Die Heilkraft der Tiere - Rainer Wohlfarth - E-Book

Die Heilkraft der Tiere E-Book

Rainer Wohlfarth

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Beschreibung

Die Wiederentdeckung einer uralten Verbindung.

Wie unterstützen Tiere unsere Kinder beim Erwachsenwerden? Warum sind Menschen mit Haustieren weniger gestresst? Wie stärkt der Kontakt mit ihnen unser Immunsystem? Solche und viele weitere Fragen beantworten Dr. Rainer Wohlfarth und Bettina Mutschler mit einer unterhaltsamen und spannenden Mischung von zahlreichen Fakten und interessanten Fallgeschichten aus ihrer täglichen Arbeit. Die beiden Experten auf dem Gebiet der Mensch-Tier-Beziehung helfen uns, zu verstehen, wie enorm wichtig der Kontakt mit Hund, Katze & Co. für unsere Gesundheit ist und wie wir dieses Wissen für unser eigenes Leben verwenden können.

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Seitenzahl: 413

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Zum Buch

Dr. Rainer Wohlfarth und Bettina Mutschler beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit den enormen Auswirkungen, die Tiere auf uns Menschen haben. In ihrer täglichen Arbeit geht es um die gesamte Bandbreite menschlichen Verhaltens – und wie uns Tiere dabei helfen können, uns selbst besser zu verstehen.

Wie unterstützen Tiere unsere Kinder beim Erwachsenwerden? Warum Tierbesitzer weniger gestresst sind? Wie schützen Tiere uns vor einem Herzinfarkt? Wie gelingt es Ziegen, einem apathischen Kind, das unter der Trennung seiner Eltern leidet, wieder zu mehr Fröhlichkeit zu verhelfen? Warum öffnen sich depressive Menschen, wenn ein quicklebendiger Hund neben ihnen auftaucht? Oder auch: Was kann ein Manager von Eseln lernen?

Solche und viele weitere Fragen beantworten die beiden Autoren mit einer hervorragend lesbaren und unterhaltsamen Mischung aus wissenschaftlichen Fakten und konkreten Beispielen aus dem Praxisalltag. Ihr Buch geht dabei weit über eine einfache Wertschätzung der Mensch-Tier-Beziehung hinaus. Es lässt uns verstehen, wie enorm wichtig der Kontakt mit Tieren für unsere Gesundheit ist und wie wir dieses Wissen für unser eigenes Leben verwenden können.

Zum Autor / Zur Autorin

DR. RAINER WOHLFARTH, Jahrgang 1960, ist Psychologischer Psychotherapeut mit Schwerpunkt Verhaltenstherapie und Neuropsychologie. Nach mehreren Stationen im klinischen Bereich arbeitet er erfolgreich in eigener Praxis und leitet »Ani.Motion«, das Institut für tiergestützte Therapie in Sasbachwalden. Er befasst sich seit 2006 intensiv mit tiergestützten Interventionen, hat zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten zu diesem Thema publiziert und ist heute einer der führenden Vertreter auf diesem Feld. Außerdem ist er Präsident der »European Society of Animal-Assisted Therapy« (ESAAT) und Vizepräsident der »International Society of Animal-Assisted Therapy« (ISAAT).

BETTINA MUTSCHLER, geboren 1968, ist Spezialistin für tiergestützte Therapie. Als Coach setzt sie Hund und Esel in ihrer täglichen Arbeit mit ihren Klienten ein. Neben ihrer Tätigkeit als Referentin bei »Ani.Motion« leitet sie eine eigene Schule zur bindungsgeleiteten Hundeerziehung. Außerdem gibt sie deutschlandweit Seminare und bildet Therapiebegleithunde-Teams aus. Sie gilt als einer der innovativsten Köpfe zum Thema Bindung zwischen Mensch und Tier im deutschsprachigen Raum und ist Autorin von zahlreichen Fachbüchern und wissenschaftlichen Artikeln.

Dr. Rainer WohlfarthBettina Mutschler

DIE HEILKRAFT DER TIERE

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Originalausgabe April 2020Copyright © 2020 by Rainer Wohlfarth

Copyright © 2020 by Bettina Mutschler

Copyright © 2020 by btb Verlag

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Michael Meller Literary Agency GmbH, München

Umschlaggestaltung: semper smile, München

Umschlagmotiv: © Peter von Felbert

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-24722-5V001www.btb-verlag.de

www.facebook.com/btbverlag

Allen unseren Tieren, die uns inspiriert haben.Was ihr uns beigebracht habt, wird uns ein Leben lang begleiten.

   Inhalt

1 Vorneweg: Ein wenig Geschichte

Wie Tier und Mensch zueinanderfanden

2 Entwicklungshelfer auf vier Pfoten

Von draußen nach drinnen

Das Web of Life

Warum Natur für Kinder so wichtig ist

Tiere als Bindungspartner

Tierische Kameradschaft

Bedingungslose Akzeptanz

Tierische Tröster

Tiere fördern Empathie

Mit Tieren lernen

Tierische Vorbilder

Wissenschaftlich abgesichert

Kinder sind biophil

Zu wenig Natur macht krank

Aber sind Tiere nicht auch gefährlich?

Und jetzt sofort ein Tier anschaffen?

3 Mit Tier(en) lebt es sich gesünder

Ein gesundes Herz durch unsere besten Freunde

Natur, Biophilie und das Wohlfühlen

Die Macht der Hormone

Tiere helfen, Arztkosten zu sparen

Hund, Pferd oder Katze?

Tiere im Alter – geht das?

Die Nebenwirkungen

4 Hunde als Lebenshelfer

5 Tiere und Therapie

Tiere als Therapeutikum – die Wurzeln

Was können Hund und Esel, was der Doktor nicht kann?

Tierisch gute Therapie

6 Lebensretter Delfine?

New Age

Delfin-assistierte Therapie

Mögliche Erklärungen

Und was sagt die Wissenschaft?

Die Schattenseiten

7 Bauernhoftiere öffnen Welten

Störrische Esel machen munter

Rendezvous mit Minischweinen

Mit Schafen Teil der Herde sein

Zickige Ziegen setzen Grenzen

Mit Hühnern Geduld üben

Die Seelenruhe der Kühe

8 Voraussetzungen für eine tierisch gute Therapie

Tiere vollbringen keine Wunder

Die sieben Schlüssel für eine heilsame Wirkung

Kein Einsatz von Wildtieren!

Frühe Sozialisation

Tiere aus dem Tierschutz – oder lieber nicht?

Die richtige Ausbildung

Ein etwas anderes Schlusswort

Auf ein Wort

Danksagung

Wichtige Informationsquellen

Anmerkungen und Quellenverzeichnis

   Ein etwas anderes Vorwort

Während Rainers Psychologiestudium, also Mitte der 1980er-Jahre, waren Tiere lediglich als Versuchsobjekte interessant. Er erfuhr anhand von Tierversuchen, wie der Mensch lernt oder sich psychische Erkrankungen entwickeln. Er lernte aber kaum etwas über die Beziehung zwischen Mensch und Tier, und wie diese die menschliche Evolutionsgeschichte, unser Denken und Fühlen oder unser psychisches Gleichgewicht beeinflusst.

An einem sonnigen Nachmittag vor ein paar Jahren saßen wir dann beim Kaffee und überlegten im Spaß, wie wir Ayla, unsere junge Schafpudelhündin, sinnvoll beschäftigen könnten: Toilettenpapier bringen, Waschmaschine ausräumen, Zeitung holen, das Telefon bringen ... Wir wischten uns bald die Tränen ab, die uns bei all den schrägen Ideen vor Lachen gekommen waren. Uns war natürlich klar: Wir brauchten etwas anderes. Etwas richtig Sinnvolles wollte uns aber zunächst nicht einfallen.

Ein paar Wochen später waren wir zur Geburtstagsfeier eines guten Freundes eingeladen. Doch statt fröhlicher Lieder und Partystimmung herrschte betretenes Schweigen – zwei Tage zuvor war er von seiner Ehefrau vor die Tür gesetzt worden. Da saß er nun mit gesenktem Kopf, eingefallenen Augen und traurigem Blick – die Gespräche flossen zäh dahin, die Geburtstagstorte schmeckte schal. Doch mit einem Mal hellte sich sein Blick auf, und der Anflug eines Lächelns huschte über sein Gesicht: Ayla hatte ihren Kopf auf seine Knie gelegt, und er streichelte sie sanft. Das hatten wir noch nie beobachtet. Ayla war ein sehr zurückhaltender Hund, was den Kontakt zu Menschen anging, selbst uns beschenkte sie nur selten mit intensivem Kuscheln. Und nun das. Ganz intuitiv schien sie zu spüren, was für unseren Freund in seiner Situation sinnvoll und wichtig war: in den Arm genommen werden. Damals wussten wir noch nichts von »Biophilie«, »Oxytocin« oder »Du-Evidenz«. Wir sahen nur, wie Ayla ganz von sich aus das Richtige tat – und in genau diesem Augenblick wussten wir, wie wir Ayla sinnvoll beschäftigen könnten.

Unsere Neugier war geweckt, die wichtigste unserer menschlichen Eigenschaften. Wir wollten mehr darüber wissen, was Hunde und Menschen verbindet, und unser Wissensdurst wurde bald unersättlich. Und so luden wir nach und nach kluge Leute in unser Wohnzimmer ein, die uns die Welt tiergestützter Interventionen näherbringen sollten. Es fand sich rasch eine kleine Schar von Interessierten, die mit uns in diese neue Welt eintauchten. Dann geschah etwas, womit wir nie gerechnet hatten: Beinahe unablässig klingelte das Telefon, völlig Unbekannte waren erpicht darauf, an unseren »Wohnzimmer-Fortbildungen« teilzunehmen, doch unsere Wohnung war dem Ansturm bald nicht mehr gewachsen. So entstand das Freiburger Institut für tiergestützte Therapie, das bald durch ein eigenes Trainingsgelände und ein kleines Seminarzentrum erweitert wurde.

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Mit der Zeit sammelten wir unsere eigenen Erfahrungen. Bettina im täglichen Umgang mit Hunden und seit einigen Jahren mit Eseln, Rainer hingegen interessierte sich für das wissenschaftliche Fundament der Mensch-Tier-Beziehung. Beide trugen wir mit den Jahren einen großen Erfahrungsschatz darüber zusammen, wie man Tiere in Therapie und Coaching einsetzen kann. Zwischen uns ergab sich eine äußerst belebende Verbindung, die mehr ist als das Einzelne zweier Teile. Ähnlich der intensiven Zusammenarbeit zwischen Therapeut und Tier, die für den Klienten einen deutlichen Mehrwert besitzt, da er das Beste vom menschlichen Therapeuten und tierischen Co-Therapeuten bekommt. Bei uns treffen Wissenschaft und Intuition zusammen.

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Wie muss die Mensch-Tier Beziehung gestaltet sein, dass wir Tiere ethisch vertretbar als Co-Therapeuten einsetzen dürfen?

Diese Frage ist inzwischen zu einem Lebensthema für uns geworden.

Jeder kennt die Delfintherapie, aber nur wenige wissen, dass auch Hund, Pferd oder Esel Ähnliches vollbringen und im Gegensatz zu Delfinen auch noch tiergerecht gehalten werden können. Es braucht kein spezielles Wissen, um das Potenzial dieses Ansatzes ermessen zu können. Man muss nur Kinder beobachten, die ihrem Haustier all ihre Nöte und Sorgen anvertrauen oder zuschauen, wie sie lernen, Verantwortung für andere zu übernehmen, wenn sie sich um ihr Haustier kümmern. Es gehört inzwischen beinahe zum Allgemeinwissen, dass unsere Beziehung zu Tieren uns nicht nur Freude bringt, sondern auch unsere Gesundheit fördert. Tiere scheinen uns auf intuitive Weise positiv zu beeinflussen. Diese faszinierende Wechselwirkung der Mensch-Tier-Beziehung beginnt die Wissenschaft erst allmählich zu verstehen. Dabei gibt es zwei seltsam auseinanderdriftende Haltungen: Zum einen tun viele Menschen die heilende Wirkung der Tiere als esoterischen Quatsch ab. Und auf der anderen Seite schreiben viele spirituelle Menschen den Tieren einen besonderen siebten Sinn zu. Aus unserer Sicht stimmt das beides nicht. Die positive Wirkung von Tieren auf uns Menschen lässt sich sehr wohl wissenschaftlich beschreiben, und Tiere brauchen gar keinen siebten Sinn. Sie beeinflussen uns über ganz grundlegende neuronale, physiologische und hormonelle Prozesse, die sich in der langen gemeinsamen Evolution herausgebildet haben.

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Eines Tages flatterte eine ungewöhnliche E-Mail in unser Postfach. Im Nordschwarzwald, genauer gesagt, in der Nähe des Luftkurortes Sasbachwalden, solle ein völlig neuartiger Tiergarten entstehen, und in diesen solle ein Seminar- und Therapiezentrum für tiergestützte Therapie integriert werden. Ob wir Interesse und Lust hätten, dort mitzuarbeiten? Hatten wir!

Wir vertrauten unserem Bauchgefühl, quittierten unsere Jobs und zogen nach Sasbachwalden um. Dort verwirklichen wir nun seit 2014 unseren großen Traum vom eigenen Seminar- und Therapiezentrum. Der Weg dorthin ist steiniger als gedacht – doch Aufgeben ist nicht unser Ding.

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Ayla für ihren Teil durfte für eine Weile lang noch unseren neuen großen Garten in Sasbachwalden genießen und ist dort 2015 friedlich eingeschlafen. Heute tobt Thimba durch unser Leben, eine fröhliche Barbet-Hündin, die Menschen liebt und unsere therapeutische Arbeit enorm bereichert. Sie hat ein feines Gespür, wann genau unsere Klienten eine Streicheleinheit brauchen oder mal ein anderes Thema ansteht. Doch auch Thimba ist kein Allroundtalent, daher gehören zu unserem Team seit einiger Zeit auch Paco, Leo, Samu und Pepe – vier Eselwallache. Durch sie lernen unsere Patienten, was uns Menschen manchmal fehlt: Charakter. Denn unsere Esel setzen achtsam Huf vor Huf. Kommt ihnen der Untergrund seltsam vor, dann bleiben sie stehen und denken nach – egal, wie lange es dauert. Sie finden ihre Lösung. Immer. Esel folgen dem Menschen nicht blindlings, jeder Esel entscheidet selbst, welchen Weg er gehen möchte. Sind seine Bedenken zu groß und warnt ihn seine Erfahrung, nimmt er einen anderen Weg. Die Teilnehmer unserer Seminare erfahren ganz nebenbei: Ein Esel flieht nicht einfach kopflos. Er rennt nicht der Masse hinterher. Er will anderen nicht gefallen. Er lässt sich nicht durch Karotten locken. Schon gar nicht kann er durch Ziehen, Schieben oder gar Prügel angetrieben werden. Vielmehr verlässt er sich einzig und allein auf seinen gesunden Eselverstand und gute Argumente. Es ist heilsam, wenn man durch diese Erfahrung den Esel in sich selbst entdeckt. Und wir wollen auch nicht vergessen, Lilly zu erwähnen. Die kleine, heimatlose Katze quartierte sich während eines Urlaubs in unserem Häuschen in Spanien bei uns ein und wollte trotz guten Zuredens nicht mehr gehen. Also nahmen wir sie als Azubine mit nach Deutschland.

Immer noch gehört die wohltuende Wirkung von Tieren nicht zum Allgemeinwissen, und die tiergestützte Therapie – wenn man nicht gerade über Delfine spricht – ist nahezu unbekannt. Viele schwarze Schafe – wobei wir den echten Schafen hier grob unrecht tun – tummeln sich auf diesem Markt. Sie versprechen Heilung, wo es keine Heilung geben kann, und, was wir besonders schlimm finden: Es wird wenig darauf geachtet, wie es den Tieren dabei geht.

Daher beschlossen wir, ein Buch zu schreiben, das weit über eine simple Wertschätzung der Mensch-Tier-Beziehung hinausgeht. Wir wollen zeigen, was es Mensch und Tier ermöglicht hat, sich nahezukommen, und warum diese Nähe heilsam für Menschen sein kann. Außerdem werden wir immer wieder danach fragen, was das Tier für diese Aufgabe von uns braucht.

Das Buch, das Sie in Händen halten, befasst sich deshalb ausführlich mit den Zusammenhängen zwischen Tieren und unserer Gesundheit. Es zeigt auf, was Sie tun können, um in den Genuss der heilsamen Kraft der Tiere zu kommen. Wir beziehen dafür wissenschaftliche Erkenntnisse ein, beschreiben alltägliche Erfahrungen im Umgang mit Tieren und versuchen, mit Worten zu vermitteln, was eigentlich nur durch Intuition verstehbar ist. Wir liefern Ihnen sowohl konkrete Beispiele aus unserer täglichen Praxis als auch Geschichten von Menschen, denen Tiere viel Gutes getan haben, und erzählen von engagierten Kolleginnen und Kollegen, die unseren Weg begleiten.

Dazu skizzieren wir im ersten Kapitel erst einmal die Geschichte der Mensch-Tier-Beziehung und die Ursprünge der heilenden Wirkung von Tieren.

Im zweiten Kapitel werfen wir einen genaueren Blick auf den immensen Einfluss von Haustieren auf das Erwachsenwerden unserer Kinder und darauf, wie die Anwesenheit von Tieren die kindliche Entwicklung stärken kann.

Das dritte Kapitel ergründet, wie das genau funktioniert, dass Haustiere unsere Gesundheit fördern, und warum ein Tier im Haus manchmal besser wirkt als jede Medizin.

Das vierte Kapitel widmet sich einem Sonderfall unserer Haustiere – den Assistenzhunden. Assistenzhunde sind speziell ausgebildete Hunde, die meist chronisch kranke Menschen im Alltag unterstützen.

Kapitel fünf beschäftigt sich mit dem Thema Tiere als Co-Therapeuten. Wir beschreiben, warum Tiere extrem wirkungsvolle Begleiter in der therapeutischen Arbeit sein können. Und wir fragen auch, bei welchen Krankheiten Tiere besonders gute Co-Therapeuten sein können und welche wissenschaftlichen Belege es hierfür gibt.

Im Kapitel sechs beleuchten wir, warum Delfine keine Lebensretter sind und sie vielmehr hinaus in die Weite des Meeres gehören.

Im Fokus des siebten Kapitels steht die Begegnung mit Bauernhoftieren und damit die Frage, warum wir uns von Kühen, Eseln, Ziegen oder Schafen therapieren lassen sollten.

Die Voraussetzungen für eine tierisch gute Therapie werden wir im achten Kapitel präzisieren. Wir werden Ihnen zeigen, welcher Voraussetzungen es bedarf, damit Tiere tiergerecht, präziser formuliert tierethisch vertretbar, in Therapien eingesetzt werden können.

Die meisten der Fallgeschichten in diesem Buch haben wir selbst erlebt, manche wurden uns von Teilnehmenden unserer Fortbildung berichtet, manche während unserer Recherchen erzählt – bei allen Geschichten wurden aber aus Datenschutzgründen Name, Alter und Beruf der handelnden Personen geändert.

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Für uns ist klar: Tiere sind für ein gesundes Leben so essenziell wie saubere Luft oder gesunde Ernährung. Denn das Leben mit Tieren ist unser angestammter menschlicher Erfahrungsraum. Jede echte Begegnung mit Tieren berührt unsere Seele und hinterlässt eine Spur, die nie ganz verweht. So lässt sich ein stabiles Fundament bauen, das unser Leben stützt und bereichert und das sich in vielen Situationen für uns als heilsam erweisen kann.

Lassen Sie uns loslegen.

1  Vorneweg: Ein wenig Geschichte

Als wir begannen, dieses Buch zu schreiben, wurde uns eines ganz schnell klar. Etwas, das wir am besten gleich hier, am Beginn des Buchs, ansprechen: Wir beschäftigen uns schon seit vielen Jahren mit der Beziehung zwischen Menschen und Tieren. In unserer täglichen Arbeit, aber auch in vielen Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen, mit Klienten, Freunden und Bekannten greifen wir auf viele interessante Aspekte dieses Hintergrundwissens zurück, die für die meisten unserer Gesprächspartner nichts Neues mehr sind.

Für dieses Buch aber können und wollen wir nicht einfach stillschweigend davon ausgehen, dass Ihnen dieses Hintergrundwissen bereits geläufig ist. Wir nehmen uns deshalb in diesem ersten Kapitel die Zeit und fassen Ihnen die wichtigsten Aspekte aus der langen Geschichte der Beziehung zwischen unseren menschlichen Vorfahren und verschiedenen Tieren zusammen, ohne die unsere späteren Einblicke in das Geheimnis der Heilkraft der Tiere nicht, oder besser: nur schwer verstanden werden können.

Und auch für den Fall, dass Sie sich bereits mit dem Thema beschäftigt haben sollten: Überspringen Sie dieses Kapitel nicht einfach. Vielleicht entdecken Sie unterwegs ja noch ein paar Dinge, die Sie bislang noch nicht wussten.

Wie Tier und Mensch zueinanderfanden

Wir Menschen gehen seit Jahrtausenden enge Beziehungen zu ganz unterschiedlichen Tieren ein. Das ist zunächst einmal keine besonders neue Erkenntnis. Auch der Gedanke, ein Tier – nicht nur einen Hund – als getreuen Freund und Vertrauten an der Seite haben zu wollen, ist schon viele Tausend Jahre alt. Auf eine rätselhafte Art und Weise scheinen diese Verbindungen seit jeher einen besonderen Einfluss auf Menschen auszuüben. Begeben wir uns also gemeinsam zu den Anfängen dieser einmaligen Beziehung.

Der Anfang dieser Beziehung liegt irgendwo in der Vor- und Frühgeschichte verborgen. Doch es ist sicher, dass unsere Begeisterung sowie die unauslöschlich damit verbundenen Empfindungen und Gefühle ein Schlüssel zu unserem Seelenleben und letztlich auch zu unserer Menschlichkeit sein können. Unsere Nähe zu Tieren beeinflusste unsere Evolution nämlich in einem Ausmaß, das wir heute erst zu verstehen beginnen. Die tiefe Beziehung zwischen Tieren und Menschen beruht darauf, dass wir – bei allen Unterschieden – ähnlich fühlen, ähnlich denken und uns auf ähnliche Weise ausdrücken.

Gemeinsame Wurzeln

Aber ganz von vorne: Alle Pflanzen, Tiere und auch wir Menschen stammen, wie die Molekularbiologie zeigt, von Einzellern ab. Diese Einzeller lebten vor rund 3,8 Milliarden Jahren. Ihr Name: LUCA, eine Abkürzung für last universal common ancestor, die letzten gemeinsamen Vorfahren aller Lebewesen. Aus LUCA entwickelten sich wahrscheinlich alle heute existierenden Bakterien, Pilze, Pflanzen, Tiere und auch wir Menschen.1 Jeder heute lebende Mensch könnte seine Vorfahren bis zu diesen primitiven Urtierchen zurückverfolgen, zumindest theoretisch. Wir wissen das, weil vor gut 170 Jahren der Evolutionsbiologe Charles Darwin unseren Wissensschatz um den gemeinsamen Ursprung, die fließenden Übergänge und die Verzweigungen allen Lebens erweiterte.

Doch anders als bei Bakterien, Pflanzen und Pilzen hat sich im Zweig der Tiere ein Nervensystem entwickelt, das zu komplexen Sinneswahrnehmungen, dem Empfinden von Lust und Schmerz und – ab einer bestimmten Entwicklungsstufe – auch zu Gefühlen wie Furcht, Freude, Trauer, Ekel und Ärger fähig ist. Diese Grundemotionen haben sich in der Wirbeltierevolution vor etwa 400 bis 600 Millionen Jahren herausgebildet.

Diese gemeinsamen Grundgefühle sind für die tief in uns verwurzelte Faszination für alles Lebendige verantwortlich, was besonders an urzeitlichen Höhlenmalereien sichtbar wird. Die Chauvet-Höhle im Süden Frankreichs wird von Fachleuten »Sixtinische Kapelle der Vorzeit« genannt: Auf einer 500 Meter langen Höhlenwand finden sich über 400 Gemälde von Tieren – Wildpferde, Büffel, Rhinozerosse, Löwen, Mammuts –, porträtiert in vollendeter Maltechnik. Auch die Höhlenmalereien in Lascaux, einer weiteren großen Höhle in Frankreich, zeigen Pferde, Hirsche, Bisons, Katzen, ein Wollnashorn, einen Vogel eine springende Kuh. Und daneben ein liegendes Strichmännchen – die einzige Menschendarstellung in Lascaux – mit Vogelkopf und erigiertem Glied, vor ihm ein Bison mit heraushängenden Eingeweiden und daneben ein Vogel auf einer Art Stange. Und auf einem außergewöhnlich realistischen Felsengemälde im spanischen Altamira zeigt der unbekannte, längst verstorbene Künstler sogar Mitgefühl für das Tier: Ein bewegendes kleines Gemälde stellt ein verletztes Wisent dar, am Boden zusammengebrochen.

In diesen »primitiven« Bildern wurde meist nicht ein einzelnes Tier porträtiert. Die Mitlebewesen wurden, so der Stand der Forschung, symbolisch dargestellt, oft stellvertretend für die besonderen Kräfte der Natur. Bei den Steinzeitkünstlern dominierte, auffällig eindeutig, die Tierwelt. Unsere frühgeschichtlichen Vorfahren interessierten sich überraschend wenig für Zwischenmenschliches, wie Zeremonien, Triumphe oder Rituale. Selbst Pflanzen oder landschaftliche Darstellungen finden sich kaum, offensichtlich hatten die Urkünstler dafür kein Auge. Aber sie konnten – selbst nach heutigen Maßstäben – atemberaubend realistisch Tiere abbilden, lebendig, temperamentvoll, gefährlich und bunt. Diese Höhlenmalereien drücken unsere zutiefst urtümliche Naturverbundenheit aus.

Die Erklärung hierfür ist nicht überraschend: Mensch und Tier waren eine Schicksalsgemeinschaft; und das lange, bevor sich unsere urzeitlichen Cousins zum heutigen Menschen entwickelten. Nur mit Hilfe der Tiere konnten die ersten Frühmenschen überleben, und manche Tiere lernten, als sogenannte Kulturfolger, die menschliche Nähe zu schätzen und für sich zu nutzen.

Tiere als Motor der menschlichen Kultur

Auf der Reise zu den Ursprüngen der Mensch-Tier-Beziehung stellt man fest, dass es vom Beginn der menschlichen Zivilisation bis heute nur ein kleiner Schritt in der menschlichen Evolutionsgeschichte ist. Die Strecke, die man von heute aus betrachtet zu den Anfängen der ersten Städte vor fünftausend Jahren zurücklegt, beträgt kaum mehr als ein Millionstel der Gesamtstrecke, die Mensch und Tier zusammen in Savanne, Steppe und Tundra gelebt haben. Das entspricht gerade einmal der aberwitzig kleinen Distanz von ein bis zwei Zentimetern auf einer Strecke eines ganzen Kilometers.

Es ist ganz offensichtlich, dass eine enge Beziehung zu Tieren für unsere Vorfahren überlebensnotwendig war. Man kann sogar noch einen Schritt weitergehen und behaupten, dass der Homo sapiens ohne seine Tierkumpane wohl nie so weit gekommen wäre. Hätte es die Ahnen unserer Hunde, Katzen, Pferde, Schafe und Rinder nicht gegeben, hätte die Menschheit wohl gar keine Zivilisation oder gar höhere Intelligenz entwickeln können. Denn erst die Tiere in unserer Nähe haben uns zum Menschen gemacht. Die Tierwelt animierte unsere Vorfahren zu etwas, was die Evolution bis dato noch nicht in diesem Maße hervorgebracht hatte: die Entwicklung von Werkzeugen, Empathie, Sprache und Kultur.

Was sich nach einer steilen These anhört, ist in der Wissenschaft unumstritten. Vor gut 2,6 Millionen Jahren lernten die Frühmenschen im heutigen Äthiopien, die ersten Steinwerkzeuge herzustellen und damit wilde Tiere zu jagen. Aber mehr noch: Der Mensch hat durch den engen Kontakt mit Tieren gelernt, die Gewohnheiten von Fleischfressern sowie Beutetieren genau zu beobachten und deren Verhalten vorherzusagen. Erst diese spezielle menschliche Fähigkeit, die Anfänge der Empathie, hat es unseren Vorfahren ermöglicht, ihren Nahrungskonkurrenten beim Jagen einen kleinen, aber entscheidenden Schritt voraus zu sein.

Damit war ein wesentlicher Entwicklungssprung möglich. Pat Shipman ist Professorin für Anthropologie an der Penn State University und vertritt die These, dass es die frühen Menschen als Vegetarier zu nicht viel hätten bringen können2. Letztlich hätten nämlich die Nährstoffe aus dem Fleisch der Beutetiere unsere Gehirnentwicklung auf Trab gebracht. Das Fett, das dabei im Körper gelagert wurde, hat lange genug vorgehalten, damit die Fleischesser zwischen zwei Mahlzeiten eine enorm wichtige Ressource zur Verfügung hatten: Zeit. Und sie wussten diese offensichtlich zu nutzen. Zur Herstellung immer besserer Werkzeuge und Erschließung weiterer Nahrungsquellen, zum Lernen, für Zwischenmenschliches und um darüber nachzudenken, was in den Köpfen anderer Lebewesen vorging. Manche Forscher sind sich inzwischen sogar sicher, dass hier auch die Ursprünge der Religion liegen müssen. Die Verbindung Mensch und Tier geht jedenfalls weit über Begriffe wie Fleisch, Wolle, Milch und Kameradschaft hinaus.

Die neolithische Revolution

Überall auf unserem Globus leben die Menschen mit Tieren zusammen. Dies ist evolutionsbiologisch auf den ersten Blick erst einmal nicht besonders sinnvoll, oft sogar nachteilig. Kein anderes Säugetier nimmt sich einer anderen Art an. Oder haben Sie schon einmal einen Dachs gesehen, der sich um einen Hasen sorgt, oder Löwen, die sich um ein Giraffenbaby kümmern? Fürsorge kostet Kraft und Energie, was zu Lasten des eigenen Nachwuchses geht. Der Nutzen wird erst auf den zweiten Blick sichtbar, meint Shipman. Sie beschreibt, dass das enge Verhältnis zu Tieren der menschlichen Evolution noch zu weiteren wichtigen Entwicklungssprüngen verholfen habe. Ein solch entscheidender Meilenstein war erreicht, als es den Menschen gelang, Tiere gefügig und folgsam zu machen. Mit diesem in der Fachwelt als »Neolithische Revolution« bezeichneten Entwicklungsschritt begann die erfolgreichste Ära der Menschheit. Dieser Erfolg baute letztlich auf gezähmten, domestizierten, gezüchteten und in der Nähe der eigenen Behausung gehaltenen Tieren auf. Gleichwohl war auch die Domestikation, also die Haustierwerdung, sehr wahrscheinlich kein einseitig angestoßener Prozess. Schon vor ungefähr 30.000 Jahren schlossen sich beispielsweise Wölfe unseren Vorfahren an.

Ein großes Geheimnis der Paläoanthropologie ist die noch ungelöste Frage: Wann genau begann der erste Mensch zu sprechen? Die Antwort auf diese Frage gehört zugegebenermaßen eher ins Reich der Spekulation. Doch es gibt allen Grund anzunehmen, dass Tiere auch die Entwicklung unserer Sprache wesentlich beeinflusst haben. Pat Shipman ist sich da ganz sicher, die Gespräche unserer prähistorischen Vorfahren handelten von Tieren. Sie waren kompliziert zu verstehen, gefährlich und aufregend. Um sich darüber austauschen zu können, mussten unserer Vorfahren die simple Signalsprache ihrer äffischen Verwandtschaft weiterentwickeln. Tiere »forderten« also von den Urzeitmenschen geradezu, dass sie über sie sprechen konnten. Und vom Beginn der Sprache ist es aus evolutionärer Sicht nur noch ein kleiner Sprung zur Domestikation von Hund, Katze und Pferd.

Die Domestikation setzte voraus, dass die Frühmenschen nach und nach gelernt hatten, Ausdruck, Interessen, Gefühle und Empfindungen von Tieren zu deuten. Dadurch konnten sie enträtseln, welche Bedeutungen bestimmte Begebenheiten für Tiere besitzen und welche Absichten diese damit verfolgten. Jeder, der schon mal mit wilden Tieren zu tun hatte, weiß, wie wichtig es für das Überleben sein kann, sich in das Gegenüber einfühlen und die Welt mit anderen Augen sehen zu können. Es dürfte also nicht von Nachteil gewesen sein, wenn man über etwas Empathie verfügte. Archäologischen Funden zufolge ist diese Fähigkeit wahrscheinlich vor 10.000 bis 50.000 Jahren entstanden. Die Altertumsforscher schließen dies aus Gräbern von Frühmenschen, die ohne Hilfe anderer nicht überlebt hätten3. Diese neue Denkfertigkeit ermöglichte unseren Vorfahren nicht nur, sich immer besser über Tiere auszutauschen, sondern fast noch wichtiger: das Verhalten von Tieren vorherzusagen und dieses sogar in eine gewünschte Richtung zu lenken. Zu wissen, was der andere möglicherweise denkt und vorauszuahnen, was er tun wird, gilt heute als der wohl wichtigste Motor in der Entwicklungsgeschichte des Menschen. Es war ein entscheidender Vorteil, dass manche Menschen nun erahnen konnten, in welche Richtung ein Beutetier gehen würde oder wie sie es anlocken könnten. Stellen Sie sich vor, ein Frühmensch beobachtete zufällig, wie ein Hirsch mit Genuss ein paar Wurzeln verspeiste, und: Er konnte sich in den Hirsch hineinversetzen. Dann war es ein Leichtes für ihn, das Tier mit ein paar dieser Wurzeln an einen bestimmten Ort zu locken. Man kann vermuten, dass nicht allein der aufrechte Gang oder der Gebrauch von Werkzeugen den Menschen smart machte, sondern die Fähigkeit, sich einfühlen zu können und Einsichten über die Erwartungen der Mitlebewesen zu bilden.4

Auch viele Tiere nutzten den Vorteil, welcher die Gegenwart von Menschen ihnen bot. Es waren Zivilisationsfolger, sogenannte »Kommensalen«, zu Deutsch: »Tischgenossen«. Gemeint ist damit, dass Tiere die vom Menschen angelegten Lebensräume nutzten, um leichter an Nahrung zu gelangen. Hierzu mussten die Tiere etwas Entscheidendes lernen, nämlich den Sinn einer Geste oder den Klang einer Stimme in ihrer emotionalen Bedeutung zu entschlüsseln und sich entsprechend zu verhalten. Nur so konnten sie einschätzen, ob Menschen gefährlich oder ungefährlich waren. Mensch und Tier haben also voneinander gelernt und sich gegenseitig beeinflusst.

Emotional verbunden

Letztlich werden wir nie genau erfahren, wann unsere Vorfahren begannen, Tiere nicht nur als Jagdhelfer, Haushüter, Transportmittel oder Nahrung zu sehen, sondern erstmalig eine persönliche Beziehung zu einem Tier eingingen. Wahrscheinlich ist eher, dass manche Tierarten über viele Jahrtausende gleichzeitig eine Nutzfunktion und eine emotionale Bedeutung besaßen.

So berichtet John Bradshaw, ein bekannter britischer Anthrozoologe, also ein Wissenschaftler, welcher sich mit der Mensch-Tier-Beziehung beschäftigt, über seltsame Gebräuche bei den Awa Guaja5. Sie leben noch heute im Bundesstaat Maranhão im Nordosten Brasiliens als nomadisches Jäger- und Sammlervolk. Die Awa Guaja schotten sich bewusst von der Zivilisation ab und erlauben uns daher einen verhältnismäßig guten Einblick in das prähistorische Leben. Bei den Awa Guaja machen die Männer Jagd auf Affen. Töten sie dabei die Mütter von Affenbabys, dann nehmen sie die Kleinen aus der Wildnis mit ins Dorf. Die kleinen Äffchen werden dann von den Frauen gestillt, mit vorgekauter Nahrung gefüttert und schließlich mit Früchten und Nüssen versorgt. Während wilde Affen eine gefragte Spezialität sind, werden die Hausaffen niemals gegessen. Sie erhalten vielmehr einen ähnlichen Status wie die Kinder im Dorf. Jungs spielen mit ihnen, und ältere Mädchen werden angehalten, sie zu versorgen. Die Awa Guaja machen also einen großen Unterschied zwischen gejagten Affen und ihren Hausaffen.

Und wahrscheinlich war dies auch bei unseren urzeitlichen Vorfahren so. Praktischer Nutzen und emotionale Verbundenheit existierten gleichzeitig, waren abhängig vom kulturellen Kontext, der jeweiligen Vorliebe für eine bestimmte Tierart und dem individuellen Tier. Schon damals muss es so gewesen sein – nicht anders als heute –, dass das eigene Tier das netteste, freundlichste und überhaupt das tollste ist. Es ist kaum vorstellbar, dass die prähistorischen Gemeinschaften Tierbabys fütterten und umsorgten, ohne dass eine tiefe emotionale Verbundenheit dabei entstand. Wahrscheinlich hat das Verhalten spirituelle Wurzeln: Die Sorge um den Nachwuchs stiftet Versöhnung mit dem Geist der getöteten Mutter. In der Spiritualität liegt, so der Biologe Kurt Kotrschal, höchstwahrscheinlich auch die Wurzel all unserer Tierbeziehungen – und damit umgekehrt die Wurzel des Menschseins.

In sehr alten Kulturen herrschte eine spezielle Frühform der Religion: der Animismus. Tiere galten als heilig und als Individuen, die eine Seele besitzen. Heiler und Zauberer nahmen, um ihre Aufgaben erfüllen zu können, den Geist eines Tieres an. Hatten sich die Schamanen in das gewählte Tier verwandelt, dann konnten sie sich so bewegen wie das Tier, die Welt mit seinen Augen sehen und sich vom eigenen Körper befreien. Dies erlaubte ihnen, die Zukunft vorherzusagen, Ratgeber für die Jagd zu sein. Aufgrund des Zugangs zur Welt der Tiere waren die Priester und Medizinmänner auch fähig zur geistigen, spirituellen und körperlichen Reinigung.

Die Mayas zum Beispiel glaubten, dass jeder Mensch einen tierischen Schutzgeist besitzen würde, und dieses Tier sei jeweils mit einem Menschen so eng verbunden, dass Tod oder Verwundung immer beide treffe. Nur Schamanen, welche die Seele eines noch mächtigeren Tieres angenommen hatten, waren dann in der Lage zu heilen.

Genetische Untersuchungen aus den letzten Jahren zeigen, dass die Co-Evolution zwischen Mensch und Hund vor 30.000 bis 40.000 Jahren begonnen haben muss. Und vieles deutet darauf hin, dass der Hund schon zu Beginn der Domestizierung der beste Freund des Menschen war und auch als solcher behandelt wurde.

Laut einer 2018 im »Journal of Archaeological Science« veröffentlichten Studie ist es wahrscheinlich, dass sich schon vor 14.000 Jahren prähistorische Menschen wochenlang um einen kranken Welpen kümmerten, bevor er starb.6 Man kann deshalb annehmen, dass die paläolithischen Menschen bei ihren Hunden nicht nur den Nutzen sahen. Sie hatten – wenn nicht alle Zeichen trügen – bereits eine starke emotionale Bindung zu ihren Tieren. Hunde wurden schon damals als Haustiere betrachtet und auch so behandelt – also eher zum Vergnügen gehalten als aus Notwendigkeit. Während seiner Krankheit hatte der Welpe keinerlei Nutzen für seine Besitzer, und dennoch sorgten sie für ihn, was darauf schließen lässt, dass die Menschen von Mitgefühl oder Empathie motiviert wurden. In anderen Worten: Sie hatten eine emotionale Bindung.

In Europa finden sich aus dieser Zeit sogar Gräber, in denen Menschen und ihre Hunde gemeinsam begraben wurden. Ob sie nun als Schutz bei der Reise in die Totenwelt dienen sollten oder als treue Kumpane dem Grab beigelegt wurden, werden wir wohl nie erfahren. Doch die Lage der Skelette von Mensch und Hund in vielen Gräbern weist auf eine tiefe und innige Beziehung hin. So war in einem Grab am Oberlauf des Jordans die Hand des Toten sorgfältig auf die Schulter eines Welpen gelegt worden – symbolisch für eine innige Umarmung.

Auch Ausgrabungen am sibirischen Baikalsee, dem tiefsten Süßwassersee der Welt, weisen in diese Richtung. Dort wurden vor 5.000 bis 8.000 Jahren Hunde neben Menschen sorgfältig bestattet, oft wurden sie mit Halsbändern dekoriert oder ihnen andere Gegenstände wie Löffel oder Tassen mitgegeben – Hinweise, dass die Menschen annahmen, ihre Seelen lebten nach dem Tod weiter. In einem Grab fand man sogar einen Mann mit seinen beiden Hunden, einer auf jeder Seite. Chemische Analysen ergaben zudem, dass Menschen und Hunde vom Baikalsee sich die Nahrungsmittel teilten.

Sehr viel später, um 700 v. Chr., in Homers Epos »Odyssee«, erkennt Argos, der Hund des Odysseus, seinen Herren auch nach 20 Jahren der Trennung als Erster wieder. Obwohl dieser zerschlissen als Bettler daherkommt, ist die enge Verbindung der beiden ungebrochen – was Odysseus zu Tränen rührt. Es gibt also schon sehr früh Hinweise, dass die Menschen zu allen Zeiten ihre Hunde genauso liebten und genauso für sie sorgten, wie wir dies heute tun.

Eine heilsame Wirkung von Hunden wurde erstmals in Ägypten und Indien sichtbar. Dort bezeugen Kunstgegenstände aus der Zeit um 3000 v. Chr. die Idee, Hunde stellvertretend für eine unbekannte Kraft oder Energie oder ein nicht erklärbares Phänomen zu sehen. So sollte der Hund die Reise in die Unterwelt begleiten und helfen, die reinen Seelen zu schützen, indem er die Geister bekämpft, welche diese nach deren Tod in Besitz nehmen wollen. Die Parsen in Indien legten Hunde vor Sterbende, sodass ihre Augen im Augenblick des Todes in die unschuldigen Augen des Tieres schauen konnten. Im antiken Griechenland wurde Hunden zugeschrieben, dass sie Krankheiten gleichsam aufnehmen könnten. Dazu wurden Hunde zu Kranken ins Bett gelegt, durch den körperlichen Kontakt sollte die Krankheit dann auf das Tier übergehen.

Anders als bei Hunden ist über die gemeinsame Vergangenheit von Menschen und Katzen nur wenig bekannt. Dass Katzen schon lange bei Menschen gelebt haben, bezeugen beispielsweise Funde aus China. Bei der Ausgrabung einer neolithischen Siedlung fanden die Archäologen die Überreste zweier Katzen, die dort offenbar schon vor rund 7000 Jahren friedlich unter Menschen lebten. Der Fund stammt, ein interessanter Fakt, aus einer sesshaften Agrargesellschaft, was ein Indiz dafür ist, dass Mensch und Katze sich annäherten, als die Menschen sich an einem Ort niederließen, begannen, Landwirtschaft zu betreiben und in größeren Mengen Getreide zu lagern. Man brauchte die Katze wohl dringend, um Mäuse und Ratten fernzuhalten.

Die Samtpfoten standen später im alten Ägypten symbolisch für ein langes Leben, Glück und Gesundheit. Frühe Gottheiten besaßen katzenähnliche Eigenschaften oder wurden von Katzen beschützt. Bastet, die Katzengöttin, Tochter des Sonnengottes Re, wurde als Göttin der Fruchtbarkeit verehrt. Meist wurde sie als halb Mensch und halb Katze dargestellt. Auch bei den Germanen und bis ins frühe Mittelalter galt die Katze als Symbol der Fruchtbarkeit. Sie war hochgeschätzt. Im 13. Jahrhundert wendete sich das Blatt allerdings schlagartig, und Katzen wurden mit dunklen Mächten in Verbindung gebracht. Nun glaubten die Menschen, die Katze verbreite die Pest, und des Ketzers Tun und Handeln gleiche dem der Katzen. Katzen wurden erhängt, gekreuzigt oder wie Hexen auf dem Scheiterhaufen verbrannt – fast wären sie dabei in Mitteleuropa ausgerottet worden.

Wann genau Pferde zum treuen Freund des Menschen wurden, verliert sich ebenfalls in der Dunkelheit der Geschichte. Diese Freundschaft begann wahrscheinlich schon vor über 100.000 Jahren, aber erst vor etwa 5500 Jahren wurden erste Pferde in der eurasischen Steppe domestiziert. Bald setzte sich der Mensch in den Kopf, ausgerechnet diese leicht zu verschreckenden Fluchttiere zu seinen Helfern in Schlachten und Feldzügen zu machen. Der Pakt zwischen Homo sapiens und dem Hauspferd sah aber noch weitere Jobs für die Vierbeiner vor: Feldarbeiter, Beförderer, Fleisch – und sogar Milchlieferant. Nach und nach wurden Pferde gezielt auf Merkmale hin gezüchtet, die sie noch nützlicher für den Menschen machen sollten, ihr Siegeszug als Reittier begann. Bei dem Volk der Skythen, die als Nomaden während des ersten Jahrtausends vor Christus in der eurasischen Steppe lebten, wurden den Herrschern sogar prächtige Hengste mit ins Grab gelegt. Die Skythen waren überaus versierte Reiter, echte »Pferdemenschen«, wie man heute sagen würde.

Das Pferd ist auch in der griechischen Mythologie eng mit den Göttern verbunden. Die Zentauren, halb Mann, halb Hengst, galten als wilde, ungestüme Gesellen, die streitlustig und brutal waren. In Form des Sternbilds Schütze wurden sie für alle Zeiten unsterblich. Ein weiterer mystischer Vierbeiner hat ebenfalls seinen Ursprung in der griechischen Sagenwelt: Pegasus, das geflügelte Pferd, das Symbol für Unsterblichkeit. Und bei den Indogermanen war das Pferd sogar das wertvollste Opfertier, dessen Kopf als göttlich galt. An einen Baum gehängt oder genagelt stand der Kopf im Ruf, weissagen zu können. Später sollten gekreuzte Pferdeköpfe aus Holz, die man an Dachgiebeln anbrachte, Unheil und Böses wie Sturm, Blitzschlag oder Überfälle abhalten. Dieses Schutzsymbol findet sich übrigens noch heute als das Logo einer weithin bekannten Bankengruppe.

Schuldig im Sinne der Anklage

Im menschlichen Leben waren Tiere bis vor wenigen Jahrhunderten nahezu überall präsent. Im Mittelalter zum Beispiel erwiesen sich besonders Hunde und Schweine als effektive Müllschlucker – ein Umstand, der dem französischen König Louis VI., genannt der Dicke, einigen Kummer bereiten sollte. Als sein Sohn im Jahr 1131 durch Paris ritt, scheute sein Pferd vor einem Schwein, das sich gerade am Abfall labte. Der junge Mann stürzte und brach sich das Genick. Von Trauer ergriffen beschied Ludwig daraufhin, dass Hunden und Schweinen die Müllentsorgung fürderhin verboten sei. Die Folge: Der Unrat stapelte sich in den Straßen, und Seuchen griffen um sich.

Wenn man genau hinschaut, war die gesamte Entwicklung der menschlichen Kultur und des menschlichen Denkens so eng mit Tieren verbunden, dass es den Menschen kaum möglich war, eine andere als eine sehr vermenschlichte Vorstellung von Tieren zu entwickeln. Die Folge: Tiere waren Mitglieder der mittelalterlichen Rechtsgemeinschaft und konnten vor Gericht sowohl als Zeugen auftreten als auch als Täter verurteilt werden. Und so kam es damals auch immer wieder zu spektakulären Gerichtsprozessen gegen Tiere. Dazu gehört ein 1386 in Frankreich stattgefundenes Verfahren. Es endete damit, dass ein staatlicher Henker ein Schwein an den Galgen brachte, weil es einen drei Monate alten Säugling mit einem Biss getötet haben sollte. Der Prozess ist als das »Tribunal von Falaise« bekannt. In der Kirche des kleinen westfranzösischen Dorfes zeigt ein Wandgemälde das Schwein kurz vor der Hinrichtung, den Strick schon um den Hals und mit Jacke und Hose bekleidet.

Solche Tierprozesse geschahen aus einem Mischmasch aus Aberglauben, alttestamentarischen Geboten und der damaligen Philosophie des »Auge um Auge, Zahn um Zahn«: Geschah Unrecht, so musste dieses ausgeglichen werden, »um den Kosmos wieder auszubalancieren«, erläutert der Philosoph Justin Smith. Der Tod der Tiere habe den »Makel des Verbrechens« getilgt. Auch gab es damals noch keine so feste Grenze zwischen Tier und Mensch, und es war vollkommen akzeptiert, Tieren eine Seele zuzubilligen, und wer eine Seele besaß, dem wurde auch absichtliches Handeln unterstellt.

Dass ein tier dem herze wôl macht

Obwohl es über die heilsame Wirkung von Tieren im frühen Mittelalter nur wenige anekdotische Aufzeichnungen gibt – meist sind es Aphorismen, kurze Sprüche oder Ähnliches –, können wir erahnen, dass einige hellsichtige Menschen schon damals die Bedeutung der Mensch-Tier Beziehung auch für unsere Gesundheit erkannt haben.

»Dass das tier dem herze wôl macht« wusste schon Walter von der Vogelweide. Und die Naturheilkundlerin Hildegard von Bingen sprach schon im 12. Jahrhundert von viriditas, eine von ihr aus dem lateinischen Begriff für »grün« abgeleitete Wortneuschöpfung, die mit »Grünkraft« übersetzt werden kann. Darunter verstand sie eine Kraft der Natur, die sich dem Menschen anbietet und die im Bemühen um körperliche und psychische Heilung wirksam werden kann, wenn man weiß, wie man sie einsetzt. Unsere Beziehung zur Natur, so Hildegard von Bingen, hilft uns, dieser Kraft inne zu werden. Die Urgroßmutter der Naturheilkunde beobachtete aber nicht nur den positiven Einfluss der Natur an sich, sondern auch besonders die Wirkung von Tieren auf uns Menschen. Und so wird ihr heute der Spruch zugeschrieben: »Gib dem Menschen einen Hund – und er wird gesund.«

Therapie naturelle

Im 13. Jahrhundert, also gut 200 Jahre nach Hildegard, finden sich dann erste schriftliche Aufzeichnungen, die eine positive Wirkung von Tieren auf Menschen belegen. Im belgischen Städtchen Gheel – gelegen in der Nähe von Antwerpen in Flandern – fanden damals psychisch Kranke vor allem bei Bauern Zuflucht, teilweise aus christlicher Barmherzigkeit, teilweise auch gegen ein Entgelt – ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Die Familien waren der Sorge um ihre Angehörigen entledigt, und die Bauern hatten kostenlose Hilfe bei der Haus- und Feldarbeit und der Betreuung der Tiere. Daraus entwickelte sich eine ganz besondere Form der Versorgung psychisch kranker Menschen, die als »thérapie familiale« oder »thérapie naturelle« bezeichnet wurde.

Heute würden wir von Fürsorgebauernhöfen oder neudeutsch von »social farming« sprechen. Wie erfolgreich die Aufnahme der Kranken in das bäuerliche Leben und vor allem der Kontakt zu Tieren war, belegt ein Ausspruch von Phillipe Pinel, einem Arzt, der in Salpetrière, der berühmten Pariser Klinik für Psychiatrie, tätig war. Er befand, die Bauern von Gheel seien kompetenter als alle Ärzte, da sie erkannt hätten, wie zukünftig die Behandlung von psychisch kranken Menschen auszusehen habe.

Das letzte Stück Natur

Jahrtausendelang hielten die Menschen Tiere aus pragmatischen Gründen. Hunde verdienten sich ihr Futter als Helfer von Jägern und Hirten oder bewachten angekettet das Haus, Katzen machten sich als Mäusejäger nützlich, und Kaninchen waren schlicht Fleischlieferanten. Ein Tier nur zum Vergnügen zu halten ist dagegen eine romantische Idee, die ihren Ursprung am Ende des 18. Jahrhunderts hat. In Königs- und Adelshäusern gab es zwar immer schon Haustiere, denn die Aristokratie konnte es sich leisten, Tiere zu halten, die keinen ersichtlichen Nutzen besaßen. Für Madame Dubarry, eine Mätresse Ludwigs des Vierzehnten, waren ihre Schoßhunde die wahren Sonnenkönige. Marie Antoinette liebte ihre Hunde bis zum Gang aufs Schafott, und Napoleon ließ es sich gefallen, dass »Monsieur Fortune«, der größenwahnsinnige Mops seiner Gemahlin Josephine, ihm das Ehelager streitig machte.

Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts kam die Mode auf, Haustiere zu halten. Das aufstrebende Bürgertum imitierte den Adel und hielt sich Haustiere als Statussymbol. Edelkatzen als Prestigeobjekt, Rassehunde als modisches Beiwerk. Sobald es den Menschen wirtschaftlich besser ging, wuchs das Bedürfnis nach solchen Accessoires, um den eigenen Aufstieg zu illustrieren und sich von denjenigen abzusetzen, die sich solch ein Tier nicht leisten konnten. Das Aufkommen der neuen Haustiermode fiel dabei mit der aufkommenden Industrialisierung zusammen. Menschen zogen vom Land in die Städte, wo sie Arbeit fanden und sich als letztes Stück Natur ein Tier zu sich ins Wohnzimmer holten.

Der Nobelpreisträger Konrad Lorenz vermutete, dass der Wunsch, ein Heimtier zu besitzen, einem uralten Grundmuster entspringt, nämlich der Sehnsucht des Kulturmenschen nach dem verlorenen Paradies – der freien Natur. In der Wildnis begegne uns ein Teil der ursprünglichen Schöpfung, und jedes Tier sei ein kleiner Teil dieser ursprünglichen Wildnis, der Hund ein Wolf, die Katze ein Panther. Trotz der Faszination für die neuen Maschinen blieb also im tiefsten menschlichen Innern das Bedürfnis bestehen, mit anderen Lebewesen in Kontakt zu sein.

Die Entfremdung beginnt

Die Menschen waren damals von mechanischen Automaten und Apparaten so fasziniert, dass sie dachten, Tiere seien ebenfalls wie Automaten gebaut. Im 17. Jahrhundert machte René Descartes (1596–1650) diese neue Sichtweise populär. Im Zuge der Entstehung der Naturwissenschaften war der französische Mathematiker und Philosoph davon überzeugt, dass sich das Leben und alle biologischen Funktionen des Körpers vollständig mechanistisch erklären ließen. Tiere als Automaten – diese Vorstellung sollte das naturalistische Bild vom Wesen der Tiere, das sich aus Zehntausenden Jahren Domestikationsgeschichte entwickelt hatte, nahezu vollständig aus dem Gedächtnis der Menschen tilgen. Aus dieser Sicht war der Vergleich mit dem Automaten der Nullpunkt, von dem aus man beginnen konnte, ein neues, angeblich rein verstandesmäßiges Bild des Tieres zu entwickeln.

Doch was heißt das? Descartes glaubte, dass das Gehirn als oberste Instanz den Körper steuert. Er vertrat die These, Leib und Seele seien getrennte Einheiten – und prägte damit unsere bis heute anhaltende Sichtweise über Geist und Körper. In seinem mechanistischen Menschenbild hatte aber auch die Seele als eine Art Gegenpart Platz. Die Welt des Gedanklichen, die »res cogitans«, so Descartes, habe keine umrissenen Grenzen im Raum und sei immateriell. Aber sie sorge für Gefühle, bewusste Wahrnehmungen, Nachdenken und willentliche Handlungen. Nur Menschen, so glaubte er, würden über sie verfügen, denn Tiere seien reine Maschinen. Tiere bewegen sich, so seine Vorstellung, nach rein mechanischen Gesetzmäßigkeiten. Ihre Organe würden wie eine Uhr funktionieren, die nur aus Rädern und Federn gebaut ist. Das Herz arbeite wie eine Pumpe, das Blut fließe durch die Adern wie durch Röhren, Sehnen fungieren wie Seile, Knochen wie Stützen und Verstrebungen. Tiere würden auch nur auf äußere Reize reagieren, seien gefühllos wie Metall und verspürten deshalb auch keinen Schmerz. Folglich durften Forscher sie auch bedenkenlos erkunden, Organ für Organ demontieren, gerade so wie der Uhrmacher das Räderwerk einer Uhr.

Ob die folgende Geschichte wahr ist, wissen wir nicht, doch Descartes soll auch Versuche am Hund seiner Ehefrau unternommen haben. Er versetzte ihm gezielt Schläge und machte sich lustig über seine Frau, die das Geschöpf tief bemitleidete. Er behauptete, die Schreie, die das Tier ausstieß, wenn es geschlagen wurde, seien lediglich das Geräusch einer kleinen Feder, die berührt worden sei, der Körper selbst aber sei gefühllos. Er nagelte den armen Hund schließlich sogar auf einen Tisch und öffnete bei lebendigem Leib dessen Bauchhöhle, um einen Blick auf die Innereien zu erhaschen, worauf der Hund jämmerlich verendete. Ob seine Frau ihn daraufhin verlassen hat, ist leider nicht überliefert.

Man sprach den Tieren damals jedenfalls alles ausschließlich Menschliche, oder genauer gesagt, alles scheinbarausschließlich Menschliche, wie Gefühle, Gedanken und Absichten, kurzerhand ab. Mit der kulturellen Menschwerdung entfremdeten sich die Menschen von den Tieren. Man kann sagen, dass der Mensch als »animal rationale« versucht hat, sich des tierischen Teils seiner selbst zu entledigen. So wurden Tiere dem Menschen fremd und ein Rätsel.

Kaum ein Mensch würde heute noch unterschreiben, was Descartes den Tieren unterstellt hatte. Doch hatte Descartes, wie Albert Schweitzer später vermutete, mit seiner Haltung beinahe die ganze Philosophie verhext und die Wissenschaft gleich mit. Denn bis in die Gegenwart hinein werten Philosophen und Wissenschaftler Tiere gegenüber uns Menschen oft als minderwertig ab.

Der heilsame Kontakt zu Tieren

Wenig später erkannte William Tuke von der »Society of Friends«, einer englischen Quäker-Gruppe, dass der Kontakt zu Tieren für psychisch Kranke heilsam sein konnte. Er schuf 1792 eine der weltweit ersten Einrichtungen, in denen Tiere zur Behandlung eingesetzt wurden. Mit der heute noch existierenden psychiatrischen Klinik »York Retreat« sollte ein Ort geschaffen werden, an dem psychisch kranke Menschen sich in einem familienähnlichen Umfeld respektiert und wertgeschätzt fühlen konnten. Neben Malen und Gestalten sollten Tiere die Patienten fördern und diese durch ein Leben in der Natur und mit den Tieren in ihren Selbstheilungskräften gestärkt werden. Das Modell war so erfolgreich, dass bereits in den 1830er-Jahren die britischen Wohltätigkeitsorganisationen darauf pochten, dass staatliche Anstalten für psychisch Kranke ebenfalls Tiere halten sollen, um eine gefälligere und weniger gefängnisähnliche Atmosphäre zu schaffen.7

Auch in Deutschland fand dieser neue Umgang mit chronisch kranken und behinderten Menschen Anklang. In der 1867 gegründeten Heil- und Pflegeanstalt für Menschen mit Epilepsie in Bethel bei Bielefeld wurde ein alter Bauernhof genutzt, um die Pfleglinge mit Arbeiten im Garten und in der Landwirtschaft zu beschäftigen. Die Menschen verrichteten dort körperlich schwere Landarbeit und kümmerten sich dabei auch um Tiere – ganz im Sinne arbeitstherapeutischer Maßnahmen. Den Kranken wurde so das Gefühl gegeben, trotz ihrer Beeinträchtigungen eine Aufgabe zu haben und gebraucht zu werden. Oft war der Kontakt mit den Tieren der Wendepunkt in ihrem Leben. Diese Erfahrung nutzte man dann später auch für traumatisierte Soldaten, denen sich die Kriegsgräuel unauslöschlich in ihr Gedächtnis eingebrannt hatten.

In einem ganz gewöhnlichen Kinderkrankenhaus in Michigan geschah in den 1950er-Jahren etwas Ungewöhnliches. Im Ann Harbor Hospital wurde eine Vielzahl von Tieren bei der Behandlung von chronisch kranken Kindern eingesetzt. Hunde, Enten, Schweine, Vögel und anderes Getier bevölkerten die Klinik. In der sterilen und technophilen Klinikatmosphäre von heute kaum mehr vorstellbar: Eine kleine Patientin, die nur mit Hilfe einer eisernen Lunge atmen konnte, schaute kleinen Entenküken zu, die vor ihr in einer Badewanne schwammen. Ein geistig behindertes Mädchen schob einen kleinen Hund in einem Kinderwagen durch die Klinikgänge8. Nichts, so die Erfahrungen, ließ die Kinder schneller genesen als der heilsame Kontakt zu Tieren.

Technikgläubigkeit verdrängt Tiere

Heute kann sich kaum noch jemand an die Tiere in den Kliniken erinnern. Der unbedingte Glaube an die Technik verdrängte in den 1960er-Jahren die Tiere aus Krankenhäusern und Behinderteneinrichtungen. Man propagierte, alleine durch die entsprechenden (Verhaltens-)Techniken und Psychopharmaka könne man psychische Störungen heilen. Den Tieren wurden wieder, ganz im Sinne von Descartes, weder Gefühle noch Verstand zugeschrieben. Dass Tiere Schmerz oder Freude empfinden können, wurde als Anthropomorphismus, als Vermenschlichung und als grundlose und unwissenschaftliche Übertragung des menschlichen Erlebens auf Tiere gegeißelt. Die Technikgläubigkeit des letzten Jahrhunderts radikalisierte die Entfremdung des Menschen von seinen Wurzeln – der Natur und der Tierwelt. Emotionen und Denken wurden lediglich als simple Reiz-Reaktionsverbindungen gesehen, die mit der entsprechenden Technik in jede gewünschte Richtung gelenkt – richtiger sollte man wohl sagen manipuliert – werden konnten. Die behauptete Allmacht der (Verhaltens-)Technik führte dazu, dass der Blick nur noch auf das beobachtbare Verhalten und die Programmierbarkeit menschlichen Verhaltens gerichtet war. Die Bedeutung unserer jahrtausendealten Beziehung zu Tieren und deren eher unsichtbar ablaufende Wirkung verloren wir aus den Augen.

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Wir haben in diesem Abschnitt eine kleine Reise voller Kontraste durch die bewegte und lange Geschichte der Mensch-Tier-Beziehung unternommen und dabei erfahren, dass die Beziehung zu Tieren in unseren Genen liegt. Wir sind »biophil« – ein Begriff, den wir in einem der nächsten Kapitel noch näher erläutern werden. Tiere waren Lastenträger, Transportmittel, Fleisch- und Milchlieferanten, Jagdgenossen und immer schon Kameraden und Partnerersatz. Und schon in der Frühzeit haben die Menschen ausreichend Gründe gehabt, Tiere als heilsam wahrzunehmen: die Verständigung ohne Sprache, das empathische Verstehen, die tiefe emotionale Verbundenheit, die Fürsorge, die soziale Partnerschaft und die wechselseitige Beeinflussung von Gefühl und Verstand.

2  Entwicklungshelfer auf vier Pfoten

An einem lauen Sommerabend kamen wir auf einer Party mit Freunden über unsere Kindheit ins Gespräch. Trotz aller naheliegenden Einwände beschlich uns der Gedanke, dass unsere Kindheit auf eine ganz bestimmte Weise einfacher gewesen sein musste als heute. Als wir Kinder waren, waren wir viele. Immer gab es genug Jungs, um Fußball, und genug Mädchen, um Gummitwist zu spielen oder am kleinen Weiher ein Lager zu bauen und uns gegen die Kinder des Nachbardorfs zu verteidigen. Und wir streunten durch die Felder, stauten den Bach auf und hatten viele Tiere um uns herum. Wir waren immer dreckig.

Im Gegensatz zu dem bekannten Spruch war Rainers Kindheit mitunter wirklich ein Ponyhof. Er spielte als Kind Fangen mit einem gutmütigen Wallach, an schönen Tagen fuhr die Familie mit der Kutsche durchs Schwabenland, und im Winter zog eine Isländerstute eine lachende Kinderschar auf Schlitten durch den verschneiten Märchenwald.

Auch Bettina war in ihrer Kindheit von Tieren umringt. Sie verbrachte ihre freie Zeit bei Nachbars Schweinen mit Putzen, Kuscheln oder Spielen, ritt auf Leitkuh Rosi von der Weide zum Stall und zog »Schlawigeuner« auf, ein Waisenlämmchen, dessen Mutter und Geschwister allesamt bei der Geburt verstorben waren. Als junges Mädchen entflammte dann ihre Liebe zu Pferden.

Unsere Eltern ließen uns laufen, wir hatten Zeit. Pünktlich Zuhause zu sein war das einzig Wichtige, und die schlimmste Strafe war nicht Handyverbot, sondern Hausarrest.

Von draußen nach drinnen