Die Geliebte aus Shanghai - Herbert Schida - E-Book

Die Geliebte aus Shanghai E-Book

Herbert Schida

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Beschreibung

Nach einer großen Enttäuschung geht Peter nach China. Auf einer Großbaustelle lernt er Meiling kennen und sie verlieben sich. Es scheint die große Liebe zu sein. Beide beschließen zu heiraten, aber da gibt es noch ein Problem. Die Familientradition erlaubt es nicht, sich einen Ehemann ohne die Einwilligung der Eltern auszuwählen. Sie stehen nun vor der vielleicht wichtigsten Entscheidung ihres Lebens, denn ...

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

<< 1 >>

Wien, Lerchenfelder Gürtel

Das Flugzeug ist im Landeanflug. Die Donau und ihre Auenlandschaft sind gut erkennbar. Ich hatte einen angenehmen Rückflug von Shanghai nach Wien-Schwechat. Es kommt mir vor als wäre heimwärts die Zeit schneller vergangen.

Gestern habe ich vom Hotel aus kurz mit meiner Freundin Karin telefoniert. Sie konnte mir nicht sagen, ob sie einen Tag frei bekommt und mich am Flughafen abholt. Zu Hause wird meine Mutter auf mich warten und wissen wollen wie es mir ergangen ist. Ich vermute, dass sie eines meiner Lieblingsgerichte gekocht hat, weil sie glaubt, dass ich in China halb verhungert bin.

Das Flugzeug landet und rollt zum Flughafengebäude. Wir koppeln an einen der Finger und können aussteigen. Auf den Koffer muss ich nicht lange warten. Der Zoll hat kein Interesse an mir und meinem Gepäck. Er winkt mich durch. Die Glastür zur Ankunftshalle öffnet sich automatisch.

Draußen stehen im Halbkreis viele Menschen, die auf ihre Angehörigen, Freunde oder Bekannte warten. Unter ihnen entdecke ich Karin. Sie winkt mir aufgeregt zu und ich steuere mit meinem Kofferwagen in ihre Richtung.

Ich freue mich, dass sie gekommen ist. Ein flüchtiges Küsschen zur Begrüßung und gleich geht es weiter zum Taxistand.

Ich muss eine Ewigkeit fort gewesen sein, denn Karin hört nicht auf zu erzählen.

Wie es mir geht, hat sie noch nicht gefragt.

Es stehen genügend Taxis am Ausgang. In das erste steigen wir ein. Wir rücken auf der hinteren Sitzreihe eng aneinander und es kommt von ihr die Frage, die ich erwartet habe.

„Habe ich dir in Hongping gefehlt?“

Was soll ich darauf antworten? Bin ich ehrlich, müsste ich „Nein“ sagen. Das wäre nicht nett und würde sie kränken. Es gibt nur eine Antwort.

„Ja“.

Zufrieden sieht sie mich an.

„Ich habe dich vermisst. Die zwei Wochen kamen mir wie eine Ewigkeit vor“, gesteht sie mir.

Geschmeichelt lächele ich und drücke fest ihre Hand.

„Was macht deine Fahrprüfung? Klappt es die übernächste Woche mit der Wiederholung?“, will ich wissen. „Ein bisschen muss ich noch üben. Hilfst du mir?“

„In der Woche wird es nicht gehen. Am Wochenende habe ich Zeit.“

Die verbrauchte Luft im Taxi macht mich müde. Ich möchte nicht mehr reden und nur schweigend ihre Hand halten. Ich frage Karin nach ihrer Arbeit und was sie an den Feierabenden gemacht hat. Sie beginnt zu erzählen und ich döse vor mich hin.

Es gibt keinen Stau unterwegs. Der Fahrer biegt in die Straße ein, in der ich wohne. Meine Mutter steht an der Gartentür. Sie breitet ihre Arme wie eine Glucke aus, die eines ihrer verlorenen Küken wiedergefunden hat. Ich muss mich zunächst um meinen Koffer und die Taxi-Rechnung kümmern.

Wir gehen ins Haus und ich setze mich an den Küchentisch. Es riecht nach Kaiserschmarrn.

„Du wirst hungrig sein, mein Sohn!“, sagt meine Mutter und geht zum Herd.

Ich hatte im Flugzeug gegessen und mir ist nicht nach Essen zumute. Ablehnen kann ich es nicht. Sie wäre gekränkt.

Ich nicke ihr lächelnd zu.

Sie bietet Karin einen Platz an meiner Seite an. Aus der Vorratskammer holt sie eine Flasche Rotwein. Es ist Zweigelt von unserem Weinbauer aus Baden. Ich öffne die Flasche und gieße ein.

„Herzlich willkommen daheim!“, säuselt sie mir gerührt zu und kann vor Ergriffenheit nicht weitersprechen. Ich stehe auf und drücke sie.

Mit Tränen in den Augen eilt meine Mutter zum Herd und kommt mit drei Tellern Kaiserschmarrn zurück.

Ich muss jetzt von meiner Reise erzählen. Ab und zu erinnert sie mich daran, das Essen nicht zu vergessen. Wie soll man gleichzeitig kauen und erzählen? Erfolgreich hatte sie es mir in der Kindheit abgewöhnt.

Mein innerer Schalk verführt mich, über besondere Essgewohnheiten der Chinesen zu sprechen. Nach der Schilderung mit den betrunkenen Garnelen ist beiden Frauen der Appetit vergangen und sie legen das Besteck zur Seite. Bewundernd sehen sie mich an und staunen, wie ich dort überleben konnte.

Nach dem Essen packe ich meinen Koffer aus. Die Mutter legt die schmutzige Wäsche in einen Korb, um sie gleich in die Waschmaschine zu stecken. Wäscheberge hasst sie, wie der Teufel das Weihwasser.

Am Boden des Koffers liegen die kleinen Geschenke. Zuerst reiche ich das gestickte Seidentuch meiner Mutter. Sie ist begeistert und legt es sich um die Schulter.

Ich suche Karins Geschenk.

Ob es ihr gefällt? Ich bin mir nicht sicher. Gespannt sieht sie auf die Schachtel, in der sich die beiden Stempelsteine befinden.

„Dies ist für uns beide“, bemerke ich und reiche ihr die Box. Neugierig öffnet sie den Deckel und sieht mich fragend an.

Begeistert berichte ich von dem Besuch bei dem Steinschnitzmeister und wie die Stempel verwendet werden. Ich hatte eine Schale der roten Stempelfarbe gekauft und probiere sie aus. Die Abdrücke sind mir gut gelungen. Unsere Vornamen stehen eng beieinander. Das gefällt Karin wahrscheinlich mehr als die Steine. Gekonnt verbirgt sie ihre Enttäuschung. Sie tut mir ein wenig leid.

Die wichtigsten Dinge sind besprochen und die Schmutzwäsche überschlägt sich in der Waschmaschine. Meine Mutter entschuldigt sich, weg zu müssen, da sie einen Arzttermin hat. Es ist nur ein Vorwand, um Karin und mich allein zu lassen.

Der Schweiß von der weiten Reise klebt auf der Haut und fühlt sich unangenehm an. Im Bad drehe ich das Wasser zur Wanne auf. Karin zeige ich die Geschenke, die ich für meinen Vater und Martin gekauft habe. Ich sehe es ihrem Gesicht an, dass diese Mitbringsel ihr nicht gefallen.

Das Wasser rauscht. Karin drängt, dass ich in die Wanne steige und sie nicht überlaufen lasse.

„Willst du mit mir baden?“, frage ich sie.

„Was würde deine Mutter sagen, wenn sie dich und mich zusammen in der Wanne findet?“

„Sie kommt nicht vor zwei Stunden zurück. Ihr Arzt ist berühmt für seine langen Wartezeiten“, beruhige ich sie.

„Trotzdem komme ich nicht mit hinein. Wenn du es wünschst, kann ich dir den Rücken schrubben?“

„Na gut!“, sage ich und ziehe mich aus.

Sie begleitet mich ins Bad und sucht nach einem Waschlappen. Ich bemerke nicht, dass die Wanne bis zum Rand gefüllt ist. Erschrocken springt Karin hinzu und will das Wasser abstellen. Sie betätigt versehentlich den Hebel für die Dusche. Augenblicklich ist sie vom Kopf bis zu den Füßen nass gespritzt. Sie sieht aus, wie ein begossener Pudel.

Ich muss laut lachen.

Das ärgert sie. Wie ein Rohrspatz schimpft sie los.

„Es ist deine Schuld, dass ich nass bin!“, giftet sie mich an.

„Deine Sachen bekommen wir trocken. Jetzt zieh dich aus, damit du dich nicht verkühlst“, rate ich ihr.

Ein schadenfrohes Lachen muss ich mir unterdrücken.

Ich helfe ihr beim Entkleiden der nassen Sachen und hänge sie im Wäscheraum über eine Leine

Als ich zurück ins Bad komme, liegt Karin in der Wanne und hat den Schaum bis unters Kinn geschoben.

„Gestatten, gnädige Frau, dass ich einsteige!“, frage ich höflich und sie lacht. Ob es wegen der Frage oder der ungewöhnlichen Situation ist, weiß ich nicht. Mir genügt es, dass sie mit mir in der Wanne ist und wir unseren Spaß haben werden.

Nachdem sich der Badeschaum verflüchtigt hat, kann ich ihren schönen Körper sehen und genieße den Anblick. Sie merkt es.

„Vergiss das Waschen nicht!“, sagt sie heiter. Über das Missgeschick mit der Dusche ist sie wahrscheinlich hinweggekommen.

Ich fasse nach einem ihrer Füße und knabbere an den Zehen.

„Die chinesischen Männer sollen darauf stehen“, meint sie vielsagend und es scheint ihr zu gefallen was ich tue.

„Woher weißt du das?“, frage ich.

„Ich habe es in einer Illustrierten gelesen.“

„In der Kaiserzeit haben sich die reichen Frauen ihre Füße bandagiert, weil es Mode war“, erkläre ich ihr.

„Sowas muss arg wehtun!“

„Es müssen höllische Schmerzen sein. Bei den Mädchen ab fünf Jahren hat man damit begonnen, die Füße einzuschnüren damit sie nicht wachsen. Es bildeten sich Klumpfüße.“

„Entsetzlich ist sowas!“, bemerkt Karin entrüstet.

„Das ist nicht alles!“, deute ich an.

„Erzähle, ich will es wissen!“

„Mit Ausnahme der großen Zehe wurden den Mädchen alle Zehen gebrochen und zur Fußsohle hingedreht. Mit feuchten Tüchern hat man sie dann eingebunden.“

Karin zieht ihren Fuß an sich als könnte ich ihn im nächsten Moment verstümmeln.

„Das kann nicht wahr sein!“, entgegnet sie voller Abscheu.

„Vor hundert Jahren hörte das auf und seit der Gründung der Volksrepublik China ist es verboten.“

„Da werden alle Frauen Mao danken, dass diese Gräueltaten ein Ende haben.“

„Sicher! Die armen Frauen konnten nicht mehr richtig laufen. Sie taten es nur, um den Männern zu gefallen.“ Karin hockt wie versteinert in der Wanne.

„Was hast du?“, frage ich vorsichtig.

„Mich machen die Frauen unendlich traurig, die das ertragen mussten. Sind sie gezwungen worden?“

Ich zucke mit der Schulter.

„Freiwillig wird es keine getan haben.“

Ich richte mich vor ihr auf und fange an, mich einzuseifen. Sie nimmt von mir keine Notiz. Die bandagierten Füße der Chinesinnen interessieren sie mehr als ich.

Es passt mir nicht und ich bin gekränkt. Es war dumm von mir, über dieses Thema zu sprechen. Ich habe nicht damit gerechnet, dass sie sensibel darauf reagiert.

Ihre Gedanken kann ich nicht mehr einfangen. Wenn ich beginne, von etwas anderem zu erzählen, kehrt sie bald darauf zu den gebundenen Füßen zurück.

Unsere Wiedersehensfeier, in meinem Sinn, kann ich vergessen. Ich habe mir alles romantisch vorgestellt. Wir beide sind allein im Haus, haben gut gegessen und sind frisch gebadet. Es sind beste Voraussetzungen für das, was ich mir seit Tagen wünsche.

Wenn ich mich ihr nähere, spüre ich, dass sie den Abstand sucht.

Resigniert gebe ich auf.

Nach einer Weile bemerkt sie es und bemüht sich auf meine Wünsche einzugehen.

Jetzt will ich nicht mehr.

„Ich bin müde! Wir sollten unsere Wiedersehensfeier verschieben“, sage ich und gähne fortwährend.

Verblüfft willigt sie ein.

Sie hat meinen Stimmungswechsel erkannt. Den Grund scheint sie nicht zu ahnen.

Ich bringe ihr die getrocknete Kleidung.

Den restlichen Wein der angefangenen Flasche in der Küche schütte ich die Kehle hinunter.

Sie sieht mich von der Seite an. Verständnislos hebt sie die Schultern.

„Macht es dir nichts aus, wenn ich dich nicht zur U-Bahn bringe?“, bemerke ich kurz.

„Nein, leg dich nur hin! Der Jetlag wird dich eingeholt haben. Ich kenne mich da nicht aus.“

Sie gibt mir einen Kuss auf die Wange und geht aus der Küche.

Am liebsten würde ich sie zurückrufen und sagen, dass ich gern mit ihr schlafen möchte. Irgendetwas blockiert mich.

Ist es der verletzte Stolz, dass sie meine Wünsche nicht gleich erkannt hat und darauf eingegangen ist?

Ich weiß es selber nicht.

Wütend über mich, rufe ich meinen Freund Martin an. Er ist noch in der Firma und wir verabreden uns bei ihm.

Ich ziehe mich an und suche nach dem Autoschlüssel. Er ist nicht zu finden. Es wird gut sein, dass ich nicht mit dem Auto fahre. Der Wein, den ich aus Frust getrunken habe, zeigt seine Wirkung. Daheimbleiben will ich nicht.

Zu Fuß gehe ich zur U-Bahnstation Hietzing. Ich fahre bis zur Längenfeldgasse und steige in die U6 um. Jetzt fühle ich mich in Wien angekommen. Es ist Nachmittag und viele Menschen drängen sich auf den Bahnsteigen und in den Waggons der modernen U-Bahngarnituren. In der vierten Station Thaliastraße, am Lerchenfelder Gürtel, steige ich aus und gehe den kurzen Weg bis zu Martins Wohnung. Sein Auto parkt in der Seitenstraße. Er müsste zu Hause sein.

Die Klingel funktioniert nicht. Laut klopfe ich an die Wohnungstür. Martin öffnet und schmettert mir ein „Ni Hao“ als „Guten Tag“ entgegen.

„Wie lange hast du daran geübt?“, will ich von ihm wissen.

„Nur kurz! Ich werde bald Chinesisch können und dich auf der Baustelle besuchen. Wann bist du dort?“

„Ab Herbst soll es richtig losgehen. Bis dahin kannst du üben.“

„Ein Longhair-Dictionary habe ich gefunden“, meint er triumphierend.

„Was ist das? Davon habe ich noch nichts gehört.“

Martin lässt mich zappeln. Er weiß, dass ich neugierig bin. Den Begriff kenne ich nicht und kann mir nichts darunter vorstellen.

„Bei einem Bier können wir weiterreden und ich zeige dir mein chinesisches Wörterbuch.“

Mit seinem Auto fahren wir zwei Gassen weiter und halten vor einem Chinarestaurant.

„Warum gehen wir nicht in unser Beisl?“

„Das hier ist besser, lass dich überraschen!“

„Was soll da anders sein? Die Chinalokale in Wien sind alle gleich“, bemerke ich.

„Da irrst du dich! Komm rein!“

Wir treten in einen abgedunkelten Raum und setzen uns an einen Tisch, nahe dem Fenster. Zwei Chinesinnen sind emsig damit beschäftigt, Bestecke zu putzen. Sie haben soeben erst geöffnet. Eine der Frauen begrüßt uns. Ich wundere mich, dass Martin sie umarmt und auf die Wange küsst. Er stellt mich ihr als seinen Freund vor.

Zurückhaltend lächelt sie mich an und eilt fort, um uns Bier zu bringen.

„Kommst du öfter hierher?“, will ich von ihm wissen.

„Fast jeden Abend. Wie gefällt sie dir?“

„Wen meinst du?“

„Na, die Frau, die uns begrüßt hat!“

Ich sehe nochmals zu ihr hin.

„Hübsch ist sie. Kann es sein, dass sie älter ist als du?“

„Das stört mich nicht! Sieh sie dir genau an, wie anmutig sie sich bewegt als würde sie tanzen.“

Einer Balletttänzerin kann sie nicht das Wasser reichen, doch eine Augenweide ist sie auf jeden Fall.

„Seit wann interessierst du dich für chinesische Kellnerinnen?“, frage ich ihn.

Verträumt sieht er zur Theke, wo seine Angebetete mit dem Rücken zu uns steht.

„Schau dir nur die schönen Beine an!“, schwärmt Martin weiter.

„Pass auf, dass dich nicht der Lokalbesitzer sieht, wie du seine Angestellte angaffst! Der schlitzt dir den Bauch auf.“

„Sie ist keine Angestellte, sondern die Frau des Chefs.“ Ich schrecke zusammen.

„Umso schlimmer! Lass die Finger von ihr, bevor du dir die ganze Hand verbrennst!“

„Es ist zu spät, ich lodere lichterloh“, schwärmt Martin weiter.

„Alter, du machst mir Sorgen!“, erwidere ich kopfschüttelnd.

Die Chinesin bringt unser Bier und nimmt die Essenbestellung auf. Jetzt erst sehe ich sie mir richtig an. Nur an ihren Halsfalten ist zu erkennen, dass sie älter sein könnte als wir.

Martin erzählt ihr, dass ich heute erst aus China zurück bin. Interessiert fragt sie mich, wo ich war. Als ich ihr Shanghai und Hangzhou nenne, erzählt sie begeistert, dass sie aus einem kleinen Dorf zwischen diesen beiden Städten stammt. Sie nennt mir den Namen des Ortes. Er ist mir nicht bekannt.

Ihre Stimme klingt angenehm, hochtonig und zart. Ich höre sie gern sprechen. Sie muss leider in die Küche.

„Seit wann kennst du diese Schönheit?“, will ich von Martin wissen.

„Durch Zufall bin ich hierhergekommen. Wir haben uns in die Augen gesehen und da ist es passiert.“

„Was ist mit ihrem Mann? Wenn der merkt, dass du seiner Frau nachstellst, sind deine Tage gezählt. Die Restaurantbesitzer sollen alle der Mafia angehören.“

„Sie sagte mir, dass ich nichts zu befürchten habe. Ihr Mann hat eine Geliebte in Wien. Sie kennt sie.“

„Deshalb muss er euer Verhältnis nicht tolerieren!“, flüstere ich ihm zu.

„Vielleicht weiß er es. Wie du siehst lebe ich noch!“

„Du spinnst, dass du das Risiko eingehst!“

„Was tut man nicht alles für die Liebe. Je riskanter die Liebschaft ist, umso höher sind der Anreiz und die Lust.“

Kopfschüttelnd nehme ich einen Schluck von meinem Bier. Martin scheint verloren.

Das Essen wird aufgetragen. Wir verlangen Stäbchen. Lächelnd räumt Martins Geliebte die Bestecke weg. Ein feiner Duft von Jasmin streift meine Nase. Es war mir bei der Begrüßung aufgefallen, dass sie ein angenehmes Parfüm verwendet. Beim Weggehen schnüffle ich ihr nach, wie ein Hirsch, der Witterung aufnimmt.

Martin hat es bemerkt.

„Gefällt es dir?“, will er wissen.

„Hast du es ihr geschenkt?“

„Sie hat es sich aus Shanghai mitgebracht. Einmal im Jahr besucht sie dort ihre Eltern.“

„Was ist mit ihrem Mann, fährt er mit?“

„Einer von beiden muss im Lokal sein. Sie unternehmen alles getrennt.“

„Das kommt dir entgegen!“, bemerke ich schmunzelnd.

„Besser kann es nicht sein“, bestätigt mir Martin.

„Ist ihr Mann heute in der Küche?“

„Nein, er ist in China zu Besuch und seine Geliebte ist mit ihm gereist, sagte mir seine Frau.“

„Das muss man erst einmal verkraften können.“

„Wie meinst du das?“, fragt Martin verwundert.

„Na, das Eheleben, wie die es führen.“

„Sie haben eine andere Kultur. Früher hatten die wohlhabenden Männer Nebenfrauen und heute nehmen sie sich eine oder mehrere Geliebte. Ich finde das praktisch.“

Skeptisch sehe ich zur Restaurantchefin.

Wir sind und bleiben die einzigen Gäste im Lokal. Montag scheint ein schlechter Tag fürs Geschäft zu sein.

Ich erzähle Martin kurz von der Chinareise und meinem Missgeschick mit Karin, bei mir zu Hause.

„Du bist ein blöder Kerl!“, bestätigt er die eigene Annahme.

„Ich hätte niemals begonnen, von den Füßen zu erzählen, doch sie hatte danach gefragt.“

„Reden ist Silber und Schweigen ist Gold. Das sagt ein altes Sprichwort. Man spricht nicht über geschmorte Mehlwürmer, wenn man eine Frau in ein Restaurant zum Essen ausführt. Genauso verhält es sich mit verstümmelten Füßen, wenn du eine Frau ins Bett bringen willst. Für die Weiber haben Füße und Schuhe eine höhere Wertigkeit als für uns. Warum quälen sie sich mit Stöckelabsätzen? Nur, um uns Männern zu gefallen!“

Betreten vertiefe ich mich in mein Bier. Ich scheine Martin leid zu tun. Er legt seine Hand auf meine Schulter und redet mir gut zu.

„Wenn du etwas gegen deinen hohen Testosteronspiegel tun willst, kann ich eine meiner Verflossenen anrufen. Die Chinesin bekommst du nicht! Sie gehört nur mir.“

Ich wehre ab und meine, dass ich es ohne seine Unterstützung verkraften kann. Lächelnd sieht mich Martin an. Er ist ein echter Freund, der in jeder Notlage hilft. Umständlich kramt er in seiner Hosentasche einen Schlüsselbund hervor.

„Wenn du willst, überlasse ich dir meinen Wohnungsschlüssel wieder für die Wochenenden. Ich habe einen zweiten.“

Dankbar nehme ich ihn entgegen.

„Heute kann ich dich nicht mit nach Hause nehmen, da wird meine Lotusblüte bei mir sein. Es würde ihr nicht gefallen, wenn du da bist.“

Verständnisvoll winke ich ab.

„Ich fahre gleich nach Hause. Meine Eltern warten auf mich.“

Martin hält mich nicht zurück und ich gehe zur Straßenbahnhaltestelle.

Es hat mir gutgetan, mit ihm zu reden. In der Bahn merke ich, dass ich sein Geschenk noch in meiner Brusttasche habe. Es ist ein Kuvert mit einem Satz Münzen aus der Kaiserzeit. Ob die einzelnen Stücke echt sind, kann ich nicht beurteilen. Sie sehen alt aus und haben in ihrer Mitte ein Loch damit man sie auffädeln kann. In manchen Taxis habe ich an der Windschutzscheibe ähnliche Geldstücke gesehen, die dem Eigentümer Glück und Geldsegen bringen sollen.

<< 2 >>

Wien, Süßenbrunner Kiessee

Ich liege am Süßenbrunner Kiessee und lasse mich von der Sonne bräunen. Karin und die anderen sind noch schwimmen.

Seit Wochen zeigt sich kein Wölkchen am Himmel und die Menschen suchen sich einen Platz im Schatten oder am Wasser. Im Büro habe ich mit den Temperaturen kein Problem. Wir haben eine Klimaanlage. Es spielt keine Rolle ob es draußen schneit oder heiß ist.

Mit Karin habe ich gesprochen, ob sie mit nach China auf die Baustelle kommen würde. Sie hat gleich abgelehnt, ohne weiter darüber nachzudenken. Ich werde, wie Toni, die Zeit in Hongping solo verbringen müssen. Karin will in Wien bleiben wegen dem Job und ihren Eltern. Hotel Mama scheint nicht nur für Söhne zu gelten.

Wie wird sie die Zeit der langen Trennung verkraften?

Wir haben noch nicht darüber gesprochen. Ich bin sicher, dass sie mir treu bleibt. Mein Gefühl sagt es. Erst heute Morgen gestand sie mir, dass sie mich über alles liebt, mehr als ihre Eltern. Damit müsste ich jetzt in ihrem Leben den ersten Platz einnehmen.

Wie steht es mit meinen Gefühlen zu ihr?

In den letzten Wochen habe ich kritisch darüber nachgedacht. Sie ist hübsch, einfühlsam und nicht langweilig. Das gefällt mir am besten an ihr. Mit ihr könnte ich eine Familie gründen und zusammen alt werden. Als Konstrukteur bin ich gewohnt, rational zu denken. Der Begriff „Liebe“ ist für mich nicht erklärbar. Es fällt mir schwer darüber zu reden. Deshalb schweige ich lieber, wenn sie mich fragt, ob ich sie liebe.

Leider versteht sie mich in dieser Sache nicht und glaubt, dass meine Gefühle zu ihr, nur oberflächlicher Natur sind. Ich habe mich entschlossen, ihr einen Beweis für meine Zuneigung zu liefern. Ich werde mich mit ihr verloben.

Seit Tagen trage ich mich mit diesem Gedanken und habe keinen Punkt gefunden, der dagegenspricht.

Ich bin der erste Mann in ihrem Leben, mit dem sie eine intime Beziehung eingegangen ist, sagte sie mir und ich habe es bei unserem ersten Zusammensein bemerkt. Dies ist ein triftiger Grund, sie nicht fallen zu lassen. In dieser Hinsicht denke ich altmodisch. Martin würde mich wegen dieser Ansichten auslachen. Ich bin wie ich bin. Es steht für mich fest, dass ich ihr einen Heiratsantrag mache.

Träge wälze ich mich auf der Decke in eine neue Position, damit ich keinen Sonnenbrand bekomme. Karin kommt aus dem Wasser und schmiegt sich an mich. Ihren kalten Körper empfinde ich angenehm auf meiner überhitzten Haut und ich blinzele mit den Augen.

„Ich dachte, du schläfst!“, flüstert sie mir ins Ohr.

„Wo sind Martin und seine beiden Frauen?“

„Die schwimmen! Mir wurde es zu kalt im Wasser.“

Karin nimmt die Sonnenschutzcreme aus ihrer Tragetasche und reibt sich die Arme ein.

„Möchtest du?“, fragt sie besorgt.

Ohne meine Antwort abzuwarten cremt sie mir den Rücken ein. Die Sonne bekommt keine Chance mich zu schmoren. Es tut gut, wenn ihre schmalen Finger über meine Haut gleiten. Hin und wieder stöhne ich lustvoll auf und besorgt sieht sie zu den Nachbarn, ob die nichts gehört haben.

„Es ist nett von deinem Freund Martin, dass er uns an den Wochenenden seine Wohnung überlässt.“

„Das ist bei Freunden üblich!“, trumpfe ich auf.

„Ich weiß nicht, ob ich es tun würde, wenn ich eine eigene Bleibe hätte.“

„Wenn Martin nicht mit seiner Geliebten in der Wohnung ihrer Freundin wäre, würde das nicht gehen.“

„Wieso trifft er sich nicht mit ihr in seinen eigenen vier Wänden?“, will Karin wissen.

„Wegen der Leute! Ihre Bekannten denken, dass sie an den Wochenenden bei ihrer Freundin ist. Deshalb müssen wir die Lady als fünftes Rad ertragen.“

„Die ist nett! Ich kann mich gut mit ihr unterhalten!“, wendet Karin ein.

„Sie kommt mir vor, wie ein Hund, der überall aufpasst und schnüffelt.“

„Das musst du akzeptieren! Die Chinesen achten nun mal auf Anstand, wie es zu Zeiten unserer Großeltern üblich war.“

Erstaunt sehe ich Karin an.

„Was weißt du davon?“

„Ich habe mit ihr darüber gesprochen und sie hat mir gesagt, dass vieles erlaubt ist, wenn nur kein Fremder es mitbekommt. Angeblich weiß es der Ehemann.“

„Was ist, wenn es andere bemerken?“, gebe ich zu bedenken.

„Dann verliert er sein Gesicht und muss handeln. Vielleicht bringt er beide um.“

„Male den Teufel nicht an die Wand!“, erwidere ich erschrocken.

Langsam drehe ich mich auf den Rücken. Karin reibt meine Bauchseite ein. Ich blinzele sie an. Jetzt ist der richtige Moment es ihr zu sagen.

„Ich habe mir über uns Gedanken gemacht!“, beginne ich bedächtig.

„Willst du dich von mir trennen?“, erwidert sie lachend.

„Möchtest du es?“

„Sei nicht dumm! Nach dem Bestehen meiner Fahrprüfung bist du der einzige Beifahrer, der keine Angst hat, mit mir zu fahren. Auf dich will ich nicht verzichten!“

„Angst habe ich, ich zeige sie nur nicht.“

Ein wohlverdienter Klaps auf den Oberarm, ist das Ergebnis.

Ich halte sie mit gestreckten Armen von mir. Nicht, weil ich eine Watsche befürchte, sondern weil sie mir aufmerksam zuhören soll. Ausnahmsweise wehrt sie sich nicht und schweigt.

„Karin was hältst du davon, wenn wir vor Weihnachten heiraten?“

Ihr heiterer Gesichtsausdruck wird schlagartig ernst.

„Ist das ein Scherz?“

„Es ist mir ernst! Wenn du einverstanden bist, feiern wir noch heute Verlobung.“

Enttäuscht sieht sie mich an. Sie scheint keine Lust zu haben, mich zum Mann zu nehmen.

„Es kommt für mich plötzlich!“, erwidert sie abwehrend.

„Willst du nicht meine Frau werden?“, frage ich enttäuscht.

„Doch, gern! Ich bin ganz außer Fassung!“, entschuldigt sie sich.

„Wenn das mit der Verlobung heute zu kurzfristig ist, mache mir einen Vorschlag!“

„Können wir in einer Woche Verlobung feiern und die Eltern dazu einladen.“

„Wenn du mir versprichst, dass ich nicht bei deinem Vater, um deine Hand anhalten muss, bin ich einverstanden.“

„Das brauchst du nicht!“, versichert sie heiter.

„Weiß es Martin?“, will sie wissen.

„Ich habe mit keinem darüber gesprochen. Du hättest mir einen Korb geben können.“

„Hast du das gedacht?“

„Dir ist alles zuzutrauen!“

Der Gedanke, dass ich nicht absolut sicher bin, wie sie sich entscheidet, gefällt ihr. Ich kann es ihrem Gesicht ansehen. Es strahlt selbstgefällig.

„Wo wollen wir feiern?“, will sie wissen.

„Ich dachte an einen Heurigen in Floridsdorf.“

„Das ist gut. Soll ich dort reservieren?“

„Gern!“ erwidere ich und freue mich, dass sie mir das Organisatorische abnimmt.

Verlobungsringe habe ich vor ein paar Tagen gekauft. Sie stecken in meiner Jackentasche.

Ich richte mich auf und neige mich zu ihr.

„Wenn du es möchtest, können wir heute Verlobung feiern!“

„Au fein!“, ruft sie begeistert aus.

Martin und die beiden Chinesinnen kommen aus dem Wasser. Sie sind mächtig durchgefroren und ihre Lippen haben einen blauen Schimmer.

„Wir möchten euch für nächsten Samstag zur Verlobungsfeier beim Heurigen einladen. Könnt ihr kommen?“, frage ich sie.

Martin sieht mich überrascht an.

„Damit habe ich nicht gerechnet. Natürlich sind wir dabei! Wer wird noch da sein?“, will Martin wissen.

„Unsere Eltern und Gabi!“

„Dann sehe ich sie wieder! Es ist lange her, dass sie bei mir war.“

„Peter und ich haben uns an diesem Abend kennengelernt“, bemerkt Karin gerührt und sieht mich an.

„Wer ist Gabi?“, will Martins Geliebte von ihm wissen.

„Eine Freundin von Karin!“, erklärt Martin.

„Wir kommen gern mit!“, sagt die Chinesin zu mir gewandt.

Ein Quäntchen Eifersucht liegt in ihren Worten.

Karin und ich brechen auf. Martin und seine beiden Frauen wollen bleiben. Es stört uns nicht.

Wir fahren mit Karins Auto in Martins Wohnung. Ich kann es nicht erwarten, ihr die Verlobungsringe zu zeigen.

Die Wohnung ist nicht aufgeräumt. Ich trage das auf dem Wohnzimmertisch liegende Geschirr in die Küche.

Karin nimmt auf der Couch Platz.

„Schließe deine Augen und öffne sie erst, wenn ich es dir sage!“

Ungern kommt sie dieser Aufforderung nach. Sie ahnt, womit ich sie überraschen will. Ich halte das Ringfutteral vor ihr Gesicht und öffne den Deckel.

„Jetzt Augen auf!“, sage ich voller Spannung.

Die Ringe scheinen ihr zu gefallen, das kann ich am Leuchten ihrer Augen sehen. Ich stecke ihren, der mit einem Diamanten besetzt ist, auf den Ringfinger der linken Hand und er passt.

Ohne vorherige Anprobe bei dem Juwelier, ist das nicht selbstverständlich. Karin kann sich nicht sattsehen. Der kleine Edelstein funkelt im Licht, wie ein ganzes Universum mit Abermillionen von Sternen.

Ich will ihren Ring wieder zurückhaben und in das Etui stecken. Sie gibt ihn nicht mehr her.

„Du musst ihn dir verdienen!“, sagt sie verführerisch und fängt sich an zu entkleiden. Jetzt bin ich mir sicher, dass er ihr gefällt und strenge mich an, um ihn zurück zu bekommen.

<< 3 >>

Wien, Heuriger

Der Heurige in der Amtsstraße ist gut besucht. Karin hat im Gastgarten einen langen Tisch mit zehn Plätzen reserviert. Alle, die eingeladen wurden, sind gekommen. Martins beide Chinesinnen und Gabi habe ich auseinandergesetzt, damit es nicht zum Zickenkrieg kommt. Die beiden Elternpaare sitzen sich gegenüber. Sie können sich gut miteinander unterhalten.

Eine dralle Kellnerin bringt uns die bestellten Getränke. Sie stellt den Wein in Literkaraffen auf den Tisch und ich schenke ein. Jeder hat sein Wunschgetränk vor sich. Ich melde mich zu Wort und gebe die Verlobung öffentlich bekannt. Wir stoßen mit unseren großen Heurigengläsern an und alle wünschen uns viel Glück.

Die beiden Väter scheinen sich gut zu verstehen. Sie unterhalten sich über Fußball. Es ist ein unendliches Thema, bei dem jeder besser weiß, wie Tore geschossen werden als die Spieler auf dem Rasen.

Worüber sich die Mütter unterhalten, bekomme ich nicht mit. Der Geräuschpegel ist stark angestiegen und kein freier Sitzplatz im Gastgarten mehr zu finden. Ausweichen können die späten Gäste nur in die Innenräume des Heurigenlokals. Bei dem schönen Wetter ist das nicht angenehm.

Karin unterhält sich mit Gabi, die neben ihr sitzt und ich habe Martin an meiner rechten Seite. Nur die beiden Chinesinnen tun mir ein wenig leid. Sie wirken wie von unserer Unterhaltung ausgespart. Ich bitte sie, mir über Hangzhou zu erzählen. Wegen des Lärms ist das kaum möglich. Man versteht sein eigenes Wort nicht mehr. Als Gastgeber bin ich bemüht, die Runde aufzulockern, indem ich mich zu jedem setze und mich mit ihnen unterhalte.

Diese Gelegenheit nutzt Gabi und setzt sich auf meinen Platz, neben Martin. Zunächst kümmert sie sich nicht um ihn und führt ihre Unterhaltung mit Karin fort. Bald schenkt sie ihm mehr Aufmerksamkeit.

Karin setzt sich zu den beiden Müttern, an der langen Tischseite.

Die Väter prosten sich ständig zu. Es geht bei ihnen noch um Fußball. Ich verstehe nicht, wie man so lange über dieses Thema reden kann. Die Chinesinnen scheinen sich zu langweilen. Ich setze mich zu ihnen. Sie hören auf, chinesisch weiter zu plaudern und ich lasse mir von ihnen erzählen, wie sie nach Österreich gekommen sind.

Beide waren ihren Männern gefolgt und leben mehrere Jahre in Wien. Die Freundin von Martins Geliebter war mit einem Österreicher liiert, der ein paar Jahre in Shanghai gearbeitet hatte und in die Heimat zurück musste. Sie war ihm gefolgt und in Wien haben sie geheiratet. Nach ein paar Jahren hat er sich eine andere genommen und von ihr getrennt. Die Eigentumswohnung konnte sie behalten. Sie hat einen guten Job bei einem Handelsunternehmen und materiell geht es ihr gut.

Bei den Vätern wird es lauter. Sie haben das Gesprächsthema gewechselt und sind vom Fußball zur Politik gekommen. Das wird nicht gut enden, denke ich mir. Ich sehe in ihre Richtung. Karins Vater ist Sozialdemokrat. Für meinen Vater kann es nichts Schlimmeres geben. Sie haben zu viel Wein getrunken und beginnen sich anzuschreien.

Unsere Mütter versuchen sie zu beruhigen. Es ist wie bei einem Schwelbrand, in dem kleine Nester auflodern. Beide sind Hitzköpfe und ich bin besorgt, dass es zu einer Schlägerei kommt. Unsere Mütter sind der gleichen Meinung und drängen ihre Männer mit ihnen nach Hause zu fahren.

Die Elternpaare sind weg und es ist still.

Aus den zehn kleinen Negerlein sind nur noch sechs geworden. Nicht alle Gewitterwolken sind über uns hinweggezogen. Gabi hat die Ablenkung durch unsere Eltern genutzt, um sich mehr mit Martin zu unterhalten. Sie lachen und scherzen. Das bringt das Blut von Martins Geliebter zum Kochen. Mit südasiatischem Temperament kämpft sie um ihren ersten Platz in seiner Gunst. Karin und ich halten uns aus dem Wortgefecht der Kontrahentinnen heraus. Fassungslos sehen wir zu. Martin steht auf, entschuldigt sich bei mir und geht. Die streitenden Frauen folgen ihm, wie eine Gänseschar. Karin und ich bleiben allein zurück.

„Warum ist Gabi mit ihnen gegangen?“, frage ich.

„Sie will nicht aufgeben und der Chinesin das Feld räumen.“

„Wir haben nette Eltern und Freunde, die wissen, wann sie gehen müssen“, erwidere ich scherzhaft.

Herzhaft lachen wir miteinander und wiederholen manchen Wortlaut der Beschimpfungen.

„Unsere Verlobungsfeier wird allen lange in Erinnerung bleiben. Ich bin gespannt, was mein Vater sagt, wenn ich heimkomme.“, bemerkt Karin.

„Lass dich nur nicht unterkriegen! Du kannst jederzeit zu mir nach Hietzing ziehen!“

Karin winkt ab.

Ich bin froh, dass sie die verpatzte Feier nicht tragisch nimmt. Ein harmonisches Ende wäre für alle Gäste angenehmer gewesen. Es war nicht unsere Schuld, dass es zu den Zerwürfnissen kam.

Der Kellnerin winke ich zu, um zu zahlen.

„Hat es den Herrschaften nicht gefallen, dass sie alle weg sind?“, fragt sie neugierig.

„Sie haben sich beim Essen den Magen verdorben, bekamen Bauchweh und es wurde ihnen schlecht“, sage ich im Scherz.

Erschreckt sieht sie sich um.

„Die anderen Gäste haben nicht geklagt. Ich hoffe, dass es nichts Schlimmes ist.“

Ich sage zu, mich zu melden, wenn sich ihr Zustand verschlechtern sollte.

Auf ihrem Rechnungsblock addiert sie die Einzelpreise der Bestellungen und gibt mir einen großzügigen Rabatt wegen des Unwohlseins unserer davongeeilten Gäste.

Wir fahren in Martins Wohnung. Dort sind wir allein und ungestört. Wie nach einem langanhaltenden Schock kommen bei Karin jetzt Bedenken wegen der Streitereien im Buschenschank.

Das mit Gabi und Martin interessiert sie nicht sonderlich. Die Auseinandersetzung zwischen den Vätern ist ihr nicht einerlei. Ich beruhige sie, obwohl ich nicht glaube, dass die beiden Männer noch einmal zusammenkommen werden. Zu schlimme Worte sind gefallen und da nützt nicht der Umstand, dass sie betrunken waren.

Der Ring sieht wunderschön an Karins linker Hand aus. Beim Heurigen habe ich bemerkt, dass sie ihn gut sichtbar getragen hat und die Frauen ihn sich näher angesehen hatten. Eitelkeit gehört wie der Stolz und Übermut zu einer der sieben Todsünden, dem Hochmut. Solange sie sich gemäßigt verhält, stört mich ein wenig Eitelkeit an ihr nicht. Sie ist wie ein Gewürz in unserer Beziehung.

Wie ein Kind betrachtet sie ständig den Edelstein im Licht. Die Vorliebe für Schmuck habe ich vorher nicht bei ihr festgestellt. Ich bin neugierig, was ich im Laufe unseres gemeinsamen Lebens alles an ihr entdecken werde.

Wir sehen uns einen Film an. Karin darf ihn sich aussuchen. Es ist eine Komödie, lustig und fürs Herz. Ich kenne den Film und hoffe, dass sie beim Betrachten den Ärger während der Verlobungsfeier vergisst. Bisher hatte sie nicht von einem schlechten Omen gesprochen. Der Film soll alles glätten.

Ich hole aus der Küche eine Flasche Sekt, die ich Martin geschenkt hatte und suche in dem Küchenschrank nach Salzgebäck. Mit meinen Schätzen komme ich zurück und wir stoßen nochmals auf die Verlobung an.

Der Film startet und zufrieden liegen wir auf der Couch und lassen uns von dem Schnulzenfilm berieseln.

Mich interessiert Karin mehr. Zärtlich streichele ich ihre Hände und Arme. Wenn die seichte Handlung im Film kurzzeitig spannend wird, fühlt sie sich durch meine Berührung gestört. Sie knurrt leise und ich halte kurzzeitig inne. Ich habe Zeit, der Abend ist lang. Vorsichtig wage ich mich weiter vor und ehe der Film endet, bin ich am Ziel meiner Wünsche angelangt. Vom Sekt ist sie leicht beschwipst. Wir liegen auf der übergroßen Matratze im Schlafraum und der Liebesfilm trägt seine Früchte.

Es ist schön mit ihr, wie noch nie. Mir wird bewusst, wie wichtig die richtige Stimmung ist. Ich lasse mir viel Zeit und das gefällt ihr.

Sie lacht und gleichzeitig rollen Tränen über ihre Wangen. Es ist mir unerklärlich.

Mir fällt auf, dass sie sich plötzlich ruhig verhält. Wie erstarrt liegt sie auf dem Rücken. Ist sie müde und braucht eine kleine Verschnaufpause? Gebannt sieht sie über meine Schulter geradeaus zur Türöffnung. Ich drehe mich um und erkenne Martin, wie er uns zusieht. Verärgert stehe ich auf und steige in meine Jeans. Er verschwindet in die Küche.

Karin zieht sich schnell an und streicht mit den Fingern ihre Haare glatt. Ich gehe ins Wohnzimmer und setze mich zu Martin an den Esstisch. Wie abwesend sitzt er da und verspeist ein Butterbrot.

„Bist du lange hier?“, will ich von ihm wissen.

„Eine Weile!“, entgegnet er kurz.

„Warum hast du dich nicht bemerkbar gemacht?“

„Ich wollte euch nicht stören!“

Martin sieht traurig aus.

„Hast du Ärger mit deinen Frauen?“

„Die Chinesin bin ich los.“

„Das tut mir leid für dich. Was ist passiert?“

„Ich habe Gabi zu Hause abgesetzt und wollte mit den anderen beiden in die Wohnung fahren. Da sind sie mit ausgestiegen und haben nach einem Taxi gewunken.“

„Warum bist du nicht gleich hergekommen?“

„Ich wollte euch nicht den Tag verderben und bin zu Gabi gegangen.“

„Sie hatte beim Heurigen ein Auge auf dich geworfen“, bemerke ich.

„Meine kleine Mandelblüte ist eifersüchtig wie ein Kakadu. Sie hat „Rot“ gesehen als ich mich am Tisch mit Gabi unterhalten hatte.“

„Sie wird ihren Irrtum bald erkennen und ruft dich an“, tröste ich ihn.

Deprimiert sitzt Martin da und trinkt ein Glas Wodka nach dem anderen.

„Hast du Hunger? Soll ich dir Essen machen?“, fragt Karin.

„Nein danke! Das Butterbrot hat mir genügt. Lasst euch nicht stören. Ich bleibe hier sitzen und höre Musik.“

Unmöglich könnte ich jetzt mit Karin in den Raum nebenan gehen und dort weitermachen, wo wir aufgehört haben.