Die chinesische Lady - Herbert Schida - E-Book

Die chinesische Lady E-Book

Herbert Schida

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Beschreibung

Meiling wurde mit einem Bankier verheiratet und lebt in London. Sie weiß, dass sie sich in einem goldenen Käfig befindet und fügt sich in ihr Los. Von einem anderen Mann, den sie liebte, bekommt sie ein Kind und nur ihr Ehemann weiß davon. Er versucht ihr das Leben in der Zwangsehe erträglich zu machen. Wird sie ihren Weg finden, sich zu verwirklichen?

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

<< 1 >>

Silvester in London

Von meiner Freundin Jin aus Shanghai ist heute ein lang ersehnter Brief angekommen. Aufgeregt öffne ich ihn. Sie schreibt mir: „Liebe Meiling, ich kann nicht zu Dir nach London kommen, da ich mich vor der weiten Flugreise fürchte.“

Ich glaube nicht, dass es der einzige Grund ist. Sie wird mir noch nicht verziehen haben, dass ich ihr vor einem halben Jahr verschwiegen habe, einen Londoner Bankier zu heiraten. Sie war wie eine Schwester für mich. Wir besuchten zusammen die Schule und begannen nach unserem Studium an der Universität in Hangzhou mit der Arbeit in einem Kraftwerk, das sich nahe der Provinzhauptstadt Hangzhou befindet. Zwischen uns gab es nie ein Geheimnis, bis zu meiner Reise nach London. Sie weiß, dass ich mit einem Wiener Techniker auf der Baustelle verlobt war und wir uns liebten. Ich musste mich jedoch dem Willen meiner Eltern unterordnen und einen anderen Mann heiraten. Nichts hatte ich ihr gesagt. Ich habe ihr Vertrauen missbraucht.

Was soll ich jetzt tun? Ich könnte sie in Shanghai abholen, doch sie muss selbst den Willen aufbringen, zu mir zu kommen. Ich weiß, dass sie ein Hasenfuß ist und sich am liebsten in ihrem vertrauten Umfeld aufhält. Hier in London wäre sie bei mir und ich würde sie beschützen und ihr helfen, wie ich es früher getan habe. Wie kann ich ihr das nur verständlich machen?

Mir kommt die Idee, einen Brief an meine Mutter in Shanghai zu schreiben und werde sie bitten, mit Jin darüber zu sprechen.

Gleich setze ich mich hin und verfasse ein paar Zeilen.

Die Eltern und beide Schwestern haben sich nach der Hochzeit nicht bei mir gemeldet. Ich nehme an, dass es an dem schlechten Gewissen liegt, dass sie haben. Meinen Vater wird es hart treffen, wenn er in seine neue Bank-Filiale in Shanghai geht. Er wird sich jeden Tag daran erinnern, dass er für die Geschäftsführerposition mein Glück geopfert hat. Ich wünsche, dass alle unter diesem Druck leiden, die einen Vorteil aus meiner Heirat gezogen haben.

Zum Diner erzähle ich meinem Ehemann Gehao von Jins Brief und was sie mir geantwortet hat. Er reagiert nicht darauf. Es kränkt mich, dass er kein Interesse zeigt. Was sollte er sagen? Es ist Jins Entscheidung und die hat jeder zu respektieren.

Am Abend schalte ich vor dem Zubettgehen meinen Laptop ein. Im gesamten Bereich des Penthauses kann ich über ein verschlüsseltes WLAN ins Internet einsteigen. Ich möchte wissen, was meine Freundin Silvia gerade tut und versuche, mich in ihr Überwachungssystem für die Wohnung einzuloggen. Es gelingt mir. Auf dem Bild der Flurkamera erkenne ich, dass sie zu Hause sein muss. Ihre Schuhe stehen auf der Schuhablage im Korridor. Ich probiere es bei der zweiten Kamera im Wohnzimmer. Sie hat sie nicht ausgeschaltet, wie sie mir sagte. Deutlich kann ich sehen, wie sie ein Buch liest.

Ob sie die Kamera absichtlich eingeschaltet ließ, damit ich sie beobachten kann? Es ist möglicherweise eine leichte Form von Exhibitionismus.

Sie sagte mir, dass es sie nicht stört, wenn Zuseher in der Leitung sind. Der Gedanke ist für mich unerträglich.

Im Fernsehen hatte ich einen Bericht gesehen, wo exhibitionistische Frauen in ihrer Wohnung ständig eine Webcam laufen ließen. Manche Männer saßen stundenlang vor dem Bildschirm und betrachteten voyeuristisch die leichtbekleideten Damen. Es mag sein, dass diese Frauen an den Klicks ihrer Spanner verdient haben. Die Anzahl der Zuschaltungen pro Tag war in dem Bericht nicht genannt.

Ich denke, dass Silvia nicht zu diesen Frauen gehört. Vorsichtshalber werde ich ihr nichts über solche zusätzlichen Verdienstmöglichkeiten verraten. Seit mehreren Wochen sind wir mehr als enge Freundinnen, wir lieben uns. Sie hat es mir versichert und meine Gefühle zu ihr sind stark. Ich fühle mich zu ihr hingezogen, wie früher zu Peter. Seit ich verheiratet bin ist es meine erste körperliche Beziehung zu einem Menschen. Sie macht mir das Leben lebenswerter und lässt mich die Trennung von meinem ehemaligen Verlobten Peter und die Zwangsheirat mit dem Sohn eines Bankiers aus Hongkong vergessen. Bisher habe ich mich nur auf meine Schwangerschaft konzentriert. Die Geburt meines Sohnes soll in drei Monaten sein. Sylvia sagte mir, dass sie sich auf diesen Moment freut. Es wird unser Kind sein, auch wenn Peter der leibliche Vater ist. Davon weiß sie nichts. Sie glaubt, dass mein Mann Gehao der Erzeuger ist und ich eine bisexuelle Beziehung mit ihm und ihr habe. Dem ist nicht so. Mit Gehao hatte ich vor unserer Eheschließung einen geheimen Ehevertrag ausgehandelt. Wir teilen nicht das Bett und er erkennt, unter dem Siegel der Verschwiegenheit, mein Kind als das seine an. Bisher hat er sich an unsere Abmachung gehalten.

Das Ende des Jahres 2000 naht. Es war ereignisreich und traurig für mich. All den Luxus, der mich umgibt, würde ich gern gegen ein einfaches Leben mit Peter tauschen. Er ist mir in jedem Moment präsent und ich ertappe mich, dass ich mit ihm Selbstgespräche führe. Mir fehlen seine Schultern, an die ich mich lehnen kann und seine Stimme, die mich tröstet, wenn es mir nicht gut geht.

Nüchtern betrachtet habe ich keinen Grund zu klagen. Gehao ist ein zuverlässiger Partner, der mich achtet und Rücksicht auf mich nimmt. Beide sind wir Kinder der familiären Zwänge und müssen das Beste aus unserem Leben machen.

Heute startet die Silvesterparty. Isabella, das Dienstmädchen, frischt mein langes Abendkleid auf. Sie hält es vor den Spiegel und stellt sich vor, auf der Veranstaltung zu erscheinen und den Männern damit den Kopf zu verdrehen.

Ich beginne mich anzuziehen. Sie hilft mir dabei. Pünktlich zur verabredeten Zeit bin ich im Vorraum. Gehao und unser Chauffeur Harry warten auf mich. Ihren bewundernden Blicken sehe ich an, dass ihnen mein Kleid gefällt. Sagen tun sie nichts, obwohl mir ein Kompliment aus ihrem Mund gefallen würde.

Wir fahren mit dem Auto zu Silvias Adresse und holen sie ab. Sie wartet bereits am Hauseingang. Es ist das erste Mal, dass sie eine Party besucht, bei der viele prominente Personen aus London anwesend sind.

Gehao steigt aus und geht ihr entgegen. Sie tauschen ein paar Worte und kommen zum Auto. Harry öffnet meiner Freundin dienstbeflissen die Tür und hilft beim Einsteigen. Ich sitze mit ihr auf der Rückbank und wir drücken uns kurz zur Begrüßung.

Auf dem Weg bis zum Hotelgebäude, wo die Party stattfinden soll, sprechen wir kein Wort. Ich habe Silvia angemerkt, dass sie nervös und unsicher ist. Es ist nicht die passende Zeit, um mit ihr über belanglose Dinge zu plaudern.

In der Tiefgarage des Hotels sind genügend Parkplätze frei. Wir fahren mit dem Aufzug in das oberste Stockwerk und gelangen in einen Vorraum, mit angrenzender Garderobe. Durch die breiten Glastüren kann ich in das Restaurant sehen. Harry gibt unsere Mäntel ab. Silvia und ich gehen zur Fensterfront und sehen über die Dächer von London.

„Das ist eine wunderschöne Aussicht“, sagt sie begeistert und zeigt in die Richtung wo sie wohnt. Vereinzelt sieht man Leuchtraketen aufsteigen und in den Straßen Knallkörper aufblitzen.

Gehao und Harry stehen an der gläsernen Flügeltür. Ein Herr vom Personal bittet uns, ihm zu folgen. Dieser erste Augenblick des Eintauchens in die Masse der Gäste ist für mich unangenehm. Auf zu viele Personen muss ich achten und keine darf ich übersehen, die mir auf einer der vergangenen Partys vorgestellt wurde. Wir gelangen nur langsam vorwärts. Der Kellner wartet ungeduldig an unserem Tisch und hilft Silvia und mir, die Stühle zu rücken. Harry setzt sich zu uns an den Vierertisch. Er hatte sich im Auto eine Smoking Jacke angezogen und niemand würde in ihm einen Personenschützer oder Fahrer vermuten. Silvia lächelt ihm freundlich zu. Sie ahnt, dass er ihr Abendpartner sein wird. Wein wird serviert. Das Essen war schon bei der Bestellung des Tisches festgelegt worden. Ein Ober bringt die Speisen. Für Silvia habe ich das gleiche Menü ausgewählt, wie für mich. Sie scheint zufrieden zu sein. Es schmeckt ihr.

Nach dem Essen beginnt das Abendprogramm. Eine der bekanntesten Bands spielt Lieder und es kann getanzt werden. Ich weiß, dass Gehao nichts davon hält und folge ihm zu der großen Bar, wo sich alle Nichttänzer einfinden. Harry fordert Silvia auf, mit ihm zu tanzen. Ich stehe gelangweilt herum und unterhalte mich mit ebenso benachteiligten Ehefrauen, deren Männer lieber einen Whisky trinken als das Tanzbein schwingen. Harry und Silvia scheinen sich gut zu verstehen. Ich bedaure, dass ich nur zusehen kann. Ein junger Mann, den ich noch nie gesehen habe, kommt an die Bar und fragt meinen Mann, ob er mich zum Tanz auffordern darf. Er nickt ihm zu und ich hake mich bei dem Herrn ein. Nach drei Musikstücken folgt eine Pause. Er bringt mich an die Bar zurück. Artig bedankt er sich bei mir und fragt, ob er mich nach Beendigung der Pause erneut zum Tanz auffordern darf. Gehao zeigt keine Spur von Eifersucht. Das wundert mich. Während der nächsten Tanzrunde versuche ich meinen netten Tanzpartner auszufragen. Ich erfahre nicht viel. Er ist mit seinem Vater hier, der in Gehaos Bankfiliale arbeitet. Er studiert zur Zeit Finanz- und Betriebswirtschaft und ist im dritten Semester. Seine Eltern sind geschieden und er ist über die Feiertage zu Besuch bei seinem Vater. Mir ist jetzt klar, dass der junge Mann extra für mich engagiert wurde, damit ich mich nicht an der Bar langweilen muss. Als Silvia und Harry eine Pause machen und sich an den Tisch setzen, gehe ich zu ihnen. Harry zieht sich diskret zurück, um meiner Freundin und mir die Möglichkeit zu geben, unter vier Augen zu sprechen. Er hat großes Taktgefühl und weiß, was Frauen mögen.

Silvia ist begeistert von unserem Fahrer und kommt ins Schwärmen. Ich versuche ihre Euphorie zu dämpfen und verrate ihr, dass Harry über 50 Jahre ist und Frauen nur ausnutzt. Sie möchte, dass ich ihr das näher erkläre. Ich halte mich zurück.

Gehao hat mehrere Geschäftsfreunde getroffen. Er unterhält sich an der Bar angeregt mit ihnen. Es sind noch zwei Stunden bis zum Jahreswechsel.

Ich wundere mich, dass die ersten Gäste gehen. Die Musik wird ihnen nicht gefallen oder sie müssen noch zu einer anderen Veranstaltung, denke ich mir. Harry steht neben meinem Mann und flüstert ihm ins Ohr. Gehao kommt zu uns an den Tisch und bittet uns, ihm zu folgen. Wir gehen zum Ausgang und nehmen unsere Mäntel an der Garderobe entgegen. Erst im Auto erklärt er, warum wir fluchtartig das Restaurant verlassen haben. Die Hotelleitung erhielt einen anonymen Anruf, dass im Hotel eine Bombe versteckt ist, die um 24 Uhr explodieren soll. Die Polizei hat angewiesen, das gesamte Hotel zu evakuieren. Wenige Gäste wurden informiert, damit keine Panik ausbricht und alle gleichzeitig zu den Aufzügen oder zum Treppenhaus laufen.

Gehao beschließt, nach Hause zu fahren und dort das neue Jahr zu beginnen. Er lädt Silvia ein, mitzukommen. James und Isabelle sind überrascht, dass wir zurück sind. Gehao zieht sich in die Bibliothek zurück. Er hört klassische Musik und blättert in einem Bildband.

Ich zeige Silvia unsere Terrasse und die Orangerie, die hell erleuchtet ist. Sie ist begeistert davon. Ich bitte James, dass er das gesamte Dienstpersonal informiert, sich im Wohnsalon einzufinden. Ich möchte mit allen gemeinsam in das neue Jahr hinein feiern. Es scheint das erste Mal zu sein, dass sie zum Jahreswechsel eingeladen werden. Im Fernsehen läuft eine Show und wir trinken Sekt. Kurz vor dem Jahreswechsel gehen wir gemeinsam auf die Terrasse und sehen uns das Feuerwerk an. Gehao hat sich uns angeschlossen. Unzählige Raketen werden in den Straßen und Plätzen abgeschossen. Um null Uhr beginnen die Glocken zu läuten. Wir stoßen mit Sekt auf das neue Jahr an und wünschen uns viel Glück.

Von einer Explosion in dem Hotel, das wir verlassen mussten, habe ich nichts entdecken können. Bei dem allgemeinen Lärm durch die Böller hätten wir den Knall wahrscheinlich überhört. Ob die Polizei die Bombe finden konnte? Harry meint, dass es ein böser Streich eines Verrückten war, der damit Geld erpressen wollte.

Gehao zieht sich zurück, um weiter Musik zu hören. Die anderen gehen in den Salon und sehen sich die Show im Fernsehen an. Ich bleibe mit Silvia auf der Terrasse und berühre ihre Hand.

„Dies ist mein goldener Käfig. Würdest du mit mir tauschen wollen?“, frage ich sie.

„Ich weiß nicht!“

„Du könntest viel reisen, brauchtest nicht mehr zur Arbeit gehen und dir alles kaufen was du magst. Ist es nicht das, was sich eine Frau am meisten wünscht?“

Silvia sieht mich skeptisch an.

„Ich nehme an, dass dir ein solches Leben nicht geschenkt wurde. Ich könnte nicht mit einem Mann zusammenleben.“

„Findest du Gehao mit seinem entstellten Gesicht zu abstoßend?“, will ich wissen.

„Es hat nichts mit deinem Mann zu tun. Sein entstelltes Gesicht wäre für mich kein Grund.“

„Was ist es?“

„Ich bin eine Lesbe!“

Erschrocken ziehe ich meine Hand zurück. Ich nahm an, dass sie nicht ausschließlich auf Frauen steht.

„Warum hast du dich mit mir eingelassen? Ich bin keine Lesbe. Du weißt, dass ich seit einem halben Jahr verheiratet bin.“

„Es stört mich nicht. Ich fordere nichts von dir, deine Liebe genügt mir!“

Silvia streicht mit den Fingern über meine Wangen.

„Wie denkst du, dass es mit uns weitergeht?“, möchte ich wissen und sehe ihr in die Augen.

„Ich mache mir keine Gedanken darüber. Es kommt, wie es kommen soll. Du bist bisexuell und das genügt mir. Ich werde mich nicht zwischen dich und deinen Mann stellen.“

Mit dem Begriff „bisexuell“ kann ich nur wenig anfangen. Was sich zwischen Silvia und mir seit unserer gemeinsamen Reise nach Nürnberg vor ein paar Wochen entwickelt hat, ist für mich Neuland. Mir kommt es vor als befände ich mich in einem Traum. Sie nimmt mich in ihre Arme und küsst mich auf den Mund.

Wir gehen zurück zu den anderen und ich zeige Silvia mein Zimmer. Ich denke, sie freut sich ehrlich für mich, dass ich es schön habe. Unsere Sektgläser halten wir in der Hand und stoßen ein zweites Mal auf ein glückliches neues Jahr an. Sie stellt ihr Glas weg und nimmt mich in die Arme. Unsere Lippen berühren sich zart. Ihre Küsse sind anders als bei Peter. Ich sträube mich nicht und lasse sie gewähren. Sie streift mein Abendkleid ab und schiebt mich langsam zum Bett. Ich ahne, was jetzt passieren wird und voller Erwartungen lasse ich mich fallen.

Isabella kommt in mein Zimmer und hält erschrocken die Hand vor den Mund. Ich hatte ihr Klopfen nicht gehört. Wie erstarrt steht sie in der Tür. Ich bitte sie, mir den Morgenmantel zu reichen. Ihre Erstarrung weicht und sie eilt in das Bad. Silvia hilft mir beim Aufstehen. Isabella reicht mir den Mantel.

„Kann ich ihnen helfen, Madam?“, fragt sie mich mit zitternder Stimme.

„Ja! Du kannst uns ein Glas Sekt bringen.“

Eilig verschwindet sie aus dem Zimmer.

„Ich glaube dein Zimmermädchen ist mehr erschrocken als du“, bemerkt Silvia.

„Sie ist einfältig und wird, was Sie gesehen hat, nicht deuten können. Ich hoffe, dass Sie nicht darüber redet.“

„Sprich mit ihr, wenn Sie hereinkommt“, meint Silvia.

Isabella erscheint mit zwei vollen Sektgläsern. Sie ist aufgeregt. Ich sehe es ihrem hochroten Gesicht an. Wie kann ich sie beruhigen? Mit zitternden Händen stellt sie die Sektgläser auf dem kleinen Tisch ab und schickt sich an zu gehen.

„Isabella, bitte sage mir, was du vorhin in meinem Zimmer gesehen hast!“, fordere ich sie im ernsten Ton auf, zu sprechen.

„Nichts Madame!“

„Sag mir die Wahrheit!“, fordere ich sie auf.

„Ich habe gesehen, dass Sie auf dem Bett lagen und Frau Silvia über ihnen.“

„Das ist richtig. Ich wollte ein anderes Kleid anziehen und mir wurde schwindlig. Ich bin zum Glück ins Bett gefallen und habe mir nicht wehgetan.“

Isabella hebt die Augenbrauen.

„Madame Silvia hat ihnen beim Aufstehen geholfen“, kombiniert sie bedächtig.

„Es war wie du sagst! Du kannst jetzt gehen und sprich nicht mit deiner Mutter darüber. Ich möchte nicht, dass Sie sich um mich Sorgen macht. Sie könnte denken, dass ich krank bin.“

Isabella nickt heftig und verschwindet aus dem Zimmer.

„Mit dem Sturz hast du eine großartige Idee gehabt. Das wäre mir nicht eingefallen. Jetzt kann sich dein Zimmermädchen die Situation leichter erklären und wird keine schlaflosen Nächte haben“, bemerkt Silvia anerkennend. Gern würde ich dort fortfahren, wo wir gestört wurden. Silvia rät mir jedoch zu den anderen in den Salon zu gehen.

<< 2 >>

Westminster Palast in London

Mein Bauchumfang nimmt sichtbar zu. Isabella fragt mich ob ich ein Kind bekomme. Ich bestätige es und in Windeseile weiß es jeder Bedienstete. Sie gratulieren mir und wünschen alles Gute. Ab jetzt werde ich mit Samthandschuhen angefasst. Das Essen wird auf meinen Zustand abgestimmt. Ich bekomme getrennte Kost. Charlotte übernimmt jetzt die Menüplanung und sie duldet keinen Widerspruch von mir. Angeblich weiß sie am besten, was man einer Mutter mit Kind an Speisen vorsetzt. Für mich gibt es ab jetzt nur chinesische Gerichte. Sie kennt angeblich Rezepte, die bewirken sollen, dass ich einen Sohn bekomme. Ich verrate ihr nicht, dass es ohne ihre Kochkünste ein Junge werden wird. Später wird sie sich rühmen, für den Stammhalter gesorgt zu haben.

Gehao hat mich während des Diners gefragt, ob ich an der nächsten Montagsbesprechung in seiner Filiale teilnehmen möchte. Von diesem Angebot bin ich angenehm überrascht. Ich will wissen was ich dort tun soll.

„Nur zuhören und nicht reden, wenn du nicht direkt von mir aufgefordert wirst. Alle Bereichsleiter für die einzelnen Sparten werden da sein. Wir sprechen unter anderem über die Berliner Firma, die wir besucht hatten. Ich denke, dass es dich interessiert. Hier sind die letzten Bilanzen.“

Er reicht mir einen Schnellhefter mit den Dokumenten aus Berlin. Ich freue mich, dass er mich in seine geschäftlichen Aktivitäten einbezieht. Am Wochenende bin ich vollauf beschäftigt, die Bilanzen zu studieren. Die Zahlen haben sich verschlechtert. Ob die Firma verkauft wird oder nicht, hängt nur an einem seidenen Faden. Meine anfängliche Begeisterung für das Unternehmen hat sich abgekühlt. Die Kalkulationen zeigen, dass keine Verbesserungen in den nächsten Monaten zu erwarten sind. Trotzdem bin ich für die Erhaltung des Betriebes. Es geht nicht nur um Zahlen, sondern um Menschen, die dahinterstehen. Wenn sie ihre Arbeit verlieren, kann es sein, dass sie in den Strudel der Arbeitslosigkeit geraten und wie in ein schwarzes Loch gerissen werden. Die meisten Arbeiter und Angestellten sind verheiratet und die Schließung betrifft auch ihre Familien. Mir ist bewusst, dass man als Eigentümer eine gesellschaftliche Verantwortung hat und diese ausüben muss.

Die Montagsbesprechung erwarte ich voller Ungeduld. Ich ziehe ein dunkles Kostüm an und betrete gemeinsam mit Gehao den Besprechungsraum in der Chefetage. An dem ovalen Tisch sitzen acht Herren und die Sekretärin. Gehao geht zu seinem Sessel an der Stirnseite des Tisches mit der Fensterfront im Rücken. Zur Rechten stenographiert die Sekretärin für das Protokoll und zur Linken, darf ich sitzen und schweigen.

Meine Vorstellung ist nicht nötig. Bei meinem ersten Besuch in der Bank hatte ich alle Anwesenden kennengelernt. Gehao nennt die Punkte, die in der Besprechung abgehandelt werden sollen. Das Schicksal des Berliner Betriebes steht am Ende der Tagesordnung. Bis dahin kann ich still die Diskussionen zu den anderen Punkten mitverfolgen und die Herren beobachten.

Ich bin überrascht, wie klar und schnell über hohe Geldbeträge entschieden wird. Mir ist wirr im Kopf von den vielen Millionen, die hin und her geschoben werden. Keiner der Herren zeigt im Geringsten eine Unsicherheit. Sie sind echte Profis auf ihrem Gebiet. Es gibt eine kurze Pause für die Raucher, die ihre Glimmstängel in einem Raucherzimmer genießen dürfen. Die anderen begnügen sich mit einem Sandwich und Tee.

Ein älterer Herr spricht mich an. Er heißt John Black und erzählt mir, dass er für die erworbenen Firmen in der ehemaligen DDR zuständig ist.

„Ihr Gatte sagte mir, dass Sie sich für einen kleinen Betrieb in Ostberlin interessieren.“

„Ich war mit meinem Mann im September in Berlin und habe die Firma besichtigt“, erkläre ich ihm.

„Ich weiß davon. Gehao erzählte es mir. Dieses Unternehmen gehört uns zu 100 Prozent. Wir haben in den Betrieb bisher nur investiert und keine Gewinne gemacht. Wie es aussieht, müssen wir ihn verkaufen oder schließen.“

„Bei meinem Besuch habe ich festgestellt, dass durch Veränderungen im Management und wenige Investitionen im Maschinenpark, ein profitables Unternehmen daraus werden könnte.“ entgegne ich.

„Vielleicht gelingt es. Wir behandeln die Angelegenheit in der weiteren Sitzung. Die Entscheidung, ob es verkauft wird, treffen wir alle gemeinsam.“

Herr Black sieht mich skeptisch an. Er erzählt mir, dass mein Schwiegervater mehrere Unternehmen nach dem Fall der Mauer in Berlin und der ehemaligen DDR günstig erworben hatte. Wenige dieser Firmen haben es geschafft, schwarze Zahlen zu schreiben. Die meisten dümpeln vor sich hin oder gehen alsbald in Konkurs. Diese Unternehmen gilt es schnell und günstig zu veräußern, damit keine weiteren Verluste für die Bank entstehen.

Herr Black verrät mir, dass er bald in Rente gehen wird. Seine Frau stammt aus Wien und sie beabsichtigen sich eine Eigentumswohnung dort zu kaufen. Es tut mir leid, dass er aufhört. Ich finde ihn sympathisch.

Die Sitzung geht weiter. Gehao informiert über die Bilanzen der Unternehmen, bei denen wir Anteile haben. Es geht zu, wie auf dem Basar. Ich kann nicht erkennen, warum manche Betriebe mit Verlusten gleich liquidiert werden und andere noch einen Aufschub bekommen. Die einfache Mehrheit des Direktoriums entscheidet über Sein und Nichtsein binnen Sekunden. Es kommt die Sprache auf das Unternehmen in Berlin, für das ich mich gern einsetzen möchte. Die meisten der Herren wollen es verkaufen, da nicht zu erkennen ist, dass sich die Bilanzen in absehbarer Zeit verbessern. Gehao und Herr Black plädieren für abwarten.

Ich hebe meinen Arm. Mit Verwunderung richten sich alle Augen auf mich. Gehao gestattet mir, zu sprechen.

„Meine Herren! Ich habe mir dieses Unternehmen vor ein paar Monaten angesehen und glaube, dass es profitabel werden kann.“

„Worauf stützen sich ihre Mutmaßungen?“, fragt mich einer der Herren am Tisch und sieht mich durch seine große Hornbrille misstrauisch an.

„Der Betrieb hat einen zu alten Maschinenpark. Es müsste in CNC-Maschinen investiert werden. Das würde das Unternehmen wettbewerbsfähig machen“, erkläre ich.

„Wir haben viel Geld in den Betrieb gesteckt, von dem wir nichts mehr wiedersehen werden. Jedes weitere Pfund ist hinausgeworfenes Kapital“, gibt der unbekannte Fiesling zu bedenken.

Herr Black und Gehao unterstützen mich bei meiner Argumentation, dass wir noch ein Jahr abwarten sollten. Es wurde abgestimmt. Die Mehrheit entscheidet sich für den sofortigen Verkauf. Herr Black soll einen Interessenten finden oder den Betrieb liquidieren. Ich bin traurig, dass ich nicht mehr machen kann.

Nach der Sitzung holt mich Harry in der Filiale ab und begleitet mich in die Wohnung. Abends zum Diner habe ich Gelegenheit mit Gehao über die Abstimmung in der Sitzung zu sprechen. Er bedauert ebenso, dass das Ergebnis für mich ungünstig ausgegangen ist.

„Hättest du nicht als Chef der Bank selbst entscheiden können?“, will ich wissen.

„Es geht nicht! Die Bankfiliale untersteht noch meinem Vater. Er hat sie gegründet und das System mit der geteilten Entscheidungsbefugnis eingeführt. Die Bereichsleiter oder Direktoren, wie sie genannt werden, wurden von ihm ernannt und nur er kann sie absetzen. Meine Befugnisse als Geschäftsführer haben reale Grenzen, die ich beachten muss.“

Ich erkenne, dass Gehao sich in einer schlechten Position befindet. Die Abhängigkeit von seinen Eltern muss ihm wie eine Kugel am Bein vorkommen. Er kann nur begrenzt handeln und muss bei größeren Entscheidungen die Zustimmung seines Vaters einholen.

Die letzten Tage meiner Schwangerschaft erscheinen mir wie eine Ewigkeit. Ich bereite mich auf die Geburt vor. Viele Handlungen und mein Denken konzentrieren sich nur auf diesen Moment. Die Vorfreude ist groß und mit den gekauften Babysachen könnte ich ein ganzes Säuglingsheim ausstatten. Das eingerichtete Kinderzimmer ist zu klein und die überzähligen Sachen habe ich in Räumen des Gästetraktes untergebracht. Mein rationaler Verstand scheint ausgeschaltet zu sein. Silvia, die mich besucht, ist der gleichen Meinung. Sie amüsiert sich über meinen Wandel. Die aufkeimenden Mutterfreuden wird sie wohl nie genießen. Sie versucht diese durch mich mitzuerleben. Ich lasse mich im Strom der Gefühle dahintreiben und genieße bewusst jeden Augenblick.

Gehao sagt mir, dass sich meine Mutter zu Besuch angemeldet hat. Sie möchte mich vor und nach der Geburt unterstützen. Es ist schön, dass ich sie wiedersehen werde. In dieser Zeit ist es beruhigend, ein vertrautes Wesen, um sich zu haben. Ich hoffe, dass sie das nicht aus einer Pflicht als Mutter tut. Sie sollte das innere Bedürfnis haben, mich zu sehen.

„Es hat sich noch jemand angekündigt“, informiert Gehao weiter. Ich hoffe, dass es Jin ist.

„Meine Mutter!“, sagt er unbetont.

Mir stockt vor Schreck der Atem. Er sieht, wie ich zusammenzucke.

„Ich habe Sie davon abbringen können, gleich zu kommen und Sie gebeten, erst nach der Geburt des Kindes anzureisen. Das schien ihr sinnvoll zu sein. Ist es in deinem Sinn?“

Ich nicke ihm zu. Die Schwiegermutter möchte ich jetzt ungern um mich haben.

„Wann wird meine Mutter da sein?“

„Schon übermorgen!“, teilt er mir mit.

„Kann Sie bei uns wohnen?“, möchte ich wissen.

„Ja, in einem von unseren Gästezimmern.“

Es freut mich, dass Gehao meiner Mutter gestattet, nah bei mir zu sein. Wir werden uns jeden Tag sehen und unterhalten können. Sie muss mir viel von Shanghai berichten und auch von Jin. Ich hoffe, dass sie Gelegenheit hatte, mit ihr zu sprechen.

Die Zeit bis zur Ankunft meiner Mutter will nicht vergehen. Mit Harry fahre ich zum Flughafen, um sie abzuholen. An der Ankunftstafel erkenne ich, dass die Maschine pünktlich landen wird. Ungeduldig sehe ich zu den Ankommenden. Von weitem erblicke ich ihre Gestalt und winke ihr zu. Sie winkt zurück. Wo ist ihr Gepäck? Hinter ihr geht jemand, dessen Schritt mir bekannt vorkommt.

Es ist Jin. Ich rufe ihnen laut zu und würde am liebsten die Absperrung durchbrechen und entgegenlaufen. Mir kommen die Tränen vor Freude. Warum hat mir Gehao davon nichts gesagt? Er muss es gewusst haben. Meine Mutter umarmt mich. Sie bringt vor Rührung kein Wort heraus. Jin steht daneben und ich drücke sie an mich.

„Ich freue mich, dass du mitgekommen bist. Du machst mich glücklich.“

Harry nimmt das Gepäck und geht uns voran in die Parkgarage. Es muss ihm sonderbar erscheinen, wie drei Frauen gleichzeitig reden und sich verstehen können. Er wird glauben, dass es eine Eigenart der chinesischen Sprache und Kommunikation ist.

In unserem Penthaus begrüßt Gehao die Gäste. Er freut sich, dass ihm die Überraschung mit meiner Freundin gelungen ist. Ich zeige meiner Mutter und Jin ihre Zimmer in unserem Gästetrakt und bitte sie, wenn sie sich frisch gemacht haben, in den Wohnsalon zu kommen.

Gehao muss ins Büro. Bevor er geht, bedanke ich mich bei ihm für die wunderbare Überraschung.

Dass Jin mitgekommen ist, freut mich am meisten. Ich hoffe, dass sie für längere Zeit bei mir bleiben kann.

In der Wohndiele sitze ich in der gemütlichen Ecke, wo wir den Tee einnehmen und warte ungeduldig auf ihr Erscheinen. Jin kommt. Sie setzt sich neben mich auf das Sofa. Ich rücke an sie heran. Sie fühlt sich unsicher in der neuen Umgebung.

„Ich freue mich, dass du da bist. Warum hast du es mir nicht geschrieben?“, möchte ich wissen.

„Dein Mann wollte dich damit überraschen.“

„Das ist euch wahrlich gelungen.“ Nervös streicht Jin über ihren Rock.

„Lass dich ansehen! Es ist lange her, dass ich von China weg bin“, sage ich mit Freudentränen in den Augen.

Ich drücke sie fest an mich. Meine Mutter kommt zu uns und James serviert den Tee.

„Du hast dich stark verändert, liebe Tochter“, beginnt meine Mutter,

„Wie meinst du das?“, entgegne ich überrascht.

„Du wirkst, wie eine englische Lady auf mich.“

„Ich dachte du meinst meinen gewaltigen Bauchumfang.“

Wir müssen lachen. Jetzt soll ich berichten wie es mir geht. Es ist schnell erzählt und ich bombardiere meine Mutter mit vielen Fragen. Bis zum Diner sitzen wir beim Tee und unterhalten uns. Gehao kommt und will wissen ob unsere Gäste mit ihrer Unterkunft zufrieden sind. Meine Mutter übertreibt, wie sie es in einer solchen Situation gern tut. Würde man ihr Glauben schenken, hat sie ein schöneres und geschmackvoll gestaltetes Zimmer vorher noch nie gesehen. Ich denke es ist nicht bös gemeint. Sie will damit ihre Dankbarkeit ausdrücken, dass sie nah bei mir wohnen darf. Hunger haben meine Mutter und Jin nicht. Sie kosten nur von den aufgetragenen Speisen. Gehao erkundigt sich nach meinem Vater, wie es ihm gesundheitlich geht und ob er mit dem Aufbau der Bankfiliale in Shanghai gut vorankommt.

Nach dem Essen und kurzem gemeinsamen Gespräch entschuldigt sich Gehao, da er noch zu arbeiten hat. Als er gegangen ist sieht mich meine Mutter verwundert an.

„Stört es deinen Mann, dass wir hier sind?“, fragt sie vorsichtig.

„Nein! Er geht jeden Abend nach dem Diner ins Büro. Er hat viel zu tun.“

„Kommst du damit klar?“, will sie wissen.

„Es ist, wie es ist. Er arbeitet viel und kennt kein Privatleben. Das ist der Preis für den Erfolg.“

Meine Mutter wird jetzt daran denken, dass sich mein Vater in die gleiche Richtung entwickeln könnte und keine Zeit mehr für die Familie hat. Sie bedauert, dass der gemeinsame Teenachmittag und die anschließende Plauderstunde weggefallen sind. Sie wird müde und zieht sich in ihr Zimmer zurück.

Ich zeige Jin das Penthaus. Wir gehen in die Orangerie und setzen uns dort auf eine Bank. Jin ist sprachlos von der Schönheit des Ortes und den vielen exotischen Pflanzen. Ungeduldig frage ich sie wie es Peter geht. Sie erklärt mir, dass er die Trennung nicht verkraftet hat und dem Alkohol verfallen ist.

„Hast du dich nicht um ihn gekümmert?“

„Er hat es abgelehnt, da er glaubt, dass ich von deiner Heirat wusste und es ihm verschwiegen habe.“

„Armer Peter! Es hat ihn genauso schwer getroffen wie mich. Ich durfte vorher nichts sagen. Du hast mir ebenso leidgetan, dass ich dir nichts erzählen durfte. Es war mir als müsste ich mich selbst verleugnen. Wie hast du es verkraftet?“

„Ich bin noch nicht darüber hinweg“, gesteht Jin.

„Das verstehe ich und bitte dich inständig um Verzeihung. Glaube mir, dass ich das alles nicht gewollt habe.“

„Du hättest mir sagen müssen, dass du gehst!“

Jin fängt an zu weinen. Die Zeit nach meinem Weggang aus Hongping scheint nicht leicht für sie gewesen zu sein. Ich drücke sie an mich, um sie zu trösten.

„Erzähle mir wie es dir ergangen ist!“

Sie braucht lange, um sich zu beruhigen.

„Mir ging es nicht gut. Unser Chef, der widerliche Kerl, hat mich nach deinem Weggang ständig drangsaliert. Er gab mir neue Aufgaben. Ich sollte für ihn Programmroutinen schreiben. Die Zeit war viel zu kurz, die er angesetzt hat. Jeden Abend musste ich bei ihm antreten und zeigen, wie weit ich mit meiner Arbeit gekommen bin. Er hat mich angeschrien und gemeint, dass ich zu langsam für den Job bin und er sich in seiner Freizeit hinsetzen muss, um die Programme fertigzustellen. Vor Arbeitsbeginn hielt er mir die Routinen unter die Nase, die ich hätte erstellen sollen. Ich hatte große Angst, dass er mich entlässt und ich keine andere Arbeitsstelle finde.“

„Das ist eine grobe Gemeinheit von ihm“, erwidere ich entrüstet.

„Es kommt noch schlimmer. Er fragte mich, wie ich seine Freizeit bezahlen würde, in der er meine Programme schreiben muss. Geld konnte ich ihm nicht geben, soviel verdiente ich nicht. Er bot mir an, dass ich zweimal in der Woche in seine Wohnung komme und putze. Ich hatte keine andere Wahl!“

„Hast du das angenommen?“

„Mir blieb nichts anderes übrig. Während der Zeit, wo ich arbeitete, saß er über meinen Programmen, fluchte und beschimpfte mich. Ich bin mir, wie der letzte Dreck auf dieser Erde vorgekommen. Von Tag zu Tag ging es mir schlechter.“

„Du hättest gleich kündigen sollen.“

„Dazu war es zu spät. Er brachte mich durch seine Beschimpfungen in ein Tief, aus dem ich selbst nicht mehr herauskam. Eines Tages hatte er getrunken und wurde zudringlich. Ich sträubte mich. Er schlug mir ins Gesicht und verlangte von mir, dass ich mich ausziehe. Vor Angst habe ich gezittert und getan, wozu er mich aufforderte.“

„So ein Schwein! Hast du ihn angezeigt?“

„Niemand würde mir das glauben“, erklärt sie schluchzend.

„Du bist hoffentlich nicht mehr in seine Wohnung gegangen?“

„Ich hatte keine Wahl. Er drohte mir. Ich fand mich mit meinem Schicksal ab und ertrug, was er mir antat. Dein erster Brief hat mich aus meiner Lethargie gerissen. Ich bin gleich am nächsten Tag zur Personalleitung gegangen und habe gekündigt.“

„Arme Jin, was musstest du erleiden. Warum hast du mir nicht auf meinen Brief geantwortet? Du hättest schon viel früher zu mir kommen können.

Sie beginnt erneut zu weinen und hält die Hände vors Gesicht als wollte sie sich schützen. Nach einer Weile beruhigt sie sich und spricht leise weiter.

„Ich hatte große Angst, aus China wegzugehen. Was ist, wenn ich hier nicht klarkomme?“

Vorsichtig greife ich nach ihrer Hand.

„Ich bin doch bei dir. Du brauchst dich nicht zu sorgen“, beruhige ich sie.

Skeptisch sieht sie mich an.

„Es braucht Zeit, bis ich wieder Vertrauen zu dir finde“, gesteht sie verhalten.

„Ich verspreche dir, dass du dich bei mir wohlfühlen wirst und wenn dich das Heimweh plagt, fliegst du nach Shanghai und besuchst deine Mutter. Ich möchte, dass du dich bei mir wohlfühlst.“

Wir drücken uns und ich hoffe, dass sie die Schmerzen, die ich und andere ihr zugefügt haben, bald vergessen wird. Wie kann ich ihr Vertrauen zurückgewinnen? Diese Frage beschäftigt mich noch viele Tage. Ich bin mir nicht sicher, ob mir dies gelingt. Es ist ein Prozess, der viel Geduld erfordert. Mit dem Wohlstand, den ich ihr bieten kann, ist es nicht getan. Ich brauche einen neuen Zugang zu ihrem Herzen. Es gibt Dinge im Leben, die man nur schwer reparieren kann und dazu zählt der Vertrauensverlust. Ich an ihrer Stelle würde wahrscheinlich genauso skeptisch reagieren.

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Cai wird geboren

Es geht mir den Umständen entsprechend gut. Meine Mutter und Jin sind in meiner Nähe. Mit meiner Freundin aus Kindheitstagen frische ich alte Erinnerungen auf und wir lachen viel, wie früher. Ich fühle mich wohl, wie zu Hause in Shanghai, das mehr als zehntausend Kilometer entfernt ist. Unser Zusammenleben im Penthaus läuft harmonisch ab. Ich halte mich jetzt viel im Kinderzimmer auf. Mit Jin gestalte ich den Raum täglich um als hätten wir nichts anderes zu tun. Meine Mutter sitzt schweigend in unserer Nähe und stickt Blumen in ein Seidentuch. Mit diesem Tun vergehen die Tage, bis zur Geburt. Meine Ärztin hat mir zum Kaiserschnitt geraten, da das Kind groß ist und sie meint, dass es bei der natürlichen Geburt Komplikationen geben könnte.

Vor Beginn der Wehen fährt mich Harry zusammen mit meiner Mutter und Jin in die Klinik, in der ich entbinden werde. Das Kind hat sich rechtzeitig gedreht und der Stationsarzt ist zuversichtlich, dass kein Kaiserschnitt notwendig sein wird.

Jin ist bei der Geburt bei mir. Es ist für mich reine Schwerstarbeit, obwohl ich mich in entsprechenden Kursen gut auf diesen Augenblick vorbereitet habe. Die Schmerzen sind unerträglich. Mir wäre jetzt ein Kaiserschnitt lieber, bei dem ich einschlafe und nach dem Aufwachen das Kind in meinen Armen halten kann. Ich muss es aushalten und ertragen, was kommen wird. Eine Hebamme feuert mich an zu Pressen als wäre ich ein Fußballspieler, der endlich ein Tor schießen soll. Es hilft mir, mich mehr anzustrengen. Das Zeitgefühl geht mir verloren und ich merke, dass mich die Kräfte verlassen. Da passiert es.

Mit letzter Anstrengung presse ich den kleinen Körper aus meinem Leib. Die Hebamme hält ihn hoch und legt mir meinen Sohn auf die Brust. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl des Glücks und die vorangegangenen Beschwerden sind im Nu vergessen.

„Es ist ein hübscher Junge!“, flüstert mir Jin zu.

Ich finde ihn nicht ansehnlich. Er ist blutbeschmiert und faltig, wie eine Bulldogge. Die vielen schwarzen Haare gefallen mir und die kleine Stupsnase.

Meine Mutter hatte draußen im Gang gewartet und kommt jetzt zu mir. Sie ist wie eine Schwester gekleidet. Ich habe sie fast nicht erkannt, da sie wie die anderen eine OP-Maske trägt. Sie streichelt meine Hand und ihre Augen strahlen. Es freut sie, dass es ein Junge ist. In ihrem Leben waren ihr nur Mädchen beschieden, das hat sie bedauert und mein Vater war nicht glücklich darüber. Ich frage sie, ob sich Gehao bei ihr telefonisch gemeldet hat. Sie schüttelt den Kopf. Es ist Nachmittag und da kann es sein, dass er noch eine wichtige Besprechung hat. Ich bin gespannt, wie er reagiert, wenn er das Kind vor sich sieht. Die Schwestern kümmern sich um das Baby und ich spüre die Müdigkeit.

Nach einer Stunde wache ich in einem Einzelzimmer auf und sehe mich um. Mein Sohn liegt in einem Wagen, der neben meinem Bett steht. Eine Schwester kommt und legt ihn mir an die Brust. Sie geht aus dem Zimmer. Gewaschen und gepflegt sieht der Kleine viel besser aus. Ich streiche ihm über den Kopf, während er trinkt.

An der Tür klopft jemand. Es ist meine Mutter mit Jin, die im Gang gewartet haben.

Jin muss mir jetzt erzählen, wie sie die Geburt erlebt hat. Sie beschreibt sie anders als sie in meiner Erinnerung verlaufen ist.

„Hat sich Gehao gemeldet?“, frage ich meine Mutter nochmals.

„Nein, mein Kind, er wird viel zu tun haben“, entschuldigt sie ihn.

Es kränkt mich. Ich lasse mir jedoch nichts anmerken.

Bis zum Abend bleiben Jin und meine Mutter bei mir. Ich bitte sie, mit dem Taxi nach Hause zu fahren und morgen wiederzukommen. Die Ruhe tut mir gut. Ich brauche nicht daran denken, wann ich Cai stillen muss. Die Schwestern achten pünktlich darauf. Sie versorgen mich und ich versuche nach dem Essen zu schlafen.

An der Tür höre ich leises Klopfen. Wer kann das zu dieser späten Stunde sein. Vom Personal ist es niemand, die klopfen nicht an. Ich richte mich auf und sage: „Herein!“.

Gehao ist gekommen. Ich bin froh. Er fragt, ob er eintreten darf. Ich zeige ihm das Baby in seinem Wagen.

„Der Junge hat viele schwarze Haare und deine Nase“, bemerkt er und reicht mir einen Aktendeckel.

„Was ist das?“, frage ich verwundert.

„Die meisten Ehemänner schenken ihrer Frau bei der Geburt eines Kindes Schmuck. Ich habe mir gedacht, dass dich dies hier ebenso erfreuen könnte.“

Ich schlage den Aktendeckel auf und sehe einen Vertrag. Schnell überfliege ich die ersten Zeilen und erkenne den Namen einer Berliner Firma. Erstaunt sehe ich Gehao an. Er versucht das Dokument zu erklären.

„Dies ist der Kaufvertrag, des Berliner Unternehmens, das wir uns gemeinsam angesehen hatten. Du brauchst hier unten nur noch unterschreiben. Der Betrieb gehört ab jetzt dir! Du kannst damit tun und lassen wie es dir beliebt!“

Ich fasse es nicht und sehe Gehao mit offenem Mund an. Er sucht in seinem Jackett seinen Füllhalter und reicht ihn mir.

„Der Betrieb sollte liquidiert werden?“, wende ich ein.

„Ja! Wir hatten die Firma zum Verkauf ausgeschrieben. Es gab keinen Interessenten. Ich habe über meinen Anwalt in Berlin dann den Kauf unter deinem Namen arrangiert und die Firma für einen Spottpreis für dich erworben. Es liegt an dir, was du damit machst.“

Vor Freude kommen mir die Tränen. Ich kann es nicht fassen. Gehao nimmt sein Taschentuch und trocknet sie ab. Ein leichtes Lächeln bemerke ich auf seinem Gesicht. Er ist sich sicher, dass ihm die Überraschung gelungen ist.

„Entschuldige, ich wollte dich nicht zum Weinen bringen“, bemerkt er gut gelaunt.

„Es sind Freudentränen“, entschuldige ich mich.

„Der Vertrag ist der Grund, dass ich nicht früher gekommen bin. Mein Anwalt hat ihn mir erst heute Abend gebracht.“

„Wann muss ich mit der Sanierung beginnen?“, möchte ich wissen. Am liebsten würde ich gleich aus dem Bett steigen und mit der Arbeit loslegen.

„Du kannst dir Zeit lassen. Sie schreiben noch keine roten Zahlen und können die Löhne auszahlen. Wie lange das gut geht, weiß ich nicht.“

„Wann hattest du die Idee zum Kauf?“, frage ich neugierig.

„Anfang Januar wurde in der Vorstandssitzung entschieden, den Betrieb zu verkaufen. Du warst damals dabei.“

„Ich erinnere mich genau. Du und Herr Black habt anders gestimmt. Mir hatten die Menschen in dem Berliner Unternehmen leidgetan. Deshalb habe ich mich für den Erhalt des Unternehmens eingesetzt“, erkläre ich Gehao.

„Niemand war an dem Betrieb interessiert, da hohe Investitionen für die Sanierung notwendig sind. Unsere Bank hatte beschlossen, sich von dem Unternehmen baldmöglichst zu trennen. Der Vorstand senkte nochmals den Preis für das Unternehmen. Bei dieser Entscheidung habe ich als Einziger dagegen gestimmt, damit mir später niemand nachsagen kann, dass ich vorsätzlich zu meinen Gunsten die Firma billig erworben habe.“

„Das war klug von dir“, bemerke ich bewundernd.

„Als der Wert des Unternehmens ein Minimum betrug, habe ich meinen Anwalt in Berlin eingeschaltet, der für dich den Elektrobetrieb erworben hat.“

Ich setze meinen Namen auf mehrere Seiten des Vertrags.

An den Gedanken, eine eigene Firma zu besitzen, muss ich mich erst noch gewöhnen. Der Kauf des Unternehmens ist das eine, aber was ist mit den Investitionen, die notwendig sind? Als würde er meine Gedanken erraten, fährt Gehao fort.

„Mit meinem Vater habe ich heute telefoniert. Es gefällt ihm, dass du dich für das Unternehmen interessierst. Sein Geschenk für den Stammhalter ist ein zinsfreier Kredit, der innerhalb der nächsten zehn Jahre zurückgezahlt werden muss. Er ermöglicht dir die notwendigen Investitionen vorzunehmen. Mein Vater wünscht dir viel Glück.“

Ich fasse nach Gehaos Hand und drücke sie. Ein solches Geschenk habe ich mir nicht erhofft. Am liebsten würde ich mich gleich an die Arbeit machen und der Berliner Firma einen Besuch abstatten. Jetzt hat jedoch das Baby Vorrang. Meine wichtigste Aufgabe ist Mutter zu sein.

Die Schwester betritt das Zimmer und gibt mir das Kind. Ich lege es an die Brust und vergnügt beginnt es zu saugen. Ich merke, dass Gehao dieser Anblick unangenehm ist. Eilig verabschiedet er sich von mir und verschwindet.

Ich bin nur wenige Tage in der Klinik. Zu Hause ist alles, für meinen Empfang und den des Babys, vorbereitet. Ich werde gefeiert, wie eine Heldin und habe nur das geleistet, was viele Mütter vor mir getan haben. Das Gefühl anerkannt und geliebt zu werden, ist schön und tut meiner Seele gut.

Während des Diners sagt uns Gehao, dass seine Mutter nächste Woche zu Besuch kommen wird. Ich könnte auf sie verzichten. Als gute Schwiegertochter darf ich das nicht äußern. Die einzige, die sich über ihren Besuch zu freuen scheint, ist meine Mutter. Sie sagt es beim Diner und wir schweigen diskret und höflich.

Wo sie wohnen wird, habe ich noch nicht erfahren. Ich denke, dass sie sich nicht bei uns im Penthaus einquartiert. Isabella hätte es mir gesagt.

Alle sind in großer Erwartung auf Madame Zhou. Gehao holt sie vom Flughafen ab und bringt sie in unser Penthaus. Wir warten auf sie in der Wohndiele. Das Dienstpersonal wurde vom Butler in einer Linie ausgerichtet. Ich werde mit dem Baby im Arm in die vorderste Position gebracht und meine Mutter steht mit Jin, wie zur Verstärkung, hinter mir. Mein Lächeln, das ich zeige, ist nicht echt. Wie kann man wegen des Besuchs meiner Schwiegermutter einen solchen Aufwand treiben. Es scheint geübte Praxis zu sein, wie mir James versichert, mit uns als Sahnehäubchen.

Die Glocke der Aufzugskabine ist zu hören und im selben Moment ertönt die Stimme von Madame Zhou.

„Wo ist mein Baby?“, ruft sie schrill und eilt auf mich zu.

Alle strahlen Madame, wie eine Königin, an. Solche Empfänge scheint sie zu lieben. Sie sieht zuerst auf das Baby, das die Augen geschlossen hat und von dem Trubel nicht viel mitbekommt. Gönnerhaft ergreift sie meine Hand und sagt: „Er kommt nach seinem Vater. Unser Söhnchen hatte die gleichen schwarzen Haare und dieselbe Nase. Nur schade, dass ich kein Foto bei mir habe, wo Gehao noch ein Baby war.“

Huldvoll winkt sie der Dienerschaft zu und begrüßt meine Mutter.

„Es ist schön, dass du früher kommen konntest als ich. Meine Termine und Verpflichtungen in Hongkong, du weißt, ich habe dir davon erzählt. Es gab in der letzten Woche drei Wohltätigkeitsveranstaltungen, zu denen ich unbedingt gehen musste. Bei einer davon bin ich die Vorsitzende des Spendenkomitees. Ich könnte mich zerteilen.“

Ihr Blick fällt auf Jin.

„Sie ist die Freundin von Meiling und ihr Kindermädchen. Ich bin froh, dass sie aus China ist und mit dem Buben in unserer Muttersprache sprechen kann. Das übrige lernt er ohnehin in den Internaten. Mein Sohn besuchte das beste Institut in der Schweiz. Es war nicht billig. Die Investition hat sich gelohnt, wie man sieht.“

Mit einem triumphierenden Lächeln sieht sie zu Gehao, dem das Gerede seiner Mutter peinlich ist.

„Ich werde sofort meine Suite aufsuchen und mich frisch machen. In einer halben Stunde können wir dinieren.“

Sie geht zur Aufzugskabine. Gehao und Harry begleiten sie.