Die freie Gesellschaft und andere anarchistische Schriften - Johann Most - E-Book

Die freie Gesellschaft und andere anarchistische Schriften E-Book

Johann Most

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Beschreibung

In 'Die freie Gesellschaft und andere anarchistische Schriften' präsentiert Johann Most eine Sammlung seiner wichtigsten Werke des anarchistischen Denkens. Der Band offenbart Mosts kritischen Blick auf das politische System seiner Zeit und seine Überzeugung von einer Gesellschaft ohne Hierarchien und Zwänge. Sein literarischer Stil ist direkt und provokativ, was die Leser dazu anregt, über die Strukturen der Gesellschaft nachzudenken. Mosts Schriften zeichnen sich durch ihre radikalen Ideen und ihre Klarheit aus, die auch heute noch relevant sind. Der Autor schafft es, komplexe politische Konzepte auf verständliche Weise darzulegen und regt zum Nachdenken über Alternativen zum herrschenden System an. Johann Most war ein bekannter und einflussreicher Anarchist des 19. Jahrhunderts, der durch seine Schriften und Reden große Aufmerksamkeit erregte. Seine persönliche Geschichte und seine radikalen Ansichten prägten seine Werke und trugen dazu bei, sein Vermächtnis als Anarchist zu festigen. 'Die freie Gesellschaft und andere anarchistische Schriften' ist ein Muss für alle, die sich für politische Theorie und soziale Bewegungen interessieren. Es bietet einen faszinierenden Einblick in die Gedankenwelt eines bedeutenden Anarchisten und inspiriert dazu, über die Möglichkeit einer freien und gerechten Gesellschaft nachzudenken.

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Johann Most

Die freie Gesellschaft und andere anarchistische Schriften

Die Prinzipien und Taktik der kommunistischen Anarchiste + Antireligiöse Schriften (Die freie Gesellschaft + Die Anarchie + Die Gottespest + Die Eigentumsbestie + Der kommunistische Anarchismus )
            Books
- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung [email protected]   2017 OK Publishing   ISBN 978-80-272-0497-7

Inhaltsverzeichnis

Die Anarchie
Die Gottespest
Die Eigentumsbestie
Die freie Gesellschaft
Der kommunistische Anarchismus

Die Anarchie

Inhaltsverzeichnis

Noch niemals war wohl eine Idee, für deren Verwirklichung eine so kleine Anzahl von Menschen eintrat, wie das augenblicklich noch hinsichtlich der Anarchie der Fall ist, so sehr in aller Munde, wie gegenwärtig gerade die Idee der so stark angefeindeten Anarchie Allein so viele Worte darüber verloren werden, nahezu so viel Unsinn kommt zum Vorschein. Und wenn man aus den unzähligen Zeitungsartikeln, Broschüren und Büchern, aus den Predigten und Vorträgen, welche diesem Gegenstand gewidmet sind, die Quintessenz herausdestillirt, kommen etwa folgende Raisonnements zum Vorschein:

Anarchie ist allgemeine Konfusion, wilder Durcheinander, welcher jeder Zivilisation Hohn spricht. Da dieser Zustand weder Regierung, noch Gesetze denkbar macht, so bedeutet er die Auflösung der menschlichen Gesellschaft in isolirte Individuen, von denen jedes die übrigen ungestraft schädigen und bekämpfen kann, so dass schliesslich die Schwachen den Starken unterliegen werden und eine Sklaverei, wie sie kaum noch jemals existirte, Platz greifen muss. So verwerflich und absurd dieses Ziel der Anarchisten ist, so schändlich sind die Mittel, welche dieselben zur Erreichung desselben anwenden, nämlich Raub, Mord, Brand und Zerstörung aller Art, Anarchie ist also ein Gemisch von Wahnsinn und Verbrechen. Die Gesellschaft muss sich hiegegen mit allen ihren Kräften wehren, gesetzlich, so weit das ausreicht, gewaltthäterisch, wenn es sein muss. Jedenfalls ist es Pflicht aller Ordnungs-Freunde, die Anarchie so rasch wie möglich im Keime zu ersticken, resp. die Anarchisten mit Stumpf und Stiel vom Erdboden hinweg zu tilgen.

So, wie gesagt, lautet die Aeusserung der »öffentlichen Meinung«, wie sie von den literarischen Werkzeugen der Träger unserer modernen Gesellschaft von einem Ende der Welt bis zum anderen verkündet und vom unwissenden Publikum bis weit in die Kreise der Arbeiterbewegung hinein geglaubt wird.

Würden die Menschen nur einen Augenblick über das Herkommen und den Zweck des bisher bestandenen Zustandes, welcher den Gegensatz zur Anarchie (Nichtherrschaft oder Freiheit) bildet, nachdenken, so könnten sie sofort herausfinden, dass die Anarchie nicht Konfusion bedeutet, sondern die Abwesenheit jener Konfusionen, wie sie das archistische Zeitalter der Menschheit gebracht hat.

Alle Archie – Herrschaft oder Regierung – ist aus dem bösen Willen der Starken entsprungen, die Schwachen zu unterjochen, und sie hat bis auf den heutigen Tag, unter welchen Formen sie sich immer zeigen mochte, keinen anderen Zweck gehabt.

Alle Archie lag stets und ständig in den Händen der Eigenthum besitzenden Klassen und kehrte ihre Spitze gegen die Besitzlosen. Je niedriger der jeweilige allgemeine Kulturzustand war, in welchem sich die Gesellschaft befand, desto roher und unverhüllter zeigte sich auch die Archie der Reichen; je höher sich die Kultur entwickelte, zu desto raffinirterer List griffen die Archisten, ihre Gewaltanmassung zu verdecken, ohne indessen das Wesen der Gewaltsherrschaft der Besitzenden über die Besitzlosen im Mindesten abzuschwächen.

Es sind da im Wesentlichen nur drei Entwickelungsstufen der Archie hinsichtlich ihres massgebenden Faktors zu verzeichnen: Eigenthum an Menschen, Eigenthum an Grund und Boden, Eigenthum überhaupt.

Welche Uebelstände alle diese Phasen des Archismus in stetiger Zunahme zu Tage gefördert hat, und wie wenig Unterschied es ist, ob derselbe mit einer despotischen Spitze, im Gewände des Konstitutionalismus oder unter republikanischem Deckmantel auftritt, das wollen wir in dieser Schrift nicht des Weiteren erörtern. Wir verweisen in dieser Beziehung auf das in der »Eigenthumsbestie« Erörterte und gehen hier sofort auf den Kern der vorliegenden Abhandlung ein.

Wenn die Archie in allen ihren Formen der Menschheit nur Missstände bescheert hat, so muss daraus gefolgert werden, dass nur in ihrer Beseitigung das Heil zu suchen ist. Aufhebung der Archie bedeutet aber Anarchie. Demgemäss ist dieselbe das naturgemässe Ziel der nach Befreiung strebenden Menschheit. Wer immer in dieser Richtung thätig ist, arbeitet an der Einführung der Anarchie. Und der Umstand, dass es unter den in diesem Sinne Wirkenden noch unendlich Viele gibt, welche nichts von Anarchie (deren Sinn sie falsch auffassen) wissen wollen, ändert daran nichts. So mannigfaltig die Seitensprünge sind, welche solche Leute noch im Kampf um’s allgemeine Menschenrecht zu machen pflegen – sie Alle schreiten, wenn auch unbewusst und auf Umwegen der Anarchie entgegen.

Es kann dies auch gar nicht anders sein. Denn entweder erkennt man die Archie an und darf sie dann nicht bekämpfen, oder man bekämpft sie, d. h. wirkt auf ihre Zerstörung hin und fordert demgemäss ihren Gegensatz, die Anarchie. Ein Zwischending ist gar nicht denkbar.

Die gegentheilige Annahme hätte auch niemals in irgend welchen Köpfen auftauchen können, wenn nicht die Menschen – konservativ, wie sie mehr noch in ihrer Ausdrucksweise, als in ihrem gesellschaftlichen Verhalten sind – stets geneigt gewesen wären, zur Bezeichnung neuer Begriffe alte Worte zu wählen.

Man spricht z. B. oft von Volksherrschaft, was eine Absurdität ist. Wenn das Volk wirklich herrscht, wer soll denn da beherrscht werden? Sobald das Volk keine Herrschalt mehr über sich duldet, ist es eben frei; es herrscht nicht und wird nicht beherrscht; jede Archie ist abwesend, und das, was man unter Volksherrschaft sich vorstellt, ist in Wirklichkeit die Anarchie oder Nichtherrschaft. Die Bezeichnung »rothe Republik«, »Volksstaat«, »sozialer Staat« u. dgl. sind nur Umschreibungen des Begriffes Volksherrschaft, denn der Staat ist ja nur die äussere Form, in deren Rahmen die Herrschaft zur Geltung kommt; wenn man aber vom Herrschen absieht, so ist dem Staat jede Wesenheit benommen, es bliebe der blosse Name zurück, was derselbe deckte, wäre wiederum nichts Anderes, als die Anarchie.

Weil dem so ist, hätten wir allerdings diese Ausführungen uns ersparen können, da es ja auf die Wesenheit der Dinge und nicht auf die Worte ankommt, mit denen man dieselben bezeichnet; indessen ist gerade um diese Bezeichnungen eine heftige Diskussion zwischen den bewussten und unbewussten Anarchisten im Gange, und demgemäss war eine Feststellung, wie wir sie soeben gegeben haben, wohl am Platze.

Wir haben schon angedeutet, dass die Archie (Herrschaft in jeder Form) nur ein politisches Mittel zu einem sozialen Zwecke ist, nämlich, dass sie errichtet wurde, um die ökonomische Ungleichheit, die Ausbeutung der Armen durch die Reichen, aufrecht erhalten zu können. Nicht minder ist die Aufhebung der Archie und die Errichtung der Anarchie nur ein Mittel zu einem höheren Zwecke, indem diese Transaktion die Vorbedingung zur Etablirung der sozialen Gleichheit bildet.

Diese Hauptsache übersehen die Widersacher der Anarchie geflissentlich, und, indem sie auf den von ihnen erzeugten Unverstand der Massen spekuliren, argumentiren sie mit hundert Kleinigkeiten zu Gunsten der Archie. Den Angelpunkt dabei bildet die Betonung des Verbrecherwesens. Wenn, sagen sie, keine Regierung und kein Gesetz mehr existirt, so kann auch kein Verbrechen mehr bestraft werden, Gut und Leben werden sich in stetiger Gefahr befinden und die allgemeinste Unordnung wird das Dasein äusserst unangenehm gestalten.

Diese Hexenmeister! Ganz munter praktiziren sie da die Auswüchse bestimmter Verhältnisse ihrer Gesellschaft in die Anarchie hinein, deren Basis gerade die Abwesenheit jener Zustände bildet.

Alle Verbrechen – allenfalls abgesehen von den Handlungen Unzurechnungsfähiger, also von krankhaften Erscheinungen – sind ja notorisch die Kinder des Privateigenthums-Systems, dessenthalben die Archie ihr Dasein führt. Dieses System bedingt einen wilden Kampf um’s Dasein Aller gegen Alle. Herrschsucht und Habgier entwickeln sich da ganz naturgemäss auf der Seite der Besitzenden und spornen dieselben zum Verbrechen an, das allerdings in der Regel ohne Sühne bleibt, weil die Archie die Schärfe ihrer Gesetze wesentlich gegen eine andere Sorte von Verbrechen kehrt, nämlich gegen jene Thaten, die aus Noth und Rohheit zur Verübung kommen.

Freiheit und Gleichheit, d. h. die Zustände der Anarchie, heben aber diesen wüsten Kampf um’s Dasein auf; Habgier und Herrschsucht sind da unmöglich; Noth, Elend und Verwahrlosung kommen in Wegfall, so bald Jedem ein normales Dasein ermöglicht, sowie Zeit und Gelegenheit zur Entwickelung seiner geistigen Fähigkeiten gegeben ist. Mit der Mutter des Verbrechens verschwindet aber dieses selbst und die ganze Kriminalgesetzgebung wird überflüssig.

Man blättere im Uebrigen in dem sogenannten Zivilrecht. Auch da ist lediglich von Mein und Dein die Rede – eine ganz natürliche Sache in einer Gesellschaft, welche aus lauter Individuen besteht, die sich gegenseitig so viel wie möglich über’s Ohr zu hauen suchen, weil dies die einzige Möglichkeit ist, zu Reichthum und Macht zu gelangen, indem ja die jetzige Gesellschaft geradezu einen solchen Wettkampf zum normalen Verhältniss stempelt.

Wo Gleichheit und Freiheit (Anarchie) den Ton angibt, hört auch dieser Streit auf. Es bedarf keiner Gesetze mehr, denselben gleichsam schiedsrichterlich zu regeln.

Wenn mithin die Anarchie errichtet würde, ohne dass die Begründer derselben formell die Gesetzgebung nebst dazu gehöriger Exekutive abschafften, so kämen dieselben doch in Wegfall, weil sie nicht mehr angerufen und mithin alsbald für gänzlich zwecklos befunden würden. An eine solche Eventualität scheint auch Engels gedacht zu haben, als er schrieb, man brauche den Staat gar nicht ausdrücklich abzuschaffen, er schlafe unter dem Dasein einer wirklich freien Gesellschaft einfach ein.

Was des Weiteren über Gesetz und Regierung (Autorität) zu sagen ist, ergab sich bereits aus der in No. 8 der »Internationalen Bibliothek« veröffentlichten Abhandlung von Krapotkin über diesen Gegenstand.

Die in dieser Hinsicht geäusserten Bedenken halten also keinerlei logische Kritik aus.

Scheinbar viel gewichtiger sind die Argumente, welche gegen die Anarchie von einer Seite ins Treffen geführt werden, die dazu am wenigsten Ursache haben sollte. Alle unbewussten Anarchisten, nämlich die wie immer sonst benamsten Sozialisten, verwenden unglaublich viel Zeit und Kraft auf Bekämpfung der Anarchie, obgleich ihre Bestrebungen eigentlich auch auf völlige Freiheit und Gleichheit (Anarchie) abzielen, weil sie, wie wir bereits angedeutet haben, ihre Ideale mit falschen, altherkömmlichen Namen belegen, oder aber Wege wandeln, auf denen sie ihre Ziele nicht erreichen können.

Diese Leute behaupten vor Allem, die Anarchie bedeute das Gegentheil von Sozialismus, während in Wahrheit die Anarchie nichts weiter ist, als die denkbar vollendetste Form des Sozialismus.

Weil die Anarchisten die volle Freiheit der Einzelnen – das höchste Menschenglück–erstreben, behaupten die übrigen Sozialisten, ein solches Streben sei gegen die von ihnen befürwortete Verbrüderung der Gesammtheit. Als ob nicht die Letztere gerade die Unabhängigkeit der Individuen voraussetzte, da ohne diese an einen freiwilligen Zusammenschluss nicht zu denken ist, eine Zwangsbrüderlichkeit aber sich auf den ersten Blick als Absurdität erweist.

Einmal das diesbezügliche Streben der Anarchisten schief aufgefasst und ganz willkürlich als Individualismus im heutigen (egoistischen) Sinne des Wortes erklärt, ergeben sich die weiteren Konsequenzen verkehrter Argumentation ganz von selbst.

Dieselben reichen bis zu der Behauptung, dass die Anarchisten die Errungenschaften des modernen Produktionsprozesses ignorirten und eine isolirte (kleinbürgerliche) Gütererzeugung, also vollkommen reaktionäre Mucken im Kopfe hätten. Nichts Derartiges wird aber in den Büchern und Zeitungen der Anarchisten gepredigt, denn, wie gesagt, dieselben fühlen sich voll und ganz als Sozialisten, resp. als Kommunisten.

Es fällt den Anarchisten nicht ein, eine künftige Welt willkürlich konstruiren zu wollen; sie denken vielmehr daran, das Bestehende, das heisst die materielle Welt, wie sie sich bisher entfaltet hat, zu übernehmen und zum allgemeinen Besten anzuwenden.

Sie sind sich vollkommen klar darüber, dass die grössten Kulturfortschritte, welche bisher die Menschheit zu verzeichnen hatte, in der Theilung der Arbeit und in der Anwendung der Naturkräfte und der Mechanik bei der Gütererzeugung zu suchen sind. Kein Anarchist gedenkt dieselben rückgängig zu machen, sondern betrachtet es als eine Selbstverständlichkeit, dass auf diesem Gebiete eine stetige Entwickelung stattfinden muss.

Damit ist die Nothwendigkeit der Organisation der Arbeit, der Produktion mit vereinten Kräften, anerkannt. Und da die Unfreiheit der heutigen Volksmassen gerade in dem Umstände zu suchen ist, dass die zur organisirten Arbeit nöthigen Mittel (Land, Werkzeuge, Gebäude, Rohstoffe etc.) in den Händen von Privat- eigenthümern ruhen, so ergibt sich für die nach voller Freiheit (Anarchie) Strebenden daraus naturgemäss das Verlangen, alle diese Dinge in gemeinsames Eigenthum zu verwandeln, d. h. den Kommunismus zu erstreben.

Statt, wie ihre Stiefbrüder, die dem Namen nach nicht-anarchistischen Sozialisten, behaupten, Opponnenten des Kommunismus zu sein, fassen die Anarchisten denselben geradezu als die unerlässliche ökonomische Unterlage der zu erstrebenden freien Gesellschaft auf.

Der Streit zwischen ihnen und den Anhängern der älteren sozialistischen Schulen dreht sich nicht um die Frage, ob Kommunismus oder nicht – diese Frage wird einstimmig bejaht –, sondern um die Form, unter welcher der Kommunismus walten soll.

So weit die Kommunisten sich die (bereits als hinfällig charakterisirte) Staatsidee nicht aus dem Kopfe schlagen können, sind sie strikte Zentralisten; die Anarchisten, welche ausge- sprochenermassen von einem Staate der Zukunft Abstand nehmen, bekennen sich zum möglichst konsequent entfalteten Föderalismus. Und sie haben dazu ihre guten Gründe.

Eine zentralistisch organisirte kommunistische Gesellschaft mag – aller Staatsliebe ihrer Befürworter ungeachtet – keinen eigentlichen Staat vorstellen, allein sie würde ihrem ganzen Wesen nach eine stufenweise gegliederte Hierarchie von Wirthschaftsbeamten in sich bergen. Eine solche wäre nichts mehr und nichts weniger, als eine autoritäre Aristokratie, welche den Begriffen von Freiheit und Gleichheit schnurstracks zuwider liefe.

Bei dem von den Anarchisten erstrebten sozialen Föderalismus hingegen wäre eine solche Ueber- und Unterordnung ausgeschlossen und an deren Stelle waltete ein freiwillig eingegangenes Zusammenhandeln, das sich in tausendfältigen Spezialorganisationen bemerkbar machte, die wiederum in solchen Verbindungen zu einander stehen würden, wie sie die Zweckmässigkeit oder Notwendigkeit mit sich brächte. Eine eingehendere Darlegung über diesen Punkt haben wir bereits in der »Freien Gesellschaft« (I. B. No. 5) gegeben.

Wer sich dies Alles vor Augen hält, wird begreifen, dass die Verbissenheit, mit welcher die übrigen Sozialisten gegen ihren linken Flügel, die Anarchisten, ankämpfen, gar keinen rechten Sinn hat und dass die einschlägigen Streitfragen eigentlich niemals den Rahmen einer philosophischen Diskussion innerhalb ein und desselben Parteikörpers hätten überschreiten sollen.

Ebenso klar wird sich der aufmerksame Leser darüber sein, dass ohnehin die verschiedenartigen Schulen der Sozialisten, wenn sich erst ihre Ideen vollends abgeklärt haben, konsequenter Weise zur Anarchie sich bekennen und mithin einen Organisationskörper bilden müssen. Wesentlich beschleunigt dürfte obendrein dieser Verbrüderungs-Prozess durch die immer ärger sich entwickelnde Verfolgung werden, welcher die Anhänger jeder Art von Sozialismus in allen Ländern ausgesetzt sind.

Diese bringt es gleichfalls mit sich, dass auch in taktischer Beziehung die Differenzen früher oder später – hoffentlich aber bald ausgeglichen werden, derenthalben sich bisher die Anarchisten und sonstigen Sozialisten unablässig gegenseitig zerfleischten.

In dieser Hinsicht gingen ja die Ansichten noch viel weiter auseinander, als betreffs der Prinzipien.

Auf nichtanarchistischer Seite wurde der Schwerpunkt auf die Herbeiführung vermeintlich rasch zu erlangender kleiner Reformen (innerhalb der jetzigen Gesellschaft) gelegt. Ebenso setzte man ein grosses Vertrauen auf das allgemeine Stimmrecht. Alle Resultate, welche in diesen Beziehungen bisher erzielt wurden, waren im höchsten Grade entmuthigend. Positive Erfolge wurden gar nicht erlangt und der erwartete agitatorische Effekt blieb gleichfalls aus, weil Das, was allenfalls an Anhängern gewonnen wurde, nicht aufwiegen konnte was bei solchen unbestimmten Agitationen an prinzipieller Schärfe und Klarheit verloren ging.

Mehr und mehr stellte es sich klar und deutlich heraus, dass die herrschenden Klassen entschlossen sind, nicht die geringsten Konzessionen an die Arbeiter zu machen, und dass sie vielmehr mit wüthender Hast sich anschickten, jeden Rest von Freiheit und Recht dem Proletariat gesetzgeberisch zu entziehen, ja dasselbe ganz und voll zu Parias zu degradiren.

Der Stimmkasten verschlang riesige Opfer, welche die betheiligten Leute auf die Dauer nicht erschwingen konnten; auch dämmerte es in denselben auf, dass ihre Mittel besser angewendet wären, wenn sie eine direktere und prinzipientreuere Agitation damit betrieben.

Unter den Anarchisten gab es andererseits Viele, welche nur die allerextremsten Massregeln befürworteten, ausschliesslich der Propaganda der That das Wort redeten und weder von mündlicher Agitation, noch von Zeitungen etwas wissen wollten. Da indess die Propaganda der That nur da stattfinden soll, wo die entsprechenden Akte von den Volksmassen beifällig aufgenommen werden, so stellte es sich heraus, dass diese Art der Propaganda nicht überall betrieben werden kann.

Den Anarchisten blieb es nach wie vor klar, dass nur die sozialeRevolution schliesslich zum Ziele führen werde, doch begriffen sie, dass man dieselbe beim besten Willen, trotz der grössten Opferwilligkeit und allem Enthusiasmus ungeachtet, nicht willkürlich vom Zaune brechen könne. Den ausser ihren Reihen stehenden Sozialisten drängte sich endlich auch die Ueberzeugung auf, dass der grosse Kampf zwischen Kapital und Arbeit nur in einer grossen, zur Unvermeidlichkeit gewordenen sozialen Revolution siegreich zu beenden sei. Ueber diesen Hauptpunkt hinsichtlich der Dinge, welche die nahe Zukunft in ihrem Schoosse birgt, stellte sich also eine einheitliche Denkweise ein; und wir gehen nicht zu weit, wenn wir sagen, dass es gegenwärtig wohl keinen einzigen Sozialisten mehr gibt, welcher an die Lösung der sozialen Frage auf friedlichem Wege glaubt und in dem Wahne befangen ist, dass die Revolution vermieden werden könne.

Zwischen den beiden vorerwähnten Extremen der Taktik – Wahlpolitik einerseits und Propaganda der That andererseits – liegt gleichfalls ein Agitationsmoment, dessen Kraft und Zweckmässigkeit sowohl vom Gros der Anarchisten, als auch von den meisten der übrigen Sozialisten immer entschiedener gewürdigt wird. Es ist das die wirkliche Verbreitung jener Grundsätze, um welche es sich beim Emanzipationskampf des Proletariats handelt. Die indirekten Propaganda-Wege werden mehr und mehr verlassen und die Lehre von der sozialen Revolution, vom Kommunismus und (auf unserer Seite) auch von der Anarchie wird durch Wort und Schrift ohne Umschweife vorgetragen.

Damit ist aber nicht gesagt, dass alle sonstigen Propaganda-Mittel gänzlich unbeachtet bleiben. Man ist nur von allen Ausschliesslichkeiten abgekommen und hat ausgefunden, wo und wie diese und jene Massregeln mit Aussicht auf Erfolg ergriffen werden können. Die gemeinsame Parole der Sozialisten jeglicher Spielart lautet daher heutzutage im Grunde genommen: Kampf gegen das Bestehende mit allen Mitteln!

Wenn es sich auch vor Augen hält, von welch’ einer riesigen Gewalt die Träger der heutigen Gesellschaft umgeben sind, und wie wohl dieselbe organisirt ist, so muss es ja dem revolutionären Proletariat endlich einleuchten, dass es ein Verbrechen wider sich selbst begeht, wenn es nicht alle seine Kräfte zusammenfasst, um in erster Linie an der Zerstörung des Bestehenden zu arbeiten.

Die besitzenden und herrschenden Klassen mögen sich Konservative oder Liberale, Klerikale oder Freidenker, Schutzzöllner oder Freihändler, Edelleute oder Demokraten, Imperialisten oder Republikaner nennen – ihre diesbezüglichen Partei- und sonstigen Differenzen hindern sie gewiss nicht im Geringsten, sich als Eigentümer in feindlichem Gegensatz zu den Besitzlosen solidarisch zu fühlen.

Jeder einzelne Bourgeois betreibt seinen Klassengenossen gegenüber einen Konkurrenzkampf auf Tod und Leben; wenn es aber darauf ankommt, Stellung zu nehmen hinsichtlich des Proletariats, so weiss jeder Bourgeois, dass er Schulter an Schulter mit seinen Konkurrenten die von ihm und diesen gemeinsam eingenommene Position als Eigentümer im Rahmen des jetzigen Systems zu verteidigen hat.