Die Gestörten - Wolf Lotter - E-Book

Die Gestörten E-Book

Wolf Lotter

0,0
14,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die Beziehung zur kreativen Wissensarbeit in Deutschland ist kompliziert. Dabei entscheidet gerade die Creative Economy maßgeblich über die Innovations- und Transformationsfähigkeit im internationalen Wettbewerb. Mit kreativen Menschen können wir oft zu wenig anfangen – deshalb empfehlen prominente Manager:innen, diese zu Innovation und Transformation fähigen Mitarbeiter:innen in «geschützten Räumen der Organisation» arbeiten zu lassen, damit sie nicht vom Trott der Routine zermahlen werden.   Das kann nicht sein. Denn nicht die «Gestörten» stören die Entwicklung, sondern die «Gehemmten», die bei dem bleiben wollen, was sie haben. Die Folgen spüren wir deutlich: Heute fehlen Fachkräfte, Menschen, die nicht nur Routinen abarbeiten, sondern eigenständiges, individuelles Wissen zur Problemlösung anwenden können. Wolf Lotter erzählt, wo die alte und die neue Arbeitswelt inkompatibel sind und was kreative Wissensarbeit überhaupt ist, nämlich die normale Arbeitsform der Zukunft.   Was brauchen Die Gestörten? Was sind die klassischen Muster der Ausgrenzung? Mit welchen Organisationen überwinden wir diese Ausgrenzung? Wolf Lotter findet hierfür überall auf der Welt vielversprechende Leitbilder.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 96

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Wolf Lotter

Die Gestörten

 

 

 

Über dieses Buch

Die Beziehung zur kreativen Wissensarbeit in Deutschland ist kompliziert. Dabei entscheidet gerade die Creative Economy maßgeblich über die Innovations- und Transformationsfähigkeit im internationalen Wettbewerb. Mit kreativen Menschen können wir oft zu wenig anfangen – deshalb empfehlen prominente Manager, diese zu Innovation und Transformation fähigen Mitarbeiter:innen in «Geschützten Räumen der Organisation» arbeiten zu lassen, damit sie nicht vom Trott der Routine zermahlen werden.

Das kann nicht sein. Denn nicht die «Gestörten» stören die Entwicklung, sondern die «Gehemmten», die bei dem bleiben wollen, was sie haben. Die Folgen spüren wir deutlich: Heute fehlen Fachkräfte, Menschen, die nicht nur Routinen abarbeiten, sondern eigenständiges, individuelles Wissen zur Problemlösung anwenden können. Wolf Lotter erzählt, wo die alte und die neue Arbeitswelt inkompatibel sind und was kreative Wissensarbeit überhaupt ist, nämlich die normale Arbeitsform der Zukunft.

Was brauchen die Gestörten? Was sind die klassischen Muster der Ausgrenzung? Mit welchen Organisationen überwinden wir diese Ausgrenzung? Wolf Lotter findet hierfür überall auf der Welt vielversprechende Leitbilder.

Vita

Wolf Lotter (geboren 1962 in Mürzzuschlag/Österreich) ist seit den 1980er-Jahren Autor und Journalist mit dem Schwerpunkt Transformation und Innovation. Im Jahr 1999 war er Gründungsmitglied des Wirtschaftsmagazins «brand eins», für das er 23 Jahre lang die stilbildenden Einleitungen verfasste. Er ist regelmäßiger Kolumnist für die «WirtschaftsWoche», das österreichische «profil», Spiegel.de und «taz FUTURZWEI». Er ist Programmrat des ORF (Österreichischer Rundfunk) und Gründungsmitglied des PEN Berlin.

Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Dezember 2023

Copyright © 2023 by brand eins Verlag Verwaltungs GmbH, Hamburg

Lektorat Gabriele Fischer, Holger Volland

Faktencheck Katja Ploch, Victoria Strathon

Projektmanagement Hendrik Hellige, Daniel Mursa

Covergestaltung Covergestaltung / Art Direction: Mike Meiré / Meiré und Meiré

ISBN 978-3-644-02077-1

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

 

Die Nutzung unserer Werke für Text- und Data-Mining im Sinne von § 44b UrhG behalten wir uns explizit vor.

Hinweise des Verlags

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

 

Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

 

Im Text enthaltene externe Links begründen keine inhaltliche Verantwortung des Verlages, sondern sind allein von dem jeweiligen Dienstanbieter zu verantworten. Der Verlag hat die verlinkten externen Seiten zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung sorgfältig überprüft, mögliche Rechtsverstöße waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar. Auf spätere Veränderungen besteht keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Dieses E-Book entspricht den Vorgaben des W3C-Standards EPUB Accessibility 1.1 und den darin enthaltenen Regeln von WCAG, Level AA (hohes Niveau an Barrierefreiheit). Die Publikation ist durch Features wie Table of Contents (Inhaltsverzeichnis), Landmarks (Navigationspunkte) und semantische Content-Struktur zugänglich aufgebaut. Sind im E-Book Abbildungen enthalten, sind diese über Bildbeschreibungen zugänglich.

 

 

www.rowohlt.de

Inhaltsübersicht

Dieses Essay beschreibt ...

Die Gestörten

1. Die Störung

2. Die Gehemmten

3. Handarbeit

4. Kreative Arbeit

5. Kreative Klasse

6. Kreativismus

7. Die Diktatur der Langsamen

8. Elfenbeintürme

9. Erlangen

Wo sind die Gestörten heute oder: Wissen wir, was wir wissen?

It’s the culture, stupid

Ehrliche Gehemmte, faule Gestörte

Die Diktatur der Gehemmten

Vita Activa

Inventur

Gute Arbeit

Keine Rückkehr zur Fabrik. Nirgends.

Die Sektorenlüge oder: Warum die Industrie weitgehend zur Wissensgesellschaft geworden ist

Industrie 4.0 – ein Strohmannbegriff

Disruption oder: Keine Überraschung

Wissens-Qualität. Was das ist.

Management. Das Militärregime des Industrialismus

Wissen als solches

Entdecken lernen. Serendipität

Epilog

Was passiert, wenn es jemand besser kann?

Zöpfe abschneiden

Dieses Essay beschreibt die Lage der kreativen Wissensarbeiter und Wissensarbeiterinnen in Deutschland – und klärt auf über den Irrtum, dass Kreativität eine Ausnahme, ja sogar ein Störfall ist. Tatsächlich ist es die Normalarbeitsform des 21. Jahrhunderts, das, was Menschen bleibt, wenn Automatisierung und Digitalisierung uns von der Routinearbeit des Industriezeitalters befreit haben.

Kreativität heißt Probleme lösen, und zwar nicht nach Schema F, sondern abgestimmt auf die unterschiedlichen Bedürfnisse jener, die sie gelöst haben wollen. Möge uns allen das jeden Tag klarer werden und besser gelingen.

 

Der erste Text dieses Essays wurde 2007 geschrieben und erschien als Einleitung des Themenschwerpunkts «Ideenwirtschaft» von brand eins.

Wolf Lotter

Die Gestörten

2007

1. Die Störung

In Zeiten wie diesen, heißt es, ist alles neu, doch das ist nicht immer richtig. Zum Beispiel gibt es zwei alte Volksweisheiten, die heutzutage von größter Bedeutung sind. Sie lauten: Idioten haben’s leicht, und Genie und Wahnsinn liegen eng beieinander.

Beides gehört zusammen und ist im Licht der Wissenschaft sogar erklärbar. Zumindest für die amerikanische Neurowissenschaftlerin und Psychologin Shelley Carson von der Harvard University, die sich seit vielen Jahren aufopfernd und erfolgreich dem Phänomen besonders kreativer Menschen widmet.

In ihrem richtungsweisenden Experiment setzte Carson eine Reihe von Versuchspersonen in einen Raum. Die Kandidaten, vorwiegend Studenten, waren handverlesen, nach langen Vortests und eingehender Beobachtung ihres Verhaltens ausgewählt worden. Die erste Gruppe bestand aus Personen, die jede noch so tumbe Tätigkeit ohne großes Murren erledigten. Sie waren in der Lage, vorgegebene Aufgaben mit Gleichmut abzuarbeiten. Eigenständiges Denken lag ihnen nicht besonders. Sie lernten brav, in der Regel auswendig, was man ihnen vorgab, ohne große Zweifel an den ihnen vorgelegten Inhalten zu äußern. Konfrontierte man sie mit einem neuen Problem, herrschte in der Regel Flaute im Oberstübchen.

Die zweite Gruppe hingegen stellte Carson aus auffällig kreativen Studenten zusammen. Ihre schöpferische Begabung war auch ohne Vortests klar erkennbar. Sie gehörten zu der – bei Professoren nicht zwingend beliebten – Kategorie derjenigen, die nahezu alles hinterfragten, was man ihnen vorlegte, und die sich auch nicht mit einfachen, vorkonfektionierten Antworten abspeisen ließen. Carson ließ nun den Versuchspersonen über Kopfhörer einen Text vorlesen, in dem gelegentlich absurde Begriffe auftauchten, Fantasiewörter. Die sollten die Testpersonen nun zählen. Das wurde den Probanden auch so mitgeteilt.

Doch das eigentliche Experiment lief – heimtückischerweise – im Hintergrund ab. Die Versuchspersonen hörten nämlich nicht nur die klare Stimme des Sprechers, der die angekündigte Aufgabe verlas, sondern immer wieder auch störende Hintergrundgeräusche. Mit dem Ergebnis des Versuchs war die Hirnforscherin höchst zufrieden. Es kam, wie es kommen musste. Die erste Testgruppe registrierte die Störung praktisch nicht. Sie zählte, wie es ihr geheißen wurde, die falschen Begriffe wie Erbsen, und auch ihr Gesichtsausdruck änderte sich kaum, wenn Störgeräusche auftraten. Sie erwies sich als perfekt geschlossenes System, Menschen, wie geschaffen für Fließbänder, Buchhaltungstabellen und zur Formularbearbeitung.

Die Mitglieder von Gruppe zwei hingegen versagten. Schon einige Störungen genügten, um sie völlig aus dem Konzept zu bringen. Die wenigen unter ihnen, die mit aufgefasertem Nervenkostüm den Test zu Ende führen konnten, wiesen eine exorbitante Fehlerquote auf.

Die Wissenschaftlerin fand bestätigt, was in den Siebzigerjahren schon von ihrem Kollegen Hans Eysenck vermutet worden war: Kreative sind deshalb kreativ, weil ihr Gehirn auf Sinnesreize aller Art höchst offen reagiert. In durchschnittlichen Oberstübchen sorgt ein Mechanismus namens «latente Hemmung» dafür, dass Reize von außen mehr oder weniger abgeblockt werden. Menschen mit ausgeprägter latenter Hemmung sind durch nichts aus der Ruhe zu bringen und von ihren Routinen abzulenken. Unbekanntes, Neues – das perlt an ihnen ab wie Wasser auf frischem Lack. Ganz anders ist da das Denkorgan von Kreativen geschaltet. Die latente Hemmung ist schwach entwickelt, das Gehirn ist auf 360 Grad offen, zu allem bereit, rund um die Uhr.

Um die Sache einfacher zu machen, nennen wir die erste Testgruppe von nun an die Gehemmten und die zweite, die der leicht reizbaren Kreativen, die Gestörten. Das passt auch prima zu dem, was man uns ein Lebtag lang beigebracht hat.

2. Die Gehemmten

Was sagt uns dieser kleine Test? Eine ganze Menge. Zum einen: Kreativität braucht Konzentration. Wer will, dass andere gute Ideen haben, muss auch mal die Klappe halten können und die, die denken, nicht mit jedem Gedöns belästigen. Und das hat noch nicht mal was mit Anstand und Respekt vor Leuten zu tun, die Neues denken, wenn man sie in Ruhe lässt, sondern ist eine Frage von rudimentärem Verstand, von etwas Vernunft.

Kein ernsthafter Ökonom zweifelt heute daran, dass Ideen und Kreativität das wichtigste Wirtschaftsgut des 21. Jahrhunderts sein werden.Für die Gehemmten spielt das bisher keine oder kaum eine Rolle. Sie werden aber sehr schnell und sehr gründlich lernen müssen, dass ohne die Gestörten nichts mehr läuft. Im Laufe der Geschichte waren die Kreativen vor allen Dingen: Außenseiter, Verrückte, Spinner, Irre, die man zu Lebzeiten gern an den Rand der Gesellschaft drängte – um von ihren Ideen auch noch lange nach ihrem Ableben prächtig zu leben. Die Kulturgeschichte ist voller einschlägiger Erfahrungen: Kaum ein neues Kunstwerk, eine Erfindung, eine Neuerung, die sich nicht gegen hartnäckigen Widerstand der Gehemmten hätte behaupten müssen. Neid, Dummheit und Ignoranz haben sich stets als verlässlichere soziale Kräfte erwiesen als die Einsicht, dass neue Ideen auch zu einem besseren Leben für alle führen können. Möglich war das, weil der Anteil der Kreativen in der Gesellschaft immer klein war. Sie spielten zwar die entscheidende Rolle, wenn es um Fortschritt, Erfindung, Entdeckung und Kultur ging, ihr Platz war aber eindeutig der Hinterhof und Keller der Gesellschaft. Nur gelegentlich und zeitweilig wurden die nützlichen Idioten auch mal von den Machthabern in die Beletage geladen. Doch an den Verhältnissen änderte sich dabei nichts: Aus der Reihe der Gehemmten rekrutierten sich die, die das kreative Potenzial der Gestörten ausbeuteten und nutzten. Die Gehemmten nannten sich Praktiker, während man die Gestörten zu Theoretikern machte. Das lernen bis heute alle schon in der Grundschule. Die Kreativen sind zerstreut, wuselig, irgendwie nicht lebenstauglich. Erst durch die feste und ordnende Hand der Praktiker werden ihre Ideen nützlich. Kreativität ist demnach ein Rohstoff, so wie Kohle und Öl, der erst durch eine starke latent gehemmte Klasse zu etwas Nützlichem wird.

Rohstoffe, das weiß jedes Kind, müssen geformt werden, um nützlich zu sein. Diese Tradition beschreibt das Selbstverständnis der meisten Menschen, die bis heute die mächtigsten Positionen in unserer Gesellschaft innehaben: Politiker, Banken und nach wie vor ein großer Teil des Managements.

In der kreativen Ökonomie, in der Wissensgesellschaft, genügt es aber nicht mehr, ein leicht regierbares und manipulierbares Völkchen aus Erbsenzählern und mediokren Systemerhaltern hinter sich zu wissen, um Macht zu haben. Denn deren wichtigste Lebensinhalte – Auto, Einfamilienhaus und Mallorca-Urlaub – sind futsch, wenn sich die Einstellung zu den Gestörten im Lande nicht ändert. Ohne Kreativität keine Kohle. So einfach ist das.

3. Handarbeit

Vorsicht: Das ist nicht ein kleiner Modewechsel in der Menschheitsgeschichte, sondern die Umkehrung aller Verhältnisse, wie wir sie kennen. Die Gestörten übernehmen die Macht. Die Gehemmten führen ihr letztes Gefecht. Ist unser Verhältnis zur Kreativität wirklich so gestört? Auch das kann man an einfachen Fragen und simplen Tests selbst jeden Tag und zu jeder Stunde feststellen. Man stellt sich eine einfache Frage: Was ist Arbeit? Was ist ehrliche, richtige Arbeit?

Welche Antwort finden wir darauf?

Nach wie vor gewinnt Handarbeit gegen Kopfarbeit jede politische und öffentliche Debatte. Handarbeit ist ehrlich, Kopfarbeit unberechenbar und bohemienhaft. Die Handarbeit ist die Währung des guten Deutschen, die Kopfarbeit die Domäne der Außenseiter und Gestörten, der Schausteller und Intellektuellen. An nichts lässt sich das deutlicher zeigen als im Umgang mit Kopfarbeitern – gestern wie heute: Akademiker, die nach neuen Lösungen suchen, gelten ganz allgemein als schrullig. Verrückte Professoren eben. Deshalb gelang es Ex-Kanzler Gerhard Schröder auch so mühelos, Professor Paul Kirchhof – der als Finanzminister in einer Regierung Angela Merkel vorgesehen war – bei der Bundestagswahl 2005