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**Öffne deine Augen und entdecke Magie** Die Welt ist nicht so, wie sie scheint. Das muss auch die Medizinstudentin Miriam feststellen, als sie plötzlich in ihrer Wohnung zusammenbricht und eine unvorstellbare Macht in ihr zum Vorschein kommt – eine magische Sicht, die ihr wundersame Dinge offenbart. Doch so faszinierend diese Fähigkeit auch ist, so gefährlich kann sie für Miriam werden. Immer häufiger gerät sie in das Visier der »Suchenden«, die nach ihrem besonderen Blut und damit nach ihrem Leben trachten. Zu ihrem Schutz wird Miriam von gleich drei Wächtern bewacht, zu denen auch der unwiderstehliche Sin gehört. Gemeinsam mit ihm muss sie sich schließlich der Dunkelheit und ihrem übermächtigen Feind stellen… //Dies ist ein Roman aus dem Carlsen-Imprint Dark Diamonds. Jeder Roman ein Juwel.// //Alle Bände der düster-romantischen Geschichte von Sin und Miriam: -- Die Erwachte: Die Geschichte von Sin und Miriam 1 -- Der Wächter: Die Geschichte von Sin und Miriam 2 -- Die Revolution: Die Geschichte von Sin und Miriam 3//
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Veröffentlichungsjahr: 2018
Dark Diamonds
Jeder Roman ein Juwel.
Das digitale Imprint »Dark Diamonds« ist ein E-Book-Label des Carlsen Verlags und publiziert New Adult Fantasy.
Wer nach einer hochwertig geschliffenen Geschichte voller dunkler Romantik sucht, ist bei uns genau richtig. Im Mittelpunkt unserer Romane stehen starke weibliche Heldinnen, die ihre Teenagerjahre bereits hinter sich gelassen haben, aber noch nicht ganz in ihrer Zukunft angekommen sind. Mit viel Gefühl, einer Prise Gefahr und einem Hauch von Sinnlichkeit entführen sie uns in die grenzenlosen Weiten fantastischer Welten – genau dorthin, wo man die Realität vollkommen vergisst und sich selbst wiederfindet.
Das Dark-Diamonds-Programm wurde vom Lektorat des erfolgreichen Carlsen-Labels Impress handverlesen und enthält nur wahre Juwelen der romantischen Fantasyliteratur für junge Erwachsene.
Sabine Schulter
Die Erwachte (Die Geschichte von Sin und Miriam 1)
**Öffne deine Augen und entdecke Magie** Die Welt ist nicht so, wie sie scheint. Das muss auch die Medizinstudentin Miriam feststellen, als sie plötzlich in ihrer Wohnung zusammenbricht und eine unvorstellbare Macht in ihr zum Vorschein kommt – eine magische Sicht, die ihr wundersame Dinge offenbart. Doch so faszinierend diese Fähigkeit auch ist, so gefährlich kann sie für Miriam werden. Immer häufiger gerät sie in das Visier der »Suchenden«, die nach ihrem besonderen Blut und damit nach ihrem Leben trachten. Zu ihrem Schutz wird Miriam von gleich drei Wächtern bewacht, zu denen auch der unwiderstehliche Sin gehört. Gemeinsam mit ihm muss sie sich schließlich der Dunkelheit und ihrem übermächtigen Feind stellen …
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Vita
Danksagung
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© privat
Sabine Schulter wurde 1987 in Erfurt geboren, lebt nun aber mit ihrem Mann in Bamberg. Trotz ihres abgeschlossenen Oecotrophologie-Studiums fokussierte sie sich auf das Schreiben von Fantasy-Büchern. Sie liebt das Spiel mit den Emotionen und möchte ihre Leser tief in ihre Bücher ziehen, die oft von dem Zusammenspiel der Protagonisten untereinander geprägt sind. Viel Spannung gehört in ihre Geschichten genauso wie ein Happy End und unvorhergesehene Wendungen.
Magie steckt in so vielen Dingen unseres Lebens – wir müssen nur lernen, sie zu sehen.
Sin
Drei Jahre war es her, dass er diese Stadt verlassen hatte, doch nun kehrte er zurück, stieg an einem herrlichen Frühsommertag aus seinem Wagen und blickte an der Fassade des Hauses empor, in dem sich seine neue Wohnung befand.
Es tut gut, wieder hier zu sein, dachte er und freute sich bereits darauf, zu seinem Schützling zu können. Sie wohnte nur zwei Straßen entfernt und wurde im Moment von seinem besten Mann bewacht. Das dachte er zumindest. Als er die Straße hinabsah, fiel sein Blick auf eben diesen besten Mann, der ihm lächelnd entgegenkam.
»Fire«, begrüßte er ihn freudig und schloss ihn kurz, aber herzlich in die Arme. »Was machst du hier? Solltest du nicht auf Miriam aufpassen?«
Sein Kollege, aber auch älterer Bruder winkte ab. »Storm hat meine Schicht übernommen und ist bei ihr. Ich wollte dich begrüßen, jetzt, wo du wieder hier bist. Ich hätte dir ja Bescheid gegeben, aber du hattest dein Headset nicht auf.«
Stimmt, während des Autofahrens legte er es meist ab, da ihn die Funksprüche zu sehr ablenkten. Beruhigt atmete er durch, nun da er wusste, dass sein Schützling in Sicherheit war.
Mit einem schiefen Lächeln sah er seinen älteren Bruder an. Er war fünf Jahre älter als er selbst und besaß die gleichen blonden Haare, trug sie jedoch kürzer. Von der Statur her ähnelten sie sich sehr, genauso von der Größe, doch sein Bruder war etwas muskulöser und auch blasser. Letzteres kam daher, dass er selbst die letzten drei Jahre in Ägypten verbracht hatte, um seine Ausbildung zu beenden.
Fire hatte in dieser Zeit alle Hände voll zu tun, Miriam von der anderen Welt fernzuhalten beziehungsweise diese Welt von ihr.
»Jetzt lass mich dir aber bei deinem Gepäck helfen, Sin. Ich habe gehört, das Hauptquartier zahlt dir einen schon fast unanständigen Lohn und bin daher auf deine neue Wohnung gespannt«, sagte Fire und blickte ebenfalls an der Fassade des Hauses empor.
Sin musste grinsen. »Ja, unanständig ist sehr passend. Scheinbar habe ich ihre Erwartungen übertroffen. Sonst hätten sie mir nicht den Posten des ersten Wächters angeboten.«
Sein Bruder lächelte zurück. »Werde jetzt nur nicht hochmütig, kleiner Bruder.«
Sin schüttelte den Kopf. »Die Arbeit als Wächter würde mich schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholen.«
»Das ist wohl wahr«, stimmte ihm Fire zu. »Nachher muss ich dir noch Bericht erstatten.« Er trat an Sin vorbei und öffnete die Heckklappe des Autos, um eine der Taschen herauszufischen.
Sin blickte derweil ungeduldig auf die Uhr. Es ging bereits auf vier Uhr zu und er wollte noch bei Miriam vorbeischauen, bevor diese mit Storm joggen ging. Als er den Kopf hob, sah er den verständnisvollen Ausdruck in Fires goldenen Augen.
»Vielleicht solltest du mir die Schlüssel dalassen und bei unserem Schützling vorbeischauen«, meinte er mit einem Zwinkern.
Grinsend warf Sin seinem Bruder die Schlüssel zu und benutzte gleichzeitig seine Magie, um mit einer einzigen fließenden Bewegung auf das dreißig Meter hohe Haus zu springen und dabei seine Gestalt vor neugierigen Blicken zu schützen. Geschmeidig landete er auf den Ziegeln und lief flink über die Dächer. Zwei Straßenschluchten musste er überspringen, ehe er in der Straße ankam, in der Miriam wohnte.
Schon als er vor drei Jahren fortging, lebte sie hier, weswegen es ihm nicht schwerfiel, die Fenster zu ihrer Wohnung ausfindig zu machen. Die Doppelglastüren zu dem kleinen Balkon standen offen und ließen die frische Luft des Frühsommers herein.
Vorsichtig hockte sich Sin neben einen Schornstein und schärfte seine Augen mit Magie, um in die Wohnung blicken zu können. Hier hatte sich in den letzten drei Jahren offensichtlich nicht viel verändert, denn das, was er von dem Zimmer erkennen konnte, kam ihm sehr bekannt vor.
Er bemerkte Storm, die bereits in ihren Sportsachen auf Miriams Sofa saß. Natürlich wusste sein Schützling nicht, dass Storm eine Wächterin war, genauso wenig ahnte sie etwas von Fire oder ihm selbst. Storm redete eifrig mit jemandem, den er nicht sehen konnte. Scheinbar befand sich Miriam in der kleinen Küche, die an das Wohnzimmer angrenzte. Mit klopfendem Herzen wartete Sin darauf, dass sie zu Storm trat.
Neun Jahre hatte er jeden Tag über sie gewacht, bevor er sie vor drei Jahren verlassen musste, um seine Ausbildung abzuschließen. Wie war es ihr seither ergangen? Natürlich hatte er jede Woche einen Bericht erhalten, um auf dem Laufenden zu bleiben, doch es war etwas anderes, sie auch zu sehen.
Endlich tauchte sie auf und ließ sich mit zwei vollen Gläsern auf das Sofa sinken. Eines davon reichte sie Storm und lachte über etwas, das die Wächterin sagte. Ein Stein fiel Sin vom Herzen. Miriam sah gut aus, voller Leben und Energie. Ihre braunen Haare waren länger und ihre Züge und Kurven erwachsener, weiblicher geworden. Wie alt war sie inzwischen? Zweiundzwanzig?
In diesem Moment runzelte sie die Stirn, blickte auf und direkt in seine Richtung. Obwohl Sin wusste, dass sie ihn nicht sehen konnte, wich er in den Schutz des Schornsteins zurück. Überrascht beobachtete er, wie Miriam aufsprang und auf den Balkon eilte, um mit weit aufgerissenen Augen das Dach abzusuchen, auf dem er sich versteckt hielt.
Miriam
Es war ein wundervoll sonniger Tag und ich freute mich bereits darauf, mit Sophie joggen zu gehen. Gleich um die Ecke lag ein kleiner Park, in dem es sich gut laufen ließ. Ich kam mit zwei Gläsern aus der Küche und sog tief die frische Luft ein, die durch die Balkontüren hereinwehte. Sophie erzählte gerade von dem Jungen aus unserem Studiengang, der sie auf der letzten Party angesprochen hatte.
»Und dann wendet er sich tatsächlich zur Seite und kotzt mitten auf die Tanzfläche«, rief Sophie aus. Prustend ließ ich mich neben sie auf das Sofa fallen, bevor sie mir mit einem Lachen das Glas aus der Hand nahm.
»Warte ab, bis du ihm das nächste Mal begegnest«, meinte ich und musste mich erst einmal beruhigen, bevor ich etwas von meinem Wasser trinken konnte. »Wahrscheinlich wird er dir nie mehr in die Augen blicken können.«
Sophie seufzte. »Schade, dass er sich erst volllaufen lassen musste, bevor er sich getraut hat mich anzusprechen. Ich mochte ihn.«
Ihre Heiterkeit verwandelte sich jedoch schnell in eine ernste Miene, als sie mir ins Gesicht sah. Den letzten Satz hatte ich kaum mitbekommen, denn ein sehr bekanntes Gefühl forderte meine Aufmerksamkeit.
Es war wieder da!
Mein Herz begann zu klopfen und mein Blick schoss aus dem Fenster und über die Dächer des gegenüberliegenden Hauses.
»Es ist zurück«, hauchte ich, sprang von den Polstern auf und eilte an Sophie vorbei, bevor diese etwas erwidern konnte. Seit meinem zehnten Lebensjahr hatte ich ständig das Gefühl gehabt, beobachtet zu werden, doch nie entdeckte ich auch nur das geringste Anzeichen von jemandem. Es war richtig gespenstig. Zu Beginn hatte es mich so nervös gemacht, dass ich abgespannt und aufgewühlt durch die Gegend hetzte, mit der Zeit gewöhnte ich mich jedoch daran und verspürte Behaglichkeit, solange der unsichtbare Blick auf mir ruhte. So widernatürlich es auch klang, aber wenn man sich nie allein fühlte, konnte daraus durchaus Sicherheit wachsen.
Vor drei Jahren dann, als ich mein Medizinstudium hier in München begann, war mein unsichtbarer Beschützer einfach verschwunden. Von einem Moment auf den anderen hatte ich mich schutzlos und verlassen gefühlt. Damals erzählte ich Sophie von diesem eigenartigen Beobachter, doch sie hatte es als Einbildung abgetan, mich jedoch immer getröstet, wenn ich traurig vor Einsamkeit war. Selbst in der Gegenwart meines letzten Freundes hatten mich diese Emotionen manchmal eingeholt. Vielleicht hatte es deswegen nicht so lange mit uns gehalten, denn er hat mir nie die Sicherheit gegeben, die ich brauchte. Nun war das Gefühl der Beobachtung zurück und mein Herz jubilierte.
»Soph, es ist wieder da!«, rief ich ihr über die Schulter zu.
Sie trat zu mir auf den Balkon und ließ ebenfalls ihren Blick über das Dach gegenüber gleiten. Mir schien, dass er etwas länger auf einem bestimmten Fleck ruhte, doch dann schüttelte sie den Kopf und sah mich mit einem kleinen, traurigen Lächeln an. »Miri, da ist nichts.«
Mit einem Stirnrunzeln musste ich ihr recht geben, doch das Gefühl spürte ich weiterhin. Da konnte sie sagen, was sie wollte.
»Na gut«, wiegelte ich ab, damit sie mich nicht für verrückt hielt. »Lass uns joggen gehen.«
Sophie folgte mir zurück in die Wohnung, jedoch nicht ohne noch einmal einen Blick auf das gegenüberliegende Dach zu werfen.
***
Es war bereits spät am nächsten Tag, als ich mich müde streckte und dazu entschloss, lang genug über dem Buch der inneren Medizin gebrütet zu haben. Ich sah auf meine Uhr und seufzte. Es war schon nach halb acht und der Abend viel zu schön, um ihn in der Bibliothek zu verbringen. Sophies letzte Vorlesung würde gleich vorbei sein und vielleicht konnten wir zusammen noch etwas essen gehen, dann bräuchte ich nicht mehr zu kochen.
Ich entschloss mich ihr entgegenzulaufen, packte schnell meine Sachen zusammen und stellte den dicken Wälzer zurück in das Regal. Das Buch war zu schwer, um es mit nach Hause zu nehmen, also würde ich auch die nächsten Tage in der Bibliothek verbringen müssen, selbst wenn die Sonne lockte.
Ich verließ das alte Gebäude und lief durch einen kleinen, verwachsenen Garten zum gegenüberliegenden Haus. Wo genau hatte Sophie noch mal Vorlesung? Im ersten oder zweiten Stock? Es gab nur zwei Räume, die infrage kamen, also entschied ich mich für den im ersten Stock.
Während ich durch die Gänge trabte, wühlte ich in meiner Tasche nach meinem Handy. Irgendwie fand ich nie, was ich suchte. Zum Glück kannte ich den Weg in- und auswendig und konnte mich komplett auf das Aufspüren meines Handys konzentrieren. Darin vertieft steuerte ich um eine Kurve und lief prompt in jemanden hinein. Mit einem überraschten Laut versuchte ich mein Gleichgewicht wiederzuerlangen, scheiterte aber und wäre wohl hingefallen, wenn mein Gegenüber mich nicht am Arm gepackt und wiederaufgerichtet hätte.
»Hoppla, nicht so schwungvoll«, sagte eine tiefe, angenehme Stimme. Ich spürte, wie ich vor Scham rot anlief, und hob meinen Blick.
»Tut mir leid …«, begann ich, verstummte aber überrascht.
Vor mir stand ein Mann, der mir glatt den Atem nahm.
Seine blauen Augen musterten mich überrascht und wurden leicht von blondem Haar verdeckt. Seine Haut war gebräunt, so als wäre er gerade erst aus dem Urlaub zurückgekehrt, und er trug eine einfache Jeans und ein T-Shirt, das mir ungehinderte Sicht auf die schlanken Muskeln seiner Arme bot. Zudem waren wir uns so nah, dass ich seinen Geruch wahrnahm, der irgendetwas in mir anschlug. Ich musste schlucken und er verzog den Mund zu einem amüsierten Lächeln.
Reiß dich zusammen, Miriam!, ermahnte ich mich und trat einen halben Schritt zurück, sodass er mich loslassen musste.
»Entschuldige«, setzte ich noch einmal mit einem nervösen Lächeln an. »Ich sollte nicht blindlings durch die Gänge laufen, während ich mit anderen Dingen beschäftigt bin.«
»Da hast du nicht unrecht, sonst rennst du noch unschuldige Menschen über den Haufen.« Er zwinkerte mir zu, was mich erneut erröten ließ. Sein Lächeln war faszinierend und mir gefiel es, wie sein blondes Haar ihm in die Stirn fiel.
In diesem Moment tauchte Sophie am Ende des Ganges auf.
»Miriam?« Überrascht zuckte ihr Blick zu dem jungen Mann und umwölkte sich augenblicklich. Er bemerkte das scheinbar auch, denn er gab sich sichtlich einen Ruck.
»Pass das nächste Mal etwas mehr auf, wohin du läufst«, sagte er und zwinkerte mir noch einmal zu, bevor er an mir vorbei den Flur entlangging.
»Miri, was wollte der Kerl?«, fragte Sophie, als sie bei mir ankam.
»Nichts«, meinte ich und sah ihm verstohlen hinterher.
Als hätte er meinen Blick gespürt, schaute auch er über die Schulter zurück. Und wieder wurde ich puterrot. Schnell wandte ich mich ab.
»Ich wollte dich überraschen und bin aus Versehen in ihn hineingerannt.« Ich atmete tief durch. »Himmel, sah der gut aus! Weißt du zufällig, ob er hier studiert?«
Sophie betrachtete mich finster. »Nein.«
Verdutzt über ihre schlechte Laune ruderte ich zurück. »Ist ja auch egal. Hast du zufällig Lust, mit mir essen zu gehen? Ich will um die Uhrzeit nicht mehr kochen.«
Sofort hellte sich Sophies Gesicht auf. »Na klar, lass uns gehen.«
***
Wir entschieden uns für die kleine Pizzeria an einer Straßenecke ganz in der Nähe meiner Wohnung. Von der Universität und auch von Sophies Wohnung lag sie ein ganzes Stück entfernt, aber Sophie war es lieber, wenn wir bei mir in der Nähe aßen und ich keinen so langen Weg nach Hause hatte.
Die gute Sophie. Immer war sie besorgt um mich. Das zeigte sich bereits, als wir uns im Gymnasium kennenlernten, und ich fragte mich nicht zum ersten Mal, womit ich ihre Fürsorge verdient hatte. Mit einem Schulterzucken schob ich den Gedanken beiseite, während ich mir die Hände auf der kleinen Toilette des Restaurants abtrocknete. Sophie wartete nur noch auf die Rechnung, dann würden wir gehen. Es war bereits recht spät und ich froh bald nach Hause zu kommen. Ich verließ die Toilette und bahnte mir meinen Weg zurück zu unserem Tisch, an dem Sophie wild gestikulierend telefonierte.
»Sin, mir ist es egal, ob es ein Versehen war. Das hätte nicht passieren dürfen … Aber … Das ist mir auch egal!«, zischte sie wütend, bevor sie erneut zuhörte und schließlich laut seufzte, als würde ihre ganze Welt zerbrechen. »Kaum bist du wieder da, machst du mir das Leben schwer … Ja, ganz wie du wünschst.«
Obwohl sie mürrisch klang, stahl sich Belustigung in ihre Stimme und sie rieb sich resigniert über die Stirn. Dann blickte sie sich plötzlich um und bemerkte mich.
»Ich muss jetzt Schluss machen … Ja, bis später.« Dann legte sie auf, während ich mich auf meinen Stuhl setzte.
»Was war denn?«, fragte ich unschuldig. Sin war ein ungewöhnlicher Name.
Sophie winkte ab. »Nur ein alter Freund, der, kaum dass er wieder in der Stadt ist, Unfug macht. Lass uns nach Hause gehen. Ich habe die Rechnung bezahlt, aber das nächste Mal bist du dran.« Sie nahm ihre Jacke von der Lehne ihres Stuhls und ich tat es ihr gleich.
»Na klar! Oder ich koche mal wieder für dich.«
Ihr begeisterter Blick auf dieses Angebot sprach Bände.
Vor der Pizzeria umarmten wir uns kurz und verabschiedeten uns dann. Ich blickte meiner Freundin hinterher, bis sie um die nächste Ecke ging, und machte mich dann auf den kurzen Weg nach Hause.
Das Gefühl, beobachtet zu werden, trat wieder ein und ich seufzte erleichtert auf. Wie sehr man so etwas doch vermissen konnte, wenn man sich jahrelang daran gewöhnt hatte. Selbst wenn es die Empfindung war, beobachtet zu werden.
Mir ging die Begegnung mit dem hübschen Kerl vorhin noch einmal durch den Kopf. Ob ich ihm erneut begegnen würde? Ich hoffte es. Seine Gegenwart hatte sich irgendwie … richtig angefühlt. Ich spürte überrascht, wie mein Herz bei dem Gedanken an ihn schneller schlug. Na hoppla, hatte er es mir nach dieser kurzen Begegnung bereits so angetan? Mit einem verschmitzten Lächeln und einem Blick hoch zu meinem unsichtbaren Beobachter ging ich nach Hause.
***
Sin
Sophie oder eher Storm, wie sie unter den Wächtern genannt wurde, saß neben ihm auf dem Dach und blickte hinab zu den erleuchteten Fenstern von Miriams Wohnung.
»Und sie hat noch keinerlei Anzeichen gezeigt, dass ihr Blut bald erwachen wird?«, fragte er und klopfte mit dem Fuß ungeduldig auf das Dach.
Storm war noch immer wütend auf ihn, weil er nach der kurzen Besprechung mit ihr direkt in Miriam hineingerannt war. Er dachte daran zurück und spürte sofort wieder das aufgeregte Herzklopfen aufbranden. Es war das erste Mal gewesen, dass sie ihn direkt angesehen hatte.
Schnaubend schüttelte Sophie den Kopf. »Nein, und lenk nicht ab. Du weißt, dass sie dich noch nicht treffen darf.«
Natürlich wusste er das. Dass Miriam so gut mit einer ihrer Wächterinnen befreundet war, konnte nur als bisher noch nie da gewesene Ausnahme betitelt werden. Storm entschied sich erst sehr spät dazu, den Wächtern beizutreten, und damals hatte sie sich bereits mit Miriam angefreundet. Allerdings hatte es sich als äußerst effizient herausgestellt, einen Wächter so nah bei dem Schützling zu haben.
Doch Sin kannte die Regeln nur zu gut. Die Wächter mussten sich vor den Schützlingen verborgen halten. Entweder bis ihr Blut erwachte und sie ihre magische Tarnung durchblickten oder bis einer ihrer Feinde den zu Beschützenden angriff. Beides war bei Miriam noch nicht der Fall gewesen und Sin spürte Stolz, weil sein Team so gut arbeitete und Miriam bisher vor den Augen der Suchenden verborgen blieb. Nur dieser Tatsache war es zu verdanken, dass er bereits zu einem ersten Wächter aufsteigen konnte. Doch es hielt ihn von Miriam fern, obwohl er sie jetzt bereits seit zwölf Jahren kannte. Ein wenig beneidete er Storm.
»Sei nicht so streng, Storm«, sagte Fire, der hinter ihnen an einem Schornstein lehnte. Er würde die Nachtschicht übernehmen und suchte frisch ausgeruht die Gegend ab. »Es war ja keine Absicht.«
Storm seufzte und warf ihre langen roten Haare nach hinten. Sin wusste, dass sie Fire mochte und ihn auf sich aufmerksam machen wollte. Doch entweder bemerkte es sein Bruder nicht oder er ignorierte sie – was er eher vermutete.
»Na gut, aber bitte sieh zu, dass es nicht noch einmal geschieht, okay, Sin?« Bittend sah sie zu ihm hoch.
»Keine Sorge. Ich halte Abstand«, versprach er.
»Dann werde ich mich jetzt auf den Weg machen. Ich habe mir meinen Feierabend redlich verdient. Übernimmst du für die Überstunden dann am Samstag einige Stunden von meiner Schicht, Sin?«, fragte sie und stand auf.
»Wieso? Hast du etwas vor?«
Er nahm wahr, wie Storm Fire einen kurzen Blick zuwarf. »Ich wollte zum Friseur und danach zu dem Straßenfest, das dieses Wochenende stattfindet.«
Ah, so lief der Hase. Wahrscheinlich wollte sie Fire fragen, ob er sie begleitete. Er lächelte sie verständnisvoll an und sie errötete leicht.
»Kein Problem, das kann ich gerne machen. Jetzt muss ich aber erst einmal auf Patrouille. Wir sehen uns morgen«, sagte er und zwinkerte Storm verschwörerisch zu.
Dankbar lächelte sie, als Sin sich abwandte und über die Dächer in die Dunkelheit sprang.
***
Miriam
In den nächsten Tagen stellte ich erfreut fest, dass mein unsichtbarer Beobachter blieb, doch leider begegnete ich dem hübschen jungen Mann aus der Uni nicht mehr. Es wurde heißer und der Sommer nahm das Land in festen Griff. Als ich an einem warmen Freitagmorgen wach wurde, musste ich jedoch feststellen, dass ich über Nacht einen schweren Kopf bekommen hatte und Übelkeit in mir aufstieg. Eine Erkältung? Bei dem konstant schönen Wetter?
Eigentlich wollte ich heute mit Sophie für die anstehenden Klausuren lernen, doch als ich mich mühsam erhob und mir auf dem Weg ins Bad schwindelig wurde, entschied ich mich dafür, lieber wieder ins Bett zu gehen.
Schleppend suchte ich mein Handy, um Sophie eine Nachricht zu schicken. Ich hatte noch nicht einmal das Wasser für meinen Tee heiß gemacht, als auch schon ihre Antwort kam.
Hey Süße, wie hast du es denn geschafft, krank zu werden? Ich komme sofort vorbei und bringe dir etwas Warmes zu essen mit!
Ich musste lächeln. Die besorgte Sophie mal wieder. Erschöpft vertröstete ich sie.
Ich würde lieber noch etwas schlafen. Wie wäre es, wenn du heute Nachmittag vorbeikommst? Über Essen wäre ich sehr dankbar.
Na gut … Bis später und gute Besserung!
Müde schleppte ich mich zurück in mein Bett und schlief ein, kaum dass mein Kopf das Kissen berührte.
***
Sin
»Sin?« Storms Stimme erklang laut aus seinem Handy.
»Wer sollte denn sonst an mein Handy gehen?«, fragte er verschlafen.
Die Uhr zeigte doch wirklich, dass es erst auf neun Uhr zuging, und er hatte bis in die Morgenstunden mit Fire Wache gehalten, weswegen ihm der frühe Anruf gar nicht passte. Der Plan war eigentlich gewesen, dass Storm Fire ablösen und mit Miriam lernen wollte, weswegen er nicht verstand, dass sie ihn jetzt weckte.
»Sin, Miriam hat abgesagt, weil sie krank sei.«
Sofort war er hellwach. »Meinst du, es sind die ersten Anzeichen?« Sein Herz klopfte vor Aufregung und er setzte sich mit einem Ruck in seinem Bett auf.
»Ich weiß es noch nicht. Ich wollte gleich zu ihr, aber sie hat mich darum gebeten, erst am Nachmittag vorbeizukommen, damit sie schlafen kann. Ich bin bereits auf dem Weg zu Fire.«
»Warte kurz«, sagte er und griff nach dem Headset, das auf seinem Nachtisch lag. Schnell steckte er es sich ins Ohr. »Fire? Wo ist Miriam?«
Sein Bruder meldete sich sofort. »Sie hat sich wieder hingelegt.«
»Alles klar. Bleib dort, Storm ist bereits auf dem Weg zu dir.« Er riss sich das Headset herunter und hielt sich das Handy wieder ans Ohr. »Ich mache mich auch gleich auf den Weg.«
»Ruf aber vorher in der Zentrale an. Sun muss davon erfahren. Wir wissen noch nicht, ob es wirklich Anzeichen für ihr Erwachen sind oder ob sie nur erkältet ist.«
Ah ja, Sun. Er musste es wirklich zuerst seiner Chefin sagen, sonst würde er später Ärger bekommen. Er strich sich mit den Fingern über die Augen. Es war immer anstrengend, mit ihr zu reden, und über dieses Thema erst recht.
»Alles klar. Ich sage ihr Bescheid und komme dann zu euch.«
»Bis gleich«, sagte Storm und legte auf.
Mit einem Seufzen wählte er die eingespeicherte Nummer des Hauptquartiers.
***
Miriam
»Mit Verlaub, aber du siehst echt beschissen aus.«
Ich verzog missbilligend den Mund über Sophies Wortwahl. »Ich habe mich auch schon mal besser gefühlt«, erklärte ich mit einem Krächzen.
Die Erkältung hatte mich wirklich komplett überrollt. Langsam hob ich einen Löffel der warmen Suppe, die mir Sophie mitgebracht hatte. Inzwischen war auch noch Fieber hinzugekommen und ich fühlte mich entsetzlich schwach. Nach dem zweiten Löffel rebellierte mein Magen und ich schob die Suppe angewidert von mir.
Besorgt musterte mich Sophie. »Miri, du musst etwas essen.«
Doch ich schüttelte den Kopf. »Wenn ich noch einen Löffel esse, kommt nur alles wieder hoch. Ich sollte mich lieber wieder ins Bett legen.«
Meine Kräfte reichten fast nicht dazu aus, mich vom Sofa hochzustemmen, und nur mühsam setzte ich danach einen Fuß vor den anderen. So fürchterlich hatte ich mich noch nie gefühlt.
Sophie eilte zu mir, um mich zu stützen. »Mach dir keine Sorgen. Ich bleibe hier und kümmere mich um dich.« Dann schnaubte sie nah an meinem Ohr. »Sei froh, dass es dich jetzt erwischt hat. Stell dir vor, es wäre mitten in den Prüfungen passiert.«
Ja, das wäre noch schlimmer gewesen. Aber ich fühlte mich zu schwach, um es laut auszusprechen.
Sophies kühle Hand legte sich auf meine Stirn. »Himmel, Miri, du glühst ja.« Sorge ließ ihre Stimme dunkler werden.
Da drehte sich meine Welt auf einmal nach rechts und ich konnte mich nicht mehr auf den Beinen halten.
»Miri!«, stieß Sophie hervor und ließ mich vorsichtig zu Boden gleiten, da sie mich nicht allein halten konnte.
Was war nur mit mir los? Mein Blick verschwamm und ich spürte, wie sich die wenige Suppe in meinem Magen einen Weg nach draußen bahnen wollte. Nein! Ich würde nicht auf meinen Wohnzimmerteppich kotzen! Meine Arme knickten ein und ich fiel zur Seite auf den Teppich.
Sophie fluchte ungehalten und verschwand aus dem verschwommenen Klecks, den ich noch erkennen konnte. Vorhänge wurden zur Seite gerissen und ein Klacken ertönte. Öffnete Sophie gerade die Tür zu meinem Balkon? Ich wusste es nicht und meine Gedanken begannen ebenfalls zu verschwimmen.
»Sin, hilf mir!« Angst sprach aus Sophies Stimme. War es so schlimm? Wahrscheinlich, schließlich lag ich hier auf dem Boden und konnte keinen Finger mehr rühren.
Schritte von mehreren Personen ertönten, ehe warme Hände mich an den Schultern berührten und auf den Rücken drehten. Goldene Augen blickten auf mich herab, umrahmt von blondem Haar. Ich blinzelte. Nun besaßen die Augen die Farbe eines tiefen Meeres. Oder doch nicht? Ich wusste es nicht, meine Gedanken flossen so zäh.
»Schließ die Augen, Miriam, dann wird es erträglicher.« Die Stimme war sanft und tief. Ein Mann? Hatte Sophie ihn hereingelassen? Vielleicht hatte sie den Notarzt gerufen. Aber wieso kam mir die Stimme dann bekannt vor?
Gehorsam schloss ich die Augen und spürte sogleich, wie sich meine Welt wieder in die richtige Perspektive verschob. Erleichtert seufzte ich auf. Starke Arme schoben sich unter mich und hoben mich mit Leichtigkeit hoch. Obwohl es mir so schlecht ging, fühlte ich mich plötzlich geborgen und ließ mich dankbar in die Bewusstlosigkeit fallen.
***
Ein heftiges Würgen riss mich aus dem Schlaf. Ich schaffte es gerade noch, mich zur Seite meines Bettes zu beugen, als sich mein Magen bereits entleerte. Hände griffen nach meinen Haaren und hielten sie mir aus dem Gesicht. Nur am Rande merkte ich, dass mein Erbrochenes nicht auf dem Boden landete, sondern in einem sorgsam platzierten Eimer.
»O Miri«, jammerte Sophie irgendwo in der Nähe, während ich verzweifelt nach Luft rang, bevor mich ein weiteres Würgen übermannte. Entsetzliche Schmerzen entflammten in meinem Bauch und trieben mir die Tränen in die Augen. Mein ganzer Körper wurde geschüttelt, doch dieselben Hände, die meine Haare zurückgehalten hatten, stützten mich nun. Ein drittes Würgen erschütterte mich und ich spürte, wie etwas Größeres meine Speiseröhre emporkam. O mein Gott! War das Blut? Und dieser Brocken da?
Der Würgereiz verschwand und auch die Schmerzen ließen etwas nach, kaum dass dieses blutige Etwas meinen Körper verlassen hatte. Keuchend rang ich nach Luft, während mir Tränen über die Wangen liefen.
Wieder ertönte die männliche Stimme. »Ganz ruhig. Jetzt ist es fast vorbei.«
Der Eimer wurde weggezogen und Sophie schob sanft eine Hand unter mein Kinn, um meinen Kopf etwas anzuheben. Sie hielt mir ein Glas mit einer weißlichen Flüssigkeit entgegen.
»Trink einen Schluck davon, dann geht es dir besser.« Die männliche Stimme erklang dicht neben meinem Ohr. War er es, der mich hielt?
Mir ging es so schlecht, dass mir allein bei dem Gedanken, etwas zu trinken, ein Wimmern entschlüpfte. Ich versuchte meinen Kopf zur Seite zu drehen, als Sophie mir das Glas an die Lippen halten wollte.
»Shh«, machte der Unbekannte neben mir und strich sacht eine schweißnasse Haarsträhne aus meinem Gesicht. »Vertrau uns. Du brauchst nur einen Schluck zu trinken, dann geht es dir besser. Schaffst du einen Schluck?«
Ich schüttelte schwach den Kopf und sah Sophies hilfesuchenden Blick, den sie dem Unbekannten zuwarf.
»Dann ruh dich noch einen Moment aus. Atme tief ein und aus.« Vorsichtig half er mir mich aufzurichten.
»Ich will schlafen«, keuchte ich leise, nachdem ich zitternd Luft geholt hatte und mich an den Unbekannten lehnte.
»Sobald du einen Schluck getrunken hast«, versprach er mir.
Sophie hockte immer noch neben dem Bett. Fast schon flehend hob sie das Glas. Wenn ich dann schlafen durfte, würde ich schon einen Schluck hinunterbekommen.
Vorsichtig reckte ich mich dem Glas entgegen und nahm einen kleinen Schluck daraus. Die Flüssigkeit schmeckte nach Kräutern und Honig, rann wie Balsam meine geschundene Kehle hinab und breitete sich warm in meinem Magen aus, tilgte die brennenden Schmerzen und erleichtert seufzte ich auf.
»Geht es dir jetzt besser?«, fragte die Stimme und eine Hand strich sanft über mein Haar.
Schwach nickte ich, bevor ich den Blick hob, der sich langsam klärte. Sophies Gesicht zeigte Besorgnis, hellte sich aber auf, als ich auf das Glas sah. Erleichtert hob sie es noch einmal an meine Lippen und der nächste Schluck war größer, fast schon gierig. Diese Flüssigkeit versprach mir Erlösung und ich wollte so viel davon trinken, wie ich konnte.
Doch der Unbekannte drückte Sophies Hand nach dem dritten Schluck zur Seite. Enttäuscht wollte ich dem Glas folgen, doch er hielt mich zurück. »Nicht so viel auf einmal. Du kannst den Rest trinken, wenn du das nächste Mal aufwachst.«
O ja, jetzt, da die Schmerzen nachließen, spürte ich erst, wie müde ich war. Vorsichtig ließ der Unbekannte mich in meine Kissen zurücksinken. Ich bemühte mich den Kopf zu drehen, um zu sehen, wer mir in meinen Qualen so zur Seite gestanden hatte. Überrascht fiel mein Blick auf den jungen Mann, dem ich in der Uni in die Arme gelaufen war. Nur dass seine Augen nicht mehr dieses schöne Blau aufwiesen, sondern einen warmen goldenen Farbton angenommen hatten. Dann fielen mir die Augen zu und ich glitt in einen erholsamen Schlaf.
***
Sin
»Meine Güte, Sin … Ist es immer so schlimm?« Storms Stimme drang nur als Flüstern zu ihm. Sie blickte auf Miriam hinab und hielt immer noch das Glas in der Hand.
Vorsichtig strich er über Miriams schweißnasse Stirn. Das Fieber ließ nun nach und sie atmete ruhig ein und aus. »Leider ja. Es kann sogar sein, dass ein Schützling das Erwachen nicht überlebt.«
Scharf sog Storm die Luft ein. Dies war das erste Erwachen gewesen, das sie selbst miterlebt hatte. Er selbst besaß mehr Training darin und konnte froh sein, dass er rechtzeitig zurückgekehrt war, um ihr beizustehen. Ohne die Hilfe eines Wächters konnte das Erwachen schnell zum Ersticken des Schützlings führen.
Er blickte zu Storm auf. »Keine Sorge. Sie hat es jetzt überstanden. Morgen geht es ihr wieder bestens.«
Erleichtert seufzte sie und stellte das Glas auf Miriams Nachttisch. Sin bemerkte, dass ihre Hände zitterten.
»Fire?«, rief er leise.
Sein Bruder erschien in der Tür. »Hat sie es geschafft?«, fragte er und betrachtete die erschöpfte Miriam.
Sin nickte und deutete dann auf Storm. »Mach ihr bitte einen Tee.«
Fires Augen wanderten zu Storm, die zitternd die Arme um sich geschlungen hatte. Ein verständnisvoller Ausdruck trat auf sein Gesicht und sacht führte er Storm hinaus. Sin lächelte. Vielleicht würde es zwischen den beiden doch noch funktionieren.
Noch einmal blickte er hinab zu Miriam, doch sie schlief jetzt und brauchte seine Hilfe vorerst nicht mehr. Er dagegen musste die Überreste des Erwachens zum Labor bringen. Seufzend erhob er sich und griff nach dem Eimer, in den sich Miriam erbrochen hatte.
***
Miriam
Das nächste Mal, als ich aufwachte, traute ich mich nicht einmal die Augen zu öffnen. Ganz vorsichtig und langsam machte ich zuallererst eine Bestandsaufnahme: Mein Bauch fühlte sich gut an, mein Hals war leicht gereizt, dafür überraschte mich mein Kopf mit einer Klarheit, die ich nicht erwartet hätte. Langsam öffnete ich erst ein Auge, dann das zweite.
Nichts geschah.
Ich fühlte mich sogar erstaunlich gut. War das alles wirklich passiert? Seufzend richtete ich mich auf und strich mir die Haare aus dem Gesicht. Sie waren klebrig und in mir stieg das Bedürfnis nach einer Dusche auf. In meinem Schlafzimmer herrschte Dämmerlicht, da meine Vorhänge zugezogen waren, doch ich konnte an dem schmalen Lichtstrahl, der darunter hervorschien, sehen, dass draußen die Sonne am Himmel stand. Leicht irritiert blickte ich auf den Wecker. Fünfzehn Uhr siebenundvierzig.
Meine Güte, so lange hatte ich noch nie geschlafen!
Dann wanderte mein Blick weiter und blieb an dem Glas mit den Resten der weißlichen Flüssigkeit hängen. Es war wirklich alles passiert! Mit einem Stöhnen vergrub ich das Gesicht in meinen Händen und einzelne Bilder schossen durch meine Erinnerung. Die Suppe, wie ich zusammenbrach, mich erbrochen hatte, das Blut und die sanfte Stimme von dem Unbekannten mit den goldenen Augen. Soweit ich wusste, gab es nicht einmal Menschen mit goldenen Augen!
All das verwirrte mich ungemein, also schob ich alle Gedanken beiseite und entschloss mich dazu, duschen zu gehen. Vorsichtig, immer mit der Befürchtung, dass mir wieder schwindelig wurde, machte ich mich auf den Weg ins Bad. Bis dorthin traf ich niemanden, weswegen ich sicher war allein in meiner Wohnung zu sein. Auch gut. Ich drehte das Wasser auf und schlüpfte aus der Shorts und dem Top, die ich im Bett immer trug. Mit einem wohligen Seufzen stellte ich mich unter das warme Wasser, genoss, wie mir der getrocknete Schweiß von der Haut gewaschen wurde und auch die darauffolgende Reinheit. Mit geschlossenen Augen stand ich eine halbe Ewigkeit einfach nur da.
Meine Gedanken trieben dahin, doch plötzlich tauchte eine Erkenntnis daraus empor, die mich gequält stöhnen ließ. Scheiße, Sophie und der Unbekannte hatten gesehen, wie ich mich erbrochen hatte! Bei Sophie konnte mir das egal sein, schließlich haben wir schon ganz andere Dinge miteinander erlebt, doch dass es der hübsche Typ sehen musste, trieb mir schon jetzt die Röte ins Gesicht.
Nun ja, jetzt war es passiert und ich konnte nichts mehr daran ändern. Dafür durchrieselte mich ein warmes Gefühl bei der Erinnerung, wie er mich gehalten und mir durch die Qualen geholfen hatte. Hoffentlich sehe ich ihn wieder, war mein erster Gedanke daraufhin. Dann fiel mir die Sache mit dem Erbrechen wieder ein und der herbeigesehnte Zeitpunkt verschob sich um einiges nach hinten.
Langsam griff ich nach dem Duschgel und begann mich einzuseifen. Währenddessen meldete sich mein Magen mit lautem Knurren und ich überlegte, wie lang meine letzte richtige Mahlzeit zurücklag. Donnerstagabend …
Vielleicht hat Sophie mir die Suppe dagelassen, dachte ich hoffnungsvoll, wusch mir schnell die Haare und trat aus der Dusche. Nachdem ich mir etwas Frisches angezogen hatte, ging ich zurück zur Küche und schaute, ob ich etwas zu essen dahatte. Mein Kühlschrank ergab leider nichts Nahrhaftes und auch die Suppe von gestern war nirgends zu finden. Seufzend überlegte ich, wo ich jetzt am schnellsten etwas für meinen knurrenden Magen auftreiben konnte. Ich entschied, dass das Einfachste der kleine Chinese an der Ecke war.
Ich griff nach meinem Telefon und drückte auf eine der Schnellwahltasten. Ja, ich aß eindeutig zu oft dort, wenn ich die Nummer bereits eingespeichert hatte. Als ich meine Bestellung durchgab, wurde mir gesagt, dass ich sofort kommen und es abholen könne. Das war doch mal eine Aussage.
Ich rubbelte mir fix die Haare trocken und band sie mit einem Haargummi zusammen. Auf der Suche nach meinen blauen Ballerinas fiel mir ein Zettel auf, der auf dem Wohnzimmertisch lag. Ich griff danach und erkannte Sophies klare Handschrift:
Liebe Miri, ich hoffe, es geht dir besser. Wenn ja, verlass bitte nicht die Wohnung!!! Wir müssen ein paar Dinge erledigen und sind gegen Abend wieder bei dir, dann erklären wir dir, was gestern Nacht mit dir geschehen ist. Aber solange darfst du nicht auf die Straße gehen! Bleib daheim, Miri!!!
Sophie
Wow, das waren aber eine Menge Ausrufezeichen.
Ich rang mit mir. Sophie schien es sehr wichtig zu sein, dass ich daheimblieb. Vielleicht befürchtete sie, dass ich einen Rückfall bekommen würde. Da wäre es wirklich sehr unangenehm, wenn ich draußen auf der Straße einfach umkippte. Aber der Chinese lag keine fünfhundert Meter entfernt. In zehn Minuten wäre ich zurück.
Stirnrunzelnd blickte ich noch einmal auf den Zettel. Sie sprach von wir. Meinte sie damit den goldäugigen Mann? Mir fiel wieder unsere erste Begegnung ein. Also hatte Sophie schon damals gewusst, wer er war. Ein Name tauchte aus meinen Erinnerungen auf. Gestern Abend hatte sie ihn Sin genannt. Und auch an dem Abend bei dem Italiener, am Telefon.
»Sin.« Ich ließ den Namen langsam über meine Zunge gleiten. Wie eine Sünde kam er mir nicht unbedingt vor. Obwohl … Schnell schüttelte ich den Gedanken ab und blickte unentschlossen auf die Uhr. Es war jetzt halb sechs und mein Abendessen wartete nur ein paar Meter von hier entfernt auf mich. So schlimm konnte es schon nicht werden.
Ich griff nach meiner Handtasche und verließ meine Wohnung. Peinlichst genau achtete ich darauf, ob mir schwindelig wurde, aber meine Konstitution blieb bis zum Chinesen stabil. Ich bezahlte und machte mich mit meiner Beute zurück auf den Weg nach Hause.
Obwohl es noch recht früh am Tag war, hatten tiefhängende Wolken den Himmel bedeckt. Leiser Donner grollte im Hintergrund der typischen Stadtgeräusche und ich beeilte mich noch mehr, da ich nicht nass werden wollte.
Ich befand mich noch drei Häuser von zu Hause entfernt, als mich ein merkwürdiges Gefühl beschlich. Oder hatte ich eine Bewegung aus den Augenwinkeln bemerkt? Andere Menschen liefen an mir vorüber und auch einige Autos fuhren die Straße entlang. Ich wusste nicht, warum ausgerechnet diese Bewegung meine Aufmerksamkeit auf sich lenkte, bis ich meinen Kopf in die Richtung drehte.
Ein erschrockenes Keuchen entrang sich meiner Kehle.
Was auch immer da auf der anderen Seite der Straße stand, es war riesig. Die anderen Leute gingen einfach daran vorbei, als würden sie es nicht sehen, obwohl es gut zweieinhalb Meter maß, aber nicht einmal halb so breit schien. Seine Haut war von einem dunklen Braun und besetzt mit kleinen Hörnern, die spitz abstanden und wie Widerhaken wirkten. Sein Kopf besaß eine flache Form, das Maul war dafür umso breiter. Kleine schwarze Augen saßen darüber und blickten eindeutig mich an.
Ich starrte zurück wie ein vor Angst zitterndes Kaninchen.
Langsam verzogen sich die Lippen des Wesens zu einem Grinsen, eine lange Zunge und spitze Zähne lugten aus dem Mund hervor. Dann ließ es sich auf alle viere herab und stürmte ohne Vorwarnung auf mich zu.
Mit einem Schrei wirbelte ich herum und raste los. Die Menschen sahen mir verwirrt hinterher, obwohl die Erde unter meinen Füßen zu beben begann. Mir schien, als ob nur ich dieses Biest sehen könnte. Nach Sekunden wurde mir klar, dass ich es nicht schaffen würde, bis zu meinem Haus zu kommen und noch die Tür aufzuschließen, ehe das Vieh mich erreichte. Also bog ich flink in einen kleinen Durchgang ab, der in einen Hinterhof führte. Das Biest war viel zu groß, um hier durchzukommen, also fühlte ich mich einigermaßen sicher.
Was sich als Irrtum herausstellte.
Als ich mich umdrehte, sah ich gerade noch, wie mein Verfolger zum Sprung ansetzte und einfach über das Hindernis hinwegsprang. Himmel, das waren gut fünf Meter!
Entsetzt wich ich an die hintere Wand des kleinen Hofes zurück. Mein Herz raste und mein Atem ging nur stoßweise, als das Monster vor mir auf dem Boden des Hinterhofes aufsetzte. Langsam kam es näher und blieb kurz vor mir stehen. Ich presste mich noch fester an die Wand, doch das Wesen reckte mir seinen Kopf entgegen, schnüffelte geräuschvoll. Langsam streckte es seine Zunge nach mir aus. O Gott, wenn es mich damit berührte, würde ich auf der Stelle ohnmächtig!
Da fiel plötzlich etwas vom Himmel, landete direkt auf dem Wesen und rammte ihm zwei lange Klingen in den Rücken. Die Bestie kreischte voller Qual auf und ich schrie vor Angst gleich mit. Dann brach es zusammen, zuckte noch einmal und lag still.
Zitternd starrte ich es an, unfähig mich zu bewegen. Dann richtete sich mein Retter auf und zog seine beiden Klingen aus dem dunklen Fleisch. Sin stand vor mir und sah mich mit stiller Resignation an. Dann ließ er die Klingen in eine Vorrichtung an seinen Armen zurückschnellen und hob eine Hand an ein Headset, um einen Knopf zu betätigen.
»Fire, ich habe sie gefunden. Du hast die Wette gewonnen.« Der Blick, den er mir zuwarf, ließ meine Beine endgültig erschlaffen und ich ließ mich erschöpft auf den kalten Boden gleiten.
Miriam
»Bist du von allen guten Geistern verlassen?«, schrie mich Sophie an. Sie stampfte wütend in meinem Wohnzimmer auf und ab, während ich auf meinem Sofa saß und mich wie ein unartiges Kind fühlte. »Da hast du gestern gerade so das Erwachen überlebt und bringst dich nun in Lebensgefahr wegen etwas zu essen!«
Ich verstand nicht, was sie mit dem Erwachen meinte, und generell war ich mehr als verwirrt. Erst das Wesen, dann Sin, der vom Himmel zu fallen schien, und nun drei Menschen, die mich mit goldenen Augen anblickten. Davon eine, die ich seit meiner Kindheit kannte und die bis gestern definitiv braune Augen besessen hatte.
Verloren saß ich da und ließ die gebrüllte Sorge Sophies über mich ergehen. Wut regte sich in mir. Schließlich war ich eine erwachsene Frau und mir keiner Schuld bewusst, doch ich kannte meine Freundin und wusste, dass sie sich nur sorgte und sich beruhigen würde, sobald sie alles aus sich herausgeschrien hatte.
Ich warf einen verstohlenen Blick zu den beiden blonden Männern. Fire saß in meinem Sessel und wartete geduldig darauf, dass Sophie mit ihrem Gezeter fertig wurde. Sin stand mit verschränkten Armen dahinter, an den Durchgang zu meiner Küche gelehnt. Er beobachtete die Szene mit offensichtlicher Belustigung. Scheinbar waren es die beiden ebenfalls gewohnt, dass Sophie ihre Sorge herausschrie.
»Bist du dir eigentlich darüber im Klaren, was dir hätte passieren können?«
Nein, woher auch? Ich entschloss mich dies nicht laut auszusprechen. Mein Blick schien jedoch Bände zu sprechen, denn sowohl Sin als auch Fire mussten ein Lächeln unterdrücken. Zum Glück lamentierte Sophie hinter mir herum. Wie ein schnaubender Stier hielt sie kurz inne, um Luft zu schöpfen.
Sin nutzte diese Chance. »Fire, ich glaube, Storm braucht etwas frische Luft.«
Storm, wie passend, dachte ich, während Sophies Zorn auf Sin umschwenkte. »Du schickst mich doch nicht wirklich weg, oder? Ich will dabei sein, wenn du ihr alles erzählst!«
Fire stand mit einem Seufzen auf und ergriff Sophies Hand. Das schien sie so sehr aus dem Konzept zu bringen, dass sie nur noch ein paar Worte hervorbrachte und sich widerstandslos zum Balkon ziehen ließ.
Siehe da. Das hätte ich nicht erwartet.
Er sagte etwas zu ihr, was ich nicht verstand, und widerstrebend nickte Sophie. Mit einem Sprung verschwanden sie in die Nacht. Ich fühlte mich so erschlagen von all den Ereignissen, dass ich gar nicht mehr allzu geschockt darüber war, dass die beiden von meinem Balkon im vierten Stock sprangen. Obwohl … Doch eigentlich schon.
»Hast du immer noch Hunger?«, wollte Sin wissen und schreckte mich damit auf. Er war näher gekommen und hielt die Tüte mit dem chinesischen Essen in die Höhe. Allein bei dieser Frage begann mein Magen bittend zu knurren. Ich spürte, wie mir die Hitze in die Wangen stieg, aber Sin lächelte nur und stellte das Päckchen vor mir auf den Tisch. »Ich hol dir eine Gabel. Möchtest du vielleicht etwas trinken?«
Mit einem Seufzen ließ ich mich auf dem Sofa zurücksinken. »Ich glaube, ich brauch jetzt einen Wein. Im Kühlschrank steht eine angebrochene Flasche und die Gläser sind im oberen rechten Schrank.«
Vielleicht wusste er das jedoch schon. Ich war inzwischen darauf gekommen, dass mein unsichtbarer Beobachter Sin sein musste. Ich hatte durch einige Gesprächsbrocken der drei herausgefunden, dass sie eine Art Wächter waren, und das Gefühl, das mich befiel, wenn Sin mich ansah, war genau jenes, das ich immer spürte, wenn mein unsichtbarer Beobachter über mich wachte. Doch wieso? Warum? So viele Fragen schwirrten durch meinen Kopf.
Sin kam zurück, reichte mir eine Gabel und stellte ein Glas mit hellem Wein vor mir ab, bevor er den Platz seines Bruders auf dem Sessel einnahm. Ich dankte ihm, griff nach dem Wein und nahm erst einmal einen großen Schluck. So gewappnet war ich für das bereit, was mir der hübsche blonde Kerl sagen wollte. Ich stellte das Glas wieder hin und sah Sin fest an, während ich nach der Packung mit dem Essen griff.
»So, und du sollst mir jetzt alles erklären?« Zu meiner Freude war das Essen noch warm und ich steckte die Gabel hinein. Voller Vorfreude grummelte mein Magen.
Sin nickte, beugte sich jedoch mit besorgtem Blick vor, um mich zu mustern. »Stimmt, das ist eine meiner vielen Aufgaben. Aber sag mir bitte vorher, wie du dich fühlst. Du hattest gestern eine schwere Wandlung und hast nicht alle Medizin getrunken.«
Schuldbewusst dachte ich an das Glas neben meinem Bett, das ich einfach vergessen hatte. Einen Moment horchte ich in mich hinein, während ich den ersten Bissen hinunterschluckte. Geduldig wartete Sin auf meine Antwort.
»Ich fühle mich prima«, antwortete ich ehrlich. Sins gerunzelte Stirn glättete sich und er ließ sich wieder zurücksinken. Leicht beschämt drehte ich ein paar Nudeln auf meine Gabel. »Und es tut mir leid, dass du das gestern mit ansehen musstest.«
Fragend hob er eine Augenbraue, schien dann aber zu verstehen. Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, das mir nur noch mehr die Röte in die Wangen schießen ließ. »Keine Sorge, das Erbrechen gehört zum Erwachen dazu und es war nicht das erste Mal, dass ich es miterlebt habe.«
Er wurde wieder ernst und zog die Beine hoch, um sich im Schneidersitz niederzulassen. Er machte es mir sehr einfach, mich in seiner Gegenwart zu entspannen, und ich legte meine Beine ebenfalls auf die Polster, um mich noch mehr in die Kissen kuscheln zu können.
»Zum Glück konnte ich in der Nähe sein, um dir beizustehen. Storm ist noch zu unerfahren, als dass sie dir wirklich hätte helfen können.« Er winkte ab. »Aber wir greifen der Geschichte voraus. Dich interessiert sicher brennend, wer wir sind, was das für ein Wesen war und was gestern mit dir geschehen ist.«
Ich nickte nur und schob mir eine weitere Gabel mit Nudeln in den Mund.
Sin überlegte kurz, bevor er begann. »Die Welt, wie ihr Menschen sie seht, ist nicht das, was sie wirklich ist.«
Aha, er gehörte also nicht den Menschen an? Ich sah in seine goldenen Augen und glaubte zu verstehen – selbst wenn ich mich davon abhalten musste, ungläubig zu schnauben. Aber nach dem Angriff des Monsters würde ich mich auf die Geschichte einlassen. Mal sehen, was noch kam.
»Die Welt ist voller Magie, doch die Menschen sind nicht in der Lage, sie zu sehen oder zu nutzen.«
Ich runzelte die Stirn. »Aber ihr könnt es?«, fragte ich, klang dabei aber mehr als zweifelnd. Magie … Aha.
Sin nickte und deutete auf seine Augen. »Daher kommt das goldene Leuchten. Es ist die Magie, die unsere Augen färbt. Ihr Menschen jedoch entwickelt bereits im Mutterleib eine Art Gewebsknäuel, das sich in eurer Magenwand befindet und euch sozusagen von der Magie abschirmt.«
Davon hatte ich bisher noch nie etwas gehört. Aber ich unterbrach ihn nicht und aß weiter meine Nudeln.
»Bei einigen von euch kann es jedoch passieren, dass sie eine Eigenart im Blut haben, die bewirkt, dass dieses Gewebe irgendwann abgestoßen wird.«
»Ist es das, was mir gestern passiert ist?«, fragte ich leise dazwischen.
Sin nickte. »Es gibt mehr Leute meines Volkes, als du vielleicht ahnst. Dadurch ist es uns möglich, alle menschlichen Kinder früher oder später auf irgendeine Art zu überprüfen. Ob beim Arzt oder schon bei der Geburt, egal. Wenn wir ein solch besonderes Kind finden, wird es zu unserem Schützling und bekommt Wächter an die Seite, die es Tag und Nacht beobachten und schützen.«
Mein Essen war vergessen und ich lauschte nur noch Sins ruhiger Stimme. Der Donner kam langsam näher und bald würde sich wohl ein Regenschauer über die Stadt ergießen.
»Durch unsere Magie verbergen wir uns vor den Augen des Kindes, damit es so lange ungestört leben kann, bis das Gewebe abgestoßen wird, es Zutritt zur magischen Welt erlangt und durch unsere Tarnung blicken kann. Das ist das Erwachen, von dem wir sprachen. Wann es passiert, ist bei jedem anders, weswegen wir rund um die Uhr wachen müssen. Bei dir ist es jedoch sehr spät eingetreten, denn meist erwachen die Leute in der Pubertät.«
»Wie viele Erwachte gibt es denn?«
Sin überlegte kurz. »In Deutschland sind es zurzeit acht, mit dir neun.«
So wenige, dachte ich überrascht.
Sin lächelte schief. »Ja, du bist eine wahre Rarität.«
Aus seinem Mund klang es wie ein Kompliment und ich blickte nervös auf die restlichen Nudeln. »Und der Grund, warum ihr über uns wacht, sind diese Kreaturen?«, fragte ich, um meine Verlegenheit zu überspielen, aber allein bei der Erinnerung an dieses Monster schüttelte es mich und fast verging mir der Hunger.
Sins Blick verfinsterte sich. »Sie sind der Hauptgrund, ja. Es sind Kreaturen von grober Natur. Sie ernähren sich von der Magie und komischerweise können sie sich vermehrt fortpflanzen, wenn ihre Königin Blut der Erwachten zu sich nimmt. Wir nennen sie die Suchenden, da sie immer auf der Suche nach Magie und den Erwachten sind.«
Ich spürte, wie mir alle Farbe aus dem Gesicht wich. Sollte das bedeuten, dass dieses grässliche Wesen vorhin mein Blut trinken wollte?
Sin blickte bestürzt auf, als er bemerkte, wie bleich ich geworden war. Eilig stand er auf, griff nach dem Glas Wein und setzte sich neben mich. »Hier, trink einen Schluck. Es war viel, was ich dir erzählt habe, aber vielleicht verstehst du jetzt, warum Storm so entsetzt war, als sie erfuhr, dass du das Haus verlassen hattest. Wenn ich nicht rechtzeitig zurückgekommen wäre, wärst du jetzt wahrscheinlich in Gefangenschaft.«
Gefangenschaft? Ich hielt inne und ließ langsam das Glas sinken, aus dem ich gerade zwei tiefe Schlucke genommen hatte. Sin rutschte ein wenig unbehaglich umher, als er meinen Blick sah.
»Die Suchenden trinken nicht einfach nur euer Blut«, sagte er dann langsam. »Sondern sie nehmen euch mit und zapfen euch immer wieder an, um ihren Bedarf zu stillen. Und um mehr von euch zu züchten.« Seine Worte kamen stockend aus seinem Mund und ich starrte ihn entsetzt an.
»Züchten?« Meine Stimme klang hoch und mehr als dieses eine Wort traute ich mich nicht zu sagen.
Sin seufzte tief und strich sich mit einer Hand durch die blonden Haare. »Eure Eigenart ist sehr selten, doch es gibt eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass eine Erwachte ein Kind mit dieser Eigenart zur Welt bringt.«
Als sich das ganze Grauen in meinem Kopf entfaltete, kippte ich den restlichen Inhalt meines Weins auf einmal hinunter.
»Ich glaube, ich brauche noch mehr Alkohol«, meinte ich und stand mit zitternden Knien auf, um in die Küche zu gehen. Sin hielt mich nicht auf und ich war ihm dankbar dafür. Ich trat an meinen Kühlschrank, nahm die Weinflasche heraus und schüttete langsam den Rest des Inhalts in mein Glas, während ich über das Gehörte nachdachte.
Ich sollte diesen Biestern als Blutbank und Zuchtstute dienen. Allein bei dem Gedanken erzitterte ich. Wie knapp ich vorhin diesem Schicksal doch entgangen war. Aber würde so mein weiteres Leben aussehen? Immer auf der Flucht vor diesen Geschöpfen und umringt von Wächtern? Zischend entfuhr meinen Lungen die angehaltene Luft und sacht lehnte ich meinen Kopf an die Tür des Kühlschranks.
Ich spürte Sins Blick, ehe ich ihn wie sonst wahrnahm. Er trat neben mich und legte mir mitfühlend eine Hand auf den Arm. »Es tut mir leid, aber ich versichere dir, dass ich niemals zulassen werde, dass dir irgendetwas passiert.«
Ich wandte ihm das Gesicht zu, ohne die Stirn von der Kühlschranktür zu nehmen. Sein Blick war so ernst und intensiv, dass mein Herz eine Sekunde aussetzte, um dann umso schneller zu schlagen.
»Warum?«, fragte ich leise.
»Einerseits um mein Volk zu schützen, das ebenfalls von den Suchenden tyrannisiert wird. Andererseits …« Er zögerte kurz und wandte den Blick ab. Ich spürte, wie seine Finger sacht über meinen Arm strichen, bevor er sie wegnahm. »Wir Wächter dürfen uns unsere Schützlinge selbst aussuchen, da wir schließlich unser Leben für sie einsetzen. Ich war damals zwölf und hatte bereits drei andere Schützlinge besucht, um mich für einen zu entscheiden. Unsere Ausbildung beginnt sehr früh, musst du wissen. Doch als ich dich das erste Mal sah, gerade einmal zehn Jahre alt und allein in diesem Park sitzend, weil du deine erste Vier in der Schule bekommen hattest …« Er stockte und blickte mir wieder in die Augen. »Ich wusste sofort, dass ich mein Leben für dich geben würde, wenn es sein muss.«
***
Mit brennenden Augen blickte ich hoch an die Decke meines Schlafzimmers. Ich fühlte mich unendlich müde, aber die Gedanken wirbelten so wild in meinem Kopf herum, dass sich der Schlaf nicht einstellen wollte. Immer wieder ging mir das Gespräch mit Sin durch den Kopf und vor allem seine letzten Worte.
Ich wusste genau, von welchem Tag er sprach. Es war kurz vor den Osterferien gewesen und wir hatten eine Klassenarbeit in Deutsch zurückbekommen. Die Vier, die ich geschrieben hatte, beschämte mich, da ich bis dahin immer eine gute Schülerin gewesen war und nun Angst hatte, dass meine Mutter enttäuscht von mir wäre. Bis zur Dämmerung hatte ich mich in diesem Park herumgedrückt und mich dann schweren Herzens doch auf den Weg nach Hause gemacht. Meine Mutter war so erleichtert, dass ich nach Stunden der Suche wiederaufgetaucht war, dass sie über die Vier nur lachen konnte. Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. Ja, meine Mutter war genauso besorgt um mich wie meine Wächter.
Wächter … Dieses Wort klang irgendwie so wichtig. Und sie würden ihr Leben für meinen Schutz geben. Ein Schauer jagte über meinen Rücken und mein Puls beschleunigte sich automatisch. So würde ich nie einschlafen können.
Ich griff nach meinem Handy und blickte auf das Display. Es war halb zwei Uhr morgens und inzwischen hatte sich das Gewitter über der Stadt festgesetzt. Dichter Regen fiel vom Himmel und ein Wetterleuchten erhellte mein Schlafzimmer.
Ich spielte mit dem Gedanken, Sin eine Nachricht zu schreiben. Er hatte, bevor er ging, seine Nummer in mein Handy eingespeichert und gemeint, dass ich jederzeit anrufen könne. Ich zögerte noch einen Moment und schrieb ihm schließlich eine kurze Nachricht.
Kannst du mir verraten, wie ich schlafen soll, nach all dem, was du mir erzählt hast?
Ich rechnete nicht damit, dass er mir antworten würde, doch einen Versuch war es wert gewesen. Überrascht zuckte ich zusammen, als mein Handy eine Minute später vibrierte. Rasch griff ich danach und las die Nachricht. Er schlief wirklich noch nicht!
Wie wäre es mit Schäfchen zählen? Ich habe gehört, dass das funktionieren soll.
Zum Glück war ich allein im Schlafzimmer, denn ich merkte, wie sich ein breites Grinsen auf meinem Gesicht ausbreitete. Schnell tippte ich eine Antwort.
Nein, bisher leider nicht. Ich bin bereits bei zweitausend Schafen und nun ist meine Weide voll. Und wieso bist du eigentlich noch wach? Schon mal auf die Uhr gesehen?
Leider hält mich die Arbeit wach. Als dein erster Wächter bleibt die meiste Schreibarbeit an mir hängen und in den letzten Tagen ist einiges liegen geblieben. Zumindest brauche ich mich nicht um dich zu sorgen. Fire passt diese Nacht auf dich auf.
Entsetzt blickte ich zum Fenster, gegen das heftiger Regen prasselte. Ich konnte es nicht fassen, dass einer meiner Wächter bei dem Wetter auf einem Dach saß und wahrscheinlich bis auf die Knochen durchnässt war. Ohne zu zögern, schwang ich meine Beine aus dem Bett, eilte hinüber ins Wohnzimmer und zu meiner Balkontür. Ich riss sie auf und japste überrascht, als ein Schwall Regen gegen mich peitschte.
»Fire?«, rief ich leise.
Nur eine Sekunde später landete er auf der breiten Brüstung des Balkons und sah mich mit seinen goldenen Augen fragend an. Tatsächlich triefte er vor Nässe. Ich verzog missbilligend den Mund und winkte ihn herein. Er runzelte die Stirn, folgte mir aber in meine Wohnung.
»Warum um Himmels willen sitzt du bei diesem Wetter draußen?«, fuhr ich ihn an.
Überrascht blinzelte er. »Weil das unser Job ist. Wir dürfen dich gerade jetzt, da du erwacht bist, keine Sekunde aus den Augen lassen.«
Ich seufzte verdrießlich. »Aber das kannst du genauso gut hier drin machen und musst dich nicht vom Regen auflösen lassen. Warte einen Moment, ich hole dir ein Handtuch.«
Damit rauschte ich in Richtung Bad davon. Ich hörte, wie er etwas sagte. Wahrscheinlich sprach er durch sein Headset mit Sin. Auf jeden Fall schallte sein Lachen zu mir herüber und meine Aufgebrachtheit schwand etwas. Ich kam mit einem großen Handtuch zurück und hielt es Fire hin.
Dankbar nahm er es mir aus der Hand und reichte mir dafür sein Headset. »Sin will mit dir reden. Du brauchst es nur in dein Ohr zu stecken. Es ist bereits richtig eingestellt.«
Ich fummelte mir das kleine Gerät ins Ohr, während Fire begann sich die Haare zu trocken.
»Hi Sin«, sagte ich.
»Also eigentlich wollte ich dich mit meiner Nachricht eher beruhigen, als dich aufzuschrecken.« Seine Stimme klang durch das Headset so nah, dass ich mich unweigerlich daran erinnerte, wie dicht er vorhin in der Küche neben mir gestanden hatte.
Ich lächelte schief, obwohl er es ja nicht sehen konnte, und ging in die Küche, um Fire und vielleicht auch mir einen Tee zu machen. »Leider ist dir das wohl nicht geglückt.«
»Nein, scheinbar nicht.« Die Belustigung war deutlich in seiner Stimme zu hören, doch seine nächsten Worte klangen durchaus tadelnd. »Aber Miriam, es ist unser Job, auf dich aufzupassen, und wir werden angemessen entlohnt, dass wir auch so etwas wie Regen oder Schnee über uns ergehen lassen. Wir brauchen einen guten Überblick über die Gegend, damit wir die Suchenden von dir fernhalten können. Deine Wohnung ist zwar mit einem Zauber geschützt, aber wir müssen die Umgebung frei von ihnen halten.«
Ach, meine Wohnung war also geschützt? Das wollte ich noch etwas genauer wissen. Aber nicht mehr heute. Ich rieb mit Daumen und Zeigefinger über meine Nasenwurzel. Irgendwie wurde mir alles zu viel.
»Das kann ich verstehen, aber meinst du nicht, dass man von meinem Balkonfenster genauso gut alles sehen kann?«, fragte ich und goss das kochende Wasser aus meinem Wasserkocher auf die Teebeutel. »Ich habe kein Problem damit, wenn ihr zumindest bei so einem schlechten Wetter in meine Wohnung kommt. Ich möchte euch nicht unbedingt die ganze Zeit dahaben, aber bei diesem Sturm mache ich gern eine Ausnahme.«
Sin schwieg einen Moment und ich überlegte, ob Fire gern etwas Honig in seinem Tee hätte. Ich zuckte mit den Schultern und rührte einfach einen halben Löffel hinein. Ich hingegen gönnte mir einen ganzen.
»Danke, Miriam«, erscholl es leise aus dem Headset.
»Wofür?«, fragte ich überrascht. Mir war nicht aufgefallen, dass ich etwas Dankenswertes gesagt hatte. Vorsichtig hob ich die Teebeutel aus den Tassen, um ja kein Wort durch das Rascheln des Mülls zu verpassen.
»Nicht alle Erwachten sind so freundlich zu ihren Wächtern, nachdem ihnen das eröffnet wurde, was ich dir vorhin erzählt habe. Meist ist es eher so, dass sie eine ganze Zeit nichts mit uns zu tun haben wollen, bis sie sich an die neue Situation gewöhnt haben.«
»Aber ihr könnt doch nichts für meine Situation.« Ich nahm die Tassen und ging wieder ins Wohnzimmer, wo sich Fire auf den Fußboden neben meinen Balkonfenstern niedergelassen hatte und hinaus in den Sturm blickte. »Ganz im Gegenteil, ich muss euch doch dankbar dafür sein, dass ihr so viel Zeit und Kraft auf meine Sicherheit verwendet. Ich stamme nicht einmal von eurem Volk ab und niemand verpflichtet euch dazu, mich zu beschützen.«
Erst jetzt wurde mir mein Glück, das ich mit meinen drei Wächtern hatte, wirklich bewusst. Ich reichte Fire die Tasse, die er dankbar annahm. Aufmerksam musterte er mich, während ich mich neben ihn setzte und ebenfalls hinaus in den Sturm blickte.
»Im Prinzip hättet ihr noch ganz andere Möglichkeiten gehabt, mit uns Raritäten umzugehen. Zum Beispiel könntet ihr euch einfach der Kinder mit dem außergewöhnlichen Blut entledigen oder uns unserem Schicksal überlassen und nur das Mehr an Bestien bekämpfen.«