Der den Stern trägt … - Howard Duff - E-Book

Der den Stern trägt … E-Book

Howard Duff

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Beschreibung

Der Autor steht für einen unverwechselbaren Schreibstil. Er versteht es besonders plastisch spannende Revolverduelle zu schildern und den ewigen Kampf zwischen einem gesetzestreuen Sheriff und einem Outlaw zu gestalten. Er scheut sich nicht detailliert zu berichten, wenn das Blut fließt und die Fehde um Recht und Gesetz eskaliert. Diese Reihe präsentiert den perfekten Westernmix! Vom Bau der Eisenbahn über Siedlertrecks, die aufbrechen, um das Land für sich zu erobern, bis zu Revolverduellen - hier findet jeder Westernfan die richtige Mischung. Lust auf Prärieluft? Dann laden Sie noch heute die neueste Story herunter (und es kann losgehen). Ein Schuß! Ein Schrei eines Mannes. Und der Schuß, niemand weiß es besser als Marshal Thorpe, ist in einem Raum abgefeuert worden. Es knallt noch einmal, dann klirrt ein Fenster. Joe Thorpe stürzt aus dem Laden des Barbiers und sieht einen Mann an der Tür von Bertrands Saloon einen Satz zur Seite machen. Das Klirren des Glases noch in den Ohren, stürmt Thorpe los. Aus den Augenwinkeln sieht er Dempsey, den Schmied, der mit offenem Mund vor der Schmiede an einem Wagen steht. In diesem Moment fliegt die Tür des Saloons auf. Und dann sagt die Stimme des jungen Gail Grant voller Panik: »Zurück! Wer aus der Tür sieht, der bekommt eine Kugel!« Er macht drei Schritte durch die Tür, dann zuckt sein Revolver herum. Die Waffe zeigt auf den Mann, der am Boden auf dem Vorbau liegt und die Hände ausgestreckt hat. In der nächsten Sekunde wirbelt der junge Grant herum. Er müßte nun den Marshal erkennen können. Vielleicht erinnert er sich an Thorpes Warnung, vielleicht denkt er daran, daß Thorpe ihm eine Menge Ärger prophezeite, vielleicht aber sieht er Thorpe nicht einmal. Es hat den Anschein, als wenn der junge Grant den Kopf verloren hätte und so voller Furcht steckt, daß er bereit ist, auf jeden Mann, der ihm in den Weg kommt, zu feuern. Herumwirbelnd macht Grant zwei, drei Sätze. Sein Pferd, auf dem er noch am Vormittag wie ein Wilder durch die Main Street geritten ist, steht am Balken vor dem Hotel Bertrands. Während Gail Grant zu seinem Pferd hastet, ruft jemand mit überschnappender

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Die großen Western – 211 –

Der den Stern trägt …

steht mit seinem Leben für das seiner Bürger

Howard Duff

Ein Schuß! Ein Schrei eines Mannes.

Und der Schuß, niemand weiß es besser als Marshal Thorpe, ist in einem Raum abgefeuert worden.

Es knallt noch einmal, dann klirrt ein Fenster. Joe Thorpe stürzt aus dem Laden des Barbiers und sieht einen Mann an der Tür von Bertrands Saloon einen Satz zur Seite machen. Das Klirren des Glases noch in den Ohren, stürmt Thorpe los.

Aus den Augenwinkeln sieht er Dempsey, den Schmied, der mit offenem Mund vor der Schmiede an einem Wagen steht.

In diesem Moment fliegt die Tür des Saloons auf. Und dann sagt die Stimme des jungen Gail Grant voller Panik: »Zurück! Wer aus der Tür sieht, der bekommt eine Kugel!«

Er macht drei Schritte durch die Tür, dann zuckt sein Revolver herum. Die Waffe zeigt auf den Mann, der am Boden auf dem Vorbau liegt und die Hände ausgestreckt hat.

In der nächsten Sekunde wirbelt der junge Grant herum. Er müßte nun den Marshal erkennen können. Vielleicht erinnert er sich an Thorpes Warnung, vielleicht denkt er daran, daß Thorpe ihm eine Menge Ärger prophezeite, vielleicht aber sieht er Thorpe nicht einmal. Es hat den Anschein, als wenn der junge Grant den Kopf verloren hätte und so voller Furcht steckt, daß er bereit ist, auf jeden Mann, der ihm in den Weg kommt, zu feuern.

Herumwirbelnd macht Grant zwei, drei Sätze. Sein Pferd, auf dem er noch am Vormittag wie ein Wilder durch die Main Street geritten ist, steht am Balken vor dem Hotel Bertrands.

Während Gail Grant zu seinem Pferd hastet, ruft jemand mit überschnappender Stimme:

»Er hat Clay erschossen, der Bursche hat Clay erwischt! Haltet ihn fest. Er hat Clay erschossen!«

Dem Tonfall nach muß es Lorring sein, der dort schreit. Lorring wird immer schreien, aber nachkommen wird er Grant nie, denn eine Kugel riskiert Lorring niemals.

In diesem Augenblick hat Grant das Pferd erreicht, macht den Zügel los und zieht sich in den Sattel. Das Pferd wird herumgerissen. Hackenschläge treiben es vorwärts. Er streckt sich und trommelt los.

Joe Thorpe aber hat in diesem Moment das bittere Gefühl, es die ganze Zeit gewußt zu haben. Der Junge mußte eines Tages jemanden umbringen. Bei seiner Wildheit konnte man es förmlich kommen sehen.

60 Yards etwa ist Thorpe noch entfernt. Er sieht Grant vorgebeugt im Sattel kauern. Thorpe erreicht ein Pferd. Er glaubt, daß es Lorrings Tier sein muß. Der Rappe neben diesem Schecken gehört Clay Bolton – gehörte Clay Bolton, denkt Thorpe. Sie haben dasselbe Brandreichen. Zwei Männer, die am späten Nachmittag in die Stadt gekommen sind und von denen einer nicht mehr lebt.

Thorpe zieht rasch das Gewehr aus dem Scabbard von Lorrings Sattel.

Vor ihm prescht Grant dem Ausgang der Stadt zu. Noch etwa 100 Yards, dann wird Grant das letzte Haus hinter sich gelassen haben und verschwunden sein.

Dempsey, der Schmied, steht immer noch wie erstarrt an seinem Wagen. Es ist, als wenn alle Leute, die auf der Straße oben in den Haustüren stehen, gelähmt sind. Selbst der Mann auf dem Vorbau von Bertrands Saloon liegt noch immer auf dem Bauch und macht keinen Versuch aufzustehen.

Thorpe läuft mit der Waffe auf die Straße.

Er ruft laut:

»Halt, Gail, anhalten!«

Das Gewehr wandert hoch, er sieht Gail Grants Kopf rucken. Der Junge sieht sich um, hält aber nicht an, er jagt weiter.

In dem Moment, in dem er den Marshal erkennt, versucht er das zu tun, was Thorpe auch tun würde: Er hat zwei, drei Wagen rechts vor sich, also eine Deckung, wenn er sie erreicht.

Die Wagen, große, schwere Überlandfahrzeuge, die von Ochsen gezogen werden, stehen vor dem GeneralStore. Sie haben Vorrat für den erwarteten Ansturm der Viehherden in die Stadt geschafft und sind bereits entladen worden. Die Fahrer werden im Store abrechnen oder ein Glas trinken. Zwei stehen, seltsam verstört und die Dinge nicht begreifend, die sich innerhalb kurzer Zeit abgespielt haben, in der Tür des Stores. Obwohl beide bewaffnet sind, macht keiner einen Versuch, auf Grant zu feuern.

Gail Grant zieht sein Pferd nach rechts. Noch 15 Yards, dann wird er hinter den Wagen sein.

»Halt, ich schieße!«

Zweimal gerufen, denkt Thorpe bitter. Mein Gott, ich habe ihn gewarnt. Er wird nie wie sein großer Bruder sein können. Er ist ein Grant, aber nicht Jim Grant.

»Halt!«

Tut mir leid, Gail, denkt Thorpe.

Und dann drückt er ab.

Er sieht durch die Feuerwolke, die aus der Gewehrmündung schlägt, das Pferd vor sich. Der Gewehrschuß dröhnt über die Straße. Dann bricht das Pferd zusammen.

Es ist, als wenn mit diesem Schuß und dem Krachen des Donners die Erstarrung der Männer endet.

Die Schwingtür des Saloons öffnet sich, zwei, drei Männer stürzen ins Freie. Drüben läßt der Schmied den Wagen los. Aus dem Alhambra, dem Saloon, in dem die Mädchen sind, kommen drei, vier Cowboys heraus.

Gail Grant ist vom Pferd weggesprungen.

Da läuft er, sieht sich um, ist vor den Wagen und hat den Revolver immer noch in der Hand. Er läuft sehr schnell und richtet seinen Revolver einen Moment auf die Frachtfahrer in der Tür des General-Stores.

Thorpe sieht es und ahnt, was in dem Jungen vorgeht. Von dieser Sekunde an weiß Thorpe, daß der Junge seiner ersten Dummheit noch einige zufügen wird. Gail Grant läuft Amok.

Dies ist die Reaktion eines Jungen, der sich immer zu groß vorgekommen ist und nun mit der Situation nicht fertig wird.

Kaum sieht Grant, daß die beiden Frachtfahrer aus der Tür treten wollen, da schießt er auch schon.

Aber zu schnell und überhastet. Ein Junge, der nun Amok rennt und keine Rücksicht mehr nimmt, ein Mann, der kein Pferd in greifbarer Nähe sieht und abdrückt.

Der Revolver kracht, der eine Mann stößt einen heiseren, lauten Schrei aus und wirft sich zu Boden.

Beim zweiten Schuß des Jungen dreht sich der zweite Frachtwagenfahrer um seine eigene Achse und greift schreiend an den linken Arm.

»Ich schieße, aus dem Weg, ich schieße!«

Gail Grants schrilles Geschrei läßt die Leute, die sich auf ihn stürzen wollen oder die Absicht haben, ihm den Weg zu verlegen, plötzlich stehenbleiben.

Irgendwo beginnt eine Frau hysterisch zu schreien.

Gails Pferd ist auf die rechte Seite gekracht und hat das Gewehr unter sich begraben. Der Junge hat nur seinen Revolver. Und mit ihm kann er nur etwa vierzig Meter weit schießen.

Marshal Joe Thorpe, fast einen Meter und neunzig Zentimeter groß, stürmt über die Straße, dem Jungen nach.

In Thorpes Hand liegt das Gewehr, eine Waffe, die für Gail Grant tödlich sein kann.

Ehe Gail Grant es noch schafft, die Ecke der nächsten Straßeneinmündung zu erreichen, verfolgt ihn der Marshal bereits mit raumgreifenden, schnellen Schritten.

Dann ist Grant an der Ecke und sieht sich um.

In diesem Moment sieht Grant, der den Hut beim Sturz vom Pferd verloren hat, wie sein großer Bruder Jim aus.

Der Bruder hat auch schwarzes Haar, er ist nur älter als Gail.

»Gail, bleib stehen!«

Thorpe ruft es noch mal, aber Gail läuft weiter.

Im nächsten Augenblick ist er um die Ecke verschwunden.

Gail Grant ist in die Seitenstraße eingebogen.

Thorpe aber fühlt nichts als Angst um einige Leute, als er an den Revolver in Gails Hand denkt.

Kaum ist Grant fort, als die allgemeine Verfolgungswut ausbricht. In dieser Sekunde rennen sie alle los.

Jim Lorring, ein dürrer Mann mit einem traurig herabhängenden Schnurrbart, Agent der großen Schlachthäuser in Chikago und ansonsten eine Niete, wie sie im Buch steht, kommt aus dem Saloon und kreischt wie besessen:

»Haltet den Mörder, haltet den Mörder! Hundert Dollar für den, der ihn fängt!«

Er scheint sich jedoch die von ihm selbst ausgesetzte Belohnung am ehesten verdienen zu wollen, denn er rennt nun los. Bei den Pferden bleibt er stehen, nimmt das Gewehr seines Partners aus dem Sattelschuh und hastet weiter.

Was immer der Junge in diesem Augenblick fühlt, niemand weiß es, aber Thorpe ahnt es. Der Junge kommt sich nun wie ein in die Enge getriebenes Tier vor, auf das man eine Treibjagd veranstaltet.

Wenn er ein Pferd erwischt, denkt Thorpe bitter, dann verschwindet er aus der Stadt. Und ist es ein einzelner Reiter, den er trifft, dann wird er diesen Mann zwingen, sein Pferd zu verlassen, um sich in den Besitz eines vierbeinigen Untersatzes zu bringen. Der Junge könnte den nächsten Mann erschießen.

Er rennt nach links. Der Gedanke, daß sich Grant nach rechts gewendet haben könnte, ist zu absurd, denn dann würde der Junge ja genau auf die Main-Street kommen. Thorpe rennt nach links, kommt etwa dreißig Meter weit, als er einen lauten Schrei hört und dann eine Tür donnernd schlägt. Die Sonne steht so niedrig, daß sie kein Licht mehr in die Gasse wirft. Der Schrei aber kommt von halblinks, also von dem freien Platz her, an dem der Frachtwagenhof liegt, zu dem ein kleiner Store gehört. Die Häuser stehen hier nicht mehr so eng beieinander. Der Ausblick, der Thorpe dann auf den freien Platz hat, raubt ihm beinahe den Atem. Er sieht Gainsford, den Verwalter des Stores, einen kleinen, mageren Mann mit einer ulkigen Nickelbrille auf der Nase, aus dem Store rennen.

Wiederum hat der Junge Pech gehabt, vor dem Store kein Pferd zu finden. Gainsford aber scheint Glück gehabt zu haben, daß er noch lebt.

Der amoklaufende Grant hat ihn anscheinend am Kopf getroffen, denn der kleine Mann hält sich mit beiden Händen den Schädel.

Kaum aber sieht er Thorpe, als er auch schon ruft:

»Marshal, er ist hinten rausgelaufen.«

Während Thorpe hastig an ihm vorbeiläuft und nach links zur Hausecke kommt, hört er hinter sich eine ganze Meute heulen. Der Junge hat mehr Verfolger, als ihm lieb sein kann.

»Bleibt zurück!«

Thorpes scharfer Ruf findet keine Beachtung.

Und dann schreit auch schon jemand heiser los:

»Da rennt er, will ein Pferd holen.«

»Bleibt alle, wo ihr seid!« ruft der Marshal noch mal.

Und dann stürmt er los. Vor ihm aber knarrt das Gatter des Corrals.

Dann wiehert auch schon das Pferd. Thorpe erreicht die Schuppenecke und sieht den Jungen bereits auf dem Pferd sitzen. Das Tier trägt keinen Sattel, es hat lediglich das Zaumzeug im Maul, dessen kurze Zügel der Junge hart angezogen hat. Er hält sie, mit der linken Hand und in der rechten die Waffe.

In dieser Haltung reitete er auf das Gatter zu und sieht Thorpe, der von ihm etwa 35 Yards entfernt ist, aus flackernden Augen an.

»Thorpe, ich schieße!«

Seine Stimme ist so voller Panik.

Thorpe bleibt stehen. Der Junge würde ihn niederschießen, wenn er sich nur etwas bewegt.

»Sei kein Narr, Gail, du bringst dich um deinen Kopf.«

»Ich gehe nicht ins Jail, Marshal. Ich schwöre dir, ehe ich ins Jail gehe, bringe ich jemanden um, und wenn du es bist. Bleib stehen, ich sage dir, ich bluffe nicht, ich schieße dich über den Haufen!«

Sein Revolver zeigt auf Thorpe. Er kommt durch das Gatter und ist draußen.

»Keinen Schritt weiter! Läufst du, dann knallt es!«

Er nimmt das Pferd geschickt herum und lenkt es rückwärts, ein blendender Reiter, an der Corralseite entlang. Die ganze Zeit aber deutet seine Waffe auf Thorpes Brust.

Und dann dreht er das Pferd wieder.

Er ist nun weit genug entfernt, um Thorpe nicht mehr fürchten zu müssen.

In dieser Sekunde geschieht es.

Ein Mann verliert vor Furcht beinahe den Verstand.

Dempsey, der Schmied, hat zwar einen Revolver. Irgendwann in seinem Leben hat er einmal auf einen Menschen geschossen. Es war zu der Zeit, in der die erste Kontinentalbahn gebaut wurde und sich einige Indianer in sehr großer Entfernung zeigten. Das ist lange her. Und sie waren auch nicht nahe genug.

Es ist Dempsey, als würde mit jedem Meter, den Gail Grant näherkommt, der Wunsch wegzulaufen immer größer. Er blickt auf Lorring, der mit aschgrauem Gesicht vor ihm kauert. Beide stehen unter einer Telegrafenstange. Sie hören die Stimme des Jungen, eine Stimme, die voller Panik ist. Dann nähert sich das Trappeln der Hufe.

Und dann taucht das Pferd auf.

Dempsey hat die Hand gesenkt und denkt nicht daran zu schießen. Er ist kein Selbstmörder.

In dieser Sekunde ist es Lorring, als wenn eine Hand seine Kehle umklammert hält und immer fester zudrückt. Er hat das Gefühl, erwürgt zu werden, und muß schlucken. Mit beiden Händen hält er sein Gewehr umklammert. Und nichts als die Angst vor dem Jungen ist das. Für einen Mann, der nie in seinem Leben besonders mutig gewesen ist und die Befehle anderer ausgeführt hat, kommt dieser Junge als die erste Entscheidung von Bedeutung auf Lorring zu.

Er erschießt mich, sagt sich Lorring. Er wird mich umbringen.

Das Gewehr in seiner Hand hebt sich. Er hat nicht die Absicht zu schießen, aber irgendwie gibt ihm das Gewehr einen Halt, die Waffe vertreibt seine Furcht, sie gibt ihm etwas Sicherheit.

Gail Grant sieht Lorring vor sich, ein mörderisches Flackern in den Augen.

Und da richtet Grant den Revolver auf Lorring.

Aus, denkt Lorring und möchte schreien vor Angst, nun schießt er auf mich.

Es ist dieser Gedanke, der ihn die Waffe umklammern läßt. Er weiß nicht, daß er die Hand am Schaft und den Finger am Abzug der Waffe hat. Er sieht nur das Gesicht vor sich, die wilden Augen, die Waffe, dessen Lauf auf ihn deutet.

Angst, nichts als Angst für Lorring. Furcht in der tiefsten Seele.

In seiner Furcht umklammert Lorring das Gewehr zu heftig, seine Finger schließen sich.

Unter dem Zeigefinger aber ist der Abzugsbügel.

Und der Bügel zieht sich nach hinten, als Lorring instinktiv sein Gewehr hebt.

In seinen Ohren ist plötzlich der Knall, ein scharfer, brüllender Knall, der seine Trommelfelle zerreißen will. Eine Feuerwolke schießt aus dem Lauf seines Gewehres.

Jim Lorring blickt immer noch hoch, immer noch auf das Gesicht mit den wilden Augen. Und dann sieht er wie in einem unwirklichen Traum, der ihn zum Schwitzen bringt, die Veränderung in dem Gesicht, das ihn so drohend und bösartig angesehen hat.

Der Junge sitzt steif im Sattel. Dann aber neigt er sich nach hinten.

Es ist kein Sattel da, der ihm einen Halt geben könnte. Es gibt auch keine Steigbügel, in denen er sich hochstemmen kann, nur der nackte Rücken des Pferdes.

Der Junge gleitet ganz langsam nach hinten. Es sieht so aus, als wenn er nur sein Gewicht verlagern will. Doch dann wird aus dem Gleiten der Fall.

Jim Lorring blickt auf das hellgelbe Hemd des Jungen und sieht einen Moment den runden Fleck auf der linken Brustseite. Dann ist der Junge fort. Er stürzt zu Boden, er ist vom Pferd herabgefallen und liegt im Gewirr der Furchen, die jene Wagen hinterlassen haben, mit denen einmal die Bäume hergeschafft worden sind. Sein Pferd macht zwei kleine, erschreckte Sprünge, um dann stehenzubleiben.

Jim Lorring hat geschossen, und Gail Grant ist tot.

Der Mann, der aus lauter Angst geschossen hat, umklammert immer noch sein Gewehr. Er hält es fest, als wenn er sich an einer Stuhllehne oder an einem Tisch halten muß. Das Begreifen dauert nur wenige Sekunden. Dann sieht er Thorpe auftauchen und neben dem Jungen in die Knie gehen.

Joe Thorpe, der Mann, der den Stern in dieser Stadt trägt, blickt in das starre Gesicht Grants. Dann hebt er den Kopf und sieht Lorring an, als wenn er ihn zum ersten Mal in seinem Leben trifft.

»Er wollte mich umbringen!« sagt Lorring plötzlich hoch und schrill. »Er wollte mich doch…«

Dann bricht seine Stimme mit einem kleinen Seufzer ab.

Joe Thorpe steht langsam auf, blickt ihn immer noch an und nähert sich ihm mit kurzen, gleichmäßigen Schritten.

»Lorring, Mensch!«

»Er wollte mich umbringen, er wollte mich doch umbringen!«

»Ja«, sagt Thorpe ächzend. »Vielleicht wollte er das, aber warum, zum Teufel, habt ihr euch hier versteckt gehalten? Ich sage dir, diese Sache kostet dich noch mehr, als du bezahlen kannst. Wenn Jim Grant davon hört, dann bist du ein toter Mann!«

*

Im Licht der Laterne vor Tailers Saloon sieht Marschal Joe Thorpe zwei Männer auftauchen, die schnell auf den Vorbau treten und dann durch die Tür verschwinden.

Einen Augenblick furcht Thorpe die Brauen. Dann aber sagt er sich, daß er Tailer so wenig wie irgendeinem der anderen Leute hier verbieten kann, sich berufsmäßige Spieler in seinen Saloon zu holen. Die Stadt hat bis zum Anfang dieser Woche kaum Fremde gesehen, die sich länger hier aufhielten. Inzwischen sind etwa 30 Spieler hier, Männer, die alle am Auftrieb verdienen wollen. Dazu kommen rund 120 Leute, deren Arbeit es sein wird, Rinder aus den Corrals in die Züge zu verladen. Wenn sich ein Marshal die Arbeit machen würde, jeden einzelnen dieser Männer zu überprüfen, dann würde er damit einige Tage verlieren. Thorpe ist sicher, daß sich, sobald der Auftrieb richtig begonnen hat, bestimmt 20 Burschen in der Stadt herumtreiben, die gesucht werden. Erst am Vormittag hat er zwei Männer gesehen, die zwar heruntergekommen und sehr schmutzig, aber sicher noch nie im Leben ernsthaft mit Arbeit beschäftigt gewesen sind.

All die Dinge, die auf Thorpe warten, sechs Wochen wilder Hölle, sind jedoch gegenstandslos gegenüber der Tatsache, daß Gail Grant übermorgen begraben werden wird. Sein großer Bruder in Denver hat zwar die Nachricht von Gails Tod geschickt bekommen, ob er sie aber erhält, ist eine andere Frage. Vielleicht ist Jim Grant längst unterwegs nach Norden in diese Stadt. Und vielleicht kommt er gerade rechtzeitig, um bei der Beerdigung Gails dabei zu sein. Was danach passiert, man muß es abwarten.

Thorpe seufzt. Das Essen, das ihm der alte Johnes gebracht hat, will ihm heute nicht schmecken. Es ist Thorpes Angewohnheit, jeden Abend pünktlich um 10 Uhr in Judy Dillons Hotel zu essen.

Thorpe schneidet sich ein Stück Fleisch ab, steckt es in den Mund und versucht an etwas anderes zu denken, als an Jim Grant. Während er lustlos kaut, hört er einen leichten Schritt, das Klappen der Tür und hebt kurz den Kopf.

In der Ecke des Speisezimmers sitzen einige Leute, die genau wie er noch eine warme Mahlzeit verlangt haben. Während sie bereits gegessen haben, hat sich Thorpe an diesem Abend verspätet.

Judy Dillon kommt durch den Gang zwischen den Tischen und nickt den Leuten zu. Dann nähert sie sich Thorpes Ecke, einem Platz, der Thorpe den Vorteil bringt, gleichzeitig die Straße im Auge behalten zu können und zudem noch im Rücken und an der Seite die Wand zu haben.

Judy ist groß, eine Frau von etwa 25 Jahren mit blonden Haaren, grünen Augen und einem Mund, der für Thorpe stets ein freundliches Lächeln hat.