Die Erfindung von Alice im Wunderland - Peter Hunt - E-Book

Die Erfindung von Alice im Wunderland E-Book

Peter Hunt

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Beschreibung

Vor 150 Jahren erschienen »Alice im Wunderland« und »Alice hinter den Spiegeln«. Peter Hunt gratuliert mit einem wunderschön illustrierten Band. Er erzählt, wie die berühmten Nonsens-Romane entstanden und ihren Siegeszug um die ganze Welt antraten. Das ideale Geschenkbuch für alle großen und kleinen Fans! Charles Dodgson alias Lewis Carroll, ein exzentrischer Oxford-Mathematiker, erfand die Abenteuer der kleinen Alice eher beiläufig bei einer Bootsfahrt auf der Themse. Peter Hunt erkennt in den Alice-Romanen einen Meilenstein der Kinderliteratur und erklärt ihren überraschenden Erfolg. Souverän schildert er Biografie und Gefühlswelt ihres eigenwilligen Schöpfers und entschlüsselt Anspielungen und Vorbilder. Zeitgenössische Fotos lassen das Viktorianische England wieder aufleben, während uns John Tenniels unvergessliche Zeichnungen ein Wiedersehen mit der Grinsekatze und dem verrückten Hutmacher bescheren.

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EPUB

Seitenzahl: 126

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Die englische Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel

The Making of Lewis Carroll’s Alice and the Invention of Wonderland.

© 2020 by Bodleian Library, Broad Street, Oxford OX1 3BG.

Diese Ausgabe erscheint gemäß der Vereinbarung mit Bodleian Library

in deutscher Erstübersetzung bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, Darmstadt.

Copyright der deutschen Übersetzung © 2021 Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt

Text © Peter Hunt 2020

Alle Abbildungen, soweit nicht anderweitig vermerkt,

© Bodleian Library, University of Oxford, 2020

Peter Hunt hat sein Recht geltend gemacht, als Autor

dieses Werks genannt zu werden.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind

im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist

ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen,

Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und

Verarbeitung durch elektronische Systeme.

wbg THEISS ist ein Imprint der wbg.

© 2021 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt

Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder

der wbg ermöglicht.

Satz: Textbüro Vorderobermeier GbR, München

Einbandabbildungen: Vorne: Illustration von John Tenniel aus Alice’s Adventures

in Wonderland, 1865. Hinten: Charles Dodgson, 1857. © The Governing Body of Christ Church,

Oxford, Carroll-Photography-[A].VII-Album, fol. 39gr

Einbandgestaltung: Vogelsang Design, Aachen, unter Verwendung des Einbandlayouts der

Originalausgabe von Dot Little, Bodleian Library.

Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-8062-4264-5

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:

eBook (PDF): ISBN 978-3-8062-4265-2

eBook (epub): ISBN 978-3-8062-4266-9

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Impressum

INHALT

CHARLES UND LEWIS: „Mit einem Namen, wie du ihn hast, könntest du jede x-beliebige Form haben, beinahe.“

VORWORT: „Würdest du mir bitte sagen, wie ich von hier aus weitergehen soll?“

1. ZWEI MÄNNER UND DREI MÄDCHEN IN EINEM BOOT

2. VOR ALICE

3. WAS ALICE WUSSTE

4. DIE AUSSENWELT VON CHARLES DODGSON

5. DAS INNENLEBEN VON CHARLES DODGSON

6. VON OXFORD HINAUS IN DIE WEITE WELT

Anmerkungen

Weiterführende Literatur

Abbildungsnachweis

Register

CHARLES UND LEWIS

„Mit einem Namen, wie du ihn hast, könntest du jede x-beliebige Form haben, beinahe.“

Die meisten Autorinnen und Autoren, die zu Charles Lutwidge Dodgson und den „Alice“-Büchern gearbeitet haben, bevorzugen für deren Verfasser seinen Künstlernamen, „Lewis Carroll“. Diesen hatte er im Jahr 1856 angenommen, auf Veranlassung des Herausgebers der Comic Times, zu der er einige unbeschwerte Verse beigetragen hatte. Er schlug zwei Anagramme vor, die aus Charles Lutwidge gebildet waren – „Edgar Cuthwellis“ und „Edgar U. C. Westhill“ –, entschied sich aber schließlich für „Lewis Carroll“, einer typisch Dodgson’schen Logik folgend gewonnen aus Lutwidge (einer Form von Ludovic oder Louis) und Charles (einer Form von Carolus). Wie wir noch sehen werden, war „Lewis Carroll“ für Charles Dodgson nur ein kleiner (wenn auch äußerst profitabler) Teil seines Lebens, zudem einer, den er, soweit ihm dies möglich war, sorgsam von allem anderen trennte. Als im Katalog der Bodleian Library von den mathematischen Werken von Charles Dodgson auf die eher dem Bereich des Fantastischen angehörenden Werke von „Lewis Carroll“ verwiesen werden sollte, erhob er vehement Einspruch. Und so scheint es, da die „Alice“-Bücher dem ganzen Menschen entstammen, am logischsten, auch bei dessen Namen und nicht bei seinem Pseudonym zu bleiben.

VORWORT

„Würdest du mir bitte sagen, wie ich von hier aus weitergehen soll?“

Und doch bedeuten Wörter, wie ihr wisst, mehr, als wir damit ausdrücken wollen, wenn wir sie verwenden: Ein ganzes Buch sollte also schon um einiges mehr bedeuten, als der Autor im Sinn hatte.

– Charles Dodgson über Die Jagd nach dem Schnatz1

Im Dezember 1865 brachte der Londoner Verleger Macmillan das Buch eines 33-jährigen Mathematikdozenten aus Oxford, Charles Dodgson, heraus. Es war zu einer gewissen Verzögerung gekommen, da die Qualität des ersten Drucks, für den Dodgson selbst aufgekommen war – was ihn fast ein Jahresgehalt gekostet hatte –, nicht seinen peniblen Ansprüchen genügte. Es war ein Kinderbuch, aber ein eher eigenartiges, denn es war vom seinerzeit berühmtesten Illustrator und Satiriker, John Tenniel, illustriert, und seltsamer noch: Es unterschied sich von fast jedem bisher erschienenen Kinderbuch darin, dass dahinter keine moralische Aussage zu stehen schien. Das Buch hieß Alice’s Adventures in Wonderland (dt.: Alice im Wunderland) und 153 Jahre später war es – zusammen mit seiner Fortsetzung Through the Looking-Glass (1872, dt.: Alice hinter den Spiegeln) – so sehr Teil einer weltumspannenden Kultur geworden, dass der russische und der britische Botschafter bei den Vereinten Nationen im Streit über die mutmaßliche Vergiftung eines Spions in Großbritannien Zitate daraus austauschten.

Die „Alice“-Bücher gehören zu den meistzitierten, am häufigsten angeführten, bekanntesten (wenn auch vielleicht nicht immer tatsächlich gelesenen) Büchern in englischer Sprache, denen zudem nachgesagt wird, sie hätten den Lauf der Kinderliteratur geändert – durch eine bis zur Anarchie reichende Parteiname für den kindlichen Leser und die kindliche Leserin. Aber das ist es nicht, was sie für die Fans so faszinierend macht und für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Tausende von Artikeln und Hunderte von Büchern darüber hervorgebracht haben. Sie unterscheiden sich von den meisten Kinderbüchern, die vor ihnen kamen (und den meisten, die nach ihnen kamen) durch ihre schiere Dichte: Es gibt kaum einen Satz, der nicht mehrere Bedeutungen, vielerlei Scherze, verschlüsselte Anspielungen auf intellektuelle, politische und persönliche Dinge transportieren würde. Da gibt es keine Überlänge, kein Beiwerk, keine Nebensächlichkeiten, kaum irgendeine Abweichung von einer auf das Kind ausgerichteten Erzählstimme: Wir haben es hier mit Büchern zu tun, in denen ein erstaunlich beweglicher, komplexer und spielerischer Geist unmittelbar und emphatisch mit seinem Publikum kommuniziert. Außerdem war Dodgsons Geist ganz der eines in sich widersprüchlichen Menschen aus der mittleren Periode des Viktorianischen Zeitalters – man sollte nicht vergessen, dass die Entstehungszeit von Wunderland und Hinter den Spiegeln fast genau in die Mitte der Regierungszeit von Queen Victoria fällt.

Der übergenaue Charles Dodgson nahm Anteil an jedem Aspekt der Gestaltung seiner Bücher – sogar am Entwurf der Titelseite. Dies war wahrscheinlich der erste Versuch, irgendwann im Jahr 1864: Die Illustration und die Falschschreibung von Tenniels Namen blieben nicht bis zur endgültigen Version erhalten. Die Zunahme der Anzahl der Illustrationen auf die mystische Zahl von 42 (siehe Kap. 5) stand noch bevor.

Die Entstehungsgeschichte der Bücher zu enträtseln, ist ein besonders gefährliches Unterfangen: So undurchsichtig sind die Spiele, die der Autor treibt, dass jeder, der nach den Bausteinen der Bücher sucht, mit einem Gewebe aus Möglichkeiten, Wahrscheinlichkeiten, Spekulationen und sehr oft auch Dingen zurückbleibt, die auf so geniale Weise psychedelisch sind, dass wir wünschten, sie wären wahr. Diese Bücher sind der Traum eines jeden Verschwörungstheoretikers!

Das Ganze wird dadurch nicht gerade einfacher, dass es vier „Alice“-Bücher gibt: Da ist eine handschriftliche Version, Alice’s Adventures Under Ground, die Dodgson seiner kindlichen Freundin Alice Liddell zueignete. Er entwickelte dieses Material dann zur letztlich publizierten Fassung Alice’s Adventures in Wonderland (dt.: Alice im Wunderland) weiter. Dann, nach fünf Jahren sporadischer Arbeit daran, kam die Fortsetzung Through the Looking-Glass (dt.: Alice hinter den Spiegeln). Wunderland und Hinter den Spiegeln sind im Bewusstsein der Leserinnen und Leser so miteinander verschmolzen, dass selbst glühende Verehrerinnen und Verehrer der Bücher (und sicherlich der britische Botschafter) sich damit schwer täten, zu sagen, welche Figur in welchem Buch vorkommt. Außerdem war, während Under Ground und in geringerem Maße Wunderland für ein Kind verfasst waren, Hinter den Spiegeln für Kinder geschrieben, wobei es aber paradoxerweise einen unverkennbar persönlichen und elegischen Ton hat, der das verlorene Kind aus dem ersten Buch heraufbeschwört. Und schließlich ist da The Nursery „Alice“ (dt.: Die kleine Alice), Dodgsons ebenso radikale wie sentimentale (und für einen Großteil der modernen Leserschaft hochgradig peinliche) Neufassung aus dem Jahr 1890, die ganz offenkundig auf ein jüngeres Publikum abzielte.

Winston Churchills berühmter Ausspruch über Russland aus dem Jahr 1939 ließe sich auch auf die „Alice“-Bücher übertragen: Sie sind „ein Rätsel, umgeben von einem Mysterium, das in einem Geheimnis steckt; aber vielleicht gibt es einen Schlüssel.“ Dieses Buch begibt sich auf die Suche nach einem Schlüssel – auch wenn die Aufgabe nicht minder schwierig zu bewältigen ist als der Versuch von Alice, in dem großen Saal von Wunderland den goldenen Schlüssel zu fassen zu bekommen. Wir werden allerhand Schrumpf- und Wachstumsprozesse und Herumgeplantsche über uns ergehen lassen müssen.

Dodgson war trotz des Bildes, das uns oft vermittelt wird, nämlich das eines zurückgezogenen Dozenten, der ein beschauliches Leben zwischen den verträumt daliegenden Turmspitzen von Oxford führt, ganz ein Mann seiner Zeit. Er war sich nicht nur überdeutlich sozialer, kultureller und religiöser Fragen bewusst, sondern er war, wie das Viktorianische Zeitalter selbst, ein Bündel von Widersprüchen. Folgt man seiner eigenen Darstellung, so wurden seine Bücher nach und nach entwickelt: Als er die erste Geschichte zu Papier gebracht habe, so merkte er an, habe er „viele neue Ideen hinzugefügt, die ganz von selbst aus dem ursprünglichen Material zu wachsen schienen.“

Dieses Buch unterzieht die verschiedenen Schichten von Ideen einer näheren Betrachtung, die in die Entstehung der „Alice“-Bücher einflossen. Zuerst ist da die Welt, die die ursprüngliche Alice und ihre Geschwister wiedererkannt hätten: Under Ground und Wunderland sind voller privater Scherze und Anspielungen. Dann ist da die Welt, in der Dodgson lebte: die Welt von Oxford, die Welt der großen und kleinen Politik, die Welt viktorianischer religiöser und intellektueller Scharmützel, die sich über den Köpfen der Kinder abspielten. Und dann ist da die private Welt in Charles Dodgsons Kopf. Humphrey Carpenter beschrieb Charles Kingsley, den Mann, der ein anderes berühmtes Kinderbuch (vielleicht das neben Alice berühmteste) dieser Zeit, The Water Babies (dt.: Die Wasserkinder), schrieb, als „den ersten Schriftsteller Englands, vielleicht den erstenweltweit mit Ausnahme von Hans Christian Andersen, der entdeckt hat, dass ein Kinderbuch das perfekte Vehikel für die persönlichsten und privatesten Belange eines Erwachsenen sein kann.“2 Charles Dodgson hätte dem sicher zugestimmt, aber als ein Meister der intellektuellen Verhüllung tendierte er, anders als Kingsley, nicht dazu, sein Herz auf der Zunge zu tragen.

Charles Dodgson, Mathematikdozent in Christ Church im Alter von 26 Jahren – ein „unterstütztes Selbstporträt“, 2. Juni 1857. Er schrieb in sein Tagebuch: „Verbrachte den Morgen im Dekanat … Die zwei lieben kleinen Mädchen, Ina und Alice, waren den ganzen Morgen über bei mir. Um die Linsen auszuprobieren, machte ich ein Bild von mir selbst, für das Ina den Kameradeckel abnahm und natürlich alles für ihr Werk hielt.“

„Meine ideale kindliche Freundin.“ Ein liebevolles Porträt der rätselhaften Alice Liddell, im Sommer 1858 im Alter von sechs Jahren. Dodgson wandte die sogenannte Kollodium-Nassplatten-Technik an, woraus Glasplattennegative (und reichlich Flecken auf den Händen des Fotografen) resultierten.

Bevor wir beginnen, sind ein paar warnende Worte angebracht. Manche Kritiker stimmen mit dem ersten Kinderbuchhistoriker, F. J. Harvey Darton, überein, wenn er sagt, es gebe „von Anfang bis Ende keinen verborgenen Gedanken, kein tieferes Motiv in den ‚Alice‘-Büchern.“3 Aber die meisten würden Derek Hudsons Ansicht teilen, dass „die ‚Alice‘-Bücher … bis zu einem gewissen Grad ein autobiografisches Sammelsurium [sind], das mit außergewöhnlichem Können ineinander verwoben ist: eine Odyssee des Unterbewussten.“4 Andere sind, wie Martin Gardner, Herausgeber von The Annotated Alice (dt.: Alles über Alice), vorsichtiger:

Der springende Punkt freilich ist, daß jedes beliebige Nonsens-Werk von einladenden Symbolen nur so wimmelt, so daß man dem Autor ganz nach Belieben irgendetwas unterstellen kann und dafür dann zuhauf Belege beibringen kann … [Die Sache ist die,] daß Bücher mit phantastischen Nonsens-Geschichten nicht so ein fruchtbarer Quell psychoanalytischer Einsichten sind, wie man das zunächst annehmen möchte. Sie sind nämlich überreich an Symbolen. Die Symbole ziehen zu viele Erklärungen nach sich.5

So werden wir also zwischen den Polen des allzu Einfachen und Wortwörtlichen und des zu Komplizierten und Spekulativen navigieren müssen … was uns zu einem historischen Moment bringt: ein gewisses Boot auf einem gewissen Fluss an einem bestimmten Tag eines bestimmten Jahres.

1

ZWEI MÄNNER UND DREI MÄDCHEN IN EINEM BOOT

Und es war wirklich ein wenig ärgerlich … daß sie zwar im Vorübergleiten sehr viele schöne Binsen einheimsen konnte, aber immer stand eine noch schönere dort, wo sie sie nicht mehr zu fassen bekam.1

Es gab vieles, was den facettenreichen Charles Dodgson amüsierte, und was sicher dazugehört hätte, ist die Art, wie die Welt sein verschlungenes, zum Obsessiven tendierendes und seine Gestalt ständig änderndes Universum in eine schlichte Geschichte zu verwandeln trachtete.

Wo könnte man mit diesem Prozess besser beginnen als bei dem berühmtesten Bootsausflug in der Erzählkunst – oder dem berühmtesten fiktionalen Bootsausflug. Wir schreiben Freitag, den 4. Juli 1862. Schauplatz ist die Themse nahe Oxford (deren dortiger Teil auch als „Isis“ bekannt ist, eine fälschliche Ableitung von „Tamesis“). Zwei junge Kirchenmänner, Charles Dodgson (29) vom Christ-Church-College (bekannt als „The House“), der beim Rudern den Platz im Bug einnimmt, und sein Freund Robinson Duckworth (27) vom Trinity College, der den im Heck einnimmt, machen mit dreien der Töchter des Dekans von Christ Church – Lorina (13), Alice (10) und Edith (8) – einen Bootsausflug. Daran ist nichts Ungewöhnliches: Tatsächlich ist es eine Art Mode – und taktisch vermutlich nicht unklug – unter jungen Dozenten, die Töchter ihrer älteren Kollegen zu solchen Ausflügen mitzunehmen. Vielleicht weil die Szenerie auf dem Weg flussaufwärts nach Osney eher langweilig ist, bitten die jungen Damen um eine Geschichte – oder deren Fortsetzung, denn dies ist nicht die erste derartige Expedition. Charles, der als Teenager Erzählungen für Familienzeitschriften geschrieben (darunter eine Satire auf die angelsächsische Dichtung mit dem Titel „Jabberwocky“) und humorvolle Verse zur Comic Times beigesteuert hatte, willigt ein.

„Wie üblich“, erinnerte sich Alice im Alter, „wurden wir drei Kinder, nachdem wir unser Boot mit der größten Sorgfalt ausgewählt hatten, im Heck verstaut, und Mr. Dodgson nahm den Platz des Schlagmanns ein.“ John und Stephen Salters Bootsanleger, Folly Bridge, Oxford (ca. 1870), wo der berühmte Ausflug vermutlich seinen Ausgang nahm.

Viele Jahre später – und man sollte nicht vergessen, dass es tatsächlich viele Jahre später war, nämlich 1899 – erinnerte sich Duckworth an den Ausflug:

… tatsächlich wurde die Geschichte über meine Schulter hinweg komponiert und gesprochen für Alice Liddell, die als „Steuermann“ unseres Boots agierte. Ich kann mich erinnern, wie ich mich umdrehte und sagte, „Dodgson, ist das eine Stegreifgeschichte von dir?“ Und er gab zurück, „Ja, ich erfinde sie, während wir fahren.“2

Alice’ Vater, Henry George Liddell (1811–1898), der respekteinflößende Dekan von Christ Church, war gar kein schlechter Künstler und hatte eine Gabe für Stegreifskizzen. Diejenigen, die er zwischen 1855 und 1891 mit seinem goldenen Füllfederhalter während der College-Sitzungen auf dem offiziellen rosa Löschpapier hervorbrachte, wurden sofort zu Sammelobjekten.

(Auch Duckworth war sich im Übrigen nicht zu schade, etwas zu der Erzählung beizusteuern, von ihm stammt offenbar die Idee mit der Falschen Suppenschildkröte.) Alice Liddell selbst, die 1934 verstarb, entsann sich – und das Verb ist nur zu angebracht – im Alter „des strahlenden Sommernachmittags“, und Dodgson begann die publizierte Fassung, Alice’s Adventures in Wonderland, mit einem passend idyllischen Vers:

Gemach im goldenen Nachmittag

Gleiten wir leis dahin …

Und natürlich endete die Geschichte, wie wir gesehen haben, nicht hier: Als sie nach Hause kamen, schrieb Dodgson die Geschichte als Alice’s Adventures Under Ground nieder, fügte seine eigenen Illustrationen hinzu und überreichte das Werk Alice.

Das ergibt eine gute Geschichte, und das sollte es auch, denn der Großteil davon ist eine Geschichte: Nicht, dass es etwa eine bewusste Erfindung gewesen