Die Gesellschaft der Aufklärer - Richard van Dülmen - E-Book

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Richard van Dülmen

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Beschreibung

Seit dem frühen 18. Jahrhundert haben sich Gelehrte, Beamte, Kaufleute u. a. – vorwiegend Angehörige des gebildeten Mittelstandes – ohne Rücksicht auf Konfession und Herkunft in sogenannten Aufklärungsgesellschaften zusammengeschlossen, um dort herrschaftsfrei miteinander zu lesen, zu lernen und zu diskutieren. Durch die ständige Einübung neuer demokratischer Verhaltensweisen wurde – so die These Richard van Dülmens – der absolutistische Ständestaat allmählich unterhöhlt und in eine bürgerliche Gesellschaft weiterentwickelt. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Richard van Dülmen

Die Gesellschaft der Aufklärer

Zur bürgerlichen Emanzipation und aufklärerischen Kultur in Deutschland

FISCHER E-Books

Inhalt

EinleitungI. Aufklärung und traditionale Gesellschaft im 18. JahrhundertII. Gelehrt-literarische Sozietäten im 17. Jahrhundert1. Die humanistischen Sodalitäten2. Sprachgesellschaftena) Die Fruchtbringende Gesellschaftb) Pegnesischer Blumenorden3. Gelehrte SozietätenIII. Die Gelehrtenrepublik1. Die gelehrte Gesellschafta) Leibniz und die gelehrte Gesellschaftb) Bayerische Akademie der Wissenschaften2. Die literarische Gesellschafta) Moralisch-patriotische Gesellschaft in Hamburgb) Gottsched und die Deutschen GesellschaftenIV. Vereinigung ›gesitteter‹ Männer1. Der Orden der Freimaurer2. Die patriotisch-gemeinnützigen Gesellschaftena) Patriotische Gesellschaft in Hamburgb) Die Helvetische Gesellschaftc) Die Sittlich-ökonomische Gesellschaft zu Altötting-BurghausenV. Aufklärerische Klubs und politische Vereinigungen1. Bildungsvereinigungena) Lesegesellschaftenb) Literarische Freundschaftszirkel2. Politische Gesellschaftena) Geheimbünde: Der Illuminatenordenb) Volksgesellschaft: Gesellschaft der Freunde der Freiheit und Gleichheit in MainzVI. Aufklärungsgesellschaften als Medien frühbürgerlicher KulturAnhangListe der Sozietäten des 17. und 18. JahrhundertsSozietäten des 17. JahrhundertsAkademien und Gelehrte GesellschaftenLiterarische Gesellschaften (Deutsche Gesellschaften)Patriotisch-gemeinnützige GesellschaftenFreimaurer-LogenLesegesellschaftenKartenLiteratur1. Allgemein2. SpeziellNachtrag zum Literaturverzeichnis1. Allgemein2. Speziell

Einleitung

»Die Geselligkeit der Glieder ist die Seele einer jeden Gesellschaft«

Adam Weishaupt

Die Entwicklung der Aufklärung und die Emanzipation des Bürgertums waren miteinander verschränkte Prozesse, die unter den Bedingungen einer zunehmenden staatlichen Machtkonzentration und der Auflösung der ständisch strukturierten Gesellschaft in Deutschland wichtige Voraussetzungen schufen für die Entstehung bürgerlicher Kultur und Gesellschaft.

Ein besonderer Kristallisationspunkt und ein wichtiges Forum aufklärerisch-reformerischer Diskurse und Aktivitäten wie bürgerlicher Selbstfindung und Klassenbildung waren die zahlreichen Vereinigungen, Zirkel und Gesellschaften, wie sie seit dem frühen 18. Jahrhundert entstanden, eine immer größere Zahl von Gelehrten, aufklärerischen Beamten und gebildeten Bürgern erfaßten und schließlich ein ›neues Bürgertum‹ mit einer eigenen Kultur mitkonstituierten, ohne daß es allerdings zu einem Bruch mit der traditionellen Lebenswelt und der staatlichen Ordnung kam. Zweifellos gab es noch andere, sogar wirkkräftigere und leistungsfähigere Medien der Aufklärung, auch war ein Aufklärer zumeist auf verschiedenen Ebenen aktiv, aber hier in den Aufklärungsgesellschaften fand er die seinen umfassenden Interessen entsprechende Artikulationsmöglichkeit, hier ist Aufklärung als ein sozio-kultureller Prozeß vielleicht am besten greifbar.

Wir kennen eine Fülle derartiger Gesellschaften, die unter heterogenen Bedingungen entstanden, unter den verschiedensten Namen: zunächst waren es Sprachgesellschaften und gelehrte Akademien, dann kamen die Freimaurerei und die gemeinnützigen Gesellschaften hinzu, schließlich bildeten sich verschiedenste Geheimbünde, Lesegesellschaften, literarische Klubs und sogar politische Vereinigungen, deren Zahl wir heute kaum noch abschätzen können. Entsprechend der jeweiligen Phase der Aufklärung und der sozialen Situation der Aufklärer artikulierten sich in ihnen verschiedenste Interessen: gelehrt-wissenschaftliche wie praktisch-reformerische, Bedürfnisse nach intellektueller Bildung und bürgerlich-aufklärerischer Geselligkeit, nach freier Selbstbestimmung und überständischer Exklusivität. Allen gemeinsam waren aber der Allgemeinheitsanspruch der Aufklärung und das Ziel einer Gesellschaftsreform durch Wissensverbreitung und Selbstbildung. Darin unterscheiden sich die aufklärerischen Sozietäten von den traditionellen Standesgemeinschaften wie von den bürgerlichen Vereinigungen des 19. Jahrhunderts.

Die Aufklärungsgesellschaften sind für die Geschichtsforschung kein unbekannter Gegenstand mehr. Es gibt zahlreiche Darstellungen über gelehrte Akademien, gemeinnützige Gesellschaften und vor allem über die Freimaurerei, zumal die Vereinigungen vielfältig über das 18. Jahrhundert hinaus Bestand bis in die Gegenwart haben.[1] Aber den älteren wie auch noch neueren Einzeldarstellungen geht es weitgehend nur um eine positivistische Rekonstruktion der geschichtlichen Entwicklung der jeweiligen Institutionen. Daß es sich bei der Breite des Sozietätswesens im 18. Jahrhundert um eine einheitliche, von aufklärerisch-emanzipatorischem Geist getragene Bewegung handelte, die einen wichtigen Beitrag zur bürgerlich-demokratischen Ordnung und Kultur leistete, wurde lange nicht erkannt. Es waren dann auch nicht Historiker, sondern Soziologen, die die ersten systematisch angelegten Analysen unternahmen und nach dem speziellen Beitrag der Gesellschaften für die Entstehung der bürgerlichen Öffentlichkeit fragten.[2] Vor allem ist die Untersuchung von J. Habermas zu nennen, die auch unter Historikern große Resonanz fand und eine neue Beschäftigung mit den Aufklärungsgesellschaften einleitete, ohne daß es allerdings bisher zu einer größeren Synthese gekommen wäre. Einen ersten weiterführenden, spezifisch historischen Zugang vermitteln die grundlegenden Studien von Th. Nipperdey (1972)[3] und O. Dann (1976)[4], die allerdings das Eigengewicht der Aufklärungsgesellschaften aufgrund ihres vorrangigen Interesses an der Vereinsgeschichte des 19. Jahrhunderts verkennen. Sicherlich zeigen die Aufklärungsgesellschaften viele Elemente des späteren Vereinswesens, doch ihre Bedeutung liegt wesentlich in der Schaffung einer neuen Elitekultur, die ständische Ordnungsvorstellungen in Frage stellte, ohne daß bereits spezifisch bürgerliche Interessen vertreten wurden.

Mittlerweile liegt so viel Material vor – so viele Detailstudien[5] und Sammelbände[6] –, daß ein strukturierter und zusammenfassender Problemabriß gewagt werden kann.[7] Unser Interesse richtet sich allerdings weder darauf, alle Gesellschaften zu erfassen und ein vollständiges Bild zu vermitteln – spezifische nichtaufklärerische Sozietäten wie die Rosenkreuzer oder die christlichen Gesellschaften wurden nicht berücksichtigt –, noch wird mit diesem Versuch der Anspruch erhoben, mit der Konzentration auf das Sozietätswesen alle Aspekte der aufklärerischen Kommunikation bzw. der Sozialisationsgeschichte der Aufklärer ausreichend zu berücksichtigen. Es gab vielfältige Möglichkeiten für den engagierten Aufklärer, aktiv zu werden und auch seine Geselligkeitsbedürfnisse zu befriedigen, aber die große Verbreitung der Sozietäten zeigt, daß diese den Aufklärern die adäquatesten Betätigungsfelder boten, so daß wir in ihnen wie in einem Brennspiegel die Problemgeschichte der Aufklärung und des entstehenden Bürgertums erkennen können.[8]

Zunächst geht es darum, den sozialpolitischen Kontext der Aufklärung, ihren Entfaltungsspielraum im Rahmen des absolutistischen Staates und der traditionalen Ständegesellschaft skizzenhaft zu verdeutlichen. Daran schließt der Versuch an, Genese und Wandel der aufklärerischen Gesellschaften anhand einer verschiedene Phasen unterscheidenden Typologie der Haupterscheinungsformen systematisch zu erfassen. Dabei soll sichtbar gemacht werden, wie abhängig einerseits die Entwicklung der Sozietäten von der äußeren Situation war, andererseits wie die Aufklärungsproblematik und das kulturelle Selbstverständnis der Trägerschaft im Sozialprozeß des sich bildenden Mittelstandes miteinander korrespondieren.

 

Im Frühjahr 1986

R. van D.

Zur Neuausgabe 1996

Wenngleich heute in der Erforschung der Aufklärungsgesellschaften des 18. Jahrhunderts andere Akzente gesetzt werden, mittlerweile auch weitere Sozietäten, Logen und Gesellschaften im Alten Reich aufgespürt wurden sowie neue Detailstudien zur Mitgliederstruktur vorliegen, hat sich das »Bild« von der »Gesellschaft der Aufklärer« insgesamt doch m.E. nicht wesentlich geändert. Außerdem erscheint der Text im Sinne einer Einführung in die Problematik der Aufklärungsgesellschaft so geschlossen, daß ich ihn unverändert lassen möchte. Nur seien aus der Fülle der nach 1985/6 erschienenen Literatur zur Aufklärung im allgemeinen wie zu den Aufklärungsgesellschaften im besonderen die wichtigsten und am weitesten führenden Titel genannt.

 

Im Frühjahr 1996

R. van D.

I. Aufklärung und traditionale Gesellschaft im 18. Jahrhundert

Die Aufklärung entfaltete sich in Deutschland unter den Bedingungen einer noch weitgehend ständisch strukturierten Gesellschaft.[9] Bei allen egalisierenden Tendenzen, die der Absolutismus freisetzte, zeigten die staatlichen Systeme des 18. Jahrhunderts insgesamt noch kein Interesse an einer grundlegenden Änderung der Gesellschaftsordnung, auch hatten sozioökonomische Prozesse diese noch nicht wesentlich gefährdet.

Der höchst privilegierte Stand war nach wie vor der Adel, dem Macht und Herrschaft vorbehalten waren, das ständische Bürgertum betätigte sich monopolhaft in Handwerk und Handel, während der Bauernstand ohne politische Rechte blieb und die notwendige Nahrung für die Bevölkerung produzieren mußte. Daß es dennoch in diesem Rahmen zu einer gesellschaftlichen Erosion kam, eine neue soziale Klasse sich herausbildete, die die ständischen Schranken durchbrach, gründete weniger in der Expansion einer Handelsbourgeoisie als vielmehr in dem steigenden Bedarf des absolutistischen Staates an ausgebildeten Verwaltungskräften, die die ›ökonomische‹ Effektivität und das Bildungskapital des Staates steigern sollten und dabei zu den treibenden Kräften einer Reform von Staat und Gesellschaft wurden. Die neuen Funktionseliten anderer Sozialbereiche (Kirche, Handel, Militär) schlossen sich erst später an. Im Dienste am Staat, im Versuch, ihm eine neue rationale Grundlage zu geben, etablierte sich eine neue soziale Klasse, die sich später zu einem ›neuen Bürgertum‹ formierte, nämlich dem gebildeten Mittelstand, der, sosehr seine Mitglieder jeweils noch lange in die traditionale ständische Gesellschaft lebensweltlich eingebunden blieben, doch mit seinem Reformwillen ein neues Bewußtsein schuf, das sich nicht mehr an der ständischen Ehre und Tradition orientierte, sondern auf Nutzen, Moral und Vernunft baute. Im Maße, wie diese Eliten eine akademische Ausbildung zunehmend nachweisen mußten, verstärkte sich dieser Trend.

In diesen Kreisen entwickelte sich eine gelehrt-aufklärerische Kultur mit einem hohen Moralanspruch, die zwar noch lange den Charakter einer privaten Angelegenheit an sich hatte, aber dann doch rasch an die Öffentlichkeit trat und ein soziales Handeln erzwang, das politisch und sozial die Basis der traditionellen Gesellschaftsordnung erstmals in Frage stellte.

Obwohl der Prozeß der Aufklärung seit dem frühen 18. Jahrhundert – zwar mit Brüchen und Sprüngen – unaufhaltsam fortschritt, getragen zunächst von einer kleinen Gelehrtenschicht, dann von Kreisen von Männern des öffentlichen Lebens, bis gegen Ende tendenziell alle Gebildeten der Gesellschaft erfaßt waren, so prägte ihn doch, behält man die Gesamtgesellschaft des 18. Jahrhunderts, also die bäuerliche, städtische und adelige Welt im Blick, letztlich nur eine Minderheit der Bevölkerung. Nur eine Minderheit suchte jenseits traditioneller Welten eine neue Identität, und dies zunächst auch, ohne für sich und andere soziale Konsequenzen zu ziehen. ›Revolutionäre‹ Gruppen blieben letztlich von marginaler Bedeutung.

Die eigentlichen gesellschaftlichen Mittelpunkte und entscheidenden Machtfaktoren blieben bis weit ins 18. Jahrhundert hinein noch immer der fürstliche Hof, die Kirche, die Stände und das Haus. Sie bildeten die Lebensräume, in denen die meisten Menschen noch aufwuchsen und von denen sie fast ausschließlich geprägt waren. Auch die meisten Aufklärer kamen aus diesen Welten.

Der Hof blieb bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die zentrale Machtstelle, zu der letztlich nur der Adel Zugang hatte, wenn auch durch die im 18. Jahrhundert beginnende Trennung von Hof und Verwaltung die Bürokratie sich nicht nur institutionell, sondern auch sozial zusehends außerhalb des engeren Hofes etablierte und eine Domäne bürgerlicher Beamter wurde. Der Hof bildete eine abgeschlossene und abgehobene Welt mit eigener Kultur – zumeist verborgen in den zahlreichen Schlössern, deren Glanz allen Menschen, auch den Beamten, ihre Ausgeschlossenheit von der hohen Welt dokumentierte. Hier pflegte der Adel eine höfische Geselligkeit mit verfeinerten Sitten und Moden und von relativ freizügigem und weltlichem Lebensduktus. Der Adel definierte sich über herrschaftliche Repräsentation. Er wahrte Distanz zum Bürgertum und orientierte sich auf den Fürsten. Der höfische Adel war hoch privilegiert, lebte entweder von eigenen Gütern oder hatte einträgliche Staatsämter inne. Das Hofleben hatte zu Ende des Jahrhunderts zwar nicht mehr die gesellschaftliche Dominanz wie zu Anfang des Jahrhunderts, stellte aber immer noch den zentralen Bezugspunkt der Gesellschaft dar. Deswegen strebten viele aufklärerische Literaten nicht nur eine höfisch-staatliche Stellung an, sondern auch den Adelstitel, nicht nur um ein gesichertes Leben führen zu können, sondern um die angestrebte soziale Anerkennung zu finden und um – dies eine dritte wichtige Motivation – im Sinne ihrer Reformanliegen stärker wirksam werden zu können. Der aufgeklärte Absolutismus hatte viele bürgerliche Akademiker und Intellektuelle angezogen. Das führte einerseits zu einer Auflockerung der Adelswelt, andererseits zu sozialen Spannungen zwischen Adel und Bürgerlichen, die auch dadurch nicht aufgehoben wurden, daß der Adel sich der neuen Literatur und Philosophie zuwandte, seine traditionelle Verachtung des Staatsdienstes aufgab und sogar vereint mit Bürgerlichen den Staat reformieren wollte. Die höfisch-staatliche Welt bildete jedenfalls den entscheidenden Hintergrund vieler Aufklärer. Die Probleme, die sich aus der Vereinigung von Hofleben und aufklärerisch-bürgerlicher Existenz ergaben, wurden deutlich sichtbar etwa im Lebenswerk Adolph von Knigges, eines führenden Propagators des Sozietätswesens.

Eine eigene Welt für sich bildete die Kirche. Obwohl sie in der Auseinandersetzung mit dem Staat an Macht und Selbständigkeit eingebüßt hatte, war ihre Stellung sozial wie kulturell bis weit ins 18. Jahrhundert hinein unangefochten, das gilt für alle Konfessionen. In ihr hatten allein theologisch ausgebildete Kleriker das Wort, Laieneinflüsse waren gering. Das auch staatlich sanktionierte Glaubensmonopol grenzte immer noch alle alternativen Auslegungen aus. Sich kritisch gegen die Kirche zu stellen, hatte nicht zuletzt im Hinblick auf die Karriere noch lange harte Folgen, so wenig obrigkeitliche Kräfte von sich aus ein Interesse zeigten, weltliche Gewalt gegen Häretiker einzusetzen. Aber nicht nur durch das Glaubensmonopol reglementierten die Kirchen die Weltanschauungen und Glaubensvorstellungen der Menschen, weitgehend geprägt von der Kirche waren auch die öffentliche Moral und das Ausbildungswesen. Sowohl im Volksschul- wie Gymnasial- und Universitätswesen besaßen die Kirchen unbeschränkte Einflußmöglichkeiten, nicht weil sie hier autonome Verfügungsrechte besaßen, sondern in erster Linie, weil sie ›staatliche‹ Aufgaben erfüllten. Erst im letzten Drittel des Jahrhunderts wurden diese Monopole angegriffen, was nicht heißt, daß sie von allen Aufklärern prinzipiell in Frage gestellt wurden. Gegen eine aufgeklärte Kirche hatte keiner etwas einzuwenden. Denn obwohl die Führungspositionen in den Kirchen zumeist adeligen oder ehrbar-bürgerlichen Ständen vorbehalten blieben, war die Kirche nach unten sozial offen, was heißt, daß im 18. Jahrhundert über untere Ämter erstmals stärker kleinbürgerliche Schichten aufrücken konnten. Für viele Aufklärer bot ja nach wie vor die Kirche, ähnlich wie die staatliche Verwaltung, nicht nur materielle Versorgung, sondern eröffnete auch Wirkungschancen. Die Zahl der Geistlichen unter den Gelehrten und Aufklärern war nicht gering; weil sich hier außerhalb des Staatsdienstes intellektuelle Bedürfnisse am stärksten verwirklichen ließen, waren kirchliche Stellen trotz starker Reglementierung recht begehrt. Ähnlich wie der Hof konnte die Kirche manche aufklärerischen Ideen rezipieren. Eine Grenze wurde allerdings auch hier später offenkundig. Das aufklärerische Engagement von Karl Friedrich Bahrdt spiegelt exemplarisch diesen Tatbestand.

Eine weitere in sich geschlossene Welt, in die die Menschen des 18. Jahrhunderts noch weitgehend eingebunden waren, von der jedenfalls auch viele Aufklärer geprägt waren, bildeten die Stände. Auch sie hatten an politischer Macht zwar eingebüßt, aber sozial waren sie noch voll präsent. Der einzelne konnte seinen Stand nicht wählen, er wurde in ihn hineingeboren: sein Leben war dadurch sowohl in privater wie beruflicher Hinsicht kontrolliert und reglementiert. Individuelle Bedürfnisse wurden kollektiven Normen unterworfen. Die Stände waren keine Berufsverbände, sondern Lebensgemeinschaften, die das Leben sowohl in religiöser wie familiärer und wirtschaftlicher Hinsicht umfassend regelten. Ökonomische Expansion schloß dies ebenso aus wie gruppenübergreifende Kommunikation. Die ständische Welt war eine geschlossene Welt mit einer starken sozialen Differenzierung, wobei den ›ehrbaren‹ Schichten in der Regel bestimmender Einfluß zukam. Dies gilt vor allem für das ständische Handwerk, aber auch für die Kaufmannschaft. Dabei war das System der Stände keineswegs starr; ihre Zahl vermehrte sich mit der Zunahme neuer Tätigkeitsbereiche. Selbst die Gelehrten einer Universität verstanden sich als Stand mit eigener Tradition und eigenem Ehrenkodex und ließen nur bedingt ›Extravaganzen‹ zu. Die Standesstruktur war zwar im 18. Jahrhundert nicht mehr geschlossen; die neue Beamtenschaft wie die neue Geistlichkeit fügten sich zusehends nicht mehr in die vorgegebenen Muster ein; aber viele Aufklärer blieben trotz ihres überständisch-aufklärerischen Selbstverständnisses in ihrem familiären und beruflichen Leben der ständischen Welt noch vielfältig verbunden. Solange sie ihre amtlichen Tätigkeiten noch trennen konnten von ihren privaten aufklärerischen Interessen, gab es für sie keine persönlichen Probleme. Aber in dem Augenblick, als sie begannen, aus ihrem aufklärerischen Engagement ihr Selbstbewußtsein zu beziehen, wurden ständische Schranken durchbrochen.

Eine vierte, das soziale Leben der Bevölkerung des 18. Jahrhunderts ebenfalls noch maßgeblich bestimmende Welt bildete das Haus, das traditionelle ganze ›Haus‹, als Teil der Ständegesellschaft. Im ganzen Haus wurde alles individuelle Leben dem Ganzen untergeordnet. Jeder hatte im Haushalt seine genau definierte Rolle wahrzunehmen: der Hausherr, die Hausfrau, die Kinder und das Gesinde bzw. die Hausangestellten, das gilt für den Kaufmanns- und Gelehrtenhaushalt wie für den bäuerlichen Haushalt. Das Haus war wie der einzelne Stand eine Produktions- und Lebensgemeinschaft, die durch traditionelle Regeln bestimmt war. Patriarchalische Struktur und genossenschaftliche Bindung, materielle und emotionale Interessen, Lebenssicherung und häusliches Wohl verbanden sich zu einer Einheit, die individuelle Gestaltungsmöglichkeiten nur bedingt zuließ. Zwar unterlag auch das ›ganze Haus‹ einem sozialen Wandel im 18. Jahrhundert, war aber grundsätzlich noch im Erfahrungshorizont der Aufklärer präsent. Radikale Brüche gab es kaum, es kam zu Kompromissen ähnlich wie im Bereich des adeligen Hofes, der Kirche und der Stände.

Offiziell lebte man noch lange in der hergebrachten Ordnung, im ›Privaten‹ artikulierte man sich dagegen als Aufklärer mit überständischen Interessen. Zwar war der Ausgangspunkt eines ›Ausbruchs‹ aus der traditionellen Ordnung sehr unterschiedlich, aber jedesmal spielte eine schulische Ausbildung und Bekanntschaft mit der neuen Literatur zumeist über die Zeitschriften und das Treffen mit Gleichgesinnten eine entscheidende Rolle. Als dann mit steigendem Selbstbewußtsein höfische Geselligkeitsformen und ständische Lebensgewohnheiten als unbefriedigend empfunden wurden, konnten sich Gruppen konsolidieren, die sich von der traditionellen Ordnung abhoben und ihre Identität aus der überständischen Kommunikation bezogen.

Die genannten vier traditionellen Ordnungen sind in ihren Konsequenzen für das soziale Leben des einzelnen auch für die Lebenswelt der Aufklärer und Gebildeten voll zu vergegenwärtigen, wenn wir verstehen wollen, wie langsam zum einen der Prozeß der Aufklärung im 18. Jahrhundert vor sich ging und zu einer ›sozialen‹ Kraft erst zu Ende des 18. Jahrhunderts wurde, und wie stark zum anderen die Aufklärung mit ihren Forderungen nach Moral und Vernunft bzw. nach Unterstellung des ganzen gesellschaftlichen Lebens unter das Gebot von Moral und Vernunft etwas Neues war, das die alte Welt langfristig in Frage stellte.

Solange die Forderungen im Bereich des Privaten, damit Sache des einzelnen blieben, gab es kaum Probleme für den Aufklärer und seine Umwelt – die neuen Aktivitäten wurden neben die alten gestellt. Erst als die Selbstbildung zu einer Kritik an Staat und Gesellschaft führte, aufklärerische Gruppen zumindest für sich selbst soziale Konsequenzen aus den neuen moralischen und vernünftigen Postulaten zogen und sich von traditionellen Lebensbezügen befreiten, entwickelte sich eine Dynamik, die die Gesellschaft langfristig umändern sollte. Dieser Prozeß ist zwar eingebunden in einen gleichzeitig sich vollziehenden ökonomisch-politischen Wandel, besaß aber eine eigene Dimension. Grundsätzliches soziales Unbehagen artikulierten im 18. Jahrhundert jedenfalls nicht die Unterschichten, sondern das gebildete Bürgertum, das im Dienste an Staat, Kirche und Wirtschaft mündig geworden war. In keinem Zeitalter spielte literarische und philosophische Beschäftigung und Auseinandersetzung eine so stark emanzipatorische Rolle wie im 18. Jahrhundert: sie war das Medium bürgerlich-intellektueller Selbstfindung. Und ehe bürgerlichvernünftige Ordnungsmuster maßgebend für die ganze Gesellschaft wurden, waren sie zunächst Zielvorstellungen primär von Gelehrten, Intellektuellen und Gebildeten. Diese Zielvorstellungen berührten nun nicht nur den Bereich der von der konkreten Lebenswelt abgehobenen Weltanschauung, sondern bald auch die Lebensweise des sich intellektuell artikulierenden Bürgertums selbst und sprengten so erstmals den traditionellen Geselligkeitsrahmen. Es entwickelte sich gewisserweise neben den alten Ordnungswelten von Hof, Kirche, Stand und Haus eine neue Kraft, die zunächst nur eine private Angelegenheit des Bürgertums war, dann aber zum Muster eines generellen gesellschaftlichen Verhaltens wurde.

Weil sich der Emanzipationsprozeß in Deutschland über die Bildung vollzog, bedeutete die Konzentration auf Bildung keinesfalls einen politischen Rückzug. Bildungsaneignung und Selbstfindung waren soziale Prozesse. Die traditionelle Ordnung in Frage zu stellen, gemeinsame Reforminteressen auszubilden, sich zu organisieren und gesamtgesellschaftlich auch politisch tätig zu werden, waren grundlegend neue Momente in der europäischen Zivilisationsgeschichte.

Diesen Prozeß der Ausbildung neuer Kommunikationsformen in der ständisch strukturierten Gesellschaft darzustellen, dem gilt unser Interesse; er ist verbunden mit der Geschichte bürgerlicher Selbstfindung und Interessenartikulation und -wahrnehmung. Obwohl der Emanzipationsprozeß breitenwirksam erst zu Ende des 18. Jahrhunderts greifbar wird, hat er eine lange Vorgeschichte. Die Aufklärer selbst verwiesen auf sie und verliehen damit ihren Anliegen eine große, weit zurückreichende Tradition. Wichtige Merkmale bildeten sich sogar bereits in den verschiedenen Sozietäten des 16. und 17. Jahrhunderts aus.

II. Gelehrt-literarische Sozietäten im 17. Jahrhundert

1. Die humanistischen Sodalitäten

Die ersten freien Vereinigungen entstanden im Zusammenhang mit der Herausbildung einer weltlichen Kultur im Humanismus.[10] Ein sich außerhalb von Kirche und Universität konstituierender Gelehrtenstand gab sich in den sog. Sodalitäten eine neue, von zünftischen, monastischen und korporativen Bindungen unabhängige, freie Kommunikationsform. Sie kam einmal dem neuen Bedürfnis nach außerständischer Geselligkeit und gelehrtem Gespräch entgegen, zum anderen schuf sie Voraussetzungen und Bedingungen für die Entstehung einer von der Theologie emanzipierten weltlichen Wissenschaft. Ohne Zweifel handelt es sich nur um erste Ansätze eines freien Vereinigungswesens, die Organisationsstruktur läßt sich aufgrund der Quellen nur schwach rekonstruieren.

Schon vor 1500 hatten sich in Reichs- und Universitätsstädten lockere Zirkel von humanistischen Gelehrten gebildet; sie ergänzten als neue Kommunikationsform die durch das rasch sich verbreitende Verlagswesen und das Commercium litterarum bestehenden überregionalen Verbindungen und Zusammenhänge durch persönlichen Kontakt und private Gespräche. Eine Institutionalisierung dieser Zirkel zu Freundschaftsbünden und gelehrten Gesellschaften initiierte aber erst der deutsche Erzhumanist Conrad Celtis (1459–1508), dessen weltlicher Lebensstil und weltliches Selbstverständnis Programm des deutschen Humanismus wurden.[11] Die Unterstützung des Kaisers war ihm sicher. Nach dem Vorbild humanistischen Lebens und humanistischer Gesellschaften Italiens, wie sie die platonische Akademie in Florenz und die literarische Gesellschaft in Rom insbesondere verwirklicht hatten, organisierte Celtis in vielen Städten humanistische Sodalitäten als Zentren humanistischer Bildung. Aus dem Heidelberger Kreis bildete sich eine ›Sodalitas litteraria Rhenana‹, und die Wiener Humanisten vereinigten sich in der ›Sodalitas litteraria Danubiana‹. Es sind dies die bekanntesten Gesellschaften geworden. Die meisten Humanisten fühlten sich rasch der einen oder anderen Sodalität zugehörig. Doch dies genügte Celtis noch nicht, sein Anspruch zielte auf die Gründung einer über ganz Deutschland sich ausbreitenden allgemeinen literarischen Sodalität. Tatsächlich erlangte er auf dem Reichstag in Nürnberg 1501 ein kaiserliches Privileg. Aber von einer Verwirklichung seiner Vorstellungen kann nicht die Rede sein. Mehr Erfolg zeitigte das mit Unterstützung des Kaisers errichtete ›Collegium poetarum et mathematicorum‹ an der Universität in Wien, das aus führenden Mitgliedern der Donausodalität zusammengesetzt wurde und eine gewisse humanistische Konkurrenz zum Traditionalismus der artistischen Fakultät bilden sollte. Im Collegium sollten die modernen Wissenschaften wie Poetik und Mathematik, aber auch Geschichte, Philosophie, Kosmographie, lateinische wie griechische Sprachkunde gepflegt werden. Doch sowohl die deutschen literarischen Gesellschaften wie das Collegium überlebten Celtis nicht, es fehlte für eine fruchtbare Tätigkeit an gesellschaftlichen Voraussetzungen, aber auch an einem alle Humanisten einigenden theoretischen Programm.

Die Sodalitäten und bedingt auch das Wiener Collegium verfolgten einen dreifachen Zweck: Einmal verstanden sie sich als Vereinigung von gelehrten Freunden mit gleichen humanistischen Interessen, die sich privat trafen und dabei gegenseitig in ihren literarischen Tätigkeiten unterstützten, Lehrstücke ihrer Beredsamkeit vortrugen, selbst Theaterstücke aufführten und beim Gastmahl gesellige Stunden verbrachten. Hierdurch sollte ein neuer Gelehrtenhabitus gebildet werden, der sein Gefallen nicht mehr an den großen Schaudisputationen der Scholastiker finden sollte, bei denen es darauf ankam, mit formallogischem Scharfsinn und differenzierter Fachterminologie um ein dialektisches Problem zu streiten, sondern am geselligen Kreis der Gelehrten nach antikem Vorbild. Darüber hinaus waren die Sodalitäten gelehrte Gesellschaften, in denen wissenschaftliche Pläne diskutiert wurden. Celtis erwartete von ihnen Anregungen für Quellensammlungen und die Herausgabe gemeinsam erstellter Werke. Es sollte ohne gegenseitige Korrektur und ohne Zustimmung der Sodalitas kein Werk publiziert werden. Der einzelne Autor unterwarf sich bei derartigen Unternehmungen der Kritik seiner gleichgesinnten Freunde. Schließlich verstand sich die Sodalität auch als Schutzorganisation der Humanisten gegen den übermächtigen Scholastizismus der Universitäten, sie schuf Zellen, von denen aus die Reform des öffentlichstaatlichen Bildungswesens in Angriff genommen werden konnte. Die bekannten Dunkelmännerbriefe entstanden aus dem Kreis der Erfurter Sodalität, und die Gründung des Wiener Kollegiums weist auf die Funktion der Sodalität, dem neuen humanistischen Programm eine institutionelle Sicherung zu geben.

2. Sprachgesellschaften

Gesellschaftsformen eigener Art bildeten ein Jahrhundert später die sog. Sprachgesellschaften: sie waren zugleich die ersten Vereinigungen, die eine konkrete Gestalt erhielten und z.T. lange existierten.[12] Sie unterschieden sich wesentlich von den von Joh. Val. Andreae konzipierten ›christlichen Gesellschaften‹, knüpften in ihren Zielvorstellungen eher an die humanistischen Sodalitäten an und fanden eine gewisse Fortsetzung in den sog. ›Deutschen‹ Gesellschaften des 18. Jahrhunderts. Jedenfalls beriefen diese sich auf die Sprachgesellschaften als ihre Vorgänger.

Der Begriff ›Sprachgesellschaft‹ ist etwas irritierend: Zum einen umfaßt er sowohl Gesellschaften mit hohem Organisationsgrad wie auch Literatengruppierungen mit lockerer Bindung, zum anderen ging es zwar um die deutsche Sprache und Literatur, doch bildeten diese nur ein, wenn auch wichtiges Moment zur Stärkung von tugendhaftem und national-patriotischem Verhalten. Mit gutem Grund könnten die gleichen Vereinigungen auch Tugendgesellschaften heißen, wie einige von ihnen sich tatsächlich nannten. Zwar war die ›Fruchtbringende Gesellschaft‹ von Fürst Ludwig von Anhalt (1617) die größte und bekannteste Sprachgesellschaft, neben ihr kam aber noch zahlreichen weiteren eine zum Teil beachtenswerte Bedeutung zu, so etwa der ›Deutschgesinnten Genossenschaft‹ von Philipp von Zesen (1643) in Hamburg,[13] dem ›Pegnesischen Blumenorden‹ von Gg. Philipp Harsdörfer (1644) in Nürnberg und dem ›Elbschwanenorden‹ von Johann Rist (1656/60) in Wedel.[14] Hinzu kamen die kleineren Gesellschaften: die ›Aufrichtige Tannengesellschaft‹ von Jesaias Rompier von Löwenhalt (1633) in Straßburg, die ›Neunständige Hänseschaft‹ ebenfalls von Philipp von Zesen (1643/4), das ›Poetische Kleeblatt‹ von Joh. Christoph Becher (1671) in Straßburg, der ›Belorbeerte Tauben Orden‹ (1693), dessen Gründer und Gründungsort unbekannt sind;[15] weiter auch die ›Ister-Gesellschaft‹ in Niederösterreich[16] und die ›Tugendliche Gesellschaft‹ in Sachsen, lockere Gesellschaften adeliger Damen.[17] Die einflußreichsten und bekanntesten Gesellschaften waren die ›Fruchtbringende Gesellschaft‹ und der ›Pegnesische Blumenorden‹.

a) Die Fruchtbringende Gesellschaft

Die ›Fruchtbringende Gesellschaft‹, die größte und bekannteste Sprachgesellschaft des 17. Jahrhunderts, war eine fürstlich-adelige Gründung nach italienischem Vorbild.[18] Sie entstand aus dem anwachsenden Bedürfnis einer literarischen und adeligen Elite nach Stärkung und Verbesserung der hochdeutschen Sprache gegenüber dem steigenden französischen Kultureinfluß und nach Besserung und Aufrechterhaltung von Sitten und Tugend, die durch die Wirren des 30jährigen Krieges bedroht waren. Es war dies eine erste patriotisch-nationale Bewegung aus protestantischem Geist.

Zwar spielte die Pflege der hochdeutschen Sprache eine wichtige Rolle, sie sollte »in ihrem rechten wesen und stande ohne einmischung frembder außländischer Wort aufs möglichste und thunlichste« erhalten werden, doch vor dieser programmatischen Zielsetzung wollten die Mitglieder überall »erbar/Verständig und Weise/Tugendhaft und Höfflich/Nützlich und Ergetzlich/Lustselig Mäßig« sich zeigen, nicht zuletzt bei ihren Zusammenkünften »gütig/frölich und vertraulich« miteinander umgehen, womit »ungeziemende Reden und grobes Schertzen« ausgeschlossen waren.[19] Vom Mitglied erwartete die Gesellschaft keine festumrissenen Leistungen, etwa bestimmte literarische Produkte, sondern im wesentlichen ging es darum, immer und überall eine moralisch-ethische Haltung zu bewahren und sich für die Ziele der Gesellschaft einzusetzen. Die Gesellschaft nahm unter ihrem ersten Oberhaupt, dem Fürsten Ludwig von Anhalt, einen ungewöhnlichen Aufschwung. Von 1617–1650 wurden 527 Mitglieder aufgenommen, bis 1680 zählte der ›Palmenorden‹, wie sie auch genannt wurde, insgesamt 890. Obwohl ausdrücklich auf Stand und Religion keine Rücksicht genommen werden sollte, dominierte doch entsprechend der adlig-politischen Interessen des Fürsten der Adel. Es gab zwar auch zahlreiche Bürgerliche, unter ihnen die meisten bekannten deutschen Barockdichter, fast ausgeschlossen aber blieben evangelische Geistliche, obwohl es unter ihnen viele Literaten gab, wegen ihrer vermeintlich parteiischen Streitsucht, vor allem aber fehlten Katholiken und Frauen. Das war eine unausgesprochene Selbstverständlichkeit, adelige Frauen organisierten sich dementsprechend selbst.

Aufgenommen werden konnte nur ein Kandidat, der von einem anderen Mitglied vorgeschlagen wurde. Selbstbewerbungen gab es nicht. Bei der Aufnahme erhielt jedes Mitglied einen Gesellschaftsnamen, dazu einen Spruch und ein Emblem: Ludwig Fürst von Anhalt, das erste Oberhaupt der Gesellschaft, nannte sich der »Nährende«, sein Emblem stellte ein wohl ausgebackenes Weizenbrot dar und sein Spruch lautete »Nichts Besseres«. Martin Opitz, der bekannte Barockdichter, nannte sich der »Gekrönte«, auf seinem Emblem stand ein Lorbeerbaum unter breiten Blättern und sein Spruch hieß »Mit diesen«. Der Gesellschaftsname war kein Geheimname, sein Sinn lag in der Betonung »einer Gleichheit und Gesellschaft unter ungleichen Standespersonen«, darüber hinaus sollte auch die Publikation einer Schrift nicht dem einzelnen zur Ehre gereichen, »vielmehr auf dem gemeinen Nutzen« gerichtet sein.[20] Dieser Auflage entsprachen die meisten Mitglieder, selbst Harsdörfer, Gründer einer eigenen Sprachgesellschaft und angesehener Literat, publizierte unter dem Gesellschaftsnamen der Fruchtbringenden Gesellschaft.

Die Mitglieder schieden sich im großen und ganzen in zwei Klassen: denjenigen, die weit außerhalb von Köthen-Weimar, dem Hauptsitz der Gesellschaft, im ganzen Reich verstreut wohnten, wurde bei der Aufnahme in die Gesellschaft ein ›Annahmungsbrief‹ zugeschickt. Der Zusammenhalt mit der Gesellschaft war nur durch eine Korrespondenz gegeben. Sie konnte zu einem geistigen Austausch führen, in der Regel aber beschränkte sich der Briefwechsel auf die Formalitäten der Aufnahme. Eine weitere Verbindung äußerte sich einzig in der Publikation unter dem Gesellschaftsnamen. Von diesen ›korrespondierenden‹ Mitgliedern unterschieden sich diejenigen, die zur Aufnahme am Gesellschaftsort anwesend waren. In diesem Fall erfolgte ein strenges Aufnahmeritual. Die anwesenden Mitglieder saßen mit dem Oberhaupt um einen Tisch herum. Die Gesetze wurden vorgelesen, auf die der Neuankömmling eingeschworen wurde. Dann erhielt er Name, Spruch und Bild. Dem zeremoniellen Teil folgte in der Regel ein geselliger Ausklang. Dem neuen Mitglied wurde ein Glas zum Trunk gereicht, worauf ihm die anderen Mitglieder zutranken. Diese ›Hänselung‹ entsprach der traditionellen Aufnahme in eine Zunft.

Die Fruchtbringende Gesellschaft besaß eine einfache Organisationsstruktur: es gab ein Oberhaupt und einen Erzschreinhalter, der für die Korrespondenz zuständig war und die Mitgliederliste führte. Mit der Ernennung zum Mitglied war in der Regel die Haupttätigkeit der Leitung erschöpft. Das schloß allerdings nicht aus, daß es im Zusammenhang mit der Aufnahme neuer Mitglieder in Köthen oder Weimar zu gemeinsamen Zusammenkünften kam. Aber so sehr gemeinsame Aktionen erwünscht waren, blieben sie doch weitgehend aus.

Das Hauptinteresse des leitenden Fürsten war es, Gunst zu erweisen, um dadurch selbst als Fürst Verehrung auch und gerade unter Literaten zu finden, was reichlich geschah. Dichter und Schriftsteller ihrerseits erstrebten die Mitgliedschaft, weil diese die Anerkennung ihrer geistigen Leistung in einer höfischen Welt bekundete, auf deren Unterstützung sie angewiesen waren. Obwohl die Gesellschaft selbst kaum etwas unternahm, um ihre Ziele aktiv zu fördern, durch Gemeinschaftsarbeiten etwa, wie wir sie aus Italien kennen, verschmähte doch kein auch noch so bekannter Autor die Mitgliedschaft. Wir finden hier unter anderen Andreas Gryphius und Gg. Philipp Harsdörfer, Friedrich von Logau und Joh. Michael Moscherosch, Martin Opitz und Caspar Stieler, Johann Rist und Philipp von Zesen. Viele von ihnen waren gleichzeitig noch in anderen Gesellschaften organisiert.

Es ist immer wieder hervorgehoben worden, daß die Sprachgesellschaften im 17. Jahrhundert kaum einen Beitrag zur Besserung der deutschen Literatur geleistet hätten, im Gegenteil in eitlem, höfischem Spiel verblieben wären. In der Tat hat die Gesellschaft selbst unmittelbar produktiven Einfluß auf die Literatur nicht ausgeübt, sie war mehr an den Hof gebunden, als ihr guttat, doch dies ist nur die eine Seite. Die Tatsache, daß sich Literaten aus ganz Deutschland aus patriotischen und moralischen wie literarischen Gründen vereinigten, ist etwas grundlegend Neues. Hinzu kommt, daß bei aller Einschränkung erstmals kein Unterschied zwischen den Ständen, zwischen Adel und Bürgern, gemacht wurde, wie auch konfessionelle Gegensätze zwischen Reformierten und Lutheranern schwiegen. Dies ist um so bemerkenswerter in einer Zeit, als die konfessionellen Auseinandersetzungen auf dem Höhepunkt standen und der Adel zusehends begann, sich von Bürgerlichen bewußt abzusetzen. Zwar gab es, wie gesagt, kaum gemeinsame Arbeiten, weder an der Satzung noch an gemeinsamen Schriften, noch gab es Großunternehmungen, aber die Literaten einigten sich doch auf ein allgemeines Programm, das der Ausbildung eines patriotischen Bewußtseins auf der Basis hochdeutscher Barockdichtung zugute kam. Sosehr subjektiv nur individuelle Ehre gewonnen wurde, stärkte die Gesellschaft zugleich doch auch eine nationale protestantische Kultur.

b) Pegnesischer Blumenorden

Anders als die ›Fruchtbringende Gesellschaft‹ entstand der ›Pegnesische Blumenorden‹ aus einer engeren Dichtervereinigung.[21] Anläßlich einer Doppelhochzeit hatten 1644 Gg. Philipp Harsdörfer und Joh. Klai, bekannte Vertreter der Schäferpoesie, gewisserweise als feierliches Gesellschafts- und Auftragsspiel, ein »Pegnesisches Schäfergedicht in den Berinorgischen Gefilden, angestimmt von Strephon und Clajus« verfaßt, aus dem die Idee eines Blumenordens erwuchs. Auch diese Gesellschaft führte Gesellschaftsnamen ein. Das Sinnbild des Ordens war die Panpfeife, die andeuten sollte, »daß gleich wie diese unterschiedlichen Röhren in einer Pfeiffe vereinigt, zu einem Ton zusammenstimmen, also auch diese Pegnitz-Hirten mit ihren Liedern und Gedichten alle auf einen Zweck, nemlich zu Gottes Ehre, zur Tugend-Lehre und teutschen Sprache und Dichtkunst, Ausübung und Vermehrung abzielen sollen«. In seiner Organisationsstruktur ist der Dichterkreis schwer zu beschreiben, erst unter dem späteren Vorstand Sigmund von Birken wird er als regelrechte Sprachgesellschaft mit einer klaren Mitgliederpolitik greifbar, die sich ganz auf das Nürnberger Umfeld beschränkte. Es gab zwar früh Gesetze, doch gedruckt liegen sie erst aus dem Jahre 1716 vor.[22]

Zwar ging es der Dichtervereinigung primär um Förderung der deutschen Sprache, doch gleicherweise stehen Tugend und die Ehre Gottes als moralisch-sittliche Ziele im Vordergrund. Der »gekrönte Pegnesische Blumenorden« soll »seinen Landleuten« Anlaß geben, »als geborene Teutsche sich der Reinigkeit der deutschen Sprach, so wohl in Reden, als Schreiben zu befleissigen und, wann ja dieser Endzweck, wie er wohl vorausgesehen bey dem gemeinen Volk nicht könnte erhalten werden, doch zum wenigsten diejenige, die durch gute Künste und Wissenschaften sich von dem Pöbel zu unterscheiden pflegen, mit ihm ihre Mutter-Sprache zu verbessern, sich möchten angelegen seyn lassen, um sich dadurch den Weg zu bahnen, daß sie nachgehends zu dem Eintritt in den Hochlöblichen Palmenorden gelangen können«.[23]

Einen literarischen Höhepunkt erlebte der Blumenorden in der Frühzeit unter Harsdörfer auf den Friedensfeiern, die 1649–50 in Nürnberg stattfanden und bei denen Harsdörfer, Klai und Birken den Frieden feierlich priesen. Der Westfälische Friede wurde im Kreis der Nürnberger Schäfer als nationales Fest gefeiert. Ihre zu diesen Feiern veröffentlichten Schriften zeigten ein geistiges Nationalbewußtsein, in dem die traditionelle Reichsidee verbunden wurde mit einem neuen, sprachlich-kulturellen Begriff der Nation.[24]

Der ›Blumenorden‹ war weit weniger bekannt als die ›Fruchtbringende Gesellschaft‹. Seine Mitgliederzahl stieg nur langsam. Harsdörfer nahm bis 1658 nur 14 Mitglieder auf, den stärksten Aufschwung erlebte der Orden unter Birken, der bis 1681 weitere 58 Mitglieder gewinnen konnte. Sie rekrutierten sich weitgehend aus dem bürgerlichen Stand. Ein großer Teil entstammte der Nürnberger Oberschicht, die Mitglieder waren entweder in Nürnberg geboren oder aufgewachsen, die meisten von ihnen hatten in Altdorf studiert. Außer akademisch Gebildeten, Geistlichen, Juristen und Schulmännern nennt die Mitgliederliste sogar einige Kaufleute. Der Adel war nur schwach vertreten. Die Differenz zur Fruchtbringenden Gesellschaft in der Mitgliederstruktur wird noch deutlicher, wenn man bedenkt, daß auch Katholiken Aufnahme fanden und bis 1681 sogar 13 Frauen Mitglieder wurden. Birken war davon überzeugt, »daß die Natur dieses Geschlechte von der Tugend- und Weißheit-Fähigkeit nicht ausschließe«;[25] zu den weiblichen Mitgliedern zählte immerhin die bekannteste Romanschriftstellerin des 17. Jahrhunderts Maria Catharina Stockfleth.

Der Orden war ganz und gar an die Stadt Nürnberg gebunden, der Präses sollte dort ansässig sein. Zunächst trafen sich die Dichter an der Pegnitz, dann im Garten des Kaufmanns Andreas Ingolstätter, später im eigens eingerichteten ›Irrhain‹ bei Kraftshof. Die Sozietät umfaßte zwar eine beträchtliche Anzahl von bekannten Nürnbergern; es fehlten aber andererseits angesehene Schriftsteller und Dichter, wie vor allem der Prediger Joh. M. Dilherr, der auf Harsdörfer einen großen Einfluß ausübte,[26] oder auch die in Nürnberg lebende Catharina Regina von Greiffenberg, obwohl Birken mit ihr befreundet war.[27] Zwischen den literarischen und persönlichen Freundschaften Birkens und seinem ›Ordens‹engagement gab es offensichtlich eine beträchtliche Differenz.

Aus der kleinen Dichtergemeinschaft zu Beginn wurde vor allem unter dem Einfluß Birkens eine regelrechte Sprachgesellschaft, vergleichbar mit der Fruchtbringenden Gesellschaft, aber doch mit ganz anderem Gepräge. Zunächst hieß die Gesellschaft nur »Pegnitzscher Blumenorden«, dann, als Birken dem Orden einen religiös-erbaulichen Anstrich verlieh, auch der »gekrönte Blumenorden Pegnitzer Hirten«, die »Pegnitzer Hirtengesellschaft«. Birken und seine Freunde priesen das sorglose Hirtenleben als einen »uralten nothwendigen, unschuldigen und dem höchsten Gott wohlgefälligen Stand«. Die im dichterischen Werk beschriebene Welt der Schäfer wurde als gesellschaftliches Spiel gepflegt: nicht um Veränderung im realen Leben ging es, sondern um spielerische Darstellung einer schönen Fiktion zum Zweck der Geselligkeit und Erbauung. Die idyllische Welt der Hirten war zunächst rein nach weltlich-heidnischen Vorstellungen geprägt, erhielt dann aber einen religiös-mythischen Sinn. Der Hirte war nun nicht mehr allein das Symbol des unschuldigen und einfachen Menschen, sondern das Symbol des Heilands. Alle Mitglieder sollten »nichts eitles« suchen, sondern »bey ihrem Vorhaben vornehmlich auf die Beförderung der Göttlichen Ehre« bedacht sein und »dahin trachten, ihrem Seelen-Hirten Jesu Christo, zu seinem Preiß, geistliche Lieder anzustimmen«.[28]

Den Pegnesischen Hirten ging es nicht um gemeinsame Unternehmungen, geschweige darum, etwas Großes nach außen darzustellen, der Prestigewert der Mitgliedschaft war im Vergleich zur Fruchtbringenden Gesellschaft gering. Ein freundschaftlicher Umgang miteinander und die gemeinsame Liebe zur Schäferpoesie waren konstitutiv. Den Blumenorden kennzeichnet eine private Atmosphäre, so wenig auch hier das Subjektive des einzelnen Mitglieds eine Rolle spielte. Das Gesellschaftsleben war stilisiert. Ständische, kirchliche und geschlechtsspezifische Differenzen wurden nicht gemacht; eine gebildete Bürgerschaft einte sich vielmehr in einem überkonfessionell-religiösen und nationalpatriotischen Bewußtsein. In der Idylle erlebten die Hirten ihre neue, die häuslichen, ständischen und kirchlichen Bindungen überschreitende Welt.

3. Gelehrte Sozietäten

Die ältesten freien Vereinigungen waren zweifellos die literarischen Freundschaftskreise, rasch aber traten an ihre Seite gelehrte, naturphilosophisch bzw. naturwissenschaftlich orientierte Sozietäten. Ihr Aufstieg war eine Antwort einerseits auf das Verharren der offiziellen Universitätswissenschaft in einem traditionellen aristotelischen Wissenschaftsverständnis, das sich den neuen experimentellen Wissenschaften mit ihren neuen Methoden und Instrumentarien verschloß, andererseits auf die soziale Abschließung der Gelehrten in quasi ständischen Korporationen, in denen Neuerungen nicht akzeptiert wurden und nicht akademisch ausgebildete bzw. außerhalb der Universität wirkende Gelehrte ausgegrenzt waren, obwohl gerade in diesen Kreisen seit Bacon und Descartes der Aufschwung der Naturforschung stattfand. Die neuen Anforderungen und Interessen verlangten neue Organisationsformen. Bevor es zur Gründung Gelehrter Akademien im 18. Jahrhundert kam, gab es eine Reihe interessanter kleiner Versuche im 17. Jahrhundert, die zeigen, wie mühsam es war, sich über gemeinsame Interessen zu organisieren.

Einen frühen Versuch der Gründung einer philosophisch-naturwissenschaftlichen Sozietät unternahm der Mathematiker und Philosoph Joachim Jungius (1587–1657), der seiner in Rostock 1622 ins Leben gerufenen Gesellschaft den Namen ›Societas ereunetica‹ gab.[29] Wir wissen zwar nicht viel von dieser Gesellschaft, doch bekannt ist laut den erhaltenen Gesetzen, daß hier Gelehrte unter der Leitung eines Präsidenten die »Wahrheit der Vernunft und der Erfahrung« erforschen wollten. Instrumente und Geräte sollten gemeinsam angeschafft werden. Jedes Mitglied sollte sich auf ein Gebiet spezialisieren. Bemerkenswert ist die Idee, daß ein Gelehrter das Recht an seinem geistigen Eigentum behielt. Wichtige Beschlüsse sollten von allen gemeinsam getroffen werden, auch der Ausschluß eines Mitglieds sollte der Zustimmung aller bedürfen. Zum Schutz der Forschung und der Forscher sollten die Gesetze nicht öffentlich bekannt werden. Davon überzeugt, »was an einer Person hanget, ist sterblich, was am ganzen Collegio ist dawerhaft«, propagierte Jungius damit erstmals die Zusammenarbeit der Forscher in einem freien Meinungsaustausch. Sosehr die Unterordnung unter einen Präsidenten gegeben war, blieben andererseits die Rechte des einzelnen gewahrt. Für diese kühnen Ideen zeigte sich in der engeren Umgebung von Jungius durchaus Interesse, aber zur Errichtung der Societas kam es wohl wegen der beginnenden Wirren des 30jährigen Krieges nicht.

Weit bekannter ist die ›Academia Naturae curiosorum‹, die sog. ›Leopoldina‹, die 1652 der Arzt und Stadtphysicus Joh. Lorenz Bauch zusammen mit drei weiteren Freunden in Schweinfurt gründete.[30] Sie überlebte als einzige von den ältesten Gesellschaften bis heute. In ihrer Geschichte dokumentiert sich der schwere Weg institutionalisierter Naturforschung. Italienische Vorbilder spielten hier eine Rolle, wohingegen die oft behaupteten Bezüge zu Francis Bacons ›Nova Atlantis‹ jeder Grundlage entbehren. Anfangs handelte es sich ausschließlich um eine Vereinigung von Medizinern »zum Wachstum der Heilkunde, zum Vorteil für den Nächsten und zur Erforschung der Wahrheit«.[31] Es sollte keine öffentliche Akademie sein, sondern eine private Vereinigung von Wissenschaftlern, die »Naturae Curiosi seien, Wißbegierige in Sachen Naturgeschichte«. Unter Naturforschung verstand die damalige Zeit mehr die Sammlung und Beobachtung von Naturkuriositäten als eine experimentelle Wissenschaft, die Neues entdecken wollte.

Die Gesellschaft hatte einen Präsidenten, dessen Wohnort zugleich der Standort der Gesellschaft war, erst im 19. Jahrhundert erhielt die Akademie in Halle einen ständigen Sitz. Jedes Mitglied sollte sich aus dem Pflanzen-, Tier- und Mineralienreich einen Forschungsgegenstand auswählen. Namen und Synonyma, Entstehungsweise, Ort der natürlichen Vorkommen, Unterschiede und Arten waren ebenso zu beschreiben wie die Kräfte des Ganzen und seiner Teile und die Wirkungen der daraus gewonnenen Medikamente. Man sollte sich dabei auf eigene Beobachtungen ebenso stützen wie auf Berichte anderer. Jeder sollte für sich die Forschung vorantreiben, gemeinsames Arbeiten gab es ebensowenig wie gemeinsame Sitzungen, die auch aufgrund der weit auseinanderliegenden Wohnorte der Mitglieder kaum realisiert werden konnten: Nur die in Schweinfurt und in der unmittelbaren Umgebung wohnenden Mitglieder trafen sich gelegentlich.