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Völkerwanderung, Varusschlacht. Mythologie: Dies sind nur einige Stichworte zu einem umfassenden Thema, mit welchem sich Frank Ausbüttel in seinem neuen Buch über die Germanen verständlich und klar gegliedert auseinandersetzt. Von der Herkunft der Germanen über ihre Auseinandersetzungen mit den Römern bis hin zum alltäglichen und gesellschaftlichen Leben wird ein kompakter Überblick geboten. Waren die Vandalen wirklich nur ein Volk plündernder Barbaren, oder gestaltet sich sowohl ihr Bild als auch das der anderen Stämme doch weitaus differenzierter? Denn gerade in ihrer Auseinandersetzung mit dem Römischen Reich und mit dessen allmählichem Untergang spielten die Germanen eine immer wichtiger werdende Rolle. Das Buch beschreibt, wie sich die großen Stämme der Germanen und damit die germanischen Reiche bildeten – und stellt so ein übersichtliches Einführungswerk zu diesem vielfältigen Themengebiet dar.
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Seitenzahl: 300
Veröffentlichungsjahr: 2012
Frank M. Ausbüttel
Die Germanen
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ISBN der gedruckten Ausgabe: 978-3-534-22047-2
© 2010 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt
Die Herausgabe dieses Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht.
Einbandgestaltung: schreiberVIS, Seeheim
eBook ISBN 978-3-534-71084-3 (epub)
Als epub veröffentlicht 2011.
www.wbg-wissenverbindet.de
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Innentitel
Inhaltsverzeichnis
Informationen zum Buch
Informationen zum Autor
Impressum
Geschichte kompakt – Antike
Vorwort
I. Einleitung
1. Kritische Anmerkung
2. Name und Herkunft der Germanen
II. Die Anfänge der römisch-germanischen Auseinandersetzungen
1. Kimbern und Teutonen
2. Caesars Feldzüge gegen die Germanen
III. Römer und Germanen in der frühen Kaiserzeit
1. Die Einrichtung der Provinz Germanien und die Erhebung des Arminius
2. Kämpfe mit germanischen Stämmen bis zur Errichtung des Limes
3. Die Markomannenkriege
IV. Lebensweise
1. Siedlungsformen
2. Wirtschaft und Handel
3. Gesellschaft und Verfassung der Stämme
4. Religion
V. Germanen im Dienst der Römer
1. Soldaten
2. Siedler
VI. Die Bildung von Großstämmen und germanischen Reichen in der späten Kaiserzeit
1. Die Alamannen
2. Die Goten
3. Das Tolosanische Reich der Westgoten
4. Die Vandalen
5. Die Burgunder
6. Die Sachsen und Britannien
7. Das Reich der Ostgoten in Italien
8. Die Anfänge des Frankenreiches
9. Die Langobarden
VII. Bilanz und Ausblick
Auswahlbibliographie
Register
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In der Geschichte, wie auch sonst,
dürfen Ursachen nicht postuliert werden,
man muss sie suchen. (Marc Bloch)
Das Interesse an Geschichte wächst in der Gesellschaft unserer Zeit. Historische Themen in Literatur, Ausstellungen und Filmen finden breiten Zuspruch. Immer mehr junge Menschen entschließen sich zu einem Studium der Geschichte, und auch für Erfahrene bietet die Begegnung mit der Geschichte stets vielfältige, neue Anreize. Die Fülle dessen, was wir über die Vergangenheit wissen, wächst allerdings ebenfalls: Neue Entdeckungen kommen hinzu, veränderte Fragestellungen führen zu neuen Interpretationen bereits bekannter Sachverhalte. Geschichte wird heute nicht mehr nur als Ereignisfolge verstanden, Herrschaft und Politik stehen nicht mehr allein im Mittelpunkt, und die Konzentration auf eine Nationalgeschichte ist zugunsten offenerer, vergleichender Perspektiven überwunden.
Interessierte, Lehrende und Lernende fragen deshalb nach verlässlicher Information, die komplexe und komplizierte Inhalte konzentriert, übersichtlich konzipiert und gut lesbar darstellt. Die Bände der Reihe „Geschichte kompakt“ bieten solche Information. Sie stellen Ereignisse und Zusammenhänge der historischen Epochen der Antike, des Mittelalters, der Neuzeit und der Globalgeschichte verständlich und auf dem Kenntnisstand der heutigen Forschung vor. Hauptthemen des universitären Studiums wie der schulischen Oberstufen und zentrale Themenfelder der Wissenschaft zur deutschen und europäischen Geschichte werden in Einzelbänden erschlossen. Beigefügte Erläuterungen, Register sowie Literatur- und Quellenangaben zum Weiterlesen ergänzen den Text. Die Lektüre eines Bandes erlaubt, sich mit dem behandelten Gegenstand umfassend vertraut zu machen. „Geschichte kompakt“ ist daher ebenso für eine erste Begegnung mit dem Thema wie für eine Prüfungsvorbereitung geeignet, als Arbeitsgrundlage für Lehrende und Studierende ebenso wie als anregende Lektüre für historisch Interessierte.
Die Autorinnen und Autoren sind in Forschung und Lehre erfahrene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Jeder Band ist, trotz der allen gemeinsamen Absicht, ein abgeschlossenes, eigenständiges Werk. Die Reihe „Geschichte kompakt“ soll durch ihre Einzelbände insgesamt den heutigen Wissenstand zur deutschen und europäischen Geschichte repräsentieren. Sie ist in der thematischen Akzentuierung wie in der Anzahl der Bände nicht festgelegt und wird künftig um weitere Themen der aktuellen historischen Arbeit erweitert werden.
Kai Brodersen
Martin Kintzinger
Uwe Puschner
Volker Reinhardt
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Es ist fast schon vermessen, als Einzelner ein Buch über die Germanen zu schreiben, da viele Wissenschaften sich mit ihnen befassen, die Fachliteratur nicht mehr zu überschauen ist. Außerdem wurde den Germanen aufgrund ihrer angeblich „nationalen Bedeutung“ stets besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Sie eigneten sich gut als Projektionsfläche für eigene Sehnsüchte und Wünsche, ihre Kämpfe mit den Römern boten die Grundlage für Identifikation stiftende Mythen. Inzwischen begegnet die Wissenschaft den Germanen eher unvoreingenommen. Die Rezeption ihrer Geschichte ist mittlerweile selbst zu einem eigenen Forschungsgebiet geworden. Dennoch haben die Germanen weiterhin nichts an Faszination eingebüßt, wie die Ausstellungen über die Franken, Alamannen, Langobarden und Vandalen und vor allem die drei Ausstellungen anlässlich der 2000-Jahr-Feier zur Varusschlacht gezeigt haben. Ihre Anziehungskraft beruht nun auf den zahlreichen archäologischen Funden, die zu neuen Sichtweisen führen und die Geschichte zu einer Detektivgeschichte werden lassen.
Das Hauptanliegen dieses Buches ist es, dem interessierten Leser einen Einstieg in das Thema zu geben. Inhaltlich beschränkt es sich nicht auf die militärischen und politischen Auseinandersetzungen vor allem mit den Römern, sondern geht auch auf die Lebensverhältnisse der Germanen ein. Zeitlich bewegt es sich in dem traditionellen Rahmen von der ersten Begegnung der Römer mit den Kimbern und Teutonen bis zur Entstehung des Langobardenreiches, mit der die Zeit der germanischen Völkerwanderung endete. Dies geschieht durchaus in dem Bewusstsein, dass damit die Geschichte der Germanenreiche noch lange nicht abgeschlossen ist. Allerdings gehört die Erforschung ihrer weiteren Entwicklung in den Bereich der Mediävistik.
Die Nachrichten über die Germanen stellen den Historiker vor ein Problem: Sie sind recht einseitig und allzu oft liegen über wichtige Ereignisse keine näheren Angaben vor, sodass es weiterhin schwierig bleibt, ein einigermaßen ausgewogenes Geschichtsbild zu rekontruieren. Den Zugang zu den antiken Quellen erleichtert jetzt ein vierbändiges Werk, das H.-W. Goetz, St. Patzold und K.-W. Welwei herausgegeben haben und das alle Nachrichten bis zum Jahre 453 enthält.
Für kritische Anmerkungen und Anregungen danke ich dem Herausgeber der Reihe, Herrn Kai Brodersen, für seine wohlwollende Unterstützung und die konstruktive Zusammenarbeit einmal mehr Herrn Harald Baulig von der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft.
Gewidmet ist das Buch meiner Familie, die mir stets den Rückhalt bot, um dieses Buch zu schreiben.
Frankfurt-Oberursel, im Juli 2010
Frank M. Ausbüttel
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Die Germanen leisteten einen wichtigen Beitrag zur europäischen Geschichte. Ohne sie sind viele Prozesse der Staatenbildung und der kulturellen Entwicklung nicht zu verstehen. Es fällt jedoch schwer, ihre historische Leistung unbefangen und unvoreingenommen zu bewerten. Allzu oft wurden in die Germanen bestimmte nicht zeitgemäße Vorstellungen projiziert.
Nationalismus
Beflügelt von antiken Berichten über die Lebensweise und die Kämpfe der Germanen gegen die Römer feierten Gelehrte wie Literaten im Deutschen Reich seit dem frühen 16. Jahrhundert die Germanen als ein unverdorbenes Volk und betonten dessen Überlegenheit gegenüber der Kurie und den Franzosen. Die Gleichsetzung der Deutschen mit den Germanen bot eine willkommene Grundlage für den seit dem Ende des 18. Jahrhunderts aufkommmenden Nationalismus. Die Kriege der Germanen gegen die römische Herrschaft 9 bis 16 n. Chr. dienten als Vorbild für den Kampf der Deutschen gegen die französische Fremdherrschaft (1806–1815).
Ähnliche Glorifizierungen lassen sich auch in anderen Ländern beobachten. Die Niederländer beriefen sich in ihrem Freiheitskampf gegen die spanisch-habsburgische Monarchie (1568–1648) auf den Aufstand der Bataver 69/70. Die schwedischen Könige begründeten im 16. und 17. Jahrhundert ihr Großmachtstreben mit der Herrschaft der Goten über weite Teile Europas seit dem 5. Jahrhundert.
Rassenlehre
Besonders verhängnisvoll wirkte sich seit dem 19. Jahrhundert die Rassenlehre auf das Germanenbild aus. Frei von irgendwelchen „Beimischungen“ galten sie als die Träger der abendländischen Kultur. Diese Idee fand schließlich Eingang in die Ideologie des Nationalsozialismus. Im Dritten Reich nahm die Germanenverehrung einen geradezu religiösen Charakter an.
Nach dem 2. Weltkrieg hat man sich allmählich von diesem verklärten, kruden Germanenbild gelöst. In einem sich vereinigenden Europa verloren nationale Mythen in zunehmendem Maße ihre Sinn stiftende Funktion. Die Gleichsetzung der Germanen oder einzelner Germanenstämmen mit bestimmten Nationen wurde folgerichtig aufgegeben. Die wissenschaftliche Diskussion hat sich weitgehend versachlicht und durch neue Forschnungsansätze konnte das tradierte Germanenbild revidiert werden.
Quellenlage
Den Historiker stellt die Erforschung der germanischen Geschichte vor ein großes methodisches Problem: Alle Berichte über die Germanen stammen aus den Federn römischer Autoren. Zwar kannten die Germanen Gesänge, in denen sie ihre mythisch verklärte Herkunft feierten und die Taten ihrer Herrscher priesen, jedoch ist keiner dieser frühen Gesänge schriftlich festgehalten und überliefert worden. Folglich existieren keine Schriftquellen, in denen die Germanen selbst Auskunft geben über ihre Lebensverhältnisse, über ihre internen Konflikte, über ihre Herrschaftsstrukturen oder über die Mentalitäten ihres Adels und ihrer einfachen Bauern.
Bei den Berichten der Römer ist stets damit zu rechnen, dass deren Autoren ohne nähere Kenntnisse der Wirklichkeit die mündliche Überlieferung der Germanen und andere ihnen vorliegende Informationen ihren eigenen Vorstellungen und ihrer eigenen Lebenswelt entsprechend interpretierten und umformten. Folglich hätten sich viele Germanen in den ihnen angehefteten Etikettierungen wohl nicht wiedererkannt.
Erste Erwähnung
Diese Quellenproblematik offenbart sich bereits bei dem Namen Germanen. Er begegnet zum ersten Mal in einem Verzeichnis, in dem der Triumph eines Konsuls über einen gallischen Stamm eben dieses Namens in Oberitalien 222 v. Chr. gefeiert wird. Jedoch ließ sich bislang nicht klären, in welcher Beziehung dieser Name zu dem erst später überlieferten Germanenbegriff steht und ob er nicht erst nachträglich in die Inschrift eingefügt worden ist.
Der stoische Gelehrte Poseidonios von Apameia (ca. 135–51/50 v. Chr.), der für seine geographischen und ethnographischen Studien nach Gallien kam, erwähnte kurz die Germanoi, die sich in ihren Essgewohnheiten kaum von den Galliern unterschieden. Er kannte sie somit als ein den Galliern nahestehendes Volk, lässt aber offen, ob es sich hierbei um einen eigenständigen ethnischen Verband handelte. Wenn das zutreffen sollte, müsste er seinen Standort Massalia (Marseille) verlassen haben und gen Norden gereist sein.
Oberbegriff für verschiedene Völker
Das Verdienst, die Bezeichnung Germanen als Oberbegriff für verschiedene Völker geprägt zu haben, kommt letztlich dem römischen Feldherrn und Staatsmann Caius Julius Caesar (100–44) zu. Gleich zu Beginn seines Berichtes über den Gallischen Krieg verwendete er diesen Namen mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass man davon ausgehen kann, dass er in Rom bereits allgemein bekannt war. Im Laufe seiner Darstellung grenzte Caesar die Germanen klar und deutlich von den Galliern ab, indem er wiederholt auf Unterschiede in ihrer Lebensweise und Kultur hinwies. Dabei erklärte Caesar den Rhein zur geographischen Grenze zwischen beiden Völkerschaften. Das Gebiet jenseits, das heißt rechts des Rheines bewohnten nach seiner Ansicht die Germanen, das Gebiet diesseits, das heißt links des Rheines die Gallier. Allerdings wies er auch darauf hin, dass im Norden einige nicht-gallische Stämme lebten, die sich selbst Germanen nannten. Denkbar ist, dass Caesar bei seiner ethnischen Einteilung die Sichtweise von Galliern übernahm, die in Verhandlungen mit den Römern die Invasoren, die über den Rhein in ihre Gebiete vorgestoßenen waren, unter der Bezeichnung Germanen subsumierten.
Q
Die Belger ein germanischer Stamm?
Caesar, Bellum Gallicum 1,1,3 und 2,4,1–3
Von all diesen (Stämmen) sind die Belger am tapfersten, weil sie von der Lebensweise und der (höheren) Bildung der Provinz (gemeint ist die Gallia Narbonensis) am weitesten entfernt leben und zu ihnen am wenigsten häufig Kaufleute gelangen und (Dinge) einführen, die zur Verweichlung des Charakters beitragen, auch weil sie den Germanen am nächsten leben, die jenseits des Rheins wohnen (und) mit denen sie ständig Krieg führen. (…) Als Caesar (die Remer) fragte, welche und wie viele Stämme unter Waffen stünden und wie stark sie im Krieg seien, erfuhr er Folgendes: Die meisten Belger stammten von den Germanen ab und hätten in alten Zeiten den Rhein überschritten, sich wegen des fruchtbaren Bodens dort niedergelassen und die Gallier, die diese Gegend bewohnten, vertrieben; sie hätten als einzige zurzeit unserer Väter, als ganz Gallien heimgesucht wurde, verhindert, dass die Teutonen und Kimbern in ihr Gebiet einfielen; aus der Erinnerung an diese Vorfälle bezögen sie ein großes Ansehen und einen hohen Sinn im Kriegswesen.
(Übersetzung Goetz-Welwei I 277 und 315)
Der griechische Geograph Strabon von Amaseia (65/64 v. Chr. – nach 23 n. Chr.) übernahm nicht Caesars Sichtweise. Zwar hießen die Bewohner jenseits des Rheines für ihn ebenfalls Germanen, jedoch unterschieden sie sich für ihn kaum von den Galliern, sondern ähnelten ihnen hinsichtlich ihrer Gestalt und Lebensgewohnheiten.
Tacitus griff indes wieder die Vorstellungen Caesars auf und grenzte die Germanen klar und eindeutig von den Galliern ab. Die Bewohner Germaniens, das heißt des Gebietes jenseits von Rhein und Donau, sah er als eine autochthone Bevölkerung an, die sich aufgrund der Lage ihres Landes nicht mit anderen Völkern vermischt habe. Als ihren Stammvater führte er Mannus an, den Sohn des Gottes Tuisto. Da Mannus drei Söhne hatte, zerfielen die Germanen in die drei Großverbände der Ingvaeonen, Herminonen und Istvaeonen, bei denen es sich offensichtlich um Kultgemeinschaften handelte.
E
Publius Cornelius Tacitus (etwa 55 – nach 113 n. Chr.)
entstammte einer wohlhabenden Familie, die entweder in Südgallien oder Oberitalien beheimatet war. Innerhalb der römischen Ämterlaufbahn hatte er 88 die Prätur und 97 den Konsulat inne. Er verwaltete schließlich 112/113 als Statthalter die bedeutende Provinz Asia. Ob er vorher ein militärisches Kommando am Rhein innehatte, lässt sich nur vermuten. Als Kritiker der Kaiserherrschaft und Anhänger der Republik verfasste Tacitus zwei größere, nicht vollständig überlieferte Geschichtswerke, die Annales und Historiae. In den Annales beschrieb er die politischen Ereignisse in der Zeit von 14 bis 68 n. Chr., in den Historiae in der Zeit von 69 bis 96 n. Chr. Grundlegend für das Verständnis der Germanen wurde seine 98 verfasste ethnographische Schrift mit dem Titel Germania.
Q
Herkunft und Name der Germanen
Tacitus, Germania 2,1.3
Ich möchte glauben, dass die Germanen selbst Eingeborene sind und sich keineswegs durch Einwanderung und Aufnahme anderer Völker vermischt haben, weil doch in alter Zeit diejenigen, die ihre Wohnsitze wechseln wollten, nicht zu Lande, sondern zu Schiff nahten und dort drüben ein riesiger und sozusagen widriger Ozean selten von Schiffen aus unserer Welt befahren wird. Wer würde außerdem, ganz abgesehen von der Gefahr der rauen und unbekannten See, Asien, Afrika oder Italien verlassen und gerade Germanien mit seiner ungestalteten Landschaft, seinem rauen Klima und seinem trübseligen Anbau und Anblick aufsuchen, es sei denn, es wäre seine Heimat? (…)
Im übrigen sei die Bezeichnung Germaniens jung und erst seit kurzem (dem Land) beigelegt, weil diejenigen, die als erste den Rhein überschritten und die Gallier vertrieben hätten und jetzt Tungrer hießen, damals Germanen geheißen hätten: So habe sich allmählich der Name einer Völkerschaft, nicht des (ganzen) Volkes durchgesetzt, sodass alle anfangs aus Furcht nach dem Sieger benannt wurden, bald auch sich selbst mit dem aufgefundenen Namen Germanen nannten.
(Übersetzung Goetz-Welwei I 127–129)
In dem letzten Absatz des hier aufgeführten Zitats, dem sogenannten „Namen(s)satz“, der sprachlich nicht ganz sicher überliefert und dessen Interpretation daher umstritten ist, referierte Tacitus die These, dass der Name Germanien neu sei und sich von den linksrheinischen Tungrern ableitete, die sich einmal selbst als Germanen bezeichnet hätten. Unklar bleibt bei Tacitus’ Feststellung, warum gerade die Tungrer, ein eher unbedeutender Stamm, als Namensgeber fungiert haben sollen und wer mit dem Sieger gemeint ist. Allerdings ist hier genau auf die Formulierung des römischen Historikers zu achten. Offensichtlich betrachtete er diese Aussage selbst mit einer gewissen Skepsis und schenkte ihr wenig Glauben. Der Hinweis auf die Selbstbezeichnung könnte auch dahingehend verstanden werden, dass die Germanen in Verhandlungen mit den Römern die von diesen gebrauchte Fremdbezeichnung schließlich für sich übernahmen, um Missverständnissen vorzubeugen.
Während Tacitus im Westen den Rhein als eindeutige Grenze angibt, wird er ungenau bei der geographischen Abgrenzung des germanischen Einzugsgebietes nach Norden und Osten, das für ihn irgendwo am Nordpolarmeer und im Ostseeraum endete. Ein exaktes Bild der ethnischen Verhältnisse in Mitteleuropa entsteht so nicht. Letztlich ging es Tacitus wohl darum, die Germanen hinsichtlich ihrer Abstammung, Lebensweise und Sprache als eigenständige Völkerfamilie darzustellen und von den Galliern im Westen und den Sarmaten beziehungsweise Skythen im Osten abzugrenzen.
Caesar und Tacitus haben mit ihren Darstellungen zwar die neuzeitlichen Vorstellungen von den Germanen geprägt, aber in der antiken Geschichtsschreibung setzte sich ihr ethnographisches Konzept nicht durch. Ab dem 3. Jahrhundert wurde die Bezeichnung Germanen kaum noch verwendet; stattdessen begegnen Bezeichnungen wie Alamannen, Goten und Franken, mit denen ganz konkret bestimmte Großstämme der Germanen benannt werden. Die unklare Abgrenzung zu den Galliern und anderen auswärtigen Völkern blieb bestehen. So werden die Kimbern, die Caesar bereits als Germanen identifizierte, als Keltoskythen, die Goten, weil sie nicht aus den germanischen Provinzen des Römischen Reiches stammten, wie andere auswärtige Völker als Skythen bezeichnet.
Neben den philologisch-historischen Erkenntnissen kommt den Erkenntnissen der Archäologie eine größer werdende Bedeutung zu, die allerdings nicht immer mit den Aussagen der antiken Schriftsteller übereinstimmen. Dies lässt sich an der Abgrenzung der gallischen von der germanischen Kultur zeigen.
Abgrenzung der gallischen von der germanischen Kultur
Während der Latènezeit, insbesondere seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. errichteten die Gallier unter dem Einfluss der griechischen und römischen Zivilisation, der sie in Südgallien, in Oberitalien und auf dem Balkan begegneten, mehrere großflächige, stadtartige Siedlungen, die sie mit eindrucksvollen Mauern und Wallanlagen befestigten. In Anlehnung an Caesar werden diese stadtartigen Siedlungen heute noch als oppida (Singular: oppidum) bezeichnet. Die Oppida waren Zentren für den Handel und Verkehr in einem weitgehend kultivierten Umland, in dem es weiterhin Dörfer und Einzelhöfe gab. Kennzeichnend für diese Stadtkultur waren eine hochwertige Eisenverarbeitung, das Prägen von Münzen und ein bescheidener Schriftverkehr, für den die Gallier das griechische Alphabet benutzten. Oppida lassen sich von Frankreich über Deutschland und Tschechien bis auf den Balkan nachweisen. In Deutschland erstreckte sich die Oppida-Kultur bis in den Mittelgebirgsraum.
E
Latènezeit
In La Tène am Neuenburger See in der Schweiz wurden 1857 tausende von Fundobjekten (Waffen und Fibeln) entdeckt. Nach dieser Fundstätte ist die Phase der klassischen Kunst und Kultur der Gallier benannt worden, die von 450 bis 50 v. Chr. reichte und in der Gallier sich in weiten Teilen Europas (Irland, Britannien, von der Iberischen Halbinsel bis nach Kleinasien) niederließen.
Im niederländisch-norddeutschen Raum existierten dagegen keine derartigen Großsiedlungen mit einer differenzierten, hoch entwickelten Produktionsweise. In der nach dem Fundort Jastorf (Kreis Uelzen) benannten Kultur, die sich von Holstein über das nordöstliche Niedersachsen bis in den Westen Mecklenburgs erstreckte, herrschten kleinere Siedlungen vor, die mit anderen Siedlungen in Waldgebieten sogenannte Siedlungskammern bildeten und deren Bewohner vorwiegend von Ackerbau und Viehzucht lebten. Münz- und Eisenfunde belegen Handelskontakte zu den Galliern.
Kulturregionen
Anhand von Grab- und Siedlungsfunden lassen sich somit bestimmte Kulturregionen ausmachen. So unterscheidet man zwischen Elb-, Rhein-Weser- oder Nordseegermanen und den Trägern der Przeworsker-Gruppe, denen sich nur schwer die Namen der in den Schriftquellen überlieferten Germanenstämme zuordnen lassen. Auch mit Hilfe der Archäologie kann nicht eindeutig geklärt werden, was unter den Germanen zu verstehen ist. Die materiellen Funde sagen wenig oder gar nichts aus über die Sprache, über die rechtlichen und religiösen Vorstellungen und über das Zusammengehörigkeitsgefühl der Bewohner bestimmter Gebiete. Dies sind aber Faktoren, die letztlich entscheidend sind für die Bestimmung der Zugehörigkeit zu einem Volk, zu einer Völkergemeinschaft.
Anhand der archäologischen Funde lassen sich jedoch zwei Sichtweisen der antiken Historiographie korrigieren: Der Rhein bildete keine Kultur- und Völkergrenze, vielmehr existierte eine kulturelle Grenze zwischen Norden und Süden. Die Germanen stellten kein einheitliches Volk dar und besaßen folglich keinen einheitlichen Ursprung und kein stammesübergreifendes Gemeinschaftsbewusstsein. Zwischen den Völkern der Oppida-Kultur und den Völkern Nordeuropas herrschte ein reger kultureller Austausch. Archäologische Funde in Dänemark, die sich der Latènekultur zuordnen lassen, sprechen dafür, dass sie durch Handel dorthin gelangten oder einheimische Handwerker Produkte der gallischen Oppida-Kultur nachahmten, die offensichtlich eine große Anziehungskraft auf die Germanen ausübten.
Es wäre nun naheliegend Germanen und Gallier anhand ihrer Sprache zu unterscheiden. Allerdings ist es problematisch, die archäologisch fassbaren Kulturen bestimmten Sprachen zuzuordnen, sofern nicht sprachliche Zeugnisse dies erlauben. Immerhin gab es Germanenstämme vor allem links des Rheines, die einen gallischen Dialekt sprachen. Überhaupt waren die Grenzen zur benachbarten gallischen Kultur fließend, was letztlich auch Caesar bewusst war, wenn er auf die engen Beziehungen bestimmter germanischer Stämme wie der Sueben mit den gallischen Nachbarn hinwies.
Ungeachtet der hier aufgezeigten Probleme folgt die moderne Geschichtswissenschaft weiterhin der antiken Ethnographie darin, bestimmte Völker zu Großverbänden (Kelten, Skythen) zusammenzufassen, obwohl die Bezeichnung Germanen für Völker im Nordosten des gallischen und später römischen Herrschaftsbereiches genauso wenig zutrifft wie die Bezeichnung Indianer für die Ureinwohner des amerikanischen Doppelkontinents, die Columbus aufbrachte. Dieser Oberbegriff ist aber dennoch beibehalten worden, weil bei aller Ungenauigkeit und Kritik bislang keine Alternative für ihn gefunden wurde.
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113–101
Einfälle der Kimbern und Teutonen in Gallien und in römisches Reichsgebiet
58
Feldzug Caesars gegen den Suebenkönig Ariovist
55/53
Rheinübergänge Caesars
Die Kimbern und Teutonen waren die ersten Germanenstämme, mit denen die Römer Krieg führten. Allerdings erfolgte ihre ethnische Einordnung als Germanen erst in späterer Zeit. Während diese Zuordnung bei den Kimbern mehr oder weniger unumstritten ist, dürfte es sich bei den Teutonen eher um Gallier gehandelt haben. Ferner verschleiern die vorhandenen Berichte die eigentlichen Hintergründe der Auseinandersetzung. Die römischen Historiker waren vor allem an den Schlachten ihrer Feldherren mit diesen Barbarenvölkern interessiert und dramatisierten die Geschehnisse, indem sie den Kimbern und Teutonen unterstellten, dass sie beabsichtigt hätten, Rom einzunehmen, Italien zu verwüsten oder gar das Römische Reich zu vernichten. Mit derartigen Vorwürfen stilisierten sie beide Völker zur zweiten großen, existenzbedrohenden Gefahr für die Römer nach den Galliern, die 387 unter ihrem legendären Heerführer Brennus Rom eingenommen hatten.
Q
Gefahr der Kimbern und Teutonen
Plutarch, Marius 11,3–5
Es rückten 300.000 Kämpfer in voller Ausrüstung heran, während die Massen der Frauen und Kinder, die mit ihnen zogen, angeblich noch weit größer waren; sie suchten Land, das eine derartige Menschenmenge ernähren sollte, und Städte, in denen sie sich ansiedeln und leben könnten, so wie vor ihnen die Kelten – wie ihnen berichtet worden war – den besten Teil Italiens den Etruskern entrissen und selbst in Besitz genommen hatten. Da sie aber nicht mit anderen Völkern in Verbindung gestanden und ein weites Land durchzogen hatten, war nicht bekannt, um welche Menschen es sich handelte und woher sie kamen, als sie wie eine Wetterwolke über Gallien und Italien hereinbrachen. Wegen ihrer gewaltigen Körpergröße und der hellen Farbe ihrer Augen vermutetet man indes zumeist, dass sie zu den am nördlichen Ozean wohnenden germanischen Stämmen zählten, zumal die Germanen Räuber als „Kimbern“ bezeichnen.
(Übersetzung Goetz-Welwei I 237–239)
Es entspricht eher der Realität, die Züge der Kimbern und Teutonen in die Wanderbewegungen germanischer Stämme einzuordnen und damit in einen Migrationsprozess, dessen Komplexität sich dem heutigen Betrachter kaum noch erschließt. So waren gegen Ende des 3. Jahrhunderts die Bastarner in das Gebiet des Donaudeltas am Schwarzen Meer vorgedrungen. 179 überschritten sie die Donau um den Makedonenkönig Philipp V. (222–179) in seinem Kampf gegen die Dardaner in Thrakien zu unterstützen. Wie sein Nachfolger Perseus (179–168) wollte er sie zudem als Verbündete im Kampf gegen die Römer einsetzen. Nach wechselvollen Kämpfen mit den Dardanern zogen sich die Bastarner jedoch wieder zurück.
Grund für die Auswanderung
Die Kimbern stammten aus Jütland und Schleswig. Die Ambronen, die sich ihnen anschlossen, kamen ebenfalls aus dieser Gegend; denn der Name der Nordseeinsel Amrum wird mit ihrem Stammesnamen in Verbindung gebracht. Als Grund für die Auswanderung werden eine Klimaverschlechterung und damit verbundene Missernten oder eine Naturkatastrophe angenommen. So können Sturmfluten ihre Siedlungsverhältnisse verschlechtert haben.
Zusammenschluss mit anderen Stämmen
Höchstwahrscheinlich wanderte nicht der gesamte Stamm der Kimbern aus, sondern nur ein Teil, insbesondere die jüngere Bevölkerung, unter ihnen Frauen und Kinder. Ihre Habseligkeiten führten sie auf Ochsenkarren mit sich, sodass sich der Treck nur langsam fortbewegte; zudem bestimmte die tägliche Suche nach Nahrung, Futter und Wasser die Marschgeschwindigkeit und letztlich auch die Marschroute. Angesichts einer solchen Ausgangslage dürfte es nicht das vorrangige Ziel der Kimbern gewesen sein, irgendwelche Gegenden zu plündern und zu verwüsten, sondern sich irgendwo niederzulassen und als Gegenleistung für das zugewiesene Land ihre Dienste als „Söldner“ oder für andere Tätigkeiten anzubieten. Deshalb werden die Kimbern nicht einfach losgezogen sein, sondern vorher Kontakte zu den benachbarten Stämmen aufgenommen und Verhandlungen bezüglich einer Ansiedlung geführt haben.
Auf ihrer Wanderung schlossen sich den eigentlichen Initiatoren des Wanderprozesses die Mitglieder anderer germanischer und gallischer Stämme an, sodass sie unter dem Oberbegriff Kimbern einen heterogenen Stammesverband bildeten. Dies erklärt wiederum, warum sie keine zentrale, auf eine einzige Person zugeschnittene Führung besaßen, sondern mehrere „Könige“ über sie herrschten. Trotz ihrer heterogenen Struktur ist in den Kimbern und ihren Verbündeten keineswegs ein bunt zusammengewürfeltes und disziplinloses „Völkergemisch“ zu sehen. Wie den römischen Schlachtenberichten zu entnehmen ist, traten sie gut ausgerüstet auf und kämpften diszipliniert in Schlachtreihen, was auf Einflüsse der Gallier zurückzuführen ist, mit denen sie näher in Kontakt gekommen waren. Überhaupt dürften die Kimbern auf ihrer Wanderung zunehmend ihre germanische Identität verloren haben; denn in den von ihnen okkupierten Gebieten lassen sich so gut wie keine Funde nachweisen, die ihnen zugeschrieben werden könnten.
Um 120 zogen die Kimbern zunächst nach Böhmen. Welchen Weg sie dabei an der Elbe oder an der Oder entlang einschlugen, bleibt unklar. Von Böhmen ging ihr Zug weiter nach Pannonien in kroatisch-slowenisches Gebiet und von da nach Kärnten in das Stammland der Noriker. Offensichtlich übten die in diesen Gebieten verbreitete Oppida-Kultur der Gallier und deren Reichtum an Eisen und Gold eine große Anziehungskraft auf sie aus. Allerdings waren die Kimbern kaum in der Lage, die befestigten Städte zu erobern, sondern mussten darauf hoffen, von den jeweiligen Landesbewohnern freundlich aufgenommen zu werden, was aber offensichtlich nicht über einen längeren Zeitraum hinweg geschah.
Kämpfe mit den Römern
In Kärnten gerieten die Kimbern erstmalig in den Einflussbereich der Römer. Diese hatten zu Beginn des 2. Jahrhunderts in jahrzehntelangen Kämpfen die Gallier in Oberitalien, in der so genannten Gallia Cisalpina, unterworfen und nahezu ausgerottet. Ab 121 hatten die Römer zum Schutz der reichen Handelsstadt Massalia (Marseille) Südgallien unter der Bezeichnung Gallia Transalpina/Narbonensis in Besitz genommen. Als die Kimbern 113 in das Stammesgebiet der Noriker im heutigen Kärnten einwanderten, marschierte ihnen der Konsul Cnaeus Papirius Carbo mit seinen Truppen entgegen und griff in der Hoffnung auf einen leicht zu erringenden Sieg ihr Lager an, obwohl sich die Kimbern zuvor in Verhandlungen versöhnlich und kompromissbereit gezeigt hatten. Carbos Überraschungsangriff misslang vollständig, nur ein Unwetter bewahrte sein Heer vor der endgültigen Vernichtung.
Die Kimbern nutzten die Niederlage der Römer nicht aus, sondern zogen weiter nach Westen in Richtung Gallien. Ihr Verhalten zeigt, dass die Kimbern kein Interesse hatten sich im Römischen Reich niederzulassen. Viel wichtiger waren ihnen die Kontakte, die sie offensichtlich zu den Helvetiern besaßen, die damals im Südwesten Deutschlands beheimatet waren; denn in der Folgezeit schlossen sich ihnen die helvetischen Teilstämme der Tiguriner und Tougener an.
Um 110 ließen sich die Kimbern im Rhônetal nieder. Damals baten ihre Gesandten den römischen Senat um Wohnsitz und Ackerland. Darunter ist wohl kein Gesuch um Aufnahme ins Reichsgebiet zu verstehen, sondern eher das Bestreben, sich die neuen gallischen Besitzungen im Vorfeld der Provinz Gallia Narbonensis von den Römern bestätigen zu lassen. Da der Konsul Marcus Junius Silanus in ihnen eine Bedrohung sah, griff er sie an, musste sich aber geschlagen geben.
In den folgenden Jahren dehnten die Kimbern und die mit ihnen verbündeten Stämme ihren Einfluss in Zentralgallien aus. Die Tiguriner brachten 107 dem Heer des Konsuls Lucius Cassius Longinus eine schmachvolle Niederlage bei. Das mit Rom verbündete Tolosa (Toulouse) fiel zu den Kimbern ab. Die Römer boten nun erneut Truppen zum Schutz ihrer Provinz auf, aber ohne Erfolg. Der Legat Marcus Aurelius Scaurus geriet 105 nach der Niederlage seines Heeres bei Vienne in kimbrische Gefangenschaft. Der Konsul Cnaeus Mallius Maximus wollte daraufhin seine Truppen mit denen des Prokonsuls Quintus Servilius Caepio vereinen, um einer möglichen Bedrohung der Kimbern zuvorzukommen. Caepio gönnte ihm aber nicht den militärischen Erfolg und kam ihm daher zu spät zu Hilfe, nachdem er ein Friedensangebot der Kimbern abgelehnt hatte. Bei Arausio (Orange) musste Mallius eine empfindliche Niederlage gegen die Kimbern hinnehmen.
Da sie ausreichend Rückendeckung in ihrem Herrschaftsgebiet hatten, nutzten die Kimbern die Gelegenheit zu weiteren Feldzügen in Gallien aus. Einige ihrer Stammesangehörigen zogen damals sogar über die Pyrenäen bis in den Norden Spaniens, wo sie auf heftigen Widerstand der Keltiberer stießen. Im Norden Galliens wehrten sie die Belger ab. Allerdings schlossen sich den Kimbern 103/102 – ob erstmals oder erneut, bleibt unklar – die nordgallischen Teutonen im Gebiet von Rouen an.
Die andauernden militärischen Erfolge der Kimbern, die in erster Linie auf ein leichtsinniges Verhalten und unkoordiniertes Vorgehen der römischen Befehlshaber zurückzuführen waren, bewirkten in Rom einen Stimmungsumschwung. Der Konsul Caius Marius, der ein hohes Ansehen unter den Legionären genoss, übernahm jetzt den Oberbefehl in Gallien. Die Kimbern und Teutonen hatten inzwischen die Zielrichtung ihrer Vorstöße geändert. Da die Beutezüge nach Spanien und Nordgallien wenig erfolgreich verlaufen waren, beabsichtigten sie doch nach Süden in römisches Gebiet bis auf die Apenninhalbinsel vorzudringen. Allerdings teilten sie sich damals auf; die Teutonen und Ambronen zogen ohne die Kimbern das Rhônetal abwärts. An der Isèremündung griffen sie vergeblich das Lager des Marius an, der ihnen daraufhin nachsetzte und sie 102 in in zwei Schlachten bei Aquae Sextiae (Aix-en-Provence) besiegte. Durch diesen Sieg konnte er verhindern, dass sie die Alpen in Richtung Oberitalien überquerten.
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Caius Marius (etwa 158/157–13.01.86 v. Chr.)
Obwohl er nicht aus einer der führenden Familien stammte, stieg Marius zu den höchsten Ämtern Roms auf. Nach seiner Statthalterschaft in Spanien 114 bis 113 nahm er von 108 bis 105 in Nordafrika an den Feldzügen gegen den Numiderfürsten Jugurtha teil. In dieser Zeit wurde er erstmals zum Konsul gewählt. Mit seinem Namen verbindet sich eine Heeresreform, mit der er die Legionen in kleinere Einheiten unterteilte, die Anforderungen an die Ausbildung der Soldaten erhöhte und auch besitzlose Bürger in sein Heer aufnahm. Obwohl in Rom die Wiederwahl zum Konsul verboten war, bekleidete er dieses Amt ohne Unterbrechung in der Zeit von 104 bis 100. Danach zog Marius sich aus der Politik zurück, beteiligte sich aber ab 90 an den politischen Machtkämpfen mit dem späteren Diktator Sulla, der ihm einst als Offizier gedient hatte.
Die Kimbern umgingen unterdessen die Alpen. Den Brenner werden sie mit ihren Ochsenkarren wohl schwerlich passiert haben; viel eher dürften sie über die ihnen schon bekannte Gegend im Osten der Alpen in den Nordosten Italiens eingedrungen sein. An der Etsch hatte allerdings der Konsul Quintus Lutatius Catulus bereits mit seinen Truppen Stellung bezogen und erwartete ihren Angriff. Die Kimbern stauten daraufhin das Wasser des Flusses und lenkten es gegen die feindlichen Stellungen. Catulus konnte sich jedoch mit seinen Soldaten noch rechtzeitig zurückziehen. Da eilte ihm Marius zu Hilfe, um noch nördlich des Pos den Vormarsch der Germanen aufzuhalten. Bei Vercellae – nicht das heutige Vercelli in Piemont, sondern ein Ort zwischen Rovigo und Ferrara – fügten die vereinten römischen Truppen den Kimbern 101 eine vernichtende Niederlage zu, von der sie sich nicht mehr erholen sollten. Insgesamt sollen bei Arausio und Vercellae 340.000 Kimbern und Teutonen gefallen und 150.000 in Gefangenschaft geraten sein.
Fortleben
Was aus den überlebenden Kimbern und Teutonen wurde, ist unbekannt. In der frühen Kaiserzeit existierte der Stamm der Kimbern weiterhin in seiner alten Heimat. Er schickte sogar eine Gesandtschaft an den Kaiser Augustus, die, nachdem sie ihm den heiligsten ihrer Kessel geschenkt hatte, um Freundschaft und Amnestie für die Untaten ihrer Vorfahren bat. Obwohl der Stamm der Kimbern damals ohne größere Bedeutung war, haben die Römer die Erinnerung an die Kämpfe mit ihnen und den Teutonen in der Folgezeit immer wieder propagandistisch genutzt. Für Tacitus stellte Carbos Niederlage den Beginn der wechselvollen Kämpfe in Germanien dar. Bereits Caesar diente der Hinweis auf die Bedrohung der Gallia Narbonensis durch die Kimbern und Teutonen auch als Vorwand, um gegen die Sueben des Germanenkönigs Ariovist vorzugehen.
Niedergang der Oppida-Kultur
Zu Beginn des 1. Jahrhunderts v. Chr. setzte in Mitteleuropa ein Niedergang der Oppida-Kultur ein, dessen genaue Ursachen und dessen Verlauf im Unklaren bleiben, weil hierüber die Schriftquellen schweigen. Da die verlassenen Oppida keine Spuren von Gewalteinwirkungen aufweisen, scheinen sie nicht infolge von Kriegen und Belagerungen verlassen worden zu sein. Daher ist die Vermutung naheliegend, dass die gallische Bevölkerung sie mit ihrem Hab und Gut verließ, weil die ökonomischen Rahmenbedingungen sich so veränderten, dass ein Leben in den Oppida nicht mehr rentabel erschien. In diesem Prozess dürften die in den Oppida ansässigen politischen Führungsschichten an Autorität und Macht verloren haben.
Seit der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr. lässt sich anhand archäologischer Funde belegen, dass namentlich nicht weiter bekannte Germanenstämme in die gallischen Gebiete vordrangen. Der südlichste Fundkomplex ist im Gebiet am unteren Main zu finden. Germanische Siedler, deren Keramik auf eine Herkunft aus dem Oder-Warthe-Raum hindeutet, waren wahrscheinlich über Thüringen und von dort über die Hessische Senke bis in die nördliche Wetterau eingewandert.
Diese Zuwanderung, die sich über Jahrzehnte hinzog, verlief offensichtlich größtenteils friedlich. Denn die Einwanderer bewirtschafteten eher die nicht so ertragreichen Böden in der Randlage der Wetterau. Keineswegs vertrieben sie die einheimische Bevölkerung und zerstörten deren Produktionsstätten; vielmehr waren sie daran interessiert, dass Handel und Gewerbe in gewohnter Weise bestehen blieben.
Ariovist
Dass Germanen in Gebiete der Gallier vordrangen, bestätigt Caesar in seinem Bericht über den Gallischen Krieg. Caesar zufolge holten gallische Stämme germanische „Söldner“ über den Rhein, damit sie sie im Kampf gegen mächtige Nachbarstämme unterstützten. So hatten die Arverner und Sequaner, die die Auvergne und das Gebiet zwischen dem Schweizer Jura und der Saône bewohnten, sich an einen germanischen Heerführer namens Ariovist gewandt, weil sie mit den Haeduern, Verbündeten der Römer, im Streit um die Vorherrschaft über Gallien und um die Zolleinnahmen auf der Saône lagen.
Welchem Stamm Ariovist angehörte, geht aus Caesars Bericht nicht eindeutig hervor. Es ist jedoch naheliegend, in ihm einen Sueben zu sehen, da die erste seiner beiden bekannten Frauen eine Suebin war und er sie aus seiner Heimat mitgebracht hatte.
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Sueben
Für Caesar und Strabon stellten sie den größten und kriegerischsten aller Germanenstämme dar, der das Gebiet zwischen Rhein und Elbe bewohnte und in hundert Gaue aufgeteilt war, von denen jeder 1.000 Krieger zu stellen hatte. Eine ethnische Charakterisierung fällt aus heutiger Sicht schwer, da die römischen Schriftsteller in ihren Angaben nicht präzise sind. Zum einen diente ihnen der Name als Bezeichnung für einen bestimmten Stamm, zum anderen als Oberbegriff für zahlreiche Völker. Nicht auszuschließen ist, dass die Germanen sich ursprünglich selbst so bezeichneten. Der auf verschiedenen archäologischen Zeugnissen dargestellte Suebenknoten, bei dem das zur Seite gekämmte Haar zu einem Knoten zusammengebunden wurde, lässt sich auch für andere Stämme nachweisen. Mit ihm signalisierten seine Träger die Zugehörigkeit zu einem kultischen Verband.
Um 71 setzte Ariovist, der vermutlich bereits ein anerkannter Heerführer war, mit angeblich 15.000 bewaffneten Kriegern über den Rhein. Die Averner und Sequaner sollen ihm als Gegenleistung für seine militärische Unterstützung Sold angeboten haben, was angesichts des unter den Germanen vorherrschenden Tauschhandels wenig wahrscheinlich ist. Viel eher dürften sie Ariovist und seinen Kriegern im Falle eines Sieges einen großen Anteil an der Beute sowie Acker- und Weideland in Aussicht gestellt haben. So lässt sich erklären, warum die Germanen ihre Heimat verließen, sich an dem langwierigen Krieg mit den Haeduern beteiligten und sich nicht wie Söldner nach den ersten Misserfolgen zurückzogen. Denkbar ist aber auch, dass sich Ariovist mit seinen Germanen bereits auf linksrheinischem Gebiet befand und ihn die benachbarten Sequaner deshalb um Hilfe baten.
Sieg Ariovists über die Haeduer
Die Kämpfe zogen sich ungefähr zehn Jahre hin. Es kam immer wieder zu Gefechten, die keine endgültige Entscheidung brachten, obwohl sie für die Sequaner und ihre germanischen Verbündeten siegreich ausgingen. Erst 61 errang Ariovist bei einem nicht mehr zu identifizierenden Ort namens Magetobriga den entscheidenden Sieg. Über mehrere Monate hatte er sich zuvor mit seinen Kriegern in seinen Lagern und in sumpfigen Gebieten versteckt gehalten. Als die Haeduer die Germanen für besiegt und vertrieben hielten und daraufhin ihre Truppen auflösten, griffen Ariovists Krieger sie an und unterwarfen sie. Die Haeduer verloren fast ihre gesamte Reiterei und einen großen Teil ihres Adels und mussten nach ihrer Unterwerfung den Sequanern die Söhne ihrer Fürsten als Geiseln stellen, Tribute zahlen und einen Teil ihrer Grenzgebiete abtreten. Darüber hinaus verpflichteten sie sich unter anderem Rom nicht um Hilfe gegen ihre Sieger zu bitten.