Die flüsternden Seelen - Henning Mankell - E-Book

Die flüsternden Seelen E-Book

Henning Mankell

4,8

Beschreibung

Felisberto, ein alter Schwarzer, sitzt am Feuer und erzählt von seiner weitverzweigten Familie: von der über dreihundert Jahre alten Stammesmutter Samima, die zwar tot ist, aber als lebender Geist bei ihren Nachfahren äußerst gegenwärtig. Von Zeca, dem Hinkenden, der einen Pfeil zu schmieden vermag, mit dem man sogar den Teufel töten kann. Aber Felisberto erzählt auch von weißen Menschen. Von Dom Estefano und Dona Elvira zum Beispiel, deren Diener er war, und von dem Klavier, das verlassen am Hafen stand und eines Nachts von ganz allein zu spielen begann.Eine große Erzählung des Afrika-Kenners Henning Mankell von afrikanischen Menschen und ihrer Begegnung mit den Europäern, im Grenzbereich zwischen Traum und Realität, Mythos und politischer Geschichte.

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Seitenzahl: 289

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Zsolnay E-Book

Henning Mankell

Die flüsternden Seelen

Aus dem Schwedischen von Verena Reichel

Paul Zsolnay Verlag

Die Originalausgabe erschien erstmals 1998 unter dem Titel Berättelse på tidens strand bei Ordfront in Stockholm.

ISBN 978-3-552-05702-9

© Henning Mankell 1998

Alle Rechte der deutschsprachigen Ausgabe

© Paul Zsolnay Verlag Wien 2007/2014

Satz: Filmsatz Schröter GmbH, München

Schutzumschlaggestaltung: Peter-Andreas Hassiepen, München, unter Verwendung eines Fotos © mauritius images/Photo Altoés collection

Unser gesamtes lieferbares Programm

und viele andere Informationen finden Sie unter:

www.hanser-literaturverlage.de

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Datenkonvertierung E-Book:

Kreutzfeldt digital, Hamburg

Für Eva

»Ich wurde unter lebenden Menschen geboren.

Ich bin ein Mensch. Ich habe geliebt.

Ich bin geliebt worden.«

BERNADETTE NTAKIRUTINKA, 60 JAHRE.

Die Antwort einer Hutu-Frau auf die Frage, warum sie während

des Völkermords in Ruanda Nachbarn versteckte, die Tutsis waren.

VORBEMERKUNG

An diesem Text habe ich bald fünfundzwanzig Jahre gearbeitet. Jetzt mache ich den Punkt, der immer provisorisch ist. Und ich begreife, daß die lange Zeit eine Erklärung dafür ist, warum das Buch schließlich so kurz werden konnte.

PROLOG

Der Quälgeist und der Zauberer

1.

In Afrika habe ich etwas entdeckt, das eigentlich keine Entdeckung sein sollte. Etwas, das die größte aller Selbstverständlichkeiten sein sollte.

Aber trotzdem bedurfte es einer immer besser gerüsteten geistigen und körperlichen Expedition, die periodisch während mehr als fünfundzwanzig Jahren stattgefunden hat, um mich im Ernst begreifen zu lassen, daß alle Menschen tatsächlich miteinander verwandt sind.

Die Hautfarbe, die Sprachen, die Art, wie wir Götter anbeten oder unser Frühstück machen, Dummheiten betrachten oder Kunst schaffen, unsere Kleider waschen und unsere Toten beerdigen, sind Grenzen, die genau diese Tatsache nicht überschatten können.

Alle Menschen sind verwandt.

Wir gehören zur selben Familie.

2.

Irgendwohin ist er unterwegs. Er birgt ein Geheimnis.

So bin ich Afrika begegnet, einmal vor fünfundzwanzig Jahren. Es war das erste Signal, welches das afrikanische Echolot an mein Bewußtsein zurücksendete. Der erste Versuch, einen Abdruck von der Begegnung mit dem schwarzen Kontinent herzustellen.

Nach all meinen Erlebnissen, die sich im Laufe der Jahre angesammelt haben, wie ein Fluß, ohne Kanten oder Kapitelüberschriften. Die Erlebnisse erscheinen mir oft wie poetische Instrumente. Das eine geht gleitend in das andere über.

Aber es gab auch einen Anfang.

1955. Bei Anbruch des Frühlings, beim Eisgang, stand ich am nördlichen Ufer des Ljusnan. Ich war sechs oder sieben Jahre alt. Die Baumstämme, die vorbeiglitten, unterwegs von den Abholzungsstellen im Norden, auf ihrer langen Reise zum Meer, verwandelten sich vor meinen Augen in Krokodile. Der Ljusnan wurde zum Kongofluß, der durch meine Kindheit strömt. Die Phantasie war ein entscheidendes Mittel, um Hütten zu bauen. Aber auch dazu, Strategien zu entwickeln, bei denen es ums Überleben ging.

Dann dauerte es in Wirklichkeit noch siebzehn Jahre, ehe ich zum erstenmal nach Afrika kam.

1972. Ich stieg aus dem Flugzeug. Die Morgendämmerung schaukelte auf den unsichtbaren Wellenkämmen des Ozeans. Eine lange Reise lag hinter mir. Das Flugzeug floß aus meinen Poren. Unterhalb der Treppe warteten die Wärme und die Stille.

Jetzt, fünfundzwanzig Jahre später, habe ich dazugelernt. In Afrika gibt es immer diese Stille, in der Tiefe des Lärms, der zum Leben gehört. Die Flugzeugtreppe hinunterzugehen, das war, als steige man in einen Vulkan hinunter, ohne Sicherungsseil, ohne Wiederkehr. Es war, wie nach Hause an einen Ort zu kommen, an dem ich noch nie gewesen war. Ich erinnere mich an meine Ankunft, als sei sie noch immer eine Fata Morgana. Etwas, was vielleicht noch nicht geschehen ist.

Und das erste, was ich sehe, ist genau dies:

Afrika ist ein schwarzer Mann. Er lächelt, und sein Mantel scheint von den Winden über dem Ozean gewebt zu sein.

Die zweite Erinnerung ist die an einen Geier, der kopfüber in einem Baum hängt. Kinder, die ihn peitschen, und rote Erde, die aufwirbelt. Der Geier lebt noch, seine Flügel flattern in einem Krampf. Ein letzter Gruß, ein verzweifeltes Flehen um Gnade.

Der Geier kennt die Menschen.

Kinder, die einen sterbenden Vogel peitschen, die rote Erde, die aufwirbelt.

Kinder, die sich selber peitschen.

In einem Notizbuch, das jetzt sehr zerfleddert ist, sehe ich, daß ich folgendes geschrieben habe:

»In der afrikanischen Nacht ist der Tag immer anwesend. Wie der Geruch von Holzkohlefeuern und Armut.

Wer sagt, daß Armut einen Geruch hat?

Meist ist es der Reichtum, der stinkt.

In der Ohnmacht, der Kränkung, dem Hunger ist meistens trotzdem ein Lichtstrahl anwesend. Weiße Asche, die nach Würde riecht.«

»Weiße Asche, die nach Würde riecht.« Das Bild erscheint heute undeutlich und schwebend. Aber ich verstehe, was ich damit meinte.

Ich meine das heute noch.

Einmal, auf einer meiner ersten Reisen nach Afrika, in ein ostafrikanisches Land, erzählte mir jemand folgende Geschichte: Lange stand ein Klavier verlassen am Hafen, wo man hin und wieder eine Haifischflosse in dem trüben Wasser sehen konnte. Ein Mann war geflüchtet. Einer der früheren europäischen Kolonialisten. Und er hatte das Klavier hinterlassen.

Eines Nachts begann das Klavier zu spielen. Die Nachtwächter kauerten sich vor Entsetzen zusammen.

In der Morgendämmerung, als sie sich endlich hinwagten, fanden sie eine erschreckte Ratte zwischen den Saiten.

In der nächsten Nacht verbrannten sie das Klavier. Die Nachtwächter wollten nicht erinnert werden.

Einst hatte ein weißer Mann mit fetten Fingern an dem Klavier gesessen. Tagsüber hatte er die gequält, die seinen Tee pflückten. Abends hatte er Musik gespielt, die verzaubern konnte.

Daran wollten sie nicht mehr erinnert werden. An diesen unfaßbaren Menschen, der teils ein Quälgeist, teils ein musikalischer Zauberer war. Also verbrannten sie das verlassene Klavier.

Am folgenden Tag fiel Regen. Die Asche war bald verschwunden. Aber die Erinnerung an die Teeblätter, die in den Handflächen brannten, war noch da.

Und die Musik schwebte weiterhin über ihren Köpfen wie ein Schwarm spielender Nachtvögel.

Auf diesen ersten Reisen begann ich auch zu verstehen, was Freiheit war. Freiheit war, eine Erinnerung zu befreien. Freiheit war, seinen eigenen Traum zu befreien. Freiheit, als sie schließlich kam, bestand aus marschierenden Guerillasoldaten in verschlissenen Uniformen, die sich plötzlich kurz vor den Toren der Stadt befanden. Sie öffneten alle inneren Gefängnisse, die verschlossenen Räume in den Menschen, die jetzt ihre Ankunft erwarteten. Heraus wankten aufgestaute Träume, mager und bleich, gequält und stumm. Alle diese Erinnerungen, die plötzlich die Sonne erblickten, Erinnerungen, die die Luft in die Lungen zogen, all diese unterernährten Gedanken, die sich wie verlassene Nestlinge benahmen. Die aber noch immer am Leben waren.

Als die Freiheit kam, war es, als hätte man ein Leintuch zur Seite gezogen. Dort war die Erde. Jedes Ackerstück war ein befreiter Traum.

Und die Europäer?

Sie verschwanden über die Meere.

Oder blieben da mit ihren rostigen Rosenscheren und begannen vielleicht zu ahnen, daß ihr Leben ein Gefängniswärterleben gewesen war.

Sie waren mit heiligen Aufträgen oder blutiger Verachtung gekommen. Im Angesicht der Freiheit sahen sie jetzt sich selbst.

Das Gesicht des Kolonialisten.

Ein Gesicht aus Gift. Mit einem unheilbaren Riß.

Das Gesicht Europas.

Der Quälgeist und der Zauberer.

3.

Der europäische Kolonialismus in Afrika kann mit einem zusammengesetzten Begriff beschrieben werden: Ausübung von Macht.

Diese Machtausübung hat viele Namen. Der geläufigste Deckmantel war, daß man Zivilisation und Christentum unter den Heiden verbreiten wolle. Dies sollte dadurch geschehen, daß Afrika in die kapitalistische Ökonomie eingebunden wurde. In die Gemeinschaft der Raubtiere. Aber nie durfte es die Bedingungen selbst bestimmen.

Die Instrumente waren die üblichen. Schwert, Bibel, das lügnerische Traktat.

Im Lauf der Jahre verwandelte sich das Schwert in ein Maschinengewehr. Die Bibel blieb die Bibel, bekam aber einen Anhang von Geboten, welche der Internationale Währungsfond und die Weltbank an die Tore der armen Welt nagelten. Das lügnerische Traktat blieb, was es war. Verräterisch. Zu nichts verpflichtend.

Der Sklavenhandel hörte auf. Es gab bessere Möglichkeiten, sich an Menschen zu vergreifen und sie auszuplündern, als sie mit Ketten und Halseisen zu versehen.

Doch was die Heerführer, die Gouverneure und die lokalen Beamten nicht begriffen, oder jedenfalls viel zu spät, war, daß die ganze Zeit eine schleichende Verwandlung vor sich ging.

Die Geschichte der Befreiung Afrikas handelt davon, wie diese Macht sich langsam in Ohnmacht verwandelte.

Aus der Ohnmacht gab es dann nur einen einzigen Weg hinaus.

Er war lang.

Aber er führte zu jener ersten Befreiung. Bei der es sich darum handelte, das Recht, selbständig zu denken, zurückzuerobern.

Von diesem Punkt an führte ein anderer Weg hinaus.

Sein Ende hat noch niemand gesehen.

4.

Die Macht hat viele Gesichter. Hier sind zwei davon.

Zwei Fotografien.

Das erste Bild:

Elf Missionare irgendwo in Westafrika.

1860er Jahre.

Die Missionare.

Sieben Männer und vier Frauen

vor ihrem Haus.

Die Frauen sitzen,

die Männer stehen.

Alle sind ernst.

Oder sind ihre Gesichter Zeichen?

Für eine schleichende Unsicherheit?

Das Bild redet und schweigt zugleich.

Die Landschaft parkartig,

das Bild hätte irgendwo in England aufgenommen sein können.

Im Hintergrund,

vor dem Haus auf einem hohen Altan

befinden sich die Dienstboten.

Sie nehmen an dem Bild teil.

Langsam bewegen sie sich auf den Betrachter zu.

Ihre Gesichter damals,

als das Bild in den 1860er Jahren aufgenommen wurde,

sind noch unscharf.

Sie nehmen am Hintergrund des Bildes teil.

Es dauert hundert Jahre, bis sie in den Vordergrund des Bildes kommen.

Irgendwie passen die beiden Gruppen zueinander.

Die ernsten Gesichter der Missionare,

dieser Ernst, der schon ihre Unsicherheit ahnen läßt,

die Ohnmacht des Auftrags,

verblaßt langsam.

Das Bild redet und schweigt zugleich.

Irgendwo ist da auch ein Fotograf.

Er steht dicht neben mir.

Das Bild zeigt eine Macht, die auf dem Weg ist,

aufgegeben zu werden.

Einer der schwarzen Diener im Hintergrund steht

breitbeinig da.

Die Füße lachen.

Im Obergeschoß steht ein Fenster offen.

Plötzlich, als ich das Bild betrachte,

ist es, als würde eine unsichtbare Hand das Fenster schließen.

Das Bild erlischt langsam.

Und ist weg.

Das zweite Bild der Macht:

Cecil Rhodes

an den Matapos Hills.

Er sitzt mitten in der Wildnis an einem Tisch.

Neben ihm steht ein junger Sekretär.

Im Hintergrund ein Wagen.

Vor dem Wagen ein schwarzer Diener.

Er hält ein Tablett

und trägt eine weiße Serviette über dem rechten Arm.

Das Bild muß spät am Nachmittag aufgenommen worden sein.

Direkt vor der kurzen afrikanischen Dämmerung.

Cecil Rhodes hat sein Lager aufgeschlagen.

Obwohl sie sich weit draußen in der Wildnis befinden,

hat er sich schon zum Essen umgezogen.

Jeden Abend wird in der Wildnis das Ritz Hotel

aufgebaut.

Cecil Rhodes macht den Eindruck großer Müdigkeit.

Es sind die 1890er Jahre.

In wenigen Jahren wird er genau an dieser Stelle

beerdigt werden.

Vielleicht wurde das Bild deshalb aufgenommen?

Cecil Rhodes hat sich entschieden:

Hier will ich mein Grab haben.

Der Sekretär ist sehr jung.

Einer von Cecil Rhodes jungen Männern.

Er sieht aus, als wäre er am liebsten nicht dabei.

Das Gesicht aufgedunsen, der Schnurrbart wirkt

angeklebt.

Cecil Rhodes wollte eine Straße vom Kap bis nach

Kairo erschaffen.

In seinem Testament träumte er von einer englischen

Weltherrschaft.

Darüber wird er beim Essen mit dem Sekretär reden.

Der Diener serviert.

Das Bild sagt:

Die Macht ist noch immer unbesiegbar.

Dann kommt die Nacht.

Rasch.

Erzählung am Strand der Zeit

5.

In einer Nacht außerhalb von Umbeluzi bot ein Mann den Vorübergehenden seine Augen dar. Er hieß Felisberto, und sein Lächeln glänzte in der tropischen Dunkelheit.

Er streckte seine Hände aus, aber nicht, um zu bekommen, sondern um zu geben. Ein Mann, der die ganze Zeit unerreichbar schien, aber trotzdem ganz nah.

So empfing er mich und ließ mich sein Gesicht sehen.

In einem Märchen ganz ohne Worte erzählte dieser Mann, der so alt war, daß er vielleicht schon tot war, die Geschichte, von der ich erst im nachhinein begriff, daß es meine eigene war, das Märchen von mir selbst.

Vielleicht ist Afrika das Ich aller, ein Ursprung und ein Traum?

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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