Die Fahrt der Slanderscree - Alan Dean Foster - E-Book

Die Fahrt der Slanderscree E-Book

Alan Dean Foster

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Beschreibung

Es wird warm auf dem Eisplaneten

Ethan Fortune und sein Freund Skua September haben den Eisplaneten Tran-ky-ky von seinem Tyrannen befreit und die Freundschaft der Tran, der Ureinwohner des Planeten, gewonnen. Plötzlich finden sie auf Aufnahmen aus dem Orbit Zonen, in denen sich die Eisfläche stark erwärmt. Handelt es sich um Vulkanaktivität, oder stecken Geschäftemacher dahinter, die den Eisplaneten profitabel machen wollen? An Bord des Eisklippers Slanderscree machen sie Fortune und September auf den Weg, das Rätsel zu lösen.

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ALAN DEAN FOSTER

DIE FAHRT DER SLANDERSCREE

Der Homanx-Zyklus

Eissegler-Trilogie 3

Das Buch

Ethan Fortune und sein Freund Skua September haben den Eisplaneten Tran-ky-ky von seinem Tyrannen befreit und die Freundschaft der Tran, der Ureinwohner des Planeten, gewonnen. Plötzlich finden sie auf Aufnahmen aus dem Orbit Zonen, in denen sich die Eisfläche stark erwärmt. Handelt es sich um Vulkanaktivität, oder stecken Geschäftemacher dahinter, die den Eisplaneten profitabel machen wollen? An Bord des Eisklippers Slanderscree machen sie Fortune und September auf den Weg, das Rätsel zu lösen.

Der Autor

Alan Dean Fosters Arbeiten sind breit gefächert und reichen von Science Fiction und Fantasy über Horror und Krimis bis zu Western. Er schrieb Star Wars-Romane und die Romane zu den ersten drei Alien-Filmen sowie Vorlagen für Hörbücher, Radio und die Story des ersten Star Trek

Titel der Originalausgabe

THE DELUGE DRIVERS

Aus dem Amerikanischen von Ralph Tegtmeier

Überarbeitete Neuausgabe

Copyright ©1987 by Alan Dean Foster

Copyright © 2015 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

In Erinnerung an Judy-Lynn Benjamin del Rey:

Das Schicksal ist ein unbarmherziger Redakteur.

1

Das Schlimmste war nicht, dass Fortune sich zu Tode fror. Das Schlimmste war, dass er es freiwillig tat.

Bei den dichtbepelzten Tran war Nacktheit nicht gerade beliebt; für einen Menschen grenzte es an Wahnsinn, nackt auf Tran-ky-ky herumzustehen – doch Ethan versuchte durchaus nicht, Selbstmord zu begehen. Man erwartete von ihm, dass er feierte, doch es war schwierig vorzugeben, man amüsiere sich, wenn man blau anlief, wenn Gänsehaut Arme und Beine überzog und andere Teile der Anatomie kurz davor standen, zu einem bleibenden Teil der Epidermis zu werden.

Dass er in seinem Unglück Gesellschaft hatte, war kein Trost. Skua September war es genauso kalt, bis auf jene Teile von Gesicht und Hals, die von einem dichten graubraunen Bart bedeckt waren. Der alte Hüne hatte beide Arme eng um die Rippen geschlungen.

Dazu kam noch der Umstand, nicht nur den Elementen, sondern auch neugierigen Blicken ausgesetzt zu sein. Es war dämlich, verlegen zu sein, sagte Ethan sich. Er und Skua waren die einzigen menschlichen Wesen im Hofsaal von Arsudun. Es war nur allzu verständlich, dass ihre nackten Gestalten Aufmerksamkeit erregten – mit ihren flachen Füßen, die nicht über die schlittschuhähnlichen Chiv verfügten, ihren langen Armen und ihren im wesentlichen pelzlosen Körpern.

Mousokka, der Zweite Maat des Eisseglers Slanderscree, ließ sie wissen, er halte die subtile Veränderung ihrer Hautfarbe für sehr kleidsam. Die wütenden Blicke, die ihm diese Bemerkung einbrachte, überzeugten ihn, dass die Veränderung durchaus nicht freiwillig war, und er erwähnte sie nicht mehr.

Am schwierigsten war es, einfach stumm zu bleiben. Zittern war zwar gestattet – Murmeln und das Hervorbringen anderer Geräusche jedoch nicht. Skua beugte sich trotzdem zu seinem Kameraden hinunter, um ihm etwas zuzuflüstern:

»Es ist gar nicht so schlimm, Jungchen. Nach einer Weile verdrängt die Taubheit die Kälte.«

»Halt die Klappe! Halt einfach nur die Klappe, ja?«

Ethan beugte sich vor und sah an einem vor ihm stehenden Mitglied der Ehrenwache vorbei. »Sie sind doch wohl bestimmt gleich fertig, oder?«

Unter einer raffiniert geschnitzten Kuppel aus Stavanzer-Elfenbein intonierte ein Trio ältlicher Gelehrter aus Arsudun das traditionelle Vermählungsritual. Über ihnen schwangen sich Steinmauern zur Decke des Hofsaals Arsuduns empor, jenes Inselstaats, dessen korrupter Landgraf kürzlich von Ethan, Skua und ihren Tranfreunden gestürzt worden war. Der neue junge Landgraf, Sef Gorin-Vlogha, hatte den Neuvermählten in spe seinen Segen gegeben und darauf bestanden, dass sie ihr Gelübde in Arsuduns uralter Burg ablegten. Seiner uralten, unbeheizten Burg, sinnierte Ethan, während er versuchte, seine Zähne am Klappern zu hindern.

Die beiden Hauptpersonen dieses eisigen, romantischen Dramas waren Sir Hunnar Rotbart und Elfa Kurdagh-Vlata. Elfa war die Tochter und Erbin des Landgrafen von Sofold; Hunnar der erste Tran, mit dem Ethan und Skua nach ihrer Bruchlandung auf dieser Welt vor Äonen zu tun gehabt hatten. Ethan freute sich, an ihrem Glück teilhaben zu können. Doch er hätte alles dafür gegeben, seine Zustimmung zur Teilnahme an dieser Zeremonie rückgängig machen zu können.

Nicht, dass er und Skua in ihrer Nacktheit allein waren. Wachen wie Zuschauer hatten sich für die Zeremonie ebenfalls ihrer Garderobe entledigt. Einzig Braut und Bräutigam waren bekleidet. Aber die katzbärenartigen Tran hatten ihren dicken Pelz. Sie bemerkten die Kälte in der Burg nicht. Ethan und Skua verfügten über keinen derartigen natürlichen Schutz.

»Sieh mal, Ethan«, flüsterte Skua, »als ich die Einladung zu dieser kleinen Festivität für uns annahm, hatte ich keine Ahnung, dass ein Striptease zur Tradition gehört. So wie es der Hauptmann der Wache erklärt hat, bringen wir durch unser unbekleidetes Erscheinen vor den Liebenden zum Ausdruck, dass wir ihnen unsere Freundschaft und Zuneigung ohne irgendwelche Vorbehalte geben. Man hält nichts zurück. Es ist ein Zeichen des Respekts für das glückliche Paar. Man verbirgt nichts in seiner Gegenwart.«

»Das ist verdammt wahr«, brummte Ethan.

»Hat nebenbei auch seine praktischen Aspekte«, bemerkte Skua versonnen. »Unser Freund Hunnar da drüben wird eines Tages Landgraf sein, Herrscher von Wannome. Wenn alle feiern und in ausgelassener Stimmung sind, ist das für einen potentiellen Meuchelmörder eine gute Zeit zum Zuschlagen – ist aber ziemlich schwierig, eine Waffe einzuschmuggeln, wenn man nichts hat, worunter man sie verbergen kann.«

»Ist auch verdammt schade. Wenn ich eine hätte, wüsste ich nämlich, was ich damit täte.«

Skua breitete seine mächtigen Hände aus. »Was hätte ich denn tun sollen, Jungchen? Die Einladung zur Hochzeit unserer Freunde ausschlagen? Eine königliche Einladung zudem, und wir kurz davor, diesen Eisball auf immer und ewig zu verlassen. Gibt keinen Grund für uns, hier noch länger rumzuhängen. Mit Sofold und Arsudun im Norden und Poyolavomaar und Moulokin im Süden sind die Tran auf dem besten Weg, aus ihrem feudalen Stadtstaat-Zyklus auszubrechen und eine planetarische Regierung zu gründen. Die anderen unabhängigen Staaten werden mitmachen müssen – es gibt keine Möglichkeit, dieser Kraft zu widerstehen.«

Einer der anderen Zuschauer, offensichtlich ein arsudunischer Edler, ermahnte sie mit einem Blick, still zu sein. Es war respektlos, sich während der heiligen Augenblicke der Zeremonie zu unterhalten, ob man nun Held, Gemeiner oder Außenweltler war. Waren sie sich denn nicht der einzigartigen Ehre bewusst, die ihnen erwiesen worden war? Trotz der Anwesenheit des wissenschaftlichen Außenpostens des Commonwealth am Westufer Arsuduns war dies das erste Mal, dass es Nicht-Tran gestattet wurde, Zeuge der ehrwürdigen, traditionellen Riten zu werden, die männliche und weibliche Tran im Ehestand vereinten.

Ein Vergnügen, auf das Ethan hätte verzichten können.

Er schwieg um Hunnars und Elfas willen. Die Vermählungsprozedur bestand aus einer Menge ruckhafter Bewegungen, viel Gestöhne und viel zuviel Gerede. Wären die beiden Brautleute nicht seine Freunde gewesen, er hätte sein Missbehagen allen und jedem kundgetan und sich den Teufel um die Konsequenzen geschert. Er versuchte sich einzureden, dass er nicht fror, aber sein Körper nahm ihm das nicht ab. Also konzentrierte er sich stattdessen auf die angenehmeren und erfreulicheren Aktivitäten, die diesem ausgedehnten Unbehagen vorausgegangen waren: die Prozession durch die Stadt, der Einzug in die Burg, die Eideszeremonie der Edlen, sogar die formelle Entblößung, die außerhalb der Halle stattgefunden hatte; die Kleider türmten sich zu zwei Haufen, zwischen denen die Hochzeitsprozession hindurchgeschritten war.

Wäre es wirklich Blasphemie gewesen, wenn er seine Unterwäsche anbehalten hätte?

Eigentlich sollte er dankbar sein. Was, wenn die Tradition verlangt hätte, dass die Zeremonie nicht in der Burg, sondern auf den ungeschützten Ebenen Arsuduns stattfand? Im Innern bewegte sich die Temperatur nahe am Gefrierpunkt. Draußen, unter freiem Himmel, sank sie weit unter den Punkt, an dem Wasser noch beweglich war. Nur einige wenige Feuer in Steinschalen hielten das arktische Klima draußen. Eines flackerte nicht weit entfernt. Seine nackte Rückseite – oder was das anging, irgendeinen anderen Teil seiner Anatomie – in die Nähe des heißen Steins zu strecken, hätte einen unverzeihlichen Bruch der Etikette bedeutet. Aber er würde sehr bald etwas tun müssen. Zittern und Gänsehaut waren noch halb Spaß; Erfrierungen schon nicht mehr.

»Ich halte das nicht mehr lange aus.«

»Konzentrier dich auf die Zeremonie, auf die Bewegungen! Wunderschön, oder?«

»Was ich davon neben dem Klappern meiner Zähne mitbekomme«, erwiderte Ethan.

»Und ist es nicht großartig, mitzuerleben, wie die beiden sich endlich einander versprechen?«

»Ja, ja, natürlich.« Vielleicht würde die Vermählung mit Elfa endlich Hunnars unbegründetem Verdacht ein Ende bereiten, sie fühle sich auf irgendeine perverse Art von Ethan angezogen. »Das erwärmt mein Gemüt, aber nicht meinen Arsch.«

»Ja, dann mach dir eben warme Gedanken.«

»Du hast gut reden.«

Skua bedachte ihn mit einem tadelnden Blick. »Nein, Jungchen. Hab' ich gar nicht. Mir ist genauso kalt wie dir. Du strengst dich eben nur nicht genug an. Denk an was anderes. Denk an ...« – sein Blick wurde plötzlich sehnsüchtig – »denk an nächste Woche, wenn das planmäßige Versorgungsschiff kommt und wir diese Welt verlassen können.«

Das war etwas, woran man denken konnte, sagte Ethan sich. Denk an die Rückkehr in die Zivilisation nach fast zwei Jahren unter wohlmeinenden, fremdrassigen Barbaren. Denk an eine moderne, saubere, warme Einzelkabine auf einem neuen KK-Schiff. Denk sogar an die Rückkehr zur Arbeit. Zeit, das Abenteuer hinter sich zu lassen und sich wieder den Alltagsgeschäften zu widmen. Das Gewöhnliche war längst überfällig.

Skua deutete auf die skandierenden Ältesten. »Ich glaube, sie kommen zum Ende, Jungchen.«

»Wieso?«

Der Hüne wies über die freie Zentralfläche. »Siehst du die älteren Tran da drüben? Die Ältesten der Hofdamen, denke ich. Die letzten dreißig Minuten haben sie dagestanden wie Bäume, und jetzt fangen sie an zu plappern.«

Septembers Mutmaßung traf zu. Eine letzte Einzelstimme steigerte sich in einen gutturalen Abschluss des aufsteigenden Gesangs, und die versammelten Edlen brachten drei laute Rufe aus. Sie stießen ihre Pranken in die Höhe und begannen zu winken – ihre Dan, die flügelähnlichen Membranen, die die Arme und Flanken miteinander verbanden, wurden hin und her bewegt. Was dazu führte, dass Wind und Worte auf das glückliche Paar einströmten. Glücklicherweise standen Ethan und Skua etwas abseits, so dass die künstliche Sturmböe sie nicht traf.

Die Ältesten verbeugten sich, und die Menge drängte vor, um den Frischvermählten zu gratulieren. Hunnar hob Schweigen gebietend die Arme.

»Neu gefundene Freunde und Verbündete: Ich danke euch für eure Freundlichkeit und eure Gastfreundschaft.« Er nickte den Ältesten zu. »Ich danke euch auch für die prächtige Zeremonie, die ihr für uns veranstaltet habt.« Jetzt wandte er sich dem jungen Gorin-Vlogha zu. »Seid versichert, dass gemäß dem neuen Vertrag zwischen unseren Völkern die Bürger Arsuduns in unserer Heimat Sofold genauso willkommen sein werden wie in den Häfen unserer Mitverbündeten Poyolavomaar und Moulokin.« Er trat zurück, und Elfa kam nach vorne.

»Uns stehen große Zeiten bevor, meine Freunde«, begann sie, ihre kräftige Stimme hallte durch den Saal. »Wundervolle Dinge ereignen sich dank unserer Freunde, der Himmelsleute.« Sie deutete auf die beiden vor Kälte zitternden Menschen, und ein verblüffter Ethan gab sich die größte Mühe, unter den gegebenen Umständen so würdevoll wie möglich auszusehen.

»Wir haben erfahren, dass es andere Welten als unsere gibt, Welten so zahlreich wie die Stadtstaaten Tran-ky-kys. Um an ihrer Herrlichkeit, ihrer Macht und ihrem Wohlstand teilhaben zu können, müssen wir einige unserer überlieferten Gewohnheiten und Bräuche aufgeben. Nicht länger mehr können die Tran isoliert voneinander leben und die nichtigsten Unstimmigkeiten und Meinungsverschiedenheiten durch Kämpfe austragen. Wir müssen in Frieden zueinanderkommen, um Kraft und Stärke zu gewinnen, damit wir, wenn wir uns zwischen den Sternen zu unseren Freunden, den Himmelsleuten, gesellen, was wir eines Tages tun müssen, wie sie uns versichern, dies erhobenen Hauptes und mit weitgespreizten Dan tun können. Als Krieger und als ein Volk, das stolz auf das ist, was es ist, und nicht etwa als unselbständige Mündel eines größeren Staates. Wir verbinden und verbünden uns, um Gleichheit und Gleichberechtigung zu finden. Die Tran wollen und brauchen keine Almosen!«

Brausender Beifall stieg auf und hallte laut durch den Hofsaal. Elfa und Hunnar wurden von den Umarmungen und Umklammerungen fast erdrückt. Für Ethan klang das alles ziemlich deutlich nach Fütterungszeit im Zoo. Er folgte Skua, als der Hüne sich mit Hilfe seiner Körpermasse einen Weg durch die Menge bahnte.

»Ich habe auch etwas zu sagen, Sir Hunnar«, hörte Ethan ihn rufen.

»Ja, was gibt es denn, Freund Skua?«

Ethan fühlte sich inmitten der Masse der größeren und breiteren Tran zwergenhaft, aber nicht eingeschüchtert. Dazu kannte er sie zu gut. Außerdem wurde ihm durch all die pelzigen Körper, die sich um ihn herum aneinanderdrückten, langsam warm.

»Es ist wegen unserer Kleider.«

»Ach natürlich, im Gefühlsüberschwang des Augenblicks habe ich nicht daran gedacht. Ihr habt so lange bei uns gelebt, dass ich manchmal vergesse, dass ihr unser Klima nicht angenehm findet. Die Zeremonie muss für dich und Ethan eine Strapaze gewesen sein.« Hunnar wies auf den kleinen Kleiderberg, der sich rechts neben dem Eingang häufte. »Ich glaube, ihr werdet eure Anzüge dort finden. Gewänder von Verwandten und engen Freunden werden immer Steuerbord gestapelt. Kommt, wir werden euch helfen!« Elfa bei der Hand nehmend, führte er sie durch die gratulierende Menge.

»Ich fürchte, eure seltsame Kleidung liegt fast ganz unten«, bemerkte Elfa.

Ethan musterte den Haufen nichtmenschlicher Kleidung. »Das macht nichts. Ich suche gern danach. Es muss da drunter wärmer sein als hier draußen.«

Bis er und Skua wieder in ihrer Unterwäsche und den silbrigen Überlebensanzügen steckten, hatten viele der führenden Edlen und Ritter Arsuduns den Frischvermählten bereits ihre Glückwünsche und Geschenke zukommen lassen und sich verabschiedet. In einem anderen Teil der Burg hatte das offizielle Festessen begonnen. Rufe und Bruchstücke halb gesungener, halb gefauchter Lieder drangen in den Hofsaal.

Ethan blieb zurück, während Skua sich fröhlich in die raue Feier stürzte. Sie konnten nicht in die Niederlassung des Commonwealth in Brass Monkey zurück, bis Hunnars Besatzung, die Matrosen und Soldaten des Eisklippers Slanderscree, ihr Gelage beendet hatte. Es war früher damit zu Ende, als er gedacht hatte. Es hätte ihn nicht überraschen dürfen – die Sofoldianer waren seit über einem Jahr nicht mehr in ihrer Heimatstadt Wannome gewesen. Inzwischen mussten ihre vielen Freunde und Verwandten sich fragen, ob dem großen Eisschiff etwas zugestoßen war und seine Besatzung nur noch aus auf dem Eis verstreuten Knochen bestand. Ethan und Skua waren nicht die einzigen, die zu Hause überfällig waren.

Später am Abend, als das Fest sich seinem Ende näherte, zog Hunnar Ethan und Skua beiseite. Sie setzten sich mit Elfa an einen kleinen Tisch, der etwas abseits vom lärmenden Treiben der Hauptfeier stand.

»Ich wünschte, wir könnten euch und euren Freund Williams überreden, noch ein wenig bei uns zu bleiben. Es gibt immer noch so viel, was wir lernen müssen.«

»Milliken konnte zu seinem Bedauern nicht teilnehmen«, erwiderte Ethan und beneidete im Stillen ihren Freund, den Lehrer, um seine Entscheidung, die Hochzeit zu schwänzen und in Brass Monkey zurückzubleiben. »Ich bin sicher, dass es ihm genauso leid tut wie uns beiden, dass wir gehen müssen, aber wir sind einfach nicht dazu geschaffen, auf einer Welt wie Tran-ky-ky zu überleben.«

»Ich würde sagen, dass ihr gut überlebt habt. Ihr seid ebenso findig wie jeder Tran.«

September nippte an seinem Bierkrug und überließ hauptsächlich Ethan das Reden. »Du schmeichelst uns«, sagte Ethan zu Hunnar, »aber selbst wenn wir hier überleben könnten, möchten wir alle nach Hause zurück, genau wie deine Leute nach Wannome zurück möchten. Es ist an der Zeit. Ich bin kein berufsmäßiger Forscher und Abenteurer, weißt du. Diese ganze Geschichte, dass Skua, Milliken und ich auf eure Welt gekommen, bei eurer Stadt gelandet sind – das war alles ein Unfall.«

»Genauso ist es«, bestätigte Skua. »Er ist Handelsreisender, jawohl, und das ist einer der unabenteuerlichsten Berufe, dem jemand aus dem Himmelsvolk überhaupt nachgehen kann.«

»Du würdest alles aufgeben, was du unter uns erreicht hast?« Hunnar starrte Ethan aus weit geöffneten gelben Augen an. »Du könntest ein Edler meines Volks sein. Gewaltige Landstriche könnten dein sein. Die Slanderscree stünde dir auf den leisesten Wink zur Verfügung, um dich zu bringen, wohin immer du willst.«

Ethan lächelte freundlich. Nach Tranmaßstäben war Hunnars Angebot äußerst hochherzig, aber es war ein unzureichender Ausgleich für eine Zentralheizung.

»Danke, aber alles, was ich zur Zeit sehen möchte, ist eine große Stadt, strahlend vor verschwenderischem Licht und voll von naiven Käufern mit gut gefüllten Brieftaschen.«

»Was ist mit deiner Absicht, unter uns Geschäfte zu machen, zu denen du, wie du erzählt hast, hierher geschickt wurdest?«

»Nichts für ungut, aber ich habe irgendwie die Lust verloren, in dieser Gegend zu arbeiten. Ich werde irgendeinem anderen Repräsentanten meiner Gesellschaft diese Ehre überlassen. Ich gehe davon aus, dass ich immer noch angestellt bin, weißt du. Die meisten Handelshäuser sehen es allerdings nicht so gern, wenn ihre Angestellten sich ohne Erklärung ein paar Jahre frei nehmen.«

»Aber wenn du deinem ...« – Elfa kämpfte um das richtige Wort – »Meister erzählst, was alles passiert ist, wird er doch bestimmt Verständnis haben und dich wieder aufnehmen.«

»Nicht Meister, einfach nur Handelsherr«, erwiderte Ethan gereizt; er hätte sich gern gekratzt, wollte aber nicht das Visier seines Anzugs öffnen. »Wenn ich allerdings mit dem großen Boss selbst sprechen könnte, wäre ich vielleicht imstande, ihn zu überzeugen. Bei meinem Bezirksleiter wird das nicht gehen, das weiß ich.«

Sie richtete ihren durchdringenden Blick auf das Gesicht seines Gefährten. »Und was ist mit dir, Freund Skua? Ein Krieger wie du könnte ganze Armeen befehligen. Es wird viele Kämpfe geben. Nicht alle werden durch süße Worte davon zu überzeugen sein, sich der Union anzuschließen. Unsere Generäle würden deine Fähigkeiten willkommen heißen.«

»Du bist ein Schatz, Elfa.« Ethan verspannte sich, aber Hunnar bleckte nur grinsend die scharfen Eckzähne. September hatte kräftig dem hiesigen Schnaps zugesprochen. »Aber ihr braucht mich nicht. Mit euren vereinten Kräften seid ihr imstande, auch den mächtigsten unwilligen Stadtstaat zu besiegen. Braucht mich nicht, um ihnen Vernunft beizupuhlen. Ich wär' einfach nur im Weg und würde irgendeinem ehrgeizigen Tran-Krieger den Ruhm stehlen. Möchte nicht der Karriere von jemand im Wege stehen. Hab' das schon mal gemacht, und es verfolgt mich immer noch. Außerdem habe ich auch meine eigenen Angelegenheiten, um die ich mich kümmern muss.«

Ethan warf ihm einen scharfen Blick zu. »Welche Angelegenheiten? Du hast mir nie was von irgendwelchen Angelegenheiten erzählt, zu denen du zurück musst.«

»Was hast du denn geglaubt, was ich vorhab', Jungchen? In Rente gehen?« Er zwinkerte. »Da ist diese alte Freundin, der ich das Versprechen gegeben hab', sie bei ihren Studien auf einer dieser kürzlich entdeckten Welten am Ende des Spiralarms zu unterstützen. Fuspin – nein, Alaspin heißt der Planet. Sie ist Archäologin. Sitzt mir seit Jahren im Nacken, dass ich ihr bei einem ihrer Projekte zur Hand gehe. Müsste immer noch da draußen sein, in fremden Überbleibseln herumstochern und sich die hübschen Fingernägel schmutzig machen. Hat mir erzählt, dass dieses Alaspin eine Dschungelwelt ist. Und nach den hiesigen Einschränkungen, da bin ich durchaus reif für ein bisschen Schwitzen und Schwüle. Also werde ich mich so schnell wie möglich dahin aufmachen, sobald wir hier wegkommen.« Er lächelte Elfa an.

»Noch mal: Nimm's nicht persönlich. Eure Welt hat durchaus ein belebendes Klima, aber für uns Menschen schon ein bisschen zuviel davon. Ihr werdet also verstehen, warum wir uns verabschieden.«

»Wir bemühen uns.« Sie legte September die warme Tatze auf den Unterarm. »Wir können euch viel bieten, aber keinen Ersatz für die Heimat.«

Heimat, dachte Ethan. Hatte er eine Heimat? Andere Nächte, andere Städte, auf anderen Welten, immer und immer wieder. Wenn irgendetwas Heimat war, dann lange Leere zwischen den Sternen. Das Nichts ist meine Heimat, sinnierte er und versuchte schnoddrig darüber hinweg zu gehen, musste aber feststellen, dass er begann, sich unwohl zu fühlen, als er ernsthaft über die Sache nachdachte. Reisen, einen Vertrag unterzeichnen, weiterreisen. Selbst an seine Ursprungswelt erinnerte er sichnur schwer.

Und was, wenn er seinen Job los war und nicht zurück bekam? Was dann? Zur nächsten zivilisierten Welt und eine neue Anstellung suchen?

Nein, noch hatte er einen Job, noch war er Verkaufsrepräsentant des Hauses Malaika. Er musste von dieser Voraussetzung ausgehen. Das war alles, was ihm an Sicherheit noch verblieben war. Vielleicht hatte Elfa recht. Vielleicht würden seine Vorgesetzten Verständnis haben. Eins war sicher: So eine Entschuldigung für lange Abwesenheit hatten sie noch nie gehört.

Er fragte sich, ob seine Muster immer noch im Lagerhaus des Zolls aufbewahrt wurden, als die Slanderscree wieder im Hafen von Brass Monkey festmachte. Der Eisklipper würde warten, bis seine geehrten menschlichen Passagiere in einem ihrer Himmelsboote zurück zu den Sternen fuhren. Außerdem mussten die Vorräte des großen Schiffes für die lange Heimreise aufgefrischt werden.

Eins hatte Ethan schon beschlossen: Sollte er seinen Job tatsächlich los sein, würde er seine einfachen Handelsgüter an sich nehmen und sie Hunnar und Elfa geben. Mochte die Gesellschaft ihn doch verklagen – wenn sie ihn finden konnte. Ein moderner Trägheitselement-Raumheizer war für Tran ein kleines Vermögen wert.

Während ihrer vergangenen, langen Reise hatten die Techniker des Außenpostens eine Tiefraumstrahl-Anlage erhalten und installiert. Zum ersten Mal seit der Errichtung des Außenpostens waren seine Bürger imstande, direkt mit dem übrigen Commonwealth zu kommunizieren, ohne auf das monatliche Versorgungsschiff warten zu müssen. Die Schwierigkeit, der sich Ethan bei dem Versuch der Kontaktaufnahme mit seinen Vorgesetzten gegenübersah, lag darin, dass der Strahl von Bürokraten und Forschern, die lange gelitten und geschwiegen hatten, auf Monate ausgebucht war. Nachdem ihnen eine normale Kommunikation mit dem Rest der Zivilisation via Null-Raum verwehrt gewesen war, glichen sie die verlorenen Jahre aus, indem sie den Sender rund um die Uhr nutzten. Dem Anschein nach handelte es sich dabei um offizielle Angelegenheiten, in Wirklichkeit aber wollten sie einfach nur reden.

Die Lösung für das Problem des Zugangs war nicht vom Problem der Kosten zu trennen. Löste er es nicht, konnte er gar nicht daran denken, den Hauptsitz der Gesellschaft anzurufen.

Skua begleitete ihn zu der glitzernden, unterirdischen Kommunikationszentrale. Gemeinsam betrachteten sie die Traube der Regierungsfunktionäre und Wissenschaftler, die vor der Sendekonsole versammelt waren. Der eigentliche Bildschirm und die dazugehörigen Instrumente waren in einer Blase aus rauchigem Acryl eingeschlossen. Sobald jemand seine oder ihre Kommunikation beendet hatte, betrat jemand anderes die Blase. Ständig trafen Neuankömmlinge ein. Die Zahl der Wartenden stieg und fiel, sank aber nie unter ein Dutzend.

Skua besah sich die Reihe der hoffnungsfrohen Bittsteller. »Wie willst du dich dazwischendrängeln? Und wenn dir das gelingt, wie willst du dafür bezahlen? Mit deinem Pensionsanspruch? Das ist kein Anruf bei deiner Tante Tilly, weißt du.«

Ethan lächelte zuversichtlich. »Du hast in beiden Punkten recht, aber ich werde es hinkriegen. Glaube ich wenigstens.«

Er schob sich, September im Schlepptau, mit den Schultern und häufigen Entschuldigungen an verärgerten und neugierigen Angehörigen des Außenpostens vorbei, bis sie direkt vor dem Eingang der Sendeblase standen.

»He du«, schrie einer der Wartenden, »stell dich gefälligst hinten an!«

»Entschuldigung.« Ethan ließ sein überzeugendstes Lächeln aufblitzen. Es war ein Vertreterlächeln, ein professionelles Lächeln; gut einstudiert, und unendlich oft geübt, von subtiler Wirksamkeit. »Vorrangsverbindung Stufe Eins.«

Ein süffisantes Grinsen zeigte sich auf dem Gesicht des Bürokraten, der als nächster an der Reihe gewesen wäre. »Vorrangstufe Eins? Ich kenne Sie nicht. Sie gehören nicht zur Verwaltung oder zur Forschung. Haben Sie auch nur eine Ahnung, was Vorrangstufe Eins kostet? Das Jahresgehalt der kompletten Küchenmannschaft würde dafür nicht reichen.« Er bedachte sie beide mit einem zweifelnden Blick. Mit ihrer durch die Zeit auf dem Eis mitgenommenen Kleidung, musste Ethan zugeben, sahen er und September wohl nicht so aus, als könnten sie sich irgendetwas leisten.

Er lächelte den Mann einfach an. »Wir werden sehen. Wenn Sie recht haben, sind wir in weniger als einer halben Minute da drin und wieder draußen, stimmt's?«

Der Bürokrat vollführte eine übertriebene Verbeugung, wies mit einer großartigen Geste auf die Blase. »Dann wollen wir nicht unnötig Zeit verschwenden, ja?« Die hinter ihm stehende Frau drehte sich zu ihrer Freundin um und kicherte.

Sobald der Funktionär im Innern fertig war, traten Ethan und September ein. Einige der weiter hinten Stehenden wären vielleicht geneigt gewesen, Ethan das Recht zu bestreiten, sein Glück zu versuchen, aber niemand schien geneigt, einen Streit mit jemand vom Zaun zu brechen, der die Statur Septembers hatte, und genau deshalb hatte Ethan ihn mitgenommen.

Der Vermittlungstechniker war müde, kurz vor dem Ende seiner Schicht, aber nicht zu müde, um die Neuankömmlinge unsicher zu mustern. Er war blond und hellhäutig; Ethan kam zu dem Schluss, dass seine Vorfahren auf Tran-ky-ky weit heimischer gewesen wären als alle anderen Menschen.

»Zu welcher Abteilung gehört ihr zwei? Ich sehe keine Abzeichen.«

»Keine Abteilung.« Ethan ließ sich in den Sendestuhl gleiten, als gehöre er ihm, und versuchte gleichzeitig seine Nervosität zu verbergen. »Ich möchte eine private Verbindung. Vorrangstufe Eins.«

Der Techniker strich sich über seinen goldenen Bürstenschnitt. Ein einzelner langgezogener Ring baumelte an seinem durchlöcherten rechten Ohrläppchen. »Eine private Verbindung? Vorrangstufe Eins? Das heißt, dass alle Kanäle zwischen hier und wo immer Sie anrufen wollen, freigemacht werden müssen.«

»Ich bin mir dessen bewusst.«

»Und Sie wissen, was das kostet? Die dazu nötige Zeit und Energie? Selbst wenn es Drax IV ist, und das ist die nächste Welt mit einer Empfangsstation, ist die Zahl der nötigen Relais ...«

»Ich möchte nicht mit Drax IV sprechen. Ich möchte über eine geschlossene Leitung mit dem Haus Malaika sprechen, das in der Stadt Drallar auf Moth beheimatet ist. Können Sie das bewerkstelligen?«

Der Techniker wirkte leicht beleidigt. »Ich kann alles bewerkstelligen – wenn Sie es bezahlen können. Bis nach Santos V und Dis und weiter bis nach Terra. Sie sprechen von einer Menge Parsecs, Freund.«

»Zum Teufel mit den Parsecs! Stellen Sie die Verbindung her!«

Der Techniker schüttelte den Kopf. »Ich berühre keinen einzigen Knopf, ehe nicht irgendwie die Finanzierung geklärt ist.« Eine Hand schwebte über Instrumenten, die nichts mit der Bedienung des Senders zu tun hatten.

Ethan schluckte. »Geben Sie Code Zweiundzwanzig Doppel-R CDK ein.«

Argwöhnisch gab der Mann die Kombination ein. »Mächtig kurzer Code. Das soll doch nicht irgendein übler Scherz sein, oder?«

Einige Augenblicke verstrichen, bevor die Worte UNBEGRENZTER KREDIT auf dem kleinen 3D-Schirm in Ellbogenhöhe des Technikers erschienen. Die Augenbrauen des Mannes wanderten nach oben. Er starrte seine beiden Besucher mit offenem Mund an, doch auf dem Monitor war nicht mehr zu sehen, keine weiteren Details, keine Erklärung. Nur die zwei Worte.

»Wie haben Sie Zugang zu so einem Konto bekommen?«

September legte gerade genug tranhaftes Grollen in seine Stimme, um drohend zu wirken. »Sind Sie Bulle oder Kommunikationstechniker?«

Der Mann zuckte die Achseln und wandte sich seinen Instrumenten zu. »Verdammt lange Strecke«, brummte er. »Muss mindestens fünfzig Stationen zusammenschalten.«

»Sie können alles bewerkstelligen, oder wie war das?«, zog Ethan ihn freundlich auf.

September beugte sich zu ihm herunter und flüsterte: »Und wie bist du an so einen Code gekommen?«

»Colette du Kane«, erinnerte Ethan seinen riesenhaften Begleiter. »Sie hat mir gesagt, ich solle diesen Code benutzen, wenn ich je etwas brauche.«

»Eine Frau, ganz nach meinem Herzen.« September hatte die übermollige Industriellentochter nicht vergessen, die zusammen mit ihnen auf Tran-ky-ky notgelandet war. Sie hatte Ethan die Ehe angeboten und war abgewiesen worden.

»Machen wir in ihrer Abwesenheit keine Witze über sie«, tadelte Ethan seinen Freund. »Besonders da sie für das hier bezahlt.«

Entgegen seiner Prahlerei brauchte der Techniker zehn Minuten, um die Verbindung herzustellen. Außerhalb der Blase standen sich die Funktionäre, die Ethan verspottet hatten, die Beine in den Bauch und versuchten vergeblich, durch die milchige Kunststoffkuppel zu spähen.

Der statische Schnee auf dem Schirm vor Ethan klärte sich langsam, und die ersten Töne wurden hörbar. Sie waren verzerrt und unverständlich, was bei der zurückgelegten Entfernung keine Überraschung war. Der Techniker fluchte leise vor sich hin, als er seine Instrumente justierte.

Tiefraumstrahlen reisten durch jenen mysteriösen Bereich, der als Null-Raum bekannt war, wohingegen KK-Schiffe sich ihren Weg durch den Plus-Raum pflügten. Dazwischen eingekeilt, in dem Bereich, der Normalraum genannt wurde, befanden sich Sonnen, Sternnebel und Lebewesen. Großer Ruhm und ein Leben ohne Sorgen erwarteten den Physiker, der einen Weg fand, Schiffe durch den Null-Raum zu bewegen – was die Reisezeit zwischen den Sternen von Wochen auf Minuten reduzieren würde. Unglücklicherweise kehrte alles, was sich in diese irre Dimension wagte, völlig verdreht und vermatscht aus ihr zurück. Versuchstiere, die durch den Null-Raum geschickt wurden, erreichten ihr Ziel als Brei. Das dämpfte den Enthusiasmus potentieller intelligenter Nachfolger. Bisher waren Bilder und Töne alles, was die Wissenschaftler des Commonwealth wieder zusammenzusetzen wussten.

Das Bild wurde deutlicher und zeigte einen Mann hinter einem Hartholzschreibtisch, der ebenso massig war wie September, aber keinesfalls so groß. Seine Haut war ebenholzschwarz, und sein Bart ergoss sich über seine Brust wie Wellen über einen Strand. Obwohl sein Körper den größten Teil des Bildes ausfüllte, konnte Ethan ein paar Details erkennen. Da war der Schreibtisch mit den Intarsien aus seltenen, edlen Hölzern, eine Glaswand und in der Ferne dahinter eine im Lichterglanz erstrahlende Stadt: Drallar. Bis jetzt nur ein Name auf Dokumenten der Gesellschaft. Es gab keinen Grund für Außendienstler, Moth zu besuchen. Tatsächlich handelte es sich, wie er gehört hatte, um eine etwas hinterwäldlerische Welt, größtenteils unbevölkert und nur aufgrund ihrer extrem freizügigen Handelspolitik so erfolgreich. Ein Ergebnis davon war, dass eine beträchtliche Zahl der führenden Handelshäuser sie zu ihrem Hauptsitz gemacht hatte, wozu auch das Haus Malaika zählte.

Maxim Malaika musterte seinen Anrufer über eine Distanz von mehreren hundert Parsec. Der ehrfurchtgebietende Abgrund reduzierte seine dröhnende Stimme zu einem Flüstern.

»Faida, das ist wirklich eine Überraschung. Ich nehme gewöhnlich keine Anrufe von untergeordneten Verkaufsrepräsentanten entgegen, aber sie rufen gewöhnlich auch nicht über solche Entfernungen an.« Er hielt inne, um auf einen Monitor zu blicken, der nicht im Erfassungsbereich der Kamera lag. »Tran-kii-kii, richtig?«

»Tran-ky-ky«, verbesserte Ethan taktvoll die Aussprache.

»Und ich bekomme nie Anrufe von untergeordneten Verkaufsrepräsentanten, für die sie selbst bezahlen. Ich bin beeindruckt, Mr. Fortune. Was veranlasst Sie zu einer so außergewöhnlichen Kommunikation? Sie müssen eine oder zwei beträchtliche Transaktionen abgeschlossen haben, um so eine Verbindung zu rechtfertigen.«

»Tatsächlich, Sir, habe ich in fast zwei Jahren nicht das geringste verkauft.« Malaika sagte nichts, sein Gesicht blieb unverändert. Er war daran gewöhnt, Erklärungen entgegenzunehmen. Nun erwartete er eine.

Ethan erzählte ihm, wie er auf dem langen Weg von Santos V nach Staubdüne gewesen und in die Entführung der Konzernerbin Colette du Kane und ihres Vaters gestolpert war; wie sie sich der Entführer angenommen hatten, aber auf dem Planeten Tran-ky-ky schiffbrüchig geworden waren; wie es ihnen nach und nach gelungen war, mit einigen der Eingeborenen eine freundschaftliche Beziehung herzustellen; und wie sie das vergangene Jahr und mehr einfach nur damit verbracht hatten zu überleben.

Mehr als zu überleben: Sie hatten die Vereinigung eifersüchtig unabhängiger Stadtstaaten in Gang gebracht und so die Tran auf den Weg zur Bildung einer planetarischen Regierung geführt, die notwendig war, um den assoziierten Status im Commonwealth zu beantragen. Die Tran hatten sich als intelligent erwiesen, als lernbegierig und willens, neue Ideen aufzunehmen. Solange korrupte Beamte wie der kürzlich verstorbene Jobius Trell von ihnen ferngehalten werden konnten, würden sie sich rasch entwickeln.

»Ich bin froh, das zu hören«, erklärte Malaika beifällig. »Eine sich entwickelnde Rasse ist eine konsumierende Rasse.«

Ethan zögerte. »Dann habe ich immer noch meinen Job?«

»Immer noch Ihren Job? Natürlich haben Sie noch Ihren Job! Sie haben getan, was Sie tun mussten. Ich bin sicher, dass Sie nicht absichtlich auf dieser Welt abgestürzt sind. Ich feuere keine kompetenten Mitarbeiter, weil sie in Umstände verwickelt wurden, die außerhalb ihrer Kontrolle lagen. Ich bin beeindruckt von Ihrem Einfallsreichtum, Ihrer Findigkeit und Geschicklichkeit beim Überleben. Ich bin so beeindruckt, dass ich nicht einmal Ihr Grundgehalt für die vergangenen zwei Jahre kürze. Natürlich haben Sie während dieser Zeit keine Provision bekommen, aber daran können wir beide nichts ändern.«

Ethan war sprachlos. Das war mehr, als er im Entferntesten rechtmäßig zu erwarten hatte.

Malaika beugte sich vor, und sein Gesicht füllte den Bildschirm. »Und wer ist der Gentleman mit der beeindruckenden Gestalt neben Ihnen?«

»Ein Freund. Skua ...«

»Davis«, fiel September ein. »Skua Davis.«

»Freut mich, Sie kennenzulernen, Mr. Davis.« Malaika zog die Brauen zusammen. »Dieses Gesicht. Ich habe dieses Gesicht schon einmal gesehen. Hatten Sie immer einen Bart, mein Freund?«

»Nicht immer.« September trat ein paar Schritte zurück und verließ so den Schärfebereich der Kamera.

Ethans Miene änderte sich kaum merklich. Sein Freund hatte bereits bei mehreren Gelegenheiten Hinweise auf eine wechselvolle Vergangenheit gegeben. Ethan hatte ihn um Einzelheiten bedrängt, ohne je welche zu erhalten. Nun, Skua hatte ein Recht auf seine persönlichen Geheimnisse, und als sein Freund war Ethan verpflichtet, das zu respektieren.

»Ich kann Ihnen gar nicht genug danken, Sir.«

»Ja, nicht der Rede wert.« Malaika wandte seine Aufmerksamkeit widerwillig seinem Angestellten zu. »Für das Haus Malaika zeichnen sich große Dinge ab, junger Mann, große Dinge. Das vergangene Jahr war des Ungewöhnlichen reich. Ich habe selbst einige Reisen unternommen, neue Märkte erschlossen, die Expansion der Gesellschaft überwacht. Bin auch diesem ungewöhnlichen Kind begegnet, einem jungen Erwachsenen eigentlich, der in mancher Hinsicht weiser ist, als seinen Jahren angemessen scheint, in manch anderer hingegen ein Muster an Naivität.« Er zuckte die Achseln. »Aber warum soll ich Sie mit den Details meines Lebens langweilen, wenn Ihr Leben offensichtlich weit interessanter war.«

»Ich habe es mir nicht ausgesucht, Sir.«

»Ich verstehe.«

»Danke. Ich denke, das wäre dann alles, Sir. Die Spindizzy wird nächste Woche hier erwartet, und ich werde mich auf ihr einschiffen. Ich werde so bald wie möglich Kontakt mit meinem Distrikt-Repräsentanten aufnehmen. Ich glaube, es wäre keine gute Idee, mit zwei Jahren Verspätung meine alte Route dort wieder aufzunehmen, wo ich sie unterbrochen habe. Meine Muster müssen mindestens ein Jahr überholt sein. Ist Langan Ferris immer noch mein Vorgesetzter für diese Gegend?«

»Ja, Ferris ist immer noch für Sie zuständig«, erwiderte Malaika. »Aber warum die Hast? Warum haben Sie es so eilig abzureisen?«

»Warum ich es eilig habe?« Einen Moment lang vergaß Ethan, mit wem er sprach. »Sir, ich sitze seit über einem Jahr auf diesem Eisball fest. Ich möchte zurück in die Zivilisation. Ich möchte mich in Terranglo unterhalten anstatt in Tran und ein wenig zivilisierte Gesellschaft genießen.«

»Bedenken Sie, welche Position Sie sich erarbeitet haben, Fortune. Bedenken Sie das! Nach dem, was Sie mir berichtet haben, sind Sie auf unvergleichliche Art mit den Eingeborenen und ihrer Lebensweise vertraut. Mit ihrer Kultur, ihren Wünschen und Bedürfnissen. Sie sind bestens qualifiziert, den neuen Ständigen Beauftragten dahingehend zu beraten, wie mit diesen Tran umzugehen ist.

Wenn diese Föderation oder Union oder was immer weiter wächst und reift, werden diese Tran beim Commonwealth bald einen assoziierten Status beantragen können. Werden sie akzeptiert, bedeutet das, dass ihre Welt aus der eingeschränkten Klasse IV-B in Klasse IV-A eingestuft wird. Vielleicht qualifizieren sie sich sogar für eine Sonderklasse II. Das bedeutet, dass ihnen der Zugang zu ziemlich hochentwickelten Waren und Dienstleistungen gestattet würde. Waren und Dienstleistungen, die anzubieten andere, fremde Unternehmen sich bemühen würden.« Ethan versuchte Widerspruch anzumelden, doch Malaika hob eine Hand und fuhr schon fort.

»Sie haben das Vertrauen dieser Leute erworben. Ich muss Ihnen nicht sagen, wie wichtig Vertrauen ist, wenn man versucht, jemandem etwas zu verkaufen. Sie kennen die Eingeborenen und wissen, welche Wünsche sie haben könnten. Sie könnten den neuen Planetarischen Kommissar entsprechend beraten.«

»Bitte, Sir.« Ethan bemerkte, dass er zu schwitzen begann. Es war klar, worauf Malaika hinaus wollte, und Ethan suchte verzweifelt nach einem Ausweg. »Jeder Verkaufsrepräsentant könnte tun, was ich getan habe. Ich werde gerne jeden einweisen, den Sie hierher schicken. Ich selbst aber freue mich, zu meiner alten gewohnten Arbeit zurückkehren zu können.«

»Alte, gewohnte Arbeit, das definiert sich selbst.« Malaika lehnte sich zurück. »Das ist etwas für durchschnittliche, einigermaßen kompetente, phantasielose Handelsreisende.«

»Aber Sir, das bin ich doch.«

»Ihre Bescheidenheit ehrt Sie, Fortune. Ich kann von einem Mann wie Ihnen, der erlebt hat, was Sie erlebt haben, der zustande gebracht hat, was Sie zustande gebracht haben, nicht verlangen, dass er in die langweilige, stumpfsinnige Tretmühle zurückkehrt und dieselben alten Orte aufsucht, um mit denselben alten Kunden zu sprechen. Ich käme nicht im Traum darauf, Sie darum zu bitten.«

»Bitten Sie mich darum, bitte!«

Malaika fuhr fort, als habe er das nicht gehört, vielleicht hatte er es auch nicht, doch Ethan zweifelte daran. Der Chef des Hauses hatte schließlich auch nichts anderes überhört.

»Ich beneide Sie, Fortune; ja, das tue ich. Erfahrungen genossen zu haben wie Sie und klüger und weiser daraus hervorgegangen zu sein, das ist etwas, wovon wir anderen, die wir an unsere Computer gekettet sind, nur träumen können. Das Leben eines Handelsreisenden ist eindeutig nichts für Sie, nein, ganz eindeutig nicht.«

»Verzeihen Sie, dass ich Ihnen widerspreche, Sir, aber ich habe nicht die geringste abenteuerliche Ader. Alles, was passiert ist, war Zufall, und ich bin es leid, vom Zufall zu leben.«

Malaika nickte. »Ich verstehe, wahrhaftig, das tue ich, Fortune. Sie sind es leid, ziellos umherzuwandern, Sie sind es leid, auf einem unentwickelten, primitiven Planeten herumgestoßen zu werden. Sie wünschen sich ein wenig Beständigkeit, möchten wissen, was Sie von einem Tag auf den nächsten erwartet. Sie möchten wieder ein geregeltes Leben, möchten die Gewissheit, dass die morgige Arbeit feststeht und sich nicht radikal von der unterscheidet, die Sie heute getan haben.«

Ethan entspannte sich ein wenig. Eine Zeitlang hatte er gefürchtet, seinen Standpunkt nicht klarmachen zu können. »Ja, das ist genau das, was ich möchte, Sir. Wenn das nicht zuviel verlangt ist.«

»Natürlich nicht. Dann sind wir uns also einig.«

Ethan setzte sich abrupt auf. »Sind wir?«

»Selbstverständlich. Unter Berücksichtigung all dessen, was Sie mir berichtet haben, habe ich gar keine andere Wahl und muss Sie zum ständigen, vollberechtigten Substituten des Hauses Malaika auf Tran-ky-ky ernennen. Sie werden Gründung und Aufbau eines ausgewachsenen Handelsunternehmens unter sich haben. Mit dem einzigartigen Wissen und der Erfahrung, über die Sie verfügen, werden wir faktisch das Handelsmonopol bei den Eingeborenen haben, bevor ein anderes der großen Häuser auch nur Wind von den dortigen Möglichkeiten bekommt. Es gibt doch Möglichkeiten, wenn ich es recht verstanden habe?«

»Ja, Sir, aber was die Notwendigkeit eines ständigen Repräsentanten angeht ...«

»Jede Welt, gleichgültig, wie kurz ihre Öffnung her sein mag, braucht einen ständigen Repräsentanten. Ich bin in der glücklichen Lage, bereits jemand mit hervorragenden Qualifikationen zur Stelle zu haben!«

Wieder setzte Ethan zum Widerspruch an, und wieder erstickte Malaika jeden Protest im Keim.

»Natürlich ist eine derartige Beförderung und Zunahme an Verantwortung mit einer kräftigen Gehaltssteigerung verbunden. Sie können sich auf einen angenehmeren und früheren Ruhestand freuen, Fortune. Sie werden Untergebene haben, die Sie beaufsichtigen. Keine Sorgen mehr wegen entgangener Provisionen und unregelmäßiger Einkünfte.«

»Trotzdem, Sir, ich ...«

»Danken Sie mir nicht, danken Sie mir nicht. Sie haben es verdient. Es ist eine Gelegenheit, die sich selten für jemanden Ihres Alters ergibt. Normalerweise tut man zwanzig oder dreißig Jahre seinen Dienst, bevor man zum Substituten ernannt wird. Und nachdem Sie unser Monopol abgesichert und einen soliden Kern fähigen Personals ausgebildet haben, würde das Haus darüber nachdenken, Sie auf eine andere Welt zu versetzen. Paris zum Beispiel oder New Riviera.«

Ethan zögerte. Die Beförderung und die Erhöhung des Gehalts reichten für sich genommen nicht aus, dass er zu bleiben erwog, aber die Möglichkeit, beides zu bekommen und dann mit zu einer der Paradieswelten zu nehmen, das war etwas, über das nachzudenken sich lohnte. Mehr noch: das Angebot war verführerisch. Ein Substitut auf einer Welt wie New Riviera konnte eine enorme Menge Geld machen, während er in einer der angenehmsten Umgebungen arbeitete, die das Commonwealth zu bieten hatte.

Trotzdem, die Erinnerungen an die beißende Kälte, den nie endenden Wind und die alltäglicheren Gefahren Tran-ky-kys waren frischer in seinem Gedächtnis als die Bilder warmer Strände von Welten, auf denen er noch nicht gewesen war.

Es war nicht so, dass er keine Wahl hatte. Er konnte die Beförderung akzeptieren und zusagen, oder er konnte kündigen und das nächste Schiff nach Drax IV nehmen und sich nach einem neuen Job umsehen. Drax IV war eine angenehme zivilisierte Welt, aber keine bedeutende. Es mochte dort nicht so einfach sein, an Jobs heranzukommen.

»Danken Sie mir nicht«, wiederholte Malaika. »Ich werde unter dem Namen der Gesellschaft ein Konto eröffnen lassen, auf das Sie zugreifen können. Innerhalb, nun, sagen wir: einiger Wochen, erwarte ich einen umfassenden Bericht über unsere Aussichten dort. Ich muss wissen, wie wir die Sache Ihrer Meinung nach angehen sollen, welche personelle Unterstützung Sie benötigen, welche Art von Büroausstattung, welche Handelsgüter beim gegenwärtigen Status des Planeten zulässig sind, und so weiter. Ich habe das vollste Vertrauen, dass Sie Ihre Arbeit sorgfältig, gründlich und effizient machen werden. Die Erhöhung Ihrer Vergütung wird augenblicklich in die Computer der Gesellschaft eingegeben.«

ENDE DER LESEPROBE