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Angesichts der aktuellen Herausforderungen – nicht zuletzt politischer Natur – mit denen sich viele europäische Staaten konfrontiert sehen, haben sich die Aufklärungsforscher entschlossen, auf die Geschichte der Europaidee zurückzukommen. Bereits im 18. Jahrhundert und zuvor besann man sich auf gemeinsame Werte und eine gemeinsame Geschichte; die damals gestellten Fragen ähneln in vielen Bereichen den heutigen. Die Autoren und Philosophen der Aufklärung haben so bereits über die Möglichkeiten einer europäischen Einigung zwecks Sicherung des Friedens auf dem Kontinent nachgedacht. Die Texte der vorliegenden Anthologie, verfasst sowohl von den großen Denkern der Zeit (Rousseau, Montesquieu, Voltaire, Kant, Hume oder Germaine de Staël) wie auch von weniger bekannten oder gar in Vergessenheit geratenen, präsentieren, mit einigen chronologischen Exkursen (von Sully bis Victor Hugo), die Ideen der Denker eines weit gefassten 18. Jahrhunderts zu Europa, seiner Geschichte, seiner Vielfalt, aber auch zu den Gemeinsamkeiten der Nationen, die trotz ihrer Vielfalt eine geographische Einheit bilden. Die Texte zeigen uns so die historischen Ursprünge des Projektes der europäischen Einigung, erörtern die Vorteile einer assoziierten Türkei und einer Einbindung des Maghreb sowie die Bedeutung des europäischen Handels. Sie verweisen auch auf die durch die historischen Unruhen verursachten Ängste wie auch auf die Zukunftsperspektiven eines vereinten Europas. Das Buch wurde mit Unterstützung der Universitäten Augsburg, Oxford sowie der Société française d’étude du XVIIIe siècle gedruckt. In view of the challenges—many of which are political—that different European countries are currently facing, scholars who work on the 18th century have compiled this anthology which includes earlier recognitions of common values and past considerations of questions which often remain pertinent nowadays. During the Enlightenment, many men and women of letters envisaged the continent’s future in particular when stressing their hope that peace could be secured in Europe. The texts gathered here, and signed by major thinkers of the time (Rousseau, Montesquieu, Voltaire, Kant, Hume or Staël for instance), as well as by writers history has forgotten, present the reflections, with a couple of chronological extensions (from Sully to Victor Hugo) of authors from the long eighteenth century—the French Empire and the fall of Napoleon generated numerous upheavals—on Europe, its history, its diversity, but also on what the nations, which, in all their diversity, make up a geographical unit, have in common. They show the historical origins of the project of a European union, the desire to consolidate the continent’s ties to the Maghreb or to Turkey, the importance granted to commerce and the worries engendered by history’s convulsions, but also the hope vested in future generations. The Société française d’étude du XVIIIe siècle, Augsburg University and the University of Oxford have generously contributed towards the publication of this volume.
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DIE EUROPAIDEE
Die Europaidee
im Zeitalter der Aufklärung
Texte zusammengestellt von Rotraud von Kulessa und Catriona Seth
https://www.openbookpublishers.com
© 2017 Rotraud von Kulessa und Catriona Seth
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Rotraud von Kulessa und Catriona Seth (Hg.), Die Europaidee im Zeitalter der Aufklärung. Cambridge, Großbritannien: Open Book Publishers, 2017, https://doi.org/10.11647/OBP.0127
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Open Book Classics Series, Bd. 8 | ISSN: 2054-216X (Druckversion); 2054-2178 (online)
ISBN Taschenbuch: 978-1-78374-398-8
ISBN Gebundene Ausgabe: 978-1-78374-399-5
ISBN Digitale (PDF): 978-1-78374-400-8
ISBN ebook Ausgabe (epub): 978-1-78374-401-5
ISBN ebook Ausgabe (mobi): 978-1-78374-402-2
DOI: 10.11647/OBP.0127
Titelbild: Cannibal Queen, Colours (2011), https://www.flickr.com/photos/cannibal_queen/5791733736. Titelblatt entworfen von Heidi Cobourn.
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Gedruckt in Großbritannien, den USA und Australien von Lightning Source für Open Book Publishers.
Um die Lektüre übersichtlich zu gestalten, haben wir für die einzelnen Textausschnitte zusammenfassende Titel gewählt, die fett gedruckt nach dem Autorennamen und Titel des Textes erscheinen.
Vorwort
1
1.
Friedrich Schiller, „Ode an die Freude“
Eine Hymne für Europa
5
2.
Maximilien de Béthune, Herzog von Sully, Denkwürdigkeiten
Das große Projekt des Heinrich IV.
7
3.
Charles-Irénée Castel de Saint Pierre, Der Traktat vom ewigen Frieden
Europa: ein Friedensprojekt
10
4.
Jean-Jacques Rousseau,Auszug aus dem Projekt für den ewigen Frieden
Die Überprüfung des Projektes von Saint Pierre
13
5.
Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf
Der universelle Frieden
18
6.
Charles-Irénée Castel de Saint Pierre, Der Traktat vom ewigen Frieden
Welcher Umfang für die europäische Union?
21
7.
Jean-Jacques Rousseau, Urteil über den ewigen Frieden
Die Europäische Union—ein unrealistisches Projekt?
23
8.
Edward Gibbon, Geschichte des Verfalls und Untergangs des Römischen Reichs
Der Blick über die nationalen Grenzen hinaus
25
9.
Louis de Jaucourt, Artikel „Europa“ in Enzyklopädie oder ein durchdachtes Wörterbuch der Wissenschaften, der Künste und Berufe
Europa in der Enzyklopädie
26
10.
Diego de Torres Villarroel, Die fantastische Reise des Großen Piscátor von Salamanca
Die Geographie Europas
29
11.
Anonym, Ergänzungsband zur Enzyklopädie
Geschichte und Politik
30
12.
Maximilien de Béthune, Herzog von Sully, Denkwürdigkeiten
Ein europäisches Parlament avant la lettre?
33
13.
Charles-Irénée Castel de Saint Pierre, Der Traktat vom ewigen Frieden
Europa und der Islam
35
14.
Voltaire, Essay über die Sitten
Der Reichtum Europas: das kulturelle Erbe!
36
15.
Marie-Jean-Antoine-Nicolas de Caritat de Condorcet, Skizze einer historischen Abhandlung über den Fortschritt der Menschheit
Regeln und befrieden
38
16.
Charles-Irénée Castel de Saint-Pierre, Der Traktat vom ewigen Frieden
Die Nachbarschaft zu Russland
39
17.
Voltaire,Das Zeitalter Ludwig XIV.
Das christliche Europa als große Republik?
40
18.
Louis-Antoine Caraccioli, Paris, das Muster aller Nationen oder das französische Europa
Einheit in der Vielfalt?
41
19.
Charles-Louis de Secondat, Baron von La Brède und von Montesquieu, Vom Geist der Gesetze
Der europäische Handel
43
20.
Charles-Irénée Castel de Saint Pierre, Der Traktat vom ewigen Frieden
Die religiöse Toleranz
46
21.
Louis-Antoine Caraccioli. Paris, das Muster aller Nationen oder das französische Europa
Der Reichtum der europäischen Küche
48
22.
Charles-Louis de Secondat, Baron von La Brède und von Montesquieu,Persische Briefe
Europa aus Sicht der Perser
50
23.
Germaine de Staël, Über Literatur
Nordeuropäische und südeuropäische Literaturen: ein Vergleich
54
24.
François-Ignace d’Espiard de La Borde, Vom Geist der Nationen
Nationalcharaktäre
57
25.
Louis-Antoine Caraccioli, Paris, Das Muster aller Nationen oder das französische Europa
Sprachliche Vielfalt in Europa
60
26.
August Wilhem Schlegel, „Abriss von den europäischen Verhältnissen der Deutschen Literatur“ in Kritische Schriften
Die Rolle Deutschlands für die europäische Kultur
62
27.
Gabriel-François Coyer, Reise nach Italien und nach Holland
Die Entführung der Europa
64
28.
Charles-Irénée Castel de Saint Pierre, Der Traktat vom ewigen Frieden
Die Handelsunion?
65
29.
Charles de Villers, Verfassungen der drei freien Handelsstädte
Ein gemeinsamer europäischer Markt
67
30.
Stanislas Leszczynski, Gespräch eines Europäers mit einem Inselbewohner des Königreiches von Dumocala
Das Reich der Vernunft
70
31.
Tomás de Iriarte,„Tee und Salbei“in Fabeln
Verbreitung des Reichtums
72
32.
Louis-Antoine Caraccioli, Paris, Das Muster aller Nationen oder das französische Europa
Europäisches Gesellschaftsleben
74
33.
Charles-Irénée Castel de Saint Pierre, Der Traktat vom ewigen Frieden
Die Sicherheit der europäischen Grenzen
77
34.
Marie Leprince de Beaumont, Magazin für junge Leute, besonders junge Frauenzimmer
Das koloniale Europa
78
35.
Louis-Jules Barbon Mancini-Mazarini-Nivernois, Herzog von Nevers,Die Fabeln des Mancini-Nivernois
Ein anderer Weg der Erziehung?
80
36.
Louis-Antoine Caraccioli, Paris, Das Muster aller Nationen oder das französische Europa
Die Bedeutung des Handels
82
37.
Johann Gottfried Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit
Diversität und Einheit Europas
85
38.
Françoise de Graffigny, Briefe einer Peruanerin
Kritik der europäischen Sitten
87
39.
David Hume, Vermischte Schriften über die Handlung, die Manufakturen und die andern Quellen des Reichtums und der Macht eines Staats
Die europäische Zivilisation
89
40.
Ludovico Antonio Muratori, Abhandlung über das öffentliche Glück
Der Fortschritt des Rechts in Europa
91
41.
Louis-Antoine Caraccioli, Paris, Das Muster aller Nationen oder das französische Europa
Annäherung der Europäer
93
42.
Germaine de Staël, Corinna oder Italien
Italien als Wiege der europäischen Kultur
96
43.
Marie-Anne du Boccage, Briefe über England, Holland und Italien
Europa und die französische Mode
98
44.
Friedrich Schlegel, „Reise nach Frankreich“in Europa. Eine Zeitschrift
Europa zwischen Niedergang und Erneuerung
99
45.
Charles-Irénée Castel de Saint Pierre, Der Traktat vom ewigen Frieden
Sprachlicher Reichtum Europas
101
46.
Novalis, Die Christenheit oder Europa
Das spirituelle Erwachen
102
47.
Louis-Antoine Caraccioli, Paris, das Muster aller Nationen oder das französische Europa
Das Café: ein Ort des gesellschaftlichen Lebens in Europa
104
48.
Johann Gottfried Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit
Das Glück in Europa
107
49.
Germaine de Staël, Deutschland
Die Ursprünge der europäischen Einigung
109
50.
JoséCadalso,Marokkanische Briefe
Die europäische Vielfalt aus dem fremdem Blick
111
51.
William Robertson, Geschichte der Regierung Kaiser Carls des V.
Seefahrt und Handelsbeziehungen
113
52.
Johann Gottfried Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit
Europa und seine lange Migrationsgeschichte
116
53.
William Robertson, Auszüge aus der Einleitung zur Geschichte der Regierung Kaiser Carls des V.
Einheit in der Vielfalt
118
54.
Diego de Torres Villarroel, „Sonnett“
Die politische Einheit Europas
119
55.
Louis-Antoine Caraccioli, Unterhaltende und moralische Briefe über die zeitgenössischen Sitten
Wem ähneln die Europäer?
120
56.
James Boswell, Tagebuch einer Reise nach den Hebridischen Inseln mit Doktor Samuel Johnson
Kosmopolitismus
121
57.
Louis-Antoine Caraccioli, Paris, Das Muster aller Nationen oder das französische Europa
Das französische Europa
122
58.
David Hume,Vermischte Schriften über die Handlung, die Manufakturen und die anderen Quellen des Reichtums und der Macht eines Staats
Politisches Gleichgewicht und der Frieden in der Zukunft
123
59.
José Cadalso, Marokkanische Briefe
Die Gelehrtenrepublik
127
60.
Jean-Charles Simonde de Sismondi, Von der Literatur Südeuropas
Wird Europa in Zukunft überholt sein?
128
61.
Germaine de Staël, Deutschland
Gemeinschaft der Philosophen
130
62.
Louis-Antoine-Léon de Saint-Just, Rede vom 13. ventôse des Jahres II
Eine neue Idee in Europa
132
63.
Marie-Jean-Antoine-Nicolas de Caritat de Condorcet, Skizze einer historischen Abhandlung über den Fortschritt des Menschen
Eine humanitäre Vision
133
64.
Jean-François Melon, Essay zur Wirtschaftspolitik
Das Gleichgewicht der Mächte herstellen
134
65.
Jean-Jacques Rousseau, Überlegungen zur Regierung von Polen
Tendenz zu einer kulturellen Vereinheitlichung?
135
66.
José Cadalso, Marokkanische Briefe
Europa und Afrika
136
67.
Immanuel Kant, Idee zu einer universellen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht
Die Erfüllung der Ziele der Natur
138
68.
Napoleon, zitiert vonEmmanuel-Auguste-Dieudonné-Marius de Las Cases in Denkwürdigkeiten von Sankt Helena
Europa regieren
140
69.
Marie-Jean-Antoine-Nicolas de Caritat de Condorcet, Skizze einer historischen Abhandlung über den Fortschritt des Menschen
Die Welt kennen, um sie zu verbessern
141
70.
Benjamin Constant, Über den Geist der Eroberung und der widerrechtlichen Aneignung im Zusammenhang mit der europäischen Zivilisation
Das Ende der Kriege in Europa?
143
71.
Napoleon, zitiert vonEmmanuel-Auguste-Dieudonné-Marius de Las Cases, Denkwürdigkeiten von Sankt Helena
Zukunftsvisionen
145
72.
José Cadalso, Brief an Tomás de Iriarte
Kritik am Eurozentrismus
146
73.
Napoleon, zitiert vonEmmanuel-Auguste-Dieudonné-Marius de Las Cases, Denkwürdigkeiten von Sankt Helena
Politische Hegemonie und europäische Einigung
147
74.
Alexandre Frédéric Jacques de Masson de Pezay, Abende in der Schweiz, im Elsass und in der Franche-Comté
Europa ohne Grenzen
149
75.
Jean-Charles Simonde de Sismondi, Die Literatur Südeurops
Zahlreiche Einflüsse
150
76.
Johannes von Müller,Briefe an Carl Victor von Bonstetten
Welche Zukunft für Europa?
151
77.
Benjamin Constant, Die Freiheit der Alten verglichen mit der der Modernen
Der Charakter des modernen Austausches
153
78.
Pierre-Simon Laplace, Vorstellung des Systems der Welt
Die Einheit der Maße
155
79.
Victor Hugo, Der Rhein
Die deutsch-französische Freundschaft als Garant für Frieden in Europa
156
Bibliographie
161
Didier Robert de Vaugondy, Universal Atlas (1737), kartennummer 14. © Bibliothèques-Médiathèques de Metz ATR 5132.
© 2017 Rotraud von Kulessa und Catriona Seth, CC BY 4.0 https://doi.org/10.11647/OBP.0127.02
Am 25. März 2017 haben die Römischen Verträge, mit denen die Grundpfeiler der Europäischen Wirtschaftsunion gesetzt wurden, ihr 60-jähriges Bestehen gefeiert. Am Palazzo dei Conservatori auf dem Kapitol hatten sich Vertreter der sechs Gründungsstaaten – Belgien, Niederlande, Luxemburg, Frankreich, Italien und die Bundesrepublik Deutschland – zusammengefunden, um sich über eine europäische Einigung zu verständigen. Die zwölf Unterzeichner, darunter Vertreter von Universitäten, Juristen, Diplomaten, von denen einige während des Krieges dem Widerstand angehört hatten oder in Gefangenschaft gewesen waren, wollten den Zusammenhalt zwischen ihren Ländern stärken und durch intensivierte Handelsbeziehungen den Frieden auf dem Kontinent sichern. Heute, 60 Jahre danach, sieht sich die Europäische Union, die nunmehr 28 Mitglieder zählt (oder bald nur noch 27 wegen des anstehenden Brexits), immer stärkeren Anfeindungen ausgesetzt. Der Euroskeptizismus macht sich überall breit. Populistische Strömungen in ganz Europa versprechen einer – zumindest in Teilen – zunehmend verunsicherten Bevölkerung Schutz vor den vermeintlichen Anfeindungen durch Mondialisierung und Globalisierung durch die Rückkehr zum Nationalismus oder anderen Partikularismen.
Angesichts der aktuellen Herausforderungen – nicht zuletzt politischer Natur – mit denen sich viele europäische Staaten konfrontiert sehen, haben sich die Aufklärungsforscher entschlossen, auf die Geschichte der Europaidee zurückzukommen. Bereits im 18. Jahrhundert und zuvor besann man sich auf gemeinsame Werte und eine gemeinsame Geschichte; die damals gestellten Probleme ähneln in vielen Bereichen den heutigen. Die Autoren und Philosophen der Aufklärung haben so bereits über die Möglichkeiten einer europäischen Einigung zur Sicherung des Friedens auf dem Kontinent nachgedacht. Die Texte der vorliegenden Anthologie, verfasst sowohl von den großen Denkern der Zeit (Rousseau, Montesquieu, Voltaire, Kant, Hume oder Germaine de Staël), wie auch weniger bekannten oder gar in Vergessenheit geratenen, präsentieren, mit einigen chronologischen Exkursen (von Sully bis Victor Hugo), die Ideen der Denker eines weit gefassten 18. Jahrhunderts zu Europa, seiner Geschichte, seiner Vielfalt, aber auch zu den Gemeinsamkeiten der Nationen, die trotz ihrer Vielfalt eine geographische Einheit bilden. Die Texte zeigen uns so die historischen Ursprünge des Projektes der europäischen Einigung, wie im Projet pour rendre la paix perpétuelle en Europe (1713). Abbé de Saint-Pierre, Autor dieser Abhandlung, versuchte innovative Lösungen für die Konflikte zu finden, die Frankreich sowie die Nachbarstaaten im Zuge des Spanischen Erbfolgekrieges erschütterten; statt eines Kräftegleichgewichtes schlägt er eine europäische Union vor, mit einer assoziierten Türkei und den Maghrebländern, um ihre Einbindung in den ökonomischen Einigungsprozess sicherzustellen.
Wie er machen auch Andere Vorschläge für eine europäische Zukunft. Manchmal irrten die Autoren und Autorinnen, wie wir heute mit entsprechendem zeitlichen Abstand erkennen können. Zuweilen entsprechen ihre Ansätze nicht unseren heutigen Vorstellungen oder sie erscheinen uns nunmehr obsolet. Allerdings haben sie eines gemeinsam: Sie haben über die Möglichkeit der Einheit Europas in seiner einzigartigen Vielfalt nachgedacht und damit Zukunftsvisionen für den Kontinent entworfen.
Auch wenn zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Idee der Nationalcharaktäre- und identitäten immer wichtiger wird, werden Intellektuelle wie Germaine de Staël, an die der Prinz de Ligne schreibt: „Man sollte Sie nur als ‘Genie Europas’ anreden“, oder aber wie Victor Hugo, der ein föderales Europa nach dem Modell der Vereinigten Staaten anstrebt, nicht müde, auf die Notwendigkeit eines vereinten Europas zur Sicherung des Friedens hinzuweisen. In seiner berühmten Ansprache im Rahmen des Friedenskongresses von 1849 kündigt Hugo eine Zeit an, in der ein Krieg zwischen London und Paris, zwischen Sankt Petersburg und Berlin, zwischen Wien und Turin genauso absurd und unmöglich wie ein Krieg zwischen Rouen und Amiens oder zwischen Boston und Philadelphia sein werde und macht sich somit zum Verkünder einer strahlenden Zukunft: „Es wird der Tag kommen, an dem Frankreich und Ihr in Russland, Ihr in Italien, Ihr in England und Ihr in Deutschland, Ihr alle Nationen des Kontinents, alle, ohne Eure unterschiedlichen Qualitäten, ohne Eure großartige Einzigartigkeit zu verlieren, in einer engen und höheren Vereinigung verschmelzen werdet. Und Ihr werdet in Europa verbrüdert sein, wie die Normandie, die Bretagne, die Bourgogne, Lothringen, das Elsass, wie alle unsere Provinzen in Frankreich aufgegangen sind.“ Hugo gab diesem Konstrukt, das den Visionen der heutigen Föderalisten entsprach, den Namen ‘Vereinte Staaten von Europa’. Auch dachte er bereits an den technischen Fortschritt, der die brüderliche Vereinigung vorantreiben sollte: „Dank der Erfindung der Eisenbahn wird Europa bald nicht größer sein als Frankreich im Mittelalter! Dank der Dampfschifffahrt überqueren wir heute die Ozeane leichter als früher das Mittelmeer. Bald wird der Mensch die Erde durchqueren wie die Götter Homers den Himmel, das heißt mit drei Schritten. Noch einige Jahre, dann wird der elektrische Draht der Eintracht den Erdball umspannen und die Welt umarmen.“
Der Optimismus Hugos hat sich erst einmal nicht bewahrheitet, wenn wir an die aufkommenden populistischen Strömungen und die Fremdenfeindlichkeit denken, die heute die Beziehungen zwischen den europäischen Staaten vergiften. Allerdings stellt er für uns, die wir uns nicht vom Geist des Argwohns beherrschen lassen und die wir uns mit unserem gemeinsamen Erbe und unserer gemeinsamen Zukunft identifizieren und die wir unsere Unterschiede als zu teilende Bereicherung empfinden, einen Hoffnungsschimmer dar. Lasst uns Gibbon zuhören, für den der wahre Philosoph europäisch denken muss und sich nicht von nationalen Grenzen einengen lässt. Schauen wir auf die Vorschläge Benjamin Constants, mit denen er das Ende der Kriege herbeizuführen gedenkt. Die Ansichten der Denker der Aufklärung, auch wenn diese uns zuweilen etwas überholt oder gar eurozentristisch erscheinen, haben es verdient, noch einmal betrachtet zu werden. Wir sind ihre Erben. Unsere Nachkommen könnten eines Tages Rechenschaft verlangen für das, was wir aus diesem intellektuellen Erbe gemacht haben. Die vorliegende Anthologie, Frucht einer internationalen Zusammenarbeit, bietet eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze und Ideen und kann – ganz nach den Interessen der Leser und Leserinnen – kursiv gelesen werden. Sie ist für alle Europäer und Europäerinnen gedacht und deshalb sowohl auf Deutsch als auch auf Französisch und Englisch veröffentlicht worden.i
Die HerausgeberInnen möchten an dieser Stelle ganz herzlich allen Kolleginnen und Kollegen sowie auch Studierenden danken, die an der Herausgabe der französischen Originalausgabe sowie an der deutschen Übersetzung mitgearbeitet haben: Nicolas Brucker (Metz), Denis de Casabianca (Marseille), Carole Dornier (Caen), Fabio Forner (Verona), Marie-Claire Hoock-Demarle (Paris), Juan Ibeas (Vitoria), Frank Reiser (Freiburg), Ritchie Robertson (Oxford und Göttingen), Lydia Vázquez (Vitoria), Ivana Lohrey (Augsburg), Christina Schönberger (Augsburg), Sinah Friederike Helene Brücker (Augsburg), Mirjam Steiner (Augsburg), Angelika Pfeil (Augsburg), Jonathan Schmollinger (Augsburg). Weiterhin gilt unser Dank den Universitäten Augsburg und Oxford wie der Société française d’étude du XVIIIe siècle.
i Die Textausschnitte, die nicht in deutschsprachigen rechtefreien Ausgaben vorhanden waren, wurden von den an diesem Editionsprojekt Mitwirkenden übersetzt. Orthographie und Zeichensetzung wurden modernisiert.
1. Eine Hymne für Europa
© 2017 Rotraud von Kulessa und Catriona Seth, CC BY 4.0 https://doi.org/10.11647/OBP.0127.01
Ein Gedicht Friedrich Schillers (1759-1805),i die „Ode an die Freude“ mit der Musik der 9. Symphonie von Ludwig van Beethoven, ist zur Europahymne geworden, nachdem sie nicht zuletzt in den Konzentrationslagern erklungen war. Als Symbol der Versöhnung bürgt sie zum einen für eine gemeinsame klassische Kultur als auch für das Streben nach einer Zukunft in Frieden und Verbrüderung. Das 1785 verfasste Gedicht steht unter dem Einfluss des Pietismus derer, die Schiller nahestanden, zeugt aber auch von einem Geist der intellektuellen Öffnung.
O Freunde, nicht diese Töne!
Sondern laßt uns angenehmere anstimmen
und freudenvollere.
Freude, schöner Götterfunken
Tochter aus Elysium,
Wir betreten feuertrunken,
Himmlische, dein Heiligtum!
Deine Zauber binden wieder
Was die Mode streng geteilt;
Alle Menschen werden Brüder
Wo dein sanfter Flügel weilt.
Wem der große Wurf gelungen,
Eines Freundes Freund zu sein;
Wer ein holdes Weib errungen,
Mische seinen Jubel ein!
Ja, wer auch nur eine Seele
Sein nennt auf dem Erdenrund!
Und wer’s nie gekonnt, der stehle
Weinend sich aus diesem Bund!
Freude trinken alle Wesen
An den Brüsten der Natur;
Alle Guten, alle Bösen
Folgen ihrer Rosenspur.
Küsse gab sie uns und Reben,
Einen Freund, geprüft im Tod;
Wollust ward dem Wurm gegeben,
und der Cherub steht vor Gott.
Froh, wie seine Sonnen fliegen
Durch des Himmels prächt’gen Plan,
Laufet, Brüder, eure Bahn,
Freudig, wie ein Held zum Siegen.
Seid umschlungen, Millionen!
Diesen Kuß der ganzen Welt!
Brüder, über’m Sternenzelt
Muß ein lieber Vater wohnen
Ihr stürzt nieder, Millionen?
Ahnest du den Schöpfer, Welt?
Such ‘ihn über‘m Sternenzelt!
Über Sternen muß er wohnen.
Friedrich Schiller, „Ode an die Freude“ (1785).ii
Text im Original (Ausgabe von 1808): https://de.wikisource.org/wiki/Ode_an_die_Freude
i https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Anton_Graff_Schiller_(1).jpg
ii In Klammern ist jeweils das Jahr der Erstveröffentlichung des Originaltextes angegeben, unabhängig von der verwendeten Ausgabe oder Übersetzung.
2. Das große Projekt des Heinrich IV.
Die Memoiren des Maximilien de Béthune, Herzog von Sully (1559-1641),iii sind das einzige Zeugnis, das wir von dem großen Projekt eines vereinten christlichen Europas Heinrich IV., König von Frankreich (1553-1610), besitzen. Sully erschien das Projekt gar so utopisch, dass er dem Monarchen erst einmal gar nicht zuhören wollte, als dieser von „einem politischen System, das erlauben würde, Europa wie eine große Familie zu führen“ sprach. Heinrich IV. dachte, keine Nation könne sich dieser Idee sperren angesichts der großen Vorteile, die sie mit sich bringen würde: „Die Vorteile, die es mit sich brächte, abgesehen von dem unschätzbaren Wert des Friedens, übersteigen bei weitem die Kosten dieses Projektes“ Im Kontext der politischen Konflikte der damaligen Zeit ging es ihm insbesondere darum, die Macht der spanischen Krone einzudämmen sowie der Religionsstreitigkeiten Herr zu werden. Zu diesem Zweck berät er sich auch mit der englischen Königin Elisabeth, die sein Projekt unterstützenswert findet. Die Idee Heinrich IV. inspirierte nicht zuletzt das Friedensprojekt des Abbé de Saint-Pierre im XVIII. Jahrhundert.
Er [Heinrich IV.] wollte Frankreich auf alle zukünftigen Zeiten glücklich machen: Und da es diese vollkommene Glückseligkeit nur durch dieses Mittel erlangen kann, dass Europa in gewissem Sinne dasselbe mit ihm teile; so umfasste sein Plan das Wohl der ganzen Christenheit, und dieses wollte er so fest gründen, dass in der Folge durchaus nichts im Stande wäre, den Grund desselben wanken zu machen.
Die Unruhen, die die folgenden Jahre ganz erfüllten: Der im Jahr 1595 entstandene Krieg, der auf den Frieden zu Vervins erfolgte Krieg mit Savoyen setzten den König in Verlegenheiten, welche ihn nötigten, alle anderen Geschäfte bei Seite zu legen. Erst nach seiner Vermählung und nachdem der Friede ganz befestigt war, konnte er sein ehemaliges Projekt wieder vornehmen, das jetzt völlig unmöglich schien oder wenigstens entfernter als jemals.
Nichtsdestoweniger teilte er dasselbe der Königin Elisabeth schriftlich mit und dieses flößte ihnen dieselbe Begierde ein, sich im Jahr 1601 zu unterreden, als diese Prinzessin nach Dover kam und der König nach Calais reiste. […] Ich fand sie ganz beschäftigt mit Nachdenken über die Mittel, die die Ausführung dieses großen Entwurfs erleichtern konnten, und ungeachtet der Schwierigkeiten, die sie sich bei den zwei Hauptpunkten, der Eintracht zwischen den Religionsparteien und der Gleichheit der Staaten, vorstellte; so schien sie mir doch an der Möglichkeit eines glücklichen Ausganges nicht zu zweifeln. […]
Der Tod des Königs von Spanien schien uns das glücklichste Ereignis für unser Projekt: Allein das Ableben der Königin Elisabeth versetzte demselben einen so empfindlichen Streich, dass wir darüber beinahe alles aufgegeben hätten. Heinrich erwartete weder von den Nordischen Monarchen noch von dem König Jakob, dem Nachfolger jener Prinzessin, da er seinen Charakter kennen gelernt hatte, dass einer von ihnen ebenso geneigt sein würde, ihm diese Bürde tragen zu helfen, als die verstorbene Königin gewesen war. Gleichwohl trösteten ihn die neuen Alliierten, die er mit jedem Tag in Deutschland und selbst in Italien erhielt, ein wenig über diesen Verlust. […]
Was forderte er [Heinrich IV.] von den Einwohnern Europas? Nichts anders als ihre Unterstützung zur Erreichung seiner Absichten, sie in diejenige Lage zu versetzen, worein sie seit langem aus allen Kräften zu kommen sich bemüht haben. […]