumelte und es aufs neue versuchte.

Jetzt rappelte er sich wieder auf, kippte einen weiteren Schluck seines augenblicklichen Getränks hinunter und taumelte wieder zu seinem Startpunkt zurück. Seine elegant gekleidete junge Claque spornte ihn an. In dieser Gruppe war sportlicher Ehrgeiz erwacht. Wetten wurden platziert. Würde er bei diesem fünften (oder sechsten) Versuch sich endlich umbringen, indem er sich beim Fallen den benommenen Schädel brach? Oder würde er einfach das Bewusstsein verlieren, indem er mit dem Kopf gegen die Decke stieß?

Dreidimensionale Kumuluswolken, dick und flauschig, zogen über die Deckenkuppel. So echt sie auch wirkten – in Wirklichkeit waren es nur Projektionen auf entsprechend präpariertes Duralum. Dennoch, wenn der Schädel dieses Kängurus auch ohne jeden Zweifel aus harten Knochen bestand, würde jede Kollision zwischen ihm und den sanften Wolken ebenso ohne jeden Zweifel zugunsten der letzteren ausgehen.

Im hinteren Teil des Raums regte sich etwas. Inmitten der lachenden, applaudierenden Spieler und der verärgerten, gleichzeitig aber neugierigen sonstigen Gäste tanzten der Erste Maat und zwei Hilfsingenieure der Antares wie smaragdgrüne Korken im Wasser. Während der letzten fünfzehn Minuten war es ihr vornehmstes Ziel gewesen, diesen galoppierenden riesigen Affen mit so wenig wie möglich Schaden für ihn selbst und das Eigentum der Gesellschaft in den Zustand der Bewegungslosigkeit zu versetzen. Bis jetzt hatten ihre Bemühungen einen Erfolg von exakt Null Komma Null gehabt. Und jetzt fingen sie an, selbst zur Erheiterung der anderen Gäste beizutragen.

Der Erste Maat, ein gebildeter Mann, der den größten Teil seines Arbeitslebens mit der Planung von Hyperdrivemanövern und mit dem Jonglieren des Gravitationsfeldes einer kleinen künstlichen Sonnenmasse verbracht hatte, hielt das nicht im geringsten für komisch. Um es genau zu sagen, war er sogar ziemlich böse und das ganze Treiben leid.

Aber es hatte keinen Sinn, noch einmal im Buch nachzuschlagen. Die Vorschriften der Gesellschaft verboten es ausdrücklich, zahlende Passagiere zu erschießen, gleichgültig, wie unmöglich sich diese auch verhalten mochten. Und allen anderen Methoden war bis jetzt keinerlei Erfolg beschieden gewesen. Einer der Hilfsingenieure hatte bereits einen Schlag des Akrobaten hinnehmen müssen, der ihn an einen antiken Dampfhammer erinnerte. Er wischte sich verstohlen über die Unterlippe und überlegte, ob er dem Anthropoiden vielleicht mit einem Stuhl den Schädel einschlagen solle. Schließlich konnte er immer auf kurzfristige Unzurechnungsfähigkeit plädieren, ob man ihn nun pensionierte oder nicht.

»Ausschwärmen, Leute, jetzt kommt er wieder.«

Eine halbgefüllte Flasche in der Hand und damit wild herumfuchtelnd und heulend, so laut das seine erstaunlichen Lungen nur hergaben, raste der Möchtegern-Ikarus wieder auf die Bar los und gewann bei jedem Schritt an Tempo. Mit einer Agilität, die für einen Mann seines Alters und seines Alkoholpegels erstaunlich war, sprang er in die Luft und erreichte mit einem einzigen Sprung die Bartheke.

Und schoss in die Höhe, der Decke zu, einen Arm ausgestreckt. Er verfehlte eine der schwebenden Pseudowolken um Haaresbreite. Dann folgte ein befriedigendes und inzwischen vertrautes Krachen von der anderen Seite der Bar. Plastikkrüge und unzerbrechliches Glas verbanden sich zu einer regenbogenfarbenen Fontäne und fielen zu Boden. Geld wechselte in der Menge die Besitzer.

Nach kurzem Nachdenken beschloss der Erste Maat eine neue Taktik. Er würde es mit Vernunft versuchen. Außerdem war der Bursche bis jetzt noch nicht wieder aufgestanden. Vielleicht hatte er sich endlich das Genick gebrochen. Das würde allen eine Menge Ärger ersparen.

Er winkte seinen Helfern und schlich auf Zehenspitzen auf die übel behandelte Bartheke zu und spähte vorsichtig darüber.

Kein Glück.

Zwar war der Bursche für den Augenblick bewegungslos, da er sich völlig in den inzwischen funktionsunfähigen Barroboter verwickelt hatte, aber er brummte und knurrte in einer Art und Weise vor sich, dass man annehmen musste, seine Energien wären ungebrochen.

»Sir, ich appelliere an Ihr Moralempfinden. Öffentliche Trunkenheit ist schlimm genug. Uns das Bargeschäft des ganzen Abends zunichte zu machen, ganz zu schweigen von den Schäden, die Sie der Einrichtung zugefügt haben, ist noch viel schlimmer. Aber Ihre Weigerung, den Ermahnungen der Schiffsmannschaft im Freien Raum Folge zu leisten, ist beleidigend. Was haben wir getan, um Ihren Unwillen zu erregen?«

Nach einer kurzen Suche auf dem Boden schien der Mann seine Füße gefunden zu haben. Er rappelte sich auf, stand mehr oder weniger aufrecht da, stemmte seine zwei mächtigen Fäuste auf die Bar und beugte sich vor.

»Meinen Unwillen erregen? MEINEN UNWILLENERREGEN!«

Der Maat zuckte zurück und wandte taktvoll den Kopf zur Seite. Das war schiere Notwehr. Ja, sie durften den Mann wegschaffen! Er war offensichtlich betrunken und bildete eine echte Gefahr für das Schiff.

Die Augen des Hünen drehten sich verloren, bis sie sich schließlich auf die Flasche konzentrierten, die er fest in einer Hand hielt. Er leerte sie zur Hälfte.

»Meinen Unwillen erregen!«, stieß er noch einmal hervor. »Hören Sie zu, Sie unerträgliche Navigationsgefahr, dieses Pinkeltopfschwein dort drüben ...« – er deutete mit einem riesigen knolligen Finger in Richtung auf einen besonders selbstzufrieden wirkenden jungen Spieler – »dieses Stück Plith-Samen behauptet, er verstünde mehr von Posigravitation als ich. Als ich. ICH! Können Sie sich das vorstellen?«

»Ich bin nicht sicher«, erwiderte der Maat. Es fiel ihm offenbar einigermaßen schwer, den Gedankengängen des anderen zu folgen. Vielleicht hatte die Atmosphäreveränderung damit etwas zu tun. Die beiden Hilfsingenieure arbeiteten sich jetzt vorsichtig auf der anderen Seite der Bar an ihn heran. Wenn es ihm gelang, dieses Geschöpf beim Reden zu halten ...

»Ge-nau«, sagte der Mann und rülpste. »Also begannen wir ein wissenschaftliches Experiment, um die Angelegenheit ein für allemal zu klären. Sie sind doch nicht einer von diesen Antiempirikern, oder?«

»Du lieber Gott, nein«, gab der Maat der Wahrheit entsprechend zu.

»Yeah. Nun, wir haben uns das Schiffsfeld ausgerechnet, kapiert? Und nach meinen Berechnungen sollte es mir möglich sein, die Decke dort zu berühren.«

»Die über uns?«

»Yeah, genau die. Sie sind gar nicht so dumm, wie Sie aussehen, Kumpel. Jetzt kapieren Sie, was ich mache, hm?«

»Natürlich.« Die Hilfsingenieure hatten noch nicht ganz die richtige Position erreicht. »Andererseits, ich bin zwar sicher, dass Sie Ihre Berechnungen begreifen, muss ich Ihnen sagen, dass der junge Bursche, den Sie mir gezeigt haben, der Sohn eines bekannten Yachtsportlers ist und selbst so etwas wie ein interplanetarischer Sprinter. Vielleicht weiß er wirklich, wovon er redet.«

Er starrte die weiße Haarmähne an, die aussah wie die Korona einer Sonne; die mächtige Hakennase, die schwarzen Augen unter wulstigen Brauen und den goldenen Ring im rechten Ohr. Allerdings war das Haar auf den nackten Armen des Mannes blond. Und in dem gebräunten Gesicht waren weniger Runzeln, als man vielleicht auf den ersten Blick glaubte. Aber die Runzeln, die vorhanden waren, waren wirklich echte Schluchten. Aber ohne Zweifel war diese Nase das erste gewesen, was an ihm das Licht der Welt erblickt hatte, wie bei Bergerac. Und das Gesicht war darumherum konstruiert worden, mit einzelnen Stücken und Splittern, die man einfach angenäht hatte.

»Andererseits bin ich nicht so sicher«, fuhr der Maat fort, »wer Sie sind.« Und das Gericht wird das auch wissen wollen, dachte er.

Einen Augenblick lang fürchtete er schon, der andere könnte einen Herzanfall bekommen. Immer noch die Flasche mit einer Hand festhaltend, schüttelte der Mann seine mächtige Faust drohend vor dem Ersten Maat und dem ganzen Salon im allgemeinen.

»Bei den himmlischen Heerscharen und dem ganzen Pferdekopfnebel, ich bin Skua September, wer denn sonst! In diesem Teil des Spiralarms gibt es keinen Menschen und auch kein anderes Lebewesen, mit dem ich's nicht im Trinken, Kämpfen, Fliegen, Schlafen, Essen, Huren, Laufen, Reden, Schreien und Lieben aufnehme!«

September schien durchaus bereit, diesen Katalog zweifelhafter Fähigkeiten endlos fortzusetzen, aber da wurde seine Tirade von einem Rülpsen von derart brontosaurischen Ausmaßen unterbrochen, dass alle im Salon Anwesenden erstarrten.

In diesem Augenblick hatten es die beiden unteren Dienstgrade geschafft, ihn gleichzeitig zu attackieren, und das resultierende ménage à trois ging vor der Bar zu Boden. Einer von ihnen schnappte sich eine Flasche voll irgendetwas Alkoholischem und hob sie über seinen Schädel. Aber der Erste Maat hielt ihn fest.

»Nicht notwendig, Evers. Er ist weg.«

Zum ersten Mal seit geraumer Zeit herrschte Schweigen. Dann wurde es von einem einzelnen Händepaar durchbrochen, das höflich applaudierte. Der Mann wandte sich dem Sohn des Yachtsmannes zu, der ihnen allen applaudierte – ob respektvoll oder ironisch, konnte er nicht sagen.

»Bravo«, flötete der Playboy.

Kein Wesen regte sich, nicht einmal ein mus musculus.

Die Stimmung war angemessen, ganz im Gegensatz zum Gegenstand, dachte Ethan Frome Fortune, als er sich langsam auf die hintere Seite der Passagierkuppel zubewegte. Mäuse und Ratten waren nicht imstande gewesen, die Fährnisse des interstellaren Reisens zu ertragen. Oh, sie konnten sich natürlich in Tender einschleichen und von dort aus in Schiffe, und anfangs hatte das Probleme aufgeworfen.

Dann kam jemand auf die kluge Idee, in den Passagierabteilungen eine halbe Stunde lang das Posigravfeld abzuschalten. Ein Mann mit einem Netz schwamm herum und sammelte das völlig verwirrte Ungeziefer ein, und das genügte bis zum nächsten Hafen.

Das war auch gut so, sinnierte Ethan. Wenn es den besagten Nagetieren gelungen wäre, sich anzupassen, dann hätte ihm die Gesellschaft vielleicht Mausefallen zum Verhökern mitgegeben.

Als durchschnittlich erfolgreicher Verkäufer für Luxusgüter für das Haus Malaika bestand sein Angebot mehr aus juwelenbesetztem Tand, Parfüm und höchst sorgfältig gearbeiteten, sündteuren mechanischen Gerätschaften. Juwelenbesetzte Mausefallen würden sicher keinen Rekordumsatz einbringen.

Er ging an einer kleinen Aussichtsluke vorbei und blieb stehen, um einen Blick auf den Planeten zu werfen, der sich träge unter ihnen drehte. In diesem hinteren Teil der Passagierabteilung waren solche Aussichtsluken seltener, aber das galt schließlich auch für Passagiere. Er war das dumme leere Geschwätz leid, und mit dem Volk hier waren keine größeren Abschlüsse zu machen.

Der größte Teil von Tran-ky-ky lag noch in Dunkelheit. Vermutlich war es ein Zufall, dass sie gerade über der Nachtseite des Planeten schwebten, während im Schiff auch Schlafenszeit war. Ethan schien mit Ausnahme der Mannschaft der einzige zu sein, der auf den Beinen war.

Morgen würde er, so gering auch die Geschäftschancen nach seinen Unterlagen zu sein schienen, den Tender nach unten nehmen.

Natürlich bedeutete das, dass er das übliche Gequatsche der Touristen würde ertragen müssen.

Tran-ky-ky war so etwas wie eine Bedarfshaltestelle auf der Route der Antares. Der riesige interstellare Liner würde ein oder zwei Tage im Orbit um den Planeten bleiben. Der größte Teil der Zeit würde darauf verwendet werden, Ladung für den einzigen menschlichen Außenposten auf der abweisenden Planetenoberfläche umzuschlagen.

Die Tatsache, dass der Außenposten einen Namen in Terranglo trug, bedeutete keineswegs, dass die Welt von Menschen entdeckt worden war. Ebenso gut hätte es auch eine gemischte Mannschaft oder eine, die nur aus Thranx bestand, sein können. Ersteres schien jedoch wahrscheinlicher. Ein Thranx mit seinem auf Ordnung und Harmonie ausgerichteten Verstand würde bestimmt einen Außenposten des Commonwealth nicht Brass Monkey nennen. Außerdem würden die auf Hitze erpichten Insekten die Welt dort unten als eine Eishölle betrachten.

Der kleine Teil des Planeten, der von der Sonne beschienen war, bildete am Rand einen grellen, fast schmerzhaft weißen Halbmond. Ethan fielen ein paar Einzelheiten über den finsteren Globus dort unten ein.

Tran-ky-ky lag am äußeren Rand der homanxbesiedelten Sternregion und war erst vor kurzer Zeit entdeckt worden. Abgesehen von einigen anderen wichtigeren Aspekten reichte schon diese Tatsache aus, die Welt munteren ehrgeizigen Typen seines Schlages attraktiv erscheinen zu lassen. Man hatte sie jedoch nicht als potentielle Kolonie eingestuft.

Menschen konnten zwar darauf leben, wie sie das in gewisser Weise auch in Brass Monkey taten, aber besonders anheimelnd war sie keineswegs. Außerdem war sie in die Klasse IV-B eingestuft. Das bedeutete, dass der Planet von einer Eingeborenenrasse von einiger intellektueller Fähigkeit bewohnt wurde, die sich im Augenblick in einer Vorstufe des Dampfmaschinenzeitalters, wahrscheinlich sogar noch etwas darunter, befand.

In topographischer Hinsicht konnte sich der Planet einiger kleiner Kontinente rühmen, eher großer Inseln und Tausender kleiner Inseln. Einige waren einigermaßen eben, wie Arsudun, andere schroff und tektonischen Ursprungs. Alle waren über die seichten Meere des Planeten verstreut, die an einigen Stellen bis auf eine Tiefe von Kilometern, an anderen knapp bis zehn Meter Tiefe dauernd gefroren waren.

Die Schwerkraft betrug .92 T-Standard, der Tag dauerte etwa zwanzig ts Stunden und die Entfernung zur Sonne – die war schlicht und einfach zu groß. Diese reizende Erholungswelt, so dachte er ironisch, erreichte in Äquatorhöhe unter günstigsten Umständen immerhin angenehme drei Grad Celsius. In Brass Monkey galt das als Hitzewelle. Die Temperatur betrug im Durchschnitt etwa minus fünfzehn und sank in manchen Nächten auf grässliche neunzig.

Wenn man sich vom Äquator entfernte, begannen die Dinge etwas kühl zu werden.

Oh, ja, eine reizende Zwischenstation auf einer Tour zu den ausgefransten Rändern der Zivilisation, zweifellos! Anderen Vertretern teilte man Touren durch Territorien zu wie die Zwillingserholungswelten von Balthazzar und Beersheba oder selbst nach Terra. Und Ethan Fortune? Immer mit dem Rücken zu den warmen inneren Welten des Commonwealth, immer mit einer Gewinnmarge, die kaum seine Unkosten deckte, immer unterwegs zu nichtssagenden Orten im fernen Raum. Quatsch!

Oh, es gab da durchaus einen kleinen Ausgleich. So verdiente er beispielsweise sehr gut.

Und er befand sich immer noch auf der besseren, der verrückten Seite der Dreißig. Zweifellos würde in aller Kürze jemand zu Hause in der Zentrale seine unglaublichen, erstaunlichen Leistungen unter unmöglichen Umständen zur Kenntnis nehmen. Und dann würde man ihm vielleicht etwas übertragen, das seinen außergewöhnlichen Talenten eher angemessen war. Zum Beispiel den Verkauf von diamantenbesetzter Reizwäsche an die berühmten Ekdysiasten von Losers Welt oder an frisch auf die Welt losgelassene Debütantinnen von New Paris.

Er kniff die Augen zusammen, wandte sich von der fast hypnotisch wirkenden weißen Sichel ab und versuchte sich auf prosaischere Gedanken zu konzentrieren. Zum Beispiel den, wie er den Eingeborenen die Funktionsweise eines tragbaren Deluxe-Katalyseheizgeräts von Asandus erklären sollte. Er hatte sich zwar per Hypnoband die Grundzüge der Sprache beigebracht – er bereitete sich jedes Mal so gut wie möglich auf eine neue Welt vor –, aber die Unterrichtsbänder enthielten natürlich keinerlei Einzelheiten über die lokalen Sitten oder die Handelsgepflogenheiten. Tran-ky-ky war zu neu, als dass Bänder über irgendetwas außer grundlegende Tatsachen zur Verfügung standen. Anthropologische Studien mussten noch warten. Seine Möglichkeiten waren also beschränkt.

Jedenfalls hatte er ein Produkt, das er den Eingeborenen eigentlich sollte aufladen können. Die Asandusprodukte wurden auf Amropolous hergestellt und bildeten ein wahres Wunder an Leistungsfähigkeit und Miniaturisierung. Selbst in einem Klima wie die Thranx es kannten, konnte eines der zigarettenschachtelgroßen Heizgeräte einen Raum von beträchtlicher Größe warmhalten. Da die Eingeborenen an extreme Kälte gewöhnt waren, sollte ein Asandus eigentlich beinahe unbeschränkte Zeit halten. Man brauchte wirklich nur die Temperatur auf Null zu stellen, wenn man Opa und den Kleinen etwas bieten wollte.

Ohne ein derartiges Gerät und bei Winden, die eine Geschwindigkeit von bis zu 300 km/h erreichten und damit für eine verdammt schnelle Abkühlung sorgten, würde ein Mensch, der sich ungeschützt der freien Natur von Tran-ky-ky auch nur ein paar Minuten aussetzte, höchstens noch als Eisheiliger zu gebrauchen sein. – So betrachtet, gab es wahrscheinlich sogar ein paar Menschen in der Siedlung, die sich gerne ein kleines Luxusheizgerät kaufen würden. Schließlich bekamen sie Ware von der Qualität der seinen hier draußen nicht oft zu Gesicht. Wenn er es nur fertigbrachte, seine Hände am Zittern zu hindern, während er den Brenner aufbaute ...

In Gedanken hatte er bereits eine Reklamerede von heroischen Proportionen verfasst, als er um die Ecke zum Gepäcklagerraum bog und dort eine Szene vorfand, die überhaupt nicht passte.

Fünf Menschen drängten sich um die Luke eines Rettungsboots. Besagte Luke stand offen. Völlig verkehrt. War vielleicht eine Rettungsübung angesetzt worden, von der er nichts erfahren hatte? Er merkte, wie sein Herz schneller schlug. Nun, an seinem Gehör konnte es also nicht liegen – aber die Augen ...

Ah, ja, es waren ganz entschieden die Augen. Zwei der Männer fuchtelten nämlich mit trunkenem Leichtsinn mit Laserpistolen herum.

Einer der Laserschwinger, ein kleiner wieselgesichtiger Bursche, hielt seine Waffe – soweit das seiner zitternden Hand gelang – mehr oder weniger auf einen älteren Mann gerichtet, der offenbar versuchte, trotz allem eine gute Figur zu machen. Besagter Zeitgenosse trug einen hervorragend geschnittenen Anzug aus auffälligem Emeraldine über einem gefältelten Hemd von tiefem Azurblau. Zur Linken dieses jugendlich gekleideten Senioren sah ein mausgesichtiger kleiner Bursche den Revolver an, als überlegte er, ob er ihren Besitzer anspringen solle.

Der andere Revolverheld war ein riesiger Brocken von einem Menschen mit einem flachen Gesicht, regenbogenfarbenen Zähnen und einem ungeheuren Bizeps. Im Augenblick versuchte er, seinen Laser unter Kontrolle zu halten und gleichzeitig ein Bündel schreiender, kratzender Weiblichkeit im Zaum zu halten, das offenbar menschlicher Herkunft war. Offenbar, weil das Wesen acht Beine und zwölf Arme zu besitzen schien, die alle gleichzeitig in Bewegung waren. Aber die Flüche, die von irgendwo aus dem Innern dieses Bündels hervorsprudelten, waren unleugbar Terranglo. Ethan hörte sich ein paar davon an und wurde rot. Ihr Widersacher fluchte ebenfalls, sozusagen ein Basso profundo Contrapunkt zu dem Mädchen. Ethan fragte sich, wie sie wohl aussehen mochte. Aber sie war so sehr in Bewegung, dass er das nicht sagen konnte.

Jetzt wurde seine Aufmerksamkeit wieder auf Wieselgesicht gezogen, der auf den Älteren einredete.

»Ich sage es Ihnen nicht noch einmal, du Kane! Soll ich Sie bewusstlos schlagen?« Die Hand, die den Strahler hielt, zitterte leicht. »Rein in das Boot mit Ihnen, aber fix!« Ein nervöser Blick auf das linke Handgelenk. Um ihren anderen Gefangenen kümmerten sich die beiden Revolverhelden nicht.

»Nun, ich weiß nicht ... ich wäre Ihnen ja gerne gefällig, aber ich weiß wirklich nicht mehr, was jetzt richtig ist. Vielleicht sollte ich besser warten ...«

Wieselgesicht warf die Hände in die Höhe und blickte zum Himmel, als suche er dort Hilfe – ohne dabei zu bedenken, dass dessen Position im Universum nur in Bezug auf die augenblickliche Lage des Schiffes oben war.

Der große Mann sagte »Autsch!« und ließ das Mädchen zu Boden fallen. Sie plumpste unsanft auf, rollte sich zur Seite und setzte sich langsam auf. Ihre Flüche verloren an Lautstärke, keineswegs aber an Originalität. Ethan war etwas enttäuscht. Sie wog mindestens zweihundert Pfund und war keineswegs besonders groß.

»Hat mich gebissen«, sagte der Große unnötigerweise. Er steckte den verletzten Finger in den Mund. »Jetzt hören Sie zu, du Kane. Unsere Zeit wird knapp. Wir können nichts mehr machen, klar? Zuerst taucht dieser Knirps hier auf«, er deutete auf Mausgesicht, der ihn immer noch beobachtete, »und jetzt fangen Sie an, auf stur zu schalten. Das nützt Ihnen gar nichts.«

»Nun, ich weiß nicht ...«, sagte du Kane zögernd. Seine Augen wanderten zu dem Mädchen hinüber.

»Ganz ruhig, Vater.« Sie blickte zu dem Großen auf, und Ethan stellte fest, dass in dem dicken Gesicht zwei erstaunlich grüne Augen leuchteten. »Wenn Sie meinen Vater schlagen, werden Sie ihn wahrscheinlich umbringen ... er ist ein alter Mann. Hören Sie doch auf mit diesem Unsinn. Ich werde dafür sorgen, dass man Sie zumindest nicht gleich abknallt. Und Vater wird keine Anzeige gegen Sie erstatten. Er ist viel zu beschäftigt, um sich mit solchem Gesindel wie Ihnen zu befassen.«

Du Kane! Nun, jetzt wusste er, wen er vor sich hatte. Ganz raffiniert, das Mädchen – so auf die Gebrechlichkeit ihres Vaters zu spekulieren. Hellespont du Kane war Aufsichtsratsvorsitzender von Kurita-Kinoshita Ltd. Unter anderem stellte seine Firma die Antriebsaggregate für Interstellarschiffe her. Zu sagen, dass er ein wohlhabender Mann war, war gleichbedeutend mit der Feststellung, dass der Planet unter ihnen nicht gerade tropische Temperaturen aufwies. Kein Zweifel, das war ein Mann, von dem man sagen konnte, dass er wirklich aus Geld und nichts als Geld bestand.

Guter Verkäufer, der er war, verschaffte Ethan sich schnell einen Überblick über die Lage, indem er die Personen der Handlung in Kategorien einteilte. Zwei Kidnapper, zwei Gekidnappte und ein zufällig hineingeratener unschuldiger Zuschauer. Er fragte sich, warum sie den kleinen Burschen nicht erschossen.

Die Frage fing an, über das rein Akademische hinauszugehen, denn der Große mit dem verletzten Finger starrte ihn jetzt an. Ethan blickte in die Mündung des Strahlers und erkannte plötzlich, dass er etwas zuviel Zeit mit Mundaufreißen und etwas zuwenig Zeit mit Verschwinden verbracht hatte. Er trat einen Schritt zurück.

»Ich wollte gerade in Gepäckraum drei ... Entschuldigen Sie, dass ich ...«

»Bleiben Sie nur da.« Der Große wandte sich seinem Partner zu. »Was jetzt, Walther?«

»Beim heiligen Rama, nicht schon wieder einer! Haben wir denn auf diesem Schiff bloß mit Nachtwandlern zu tun?« Wieder ein Blick auf die Armbanduhr. »Wir müssen hier weg! Nimm ihn mit. Whitting hat ausdrücklich gesagt, dass wir keine Spuren hinterlassen sollen, Kotabit.«

Ethan schätzte es gar nicht, als ›Spuren‹ bezeichnet zu werden. Das klang regelrecht bedrohlich. Aber im Augenblick steckte er fest.

»Da hinüber mit Ihnen«, befahl Walther und fuchtelte mit seinem Strahler in der allgemeinen Richtung auf die anderen Gefangenen.

»Hören Sie, wirklich, ich kann nicht mitkommen. Ich habe in einer halben Stunde eine sehr wichtige Unterredung, und ...«

Walther schmolz ein kleines Loch in das Deck zwischen Ethans Füßen. Ethan setzte sich plötzlich ganz schnell in Bewegung und stellte sich neben den kleinen Mann zu du Kanes Linker. Der Mann schien sich gerade eine Kontaktlinse zurechtzuschieben.

»Ist das wirklich eine Entführung?«, flüsterte er, während die beiden Bewaffneten miteinander konferierten.

»Ich fürchte schon, mein Freund.« Sein Akzent war weich und seine Worte präzise geformt. »Theoretisch sind wir jetzt Mittäter bei einem Kapitalverbrechen.« Seine Stimme klang wie die eines Lehrers, der seinen Schülern letzte Instruktionen vor einer Prüfung erteilt.

»Ich fürchte, Sie bringen da einiges durcheinander«, verbesserte ihn Ethan. »Ein Mittäter ist jemand, der das Verbrechen unterstützt oder fördert. Sie und ich sind Opfer, keine Mittäter.«

»Wissen Sie, das ist alles eine Frage des Standpunkts.«

»Alle jetzt ins Boot!«, schrie Walther, dem es offenbar inzwischen gleichgültig war, ob jemand ihn hörte.

»Warum machen wir sie denn nicht alle kalt?«, fragte Kotabit.

»Du hast's doch gehört, Dicker – gefährlich. Besonders wenn es nach unten geht.«

Colette du Kane starrte Ethan an. Vielleicht hatte dieser Name zu ihr gepasst, als sie noch ein Kind war, aber jetzt ... da wäre vielleicht etwas wie ›Hilda‹ angemessener gewesen. Diese bemerkenswerten Augen kühlten ihn sichtlich ab. Sie lächelte nicht.

»Warum haben Sie denn nicht Hilfe geholt, wer auch immer Sie sein mögen?«

»Ich kam gerade herein und war mir nicht gleich sicher, ob ...«

»Sicher waren Sie sich nicht? Schon gut.« Sie seufzte und hob resigniert den Blick. »Wahrscheinlich hätte ich nichts anderes erwarten dürfen.«

Er hätte natürlich jetzt Einwände dagegen erheben können, aber das änderte nichts an der peinlichen Tatsache, dass sie völlig recht hatte. Er war wirklich zu langsam gewesen.

»Warum sind Sie eigentlich nicht schön?«, fragte er noch blödsinnigerweise. »Junge Damen in Gefahr sind doch meistens schön.« Er lächelte und meinte es sarkastisch, aber sie sah das anders. Ihre Augen durchbohrten ihn, und dann sackte ihr Körper förmlich hin und wirkte jetzt noch unförmiger.

»Jetzt hört mal zu«, knurrte Kotabit. Seine Stimme klang gleichmäßiger, selbstbewusster als die seines Begleiters, obwohl der Kleinere das Kommando zu führen schien.

»Wenn ich jetzt die Beine Ihrer Tochter abschneiden würde, zum Beispiel angefangen beim großen Zeh und dann langsam weiter nach oben, würde das, glaube ich, unsere Pläne nicht beeinträchtigen. Überzeugt Sie das nicht?«

»Hör nicht auf ihn, Vater«, sagte Colette. »Er blufft.«

»Du lieber Gott ...!« Der alte Herr war trotz all seiner Milliarden ein jämmerlicher Sack voll Unentschlossenheit. Und dann schien ihm plötzlich ein Gedanke zu kommen, denn er richtete sich gerade auf und spuckte Kotabit an. Der Große duckte sich zur Seite, ohne dass seine Wachsamkeit nachließ. Du Kane schien mit sich zufrieden. Er drehte sich um und betrat die kleine flexible Schleuse, die in das Rettungsboot führte.

Ethan überlegte, ob er versuchen sollte, Walther die Waffe aus der Hand zu schlagen, aber Kotabit war keineswegs so zittrig wie der andere. Sein Tod würde vielleicht ihren Plan etwas komplizieren, aber Ethan machte sich keine Illusionen über das, was der andere tun würde, wenn er einen der beiden angriff. Also folgte er dem kleinen Mann mit den Kontaktlinsen ins Boot.

»Ich heiße übrigens Williams ... Milliken Williams«, stellte sich der andere im Gesprächston vor, als er vor Ethan die Schleuse betrat. »Ich bin Schullehrer. An der Oberstufe.«

»Ethan Fortune. Ich bin Vertreter.« Er sah sich nach dem Mädchen um. Die beiden Bewaffneten gingen zu dicht hinter ihr. Der Gedanke, ihnen die Rettungsbootschleusentür vor der Nase zuzuschlagen, kam ihm in den Sinn, aber sie waren zu nahe.

Im Rettungsboot war es finster. Das einzige Licht kam vom vorderen Instrumentenbrett, das stets eingeschaltet war. Keiner der beiden Bewaffneten machte Anstalten, die Innenbeleuchtung des Bootes einzuschalten. Offenbar hatten sie Angst, damit vielleicht ein Signal in der Zentrale auszulösen. Er überlegte, ob er vielleicht ohne Rücksicht auf die Folgen den Schalter umlegen sollte, aber eines hinderte ihn daran. Er hatte, abgesehen von Übungen, noch nie das Innere eines Rettungsboots betreten und vermochte daher den Schalter der Innenbeleuchtung nicht vom Sprengschalter zu unterscheiden.

Also taumelten sie im Dunkeln herum und schnallten sich auf ein paar drohende Worte der Bewaffneten hin an. Neben den beiden Pilotensitzen vorne gab es noch zwanzig Sitze. Walther hatte bereits vorn in der Steuerkanzel Platz genommen und hantierte am Armaturenbrett herum. Kotabit schnallte sich träge im anderen Sessel fest. Dann drehte er ihn so herum, dass er die anderen im Auge behalten konnte. Ethan hatte nicht vor, auszuprobieren, wie gut der andere bei Nacht sah.

Als die Bootstür zufiel, war keine Warnsirene zu hören. Die zumindest hatte man abgeschnitten, um zu vermeiden, dass der Schiffscomputer gewarnt wurde. Sicher würden sie auffallen, sobald das Boot den eigentlichen Schiffsrumpf verließ, aber Ethan war kein Ingenieur und daher nicht sicher ...

Walther murmelte etwas, das wie: »... weit genug auseinander ... hoffentlich ...« klang.

»Schnallen Sie sich besser alle gut fest«, riet Ethan den anderen. »Ich glaube nicht, dass wir im normalen Hafen landen werden.«

»Höchst weise!« Colette du Kanes Stimme war ebenso klar zu erkennen wie ihre Gestalt.

»Und es wird wahrscheinlich ziemlich rau zugehen«, schloss er etwas lahm.

»Zwei Einsteinsche Schlüsse hintereinander. Vater, ich glaube nicht, dass wir uns Sorgen machen müssen. Nicht mit einem Genie vom Kaliber dieses Bauern an Bord. Anschließend wird er uns mit dem Wissen verblüffen, dass diese megalocephalen Proteinoide uns nicht wohlgesonnen sind.«

»Hören Sie«, begann Ethan und versuchte, ihre Position in der Finsternis auszumachen. Seine Augen begannen sich an die schwache Beleuchtung zu gewöhnen. Wie Walther in dieser Finsternis die Steuerung betätigen konnte, überstieg sein Vorstellungsvermögen. Sie mussten das hundertmal geübt haben.

»Ich begreife immer noch nicht ganz, was hier vor sich geht. Ich wollte bloß nach meinen Mustern sehen und habe mich um nichts anderes als meine eigenen Angelegenheiten gekümmert, und da muss ich mitten in Ihr kleines Familienproblem platzen.«

»Ich will nur einmal eine Hypothese aufstellen«, sagte der ältere du Kane. »Wie diese thersitischen Verleumder ja zweifellos wissen, bin ich nicht ganz mittellos.«

»Passen Sie auf, was Sie sagen«, platzte der hünenhafte Kotabit heraus, der offenbar nicht ganz wusste, was er mit den Worten des Fabrikanten anfangen sollte.

»Es tut mir leid, dass Sie und Mr. Williams hier hineingezogen worden sind. Diese beiden glaubten offenbar nicht, um diese Stunde gestört zu werden.«

»Es tut mir auch leid«, sagte Ethan mitfühlend. Ein schwaches Vibrieren ging durch das kleine Schiff, dann noch eins. Und bald war ein gleichmäßiges Dröhnen hinter ihnen zu vernehmen.

»Sobald wir gelandet sind, finden die uns«, fuhr er fort, bemüht, die anderen zu ermutigen. »Es sollte nicht zu schwierig sein, unsere Bahnkurve zu berechnen.«

»Ich würde Ihnen beipflichten, junger Mann, wäre diese Gründlichkeit nicht, die unsere widerlichen Begleiter bis jetzt an den Tag gelegt haben ...«

Ein Rucken ging durch das Schiff, und Ethan spürte, wie er schnell leichter wurde. Sie hatten sich vom Schiff gelöst und entfernten sich jetzt aus seinem Kraftfeld.

»Wir haben das Schiff verlassen«, begann er. Da unterbrach ihn eine vertraute Stimme.

»Oh, Gott, ich bin schon wieder verblüfft«, spottete Colette.

»Nun, dann machen Sie sich doch selbst Ihren Reim auf alles!«, erwiderte Ethan beleidigt. »Bis zur Landung wird jetzt nichts mehr passieren.« Womit er natürlich unrecht hatte.

Tatsächlich passierte sogleich eine ganze Anzahl unwahrscheinlicher Dinge.

Etwas verpasste dem Boot einen mächtigen Hammerschlag in die Seite und ließ es wie verrückt taumeln. Ethan erhaschte einen schnellen Blick auf den Planeten, der viel zu schnell um ein ganzes Bullauge raste. Colette fing an zu schreien. Vorne fluchte und stöhnte Walther, während er an den Hebeln zog und schrie, wie wenig Zeit er noch hätte und wie viel Zeit sie vergeudet hätten.

Ein weiterer Ruck ließ die von der Sonne bestrahlte Antares vor ihnen auftauchen. Das Schiff war weit entfernt und entfernte sich schnell. Aber nicht schnell genug, als dass Ethan nicht das gähnende Loch in ihrem Rumpf hätte erkennen können.

Er wandte sich wieder dem Innern des Bootes zu. Ganz plötzlich schien eine fünfte Gestalt im Passagierabteil zu sehen zu sein. Sie war nicht festgeschnallt und taumelte trunken hinten beim Lagerraum herum. Einen Augenblick lang dachte Ethan schon, seine Augen hätten sich noch nicht ganz angepasst.

Das Boot überschlug sich, und Walther stieß einen hilflosen Schrei aus. Williams brüllte: »Ach du liebe Güte!«, und die seltsame Erscheinung im Hinterschiff knurrte in undeutlichem Terranglo: »Ein Witz ist ein Witz, aber bei all den schwarzen Löchern und purpurnen Protuberanzen, genug ist genug!«

Und an diesem Punkt gaben Ethans Augen jeden Versuch, sich an die Dunkelheit oder sonst etwas anzupassen, ein für allemal auf.

2

Er war ohne jeden Zweifel tot, bei lebendigem Leibe eingefroren. Er schauderte.

Augenblick. Wenn er tot war, hätte er nicht in der Lage sein dürfen zu schaudern. Um sich zu vergewissern, schauderte er noch einmal. Sein Körper zuckte, einmal, zweimal. Vielleicht steckte hinter diesem Zucken etwas, das die Bewegungen von außen her anregte. Er blinzelte und drehte den Kopf herum. Das ebenholzfarbene Gesicht von Milliken Williams starrte auf ihn herunter.

»Wie fühlen Sie sich, mein lieber Fortune?«, erkundigte er sich besorgt. Ethan stellte fest, dass der Schullehrer einen dicken Mantel aus irgendeinem schweren braunen Material trug. Der Mantel war mit orangeroten Flicken besetzt und an einigen Stellen aufgeplatzt, sah aber so aus, als wäre er warm.

Er wälzte sich zur Seite und setzte sich auf. Die Anstrengung machte ihn benommen, und seine Augen brauchten ein oder zwei Minuten, um sich auf die Umgebung einzustellen. Dann allerdings nahm er wahr, dass er ein ähnliches Kleidungsstück trug, das über seine Knie hinunterreichte und ihm wenigstens um zwei Nummern zu groß war. Williams bot ihm eine Tasse schwarzen Kaffee an. Das Getränk dampfte wie wild. Ethan nahm die Tasse mit den behandschuhten Händen entgegen und stürzte die kochendheiße Flüssigkeit in zwei Zügen hinunter. Im Augenblick war es ihm völlig gleichgültig, ob er damit seinen Endophagus vulkanisierte. Irgendetwas hinter ihm Befindliches schien bereit, sein Gewicht zu tragen, also lehnte er sich zurück, seufzte tief und inspizierte seine Umgebung.

Die du Kanes saßen ihm gegenüber. Sie trugen die gleichen braun-orangefarbenen Mäntel, nur dass die ihren passten. Der ältere du Kane stocherte nachdenklich in einer irgendetwas enthaltenden Büchse herum, die vor ihm stand. Dampf stieg daraus auf. Er wählte etwas aus ihrem Inhalt, schob es sich in den Mund, runzelte die Stirn, schluckte und fuhr fort zu stochern. Seine Tochter saß neben ihm, auf einen Arm gestützt, und starrte ins Leere. Sie saßen in irgendeinem kleinen Raum. Der Boden war an einigen Stellen mit einer dünnen Schicht von etwas Weißem bedeckt. Selbst in seinem augenblicklich etwas benommenen Zustand war es für ihn offenkundig, dass es sich um Schnee oder sonst eine gefrorene Flüssigkeit handeln musste. Er wusste, dass sie sich auf der Oberfläche des Planeten befinden mussten. Das verriet ihm die Temperatur. Ein fragender Blick zu Williams hin.

»Wir sind im hinteren Laderaum des Rettungsbootes. Er ist ziemlich luftdicht geblieben.«

›Ziemlich‹ war der richtige Begriff, denn ganz offenkundig kam durch die Fugen der einzigen Tür des Raums Luft. Die Metallwände waren arg verbeult, besonders der hintere Teil, hinter dem die Maschinen lagen. Er leerte seine Kaffeetasse und kroch zu dem Mannloch. Tür und Wand waren oben nach innen ausgebeult. Weiter oben gab es ein einzelnes kleines Fensterchen.

Er richtete sich auf und spähte durch das Glassit, ohne sich darum zu scheren, dass er damit den anderen das Licht wegnahm. Colette machte hinsichtlich seiner Rücksichtslosigkeit eine passende scharfe Bemerkung, aber Ethan wurde von dem Anblick, der sich ihm durch die kleine Luke bot, so beansprucht, dass er überhaupt nicht auf sie achtete.

Er blickte in den Mittelgang dessen hinunter, was einmal der Passagierraum des kleinen Bootes gewesen war. Riesige gähnende Löcher boten dort, wo früher einmal die Decke gewesen war, freien Ausblick in den Himmel. Eine Kaskade strahlenden, blendend klaren Sonnenlichts drang wie durch eine Filterschicht in das Rumpfinnere. Erst jetzt wurden ihm die Schutzgläser und das Gesichtsschild bewusst, die in die Kapuze seines Mantels eingebaut waren. Mehr als die Hälfte der Andruckliegen war aus ihren Verankerungen gerissen oder gedrückt worden.

Er wandte den Kopf, streckte den Hals und konnte sehen, dass die rechte Wand der Maschine ziemlich gelitten hatte. Die linke Seite war auf die halbe Länge aufgerissen, ein einziger Schnitt, wie von einem Messer. Er war kein Mechaniker, aber selbst jemand, der nicht das geringste von Technik verstand, konnte klar erkennen, dass sie eher ein neues Schiff bekommen, als dieses noch einmal reparieren könnten.

Der Boden der Kabine und eine ganze Anzahl der umgestürzten Sitze war mit einer dünnen Schneeschicht überzogen, besonders auf der linken Seite, wo der Schaden größer war. Dieses aufgestäubte Weiß ließ das zerfetzte Duralum und den wie von Krämpfen verzogenen Boden etwas weniger schroff erscheinen. Hie und da warfen Splitter von gebrochenem Glassit Regenbögen an die Wand. Die einzige Aussichtsluke war intakt geblieben, allerdings konnte er sie von seinem Standort aus nicht sehen. – Vielleicht hatte er sich zu sehr angestrengt. Jedenfalls kehrte die Benommenheit zurück. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür, setzte sich dann vorsichtig auf und stützte den Kopf in beide Hände, bis die Benommenheit nachließ.

»Alles in Ordnung, Mr. Fortune?«, erkundigte Williams sich aufs neue. Sein Gesicht wirkte besorgt.

»Ja ... nur ein klein wenig benommen, aber nur für einen Augenblick.« Er blinzelte. »Jetzt ist es gut, glaube ich.« Pause. »Obwohl ich plötzlich das Gefühl habe, dass ich nicht mehr gut sehen kann.«

»Sie haben zu lange mit ungeschützten Augen durch die Luke ins Freie geblickt«, vermutete Williams. »Aber ich nehme an, das gibt sich gleich wieder. Machen Sie sich keine Sorgen. Es hat gar nichts mit Ihrer Kopfverletzung zu tun.«

»Damit wollen Sie mich wohl aufmuntern?« Er konnte die Beule am Hinterkopf spüren. Wenigstens war sein Schädel noch intakt. Genaugenommen hätte er ja so viele Löcher haben müssen wie der Schiffsrumpf.

»Nehmen Sie die da.« Der Lehrer wies auf die Schutzbrille, die Ethan sich in die Stirn geschoben hatte. »Um nicht schneeblind zu werden«, fügte er unnötigerweise hinzu.

»Die haben wohl an alles gedacht, wie?«, knurrte Ethan. Wieder schauderte er. »Hat jemand eine Ahnung, welche Temperatur da draußen herrscht?«

»Ich schätze, etwa zwanzig Grad minus«, erwiderte Williams, als wäre das die natürlichste Sache auf der Welt. »Und ich glaube, die Temperatur sinkt noch etwas. Aber Sie können das ja bald selbst feststellen. In Ihrem linken Ärmelaufschlag ist ein Thermometer eingebaut.« Er grinste.

Tatsächlich, gleich hinter der Handschuhstulpe war ein winzig kleines, rundes Thermometer festgenäht. Zuerst glaubte er, der Lehrer habe sich geirrt. Die rote Linie schien fast um die ganze Skala herumzugehen. Dann bemerkte er, dass die höchste Marke des Messgeräts den Gefrierpunkt des Wassers kennzeichnete. Und von dort aus ging die Skala nach unten, nicht nach oben. Das war für sich betrachtet schon eindrucksvoll, ganz abgesehen von der eigentlichen Skalenanzeige.

Etwas sehr Komisches fiel ihm auf. Er lachte. Um es genauer zu sagen, er brüllte. Den anderen schien es keineswegs belustigend, und sie sahen ihn etwas verstört an, besonders du Kane. Colette wirkte so, als hätte sie etwas Derartiges schon die ganze Zeit erwartet. Er zwang sich, innezuhalten, als er feststellte, dass ihm die Tränen auf den Wangen gefroren.

Erst dann bemerkte er, dass alle ihn anstarrten.

»Nein, ich bin nicht verrückt geworden. Mir ist nur gerade eingefallen, dass sich in meinem Warenvorrat an Bord der Antares volle vier Dutzend tragbare Katalyseheizgeräte in Luxusausführung, Modell Asandus, befinden. Sie wissen schon, zum Handel mit den armen rückständigen Eingeborenen. Im Augenblick würde ich für eines davon meine Großmutter eintauschen.«

»Wenn Wünsche Fische wären, würden wir nie Knappheit an Nahrung leiden«, sagte Williams philosophisch. »Russell ... Englischer Philosoph des zwanzigsten Jahrhunderts.«

Ethan nickte und zeichnete mit einem Finger eine Schneespirale auf den Boden ... Die Handschuhe waren tatsächlich aus echtem Leder gefertigt, bemerkte er. Dann fiel ihm etwas ein, während er die kleine Gruppe musterte. Seine Gedanken liefen immer noch ein paar Schritte hinter seinen Augen drein.

»Weil ich gerade von der Antares spreche, als wir starteten, stimmte etwas nicht mit ihr. Ja, ein Loch, hinter der Passagierkuppel! – Ich hab' sie gesehen, als wir wegtrudelten.«

»Sehr falsch und viel zuviel Sprengstoff«, pflichtete ihm eine nervöse, irgendwie vertraute Stimme aus einer dunklen Ecke bei. Eine kleine grämliche Gestalt trat jetzt ins schwache Licht. Ihr rechter Arm hing in einer improvisierten Schlinge, und an einer Wange war eine hässliche Schramme zu sehen.

»Sie können vielleicht reden, Kumpel«, meinte die Stimme.

»He, an Sie erinnere ich mich doch«, sagte Ethan bestimmt. »Sie heißen ... warten Sie mal ... der andere Knabe hat Sie Walther genannt. Der Große.« Er versuchte an dem anderen vorbei in die hinteren Winkel des Abteils zu blicken. »Weil wir gerade von dem Großen reden ...«

»Der größere ... September ... hat ihn abgemurkst«, teilte Colette du Kane mit. »Die Konsolenbeleuchtung ging aus, aber ich bin ganz sicher, dass er es war. Jedenfalls waren es nicht ...« Sie hielt inne. »Ich möchte nur wissen, wo der herkam?«

Ethan überlegte, erinnerte sich an die gespenstische fluchende Erscheinung, die, kurz bevor er die Besinnung verlor, in der Kabine hinter ihm aufgetaucht war.

»Ich glaube, ich weiß, wen Sie meinen. Der hat mir vielleicht Angst eingejagt ... einfach so reinzuplatzen.«

»Das war ganz bestimmt interessant«, fing du Kane an. »Ich kann mich noch erinnern, dass ...«

»Sei ruhig und iss, Vater«, sagte Colette. Ethan sah sich jetzt das Mädchen näher an. In ihrem Schutzanzug wirkte sie wie ein rosafarbener Buddha. Wer führte eigentlich hier den Vorsitz?

Sie erwiderte seinen Blick. Ganz offen und gerade, ein Blick ohne Kompromisse. Sie musterte ihn, versuchte ihn einzuordnen.

Nein, nein ... eigentlich war das doch sein Vorrecht. Er wandte sich ab. Sie musste seine Nervosität gespürt haben.

»Ich glaube, Sie haben von uns allen den kräftigsten Schlag abbekommen, Mr. Fortune«, sagte sie tröstend. Ethan wusste, dass sie ihn ganz bewusst beruhigen wollte. Aber die Beule auf seinem Hinterkopf gab ihr recht.

»Hatte er eine Waffe?«, fragte Ethan sie. Ihre Antwort wirkte kühl und sachlich.

»Nein, ich glaube sogar, dass er sich den Hals gebrochen hat. Saubere Arbeit.«

»Oh«, sagte Ethan. »Hören Sie, ich möchte mich dafür entschuldigen, dass ich Sie ... ich meine für das, was ich dort gesagt habe.«

»Schon gut«, murmelte sie leise. »Ich bin daran gewöhnt.« Und das, überlegte er, war das erste Mal, dass sie ganz offensichtlich die Unwahrheit sprach.

Du Kane schien das Peinliche an der Situation zu fühlen. Er schaffte einen eleganten Übergang. »Ich glaube, Sie tragen den Mantel des Toten.«

»Sitzt nicht besonders, hm?«, murmelte Ethan geistesabwesend. Er hielt die Arme hoch. Wenn er nicht aufpasste, würde er die Handschuhe verlieren. Aber dass er darin komisch aussah, störte ihn nicht. Immerhin war der Mantel warm. Wenn er auch wahrscheinlich nicht so warm wie Colette du Kane war. Er sah sich um.

»Wo ist denn dieser Bursche ... äh ...«

»September. Skua September«, meinte Williams.

»Yeah, der.«

Colette deutete auf die Tür. »Nachdem wir festgestellt hatten, dass dieses Abteil noch ziemlich intakt war ... er hat Sie übrigens hereingetragen ... schien es uns am besten als Zuflucht geeignet. Die Notrationen liegen in diesem zerbeulten Schrank hinter mir. Zum Glück haben die im großen und ganzen überlebt. Er nahm sich einen Bissen zu essen und verschwand dann nach draußen. Das liegt jetzt schon eine Weile zurück. Bis jetzt ist er nicht wiedergekommen.«

»Ein ziemlich schweigsamer Bursche«, warf du Kane ein. Ein Stück Essen fiel ihm aus dem Mund, und er tupfte sich verlegen die Lippen.

»Er wird es schon schaffen«, warf Williams ein. »Er hat einen von den zwei Strahlern mitgenommen. Ich ...«, fuhr er fort und hob die kleine Waffe hoch, »habe den anderen. Er meinte, ich solle damit dafür sorgen, dass unsere Nemesis hier sich nicht irgendwie danebenbenimmt.« Er deutete mit der Waffe auf den mürrisch blickenden Walther.

Letzterer beäugte die Waffe – irgendwie sehnsüchtig, fand Ethan. »Huh! Als ob das mir etwas nützen würde!« Er schauderte. Offenbar fror er noch mehr als Ethan. Einige Hemden übereinander sowie ein Heizponcho aus den Vorräten des Rettungsboots verliehen ihm das aufgedunsene Aussehen eines fetten Laubfrosches. Aber der Poncho war natürlich nicht für Temperaturen konstruiert, wie sie hier herrschten, und so musste sich die kleine Kapuze mächtig anstrengen. Nun, das war eben Pech.

Ethan sah sich die Kleider an, die du Kane und seine Tochter trugen. Sie passten beinahe perfekt, so als wären sie von einem Thranx-Schneider nach Maß gefertigt. Vielleicht waren sie das auch. Die Kidnapper legten ganz bestimmt keinen Wert darauf, dass ihre Geiseln erfroren. Also trug Williams vermutlich Walthers Pelz. Die etwas unerfreuliche Herkunft seines eigenen hatte er bereits zur Kenntnis genommen.

Nun, wenn jemand schon dazu ausersehen war, zu erfrieren, so empfand er keinerlei Skrupel, den hässlichen kleinen Mann mit der kaputten Vorderflosse dafür zu nominieren. Wenn er allein daran dachte, was ihn dieser kleine Umweg an Provisionen kosten würde ...

Augenblick! Wenn er die Jacke des toten Kotabit trug und Williams die von Walther und die du Kanes ihre eigenen hatten – dann bedeutete das, dass der seltsame Mr. September irgendwo draußen ohne Mantel herumstrich. Es sei denn, die Kidnapper hätten Reservemäntel mitgenommen, und das war höchst unwahrscheinlich. Aber das war Septembers Problem. Im Augenblick gab es andere Dinge, die ihm wichtiger erschienen.

»Haben Sie eine Ahnung«, fragte er Williams, »wo wir sind?« Aber die Antwort kam von Walther.

»Wir hätten etwa zweihundert Kilometer südöstlich von Brass Monkey landen sollen«, begann er etwas verbittert. »Alles war arrangiert. Aber wegen ein paar verdammten Verzögerungen und einigen Zündschnüren, die nicht richtig funktionierten, gerieten wir in die Explosion, die wir in der Antares vorbereitet hatten. Damit war es natürlich mit unserer Navigation Essig. Nachdem alle Instrumente durchdrehten und der Computer auch im Eimer war, weiß ich es nicht genau, aber ich wette, wir sind um den halben Planeten rumgeflogen. Ich gebe keinen Nickel für unsere Chance, hier durchzukommen.«

»Explosion vorbereitet?«, hakte Ethan nach; aber Walther hatte offenbar alles gesagt, was er sagen wollte. Er verfiel wieder in mürrisches Schweigen und schien noch weiter in seine Ecke hineinzukriechen.

»Vermutlich eine ziemlich große Bombe, die losgehen sollte, nachdem wir die Antares verlassen hatten«, meinte Colette geschäftsmäßig. »Da kein Alarm ausgelöst wurde, als wir das Rettungsboot betraten und uns vom Schiff lösten, nehme ich an, dass die sich darum bereits früher gekümmert haben. Offenbar handelte es sich bei der Bombe nur um ein Tarnmanöver, das die Rettungstrupps davon überzeugen sollte, dass alle, die sich in diesem Abschnitt des Schiffes aufhielten, zu Atomen zerblasen worden waren – ganz besonders Vater und ich.«

»Aha«, nickte Ethan. »Auf diese Weise hätten alle angenommen, dass Sie beide tot wären ... bis diese beiden weit genug weg waren und ihre Forderungen vorbringen konnten. Und keine Verfolgung. Raffiniert. Jemand, der genau in dem Augenblick in den Abschnitt des Schiffes kam, in dem die Bombe losgehen sollte, hatte wirklich übles Pech.« Er funkelte Walther an, der ihn jedoch ignorierte.

»So war's wohl«, fuhr Colette fort. »Aber bei all dem Hin und Her haben die ihren Zeitplan überzogen und sind nicht rechtzeitig weggekommen. Wir wären überhaupt nicht weggekommen, wenn Vater nicht ...« Sie zuckte die Achseln.

»Sie sollten ihm dankbar sein, dass er Ihnen das Leben gerettet hat«, sagte Ethan verweisend.

Sie warf ihm einen durchdringenden Blick zu. »Was für ein Leben denn? Haben Sie eine Ahnung, wie es ist, wenn man reich ist, Mr. Fortune? Großartig ist es. Aber wenn man reich ist und ausgelacht wird, weil ...«

»Warum nehmen Sie denn nicht ...?« Er biss sich auf die Zunge. Aber sie hatte schon begriffen.

»Warum ich nicht abnehme? Geht nicht. Eine Drüsenstörung – nichts zu machen, sagt der Doktor.« Sie wandte sich gereizt ab. »Oh, gehen Sie doch hinaus und erfrieren Sie!«

»Hören Sie«, warf Walther ein und schob seinen Kopf aus dem Winkel hervor ins Licht. »Sie können glauben, was Sie wollen, aber wir haben das wirklich so geplant, dass niemand bei der Explosion zu Schaden kommen sollte. Das ist auch der einzige Grund, warum ich Sie nicht erschossen habe und Sie auch nicht, als Sie auftauchten. Wenn ein Suchtrupp Ihre Leiche oder die seine oder irgendwelche Spuren gefunden hätte, dann hätten die ja angefangen, sich den Kopf zu zerbrechen, warum von denen nichts zu sehen war«, er deutete auf die du Kanes. »Ziemlich riskant, aber Kotabit und die anderen wollten auf Nummer Sicher gehen. Yeah, Nummer Sicher! Und jetzt«, fügte er fatalistisch hinzu, »werden wir alle hübsch erfrieren. Zu Eiszapfen werden wir erfrieren.«

»Ich bin nicht gerade davon begeistert, in Ihrer Gesellschaft abzukratzen, Kumpel«, sagte Ethan mit soviel Kaltblütigkeit in der Stimme, wie ihm nur gerade möglich war – nämlich nicht viel. »Und ich habe es auch nicht vor. Will sich jemand mal das Schiffstridi ansehen?« Er brauchte gar nicht zu fragen, ob es funktionierte.

Colette du Kane schüttelte den Kopf. »Das ist hin. So hat September es uns wenigstens gesagt. Ich verstehe nicht viel von solchen Dingen, aber ich glaube ihm.«

»Es sieht tatsächlich so aus, als hätten wir hier nichts, das auch nur annähernd eine Verbindung mit der Zivilisation erlaubte«, pflichtete Williams bei. »Ganz abgesehen von einem Gerät, das über einen ganzen Kontinent hinwegreicht.«

In dürren Worten – sie saßen in der Patsche.

Etwas weniger dürr ausgedrückt waren sie auf einer kaum bekannten Welt gestrandet, Tausende von Kilometern von dessen einziger Homanxsiedlung entfernt, in einem Wetter, das selbst ein korpulentes Walross dazu veranlassen konnte, schnellstens zu tauchen und sich seine Winterwollsachen zu holen. Und die einzigen Leute, die sie von ihrer Lage informieren konnten, waren sie selbst.

Und, was noch schlimmer war, wenn nicht – höchst zufällig – jemand das Rettungsboot hatte abstürzen sehen, würde niemand sie suchen, würde niemand annehmen, dass sie noch am Leben waren. Walthers Partner eingeschlossen, die ihn jetzt gerade ein paar Kilometer außerhalb der Stadt erwarteten.

Ethan hatte nichts gegen Gefrierfleisch – aber er hatte nicht die geringste Lust, selbst welches zu werden!

Er überlegte und kam zu dem Schluss, dass seine Aussichten für die unmittelbare Zukunft alles andere als herzerwärmend waren. Oder überhaupt erwärmend. Andererseits pflegte er nie einen Abschluss zu machen, indem er einfach auf seinem Hintern sitzenblieb und wartete, bis der Kunde zu ihm kam. Wenn er sich bewegte, würde wenigstens sein Blut in Bewegung bleiben und nicht etwa auf die dämliche Idee kommen, in den Streik zu treten.

Er stand auf. Die Kapuze saß locker über seinem Kopf, aber die Schutzbrille und das Gesichtsschild ließen sich anpassen, bis sie perfekt saßen. »Wo wollen Sie denn hin?«, fragte Colette.

»Nach draußen, um mir die Gegend einmal anzusehen. Vielleicht finde ich einen Laden, in dem es elektrische Betten zu kaufen gibt.«

Er schloss den obersten Druckknopf seines Mantels, versuchte, sich die Kapuze straffzuziehen, was ihm aber nicht gelang. Jetzt die Schutzbrille. Sofort wurde es dunkler um ihn. Er musste zweimal nach der Türklinke tasten. Drehen und drücken. So. Die Tür regte sich nicht. So.

Er schob noch einmal: »Verklemmt.«

»Oh, du großer Gott im Himmel!«, begann sie. »Bewahre uns vor schrecklichen, überwältigenden, analytischen ...!«

Das war ein weiterer Grund, nach draußen zu gehen. Die Tür erhielt einen energischen Fußtritt und ein paar ausgewählte Flüche. Entweder war es dem Fußtritt zuzuschreiben, dass sie sich nun öffnen ließ, oder die Flüche hatten die eingefrorenen Scharniere erwärmt. Jedenfalls öffnete sie sich ein paar Zentimeter weit. Und dann ließ sie sich widerstrebend aufschieben.