Die Frühgeschichte des Filzes - Berthold Laufer - E-Book

Die Frühgeschichte des Filzes E-Book

Berthold Laufer

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Beschreibung

Filzen ist eine der ältesten Textiltechniken der Welt. Wolle - gewöhnlich Schafwolle - wird durch mehrere Bearbeitungsgänge - durch Anwendung von Seife, Wärme, Pressen und Walken - zu einem weiterverarbeitbaren Stoff, der fest ist, gegen Wasser, Wärme und Kälte schützt und insofern ideal ist für den Bedarf der Nomaden - für Kleidung wie auch für Jurten, Zelte und Sättel. Mit der Geschichte des Filzes haben sich bislang nur wenige Gelehrte in umfassender Weise beschäftigt; lediglich der Kölner Orientalist Berthold Laufer (1874-1934) hat mit seinem 1930 in der Zeitschrift American Anthropologist das Thema so weitgespannt und kompetent behandelt, daß sie bis heute als eine Art Klassiker gilt. Da heute Filz wieder beliebt geworden ist - man schaue nur auf die zahlreichen Anleitungen zum Filzen im Internet -, schien es nützlich, den lange vergriffenen Beitrag Laufers, angereichert durch Illustrationen, Bibliographie und eine Würdigung Laufers aus der Feder des amerikanischen Ethnologen Robert H. Lowie (1883-1957) in deutscher Übersetzung wieder zugänglich zu machen.

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Seitenzahl: 67

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Berthold Laufer (1874–1934) (privat)

Inhalt

Vorbemerkung

Einleitung

Filz in China

Filz in Tibet

Filz in Indien

Filz bei Iranern und Türken

Filz bei den Mongolen

Filz bei Griechen und Römern

Bibliographie

Robert H. Lowie: Berthold Laufer als Ethnologe

Bildnachweis

Vorbemerkung

Wer sich für die Geschichte des Filzes interessiert, stößt schnell auf einen Aufsatz1 von Berthold Laufer (1874–1934), der seit seinem Erscheinen vor fast hundert Jahren als Autorität auf diesem Gebiet gilt. Die Gründe sind vielfach: Laufer hat auf vier Expeditionen Ostasien bereist und ethnologische Sammlungen für Museen in New York und Chicago angelegt. Er war ein Orientalist mit ausgebreiteten Kenntnissen, einer der besten seiner Zeit; er war mit der kulturgeschichtlichen Literatur in vielen Sprachen vertraut. Auch das Textilfach war ihm nicht fremd – sein Vater führte ein Herrenoberbekleidungsgeschäft in Köln.

Der Herausgeber hat sich vielfach mit Laufer und seinen Werken beschäftigt; und daher sei statt einer kurzen Biographie lediglich ein Hinweis auf die Bibliographie gegeben, wo die neuere Literatur über diesen bedeutenden Wissenschaftler verzeichnet ist.

Die Illustrationen sind aus späteren Quellen hinzugefügt und waren teils Laufer nicht bekannt; so erwähnt er Pazyryk und Duguj Cachir nicht, und so finden etliche Bilder keine unmittelbare Korrelation im Text. Für die Illustrationen danke ich Christine Bell.

Das Thema Filz ist heute wieder aktuell – nicht nur im ethnologischen Kontext. So schien es an der Zeit, den Klassiker zum Thema wieder zugänglich zu machen.

1 Berthold Laufer: The early history of felt. American Anthropologist N.S. 32.1930, 1–18.

EINLEITUNG

Die Kunst, Filz durch Walzen, Schlagen und Pressen von Tierhaaren oder Wollflocken zu einer kompakten Masse von gleichmäßiger Konsistenz herzustellen, ist mit Sicherheit älter als die Kunst des Spinnens und Webens. Zeitlich gesehen folgten die Filzstoffe unmittelbar auf den Brauch, Tierhäute oder Pelze als Kleidungsstücke zu verwenden, oder entstanden zeitgleich mit ihm. Das Filzen wurde schon im Altertum sowohl in Asien als auch in Europa praktiziert, blieb aber auf diese beiden Kontinente beschränkt. Es ist bemerkenswert, dass es in Afrika immer gefehlt hat. Selbst im alten Ägypten, wo Schafe gezüchtet und ihre Wolle zu Stoffen gewebt wurde, war Filz unbekannt. Auch bei den amerikanischen Ureinwohnern gab es ihn nicht. Die alten Peruaner, obwohl sie Lama und Alpaka domestiziert hatten, kannten den Begriff Filz nicht.

Wolle schlagen in Kirgistan (Foto privat)

Es gibt alte Aufzeichnungen, die in der chinesischen, griechischen und lateinischen Literatur Hinweise auf Filz geben. Wir dürfen jedoch nicht annehmen, dass die Chinesen, Griechen und Römer aus diesem Grund die ersten Völker waren, die Filz verwendet haben. Die Griechen lebten in der Nähe der umherziehenden Skythen Südrusslands; und die weiten Steppen, die sich östlich des Ural und des Kaspischen Meeres über Russisch- und Chinesisch-Turkestan bis nach Südsibirien und in die Mongolei erstrecken, waren seit frühester Zeit der Tummelplatz ständig wandernder Stämme iranischer, türkischer, mongolischer und tungusischer Nationalitäten, ruhelos wie die Wellen der Ozeane. Diese nomadischen Stämme lebten vom Reichtum ihrer Herden, die aus Rindern, Kamelen, Schafen, Ziegen und Pferden bestanden. Die Herstellung von Filz setzt natürlich das Vorhandensein von Wolle liefernden Haustieren wie Schafen, Ziegen und Kamelen voraus. Es stimmt zwar, dass Filz aus den Haaren von Wildtieren hergestellt werden kann und auch hergestellt wurde, aber das Angebot an solchen Haaren ist nicht groß genug, um diese Beschäftigung in großem Maßstab zu etablieren. Es liegt daher auf der Hand, dass nur Völker, die über einen großen Bestand an wolltragenden Schaf- und Kamelherden verfügen, eine florierende Filzindustrie ins Leben rufen konnten. Dieser Grund allein würde jedoch kaum ausreichen, um die Erfindung des Filzes der nomadischen Bevölkerung Asiens zuzuschreiben und sie für die Chinesen und Griechen abzulehnen; die beiden letztgenannten Völker hatten ebenfalls domestizierte Schafe, und die Griechen verarbeiteten Schafwolle zu Kleidungsstücken. Die alten Chinesen hatten zwar Schafe, nutzten deren Wolle aber nie für Kleidung. Sowohl die Chinesen als auch die Griechen und die Römer verstanden sich auf die Herstellung von Filz, und die Chinesen stellen ihn auch heute noch her, aber die Herstellung dieses Artikels hatte bei ihnen nur eine geringe Bedeutung. Eliminiert man den Filz aus der chinesischen, griechischen und römischen Zivilisation, so bleiben sie, was sie sind, und werden nicht im Geringsten von diesem Minus beeinflusst. Eliminiert man das gleiche Element aus dem Leben der nomadischen Völker, so würden sie aufhören zu existieren, sie wären nie zustande gekommen. Bei diesen Völkern ist der Filz eine grundlegende Kultur, ein absolut wesentliches Merkmal und eine Notwendigkeit des Lebens, während er bei den hochzivilisierten Völkern wie den Chinesen, Indern, Griechen und Römern eine Nebensache, ein Zwischenfall, ein Element von gelegentlicher und geringer Bedeutung ist.

Die Verwendung von Filz hat also ihre größte Intensität und ihren Höhepunkt bei den nomadischen Stämmen Asiens erreicht, und dies ist der Hauptgrund, warum wir gezwungen sind, die Erfindung des Filzes, sowohl die Initiative als auch die Vervollkommnung des Verfahrens, den asiatischen Nomaden zuzuschreiben. Das bedeutet natürlich, dass die Chinesen, die Inder und die Griechen die Kunst von den letzteren gelernt haben, während die Römer Stoff und Wort von ihren Meistern, den Griechen, übernommen haben. Ein weiterer interessanter Unterschied besteht darin, dass Filz für die zivilisierten Völker einfach ein Gebrauchsgegenstand war, den sie übernahmen, weil er nützlich und praktisch war, während er bei den Nomaden mit religiösen und zeremoniellen Praktiken verbunden war. Er war ein fester Bestandteil ihres Lebens, untrennbar mit ihren inneren Gedanken verbunden. Welcher der vielen hundert Stämme Innerasiens der ursprüngliche Erfinder des Filzes war, lässt sich beim gegenwärtigen Stand unseres Wissens nicht herausfinden. Die Anfänge der Kunst sind in der Dämmerung der menschlichen Zivilisation verloren gegangen. Weder die alten skythischen noch die alten türkischen Stämme besaßen ein Schriftsystem, so dass keine Aufzeichnungen über ihre früheste Geschichte in ihren eigenen Sprachen erhalten sind; alles, was wir über sie wissen, verdanken wir den Aufzeichnungen der Chinesen und Griechen.

Behandlung des Wollvlieses mit warmer Seifenlaugehttps://ifpnews.com/in-iran-felt-making-has-roots-in-history/

Die Archäologie kommt uns in gewissem Maße zu Hilfe, denn in Zentralasien wurden einige alte Filzreste entdeckt. Darüber hinaus ist die alte Lebensweise der türkischen, mongolischen und tibetischen Stämme noch in vollem Umfang erhalten: Sie stellen noch immer Filz her, wie es ihre Vorfahren vor Tausenden von Jahren taten, und sie verwenden ihn noch immer für genau dieselben Zwecke. Durch die Kombination historischer, ethnologischer und archäologischer Methoden lässt sich die frühe Geschichte des Filzes mit ziemlicher Genauigkeit und Vollständigkeit rekonstruieren.

Das letzte Stadium des Filzens: Walken (Foto privat)

Im Lichte der vorangegangenen Ausführungen wird deutlich, dass der europäischen Legende, nach der die Erfindung des Filzes dem heiligen Clemens zugeschrieben wird, der auf einer Pilgerreise kardierte Wolle in seine Schuhe steckte, um seine Füße zu schützen, und diese Wolle durch den ständigen Druck und die Feuchtigkeit in Filz verwandelte, kein Glauben geschenkt werden kann.

Kein chinesischer oder griechischer Autor hat Einzelheiten des frühen Filzverfahrens überliefert, aber es besteht kein Zweifel, dass das antike Verfahren im Prinzip mit dem heutigen in Asien identisch war. Dieses primitive Verfahren ist praktisch überall dasselbe. Als Hauptinstrument wird eine große Matte verwendet. Auf dieser Matte wird die Wolle Schicht für Schicht ausgebreitet, bis die gewünschte Dicke erreicht ist, wobei die Wolle für die oberen Schichten im Allgemeinen von besserer Qualität oder feinerer Beschaffenheit ist als die Wolle für die inneren und unteren Schichten. Als Schlichte dient in Wasser gemischtes Fett oder Öl. Die Matte wird unter festem Druck mit den Füßen aufgerollt (manche Leute benutzen dabei die Rückseite des Unterarms), dann wird sie abgerollt und vom gegenüberliegenden Ende aus erneut aufgerollt. Diese Manipulation des Vor- und Zurückrollens nimmt eine beträchtliche Zeit in Anspruch; das Drehen wird vier oder fünf Stunden lang fortgesetzt, bis die Fasern fest und eng miteinander verflochten sind. Der Filz wird nun aufgenommen, mit Wasser und Seife gewaschen, getrocknet, erneut auf die Matte gespannt und in der Sonne getrocknet. In Indien und Turkestan werden farbige Büschel aus Filz oder Wolle darauf angeordnet, und das Ganze wird dann erneut mehrere Stunden lang gewalzt, bis das Material fertig und gebrauchsfähig ist. In Indien werden die feineren Filzsorten mit einem Mähmesser geschnitten, was das Aussehen stark verbessert und die Farben deutlicher hervortreten lässt.