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Das Paradies birgt ein tödliches Geheimnis. Als der Ingenieur Rob Finnigan nach einem Flugzeugabsturz an den Strand einer einsamen Pazifikinsel gespült wird, glaubt er, der Kampf gegen Hunger, Durst und die erbarmungslose Natur sei seine größte Sorge. Er irrt sich gewaltig. Tief unter dem undurchdringlichen Dschungel schlummert keine vergessene Ruine, sondern eine hochtechnisierte Macht aus einer Zeit vor unserer Zeitrechnung: das wahre Erbe von Atlantis. Als Rob bei seiner Suche nach Ressourcen versehentlich die Wächterin der Anlage, die rätselhafte und mächtige Samira, aus ihrem Jahrtausende währenden Schlaf weckt, löst er eine globale Kettenreaktion aus. Denn das Signal ist nicht unbemerkt geblieben. Eine skrupellose Schattenorganisation, die "Vorhut", ist hinter der Technologie her und schreckt vor nichts zurück, um sie zu erobern. Aus dem Kampf ums nackte Überleben wird ein globaler Wettlauf gegen die Zeit. Rob und Samira müssen eine unmögliche Allianz schmieden – zwischen menschlicher Improvisation und atlantischer Hochtechnologie –, um eine Bedrohung aufzuhalten, die nicht nur die Insel, sondern die Freiheit der gesamten modernen Zivilisation vernichten könnte. Von den Stränden des Pazifiks über die neonerleuchteten Straßen Shanghais bis ins ewige Eis der Antarktis – "Die Insel" ist ein epischer Science-Fiction-Thriller über das Überleben, das Erbe der Menschheit und den Preis der Freiheit.
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Seitenzahl: 552
Veröffentlichungsjahr: 2025
Buchbeschreibung
Das Paradies birgt ein tödliches Geheimnis.
Als der Ingenieur Rob Finnigan nach einem Flugzeugabsturz an den Strand einer einsamen Pazifikinsel gespült wird, glaubt er, der Kampf gegen Hunger, Durst und die erbarmungslose Natur sei seine größte Sorge. Er irrt sich gewaltig.
Tief unter dem undurchdringlichen Dschungel schlummert keine vergessene Ruine, sondern eine hochtechnisierte Macht aus einer Zeit vor unserer Zeitrechnung: das wahre Erbe von Atlantis.
Als Rob bei seiner Suche nach Ressourcen versehentlich die Wächterin der Anlage, die rätselhafte und mächtige Samira, aus ihrem Jahrtausende währenden Schlaf weckt, löst er eine globale Kettenreaktion aus. Denn das Signal ist nicht unbemerkt geblieben. Eine skrupellose Schattenorganisation, die „Vorhut“, ist hinter der Technologie her und schreckt vor nichts zurück, um sie zu erobern.
Aus dem Kampf ums nackte Überleben wird ein globaler Wettlauf gegen die Zeit. Rob und Samira müssen eine unmögliche Allianz schmieden – zwischen menschlicher Improvisation und atlantischer Hochtechnologie –, um eine Bedrohung aufzuhalten, die nicht nur die Insel, sondern die Freiheit der gesamten modernen Zivilisation vernichten könnte.
Von den Stränden des Pazifiks über die neonerleuchteten Straßen Shanghais bis ins ewige Eis der Antarktis – "Die Insel" ist ein epischer Science-Fiction-Thriller über das Überleben, das Erbe der Menschheit und den Preis der Freiheit.
Über den Autor
Andreas Wagner, Jahrgang 1969, stammt aus Zwiesel, tief im Herzen des Bayerischen Waldes.
Beruflich ist er als Polizist täglich mit der Realität in all ihren Facetten konfrontiert – eine Arbeit, die Fakten, klare Regeln und einen nüchternen Blick erfordert. Doch wenn die Uniform im Schrank hängt, öffnet er die Tür zu ganz anderen Welten.
Das Schreiben fasziniert ihn schon sein Leben lang. Es ist für ihn der kreative Gegenpol zum strukturierten Alltag: die Möglichkeit, der Fantasie freien Lauf zu lassen, Grenzen zu sprengen und Welten zu erschaffen, in denen alles möglich ist. Besonders haben es ihm Traumwelten, fantastische Szenarien und spekulative Zukunftsvisionen angetan.
Sein Debütroman »Die Insel« ist das Ergebnis dieser Leidenschaft – eine Geschichte, die dort beginnt, wo die Realität endet, und den Leser auf eine Reise in eine unbekannte Zukunft mitnimmt.
Selbstverlag, Zwiesel
1. Auflage, veröffentlicht 2025.
© 2025 Andreas Wagner – alle Rechte vorbehalten.
Selbstverlag, Zwiesel
Eichenstr. 14
84072 Au i. d. Hallertau
Prolog
Der Pazifik hat kein Gedächtnis. Er verschluckt Schiffe, Flugzeuge und Menschen und glättet die Oberfläche, als wäre nie etwas geschehen. Er ist eine Wüste aus Wasser, unendlich und gleichgültig.
Inmitten dieser blauen Leere lag ein winziger grüner Fleck. Ein unbedeutender Punkt auf keiner modernen Seekarte, ein Ort, den die Strömungen mieden und den die Satelliten übersahen.
An der Oberfläche war es ein Paradies. Weißer Sand, sich wiegende Palmen, das Geschrei bunter Vögel im dichten Dschungeldach. Das Leben hier folgte einem uralten, langsamen Rhythmus, ungestört von der hektischen Welt jenseits des Horizonts.
Doch das Paradies war eine Lüge. Eine Tarnung.
Die Insel war nicht aus Korallen und Vulkangestein gewachsen. Sie war gebaut worden. Sie war ein Deckel auf einem Gefäß, das Macht enthielt, die Sterne verbrennen konnte.
Tief unter den Wurzeln der Mangroven, unter dem Basalt und dem Grundwasser, in einer Dunkelheit, die seit zwölf-tausend Jahren nicht gebrochen worden war, wartete etwas. Es schlief nicht den Schlaf der Erschöpfung, sondern den der absoluten Geduld. Maschinen, deren Schaltkreise nicht aus Metall, sondern aus gefrorenem Licht bestanden, dämmerten im Standby-Modus. Waffen, die Kontinente spalten konnten, ruhten in ihren Silos.
Und im Zentrum dieser stillen Kathedrale aus Technologie wartete eine Wächterin. Sie träumte nicht. Sie wartete nur. Ihr Auftrag war einfach: Bewahre das Erbe, bis die Kinder der Erde bereit sind – oder bis sie eine Bedrohung werden.
Die Insel wartete. Sie wartete auf einen Fehler. Auf einen Zufall. Auf einen Funken, der das schlafende Feuer entzünden würde.
Und hoch über dem Pazifik, in der dünnen, kalten Luft der Stratosphäre, begann ein Triebwerk zu stottern.
Ort: Die Insel, Nordstrand | Zeit: Tag 1 nach dem Absturz (Vormittag)
Der erste Impuls war kein Bild, sondern ein Geschmack. Ein widerliches, brennendes Gemisch aus Salz, Galle und der chemischen Süße von Kerosin.
Rob Finnigan hustete. Sein Körper krampfte sich zusammen, ein gewaltsames Würgen, das ihn fast zerriss. Wasser schwappte über sein Gesicht, zog sich zurück, kam wieder. Ein Rhythmus. Brandung.
Er riss die Augen auf, aber die Welt war nur ein verschwommenes Grau. Sand rieb auf seiner Wange wie Schmirgelpapier. Atmen, befahl er sich. Priorität eins: Sauerstoffzufuhr sichern.
Er stemmte die Hände in den nassen Untergrund. Seine Arme zitterten, Muskeln feuerten unkoordiniert. Mit einem gutturalen Stöhnen schob er sich vorwärts, weg von dem Wasser, das nach seinen Beinen griff wie ein hungriges Tier. Ein Meter. Zwei. Der Sand wurde trockener, fester.
Rob ließ sich fallen und rollte auf den Rücken. Der Himmel über ihm war eine bleierne Decke aus tiefhängenden Wolken, die im Osten langsam aufrissen. Morgendämmerung.
Er blieb liegen, starrte nach oben und wartete darauf, dass das Hämmern in seinem Schädel nachließ.
Systemcheck, dachte er instinktiv. Die Gewohnheit des Ingenieurs, Chaos in eine Checkliste zu zwingen.
Kopf: Dröhnender Schmerz, wahrscheinlich Gehirnerschütterung. Keine offene Blutung tastbar.
Torso: Prellungen. Jeder Atemzug stach auf der rechten Seite. Rippenprellung, vielleicht Haarriss. Lunge frei.
Extremitäten: Er bewegte vorsichtig die Zehen, dann die Finger. Alles reagierte. Keine dislozierten Gelenke, keine Brüche der großen Röhrenknochen.
„Glück gehabt“, krächzte er. Seine Stimme klang fremd, rau wie rostiges Eisen.
Er hob den linken Arm. Seine Kleidung hing in Fetzen an ihm. Das weiße Hemd war grau und braun verfärbt, der linke Ärmel fehlte fast ganz. Aber an seinem Handgelenk blitzte Metall.
Die Omega Speedmaster. Ein Geschenk zu seinem Abschluss. Das Saphirglas hatte einen Sprung, der quer über das Zifferblatt lief, genau zwischen der Neun und der Drei. Aber der kleine Sekundenzeiger auf der linken Seite tickte unermüdlich. Mechanik. Keine Elektronik, die durch einen Kurzschluss sterben konnte. Zahnräder und Federn, die einfach weitermachten, egal ob die Welt unterging.
Er starrte auf die Uhr, als wäre sie ein heiliges Relikt. Sie war der einzige Beweis, dass Zeit noch existierte. Dass Logik noch existierte.
Mühsam setzte er sich auf. Ihm wurde schwindelig, schwarze Punkte tanzten vor seinen Augen. Als sich sein Blick klärte, sah er hinaus auf den Ozean.
Der Magen drehte sich ihm erneut um, diesmal nicht vom Salzwasser.
Das Meer war ein Friedhof.
Wo eigentlich der Horizont sein sollte, tanzten Trümmer auf den Wellen. Hunderte Teile. Bunte Sitzpolster, die aussahen wie seltsame tropische Blumen. Koffer, aufgeplatzt wie Eingeweide. Schimmernde Ölfilme, die das Wasser in ein giftiges Regenbogengemisch verwandelten.
Es gab kein Schiff. Kein Rettungsfloß.
Nur Trümmer.
Die Erinnerung schlug mit der Wucht eines Vorschlaghammers zu. Die Turbulenzen. Das Schreien der Triebwerke, das plötzlich in ein entsetzliches Kreischen umschlug. Das Flackern der Kabinenbeleuchtung. Die Sauerstoffmasken, die wie gelbe Gummikraken von der Decke fielen. Und dann der Sturz. Das Gefühl der Schwerelosigkeit, das viel zu lange andauerte.
Rob drehte den Kopf nach links, dann nach rechts. Der Strand zog sich in beide Richtungen endlos hin. Weißer Sand, gesäumt von einer Mauer aus dichtem, dunkelgrünem Dschungel. Palmen bogen sich leicht im Wind. Es sah aus wie auf einer Postkarte, wenn man den brennenden Müll am Ufer ignorierte.
„Hallo?“, rief er.
Der Wind riss das Wort fort.
„Ist da jemand?!“ Er brüllte jetzt, ignorierte den Schmerz in seiner Brust.
Eine Gruppe Möwen, die sich auf einem angespülten Trolley stritten, kreischte zurück und flatterte auf. Sonst nichts. Nur das Rauschen der Brandung.
Rob begann zu zittern. Erst leicht, dann so heftig, dass seine Zähne aufeinanderschlugen. Der Schock, kombiniert mit der Unterkühlung durch die nasse Kleidung. Er musste raus aus dem Wind.
Er scannte den Strand ab. Suche nach Struktur. Suche nach Schutz.
Etwa fünfzig Meter entfernt ragte etwas aus dem Sand, das nicht natürlich war. Es war ein großes, gekrümmtes Stück Metall, weiß lackiert, mit einem abgerissenen Fensterrahmen darin. Ein Teil der Rumpfverkleidung der Boeing.
Rob biss die Zähne zusammen. Er zwang sich auf die Beine. Seine Knie waren weich wie Pudding, aber sie hielten. Er schwankte, fand das Gleichgewicht und setzte einen Fuß vor den anderen.
Der Weg zu dem Wrackteil kam ihm vor wie ein Marathon. Als er es erreichte, sank er in den Sand. Das Aluminiumstück war groß genug, um ihm Windschatten zu bieten. Er kroch in die Wölbung hinein. Es roch nach verbranntem Kunststoff und Algen, aber es war trocken.
Er zog die Knie an die Brust und schlang die Arme um sich. Seine Hand berührte seine Hosentasche. Da war etwas Hartes, Rechteckiges.
Er zog es heraus. Sein Smartphone.
Es war ein trauriger Anblick. Das Display war ein Spinnennetz aus Rissen, und Wasser lief aus der Ladebuchse, als er es kippte. Er drückte den Power-Knopf. Nichts. Kein Flackern, kein Licht. Tot.
Er starrte das schwarze Rechteck an. Gestern noch war es sein Tor zur Welt gewesen. Seine Verbindung zu Datenbanken, zu Satelliten, zu Wissen. Jetzt war es nur noch ein Stück Glas und Silizium, nutzloser als ein scharfer Stein.
Er steckte es trotzdem wieder ein. Man warf Werkzeug nicht weg, auch wenn es kaputt war. Vielleicht konnte er Teile davon brauchen. Die Batterie. Das Glas.
Er lehnte den Kopf gegen das kühle Metall der Flugzeugwand und schloss die Augen. Er war am Leben. Er war allein. Und er hatte nicht die geringste Ahnung, wo er war.
Ort: Die Insel, Strand nahe dem Wrack | Zeit: Tag 1 (Nachmittag, brütende Hitze)
Die Sonne war kein Freund mehr. Sie war ein Feind, der gnadenlos auf den Strand einhämmerte.
Rob erwachte aus einem unruhigen Dämmerzustand, als die Hitze unter dem Aluminiumblech unerträglich wurde. Er blinzelte auf seine Uhr.
14:12 Uhr.
Er hatte fast sechs Stunden verloren. Sechs Stunden, in denen er einfach nur da gelegen und gezittert hatte, während sein Körper den Schock verarbeitete.
Er setzte sich auf. Sein Kopf hämmerte im Takt seines Pulses, aber die Übelkeit war zurückgegangen. Dafür meldete sich ein neues Warnsignal, rot und blinkend auf dem Armaturenbrett seines Bewusstseins: Dehydrierung.
Seine Zunge fühlte sich an wie ein Stück Filz, das zu groß für seinen Mund war. Seine Lippen waren spröde.
„Statusbericht“, murmelte er. Das Sprechen tat weh, aber er brauchte den Klang seiner eigenen Stimme, um die Stille der Insel zu übertönen. „Subjekt lebt. Umgebung feindselig. Vorräte: Null.“
Er kroch aus seinem Unterstand. Die Hitze schlug ihm ins Gesicht wie der Hauch eines offenen Hochofens. Der Sand war so heiß, dass er durch seine Schuhsohlen brannte.
Rob kniff die Augen zusammen und scannte den Strand. Die Flut hatte sich etwas zurückgezogen und einen breiten Streifen nassen, dunklen Sandes hinterlassen, auf dem noch mehr Trümmer lagen.
Er musste suchen. Nicht nach Hilfe – der Horizont war leer –, sondern nach Ressourcen.
Er humpelte zum nächstgelegenen Objekt: einem aufgeplatzten Hartschalenkoffer, leuchtend rot. Er lag da wie ein toter Käfer auf dem Rücken.
Rob kniete sich daneben und wühlte durch den Inhalt. Damenkleidung. Seidenblusen, ein Kulturbeutel mit ausgelaufenem Shampoo, das süßlich nach Kokos stank, Schuhe mit hohen Absätzen. Nichts davon war nützlich.
Er warf den Koffer wütend zu.
Der nächste Fund war ein Trolley der Airline, halb im Sand vergraben. Robs Herz schlug schneller. In diesen Dingern waren Getränke.
Er zerrte an dem verklemmten Riegel. Das Metall war verbogen, aber mit einem ächzenden Ruck gab es nach. Die Tür schwang auf.
Leer.
Nur ein paar flache Plastikschubladen. In der untersten fand er eine Handvoll kleiner Tüten. Geröstete Erdnüsse. Gesalzen.
Rob lachte auf, ein trockenes, bellendes Geräusch. „Der Humor des Universums“, krächzte er. „Sehr witzig.“ Salz würde ihn schneller töten als der Durst. Er steckte die Tüten trotzdem ein. Kalorien waren Kalorien.
Er suchte weiter. Er drehte Sitzpolster um, hob Plastikverkleidungen an, durchwühlte Taschen. Er fand einen einzelnen Herrenschuh, ein Nackenkissen und ein zerfleddertes Magazin.
Dann, unter einer Schwimmweste, sah er das Glitzern.
Eine Plastikflasche. 0,5 Liter. Mineralwasser.
Er stürzte sich darauf, als wäre es ein Goldbarren. Die Flasche war noch versiegelt, aber durch den Aufprall leicht deformiert. Das Wasser darin war warm, fast heiß von der Sonne.
Rob drehte den Verschluss auf. Seine Hände zitterten so sehr, dass er fast den Deckel fallen ließ. Er setzte an.
Sein Instinkt schrie: Trink alles!
Sein Verstand schaltete sich dazwischen: Negativ. Rationierung erforderlich.
Er nahm einen kleinen Schluck. Das warme Wasser schmeckte metallisch, aber es war das Köstlichste, was er je getrunken hatte. Er spürte förmlich, wie die Flüssigkeit seine Speiseröhre hinunterlief und vom Gewebe aufgesaugt wurde.
Er schraubte den Deckel wieder drauf. Fest.
Er blickte zum Waldrand. Die grüne Wand wirkte jetzt, im grellen Nachmittagslicht, weniger bedrohlich, aber undurchdringlich. Dort gab es Schatten. Vielleicht gab es dort Wasser. Aber er wusste nicht, was dort noch lebte.
Er entschied sich dagegen. Nicht heute. Sein Energielevel war im roten Bereich. Er würde es nicht weit schaffen.
Er kehrte zu seinem Aluminium-Unterstand zurück. Er musste ihn verbessern, bevor es dunkel wurde. In den Tropen fiel die Nacht schnell, wie ein Vorhang.
Er schleppte zwei weitere Wrackteile heran – flache Paneele der Innenverkleidung – und lehnte sie seitlich gegen das Rumpfstück, um den Windschutz zu vergrößern. Mit nassem Sand häufte er einen kleinen Wall auf, um die Lücken zu schließen. Es war keine Festung, aber es war eine Höhle. Seine Höhle.
Als die Sonne den Horizont berührte und das Meer in blutiges Rot tauchte, kroch Rob hinein.
Die Dunkelheit kam fast schlagartig. Und mit der Dunkelheit kamen die Geräusche.
Das Rauschen der Brandung blieb, aber der Dschungel erwachte. Ein Zirpen, das so laut war wie eine Kreissäge. Unbekannte Rufe, die wie das Weinen von Kindern klangen. Rascheln im Unterholz, viel zu nah.
Rob umklammerte die Wasserflasche mit der einen Hand und drückte den Rücken gegen das kühle Metall. Er starrte hinaus in die Schwärze, wo der Strand nur noch als grauer Streifen zu erahnen war.
Er war Ingenieur. Er löste Probleme.
Aber hier, in der Dunkelheit, gab es keine Formeln. Hier gab es nur die Urangst des Menschen, der nicht mehr an der Spitze der Nahrungskette stand.
Er schloss die Augen nicht. Er lauschte und wartete auf den Morgen.
Ort: Die Insel, Dschungelrand | Zeit: Tag 2 (Früher Morgen)
Der Morgen kam nicht mit sanftem Licht, sondern mit einer erbarmungslosen Helligkeit, die sofort in den Augen stach.
Rob schälte sich aus seinem Aluminium-Kokon. Jeder Muskel in seinem Körper protestierte. Sein Nacken war steif, sein Rücken fühlte sich an, als hätte ihn jemand mit einem Baseballschläger bearbeitet.
Aber er lebte.
Er griff sofort nach der Wasserflasche. Sie war warm, das Plastik weich. Er hielt sie gegen das Licht. Noch etwa 400 Milliliter.
In einer klimatisierten Wohnung wäre das genug für einen Vormittag. Hier, bei geschätzten dreißig Grad im Schatten und hoher Luftfeuchtigkeit, war es ein Witz.
Er nahm einen winzigen Schluck, benetzte nur die Mundhöhle, bevor er schluckte.
Er stand auf und blickte zum Meer. Der Horizont war leer. Kein Schiff. Kein Kondensstreifen am Himmel.
Rob schloss kurz die Augen und atmete tief durch. Er rief sein inneres Whiteboard auf.
Option A: Hier bleiben. Vorteil: Hohe Sichtbarkeit für Rettungskräfte. Nachteil: Keine Wasserquelle, keine Nahrung außer salzigen Nüssen, kein Schutz vor der Sonne. Überlebenswahrscheinlichkeit: Weniger als 48 Stunden.
Option B: Landesinneres. Vorteil: Potenzielle Süßwasserquellen, Schatten, Nahrung. Nachteil: Unbekanntes Terrain, Verletzungsgefahr, Raubtiere.
Die Mathematik war eindeutig. Bleiben hieß sterben. Gehen hieß riskieren.
„Also gut“, sagte er laut. „Expedition Alpha startet.“
Er konnte nicht unvorbereitet gehen. Er ging zurück zum Wrackfeld. Er brauchte ein Werkzeug. Seine Hände waren weich, Bürohände, nicht gemacht, um sich durch Unterholz zu kämpfen.
Er fand eine abgerissene Sitzschiene aus Metall. Etwa vierzig Zentimeter lang, an einem Ende abgebrochen und scharfkantig wie ein Rasiermesser. Er nahm ein Stück Stoff von einem zerrissenen Sitzbezug und wickelte es fest um das stumpfe Ende. Es war keine Machete, aber es war ein Anfang. Ein grober Keil aus Stahl.
Er steckte die Wasserflasche und die Erdnusstüten in seine Hosentaschen. Dann drehte er sich zum Dschungel um.
Die Baumgrenze wirkte wie eine feste Mauer. Ein Gewirr aus Palmen, Farnen und Schlingpflanzen, die so dicht ineinander verwoben waren, dass sie das Licht verschluckten.
Rob trat auf den ersten Farn zu. Er holte mit seiner improvisierten Klinge aus und schlug zu. Das Metall hackte durch den Stängel. Grüner Pflanzensaft spritzte auf sein Hemd.
Er trat hindurch.
Der Übergang war abrupt. Innerhalb von drei Schritten fiel die Temperatur leicht ab, aber die Luftfeuchtigkeit schoss nach oben. Es war, als würde man ein Gewächshaus betreten.
Der Geruch war überwältigend. Es roch nach modriger Erde, nach süßlichen Blüten, nach Verfall und nach Leben.
Und der Lärm. Am Strand hatte das Meer dominiert. Hier herrschte eine Kakophonie aus Zirpen, Surren, Pfeifen und Rascheln.
Rob blieb stehen. Er fühlte sich beobachtet.
Paranoia ist kontraproduktiv, mahnte er sich. Konzentriere dich auf die Topografie.
Wasser folgte der Schwerkraft. Er musste nach Senken suchen, nach Tälern, oder nach Tierspuren, die zu Wasserstellen führten.
Er sah sich um. Der Boden stieg leicht an. Das war schlecht. Wasser floss nicht bergauf. Aber er musste höher kommen, um sich einen Überblick zu verschaffen. Wenn er die Struktur der Insel verstand, konnte er extrapolieren, wo sich Wasser sammeln würde.
Er kämpfte sich vorwärts. Jeder Meter war ein Kampf. Schlingpflanzen griffen nach seinen Knöcheln, dornige Büsche zerrissen sein ohnehin schon ruiniertes Hemd weiter. Insekten umschwirrten seinen Kopf in dichten Wolken, angezogen von seinem Schweiß.
Nach einer Stunde war er vollkommen erschöpft. Er lehnte sich gegen einen Baumstamm, dessen Rinde mit Moos bedeckt war. Er griff nach der Flasche, zögerte, trank dann doch einen Schluck. Noch ein Drittel.
Dann hörte er es.
Es war leise, fast untergehend im Lärm der Zikaden. Ein konstantes, rhythmisches Plätschern. Nicht das unregelmäßige Rauschen der Brandung.
Fließendes Wasser.
Robs Kopf ruckte herum. Das Geräusch kam von links, aus einer Richtung, wo das Unterholz besonders dicht war.
Er stieß sich vom Baum ab. Die Müdigkeit war vergessen. Adrenalin flutete sein System.
Er hackte wild mit seinem Metallstück auf das Gestrüpp ein, ignorierte die Kratzer auf seinen Armen. Das Plätschern wurde lauter.
Er brach durch eine Wand aus riesigen Blättern und stolperte fast.
Der Boden fiel vor ihm steil ab. Er stand am Rand einer kleinen Klippe, vielleicht fünf Meter hoch.
Unter ihm lag kein Dschungel mehr.
Unter ihm lag ein Paradies.
Es war eine Art Kessel, ein Tal, das von steilen Felswänden und dichtem Grün umschlossen war. In der Mitte des Tals glitzerte eine Wasserfläche, spiegelglatt und tiefblau. Ein See.
Am gegenüberliegenden Ende des Kessels stürzte ein schmaler Wasserfall die Felswand hinab und speiste den See.
Rob starrte hinunter. Sein Ingenieursgehirn analysierte sofort: Geschützte Lage. Süßwasserzufuhr. Vegetation deutet auf fruchtbaren Boden hin.
Aber sein menschliches Gehirn dachte nur eines: Hoffnung.
Er suchte nach einem Weg nach unten. Ein Stück weiter rechts war der Hang weniger steil, eher eine Geröllhalde, die von Wurzeln durchzogen war.
Er ließ sich vorsichtig hinabgleiten, hielt sich an Wurzeln fest, rutschte das letzte Stück auf dem Hosenboden.
Als seine Füße das weiche Gras am Ufer des Sees berührten, fühlte es sich an wie heiliger Boden.
Er rannte die letzten Meter zum Wasser, ließ sich auf die Knie fallen und tauchte die Hände hinein.
Das Wasser war kühl.
Er zögerte kurz – Bakterien? Parasiten? – aber der Durst wischte die Bedenken beiseite. Wenn er jetzt nicht trank, war er sowieso tot.
Er formte die Hände zu einer Schale und trank.
Es schmeckte nach Erde und Mineralien, aber es war süß. Es war Leben.
Rob lachte auf, ließ sich rücklings ins Gras fallen und starrte in den blauen Himmel, der hier, im Tal, viel freundlicher aussah.
Er hatte überlebt. Und er hatte ein Zuhause gefunden.
Ort: Das verborgene Tal, die Höhle am See | Zeit: Tag 2 (Abenddämmerung)
Das Wasser war mehr als nur Flüssigkeit; es war ein Reset-Knopf für sein gesamtes biologisches System.
Nachdem Rob seinen Durst gestillt hatte, blieb er noch lange am Ufer sitzen, die Hände im kühlen Gras vergraben. Er spürte förmlich, wie sein Kreislauf sich stabilisierte, wie das Pochen hinter seinen Schläfen nachließ und die kognitive Nebelbank sich lichtete. Er beobachtete, wie das Sonnenlicht auf der Oberfläche des Sees tanzte und Lichtreflexe an die Felswände warf.
Das Tal wirkte seltsam friedlich, fast entrückt von der brutalen Realität des Strandes und des chaotischen Dschungels, durch den er sich gerade gekämpft hatte. Es war, als hätte er eine andere Dimension betreten.
Hier gab es keine aggressiven Insektenschwärme, die nach Blut gierten. Das Gras war weich, dicht und federnd, fast wie ein gepflegter Rasen in einem botanischen Garten. Obstbäume – er erkannte etwas, das wie wilde Feigen aussah, und schlanke Palmen mit Kokosnüssen – säumten den Rand des Kessels in Abständen, die beunruhigend gleichmäßig wirkten. Fast so, als wären sie nach einem Plan gepflanzt worden.
Rob stand langsam auf, testete seine Beine auf Stabilität und drehte sich im Kreis. Sein Blick wanderte die steilen Felswände hinauf, die das Tal wie eine natürliche Festung umschlossen und den Wind abfingen.
Geschütztes Mikroklima, analysierte er sofort. Windgeschützt durch die Kesselform. Konstantes Wasserreservoir durch den Fall. Diverse Kohlenhydratquellen in unmittelbarer Nähe.
Es war perfekt. Ein Statistiker würde sagen: unwahrscheinlich perfekt. Die Dichte an nutzbaren Ressourcen auf so engem Raum widersprach der zufälligen Verteilung der Natur. Ein religiöser Mensch würde es ein Wunder nennen, ein Geschenk des Himmels. Rob, der Pragmatiker, nannte es einen „statistischen Ausreißer mit extrem hohem Nutzwert“. Er beschloss, das Glück nicht zu hinterfragen – noch nicht.
Aber die Physik nahm keine Rücksicht auf seine Erleichterung. Die Sonne wanderte weiter. Das Tal lag tief, was bedeutete, dass die Schatten hier früher fallen würden als am offenen Strand. Sobald die Sonne über den Klippenrand sank, würde die Temperatur stürzen.
„Priorität zwei: Unterschlupf“, murmelte er. Er sprach immer noch laut mit sich selbst. Es half ihm, die Gedanken zu ordnen, als würde er ein Team briefen, das nicht da war. Es gab ihm ein Gefühl von Kontrolle zurück. „Bodenlagerung ist riskant. Feuchtigkeit zieht in die Kleidung. Reptilien suchen nachts Wärme. Insekten krabbeln in Körperöffnungen. Wir brauchen Höhe. Wir brauchen Isolation.“
Er ließ den Blick an den grauen Felswänden entlangwandern, scannte die Oberfläche Raster für Raster ab. Der Wasserfall am anderen Ende des Sees war malerisch, aber zu laut und die Luft dort war gesättigt mit Gischt – ein Rezept für Unterkühlung. Die Hänge, die er heruntergerutscht war, waren zu erdig und instabil.
Aber auf der linken Seite, etwa auf halber Höhe zwischen Seeufer und Klippenrand, sah er dunkle Schatten im grauen Gestein. Unregelmäßige Flecken im Felsmassiv. Nischen. Vielleicht Höhlen.
Er zog die Tüte mit den Erdnüssen aus der Tasche und aß eine Handvoll. Jetzt, wo er Wasser hatte, war das Salz kein Todesurteil mehr, sondern ein notwendiger Elektrolyt-Ersatz für das, was er ausgeschwitzt hatte. Er kaute langsam, schmeckte das Fett und das Salz, und spürte fast augenblicklich einen kleinen Energieschub.
Dann machte er sich auf den Weg.
Der Aufstieg zu der Felswand war mühsamer, als es von unten ausgesehen hatte. Er musste sich durch dichtes, dorniges Buschwerk schlagen, aber seine improvisierte Machete aus Flugzeugstahl leistete gute Dienste. Er hackte, schob beiseite und kletterte über rutschiges Wurzelwerk.
Als er den Fuß der Felswand erreichte, sah er, dass seine Vermutung richtig war. Das Gestein hier war vulkanischen Ursprungs, dunkler Basalt, porös und voller Blasen und Risse.
Er kletterte über ein paar große Felsbrocken, die aussahen, als wären sie vor Jahrhunderten herabgestürzt, und stand keuchend vor einer Öffnung.
Sie war fast oval, etwa zwei Meter hoch und drei Meter breit. Ein perfekter Eingang, geschützt durch einen leichten Überhang, der Regen abhalten würde.
Rob hob einen faustgroßen Stein auf und warf ihn mit Wucht in die Dunkelheit hinein. Er hielt den Atem an und lauschte.
Klack-klack-klack. Das Echo war hart und trocken.
Kein Fauchen. Kein Rascheln. Kein Flügelschlagen aufgeschreckter Fledermäuse. Nichts, was auf einen Bären oder eine Wildkatze hindeutete.
„Hausbesichtigung“, sagte er trocken und trat vorsichtig ein, die Machete erhoben.
Im Inneren war es angenehm kühl und vollkommen trocken. Die Luft roch nicht modrig, sondern nach Staub und kaltem Stein.
Was Rob sofort auffiel, war der Boden. Er war aus festem Fels, aber irritierend eben. Während die Wände rau und zerklüftet waren, wie man es von einer natürlichen Vulkanhöhle erwartete, wies der Boden eine fast unnatürliche Planheit auf. Rob kniete nieder und fuhr mit der flachen Hand über den Stein. Keine Unebenheiten, keine Erosion, keine stolpernden Kanten. Die Toleranzen waren zu gering für Zufall. Als hätte ein uralter Lavastrom eine perfekte Ebene gebildet – oder als wäre er nivelliert worden. Er versuchte, es geologisch zu erklären, aber sein Ingenieursverstand, trainiert auf die Erkennung von künstlichen Strukturen, markierte die Information sofort mit einem roten Fähnchen: Anomalie.
Die Höhle erstreckte sich etwa zehn Meter in den Berg hinein und verengte sich hinten zu einem schmalen Spalt, der in absoluter Schwärze endete. Groß genug für ein komfortables Lager, klein genug, um den Eingang zu verteidigen.
Er ging zum Ausgang zurück und blickte hinaus.
Die Aussicht war atemberaubend.
Von hier oben hatte er das ganze Tal im Blick. Es war ein natürliches Panoptikum. Er sah den See, der jetzt im späten Nachmittagslicht wie flüssiges Gold glänzte, den silbernen Faden des Wasserfalls und den Zugangsweg, den er sich freigeschlagen hatte. Nichts konnte sich im Tal bewegen, ohne dass er es bemerkte.
Es war der perfekte Ausguck. Eine natürliche Burg, uneinnehmbar und strategisch ideal gelegen.
Rob spürte, wie eine tonnenschwere Last von seinen Schultern fiel, deren Gewicht er erst jetzt wirklich bemerkte. Die nackte Panik, die ihn seit dem Aufwachen am Strand im Würgegriff gehabt hatte, lockerte ihren Griff. Er war nicht mehr nur ein Opfer, ein Überlebender, der passiv auf den Tod oder Rettung wartete. Er hatte eine Basis. Eine Adresse.
Er verbrachte die letzte Stunde Helligkeit damit, systematisch trockenes Gras und große Farnwedel zu sammeln. Er achtete darauf, keine Pflanzen zu nehmen, die feucht waren oder Anzeichen von Fäulnis zeigten. Er trug Armvoll davon in die Höhle und schichtete sie im hinteren Teil, weit weg vom Eingang, zu einer dicken Matratze auf. Es war weit entfernt von seiner orthopädischen Matratze im Apartment in der Stadt, aber im Vergleich zum harten Sandboden des Strandes oder dem nackten Fels war es ein Himmelbett.
Als die Nacht hereinbrach und die Schatten das Tal verschluckten, saß Rob am Eingang seiner Höhle. Er hatte noch kein Feuer – das war das Projekt Nummer eins für morgen früh, er hatte schon Ideen mit der Uhr-Linse oder Reibung –, aber das Mondlicht war hell genug, um das Tal in ein silbernes Geisterland zu verwandeln.
Er lehnte sich an die kühle Felswand, zog die Beine an und holte wieder seine Omega Speedmaster hervor. Er drehte an der Krone, zog sie auf, spürte den mechanischen Widerstand der Feder. Ein kleines, fast religiöses Ritual der Zivilisation und Ordnung.
Er dachte an sein Apartment. An die Projekte, die auf seinem Server lagen und nun wahrscheinlich überfällig waren. An die Deadlines, die ihm gestern noch wie lebenswichtige Bedrohungen vorgekommen waren. An die Kollegen, die sich vielleicht schon wunderten, wo er war.
Es kam ihm alles unendlich weit weg vor, fast abstrakt. Wie Daten aus einem alten Backup, das man nicht mehr lesen konnte, weil das Betriebssystem gewechselt hatte.
Hier draußen zählte nur die Basis-Pyramide der Bedürfnisse: Wasser, Schutz, Wärme, Kalorien.
Er blickte hinauf zu den Sternen. Ohne die Lichtverschmutzung der Stadt brannten sie mit einer Intensität, die fast in den Augen wehtat. Die Milchstraße war ein leuchtender Riss im Nachthimmel. Das Kreuz des Südens stand hoch und klar.
„Okay“, flüsterte er in die Stille, und das Wort wurde nicht vom Wind verweht, sondern blieb in der Höhle stehen. „Phase eins abgeschlossen. Ich bin noch da. Und ich bleibe.“
Er kroch auf sein Farnbett. Zum ersten Mal seit dem Absturz schlief er nicht aus reiner körperlicher Erschöpfung ein, sondern weil er sich sicher fühlte.
Und während er in den Schlaf glitt, arbeitete sein Gehirn bereits weiter. Es hatte den Panik-Modus verlassen und in den Konstruktions-Modus geschaltet. Vor seinem inneren Auge begannen sich blaue Linien zu formen, wie auf einem CAD-Bildschirm. Konstruktionszeichnungen für Fischfallen. Statikberechnungen für Bambusmöbel. Ein Bewässerungssystem. Er träumte nicht von Rettung. Er träumte von Optimierung.
Ort: Die Höhle am See | Zeit: Tag 3 (Der ganze Tag, Fokus auf Feuer)
Der zweite Morgen im Tal begann nicht mit der desorientierten Panik des ersten Tages, sondern mit einem Plan. Das Gehirn hatte die Schockstarre überwunden und arbeitete wieder im Problemlösungsmodus.
Rob erwachte, als der erste Sonnenstrahl wie ein Laserpointer genau durch den Höhleneingang fiel und ihn im Gesicht kitzelte. Er blinzelte, streckte sich vorsichtig und spürte sofort jeden einzelnen Muskel. Der harte, unnachgiebige Felsboden unter der dünnen Farnmatratze hatte seinen Tribut gefordert. Seine Hüfte schmerzte, sein Nacken war steif. Aber es war ein „guter“ Schmerz. Der ehrliche Schmerz von physischer Arbeit und Überleben, nicht der dumpfe Schmerz von Verletzungen.
Er trat vor die Höhle ins Licht. Der See lag still da, ein perfekter, dunkler Spiegel, nur hier und da unterbrochen von den konzentrischen Kreisen, die springende Fische hinterließen.
Protein, registrierte sein Gehirn sofort und übersprang den Gedanken „Fisch“. Schwimmende Kalorien. Essenzielle Fettsäuren.
Sein Magen zog sich schmerzhaft zusammen, eine Erinnerung daran, dass ein paar Erdnüsse keine Mahlzeit waren. Aber bevor er jagen konnte, brauchte er das Werkzeug, um die Beute verarbeitbar und sicher genießbar zu machen. Er brauchte den Katalysator jeder Zivilisation.
Feuer.
Rob setzte sich auf einen flachen Stein vor dem Eingang, der bereits die erste Sonnenwärme gespeichert hatte, und aß den kläglichen Rest der Erdnüsse. Er kaute jeden Kern einzeln, um das Erlebnis zu verlängern. Während er kaute, ging er die Optionen durch, als würde er ein technisches Diagramm im Kopf zeichnen.
Option A: Optik. Er nahm seine Uhr vom Handgelenk und betrachtete sie kritisch. Das Saphirglas war gewölbt, theoretisch eine Linse. Aber der Riss, der sich quer darüberzog, war ein fataler Konstruktionsfehler. Er würde das Sonnenlicht brechen und streuen, statt es in einem Brennpunkt zu bündeln. Wirkungsgrad: Null.
Option B: Chemie. Er hatte keine Batterien für einen Kurzschluss, kein Schwarzpulver aus Patronen, keine Streichhölzer. Die chemische Energie war auf dieser Insel nicht verfügbar.
Option C: Kinetik. Umwandlung von Bewegungsenergie in Wärme durch Reibung. Das älteste Patent der Menschheit.
Er stand auf, klopfte sich das Salz von den Hosenbeinen. „Projekt Prometheus startet“, verkündete er dem leeren Tal mit einer Ernsthaftigkeit, als stünde er vor einem Vorstand.
Er verbrachte den gesamten Vormittag damit, Material zu sammeln. Ein Laie hätte wahllos Holz gesucht, aber Rob suchte nach spezifischen Materialeigenschaften. Er brauchte Zunder – extrem trockenes, leicht entzündliches Material, das den kleinsten Funken fangen würde. Er fand die braunen, haarigen Fasern an der Rinde einer Kokospalme und zerrieb sie geduldig fast eine Stunde lang zwischen den Händen, bis er ein Nest hatte, das so fein und luftig war wie Watte.
Dann brauchte er die Hardware: Hartholz für den Bohrer und Weichholz für das Brett. Die Härte war entscheidend für den Abrieb. Er fand einen abgestorbenen Ast, ausgebleicht von der Sonne und hart wie Knochen, und ein weicheres Stück Treibholz am Seeufer, das perfekt durchgetrocknet war.
Dann kam der schwierigste Teil: Die Mechanik. Der Antrieb.
Rob setzte sich in den Schatten. Er starrte auf seine Schuhe. Handgenähte italienische Lederschuhe, die ihn ein halbes Monatsgehalt gekostet hatten. Symbole seines Status.
Er seufzte, griff an den rechten Schuh und zog ihn aus. Mit ruhigen Fingern fädelte er den Schnürsenkel aus. Er war aus gewachster Baumwolle, nicht aus billigem Synthetik. Reißfest, griffig. Perfekt für eine Sehne. Der Schuh selbst war ohne den Senkel fast nutzlos, aber das war der Preis des Fortschritts.
Er suchte einen gebogenen Ast, elastisch genug, um Spannung zu halten, aber starr genug, um nicht zu brechen. Er band den Schnürsenkel an beide Enden. Der Bogen war fertig.
Mit seinem geschärften Metallstück vom Flugzeugsitz schnitzte er vorsichtig eine kleine V-Kerbe in das weiche Treibholzbrett und bohrte eine kleine Mulde direkt daneben. Er setzte den Hartholzstab in die Schlaufe des Schnürsenkels, platzierte die Spitze in der Mulde und legte einen flachen, handlichen Stein oben auf den Stab, um den vertikalen Druck auszuüben, ohne sich die Handfläche zu verbrennen.
Die Konstruktion sah primitiv aus, wie etwas aus einem Museum, aber physikalisch war sie eine komplexe Maschine. Ein manuell betriebener Bohrer zur punktuellen Maximierung von Reibungshitze.
Rob kniete sich hin, positionierte das Brett unter seinem linken Fuß. Er atmete tief durch, visualisierte den Prozess.
Er begann zu sägen.
Vor und zurück. Der Bogen drehte den Stab.
Rotation erzeugt Reibung. Reibung erzeugt Hitze.
Zuerst passierte nichts, außer Frustration. Der Stab eierte, rutschte aus der Mulde, der Schnürsenkel verlor die Spannung. Rob fluchte leise, justierte den Druck, straffte den Senkel, begann von neuem.
Nach zehn Minuten brannten seine Schultern wie Feuer. Schweiß lief ihm in die Augen und brannte dort, aber er konnte sich nicht die Stirn wischen. Er wollte aufhören. Es fühlte sich sinnlos an, Holz auf Holz zu reiben.
Dann, als seine Muskeln kurz vor dem Versagen waren, stieg eine feine, kaum sichtbare Fahne auf.
Rauch.
Nicht das Feuer selbst, nur der Vorbote. Ein chemisches Signal, dass die Zersetzung begann.
Rob stoppte nicht. Er biss die Zähne zusammen und erhöhte die Frequenz. Mehr RPM. Mehr Druck. Ignoriere den Schmerz.
Der Rauch wurde dichter, grau und beißend. Es roch intensiv nach verbranntem Holz. Am Fuß des Bohrers, in der V-Kerbe, sammelte sich schwarzes, heißes Holzmehl, das sich vom Stab abrieb.
Sein Arm fühlte sich an wie Blei, taub und schwer, aber er durfte jetzt nicht aufhören. Er musste die kritische Zündtemperatur überschreiten. Wenn er jetzt stoppte, würde die Hitze in Sekunden verpuffen.
Plötzlich glühte ein winziger Punkt in dem schwarzen Häufchen aus Holzstaub auf. Ein rotes Auge, kleiner als ein Stecknadelkopf, das ihn aus der Dunkelheit des Staubs anblinzelte.
Rob ließ den Bogen fallen, seine Hände zitterten vor Anstrengung. Vorsichtig, mit der Präzision eines Chirurgen am offenen Herzen, kippte er die glühende Kohle in das vorbereitete Nest aus Kokosfasern.
Er hob das Bündel an die Lippen. Nicht zu fest pusten, das würde die Hitze wegkühlen. Nicht zu schwach, das würde den Sauerstoff entziehen.
Er blies sanft. Stetig.
Die Glut fraß sich in die Fasern, breitete sich aus wie eine rote Infektion. Der Rauch wurde dicht und gelb.
Und dann, mit einem leisen, fast erleichterten Wusch, schlug eine echte Flamme aus dem Bündel.
Rob stieß einen Schrei aus, der nichts mit Ingenieurskunst oder Zurückhaltung zu tun hatte. Es war ein Triumphgebrüll, rau und unartikuliert.
Hektisch, aber kontrolliert, schob er das brennende Bündel unter die Pyramide aus kleinen, trockenen Zweigen, die er vorbereitet hatte. Das Feuer leckte gierig daran, kletterte nach oben, wuchs, knackte.
Er fütterte es, erst mit Zweigen, dann mit dickeren Ästen. Bald brannte ein stabiles, prasselndes Feuer vor seiner Höhle.
Die Wärme strahlte gegen sein Gesicht, trocknete den Schweiß.
Er setzte sich davor, rußverschmiert, verschwitzt, mit zitternden Händen und einem Schuh ohne Schnürsenkel. Er starrte in die Flammen, als wäre es das faszinierendste Fernsehprogramm der Welt.
Er hatte Licht. Er hatte Wärme. Er hatte eine chemische Reaktion erzwungen, die ihn vom Tier unterschied.
Er war nicht mehr nur ein Besucher, der geduldet wurde. Er hatte diesen Ort kolonisiert.
Ort: Der See im Tal | Zeit: Tag 4 (Vormittag)
Das Feuer brannte. Es war ein gieriges, lebendiges Wesen, das gefüttert werden wollte, genau wie sein Schöpfer.
Rob saß eine Weile lang regungslos da und starrte in die Flammen. Die Hitze auf seiner Haut war ein Luxus, den er seit dem Absturz nicht mehr gespürt hatte. Es war nicht die stechende, feindselige Hitze der Mittagssonne, sondern eine kontrollierte, domestizierte Wärme.
Doch mit der Wärme kam das Bewusstsein für die Leere in seinem Inneren zurück. Das Adrenalin, das ihn während der Feuererzeugung angetrieben hatte, ebbte ab und hinterließ ein tiefes, schmerzhaftes Loch in seinem Magen. Die Handvoll Erdnüsse war längst verstoffwechselt. Sein Blutzuckerspiegel war im Keller. Wenn er nicht bald Proteine und Kohlenhydrate nachlegte, würde seine kognitive Leistung einbrechen, gefolgt von seiner physischen Kraft.
Das Feuer war der Motor. Jetzt brauchte er Treibstoff.
Er stand auf, seine Beine fühlten sich schwer an. Er ging zum Seeufer hinunter. Die Oberfläche war spiegelglatt, nur hier und da durchbrochen von kleinen Ringen. Fische. Rob sah dunkle Schatten, die träge durch das klare Wasser glitten. Manche waren so lang wie sein Unterarm.
In Filmen sah es immer einfach aus. Der Held spitzt einen Stock, wirft ihn und zieht das Abendessen an Land.
Rob wusste, dass die Realität komplizierter war. Er war Ingenieur, kein Speerwerfer. Aber er verstand Ballistik, Hydrodynamik und Werkstoffkunde.
Er wandte sich vom See ab und scannte die Vegetation am Rand des Talkessels. Er suchte nach Bambus. Er hatte am Vortag, bei seiner Ankunft, ein Büschel gesehen, das vielversprechend aussah.
Er fand es etwa fünfzig Meter westlich der Höhle. Hohe, grüne Halme, die im leichten Wind schwankten. Bambus war das ideale Baumaterial: Leicht, extrem hohe Zugfestigkeit, hohl und dennoch stabil durch die Segmentierung. Die Natur hatte hier einen perfekten Verbundwerkstoff geschaffen.
Mit seiner improvisierten Metallsäge brauchte er fast zwanzig Minuten, um einen daumendicken, etwa zwei Meter langen Halm zu fällen. Das Metall war stumpf, und er musste eher reiben als sägen. Schweiß lief ihm in die Augen, brannte auf den Lippen.
Als er den Stab endlich in der Hand hielt, wog er ihn prüfend. Die Balance war gut.
Er setzte sich wieder vor sein Feuer. Jetzt begann die Feinarbeit.
Er schnitt das Ende des Stabes schräg an, um eine Spitze zu formen. Aber Bambus neigte dazu, zu splittern. Eine einfache Spitze würde beim Auftreffen auf einen Fischknochen oder den steinigen Grund des Sees zerbrechen.
Rob entschied sich für ein Design mit vier Zinken. Er spaltete das Ende des Stabes zweimal über Kreuz, etwa zehn Zentimeter tief. Dann klemmte er kleine Holzstückchen zwischen die gespaltenen Teile, sodass sie sich spreizten.
Er umwickelte den Schaft unterhalb der Spreizung fest mit einem Streifen Stoff, den er von seinem Hemdsaum abgerissen hatte, damit der Bambus nicht weiter einriss.
Nun hatte er vier Spitzen. Er schärfte jede Einzelne mit dem Metallstück, bis sie so spitz wie Nadeln waren.
Dann hielt er die Spitzen vorsichtig über die Glut seines Feuers. Nicht in die Flamme, nur in die Hitze.
Karbonisierung, dachte er. Feuerhärtung.
Das Holz verfärbte sich dunkelbraun, die Feuchtigkeit wurde entzogen, die Zellstruktur verdichtete sich. Die Spitzen wurden hart wie Glas.
Er betrachtete sein Werk. Es war grob, primitiv, aber funktional. Ein Männerspielzeug aus der Steinzeit. Ein „Multi-Point Aquatic Penetration Device“, hätte er es in einem Projektantrag genannt. Er nannte es: „Den Spieß“.
Rob ging zum Wasser. Er zog Schuhe und Socken aus, rollte die zerrissene Hose bis zu den Knien hoch und trat hinein.
Das Wasser war kühl. Schlamm quoll zwischen seinen Zehen hervor – ein seltsames, fast intimes Gefühl für jemanden, der sein Leben in klimatisierten Büros und auf asphaltierten Straßen verbracht hatte.
Er stand still. Regungslos wie ein Reiher.
Er hob den Speer, die Muskeln in seinem rechten Arm angespannt.
Ein Schatten glitt heran. Ein silberner Fisch, vielleicht zwei Kilo schwer. Er bewegte sich langsam, ohne Scheu. Die Tiere hier kannten keine Menschen. Sie kannten keine Gefahr von oben.
Rob visierte den Rücken des Fisches an. Er zielte genau auf die Mitte.
Er stieß zu.
Wasser spritzte auf. Der Speer traf den Grund.
Der Fisch war weg.
Rob zog den Speer aus dem Schlamm und fluchte leise.
„Fehleranalyse“, murmelte er frustriert. „Zielparameter waren korrekt. Ausführung war sauber. Warum der Fehler?“
Er starrte ins Wasser. Dann dämmerte es ihm.
Physik. 7. Klasse.
Lichtbrechung.
Wasser hat eine höhere optische Dichte als Luft. Das Licht wird an der Grenzfläche gebrochen. Der Fisch war optisch nicht dort, wo er zu sein schien. Er erschien höher und weiter entfernt, als er tatsächlich war.
„Brechungsindex von Wasser ist ca. 1,33“, dozierte er leise vor sich hin, während er den Speer reinigte. „Das Objekt befindet sich tiefer als das virtuelle Bild. Ich muss unter den Fisch zielen.“
Er atmete tief durch. Er musste seinen Instinkt, der ihm sagte „Ziel auf das, was du siehst“, mit seinem Verstand überschreiben.
Er wartete. Minuten vergingen. Seine Beine wurden taub von der Kühle.
Ein neuer Schatten näherte sich. Etwas kleiner, aber immer noch eine lohnende Mahlzeit.
Rob hob den Arm. Er visierte den Fisch an – und senkte die Spitze dann bewusst etwa zehn Zentimeter tiefer, ins leere Wasser unter dem Fischbauch.
Es fühlte sich falsch an. Sein Gehirn protestierte.
Er stieß zu.
Diesmal gab es keinen dumpfen Schlag auf den Grund. Er spürte einen Widerstand, ein vibrierendes Zappeln, das durch den Bambus direkt in seine Handfläche übertragen wurde.
Er riss den Speer hoch.
Am Ende, aufgespießt von zwei der vier gehärteten Spitzen, zappelte ein silberner Fisch und schlug wild mit dem Schwanz. Wassertropfen flogen wie Diamanten durch die Luft.
Rob starrte ihn an, die Augen weit aufgerissen. Ein primitives, raues Gefühl von Triumph durchflutete ihn, viel intensiver als beim Feuermachen. Das hier war direkter. Das war Nahrung. Er hatte dem Planeten Leben abgerungen.
„Hab dich“, flüsterte er. „Hab dich, du physikalisches Phänomen.“
Er watete an Land, den Fisch fest umklammert, als könnte er sich in Luft auflösen.
Jetzt kam der Teil, den er verdrängt hatte.
Der Fisch lebte noch. Er schnappte nach Luft, die Kiemen öffneten und schlossen sich hektisch.
Rob hatte noch nie ein Tier getötet. Er kaufte sein Fleisch in Plastikschalen im Supermarkt, sauber, blutlos, abstrakt. Das hier war konkret. Das hier war Leben, das er beenden musste, um seins zu verlängern.
Er nahm einen schweren Stein. Er zögerte kurz, ein Moment des Respekts oder des Ekels, dann schlug er kräftig auf den Kopf des Fisches. Das Zappeln hörte sofort auf.
Rob atmete schwer aus. Seine Hände zitterten leicht.
Er nahm sein scharfes Metallstück. Das Ausnehmen war eine blutige, glitschige Angelegenheit. Er hatte keine Ahnung, was er tat, er folgte nur einer vagen Erinnerung an eine Dokumentation. Bauch aufschneiden, Innereien raus. Der Geruch war streng, aber nicht faulig.
Er spülte den Fisch im See aus, spießte ihn der Länge nach auf einen frischen, grünen Zweig und trug ihn zum Feuer.
Er baute eine einfache Halterung aus zwei Astgabeln und legte den Spieß darüber.
Als die Haut des Fisches anfing zu bräunen und das Fett in die Flammen tropfte – zisch, zisch – stieg ein Geruch auf, der Rob fast in den Wahnsinn trieb.
Es roch nach gegrilltem Essen. Es roch nach Überleben.
Er konnte kaum warten, bis das Fleisch gar war. Er riss ein Stück mit den Fingern ab, verbrannte sich fast die Kuppen, und schob es in den Mund.
Er hatte kein Salz. Keine Zitrone. Keine Kräuter.
Aber in diesem Moment, unter dem ersten Sternenhimmel in seinem neuen Zuhause, war es das beste Essen, das er je zu sich genommen hatte.
Es schmeckte rauchig, zart und unglaublich satt. Er spürte förmlich, wie die Energie in seinen Körper zurückkehrte, wie sein Gehirn wieder auf volle Leistung schaltete.
Er aß alles. Die Haut, das Fleisch an den Wangen, er lutschte sogar die Augen aus, weil er irgendwo gelesen hatte, dass sie nährstoffreich waren. Nur die Gräten blieben übrig, ein weißes Skelett im Schein des Feuers.
Nach dem Essen lehnte er sich zurück. Sein Magen war voll, sein Körper warm.
Er blickte sich im Tal um. In der Dämmerung sah er an den Bäumen am Rand dunkle Formen hängen. Kokosnüsse? Oder vielleicht Brotfrucht?
Morgen würde er sammeln gehen. Morgen würde er dieses Tal kartografieren. Er würde Vorräte anlegen. Er würde Regale bauen. Er würde eine Räucheranlage konstruieren, um Fisch haltbar zu machen.
Sein Ingenieursgehirn raste schon wieder. Die Insel war kein Gefängnis mehr. Sie war ein Projekt.
Er nahm einen kleinen Schluck aus seiner Wasserflasche – er musste morgen auch eine bessere Wasseraufbewahrung finden, vielleicht Kokosnussschalen – und prostete dem Mond zu.
„Tag 2: Status grün“, sagte er leise. „Energieversorgung hergestellt. Nahrungsversorgung initialisiert.“
Dann fiel sein Blick auf die Felswand hinter dem Feuer, den Eingang zu seiner Höhle.
Im flackernden Licht der Flammen tanzten die Schatten an der Wand. Für eine Sekunde, nur einen Wimpernschlag lang, glaubte Rob, in der Struktur des Felsens neben dem Eingang etwas zu sehen.
Keine natürlichen Risse.
Linien. Geometrische Linien, die fast aussahen wie... ein Rahmen?
Er kniff die Augen zusammen, beugte sich vor.
Aber das Feuer knackte, die Flammen duckten sich, und das Muster verschwand wieder im unregelmäßigen Spiel der Schatten auf dem Basalt.
„Paranoia“, murmelte Rob und rieb sich die Augen. „Müdigkeit und Mustererkennung im Overdrive.“
Er beschloss, es zu ignorieren. Heute hatte er genug erreicht.
Er legte noch zwei dicke Scheite nach, die für die nächsten Stunden reichen würden, und kroch in seine Höhle.
Der Boden war immer noch hart, aber heute Nacht würde er schlafen wie ein König. Denn er war nicht mehr der Schiffbrüchige. Er war der Jäger.
Ort: Das Tal und die Höhle | Zeit: Woche 2 (Ein Sturm zieht auf)
Der dritte Tag begann nicht mit der Sonne, sondern mit der Asche.
Rob erwachte, als die Kälte des Morgens durch seine Kleidung kroch. Das Feuer war heruntergebrannt, nur noch ein Haufen grauer Flocken, unter denen ein schwaches, oranges Herz pulsierte.
Seine erste Handlung war nicht, sich zu strecken oder die Augen zu reiben. Er sprang auf, griff nach einem Bündel Reisig und hauchte der Glut vorsichtig neues Leben ein. Als die Flammen wieder züngelten, atmete er aus.
„Systemerhalt gesichert“, murmelte er. Das Feuer war sein wichtigster Mitarbeiter. Es zu verlieren, wäre ein katastrophaler Rückschritt im Projektplan.
Nachdem er zwei Fische vom Vortag gefrühstückt hatte – kalt und zäh, aber nahrhaft –, widmete er sich seinem Körper. Er stank. Er roch nach Angstschweiß, Rauch, altem Fisch und getrocknetem Salzwasser.
Er ging zum See, zog sich vollständig aus und watete ins Wasser. Es war ein seltsames Gefühl, nackt im Freien zu stehen, verletzlich und doch befreiend. Er schrubbte seine Haut mit feinem Sand ab, wusch das verkrustete Salz aus seinen Haaren.
Dann wusch er seine Kleidung. Das weiße Hemd war ruiniert, grau und fleckig, die Hose an den Knien dünn gescheuert. Er breitete die Sachen auf den heißen Steinen am Ufer zum Trocknen aus und saß eine Weile nackt in der Sonne.
Er betrachtete seinen Körper. Blaue Flecken vom Absturz verfärbten sich langsam ins Gelbliche. Er hatte abgenommen, seine Rippen zeichneten sich schärfer ab als sonst. Aber er fühlte sich nicht schwach. Im Gegenteil, er spürte eine drahtige, zähe Energie.
„Wartung abgeschlossen“, sagte er und zog die noch klammen Sachen an. Es war Zeit für die Arbeit.
Sein Blick fiel auf den Höhleneingang. Die Erinnerung an die letzte Nacht, an die geometrischen Linien im Feuerschein, nagte an ihm.
Er ging zur Felswand und untersuchte die Stelle. Er fuhr mit den Fingern über den rauen Basalt.
Nichts.
Keine Fugen. Keine Rillen. Nur die natürlichen, chaotischen Risse von erkaltetem Magma.
Rob schüttelte den Kopf. „Pareidolie“, diagnostizierte er. „Das Gehirn sucht Muster im Rauschen. Ein klassischer Fehler bei der Datenauswertung.“
Er hakte es ab. Es gab Wichtigeres zu tun.
Sein Ziel für heute war die Logistik. Er hatte Wasser und Protein. Er brauchte Vitamine und Kohlenhydrate. Und er brauchte eine Infrastruktur, um Vorräte anzulegen.
Er marschierte zu der Baumgruppe am südlichen Rand des Kessels, die er gestern im Dämmerlicht gesehen hatte.
Aus der Nähe bestätigte sich seine Hoffnung. Es war ein Supermarkt.
Er fand Kokospalmen, deren Nüsse in grünen Trauben hoch oben hingen. Er fand einen Baum mit großen, ovalen Blättern und Früchten, die wie stachelige Footballs aussahen.
Artocarpus altilis, rief sein Gedächtnis eine Information aus einer Dokumentation ab. Brotfrucht. Extrem stärkereich.
Und dazwischen, fast versteckt: Bananenstauden. Kleine, wilde Bananen, kaum so lang wie ein Finger, aber gelb und reif.
Rob riss sich eine Banane ab und schälte sie. Sie schmeckte intensiv, süß und cremig, eine Explosion von Geschmack, die nichts mit den wässrigen Exportbananen zu tun hatte, die er von zu Hause kannte.
Er aß fünf Stück hintereinander, unfähig aufzuhören.
Dann stand er vor dem nächsten Problem: Transport.
Er konnte vielleicht zwei Kokosnüsse und ein Büschel Bananen tragen. Aber der Weg zur Höhle war weit, und er wollte nicht zehnmal laufen.
„Ich brauche einen Container“, stellte er fest.
Er blickte auf die langen, fiedrigen Palmblätter, die am Boden lagen.
Er war Ingenieur. Er verstand Strukturen. Weben war im Grunde nichts anderes als Topologie. Drunter, drüber, fixieren.
Er setzte sich in den Schatten und begann zu experimentieren. Seine ersten Versuche waren kläglich. Die Blätter brachen, das Geflecht löste sich auf. Er fluchte, seine Finger waren ungeschickt.
Aber Rob gab nicht auf. Er analysierte das Material. Er musste die Mittelrippe des Blattes als Rahmen nutzen und die Fiedern verflechten.
Nach zwei Stunden hatte er etwas produziert, das man mit viel Wohlwollen als Korb bezeichnen konnte. Es war schief, es hatte Löcher, aber es hielt.
Er belud seinen „Prototyp Alpha“ mit Kokosnüssen, Bananen und zwei Brotfrüchten. Das Ding ächzte, hielt aber stand.
Stolz wie ein Erfinder, der gerade das Rad entdeckt hatte, schleppte er seine Beute zur Höhle.
Der Nachmittag war dem Ausbau gewidmet.
Rob wollte nicht mehr auf dem Boden essen. Er wollte Zivilisation.
Er fällte weiteren Bambus. Diesmal ging die Arbeit mit der Metallsäge leichter von der Hand, er hatte den Rhythmus gefunden.
Er plante einen Tisch. Nicht einfach nur eine Platte auf Steinen, sondern eine Konstruktion. Er rammte vier dicke Bambusstäbe in den weichen Boden vor der Höhle. Er nutzte Lianen, die er im Waldrand gefunden hatte, als Seile.
Er kannte keine Pfadfinderknoten, aber er kannte Physik. Reibung und Zugkraft. Er entwickelte seine eigene Wickeltechnik, zog die Lianen nass fest, wissend, dass sie sich beim Trocknen zusammenziehen und die Verbindung wie Stahlklammern sichern würden.
Als die Tischplatte – eine Reihe von parallel gebundenen Bambusrohren – fertig war, rüttelte er daran. Sie wackelte, aber sie hielt sein Gewicht.
Er legte seine Bananen und Kokosnüsse darauf ab.
Es war ein Bild von grotesker Schönheit: Ein schiefer Bambustisch vor einer Höhle, gedeckt mit exotischen Früchten, gebaut von einem Mann in zerrissenen Anzugschuhen.
„Küchentisch V 1.0“, sagte Rob und grinste.
Dann änderte sich das Licht.
Rob blickte auf. Er war so vertieft gewesen, dass er die Veränderung der Atmosphäre nicht bemerkt hatte.
Die Luft war plötzlich schwer geworden, fast ölig. Die Vögel, die den ganzen Tag über gesungen hatten, waren verstummt. Selbst das Zirpen der Insekten war abgebrochen, als hätte jemand den Stecker gezogen.
Stille. Absolute, drückende Stille.
Rob trat aus dem Schutz des Höhleneingangs und blickte zum Himmel.
Über den Klippenrand im Osten schoben sich Wolken. Nicht die weißen Schönwetterwolken der letzten Tage. Das hier war eine Wand. Eine massive, violett-schwarze Front, die sich wie ein Bluterguss über den Himmel wälzte. Blitze zuckten im Inneren der Wolkenmasse, lautlos, wie Adern aus Licht.
Tiefdruckgebiet, analysierte er. Massive Instabilität.
Ein Tropensturm. Und er kam direkt auf die Insel zu.
Rob handelte sofort. Er räumte seinen Tisch ab, trug die Früchte in die Höhle. Er sicherte seine Vorräte. Er legte mehr Holz auf das Feuer und deckte es mit großen Rindenstücken ab, um die Glut vor dem Regen zu schützen.
Dann setzte er sich in den Höhleneingang und wartete. Er rechnete mit dem Schlimmsten. Erwartete Orkanböen, die Bäume entwurzeln würden. Erwartete Regen, der wie Geschosse vom Himmel fiel.
Der Sturm traf die Insel mit der Wucht eines Güterzugs.
Rob sah, wie die Palmen oben auf dem Klippenrand, hoch über dem Tal, sich plötzlich bogen, als wären sie aus Gummi. Er sah, wie Äste und Blätter in die Luft gerissen wurden und waagerecht davonflogen. Er hörte das Heulen des Windes, ein tiefes, grollendes Brüllen, das in den Ohren schmerzte.
Er zog den Kopf ein, machte sich bereit für den Einschlag im Tal.
Aber er kam nicht.
Rob blinzelte. Er kroch vorsichtig näher an den Ausgang.
Oben, an der Kante des Talkessels, herrschte das Chaos. Der Wind riss an der Vegetation, das Tosen war ohrenbetäubend.
Aber unten? Im Tal?
Die Blätter der Bäume am Seeufer raschelten nur leicht. Die Oberfläche des Sees kräuselte sich, aber es gab keine Wellenberge. Der Regen fiel, ja. Er prasselte dicht und schwer herab, aber er fiel fast senkrecht.
Rob starrte ungläubig nach oben.
Er sah die Wolken fetzen, die mit rasender Geschwindigkeit über die Öffnung des Tals hinwegjagten. Er sah den Regen, der vom Wind oben fast horizontal getrieben wurde.
Aber sobald die Regentropfen die imaginäre Grenze des Kessels überschritten, schienen sie ihre kinetische Energie zu verlieren. Der Wind brach nicht in das Tal ein. Es war, als würde er über den Kessel hinweggleiten, wie Wasser über eine Glasplatte.
„Das ist unmöglich“, flüsterte Rob.
Er kannte Strömungslehre. Er kannte den Bernoulli-Effekt. Natürlich konnte ein Kessel vor Wind schützen. Es gab Verwirbelungen, Totzonen.
Aber das hier? Das war zu sauber.
Der Wind hätte in das Tal hineinschlagen müssen. Er hätte Turbulenzen erzeugen müssen, die alles durcheinanderwirbeln. Stattdessen herrschte hier unten eine relative Ruhe, während nur hundert Meter über ihm die Hölle losbrach.
Es wirkte nicht wie ein natürlicher Windschatten. Es wirkte wie ein Deckel.
Rob streckte die Hand aus dem Höhleneingang, ließ den warmen Regen über seine Haut laufen. Er starrte auf die unsichtbare Linie oben am Klippenrand, wo das Chaos auf die Ruhe traf.
Wieder meldete sich sein Ingenieursverstand, diesmal lauter, alarmierter als bei den Linien an der Wand.
Aerodynamische Anomalie, blinkte es auf seinem inneren Monitor. Daten stimmen nicht mit natürlichen Modellen überein.
Er dachte an den glatten Höhlenboden. An die perfekte Verteilung der Ressourcen. Und jetzt an diesen Sturm, der das Tal verschonte, als stünde es unter Naturschutz.
Ein Schauer lief ihm über den Rücken, der nichts mit der kühlen Luft zu tun hatte.
Rob zog die Hand zurück. Er rutschte tiefer in die Höhle, weg vom Eingang.
Zum ersten Mal fragte er sich nicht mehr, ob er hier überleben konnte.
Er fragte sich, wo genau er hier eigentlich war. Und ob er wirklich nur ein glücklicher Schiffbrüchiger war – oder ein Gast in einem Terrarium.
Ort: Der Dschungel im Tal, nahe der „Linie“ | Zeit: Woche 2 (Der Tag nach dem Sturm)
Der Morgen nach dem Sturm war von einer beunruhigenden, fast künstlichen Klarheit.
Die Luft im Tal war wie reingewaschen, kühl und roch intensiv nach Ozon, zerriebenen Blättern und feuchter Erde. Rob stand vor seiner Höhle und streckte die Glieder. Er hatte gut geschlafen, tiefer und fester als er erwartet hatte, während draußen die Welt unterging.
Aber sein Verstand war sofort wach, alarmiert durch das, was fehlte. Der Ingenieur in ihm verlangte nach einer Schadensanalyse, doch seine Intuition schlug bereits Alarm.
Er blickte sich im Tal um. Ein paar abgeknickte Äste, einige verstreute Palmblätter, Pfützen im Gras, in denen sich der blaue Himmel spiegelte. Das war alles. Ein leichter Sommerregen hätte mehr Spuren hinterlassen als dieser angebliche Tropensturm.
Aber sein Gehör sagte ihm etwas anderes. Die übliche akustische Kulisse des Dschungels – das Zirpen, das Kreischen, das Rascheln – war ausgelöscht. Aus der Ferne, von jenseits der schützenden Felswände, drang kein Vogelgezwitscher, sondern Stille. Eine tote, schwere Stille, die in den Ohren dröhnte.
Rob aß hastig eine Banane, ohne den Geschmack wirklich wahrzunehmen, steckte seine Wasserflasche und die Machete ein und machte sich an den Aufstieg. Er musste es sehen. Er musste die Variable überprüfen, die seine Gleichung gestern Abend durcheinandergebracht hatte. Die Ungewissheit war schlimmer als jede bestätigte Katastrophe.
Der Weg zum südlichen Klippenrand, dort, wo der Sturm mit voller Wucht hergekommen war, war steil und durch den Regen extrem glitschig. Rob musste seine Hände benutzen, krallte sich in schlammiges Wurzelwerk und scharfkantige Felsvorsprünge. Schlamm verschmierte seine Kleidung, aber er ignorierte es. Je höher er kam, desto lauter pochte sein Herz – nicht nur vor Anstrengung, sondern vor einer dunklen Vorahnung, die er nicht benennen wollte.
Als er die Kante erreichte und den Kopf vorsichtig über den Felsrand schob, stockte ihm der Atem. Die Realität traf ihn härter als jeder Windstoß.
Vor ihm lag eine Landschaft, die aussah, als hätte ein zorniger Gott mit einer riesigen, unsichtbaren Sense gewütet.
Der Dschungel, der gestern noch eine undurchdringliche, lebendige grüne Wand gewesen war, war rasiert. Mächtige Urwaldriesen waren entwurzelt, ihr Wurzelwerk ragte wie flehende Hände in den Himmel, oder sie waren in der Mitte wie billige Streichhölzer geknickt. Das Unterholz war platt gewalzt, in den Schlamm gepresst. Ein Teppich aus zerrissenen Blättern, Ästen und toten Vögeln bedeckte den Boden. Es sah aus wie nach einer Explosion, einer Druckwelle von apokalyptischem Ausmaß.
Rob kletterte zitternd ganz auf den Rand und richtete sich auf. Der Wind hier oben war immer noch böig, zerrte an seinem Hemd, aber er war schwach im Vergleich zu der Gewalt, die hier gewütet haben musste.
Er blickte nach links, dann nach rechts. Und dann sah er es. Das Detail, das seinen Verstand fast sprengte.
Die Zerstörung hörte nicht allmählich auf. Sie fadete nicht aus, wie es bei einem natürlichen Windschatten der Fall wäre.
Sie endete an einer Linie.
Rob ging vorsichtig am Grat entlang, wie ein Seiltänzer über dem Abgrund. Er starrte auf die Baumwipfel direkt unterhalb der Klippe, dort wo das Tal begann.
Die Bäume, die halb im Tal und halb draußen standen, waren abgeschnitten.
Nicht gebrochen. Abgeschnitten. Als hätte eine gigantische Guillotine exakt an der vertikalen Grenze des Talkessels herabgesaust.
Es wirkte, als hätte jemand eine gigantische, unsichtbare Glasglocke über das Tal gestülpt. Alles, was außerhalb dieser Glocke war, war vernichtet worden, zermalmt von der Wucht des Sturms. Alles, was innerhalb war – selbst Zweige, die nur einen Meter von der Verwüstung entfernt hingen –, war unversehrt. Kein Blatt fehlte.
Rob blieb stehen. Er streckte die Hand aus, genau über die Kante, dorthin, wo die unsichtbare Grenze sein musste. Seine Finger zitterten leicht. Er erwartete fast, einen Widerstand zu spüren, ein elektrisches Summen, eine statische Entladung, oder dass seine Fingerspitzen einfach verschwinden würden.
Er spürte nichts als den Wind.
„Aerodynamik“, flüsterte er, aber das Wort schmeckte schal und falsch auf seiner Zunge. Er versuchte krampfhaft, eine rationale Erklärung zu konstruieren. „Eine laminare Strömungsablösung an der Kante, die eine stabile Rezirkulationszone bildet... ein perfektes Vakuum...“
Er brach ab. Er wusste, dass das Bullshit war. Keine Strömung der Welt war so präzise. Keine natürliche Turbulenz trennte Chaos und Ordnung mit der mikroskopischen Schärfe eines Skalpells. Das hier war binär. Null und Eins. Zerstörung und Frieden.
Er starrte auf die Linie. Sein Weltbild, das auf Newton, Thermodynamik und Kausalität basierte, bekam Risse, durch die das kalte Licht einer unmöglichen Realität schien.
„Was bist du?“, fragte er das Tal unter sich. „Ein Bunker? Ein Labor? Ein Terrarium?“
Er bekam keine Antwort. Nur das ferne, gleichgültige Rauschen des Wasserfalls.
Rob drehte sich um. Ihm wurde übel. Er wollte nicht mehr hier oben sein, an dieser Grenze, die nicht existieren durfte. Er wollte zurück in die Illusion der Sicherheit.
Er stieg ab, schneller als beim Aufstieg, stolperte, rutschte, fast fluchtartig.
Unten angekommen, zwang er sich zur Routine. Er musste die Panik in Arbeit ersticken.
