Die Geschichte der Bibel - John Barton - E-Book

Die Geschichte der Bibel E-Book

John Barton

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Beschreibung

Die Kultur des Westens ist ohne die Bibel gar nicht denkbar. Für Judentum und Christentum ist sie das Fundament der Religion und die Autorität, die darüber Auskunft gibt, was wir glauben und wie wir leben sollen. Für Nicht-Gläubige ist das »Buch der Bücher« bis heute eines der bedeutendsten Werke der Weltliteratur, dessen Wirkung und Einfluss sich in unsere Sprache und in unserem Denken eingeschrieben hat. In seinem ebenso elegant wie zugänglich geschriebenen Buch erzählt einer der weltweit besten Kenner umfassend die verwickelte Entstehung und wandlungsreiche Geschichte des Alten und Neuen Testaments. Glänzend entschlüsselt John Barton die ganze Vielfalt der Quellen und Traditionen, die den biblischen Texten zugrunde liegen, und erläutert luzide und allgemeinverständlich die mehr als 2000 Jahre währende Wirkung der Bibel: von ihren Ursprüngen über Antike, Mittelalter, Reformation, Aufklärung und das 19. Jahrhundert bis in die Moderne.

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Seitenzahl: 1406

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John Barton

Die Geschichte der Bibel

Von den Ursprüngen bis in die Gegenwart

Aus dem Englischen übersetzt von Jens Hagestedt und Karin Schuler

Klett-Cotta

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

www.klett-cotta.de

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

»A History of the Bible. The Book and Its Faiths«

bei Allen Lane, Penguin Books

Random House, London

© John Barton, 2019

Für die deutsche Ausgabe

© 2020 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Cover: Rothfos & Gabler, Hamburg unter Verwendung eines Entwurfs von PENGUINBOOKSLTD

Datenkonvertierung: Dörlemann Satz, Lemförde

Printausgabe: ISBN 978-3-608-94919-3

E-Book: ISBN 978-3-608-11645-8

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Inhalt

Einführung

Die Bibel heute

Die Bibel als kulturprägendes Werk

Die Bibel in den Glaubensgemeinschaften

Antik und modern

Zum Aufbau des Buches

Teil I

Das Alte Testament

Kapitel 1

Das alte Israel: Geschichte und Sprache

Die biblische Darstellung

Moderne Rekonstruktionen

Der Begriff »Altes Testament«

Die Sprache des Alten Testaments

Kapitel 2

Hebräische Erzählungen

Drei Stile hebräischer Erzählung

Verflechtung

Die »Primary History« und andere Erzählungen

Der Sinn und Zweck hebräischer Erzählungen

Kapitel 3 

Gesetz und Weisheit

Weisheit in der Hebräischen Bibel und im Alten Orient

Skeptische Weisheiten

Personifizierte Weisheit

Das hebräische Gesetz im Kontext des Alten Orients

Die Zehn Gebote

Motivationen für Wohlverhalten

Die Kanonisierung des Gesetzes

Die Personifizierung der Tora

Kapitel 4 

Prophezeiungen

Die Propheten und ihre Bücher

Das Anwachsen des Buches Jesaja

Die Bearbeitung der Bücher

Die endgültige Form

Kapitel 5 

Gedichte und Psalmen

Die Psalmen

Die Verwendung der Psalmen

Liturgische Auslegung der Psalmen

Die Anordnung der Psalmen

Themen in den Psalmen

Jüdische und christliche Lesarten der Psalmen

Teil II

Das Neue Testament

Kapitel 6

Christliche Anfänge

Der historische Kontext

Hellenismus

Josephus

Philon von Alexandria

Sprache

Sekten und Parteien

Christliche Schriften: Drei Stufen

Kapitel 7 

Briefe

Paulus und die Auferstehung

Jesus als Sohn Gottes bei Paulus

Kirchenordnung

Paulus und die Apostelgeschichte

Paulus und die Rechtfertigung durch den Glauben

Verfasserschaft

Kapitel 8 

Evangelien

Die synoptischen Evangelien

Das synoptische Problem

Wann, wo und für wen wurden die Evangelien geschrieben?

Das Johannesevangelium

Ziel und Zweck der Evangelien

Vier Evangelien

Teil III

Die Bibel und ihre Texte

Kapitel 9 

Von den Büchern zur Heiligen Schrift

Die Verständigung über den Inhalt der hebräischen Heiligen Schrift

»Macht die Hände unrein«

Die frühen Stadien in der Entstehung der Hebräischen Bibel

Die Heilige Schrift und der Kanon: die Apokryphen

Die jüdische und die christliche Vorstellung von der Bibel

Kanonische und nichtkanonische Bücher?

Kapitel 10 

Die Christen und ihre Bücher

Irenäus und das Neue Testament als geschichtliches Dokument

Schriftrollen und Kodizes

Das Neue Testament als Heilige Schrift

(1) Das Argument der erfüllten Prophezeiungen

(2) Dasselbe Argument,

umgekehrt

geltend gemacht

(3) Der göttliche Plan im Alten und im Neuen Testament

Das Alte Testament als christliches Buch

Harmonisierung

Nomina sacra

Das Neue Testament im 2. Jahrhundert

Kapitel 11 

Offizielle und inoffizielle Texte

Den Kanon festlegen

Die ausgeschlossenen Bücher

Die apostolischen Väter

Andere nichtkanonische Texte

Kapitel 12 

Biblische Handschriften

Das Neue Testament

Beispiel 1: die beim Ehebruch ertappte Frau

Beispiel 2: Scheidung und Wiederheirat

Die Hebräische Bibel

Textvarianten und der originäre Text

Teil IV

Der Sinn der Bibel

Kapitel 13 

Das Thema der Bibel

Christliche Bibellektüre

Jüdische Interpretationen der Bibel

Jüdische und die christliche Interpretation des Alten Testaments

Die Interpretation der Hebräischen Bibel im Judentum

Alt und neu

Das Neue Testament lesen

Die Suche nach einem Thema der Bibel

Kapitel 14 

Rabbis und Kirchenväter

Rabbinische Interpretationsprinzipien

Christliche Interpretationsmodi

Origenes als Bibelforscher

Die Schule von Antiochia

Bibelinterpretation im Westen

Der Interpretationsansatz der Kirchenväter

Kapitel 15 

Das Mittelalter

Die Bibel als Buch

Die Bibel interpretieren: christliche Ansätze

Kommentare und die Glosse

Der jüdische Kommentar

Die Bibel in Ost und West

Kapitel 16 

Die Bibelinterpretationen der Reformation

Antizipationen der Reformation

Luthers Reformation

Die Reformierte Tradition

Sola scriptura

Bibeln

Kapitel 17

Seit der Aufklärung

Spinoza

Nach Spinoza

Semler

Reimarus und Strauß

Vatke, Wellhausen und Baur

Die Bibel und die Naturwissenschaft

Moderne Bibelforschung

Kapitel 18 

Die Bibel übersetzen

Griechische Übersetzungen der Hebräischen Bibel

Aramäische Übersetzungen

Lateinische Übersetzungen

Andere Übersetzungen

Übersetzungen der Reformationszeit

Moderne Übersetzungen

Überarbeitungen älterer Versionen

Neue Übersetzungen

Imitative Übersetzungen

Einige strittige Punkte

An- und Bemerkungen

Tendenziöse Übersetzungen

Stil

Der Einfluss früherer Versionen

Schluss

Die Bibel und der Glaube

Der Glaube und die Bibel

Biblische Genres

Pseudepigraphie

Zwei Testamente?

Inspiration

Der Text und seine Auslegung

Heilige Schrift und Überlieferung

Die Unentbehrlichkeit der Bibel

Anhang

Dank

Bibliographie

Anmerkungen

Einführung Die Bibel heute

Kapitel 1 Das alte Israel: Geschichte und Sprache

Kapitel 2 Hebräische Erzählungen

Kapitel 3 Gesetz und Weisheit

Kapitel 4 Prophezeiungen

Kapitel 5 Gedichte und Psalmen

Kapitel 6 Christliche Anfänge

Kapitel 7 Briefe

Kapitel 8 Evangelien

Kapitel 9 Von den Büchern zur Heiligen Schrift

Kapitel 10 Die Christen und ihre Bücher

Kapitel 11 Offizielle und inoffizielle Texte

Kapitel 12 Biblische Handschriften

Kapitel 13 Das Thema der Bibel

Kapitel 14 Rabbis und Kirchenväter

Kapitel 15 Das Mittelalter

Kapitel 16 Die Bibelinterpretationen der Reformation

Kapitel 17 Seit der Aufklärung

Kapitel 18 Die Bibel übersetzen

Schluss Die Bibel und der Glaube

Abbildungsverzeichnis

Karten

Altes Testament

Neues Testament

Orte, Personen- und Sachregister

Für Katie

Einführung

Die Bibel(1) heute

Der kanadische Literaturkritiker Northrop Frye(1) (1912–1991) hat uns neben vielem anderen diesen Denkanstoß hinterlassen: »Die Bibel(2) ist offensichtlich ein wichtiges Element unserer eigenen(1) dichterischen Tradition(1), ganz gleich, was wir von diesem Buch halten oder glauben. Das wirft hartnäckig die Frage auf: Warum liegt da dieses enorme, wuchernde, taktlose Buch so unergründlich inmitten unseres kulturellen Erbes … und vereitelt alle unsere Bemühungen, es zu umgehen?«[1] In einem säkularen Zeitalter(1) mag das große Interesse an der Bibel manchen überraschen, wie die Feierlichkeiten zum 400. Geburtstag (1)der King-James-Bibel, auch bekannt als Autorisierte Version, 2001 deutlich gezeigt haben; von Gott(1) inspiriert, sie schreiben ihr eine hohe Autorität in Glaubensdingen(1) zu. Für Nichtgläubige ist sie ein zentrales Dokument der westlichen Kultur(1): Noch immer interessiert sie viele Leser als eine Sammlung(1) bedeutender literarischer Werke(2). Die Geschichte dieser Werke, ihrer Verbreitung und Auslegung(1) ist ein Kernstück der westlichen Literaturgeschichte.

In diesem Buch erzähle ich die Geschichte der Bibel(3) von ihren ersten Anfängen in Volkssagen(3) und Mythen bis zu ihrer Rezeption und Auslegung(2) heute. Ich beschreibe die Entstehung, Weitergabe und Verbreitung der Bibel und zeige, wie sie von der Antike(1) bis zur Gegenwart gelesen und genutzt wurde und wird, sowohl in ihren Ursprungssprachen(1) wie auch in Übersetzungen(1). Unter anderem soll es, wie ich hoffe, mit der Vorstellung von der Bibel als einem heiligen Monolithen zwischen zwei schwarzledernen Buchdeckeln aufräumen, dazu beitragen, dass sie wieder als das Resultat eines langen und faszinierenden Prozesses wahrgenommen wird, und die außergewöhnliche Vielfalt(1) der Möglichkeiten, sie im Laufe der Jahrhunderte immer wieder neu zu lesen, illustrieren. Im Mittelpunkt aber steht die Schwierigkeit, von der Bibel zum religiösen Glauben zu gelangen: Weder über das Judentum(1) noch über das Christentum(1) lässt sich aus der Bibel etwas herauslesen, obwohl (1)beide Religionen biblische Bücher(2) als ihr Fundament beanspruchen. Tatsächlich beinhaltet die Bibel viele Elemente, die für den jüdischen wie den christlichen Glauben problematisch sind. Dazu gehören nicht nur allgemein bekannte moralisch fragwürdige Ereignisse, wie etwa die Vernichtung(1) unschuldiger Menschen durch Gott(1) in den Geschichten über die israelitische Eroberung(1) des Gelobten Landes(1), sondern auch die Vielfalt(2) der Genres (Erzählung, Prophezeiung(1), Dichtung), die dogmatischen Definitionen oft nicht gerade dienlich ist, und die Einbettung in antike Kulturen(1), die häufig ganz anders funktionierten als unsere Gesellschaften heute. Gleichzeitig möchte ich zeigen, dass die Bibel eine wichtige Quelle(1) religiöser Einsichten ist, wenn man sie in ihrem ursprünglichen Kontext und vor dem Hintergrund der Bedingungen liest, die zu ihrer Entstehungszeit herrschten.

Die Geschichte wird notwendigerweise eine ganze Menge (2)Vor-Geschichte enthalten. Ich erkläre, wie biblische Bücher(3) zusammengestellt wurden, denn kaum eines ist das Werk eines einzigen Autors: Die meisten sind aus vielen verschiedenen Vorlagen zusammengesetzt, einige hängen sogar von anderen ab, sodass ältere Bücher in einem Rezeptionsprozess in jüngeren fortgeführt werden. Die Bibel(4) ist damit in sich schon ein verschriftlichter Dialog unter Autoren(1) und Vermittlern von Überlieferungen und enthält in vielen ihrer Bücher Kommentare(1) zu vielen anderen Büchern. Auf der höchsten Ebene kommentiert das Neue Testament(1) häufig das Alte Testament(1), das in der (1)Welt, in die das Neue Testament(1) eintrat, fast in seiner Gänze schon als »Heilige Schrift«(1) galt. (Ich werde die Bedeutungen dieses so trügerisch vertrauten Begriffs erklären.) Die Frage, inwieweit das Alte Testament(1) für Christen(2) maßgeblich bleibt – und wie es neben den neuen Ideen zu lesen ist, die (1)Jesus, Paulus(1) und andere eingebracht haben, wenn man es weiterhin als maßgeblich betrachtet –, zählte und zählt noch heute zu den großen Themen in der christlichen Theologie(1). Das Neue Testament(2) spricht in 2. Timotheus 3,16(1)(1) vom Alten Testament(2) als »von Gott(2) eingegeben(1)«, und die Christen haben diese Vorstellung auch auf die Bücher des Neuen Testaments(3) übertragen. Es ist allerdings nicht klar, wie dies die tatsächliche Funktion(3) der Bibel beeinflusst – oder die Autorität, die sie über Glaubende ausübt. Wenn man die Bibel als von Gott eingegeben(2) bezeichnet, sagt man damit implizit, dass Gott bei ihrer Entstehung(2) die Hand im Spiel hatte, doch wie dies in der Praxis ausgesehen haben soll, wird selten definiert.

Ein weiteres Ziel besteht darin, den gegenwärtigen Stand der Bibelwissenschaft(1) zusammenzufassen. Man hat die Bibel(5) in der Moderne überaus gründlich gelesen und geprüft, und es gibt ein ganzes Meer von Theorien über ihre Ursprünge, ihre Bedeutung und ihren Stellenwert(4), in dem ein allgemein interessierter Leser(1) nur allzu leicht ertrinken kann. Ich möchte den gegenwärtigen Konsens beschreiben, zeigen, in welchen Punkten es Einvernehmen gibt, bei umstrittenen Themen sinnvolle Optionen diskutieren und die Felder aufzeigen, in denen wir uns vielleicht noch weiter bemühen müssen.

Neben diesen beschreibenden Aufgaben stellt dieses Buch auch eine These auf: dass nämlich die Bibel(6) nicht direkt einen religiösen Glauben(1) und seine Praxis abbildet, weder den jüdischen noch den christlichen. Meiner Ansicht nach ist die Bibel – als eine (4)Sammlung religiöser Texte gesehen – zwar aus vielen Gründen unersetzlich, doch das Christentum(3) ist im Kern keine Schriftreligion, die sich auf ein Buch als einziges, heiliges Werk konzentriert. Ähnlich huldigt das Judentum(2) zwar der Hebräischen(1) Bibel(1), ist aber nicht so stark auf dieses Buch ausgerichtet, wie man weithin glaubt. Der Islam(1) ist vielleicht der Idealtyp einer Buchreligion(2), und verglichen mit ihm stehen Judentum(3) und Christentum(4) in einer beträchtlichen Entfernung von ihrem zentralen heiligen Text. Die Bibel ist ganz und gar kein Glaubensbekenntnis(1) oder eine Bekenntnisschrift(1) wie die großen protestantischen »Konfessionen(1)«– das Augsburger Bekenntnis(2) für die Lutheraner(1) oder das Bekenntnis von Westminster(1) für einige Reformierte. Sie ist eine bunte (5)Sammlung von Materialien, von denen sich nur wenige direkt mit der Frage beschäftigen, was man glauben soll. Die Geschichte der Bibel(5) ist daher die Geschichte des(2)Zusammenspiels von Religion und Buch(1) – deckungsgleich sind beide jedoch nicht.

Es gibt Spielarten des Christentums(5), die sich schlicht als »biblisch« bezeichnen lassen (im Judentum(4) gibt es diese nicht), doch tatsächlich sind die Strukturen und der Inhalt des christlichen Glaubens(2) selbst unter Christen(6), die davon ausgehen, dass ihr Glaube(3) ganz und gar in der Bibel(7) gründe, anders organisiert und artikuliert als die Inhalte der Bibel(1). Am deutlichsten kann man dies beim christlichen Fundamentalismus sehen, wobei seine Anhänger die Bibel als heilig anbeten und sie dennoch weithin missverstehen.[2] Fundamentalisten(1) verehren eine Bibel, die es eigentlich gar nicht gibt, einen vollkommenen Text, der alles widerspiegelt, was sie glauben. Die Lektüre der hier folgenden Beschreibung der Bibel (mit allen Schönheitsfehlern) wird notwendigerweise eine verstörende für all jene sein, die dieses Buch idealisieren. Ich werde zeigen, dass es nicht das ganze Fundament des Judentums(5) oder des Christentums(7) ist und sein kann. Daher werde ich auch für die moderne kritische Bibelwissenschaft(2) eintreten, deren Vertreter sich ohne die Grundannahme, dass alles, was in der Bibel geschrieben steht, als verbindlich wahr betrachtet werden müsse, mit diesen Texten beschäftigen.[3]

Tatsächlich aber gibt es keine Spielart des Christentums(8) oder des Judentums(6), die Punkt für Punkt mit den Inhalten der Bibel(8) korrespondieren würde, und die Bibel ist oft nicht das, was die Menschen aus ihr gemacht und aus ihr herausgelesen haben. Im Christentum zum Beispiel gibt es absolut zentrale Dogmen(1), etwa die Dreifaltigkeitslehre, die im Neuen Testament(4) fast völlig fehlen; umgekehrt gibt es im Neuen Testament zentrale Vorstellungen wie Paulus(2)’ Theorie von der »Erlösung(1) aus Gnade(1) durch den Glauben(4)«, die wenigstens bis zur Reformation(1) nie Teil der offiziellen Rechtgläubigkeit(1) waren und sich selbst heute nicht in den Glaubensbekenntnissen(2) finden. Ähnlich geht die Ausgestaltung religiöser Bräuche und Traditionen im orthodoxen Judentum(1) weit über alles hinaus, was die Hebräische Bibel(2) selbst fordert: So wird zum Beispiel das Verbot, Fleisch und Milchprodukte in derselben Mahlzeit zu sich zu nehmen, mit allem, was daraus für die Einrichtung der Küchen folgt, damit beides nicht womöglich zufällig miteinander in Berührung kommt, auf Exodus(1) 23,19(1) zurückgeführt (»das Junge(1) einer Ziege sollst du nicht in der Milch(1) seiner Mutter kochen«), übersteigt aber alles, was der Text selbst fordert.1 Das wird auch im Judentum allgemein anerkannt.

Die Bibel(10) ist für das Judentum(7) wie für das Christentum(9) von zentraler Bedeutung, aber sie ist kein heiliger Text, aus dem sich irgendwie ganze religiöse Systeme herauslesen lassen. Ihre Inhalte beleuchten die Ursprünge von Christentum und Judentum und liefern spirituelle Klassiker, auf die Zugehörige beider Religionen(3) zurückgreifen können; aber sie engen nachfolgende Generationen nicht so ein, wie eine geschriebene Verfassung dies tun würde. Ihre Bücher entsprechen dieser Textsorte schlichtweg nicht. Sie sind eine Fundgrube von Schriften, die die beiden Religionen(4) in verschiedenen Stufen ihrer Entwicklung formten, die aber auch durch sie geformt wurden, eine Fundgrube, auf die spätere Generationen von Gläubigen reagieren müssen – positiv, aber auch kritisch. Einem solchen Dokument religiöse Autorität zuzuschreiben, dehnt das Wort »Autorität« bis an seine Grenzen und kann nur Bestand haben, wenn man besondere Ansätze entwickelt, dieses Buch zu deuten, die sich von der Art, wie man andere Bücher interpretiert, unterscheiden.

Ein heiliger Text aus einer Mischung vieler Genres – vor allem Erzählungen(1), Aphorismen(1), Gedichte(1) und Briefe(1) – gibt dem Christentum(10) eine enorme Komplexität(3). Der Katholizismus hat andere Autoritätsquellen neben der Bibel(11) ausgemacht, der Bibel aber immer eine gewisse »End-Gültigkeit« zugewiesen; Protestanten(1) haben Theorien entwickelt, denen zufolge alles, was für die Religion(5) wichtig ist, irgendwie in der Bibel präsent ist, und manche sind sogar dafür eingetreten, dass nichts getan oder geglaubt werden darf, was in der Bibel nicht ausdrücklich gebilligt wird. Nach meiner Überzeugung ist das ein Missbrauch dieser Texte, die für den christlichen Glauben(5) überaus wichtig sind, aber einfach nicht über das Gewicht verfügen, das man ihnen manchmal beimisst. Juden(8) haben einen subtileren Zugang zur Bibel: Sie verehren sie ebenso, wie viele Christen(11) es tun, aber sie behaupten nicht, dass alles, was in der Religion(6) tatsächlich praktiziert wird, aus der Bibel abgeleitet ist, und erkennen Entwicklungen in neue Richtungen an. Das Judentum(9) hat damit ein heiliges Buch und eine Reihe religiöser Glaubensüberzeugungen und Praktiken, doch man weiß, dass beide nicht genau übereinstimmen, obwohl sie als kongruent wahrgenommen werden. Das ist vielleicht ein besseres Modell, um auch das Christentum zu verstehen, als die gängige protestantische Auffassung von direkt aus der Bibel abgeleiteten Dogmen(2) und Glaubenspraktiken. Weil dieser Ansatz eine Differenzierung zwischen der Bibel und der Religion(7) zulässt, eröffnet er die Möglichkeit, die Bibel aus sich selbst heraus sprechen zu lassen. Der Glaube(6) kann sich seinerseits entwickeln, ohne völlig von ihr eingeengt zu sein. Die Beziehung zwischen beiden muss immer wieder neu ausgehandelt werden.

Die Bibel(12) als kulturprägendes Werk

Die Bibel(13) ist in der modernen Welt(2) in zweierlei Hinsicht präsent. Zunächst einmal hat sie Bestand in den westlichen Gesellschaften als ein Überbleibsel, ein Geist an den Rändern der Volks- wie der Schriftkultur, in Bruchstücken bekannt als Lieferant von Zitaten und Anspielungen. Journalisten können zudem noch davon ausgehen, dass ihre Leser die Bedeutung eines »Kampfes(1) zwischen David(1) und Goliat(1)« kennen oder Verweise auf das Geld als die Wurzel(1) allen Übels verstehen – auch wenn sie vielleicht nicht wissen, woher die Anspielungen stammen. Viele Menschen kennen zum Beispiel die folgenden Zitate (meist in der Fassung der Lutherbibel(1)):

Soll ich meines Bruders Hüter sein? (Genesis 4,9(1))

Der Mensch lebt nicht von Brot(2) allein (Deuteronomium 8,3(1))

Unser Leben(1) währet siebzig Jahre(1), und wenn’s hoch kommt, so sind’s achtzig Jahre(2) (Psalm(1) 90,10(1))

Wer die Gefahr liebt, kommt darin um (Jesus Sirach(1)(1) 3,26)

Sie säen Wind(1) und werden Sturm(1) ernten (1)(Hosea 8,7(1))

Ihr seid das Salz der Erde(1) (Matthäus(1)(1) 5,13)

Perlen(1) vor die Säue werfen (Matthäus(1)(2) 7,6)

Die Ersten werden die Letzten sein (Matthäus(1)(3) 19,30)

Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist (Markus(1)(1) 12,17)

Sie hatten keinen Raum(1) in der Herberge (Lukas(1)(1) 2,7)

Allerdings können sie wohl kaum die genaue Quelle(1) angeben und wissen noch seltener, welche Rolle die Stellen in den verschiedenen Büchern, aus denen sie stammen, spielen. Es gibt noch eine gewisse biblische Bildung, wie es manchmal heißt, und die Werbebranche (unter anderem) greift gern darauf zurück. Denken Sie zum Beispiel daran, wie häufig das Bild von Eva(1) in der Werbung auftaucht und wie schnell die Konsumenten offenbar die visuellen und verbalen Anspielungen auf Äpfel, Schlangen und Bäume verstehen.[4]

Die Bibel(14) ist in der Populärkultur nicht obsolet, wie Säkularisten vielleicht vorausgesagt haben mögen. Allein die Oxford University Press verkauft jedes Jahr eine Viertelmillion Bibeln in der King-James(2)-Fassung, und das Lutherjahr 2017 zusammen mit der neuen Lutherbibel(2) aus demselben Jahr und der überarbeiteten Fassung der Einheitsübersetzung(15) von 2016 haben gezeigt, wie wichtig sie als kultureller Bezugspunkt für viele Gebildete noch immer ist, wenn auch eher in stilistischer als in inhaltlicher Hinsicht (siehe ebenfalls Kapitel 18). Die Verkaufszahlen sind noch immer beeindruckend hoch. Die neue Lutherbibel etwa fand 2017 und 2018 insgesamt fast 850 000 Käufer.[5] Noch verblüffender ist, wie oft Atheisten(1) die Bibel loben, selbst wenn sie sich von ihren religiösen Ansprüchen lossagen: Richard Dawkins würdigt ihren kulturellen Wert und nimmt Bibelwissenschaftler(3) sogar von seiner scharfen Kritik der Theologie(2) aus.[6] Philip Pullman propagiert die Behandlung biblischer Geschichten und Gleichnisse(1) im Unterricht, wenn auch an der Seite von Volkssagen(4) und Mythen.[7] Pullmans eigenes mythologisches System in der Trilogie His Dark Materials[8] ist in gewisser Hinsicht eine bewusst antichristliche Umarbeitung der Geschichte von Adam(1) und Eva(1)(2), in der die Aneignung von Selbsterkenntnis und Wissen(1) um die eigene Sexualität anders als von manchen christlichen Deutern der Schöpfungsgeschichte(1) positiv gesehen wird.

Große kulturelle Bedeutung hat die Bibel(16) noch immer in den USA, heute eine weit größere als in Europa(1). Eine starke evangelikale Tradition(3) in vielen Gebieten Amerikas hat dafür gesorgt, dass sie selbst im Leben(2) nichtreligiöser Menschen eine wichtige Rolle spielt und Politiker(1) möglichst davon absehen, die Bibel zu kritisieren oder zu ignorieren. Das heißt nicht unbedingt, dass die Menschen besonders viel die Bibel lesen: Die Bibel ist eher eine Ikone als ein Studienobjekt.[9] Mehrere Staaten haben hin und wieder ein »Jahr der Bibel« ausgerufen – Pennsylvania zum Beispiel im Jahr 2012.[10] Trotz der theoretischen Trennung von Kirche und Staat in den USA ist die Bibel als ein Symbol des im Wesentlichen christlichen Fundaments des nationalen Lebens weithin öffentlich präsent. In Großbritannien(1), wo die Bindung an die Bibel weniger stark ist, übernimmt sie noch immer die Funktion eines sakralen Objektes – viele Menschen sind zum Beispiel noch immer bereit, vor Gericht einen Eid »auf die Bibel« abzulegen. »Brautbibeln(2)« gibt es extra mit weißem Lederumschlag zu kaufen. Die Bibel bleibt in den meisten europäischen Ländern ein Bestseller, obwohl sich bei schwindender Anziehungskraft des Christentums(12) nur noch eine Minderheit tiefgehender mit diesem Buch beschäftigt.

Die Bibel(17) in den Glaubensgemeinschaften(1)

Auf eine zweite Art ist die Bibel(18) in den Glaubensgemeinschaften(2) des Christentums und des Judentums(10) präsent, und hier bewahrt sie ihre zentrale Bedeutung. In den vergangenen Jahrzehnten hat es im Judentum(11) ein wachsendes Interesse an der Bibel gegeben, das zu einer neuen Übersetzung(2) ins Englische(1), der Tanach-Übersetzung(3) der Jewish Publication Society(1) (1985 und 1999), und der großen, beeindruckenden Jewish Study Bible(1) führte.[11] (Orthodoxe Juden(2) befassen sich oft eher mit dem Talmud(1) als mit der Bibel, trotz des Ansehens, das die Bibel natürlich im Judentum genießt.)

Auch in der christlichen Glaubenspraxis(1) hat die Bibel(19) in den vergangenen sechzig Jahren an Bedeutung gewonnen. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil(1), 1962 von Papst Johannes XXIII.(1) feierlich eröffnet, um die Kirche zu reformieren und zu erneuern, sind die Katholiken(1) aufgefordert, die Bibel zu studieren, und das hat zu neuen(4) römisch-katholischen Übersetzungen in den meisten europäischen Sprachen(1) und zu einem verbreiteten Einsatz biblischer Studienmaterialien (Kommentare(2) und Anleitungen(3) zum Lesen der Bibel) geführt – eine in dieser Größenordnung neue Entwicklung im Katholizismus. Aus den Konzilsakten(1) geht Folgendes über die Bibel hervor:

Da also alles, was die inspirierten Verfasser(2) oder Hagiographen(1) aussagen, als vom Heiligen Geist ausgesagt zu gelten hat, ist von den Büchern der Schrift(1) zu bekennen, dass sie sicher, getreu und ohne Irrtum(7) die Wahrheit(1) lehren, die Gott(3) um unseres Heiles willen in heiligen Schriften(1) aufgezeichnet haben wollte. Daher »ist jede Schrift, von Gott eingegeben(3), auch nützlich zur Belehrung, zur Beweisführung, zur Zurechtweisung, zur Erziehung(1) in der Gerechtigkeit(1), damit der Gott gehörige Mensch bereit sei, wohlgerüstet zu jedem guten Werk« (2. Timotheus(1)(2) 3,16f. griech.).

Da Gott(4) in der Heiligen Schrift(2) durch Menschen nach Menschenart gesprochen hat, muss der Schrifterklärer, um zu erfassen, was Gott uns mitteilen wollte, sorgfältig erforschen, was die heiligen Schriftsteller wirklich zu sagen beabsichtigten und was Gott mit ihren Worten kundtun wollte.[12]

Das 20. Jahrhundert erlebte auch ein Wachstum protestantischer Kirchen(2), die sich ausdrücklich auf die Heilige Schrift(3) konzentrierten, vor allem die verschiedenen Strömungen der Pfingstkirchen(2) im »alten« Westen(1) sowie besonders in Lateinamerika(1), Südkorea(1) und Afrika(1). Viele dieser Kirchen(3) können in ihrer Haltung zur Bibel(20) als konservativ (ja sogar als fundamentalistisch) beschrieben werden: Sie bestehen auf deren absoluter Wahrheit(2) und behaupten, Gott(5) habe jedes Wort des Textes inspiriert – nicht notwendigerweise durch wörtliches Diktat, aber sicher durch die Beeinflussung des Denkens der Autoren(3), sodass sie genau jenes Werk hervorbrachten, das die Kirche Gottes Willen nach bekommen sollte. Das liberale Bibelstudium, wie sie es nennen – eine Beschäftigung mit der Bibel, die zu einer kritischen Haltung gegenüber der Heiligen Schrift(4) auffordert –, erscheint ihnen nicht fruchtbar und wenig anregend, ja sogar glaubenslos und zutiefst unchristlich.

In Großbritannien(2) und Nordamerika(1) wachsen eher jene Kirchen(4), die einen solchen konservativen Zugang zur Heiligen Schrift(5) propagieren. Sie glauben, dass man die Gesamtheit des christlichen Glaubens(8) aus der Bibel(21) als der einzigen Quelle(2) von Wahrheit(3) und Inspiration(3) ableiten könne. Daraus ergeben sich wenigsten fünf Prinzipien für das Lesen(1) der Bibel, die auch liberalere Christen(13) oft befürworten, wenn auch in einer verwässerten Fassung.

Erstens, so wird behauptet, sollten wir die Bibel(22) in der Erwartung lesen, dass das, was wir dort finden, wahr sei. Einige Christen(14) verstehen darunter eine buchstäbliche und historische Wahrheit(4), sodass alles, was der Bibeltext(1) besagt, sachlich richtig sein muss. Doch selbst viele, die dem nicht zustimmen, sind der Ansicht, dass die Bibel als wahr, nicht als falsch zu lesen sei. Die Wahrheit(5), die sie enthält, mag manchmal eher poetischer oder symbolischer als faktischer Natur(1) sein, und dies gilt besonders für die liberaleren Christen, doch es ist keine Option anzunehmen, dass irgendetwas in der Bibel Ausdruck eines Irrtums sei. Selbst wenn der Verfasser(4) der ersten Kapitel des Buches Genesis(1) (1. Mose) die Zeit, die Gott(6) brauchte, um das Universum zu schaffen, nicht richtig benennt, so ist die Aussage, er habe sich hier einfach geirrt, doch nicht hinnehmbar: Es muss eine Ebene geben, auf der das, was er schrieb, wahr ist. Die Junge(2)-Erde(1)-Kreationisten(1) etwa legen großen Wert auf die Wahrheit(6) der Chronologie(1) des Alten Testaments(3), der zufolge die Schöpfung(2) vor nur etwa 6000 Jahren stattfand. Daraus ist vor allem in den USA das Phänomen biblischer Freizeitparks entstanden, in denen Adam und Eva(2) zwischen Dinosauriern herumspazieren: Das Creation Museum in Petersburg, Kentucky(1), ist ein gutes Beispiel dafür.[13]

Zweitens muss die Heilige Schrift(6) als relevant gelesen werden. Selbst dort, wo Paulus(3) ein Thema behandelt, das in der frühen Kirche(1) auftauchte, aber heute nicht mehr in derselben Form eine Rolle spielt (zum Beispiel die Frage, ob Christen(15) Fleisch essen dürfen, das den falschen Göttern(1) geopfert worden ist, wie in Römer 14(1)(1) oder 1. Korinther 8 und 10(1)(1)), heißt dies nicht, dass der fragliche Text uns nichts zu sagen hätte. Unsere Aufgabe als Leser der Schrift ist es zu erkennen, was Gott(7) uns durch die Aufnahme solcher Abschnitte in die Bibel(23) sagt. Weil die Bibel kanonisch(1), also maßgeblich ist, gibt es in ihr keine Abschnitte, die einst relevant waren, es aber nicht mehr sind: Alles, was geschrieben steht, ist zu unserer Belehrung da:

Denn alles, was einst geschrieben worden ist, ist zu unserer Belehrung geschrieben, damit wir durch Geduld(1) und durch den Trost der Schriften Hoffnung(1) haben. (Römer 15,4(1)(2))

Das aber geschah an ihnen, damit es uns als Beispiel dient; uns zur Warnung(1) wurde es aufgeschrieben, uns, die das Ende der Zeiten erreicht hat. (1. Korinther 10,11(1))

Bei einem rätselhaften oder schwierigen Text besteht daher nicht die Option, einfach zu erklären, dieser Text hätte uns heute nichts mehr zu sagen. Die Tatsache, dass er in die Heilige Schrift(7) Aufnahme gefunden hat, bedeutet, dass er für den christlichen Gläubigen auf ewig relevant ist.

Das Prinzip der Relevanz ist offenbar der Idee der Heiligen Schrift(8) in den meisten, wenn nicht sogar allen Religionen(8), die ein heiliges Buch haben, inhärent.[14] Die frühen Christen(16) glaubten an eine noch konkretere Relevanz der Heiligen Schrift(9): Die Schriften(1) des Alten Testaments(4) sagten ihr eigenes Leben(3) voraus. Es waren tatsächlich sie, »die das Ende der Zeiten erreicht hat«. Gott(8) hatte die Verfasser(5) der Bibel(24) inspiriert, zukünftige Ereignisse zu weissagen. Viele konservative Christen(17) glauben dies noch heute; sie glauben, dass Bibeltexte(2) sich auf die gegenwärtige Weltordnung beziehen, die deren Autoren(6) (oder Gott, der durch sie spricht) in allen Einzelheiten voraussahen.

Besonders deutlich wird dies am Phänomen des »christlichen Zionismus«: Evangelikale Christen(18) unterstützen den Staat Israel, weil die Rückkehr(1) der Juden(12) ins Heilige Land(1) eine Vorstufe der Endzeit(1) ist, wie sie in der Bibel(25) prophezeit wird. (Gleichzeitig versuchen sie oft, Juden zum Christentum(19) zu bekehren, ein Sachverhalt, den Juden, die die christliche Unterstützung Israels(1) durchaus begrüßen, oft nicht verstehen.)[15] Die Ereignisse werden mit der »Entrückung(1)« beginnen: Die wahren Gläubigen werden während der Bedrängnisse, die über die Erde(2) kommen werden, bevor Jesus(2) wieder seine Herrschaft(1) antritt, von der Erde zu Jesus(3) emporgehoben (zusammen mit den auferstandenen »gerechten« Toten). Grundlage dafür ist 1. Thessalonicher 4,17(1)(1):

Dann werden wir, die Lebenden, die noch übrig sind, zugleich mit ihnen [den Toten] auf den Wolken(1) in die Luft entrückt zur Begegnung mit dem Herrn.[16]

Viele »Prophezeiungsromane« sind auf dem Markt, deren Autoren(7) sich mit diesen Themen beschäftigen. Die berühmtesten und einflussreichsten sind die inzwischen sechzehn Bände der Reihe »Finale – Die letzten Tage(1) der Erde(3)«.[17] Im ersten Roman(1), der den schlichten Titel Finale trägt, findet die Entrückung(2) weltweit in einem einzigen Augenblick statt. Flugzeuge fallen vom Himmel, weil ihre Piloten »entrückt« werden, Autos fahren ineinander, und es herrscht gewaltiges Leid, aber es gibt auch Menschen, die erkennen, was da passiert, und sich zum christlichen Glauben(9) bekehren. Der Plot ist verknüpft mit anderen Themen des modernen amerikanischen Denkens: die Bedrohung durch Russland, die Ablehnung globaler Organisationen wie der Vereinten Nationen, die Notwendigkeit, die amerikanische Kultur(2) rein und unverdorben zu erhalten, geschützt vor dämonischen Einflüssen, wie etwa der Europäischen Union. Natürlich glauben längst nicht alle christlichen Amerikaner, die Israel(2) unterstützen, an dieses Szenario, aber doch ein beträchtlicher Anteil. Der Prämillenarismus, wie der technische Begriff für dieses Gedankensystem lautet, ist eine weitverbreitete evangelikale Strömung im anglophonen Christentum(20).

Liberalere Christen(21) begreifen die Relevanz der Bibel(26) eher als ewig andauernd – es geht darum, dass sie in jedem Zeitalter(2) wichtige Dinge zu sagen hat, nicht darum, dass sie die genauen Umstände der heutigen Zeit voraussagt. Sehr viele Christen besuchen Bibelgruppen, in denen die Teilnehmer aufmerksam die Bibel lesen und zu entdecken versuchen, was Gott(9) ihnen durch den jeweiligen Abschnitt vermitteln will. »Nichts« ist dabei keine akzeptable Antwort.

Drittens ist alles in der Bibel(27)wichtig und tiefsinnig. Trivialität gehört nicht zur Heiligen Schrift(10); sie vermittelt nichts, das man als oberflächlich oder unbedeutend verstehen sollte – und knüpft gewissermaßen an den vorherigen Punkt, die Relevanz, an. Die Bibel ist ein Buch göttlicher Weisheit(1), und sie enthält keine unwichtigen Texte. Das kann Probleme bereiten, weil wahrscheinlich viele Menschen das Gefühl haben, dass manche Teile der Bibel wichtiger sind als andere. Die meisten Protestanten(3) schätzen den Römerbrief(3) höher als den(1) 2. Johannes- oder den Judasbrief(1), zumal der Römerbrief mit seiner Lehre der »Rechtfertigung(1) durch den Glauben(10)« einen Ausgangspunkt der Reformation(2) im 16. Jahrhundert bildete (siehe Kapitel 16).

Streng genommen jedoch wird ein konservativer Bibelleser darauf bestehen, dass es keine Hierarchie innerhalb der Heiligen Schrift(11) gibt: Alles ist von Gott(10) inspiriert, und deshalb ist alles wichtig. Lutheraner(2) sprechen manchmal vom »Kanon(2) im Kanon«, einem zentralen Kern wirklich wichtiger Texte im Halbschatten von nicht ganz so wichtigen. Doch die meisten anderen Protestanten(4) haben wie auch die Katholiken(2) dieses Denken nicht übernommen.

Viertens ist die Heilige Schrift(12) in sich widerspruchsfrei. Der christliche Leser darf, so glaubt man, nicht einen Teil der Bibel(28) gegen einen anderen ausspielen. Wenn es so aussieht, als gebe es Widersprüche zwischen zwei Texten, ist sorgfältigeres Lesen(2) nötig, um zu zeigen, dass sie tatsächlich in sich stimmig sind. Ein klassischer Fall wäre die scheinbare Uneinigkeit zwischen Paulus(4) und Jakobus(1) in der Frage der guten Werke im Neuen Testament(5). Auf den ersten Blick scheint Paulus zu bestreiten, dass Menschen sich durch gute Werke rechtfertigen können (siehe Römer 3,21–4,12(1)(4)), während Jakobus(2) bekräftigt, gute Werke seien eine grundlegende Voraussetzung – ja, »Glaube(11)« sei ohne gute Werke leer und falsch (siehe Jakobus(1)(1) 2,14). Christen(22) hielten diesen Unterschied für unüberbrückbar: Martin Luther(1) (1483–1546) schlug vor, Jakobus(3) aus dem Kern der Bibel herauszunehmen, weil er Paulus widerspreche.

Doch für konservative Christen(23) existiert diese Möglichkeit nicht. Sie tun alles, um zu zeigen, dass Paulus(5) und Jakobus(4) nicht wirklich im Gegensatz zueinander stehen; sie setzen unterschiedliche Schwerpunkte, sind aber letztlich doch miteinander verträglich. Die Widerspruchsfreiheit der Heiligen Schrift(13) ist gewissermaßen schon impliziert, wenn man die Bibel(29) als wahr begreift, weil zwei Botschaften, die miteinander nicht vereinbar sind, nicht beide wahr sein können. Weil in der Heiligen Schrift(14) so mit einer einzigen Stimme(1) gesprochen wird, können unklare Abschnitte immer durch transparentere erhellt werden.

Die Widerspruchsfreiheit der Heiligen Schrift(15) scheint ein Merkmal aller Religionen(9) mit einem heiligen Text zu sein.[18] Im Judentum(13) hängt man oft der Annahme an, die Bibel(30) sei in sich stimmig, und es gibt verschiedene Diskussionen in der rabbinischen(1) Literatur, die zeigen sollen, dass Unstimmigkeiten, die sich auf den ersten Blick ergeben, immer überbrückbar sind. Im Babylonischen Talmud(2) (Schabbat 13b) lesen wir von den Heldentaten des Hananja(1), Sohn des Hiskija(1), der 300 Fässer Öl für seine Lampe brauchte, da er nachts scheinbare Diskrepanzen zwischen dem Buch Ezechiel(1) und dem Pentateuch(1) (den ersten fünf Bibelbüchern, Genesis(2) bis Deuteronomium(1)) auflöste. Doch im Judentum erkennt man auch an, dass Bibeltexte(3) manchmal vielleicht im Dialog miteinander stehen und dass etwas Positives aus einer Art kreativer Spannung entstehen kann – im Christentum(24) findet sich diese Ansicht selten.

Christen(25) neigen dazu, in allen heiligen Texten müsse letztlich mit einer Stimme(2) gesprochen werden. Dieser Glaube(12) steht hinter den Evangelienharmonien(2), wobei davon ausgegangen wird, dass den ganz offensichtlich unterschiedlichen Berichten in den verschiedenen Evangelien(1) eine kohärente Darstellung zugrunde liegt. Dieses Bemühen hat eine lange Tradition(4), die auf die frühsten christlichen Jahrhunderte zurückgeht. Wie Augustinus(1)[19] mögen manche Christen der Ansicht sein, kleinere Unstimmigkeiten zwischen den Evangelien(2) spielten eigentlich keine Rolle, da ja Einvernehmen über die wichtigen Punkte der Wahrheit(7) ihrer Verkündigung besteht.[20] Konservativere Leser jedoch betrachten dies als den ersten, gefährlichen, da abwegigen Schritt, der zwangsläufig zu einer allgemeinen Skepsis(1), was die Wahrheit(8) der Bibel(31) betrifft, führt.

Fünftens soll die Heilige Schrift(16) als deckungsgleich oder kongruent mit dem Inhalt des christlichen Glaubens(13) gelesen werden, mit dem, was die frühen Christen(26) »die Glaubensregel(14)« nannten (siehe Kapitel 13). Das ist so etwas wie ein grundlegendes Glaubensbekenntnis(3) oder eine Zusammenfassung dessen, was geglaubt werden soll. Einige moderne Verfechter einer sogenannten theologischen(3) Lesart(1) der Bibel(32) sagen daher, dass unsere Lektüre »geregelt« sein sollte, und verwenden diesen Begriff in einem technischen Sinn. Jedes Lesen(3) sollte anhand der Glaubensregel(1) kontrolliert werden.[21] Jede Auslegung(3) eines Bibelabschnitts, die diesen Abschnitt in einen Widerspruch zum christlichen Glauben(15) stellt, muss eine Fehlauslegung sein. Es gibt jüdische Parallelen zu dieser Vorstellung, allerdings wird das Thema im Judentum(14) nicht so intensiv diskutiert. In beiden Religionen(10) ist es allerdings nicht akzeptabel, die Bibel als Text zu lesen, der den Grundlagen des Glaubens(16) widerspricht – zumal ja zumindest vielen Spielarten des Christentums(27) zufolge das, was geglaubt werden soll, sich in erster Linie aus der Bibel ableitet. Wie auch immer die Beziehung des Glaubens(17) zur Bibel genau verstanden wird – und wir werden sehen, dass dies eine höchst komplizierte Sache ist –, geht man davon aus, dass sie sich gegenseitig stützen, nicht widersprechen.

Um also zum Jakobusbrief(2) zurückzukehren: Wenn die Theorie der Rechtfertigung(2) allein durch den Glauben(18) wirklich ein Kernpunkt des christlichen Glaubens(19) ist, muss Jakobus(5) allem Anschein zum Trotz so gelesen werden, dass er sie stützt. Gewiss sagt er nicht wortwörtlich, der Glaube(20) ohne gute Werke sei tot, sondern dass die Glaubensrealität nur in den guten Werken gesehen werden könne, die Gläubige verrichten: Ohne gute Werke ist ihr Glaube nicht real. Dies mag durchaus eine richtige Auslegung(4) des Jakobusbriefs(3) sein: Mir geht es hier nur darum, dass eine Verpflichtung auf die Kongruenz der Bibel(33) mit der christlichen Lehre den Leser mehr oder weniger zu dieser Lesart(2) nötigt.

Die Bibel(34) mit den Glaubenstraditionen in Einklang zu bringen, ist ein großes Unterfangen, wobei die Vertreter dieser Richtung meist sagen, es gäbe gar nichts in Einklang zu bringen, weil beide – Text und Lehre – vollkommen übereinstimmten; nur manchmal sei es wegen der Zweifel oder Besorgnisse einiger Gläubiger nötig, dies ausdrücklich zu belegen.

Zu meinen Zielsetzungen in diesem Buch gehört es darzulegen, dass es tatsächlich Dinge gibt, die nicht in Einklang zu bringen sind: dass sich die Glaubensüberzeugungen, die sich auf die Bibel(35) berufen, nicht völlig mit ihr decken, obwohl sie durchaus eng miteinander verbunden sind. In konservativeren christlichen und jüdischen Kreisen würde man dies sicher nicht einfach so hinnehmen, aber es gibt Juden(15) wie Christen(28), die der Vorstellung, dass Religion(11) und heiliger Text voneinander abweichen, offener gegenüberstehen. Tatsächlich spielt die Bibel für manche von ihnen gar keine so große Rolle. Der Diskussionsrahmen wird jedoch eher von den traditionsgebundenen Strömungen beider Religionen(12) vorgegeben. In diesem Buch werde ich versuchen, mich mit verschiedenen Glaubensstilen in Bezug auf die Heilige Schrift(17) auseinanderzusetzen, während ich die Beziehungen zwischen Bibel und Glaube(21) im Laufe der Jahrhunderte aufzeige.

Antik und modern

Die Bibel(36) ist also in der modernen Welt(3) absolut nicht obsolet. Sie wird allerdings vor allem als kulturelle oder religiöse Ikone wahrgenommen, abgehoben von anderen Büchern und mit Ehrfurcht – aus weltlicher oder aus religiöser Perspektive – behandelt. Kulturell wie religiös gilt sie als ein einzigartig besonderes Buch, und deshalb werden viele Fragen, die wir anderen Büchern stellen, oft ignoriert: Wieso wurde sie geschrieben, wer waren die Autoren(8) und vor allem, welche Bedeutung hat sie tatsächlich? In christlichen Kreisen geht man oft davon aus, dass sie direkt an die heutige christliche Gemeinschaft gerichtet ist und Fragen zu ihren Ursprüngen oder ihrer Geschichte zweitrangig sind. Weltlichere Leser jedoch stellen diese Fragen zuweilen, ebenso Christen(29) mit einem biblisch weniger konservativen Denken. Es wird sie vielleicht überraschen, wie viele dieser Fragen beantwortet werden können.

Die Bibel(37) mag ein modernes Buch sein, in dem Sinne, dass sie in der Glaubensausübung von Christen(30) und Juden(16) noch immer lebendig ist. Aber sie ist sicher auch ein altes Buch und kann nur als das Ergebnis einer langen, oft unergründlichen Geschichte verstanden werden. Fundamentalistische Modelle biblischer Autorität – und sogar offizielle Haltungen zur Bibel in nichtfundamentalistischen Kirchen(5) – unterschlagen diese historische Dimension, indem sie die Bibel als irgendwie einheitliches Buch begreifen. Kirchliche Stellungnahmen zu aktuellen Fragen beginnen zum Beispiel mit dem »biblischen Hintergrund« und behandeln die Bibel als eine einzelne Quelle(3) neben der Vielfalt(4) späterer Werke. Das führt nicht nur historisch in die Irre, sondern schwächt auch die Kraft(1) der verschiedenen Stimmen in der Bibel – und läuft damit ihrer angeblichen Verehrung zuwider. Um es mit den Worten des großen anglikanischen(1) Autors Richard Hooker(1) (1554–1600) zu sagen: »Wie unglaubwürdiger Lobpreis bei Menschen oft die Glaubwürdigkeit(1) des Lobes, das sie tatsächlich verdienen, schwächt und mindert, so müssen wir ebenso große Vorsicht walten lassen, dass wir nicht der Heiligen Schrift(18) mehr zuschreiben, als sie bieten kann, denn eine solche Unglaubwürdigkeit(1) führt dazu, dass selbst jene Dinge, die sie in großem Überfluss hat, weniger ehrfürchtig geschätzt werden.«[22]

Hooker(2) steckt den Rahmen für meinen Umgang mit der Bibel(38) in diesem Buch ab. Ich möchte zeigen, wie sie entstand, sich im Laufe der Zeit entwickelte und wie sie verwendet und ausgelegt wurde, im Christentum(31) wie im Judentum(17). Im Zuge dessen werde ich die Neigung gläubiger Juden(18) und Christen(32), sie als etwas so Besonderes zu behandeln, dass sie nicht wie jedes andere Buch gelesen werden kann – »der Heiligen Schrift(19) mehr zuzuschreiben, als sie bieten kann«, wie Hooker(3) es ausdrückte – infrage stellen. Gleichzeitig möchte ich keineswegs den Eindruck vieler Menschen, ob sie glauben oder nicht, abschwächen: Die Bibel ist eine Sammlung großartiger Bücher. Dass sie nicht vollkommen ist (und wie sollte so ein vollkommenes Buch überhaupt aussehen?), heißt nicht, dass sie schlecht ist: Im Gegenteil haben wir hier einige der tiefschürfendsten Texte, die die Menschheit(1) je hervorgebracht hat. Ich habe nicht die Absicht, darauf hinzuwirken, »dass selbst jene Dinge, die sie in großem Überfluss hat, weniger ehrfürchtig geschätzt werden«. Auf einige Leser mag das zunächst wie ein gefährlicher Drahtseilakt wirken, doch hoffe ich, zeigen zu können, dass ein solcher Ansatz der Bibel gerecht wird, wie sie tatsächlich ist, nicht einer imaginären Bibel, die nur in theoretischen Gefilden existiert. C. W. Goodwin hat es vor 150 Jahren so ausgedrückt:

Wenn wir anerkennen, dass, wie es historisch und tatsächlich der Fall ist, das hebräische Volk den Auftrag erhielt, die Fundamente der Religion(13) auf der Erde(4) zu legen, und dass die Vorsehung(1) gerade dieses Volk für diese Aufgabe bestimmt hat – ist es nicht unsere Aufgabe und Pflicht, hinzuschauen und zu sehen, wie dies tatsächlich gemacht worden ist? Nicht für uns selbst Theorien aufzustellen, was eine Offenbarung(1) sein sollte oder wie wir, wenn man uns diese Aufgabe anvertraut hätte, eine gemacht hätten, sondern herauszufinden, wie es Gott(11) gefallen hat, dies zu tun. Man ist davon ausgegangen, dass die Bibel(39), versehen mit dem Stempel göttlicher Autorität, vollständig, vollkommen und in all ihren Teilen unantastbar sein muss, und tausend Schwierigkeiten und inkohärente Dogmen(3) sind aus dieser Theorie entsprungen.[23]

Zum Aufbau des Buches

Das Alte Testament(5) beziehungsweise die Hebräische Bibel(3) kommt aus dem(1) Alten Orient zu uns und kann nicht ohne eine gewisse Kenntnis der Geschichte Israels(3) zu dieser Zeit und der Sprachen, in denen der Text in Umlauf war, verstanden werden. Ich setze im 9. und 8. Jahrhundert v. Chr. ein, der Zeit der Großen Propheten(1) in den beiden Reichen der hebräischen Nation, als die Bücher nach und nach eine erste Form annahmen. Fast alle Bücher lagen zur Zeit Alexanders(1) des Großen(2) (356–323 v. Chr.) vollständig vor.

Dann wende ich mich den Inhalten der Hebräischen(2) Bibel(4) zu und beschreibe ausführlicher ihre vier wichtigen Genres: Prosaerzählung(1), Weisung(1) und Weisheit(2), Prophezeiungen(2) und Psalmen(2) und sonstige Gedichte(2). In den erzählenden Büchern(1) (Kapitel 2) kann man eine Vielfalt(5) von Stilen entdecken, die uns helfen, ihren Charakter zu verstehen, und Hinweise auf ihre Autoren(9) und ihre Entstehungszeit liefern. Die Auseinandersetzung mit diesen Büchern führt zu einem Thema, das uns immer wieder beschäftigen wird: Wenn wir davon ausgehen, dass sie eher eine Geschichte erzählen als Lehren dazu bieten, was man glauben oder wie man handeln soll, ist der Weg(1) vom Bibeltext(4) hin zum religiösen Glauben(22) und Handeln im Judentum(19) oder Christentum(33) heute alles andere als geradlinig. Gesetz- und Weisheitsbücher(3) (Kapitel 3) scheinen den Leser direkter mit Forderungen oder Ratschlägen anzusprechen, doch selbst solche auf den ersten Blick universalen Texte wie die Zehn Gebote(1) richteten sich an eine Gesellschaft, die vollkommen anders strukturiert war als unsere eigene, und können nicht ohne gründliche Auslegung(5) auf heute übertragen werden. Dies gilt noch offenkundiger für die Bücher der Propheten(2) (Kapitel 4), die aus verschiedenen politischen Krisen in Israels(4) Geschichte heraus entstanden und oft vordergründig in Rätseln zu sprechen scheinen. Schließlich untersuche ich die poetischen Texte (Kapitel 5), insbesondere die Psalmen und ihre unklaren Ursprünge und Verwendungszwecke. Die Psalmen sind ganz verschiedenen Epochen in der Geschichte Israels(5) zugeschrieben worden, von der Zeit König(1) Davids(2) (11. oder 10. Jahrhundert v. Chr.) bis zur Zeit der Makkabäer(1) (2. Jahrhundert v. Chr.). Eine wichtige Theorie geht davon aus, dass sie im Tempel Salomos(1) eine liturgische Rolle spielten. Viele könnten jedoch auch als persönliche Gebete entstanden sein. Sie bieten, so viel kann man sicher sagen, einen Extrakt vieler religiöser Themen, wie sie für das altisraelitische Denken typisch sind – Themen, die später im Judentum und im Christentum wiederkehren.

Das Alte Testament(6) wie auch das Neue Testament(6) sind nur vor ihrem historischen Hintergrund richtig zu verstehen. In Kapitel 6 wird die Welt(4) beschrieben, in der das Christentum(1) entstand, und vor allem die Blüte verschiedener sozialer und religiöser Gruppen im Judentum(20), etwa der Pharisäer(1) und der Sadduzäer(1), von denen die ersten Christen(2) schließlich die erfolgreichsten sein sollten. Die frühesten erhaltenen Texte dieser neuen Religion(14) sind keine Evangelien(3), sondern Briefe(2). Die Paulusbriefe(1) stammen aus den 50er Jahren n. Chr., etwa zwanzig Jahre(3) nach Jesu Kreuzigung(1). Die Auslegung(6) der Paulusschriften(2) ist ein riesiges Forschungsfeld, auf dem es keinen Konsens geben wird, doch man kann einige wesentliche Elemente von Paulus’ Gedankenwelt und seiner Lehre zusammentragen – über die Erlösung(2) des Menschen, die Beziehung zwischen Christentum(34) und Judentum(21) und die Bedeutung des Todes und der Auferstehung Jesu(1) und deren Beziehung zum Höhepunkt der Menschheitsgeschichte(1), der laut Paulus(6) nahe bevorstand. Die Evangelien(4) und die Apostelgeschichte(1) (Kapitel 8) entstammen der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts. Allgemein herrscht Konsens darüber, dass Markus(2) das früheste und Johannes(1) das späteste Evangelium(5) ist, doch unter welchen Umständen und wo(1) die drei synoptischen Evangelien(1) (Markus(3) (Evangelist), Matthäus(4) und Lukas(2)) geschrieben wurden, welche Quellen ihre Verfasser(10) verwendeten und ob sie für alle Christen(35) oder nur für die Gemeinschaft, die sie hervorbrachte, gedacht waren – das sind Fragen, die für Bibelwissenschaftler(4) immer wieder aufschlussreich und spannend sind. Die Apostelgeschichte(2) bildet den (3)zweiten Band der Lukasschrift, aber wir können nicht aufklären, ob sie zur selben Zeit oder vielleicht auch viel später verfasst wurde. In diesem Kapitel betone ich vor allem, wie wenig wir doch trotz der Fülle von Theorien eigentlich wissen.

Weithin herrscht die Ansicht, die Inhalte der Bibel(2) seien durch verschiedene Kirchenkonzilien(2) nicht vor dem 4. Jahrhundert n. Chr. festgelegt worden, wobei ein beachtliches Textkorpus ausgeschlossen wurde, das die Kirchenführung als häretisch ansah. Dieser Meinung möchte ich im dritten Teil des Buches entgegentreten. Tatsächlich gibt es nur wenige Entscheidungen darüber, was kanonisch(3) sein sollte und was nicht. Alle – oder jedenfalls fast alle – Bücher des Alten Testaments(7) beziehungsweise der(5) Hebräischen(3) Bibel(6) (Kapitel 9) wurden durch breiten Konsens als Heilige Schrift(20) anerkannt, in manchen Fällen wahrscheinlich nicht lange nach ihrer Entstehung; Diskussionen gab es nur an den Rändern. In der frühen Kirche(2) (Kapitel 10) wie im Judentum(22) gingen die Akzeptanz und die Verwendung der Bücher lange jeder formellen Festlegung des Kanons voraus. Wo es solche Festlegungen gab, bekräftigten sie gewöhnlich einfach das Bestehende und beließen nur einige wenige Bücher in einer Kategorie längerfristiger Unsicherheit. Bücher, die aktiv ausgeschlossen wurden (Kapitel 11), waren in fast allen Fällen deutlich später und weniger vertrauenswürdig als die aufgenommenen. Dass wir die Bibel(7) überhaupt haben, verdanken wir Generationen von Schreibern(1), die die Texte mit der Hand abschrieben, und deshalb beschäftige ich mich anschließend (Kapitel 12) mit ihrer Überlieferung(1). Es gibt hier einen deutlichen Gegensatz: Das Judentum erkannte lange einen einzigen Text der (6)Hebräischen(4) Bibel(8) als verbindlich an, während die Christen(36) nie den einen offiziellen Text hatten, sondern verschiedene Handschriftenüberlieferungen. Gedruckte Hebräische Bibeln haben alle eine einzige Handschrift aus dem 11. Jahrhundert als Grundlage, während alle gedruckten Neuen Testamente auf einem Abgleich verschiedener Handschriften(1) beruhen. Die Kunst dieses Abgleichs wird anhand von Beispielen illustriert, und daraus ergibt sich die Warnung(2), dass es große Schwierigkeiten mit sich bringt, sich auf den genauen Wortlaut(1) des Neuen Testaments(7) zu berufen, weil es keinen Text gibt, auf den sich alle einigen können.

Hat die Bibel(40) ein übergreifendes Thema oder eine Aussageabsicht? Nun, davon sind die Christen(37) immer ausgegangen. In Kapitel 13 werden Versuche in den Blick genommen, dieses Thema zu umreißen, und so wird die Basis der folgenden Kapitel bereitet, die diese Ansätze ausführlich darstellen. Rabbinische Lesarten der Bibel verstehen sie eher als eine Sammlung von Sprüchen, die sich gegenseitig erhellen, aber keineswegs als ein durchgehendes Werk. Diesen Gegensatz veranschaulicht Kapitel 14. Jüdische und christliche Auslegungen haben sich bisweilen gegenseitig beeinflusst, bilden jedoch meist zwei getrennte Systeme, wobei beide die Heilige Schrift(21) traditionell so deuteten, dass sie ihre eigenen religiösen Überzeugungen stützte. Diese Glaubensüberzeugungen stammen nur teilweise aus der Heiligen Schrift(22) selbst, und es ist auch das Zusammenspiel zwischen der nicht interpretierten Aussage des Bibeltexts und den Bedeutungen, die man in ihn hineingelesen hat: Dies macht die Beschäftigung mit der Bibel so faszinierend. Im Mittelalter(1) (Kapitel 15) neigte man noch deutlicher dazu, den Text im Licht der vorher schon vorhandenen eigenen Überzeugungen zu lesen, hebt aber ebenso auch die (richtig ausgelegte) Bibel als Quelle(4) aller religiösen Wahrheit(9) hervor. In der Reformationszeit (Kapitel 16) übernahm man bei der Beschäftigung mit der Bibel mittelalterliche Methoden und Ansätze, bahnte aber auch den Weg(2) für die kritischen Fragen, die später die Aufklärung und die moderne Bibelforschung(5) prägen sollten. Allen voran war Martin Luther(2) ein Vorkämpfer mit seiner Bereitschaft, Teile der Bibel auf der Basis theologischer(4) Prinzipien zu hinterfragen.

Meine Beschäftigung mit der Aufklärung und ihrem modernen Erbe (Kapitel 17) beginnt mit den Ideen Spinozas(1) (1632–1677). Spinoza(2) beleuchtete biblische Wunder kritisch vor dem Hintergrund der Naturwissenschaften, stellte aber auch traditionelle Zuschreibungen von Bibeltexten infrage und führte eine Unterscheidung zwischen der Bedeutung von Texten und ihrem Wahrheitsgehalt ein, die für die gesamte spätere Bibelwissenschaft(6) entscheidend war. Die kritische Bibelwissenschaft entwickelte sich im 18. und 19. Jahrhundert und brachte die Argumentations- und Interpretationsformen hervor, die ich in der ersten Hälfte dieses Buches vorstelle. In Kapitel 18 gebe ich einen Überblick über die Bibelübersetzungen(1) seit dem 3. oder 2. Jahrhundert v. Chr., als die Hebräische Bibel(7) ins Griechische übertragen wurde, bis in die Gegenwart. Ich untersuche die King-James(3)-Bibel(4) und ihr Vermächtnis sowie spätere Versuche, die Bibel neu ins Englische(2) zu übersetzen. Jede Übersetzung(5) führt zu Fragen, die nicht nur die Aussage, sondern auch die Interpretation des Textes betreffen, und dieses Kapitel diskutiert die Wege, auf denen einige moderne Übersetzungen(6) in die Deutungsdiskussion übergegangen sind.

Die Auseinandersetzung mit der Bibel(41) fordert den Glauben(23) und die Glaubenspraxis(2) heraus und fördert sie gleichzeitig, und in meinem Abschlusskapitel denke ich über die Beziehung der Bibel zu ihren Religionen(15) und die unvollständige Kongruenz zwischen dem Judentum(23) wie dem Christentum(38) und den Inhalten der Bibel nach.

Teil I

Das Alte Testament(8)

Kapitel 1

Das alte Israel(6): Geschichte und Sprache(1)

Die Bibel(42) entstammt der Welt(5) des östlichen Mittelmeerraums(2). Die Texte des Alten Testaments(9), wie die Christen(39) es nennen, wurden überwiegend im heutigen Israel(7) und Palästina(1) verfasst, meist wohl in Jerusalem(1). Einige mögen in Mesopotamien(1) (dem heutigen Irak) entstanden sein, wo viele Juden(24) seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. im Exil(1) lebten, und einige vielleicht in Ägypten(1), wo es seit derselben Zeit eine größere jüdische Gemeinde(1) gab. Etliche Abschnitte des Alten Testaments(10) könnten bis auf das 11. oder 10. Jahrhundert v. Chr. zurückgehen, doch in der Forschung geht man heute allgemein eher vom 8. Jahrhundert – etwa der Zeit Homers – als Entstehungszeit der frühesten Texte aus; das jüngste Buch des Alten Testaments(11) (Daniel(1)) entstand im 2. Jahrhundert v. Chr.

Schon dies mag manche überraschen. Allgemein herrscht der Eindruck vor, dass große Teile der Bibel(43) viel älter seien, dass die Geschichten über Gestalten wie Abraham(1), Isaak(1) und Jakob(1) im (3)Buch Genesis(4) (1. Mose) ihren Ursprung im 2. Jahrtausend v. Chr. hätten. Die biblischen Erzählungen(2) umfassen tatsächlich ungewöhnlich lange Zeiträume. Die Bücher selbst aber stammen – in Schriftform festgehalten – fast sicher nicht aus jener fernen Vergangenheit. Bei den frühen Geschichten in Genesis und auch bei den Berichten über Mose und sein Wirken in Exodus(2) (2. Mose) handelt es sich wahrscheinlich um eine schriftliche Fassung von Erzählungen(3), die ursprünglich in einer weitgehend schriftlosen Kultur(3) mündlich verbreitet wurden. Einige Bibelwissenschaftler(7) halten sie allerdings auch für Erfindungen ihrer Autoren(11). (Mose und seine Vorgänger tauchen auffälligerweise erst in Texten wieder auf, die wir sicher ins 6. Jahrhundert v. Chr. datieren können, vor allem in Jesaja(1)(1) 40–55.) Die Geschichte von den Ursprüngen Israels(8) ist also im besten Fall mündliche Überlieferung(2), die in den Details kaum genau sein kann, wenn sie über mehrere Generationen tradiert wurde. Wir haben wenig Zugang zur Geschichte Israels(9) in den Zeiten, die Gegenstand der ersten Bibelbücher(6), des Pentateuch(2) (griechisch für »fünf Rollen«,[1] also Genesis, Exodus(3), Levitikus(1), Numeri(1) und Deuteronomium(2) – in vielen christlichen Bibeln auch als 1. bis 5. Buch Mose bezeichnet), sind.

Einige alttestamentliche Bücher sind jünger als die griechischen Tragödien oder die Werke Platons(1) und Aristoteles(1)’, woraus sich eine erstaunliche Chronologie(2) ergibt, die ebenfalls kaum oder gar allgemein bekannt ist. Teilweise liegt es daran, dass spätere Bücher gern eine ältere Abstammung(1) beanspruchen: Das Buch Kohelet(1) (Ekklesiastes(2) auf Griechisch(1) oder Prediger in der Lutherbibel(3)) stammt angeblich aus der Feder Salomos(1), der im 10. Jahrhundert v. Chr. lebte, und Daniel(2) behauptet, ein Beinahezeitgenosse von Jeremia(1) zu sein und in der Zeit des Exils im 6. Jahrhundert v. Chr. zu leben. Allgemein wird jedoch angenommen, dass beide Bücher Niederschriften aus einer viel späteren Zeit sind und das Buch des Propheten(3) Daniel(3) sogar erst in die Zeit der Makkabäer(2) gehört, jüdischer Freiheitskämpfer des 2. Jahrhunderts v. Chr., die schließlich eine eigene Herrscherdynastie gründeten. So entstammt das Alte Testament(12) nicht einem einzigen Abschnitt der Geschichte Israels(10), sondern einer weiten Spanne von Jahrhunderten wie auch einer großen Vielfalt(6) von Orten. Es ist die Nationalliteratur einer kleinen Nation: Israel ist etwa so groß wie Wales oder der US-Bundesstaat Maine. Israel existierte nur wenige Jahrhunderte lang, etwa vom 10. bis zum 7. Jahrhundert v. Chr., als unabhängiger Staat und unterstand ansonsten großen Regionalmächten(1) – Ägypten(2), Assyrien(1), Babylonien(1) oder den hellenistischen Königreichen, die den Nahen Osten(1) nach dem Tod(1) Alexanders(3) des Großen(4) im Jahr 323 v. Chr. beherrschten. Geopolitisch war Israel selbst kaum von Bedeutung; allerdings führten verschiedene Handelswege im Nahen Osten durch das Land(2), das so von seinen größeren und bedeutenderen Nachbarn beeinflusst wurde.

Wollen wir die Entwicklung der Nationalliteratur Israels(11) verstehen, müssen wir uns die Geschichte Israels(12) im Umkreis der antiken Welt(6) des Vorderen Orients(1) wenigstens grob umrissen vergegenwärtigen. Diese Geschichte, wie moderne Historiker(1) sie rekonstruiert haben, weicht jedoch unverkennbar von der Darstellung im Alten Testament(13) ab. Beginnen wir mit der biblischen Erzählung(4) und beschäftigen uns dann mit den modernen Rekonstruktionen.

Die biblische Darstellung

Das Alte Testament(14) erweckt den Eindruck, die Ursprünge des Volkes Israel(1) würden tatsächlich bis weit in das 2. Jahrtausend v. Chr. zurückreichen. Abraham(2), Isaak(2) und Jakob(2) leben ebenso wie Josef(1) und seine elf Brüder lange vor der Zeit des Mose(1), und der wiederum lange vor Saul(1), David(3) und Salomo(2), den ersten Königen(1) Israels(13). Im Buch Genesis(5) ziehen die Vorfahren von Mesopotamien(2) ins Gelobte Land(2), pflegen aber weiterhin Beziehungen zu ihren Verwandten im Osten(1). Während einer Hungersnot suchen sie Schutz(1) in Ägypten(3), mit Josef als Wegbereiter, der vom Sklaven zu einem hohen ägyptischen Beamten aufgestiegen ist. Chronologische Angaben im Alten Testament(15) lassen uns glauben, dies sei in etwa im 14. Jahrhundert v. Chr. geschehen. Unter Moses(2) Führung kehren die Menschen zurück, diesmal aus dem Westen(2), aus Ägypten. Nachdem sie vierzig Jahre(4) durch die Wüste(1) gezogen sind und die Zehn Gebote(2) und andere Gesetze(1) empfangen haben, betreten sie endlich mit Josua(1) an der Spitze das Gelobte Land(3). Etwa im 11. Jahrhundert haben sie sich dort unter den »Richtern(1)«, wie diese im Alten Testament(16) genannt werden, niedergelassen. Die »Richter(2)« haben sich zu Herrschern ganz Israels(14) aufgeschwungen und sind Stammesführer. Sie stoßen auf die Gegenwehr anderer lokaler Völker, etwa der Midianiter(1). Letztendlich stellen aber die Philister(1), Neuankömmlinge, die sich im Westen des Landes (im heutigen Gazastreifen(1)) angesiedelt haben, die erste große Herausforderung dar. Ein lokaler Anführer namens Saul(2) zeigt sich der Situation gewachsen, schlägt die Philister(2) zurück und wird zum ersten König(2) Israels(15), also aller Stämme im Norden(1) des Landes, nicht aber des südlichen Stammes Juda(1). David(4), der aus Bethlehem(1) in Juda(1) stammt, tritt die Nachfolge an, als Saul in einer Schlacht(1) gegen die Philister(3) stirbt. Er vereint Juda(2) und Israel – (1)Süden(3) und (2)Norden(1) – zu einem einzigen Königreich mit der Hauptstadt Jerusalem(2). Der Zusammenschluss ist instabil und ein ständiger Quell von Spannungen. Unter David(5) und seinem Sohn Salomo(3) greift Israel weiter aus und beherrscht die kleinen Nationen in der Umgebung wie Moab(1), Ammon, Edom(1) und sogar Aram(1) (das heutige Syrien(1)), sodass wir von einem israelitischen Reich sprechen können. Salomo(4) errichtet auch einen königlichen Tempel(1) in Jerusalem(3) als zentralen Ort der Verehrung Gottes(1).

Damit ist der Höhepunkt der Geschichte Israels(16) erreicht, wie das Alte Testament(17) sie versteht. Nach dem Tod(2) Salomos(5) bricht die alte Spaltung in Norden(3) und Süden(4) wieder auf, es entstehen zwei Königreiche, Juda(2) und das Nordreich(4) Israel. Die Autoren(12) des Alten Testaments(18), die (so dürfen wir vermuten) größtenteils in Jerusalem(4) lebten, interessieren sich eigentlich vor allem für Juda(5). Es gibt aber auch Geschichten aus dem Norden, etwa die Erzählungen(5) über die Propheten(4) Elija(1) und Elischa(1), die unter verschiedenen Königen(3) des (5)Nordens im 9. Jahrhundert wirken – etwa unter dem berüchtigten Ahab(1) und seiner Königin Isebel(1), die im biblischen 2. Buch der Könige(4) als Abtrünnige der wahren israelitischen Religion(16) und Verehrer des Gottes Baal(1) dargestellt werden. Israel liegt das ganze Jahrhundert immer wieder im Krieg mit Aram(2), ohne dass es zu einer Entscheidung kommt. Im 8. Jahrhundert jedoch löscht die aufsteigende Macht(1) Assyrien(2) mit der Hauptstadt Ninive(1) (nahe dem heutigen Mossul(1)) das Nordreich(6) aus.

Der König(5) von Assur(1) fiel über das ganze Land(3) her, rückte gegen Samaria(1) vor und belagerte es drei Jahre(5) lang. Im neunten Jahr Hoscheas(1) eroberte er die Stadt [und] verschleppte die Israeliten(17) nach Assur(2) … (2. Könige 17,5f.) (1)(1)

Juda(3) überlebt, so berichtet die Bibel(44), als winziger unabhängiger Staat, bis es zu Beginn des 6. Jahrhunderts an die Babylonier(2) fällt, die inzwischen Assyrien(3)