Tannbacher Totentanz - Andreas Wagner - E-Book

Tannbacher Totentanz E-Book

Andreas Wagner

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Beschreibung

Hauptkommissar Korbinian "Korbi" Gschwendtner (45) ist eine imposante Erscheinung: 1,95 Meter groß, attraktiv und fanatischer Hüter seines Dienstwagens – eines BMW X5 mit Sonderausstattung, den er mehr liebt als manche Menschen und penibel sauber hält. Er wurde von München in seine Heimat Tannbach-Öd strafversetzt. Das spart Miete, denn Korbi wohnt noch immer bequem im "Hotel Mama" auf dem prächtigen, bestens gepflegten Gschwendtner-Hof. Während seine Mutter Maria (75) ihn als beste Köchin des Landkreises verwöhnt, liegt ihm sein Vater Georg (77) ständig in den Ohren, wann er endlich sein "Polizei-Hobby" aufgibt und den Hof übernimmt. In diese familiäre Idylle platzt die Realität in Form von Polizeiobermeisterin Jette Hansen (29). Die kühle, strukturierte Ermittlerin wurde von Rügen nach Niederbayern versetzt und muss nun mit dem eigenwilligen Kommissar zusammenarbeiten – und darf nur in den heiligen Dienstwagen steigen, wenn ihre Schuhe sauber sind. Ihr erster Fall hat es in sich: Der verhasste Großbauer "Holz-Hias" liegt tot unter der Gamskogel-Wand. Was wie ein Alkoholunfall aussieht, entpuppt sich als Mord. Zwischen den Ermittlungen muss Korbi nicht nur einen Mörder finden, sondern auch Jette vor den Verkupplungsversuchen seiner Mutter und den bäuerlichen Bekehrungsversuchen seines Vaters retten.

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Seitenzahl: 345

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Epilog

Tannbacher Totentanz

Von

Andreas Wagner

Buchbeschreibung

Hauptkommissar Korbinian „Korbi“ Gschwendtner (45) ist eine imposante Erscheinung: 1,95 Meter groß, attraktiv und fanatischer Hüter seines Dienstwagens – eines BMW X5 mit Sonderausstattung, den er mehr liebt als manche Menschen und penibel sauber hält. Er wurde von München in seine Heimat Tannbach-Öd strafversetzt. Das spart Miete, denn Korbi wohnt noch immer bequem im "Hotel Mama" auf dem prächtigen, bestens gepflegten Gschwendtner-Hof. Während seine Mutter Maria (75) ihn als beste Köchin des Landkreises verwöhnt, liegt ihm sein Vater Georg (77) ständig in den Ohren, wann er endlich sein „Polizei-Hobby“ aufgibt und den Hof übernimmt.

In diese familiäre Idylle platzt die Realität in Form von Polizeiobermeisterin Jette Hansen (29). Die kühle, strukturierte Ermittlerin wurde von Rügen nach Niederbayern versetzt und muss nun mit dem eigenwilligen Kommissar zusammenarbeiten – und darf nur in den heiligen Dienstwagen steigen, wenn ihre Schuhe sauber sind.

Ihr erster Fall hat es in sich: Der verhasste Großbauer „Holz-Hias“ liegt tot unter der Gamskogel-Wand. Was wie ein Alkoholunfall aussieht, entpuppt sich als Mord. Zwischen den Ermittlungen muss Korbi nicht nur einen Mörder finden, sondern auch Jette vor den Verkupplungsversuchen seiner Mutter und den bäuerlichen Bekehrungsversuchen seines Vaters retten.

Über den Autor

Andreas Wagner ist ein Kind des Bayerischen Waldes. Er kennt die nebligen Täler Niederbayerns ebenso gut wie die sturen, aber herzlichen Charaktere, die dort leben. Seine Liebe zur Heimat und sein feines Gespür für die unfreiwillige Komik des Alltags fließen direkt in seine Kriminalromane ein.

Wenn er nicht gerade an neuen Fällen für seinen eigenwilligen Kommissar Korbinian Gschwendtner tüftelt, findet man Andreas Wagner meistens dort, wo es das beste Schmalzgebäck gibt, oder auf Wanderungen abseits der Touristenpfade – immer auf der Suche nach dem nächsten perfekten Tatort. Tannbacher Totentanz ist der Auftakt zu seiner neuen Niederbayern-Krimi-Reihe.

Tannbacher Totentanz

Von
Andreas Wagner

Selbstverlag, Zwiesel

1. Auflage, veröffentlicht 2025.

© 2025 Andreas Wagner – alle Rechte vorbehalten.

Selbstverlag, Zwiesel

Prolog

Ort: Gamskogel-Gipfelkreuz / Jägersteig

Zeit: Montag, 10. November, 23:45 Uhr

Der Mond hing wie eine Sichel aus gefrorenem Silber über dem Talkessel von Tannbach-Öd, kalt und unbarmherzig. Er beleuchtete die schroffen Felswände des Gamskogels, die wie die versteinerten Knochen eines Urzeitriesen in den Nachthimmel ragten. Hier oben, auf fast 1400 Metern, herrschte eine Stille, die so absolut war, dass sie in den Ohren dröhnte. Kein Vogel, kein Wind, nur das eigene, rasende Herzklopfen und der schwere, rasselnde Atem eines Mannes, der glaubte, er hätte den Gipfel der Welt erreicht.

Matthias „Hias“ Obermeier stand breitbeinig unter dem mächtigen Gipfelkreuz aus Eichenholz. Er breitete die Arme aus, als wolle er das ganze Tal unter sich umarmen – oder erwürgen. Der teure Lodenjanker spannte über seinen breiten Schultern, die Lederhose saß stramm. Er schwankte leicht, aber nicht nur wegen des unebenen Bodens. Der Williams-Christ, den er den ganzen Abend im „Huber-Wirt“ in sich hineingeschüttet hatte, forderte seinen Tribut. Aber Hias fühlte sich nicht betrunken. Er fühlte sich erhaben. Unbesiegbar.

„Schau dir des an!“, lallte er in die Leere der Nacht und spuckte verächtlich in Richtung der winzigen Lichter, die tief unten im Tal glimmerten. „Alles meins. Oder bald meins.“

Er griff in die Innentasche seines Jankers und zog den silbernen Flachmann hervor. Das Metall war eiskalt an seinen Fingern. Er schraubte den Verschluss auf – eine Bewegung, die er im Schlaf beherrschte – und setzte an.

„Auf dich, Hias“, prostete er sich selbst zu. „Auf das Gamskogel-Resort. Und darauf, dass die ganzen Neider und Habenichtse ersticken an ihrer Missgunst.“

Er nahm einen tiefen Zug. Der Schnaps brannte angenehm in der Kehle, wärmte den Magen. Aber da war noch etwas anderes. Ein seltsamer, bitterer Beigeschmack, den er so nicht kannte. Vielleicht war das Fass alt gewesen? Oder seine Geschmacksnerven waren vom vielen Bier betäubt.

Er wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab und lachte. Ein dreckiges, triumphierendes Lachen, das vom Felswandl zurückgeworfen wurde.

„Der Xaver... der Depp“, murmelte er. „Will mir drohen. Mit seiner Mistgabel. Als ob ich Angst hätt vor so einem Bauern. Ich hab Anwälte. Ich hab Geld. Ich kauf ihn einfach auf, wenn er pleite is.“

Er drehte sich um und begann den Abstieg. Nicht über den bequemen Wanderweg, sondern über den Jägersteig. Den steilen, gefährlichen Pfad, den nur die Einheimischen kannten. Er wollte niemandem begegnen. Er wollte allein sein mit seinem Triumph.

Der Weg war schmal, kaum mehr als ein Sims im Fels, überwuchert von nassen Wurzeln und moosigen Steinen. Nebel begann aufzusteigen, kroch aus den Schluchten wie weiße Geisterfinger und tastete nach seinen Knöcheln.

Hias setzte einen Fuß vor den anderen. Er kannte den Weg blind. Er war hier als Kind geklettert, hatte hier gewildert, hatte hier seine ersten Geschäfte gemacht. Der Berg gehörte ihm.

Plötzlich stolperte er.

Sein rechtes Bein gab einfach nach. Es knickte weg, als wäre der Knochen aus Gummi.

„Hoppla“, brummte er und griff nach einem Ast, um sich abzufangen.

Aber seine Hand gehorchte nicht. Seine Finger waren taub, kraftlos. Er griff ins Leere, schrammte mit der Schulter hart gegen den rauen Fels.

Schmerz durchzuckte ihn, aber er fühlte sich seltsam fern an. Gedämpft. Wie durch Watte.

„Was is’n los?“, fragte er laut. Seine Zunge fühlte sich schwer an, zu groß für seinen Mund. Die Worte kamen lallend heraus, unverständlich.

Er versuchte, sich aufzurichten, sich an der Felswand hochzuziehen. Aber seine Beine waren wie Blei. Zentnerschwer. Sie verweigerten den Dienst.

Panik stieg in ihm auf. Kalte, nüchterne Panik, die den Alkoholnebel durchschnitt.

War das ein Schlaganfall? Ein Herzinfarkt? Jetzt? Wo er doch gerade gewonnen hatte?

Er sackte auf die Knie, keuchend, sabbernd. Die Welt um ihn herum begann sich zu drehen, tanzte einen wilden Reigen. Der Mond vervielfachte sich, wurde zu einem stroboskopischen Licht.

Dann hörte er ein Geräusch.

Nicht den Wind. Nicht sein eigenes Keuchen.

Schritte.

Leise, rhythmische Schritte. Ein Klicken. Klack-Klack. Klack-Klack.

Jemand kam den Steig herauf.

„Hilfe!“, wollte Hias rufen. Aber es kam nur ein Gurgeln heraus. Sein Hals war wie zugeschnürt.

Eine Gestalt schälte sich aus dem Nebel. Dunkel gekleidet. Gesichtslos im Schatten der Kapuze.

In den Händen hielt sie Stöcke. Dünne, schwarze Stäbe.

Hias blinzelte. Versuchte, das Gesicht zu erkennen.

„Du?“, brachte er mühsam hervor. „Was machst... du da?“

Die Gestalt blieb stehen. Sie sah auf ihn herab. Nicht mit Mitleid. Nicht mit Angst. Sondern mit einer Kälte, die eisiger war als die Nacht.

Hias spürte, wie die Lähmung seine Brust erreichte. Er konnte kaum noch atmen. Er begriff.

„Der Schnaps...“, dachte er. „Vroni... Xaver... Hingerl... wer?“

Die Gestalt trat einen Schritt näher. Hias wollte zurückweichen, wegkriechen, aber er war ein Gefangener im eigenen Körper. Er lag da wie ein gestrandeter Wal, wehrlos, ausgeliefert.

„Es ist vorbei, Hias“, sagte eine Stimme. Er erkannte sie nicht. Sie klang verzerrt, fern. Oder bildete er sie sich nur ein?

„Du hast ausgespielt.“

Die Gestalt hob einen der Stöcke. Die Spitze aus Hartmetall blitzte im Mondlicht auf.

Dann stieß sie zu.

Nicht fest. Nur ein Stoß. Ein Impuls.

Gegen seine Brust.

Hias verlor das Gleichgewicht, das er ohnehin kaum noch hatte. Er kippte nach hinten.

Unter ihm war nichts mehr. Nur Luft. Nebel. Und der Abgrund.

In dem Moment, als er fiel, als die Schwerkraft ihn packte und in die Tiefe riss, hatte Matthias Obermeier einen letzten, klaren Gedanken.

Das Hotel wird eine verdammt schöne Aussicht haben.

Dann schlug er auf. Einmal. Zweimal.

Und dann war da nur noch Schwärze.

Und der Nebel deckte alles gnädig zu.

Kapitel 1

Ort: Gschwendtner-Hof, Tannbach-Öd Zeit: Dienstag, 11. November, 07:30 Uhr

Der Nebel hing wie nasse, graue Watte im Tal von Tannbach-Öd, schwer und unbeweglich, als hätte jemand die Zeit angehalten und vergessen, sie wieder zu starten. Er kroch die Hänge hinauf, umschlang die knorrigen, aber akkurat geschnittenen Apfelbäume auf den Streuobstwiesen wie kalte Finger und verschluckte die dunklen Wipfel der Tannen, die wie stumme Wächter den Talkessel säumten. Es herrschte eine Stille, die so tief und allumfassend war, dass man das eigene Blut in den Ohren rauschen hören konnte – oder das sanfte, rhythmische Swish-Swish eines sündhaft teuren Mikrofasertuches auf frisch poliertem Lack.

Hauptkommissar Korbinian „Korbi“ Gschwendtner stand unter dem ausladenden Vordach der Scheune, deren Gebälk so massiv und gut erhalten war, dass es vermutlich noch drei Generationen überdauern würde. Korbi war fünfundvierzig Jahre alt, ein Meter fünfundneunzig groß und eine Erscheinung, nach der sich in München auf der Leopoldstraße die Frauen umgedreht hatten – und es wohl immer noch tun würden, wenn er sich dort blicken ließe. Er trug keine Gummistiefel, wie es hier oben üblich war, sondern halbhohe, rahmengenähte Lederboots, die keinen Fleck aufwiesen. Dazu eine perfekt sitzende dunkle Jeans und einen grauen Wollpullover mit V-Ausschnitt, der den kräftigen Hals betonte. Sein dunkelblondes Haar war akkurat kurz geschnitten, die Schläfen frisch rasiert – Korbi legte Wert auf Äußerlichkeiten, vielleicht als unbewusster Protest gegen die ländliche Hemdsärmeligkeit, die ihn umgab.

Er trat zwei Schritte zurück, neigte den Kopf leicht zur Seite und betrachtete sein Werk mit der kritischen Miene eines Kunstexperten im Louvre: Ein BMW X5, schwarz wie die Nacht, sauberer als ein Operationssaal in einer Privatklinik. Es war nicht irgendein Auto. Es war sein Dienstwagen. Ein „Sonderleasing für den alpinen Bereich mit erhöhter Geländegängigkeit“, das Korbi mit einer bürokratischen Hartnäckigkeit, die ihresgleichen suchte, und seitenlangen Begründungen über „unzumutbare Zufahrtswege“ beim Innenministerium durchgeboxt hatte. Offiziell war der Wagen ein notwendiges Einsatzmittel, um im Notfall jede entlegene Almhütte im Landkreis erreichen zu können. Inoffiziell war er Korbis heiliger Gral, sein Baby, seine Festung gegen den Rest der Welt. Er hütete den Schlüssel, als wäre es der Zugang zu den Kronjuwelen, und führte das Fahrtenbuch mit einer Akkuratesse, die jeden Buchprüfer zu Tränen gerührt hätte.

Während links von ihm das Haupthaus des Gschwendtner-Hofes in der Morgensonne (sofern sie sich durch den Nebel kämpfen konnte) prachtvoll dastand – der Putz strahlend weiß und ohne Risse, die Holzbalkone dunkel eingelassen und im Sommer von einer Geranienpracht überquellend, für die Touristen anhalten würden –, hatte Korbi nur Augen für das bayerische Blech. Der Hof war das Lebenswerk seines Vaters Georg, perfekt in Schuss gehalten, modernisiert, effizient. Ein Vorzeigehof. Der BMW hingegen war Korbis kleine Rebellion.

„So g’hört sich des“, murmelte Korbi zufrieden und faltete das Tuch penibel auf Kante zusammen. Er hasste Schmutz auf Staatsbesitz. Zumindest auf diesem speziellen Teil des Staatsbesitzes. Ein toter Käfer auf der Windschutzscheibe konnte ihm den ganzen Tag ruinieren.

Ein schepperndes, ungesundes Husten, gefolgt von einem metallischen Rasseln, riss ihn aus der Idylle. Der gelbe Post-Caddy von Alois quälte sich den makellos gekiesten Feldweg herauf. Der Wagen klang, als würde er gleich seine Einzelteile in den Matsch spucken; der Auspuff hing schief, und der Kotflügel hatte eine Farbe, die man wohlwollend als Rostrot bezeichnen konnte, aber eigentlich nur Rost war. Korbi zuckte zusammen. Er stellte sich instinktiv und schützend vor den linken Kotflügel des BMWs, breitbeinig wie ein Türsteher, bereit, jeden hochspritzenden Kieselstein mit seinem eigenen Körper abzufangen.

Alois bremste scharf, die Reifen blockierten kurz auf dem Kies, und das Fenster kurbelte sich quietschend herunter. Dichte Rauchschwaden von billigem Tabak zogen nach draußen und vermischten sich mit der klaren Bergluft. „Morgen, Korbi! Mei, polierst scho wieder unsere Steuergelder?“ Alois grinste zahnlückig, die selbstgedrehte Zigarette wippte dabei im Mundwinkel auf und ab. Seine Postuniform spannte bedenklich über dem Bauch. „Wenn du so viel Eifer bei der Verbrecherjagd hättest wie bei dem Dienstwagen, gäb’s in ganz Bayern koane Kriminellen mehr. Da müssten wir die Gefängnisse wegen Überfüllung schließen.“

„Das ist ein Einsatzfahrzeug, Alois. Das muss repräsentieren. Das ist das Gesicht des Gesetzes in Tannbach. Außerdem ist das deutsche Ingenieurskunst, die braucht Respekt. Pass auf mit deiner Rostlaube, der Kies hier ist frisch gerecht. Wenn du mir da eine Scharte in den Lack machst, zieh ich dir das vom Porto ab.“

Alois lachte dreckig, ein Geräusch wie Schotter in einer Betonmischmaschine. „Jaja, Herr Hauptkommissar. Is ja gut. Da schau her.“ Er kramte im Beifahrersitz herum und reichte schließlich einen grauen Brief heraus, dessen Ecken leicht geknickt waren. „Dienstpost. Aus Landshut. Wahrscheinlich fragen sie nach, ob du den Lack abkratzt hast beim Polieren oder ob du wieder Sonderbudget für Felgenreiniger brauchst.“

Korbi nahm den Umschlag entgegen, wobei er peinlich genau darauf achtete, Alois’ Finger nicht zu berühren. Personalabteilung. Das Behördensiegel wirkte bedrohlich offiziell. Sein Magen zog sich leicht zusammen. Post aus Landshut hieß selten „Gehaltserhöhung“ und meistens „Ärger“.

„Und?“, fragte Alois, der den Motor laufen ließ – vermutlich aus Angst, er würde nicht mehr anspringen. „Hast es ghört vom Hias? Gestern Nacht beim Huber-Wirt. Voll wie eine Strandhaubitze war er, sag ich dir. Hat rumkrakeelt, dass er jetzt reich wird, dass er das ganze Tal aufkauft. Dann is er rausgetorkelt in die Nacht.“ Alois schüttelte den Kopf, Asche fiel auf seine Jacke. „Depp, elendiger. Na ja, Hochmut kommt vor dem Fall, gell? Pfiati, Korbi.“

Der Postbote legte den Rückwärtsgang ein, das Getriebe heulte protestierend auf, und er tuckerte davon, eine Wolke aus Dieselruß hinterlassend. Korbi wedelte den Gestank weg und blickte auf den Brief. Er riss ihn auf, überflog die Zeilen, und seine Miene verdüsterte sich mit jedem Wort. ...Aufgrund der personellen Engpässe... Zuweisung... Polizeiobermeisterin Hansen... zur operativen Unterstützung... sofortiger Dienstantritt...

„Des darf doch ned wahr sein“, grummelte er und zerknüllte das Papier beinahe. Unterstützung. Eine Frau. Aus dem Norden. In seinem Revier. Und schlimmer noch: Sie würde vermutlich in seinem Auto mitfahren wollen. In seinem X5. Auf dem Beifahrersitz. Mit Schuhen, die vorher wer weiß wo waren. Er steckte den Brief in die Gesäßtasche, warf einen letzten, besorgten Blick auf den makellosen Lack und ging zum Haupthaus. Er brauchte Kaffee. Dringend.

Beim Eintreten in die große Wohnküche schlug ihm eine Wand aus Wärme und penibler Sauberkeit entgegen. Hier blitzte alles. Der Boden war gewischt, die Kupferpfannen an der Wand poliert, bis man sich darin spiegeln konnte. Es roch intensiv nach gebratenem Speck, Zwiebeln und starkem Bohnenkaffee. Es war das Reich seiner Mutter, und hier galten ihre Gesetze.

Am massiven Eichenholztisch, der so solide war, dass man darauf einen Panzer hätte parken können, saß sein Vater Georg. 77 Jahre alt, Hände wie Schaufeln, das Gesicht gegerbt von Wind und Wetter, aber noch kerzengerade im Rücken. Er trug seine Arbeitsweste und las die Zeitung, als müsste er jeden Artikel auswendig lernen. Am riesigen, holzbefeuerten Herd stand Maria, seine Mutter. Mit 75 wirbelte sie noch immer durch die Küche wie ein junges Mädchen, jonglierte mit Pfannen und summte dabei.

„Da is er ja, der feine Herr“, brummte Georg hinter dem Lokalteil hervor, ohne aufzublicken. Seine Stimme klang wie ein Mühlstein. „Auto is sauber, ha? Spiegelt’s gnug? Aber dass am Stadl das Scharnier vom hinteren Tor a bisserl quietscht, des hörst ned, oder? Lieber wienerst das Polizeiauto, das dir ned mal ghört, als dass du dich um dein Erbe kümmerst.“

Korbi seufzte lautlos und ließ sich auf die Eckbank fallen, die unter seinem Gewicht ächzte. Das war das tägliche Ritual, so sicher wie das Amen in der Kirche. „Morgen, Papa. Das Tor öl ich am Wochenende. Versprochen. Und der Hof steht doch da wie eine Eins. Was willst denn? Der Putz ist neu, das Dach ist dicht, die Silos sind voll.“ „Dass du ihn übernimmst!“, blaffte Georg und knallte die Zeitung auf den Tisch, dass die Kaffeetassen klirrten. „Schau dir den Hof an, Korbinian! Das ist ein Juwel! Beste Böden, alles saniert, schuldenfrei. Andere würden morden für so an Erbhof. Und du? Spielst Dorfscheriff, jagst Radldiebe und wohnst hier wie im Hotel Mama. Wann wirst endlich vernünftig, Bua?“

Maria stellte einen Teller vor Korbi ab, auf dem sich ein Berg aus Rührei mit Schnittlauch, kross gebratenem Speck und zwei dicken Scheiben Bauernbrot türmte. „Lass ihn doch, Schorsch“, sagte sie sanft, aber mit jenem Unterton, der keinen Widerspruch duldete. „Der Korbi macht halt gern seine Arbeit. Iss was, Bub. Du brauchst Kraft. Du schaust ganz blass aus um die Nase.“

Er hatte gerade den ersten Bissen im Mund und wollte den Brief aus der Tasche ziehen, um die Hiobsbotschaft zu verkünden, als man draußen ein Motorengeräusch hörte. Es war kein Traktor. Es war nicht Alois’ röchelnder Caddy. Es war ein leises, fast arrogantes Summen. Modern, effizient. Georg senkte die Zeitung langsam. Seine buschigen Augenbrauen zogen sich zusammen. „Wer kommt denn jetzt? Besuch? Um die Zeit? Is der Bürgermeister krank?“ Korbi erstarrte. Er schluckte den Speck hastig hinunter. Ein böser Verdacht keimte in ihm auf. „Na. Oder? Die wird doch ned...“

Es klopfte. Zweimal. Energisch. Präzise. Die schwere Holztür schwang auf. Im Rahmen stand eine Frau. Sie passte in diese Bauernküche wie ein Hai in ein Goldfischglas. Blond, das Haar zu einem strengen Pferdeschwanz gebunden, der so straff saß, dass es beim Hinsehen wehtat. Die dunkelblaue Uniform war maßgeschneidert, keine Falte, kein Fussel, die Bügelfalte der Hose scharf genug, um Brot zu schneiden. Ihre eisblauen Augen scannten den Raum mit der Präzision eines Lasers: Den grünen Kachelofen, das ausladende Kruzifix im Herrgottswinkel und schließlich die drei Gschwendtners am Tisch.

„Guten Morgen“, sagte sie. Ihre Stimme war klar, akzentfreies Hochdeutsch, kühl wie eine Nordseebrise. „Ich suche Hauptkommissar Gschwendtner.“

Georg starrte sie mit offenem Mund an, ein Stück Brot fiel ihm aus der Hand. Maria wischte sich die Hände hektisch an der Schürze ab und strahlte, als hätte der Papst persönlich angeklopft. Korbi schloss kurz die Augen. Dann stand er langsam auf. Er musste sich ducken, um nicht mit dem Kopf an die gusseiserne Lampe über dem Tisch zu stoßen, was seine imposante Größe nur noch unterstrich. „Gfunden“, sagte er trocken und verschränkte die Arme. „Aber ich hab noch nicht aufgegessen. Und offizieller Dienstbeginn ist erst, wenn der Kaffee wirkt.“

Die Frau trat ein, ohne zu zögern. „Polizeiobermeisterin Jette Hansen. Ich bin Ihre neue Partnerin. Dienstantritt laut Anweisung der Polizeidirektion Landshut: Heute, 08:00 Uhr.“ Sie blickte auf ihre Armbanduhr. „Es ist 07:48 Uhr. Ich bin früh dran.“

„Partnerin?“, wiederholte Maria entzückt und klatschte in die Hände. „Mei, Korbi! Du hast gar nix gsagt! Du Schlawiner!“ Sie umrundete den Tisch schneller, als man es einer 75-Jährigen zutrauen würde, und packte Jettes Hand. „Grüß Gott, Madl! Herzlich willkommen! Ich bin die Maria, die Mama vom Korbi. Und des da hinten, der so brummig schaut, is der Schorsch, der Papa. Magst an Kaffee? Oder a Schmalznudel? Frisch ausm Fett! Du bist ja ganz dünn, Kind! Isst du denn nix?“

Jette, die auf Rügen vermutlich gelernt hatte, mit betrunkenen Seeleuten fertigzuwerden, wirkte für eine Sekunde vollkommen überfordert. Gegen Kriminelle hatte sie eine Ausbildung, aber die bayerische Mütterlichkeit war eine Naturgewalt. „Äh... nein danke, Frau Gschwendtner. Das ist sehr freundlich, aber ich bin im Dienst.“ Georg musterte sie kritisch von oben bis unten, als würde er ein Kalb auf dem Viehmarkt taxieren. „A Frau bei der Polizei. Und dann so a Zierliche. Kannst du überhaupt an Ochsen halten, wenn er durchgeht? Oder an Einbrecher niederringen?“ Jette straffte die Schultern. „Ich trage eine Dienstwaffe, Kaliber 9 Millimeter, und habe den schwarzen Gürtel im Ju-Jutsu“, antwortete sie trocken. „Damit halte ich auch Ochsen auf, Herr Gschwendtner. Zur Not auch zwei.“

Korbi musste sich ein Grinsen verkneifen. Punkt für den Preißn. Er wischte sich den Mund mit der Serviette ab. „Also gut, Frau Hansen. Willkommen im Wahnsinn. Aber wir besprechen das im Büro. Und mein Büro ist hier, weil...“ „...weil es hier besseren Kaffee gibt als auf der kalten Wache und der Herr Sohn zu faul ist, dort einzuheizen“, ergänzte Maria fröhlich und schob Jette einen Stuhl hin.

Das schrille, mechanische Klingeln des alten Wandtelefons im Flur zerschnitt die Luft wie eine Kreissäge. Alle vier zuckten zusammen. Korbi atmete aus, sichtlich genervt. Er stand auf und nahm den Hörer ab. „Gschwendtner?“

Am anderen Ende atmete jemand schwer, keuchend, panisch. Es war der Huber-Sepp. „Korbi... bist du’s?“ „Wer denn sonst, Sepp? Is das Bier schlecht geworden?“ „Mach koane Witze, Korbi! Du musst kommen. Sofort! Zum Gamskogel-Wandl.“ Korbis Haltung änderte sich schlagartig. Die Schultern strafften sich, der genervte Sohn verschwand, der Hauptkommissar übernahm. „Was is los, Sepp?“ „Der Hias. Der Holz-Hias. Er liegt unten am Felsen. Er rührt sich nimmer. Und sein Kopf... Herrgott, Korbi, da is alles voller Bluat! Der is hi!“

Es wurde totenstill in der Küche. Jette beobachtete Korbi mit scharfem, analytischem Blick. „Bist du sicher?“, fragte Korbi leise. „Sicherer geht’s ned. Er is kalt. Und steif.“ „Fass nix an, Sepp. I komm.“ Er knallte den Hörer auf die Gabel.

„Was is?“, fragte Georg. „Der Holz-Hias“, sagte Korbi. „Er ist tot. Abgestürzt am Gamskogel.“ Maria schlug die Hände vor den Mund. „Jesus Maria und Josef.“ Georg brummte nur: „Hab i’s ned gsagt? Der Suff.“

Korbi griff nach seiner Jacke und dem Autoschlüssel mit dem blau-weißen BMW-Logo, den er behandelte wie ein rohes Ei. Er sah Jette an. „Dienstbeginn, Frau Hansen. Ihr Kaffee muss warten. Wir haben eine Leiche.“ Jette sprang auf, froh, der häuslichen Umklammerung zu entkommen. Sie zog ihren eigenen Autoschlüssel. „Ich fahre. Mein Wagen steht draußen in Fluchtrichtung.“ „Sicher nicht“, sagte Korbi bestimmt und stellte sich ihr fast in den Weg. „Wir nehmen den Dienstwagen. Das ist ein X5 mit Sonderausstattung und erhöhtem Fahrwerk. Ihr Audi kommt da nicht rauf, der Weg zum Gamskogel ist ein einziger Acker.“ „Mein Audi hat Quattro-Antrieb...“ „Und meiner hat Blaulicht im Handschuhfach, Bodenfreiheit und Sitzheizung, die funktioniert. Und außerdem fahre ich in meinem Revier. Steigen Sie ein. Aber klopfen Sie die Schuhe ab, bevor Sie die Füße reinstellen. Die Fußmatten gehören dem Freistaat Bayern und sind frisch gesaugt.“

Kapitel 2

Ort: Forststraße zum Gamskogel / Tatort am Jägersteig Zeit: Dienstag, 11. November, 08:15 Uhr

Der schwarze BMW X5 – offizielles Einsatzfahrzeug der Polizeiinspektion Tannbach-Öd, auch wenn kein Außenstehender das auf den ersten Blick erkannt hätte, da Korbi mit einer Vehemenz, die an Obsession grenzte, auf der diskreten „Zivilstreifen“-Optik bestanden hatte – schob sich den aufgeweichten Waldweg hinauf wie ein Panzer auf Samtpfoten. Es war ein Kampf: Bayerische Ingenieurskunst gegen bayerischen Ur-Schlamm. Wo Alois’ klappriger Post-Caddy längst mit einem Achsbruch und rauchendem Kühler kapituliert hätte und Jettes Dienst-Audi, ein Symbol städtischen Optimismus, vermutlich bis zur Schneeschmelze im Frühling als trauriges Mahnmal im Morast stecken geblieben wäre, wühlte sich Korbis ganzer Stolz unaufhaltsam voran. Die breiten Allwetterreifen gruben sich tief in den lehmigen Boden, fanden Halt auf glitschigen Wurzeln und schoben die zwei Tonnen Stahl, Aluminium und Leder stetig bergan.

Im Inneren des Wagens herrschte eine Stille, die so dicht und undurchdringlich war wie der Nebel draußen vor den getönten Scheiben. Sie wurde nur vom leisen, fast meditativen Summen der Sitzheizung auf Stufe zwei und dem gedämpften, kraftvollen Rauschen des Sechszylinders unterbrochen, der zufrieden schnurrte wie eine gut gefütterte Raubkatze. Es roch intensiv nach neuem Leder, einem Hauch von Zedernholz-Duftbaum, der diskret am Lüftungsgitter klemmte, und einer unterschwelligen Spannung, die zwischen Fahrer und Beifahrerin knisterte wie statische Elektrizität kurz vor der Entladung.

Jette saß kerzengerade auf dem Beifahrersitz, die Haltung einer preußischen Soldatin auf Parade, die darauf wartet, dass der General vorbeireitet. Ihre Hände ruhten zwar scheinbar entspannt in ihrem Schoß, aber ihre Fingerknöchel waren weiß, so fest klammerte sie sich an ihre eigene Anspannung. Sie beobachtete Korbis Fahrstil aus den Augenwinkeln mit einer Mischung aus professioneller Skepsis, leichter Angst vor dem Abgrund rechts des Weges und – auch wenn sie es sich unter Folter nicht eingestehen würde – einer gewissen Bewunderung. Er lenkte den schweren Wagen mit nur einer Hand am lederbezogenen Volant, entspannt, fast lässig, als würde er zum Einkaufen fahren und nicht zu einem Leichenfundort. Er wich Schlaglöchern aus, die im Nebel kaum zu erahnen waren, als wären sie persönliche Beleidigungen, die es zu vermeiden galt, und umschiffte scharfkantige Felsbrocken mit einer Millimeterpräzision, die von jahrelanger Erfahrung auf diesen vergessenen Pfaden zeugte.

„Sie fahren... ein sehr repräsentatives und bemerkenswert sauberes Dienstfahrzeug für einen einfachen Dorfpolizisten“, bemerkte sie schließlich spitz, als der Wagen über eine besonders tiefe, knorrige Wurzel setzte und das adaptive Fahrwerk sanft, aber bestimmt nachfederte, ohne dass der Kaffee in ihrem Magen auch nur schwappte. „Auf Rügen fahren wir Passat. Oder Bus. Und die sehen nach einem Einsatz im Gelände meistens auch so aus.“

„Das hier ist kein Dorf, Frau Hansen, das ist alpines Vorland mit extremen Witterungsbedingungen“, korrigierte Korbi ruhig, ohne den Blick von der schmalen Schneise zu nehmen, die sich hier oben euphemistisch Straße nannte. „Sonderbedarf für unwegsames Gelände. Paragraph 14, Absatz 3 der Beschaffungsrichtlinie. Hab ich schriftlich vom Innenministerium, mit Stempel und Unterschrift. Ohne den X5 wären wir hier oben aufgeschmissen. Stellen Sie sich vor, wir müssten den Leichenwagen schieben oder im Winter den Doktor zur Alm raufbringen.“ Er tätschelte das Lenkrad liebevoll mit dem Daumen, als würde er einem treuen Pferd den Hals klopfen. „Außerdem, wenn der Freistaat Bayern schon Geld ausgibt, dann wenigstens für was Gscheits, das länger hält als ein Leasingvertrag. Ich pass auf den Wagen auf, als wär’s mein eigener. Besser sogar. Der Steuerzahler soll ja lange was davon haben. Kratzer im Lack sind Kratzer in der Seele des Staates.“

„Ich sehe schon“, sagte Jette trocken und blickte auf das staubfreie Armaturenbrett, auf dem kein einziges Krümelchen zu sehen war, nicht einmal Staub in den Lüftungsschlitzen. „Sie personifizieren das Inventar. Eine interessante Coping-Strategie für den einsamen Dienst.“ „Und Sie analysieren alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Lassen Sie das Psychologen-Zeug, Frau Hansen. Hier draußen zählt nur, wer ankommt und wer steckenbleibt. Und mit diesem Auto bleibe ich nicht stecken.“

Sie schwiegen wieder. Der Nebel wurde dichter, eine undurchdringliche, milchige Suppe, die die Welt auf die fünf Meter vor der Motorhaube reduzierte. Riesige Tannenbäume tauchten wie dunkle Geister aus dem Grau auf, streckten ihre Äste nach dem Wagen aus und verschwanden wieder im Nichts. „Erzählen Sie mir von dem Toten“, brach Jette das Schweigen erneut, diesmal rein dienstlich. Sie hatte ihren Notizblock gezückt, den Stift im Anschlag. „Obermeier, Matthias. Was muss ich wissen, außer dass er betrunken war?“

Korbi seufzte tief, ein Geräusch, das wie das Knarren alter Dielen klang. „Der Holz-Hias. Wo fang ich da an? Ein Großbauer vom alten Schlag, Hände wie Schraubstöcke, Leber wie ein Schwamm. Aber mit dem Größenwahn eines neureichen Immobilienhais. Ihm gehört der halbe Wald hier, inklusive dem Stück, auf dem wir gerade fahren. Aber das hat ihm nicht gereicht. Er hat vor drei Monaten Pläne beim Landratsamt eingereicht für ein Wellness-Hotel der Superlative. ‚Gamskogel-Resort‘. Glasfassaden, Infinity-Pool mit Talblick, Hubschrauberlandeplatz für die VIP-Gäste aus München. Und das alles mitten im Landschaftsschutzgebiet.“ „Das klingt nach massivem Konfliktpotenzial“, notierte Jette, während sie versuchte, ihre Schrift trotz des Rüttelns leserlich zu halten. „Das klingt nach Krieg, Frau Hansen. Einem richtigen Dorfkrieg. Die Naturschützer sind auf die Barrikaden gegangen, haben ihm tote Fische in den Briefkasten gelegt. Die anderen Bauern haben ihn geschnitten, weil er die Pachtpreise für Wiesen so hochgetrieben hat, dass sich keiner mehr das Heu leisten konnte. Er wollte sie alle rausdrängen.“ „Und das private Umfeld?“, hakte Jette nach. „Seine Familie... na ja, das ist ein Drama für sich.“ Korbi lachte humorlos. „Sein Sohn Maxi ist enterbt, weil er Künstler in München ist – Performance-Art mit Körperflüssigkeiten oder so an Schmarrn. Sein Bruder Xaver redet seit zwanzig Jahren nix mehr mit ihm wegen einem Grenzstein, den der Hias angeblich um zehn Zentimeter versetzt hat. Motive gibt’s genug für ein ganzes Telefonbuch.“

Der Weg endete abrupt auf einer kleinen, matschigen Lichtung am Fuße der steil aufragenden Felswand. Die „Gamskogel-Wand“. Sie verschwand nach oben hin im Nebel, düster, nass und bedrohlich, wie eine schwarze Mauer, die das Ende der Welt markierte. Zwei Fahrzeuge standen schon da, willkürlich im hohen, nassen Gras abgestellt: Ein alter, verrosteter Suzuki-Jeep ohne Verdeck, der dem Huber-Sepp gehörte und wohl nur noch durch Rost und Gebete zusammengehalten wurde, und ein kleiner, beiger Fiat Panda mit dem Kennzeichen der Diözese, der aussah wie ein verlorenes Spielzeugauto. „Der Pfarrer ist auch schon da“, stellte Korbi fest und zog die Handbremse an. Das Geräusch ratschte laut durch den Innenraum. „Der Hiebl. Der riecht den Tod schneller als die Schmeißfliegen. Manchmal glaub ich, der hat einen Polizeifunk unterm Talar oder einen direkten Draht nach oben.“

Er schaltete den Motor aus und zog den Schlüssel ab. Die Stille, die nun folgte, war schwerer und drückender als die im Tal. Es war keine friedliche Stille; es war die endgültige Stille des Todes, nur unterbrochen vom gelegentlichen Tropfen von Wasser auf Laub. „Bereit?“, fragte er und sah sie an. Jette nickte. Ihr Gesichtsausdruck hatte sich augenblicklich verändert. Die Unsicherheit des „neuen Mädchens“ war wie weggewischt, an ihre Stelle trat eine kühle, fast chirurgische Konzentration. Sie griff nach ihrem schweren Koffer mit der Spurensicherungsausrüstung. „Bereit.“

Sie stiegen aus. Die Luft war hier oben eisig, sie biss in den Wangen und kroch sofort unter die Kleidung. Es roch nach modrigem Laub, nasser Erde und Kälte. Der Huber-Sepp, ein Mann, der normalerweise aussah wie das blühende Leben in Tracht, stand bleich und zitternd neben einem Felsbrocken. Er rauchte eine Zigarette so hastig, als wäre es seine letzte Sauerstoffzufuhr, die Glut glomm hell im Dämmerlicht. Neben ihm stand Pfarrer Hiebl, in schwarzer Soutane und mit einer groben Lodenjacke darüber, die Hände gefaltet, und murmelte leise, rhythmische Gebete in den Nebel hinein.

„Korbi! Gott sei Dank!“ Sepp warf die Zigarette weg und kam auf sie zu. Seine Hände zitterten so stark, dass er sie in die Hosentaschen stecken musste. „Da hinten. Beim großen Ahorn. I hab nix angfasst, Korbi, i schwör’s. I hab nur gschaut, ob er noch schnauft.“ „Is gut, Sepp. Ganz ruhig.“ Korbi legte dem Wirt kurz die große, schwere Hand auf die Schulter – eine Geste, die mehr beruhigte als tausend Worte. Dann wandte er sich an den Geistlichen. „Hochwürden. Schon die letzte Ölung gegeben oder warten wir auf den Amtsarzt?“ „Er ist schon vor seinen Schöpfer getreten, Korbinian“, sagte der Pfarrer mit salbungsvoller, aber ernster Stimme, während er das Kreuzzeichen schlug. „Ich habe nur für seine arme Seele gebetet. Ein schrecklicher Unfall. So ein Jammer, mitten im Leben aus dem Dasein gerissen zu werden.“

„Schau ma mal, ob’s ein Unfall war“, sagte Korbi trocken und ging auf die Stelle zu, die Sepp gewiesen hatte. Matthias Obermeier, der mächtige Holz-Hias, der Patron des Tales, lag verdreht wie eine weggeworfene Marionette, der man die Fäden durchschnitten hatte, im feuchten, braunen Laub. Er trug seine Sonntags-Lederhose mit den aufwendigen Stickereien, dazu einen teuren Janker aus grauer Wolle, der jetzt an der Schulter hässlich aufgerissen war. Ein einzelner, zwiegenähter Haferlschuh lag drei Meter weiter weg, einsam im Moos. Sein Kopf lag in einem unnatürlichen, fast grotesken Winkel auf einem hervorstehenden Wurzelstock. Das Gesicht war blutüberströmt, eine Maske aus Rot und Grau, aber man erkannte ihn noch. Die Augen waren weit aufgerissen, starrten glasig in den Nebel, als suchten sie dort oben nach dem Grund für ihren jähen Sturz.

Jette kniete sich neben den Toten, ohne Scheu vor dem Matsch. Sie zog blaue Latexhandschuhe an. Das künstliche Schnalzen des Gummis klang fremd und laut in der organischen Stille des Waldes. „Todeszeitpunkt...“, murmelte sie, mehr zu sich selbst als zu Korbi. Sie berührte vorsichtig den Kiefer des Toten, prüfte die Beweglichkeit der Gelenke, drückte auf die Haut, um die Totenflecken zu prüfen. „Die Totenstarre ist voll ausgeprägt, löst sich aber im Kieferbereich noch nicht. In Kombination mit der Außentemperatur von drei Grad Celsius würde ich sagen: Todeseintritt gestern Abend zwischen 22:00 und 01:00 Uhr. Eher früher als später, da der Körper schnell ausgekühlt ist.“ Sie beugte sich tiefer über den Kopf, leuchtete mit einer kleinen Taschenlampe in die Augen und auf die Wunden. „Massives Schädel-Hirn-Trauma. Die Verletzung hier an der Schläfe...“, sie deutete auf eine tief klaffende, ausgefranste Wunde, „...passt zu dem scharfen Felsvorsprung da oben in etwa vier Metern Höhe. Genickbruch ist wahrscheinlich die primäre Todesursache. Er war wohl sofort tot, das Rückenmark ist durchtrennt.“ Sie schnupperte kurz an der Kleidung des Toten. „Er riecht stark nach Alkohol. Eine Fahne, die man drei Meter gegen den Wind riecht. Und da ist Erbrochenes an der Jacke. Die klassische Unfall-Trias: Dunkelheit, Alkohol, unwegsames Gelände.“ Sie sah zu Korbi auf, der Blick fragend. „Sieht nach einem tragischen Sturz aus. Besoffen gestolpert, gefallen, Genick gebrochen. Fall geschlossen?“

Korbi stand zwei Meter entfernt, die Hände tief in den Jackentaschen vergraben. Er schaute nicht mehr auf die Leiche. Er schaute auf den Boden um die Leiche herum. Er schaute in den Wald, scannte die Bäume, das Unterholz. „Der Hias hat gesoffen wie ein Loch, das stimmt“, sagte er langsam, während er seine Gedanken ordnete. „Aber der Hias war auch trittsicher wie eine Gams. Der is in diesem Wald aufgewachsen. Der is diesen Steig blind gegangen, auch bei Neumond und mit drei Promille im Blut. Und er war geizig. Krankhaft geizig.“ „Geizig? Was hat das mit seinem Tod zu tun? Wollte er die Taschenlampe sparen?“ „Schau dir die Hose an.“ Korbi deutete mit dem Kinn auf die Gesäßtasche der Lederhose. Sie war zugeknöpft, das Leder spannte sich aber nicht. Sie wirkte flach, leer. „Der Hias hatte immer seinen Geldbeutel dabei. So einen dicken, fetten Kellner-Geldbeutel, der fast aus der Naht platzte, weil er jedem zeigen wollte, was er hat. Und sein Handy. Das neueste iPhone, immer das teuerste Modell, um die anderen Bauern zu ärgern.“

Jette tastete die Taschen systematisch ab. „Leer. Keine Brieftasche. Kein Telefon. Nur ein Taschentuch und ein paar Münzen.“ Sie runzelte die Stirn. „Raubmord? Jemand wartet, stößt ihn runter und nimmt die Wertsachen?“

„Hier kommt keiner zufällig vorbei“, sagte Korbi düster. „Das ist eine Sackgasse. Wer hierher kommt, hat ein Ziel.“ Er ging ein paar Schritte weg vom Weg, hinein in das weiche, tiefe Moos unter den Fichten, dort wo der Nebel besonders dicht hing. Er ging in die Hocke, bewegte sich trotz seiner Größe geschmeidig. „Frau Hansen. Kommen Sie mal her. Aber vorsichtig, treten Sie in meine Fußstapfen.“

Jette erhob sich, klopfte sich den Dreck von den Knien und trat zu ihm. „Was haben Sie?“ „Sehen Sie das da?“ Er deutete auf eine vertiefte Rille im Moos, etwa zwei Meter lang, dann unterbrochen durch eine Wurzel, dann wieder sichtbar. Ein Muster aus kleinen Stollen. „Eine Spur“, sagte Jette und kniff die Augen zusammen. „Ein Tier? Ein Wildschwein?“ „Ein Gummi-Tier“, sagte Korbi trocken. „Das ist ein Reifenabdruck. Mountainbike. Aber schauen Sie genau hin. Das Profil ist tief, die Stollen sind breit und aggressiv. Und der Abdruck ist tief eingegraben, das Moos ist richtig verdichtet. Das Rad war schwer, verdammt schwer.“ „Ein E-Bike“, kombinierte Jette schnell. „Der Akku und der Motor machen es deutlich schwerer als ein normales Rad.“ „Bingo. Ein schweres E-Mountainbike. Und jetzt kommt’s: Der Hias hat Fahrräder gehasst. Er hat immer gesagt: ‚Warum soll ich selber strampeln, wenn ich an Diesel hab?‘. Er ist zu Fuß gegangen oder mit dem Traktor gefahren. Er besaß kein Fahrrad, und schon gar keins mit Elektromotor. Hier war gestern Nacht jemand mit einem E-Bike und hat im Dunkeln gewartet, bis der Hias kam.“

Jette sah ihn an, dann den Abdruck, dann die Leiche. In ihren kühlen, blauen Augen blitzte Anerkennung auf. Sie hatte die Fakten der Leiche gesehen, die medizinischen Details. Er hatte die Geschichte des Ortes gelesen, den Kontext. Zusammen ergab es ein Bild. „Also doch kein Unfall“, sagte sie fest. Ihre Stimme war jetzt die einer Jägerin. „Wir müssen den Bereich weiträumig absperren. Ich brauche die Spurensicherung aus Landshut für Gipsabdrücke, bevor es anfängt zu regnen. Wenn das Täterwissen ist – das fehlende Handy, das E-Bike...“ „Dann haben wir einen Mörder im Tal“, beendete Korbi den Satz düster. Er blickte hinauf zur Felswand, wo der Nebel langsam aufriss und den Blick auf den grauen Himmel freigab. „Und ich habe das dumme Gefühl, dass es keiner von den Fremden war. In diesem Tal wäscht eine Hand die andere – oder sie hackt sie ab.“ Er griff nach seinem Handy, das in seiner großen Hand fast winzig wirkte. „Ich ruf in Landshut an. Die sollen ihre Kaffeetassen wegstellen und herkommen.“

Jette nickte. Zum ersten Mal an diesem Morgen wirkte sie nicht wie ein Fremdkörper in dieser archaischen Welt, sondern wie ein Teil des Getriebes, das nun anlief. Sie wollte zum Wagen zurückgehen, um das Absperrband zu holen. „Halt, Frau Hansen“, rief Korbi plötzlich mit scharfer Stimme. Sie drehte sich ruckartig um, die Hand schon fast an der Waffe. „Ja? Was ist?“ Er deutete mit ernster, fast tragischer Miene auf ihre schwarzen Dienststiefel, die bereits eine deutliche, dicke Schicht aus braunem Lehm, Tannennadeln und modrigem Laub aufwiesen. „Bevor Sie nachher wieder in den Dienstwagen steigen... da drüben ist ein kleiner Bach mit sauberem Wasser. Sie wissen schon. Wegen der Fußmatten. Die gehören dem Freistaat Bayern. Und ich bin verantwortlich. Ich hab keine Lust, den Teppich mit der Zahnbürste zu schrubben, nur weil wir einen Mord aufklären.“

Jette starrte ihn einen Moment lang fassungslos an. Sie suchte nach Spott in seinem Gesicht, fand aber nur die ernste, unerschütterliche Sorge eines Mannes um sein geliebtes Automobil. Dann, ganz langsam, stahl sich ein winziges, fast unmerkliches Lächeln auf ihre Lippen, das ihre eisblauen Augen für einen Moment weicher machte. „Verstanden, Hauptkommissar. Ich werde das Staatseigentum respektieren und eine gründliche Dekontamination durchführen.“

Korbi grinste zurück, breiter diesmal. Vielleicht würde das mit der Norddeutschen doch nicht so katastrophal werden, wie er dachte. Zumindest hatte sie Humor. Wenn auch einen sehr gut versteckten, preußischen Humor.

Kapitel 3

Ort: Obermeier-Hof, Tannbach-Öd Zeit: Dienstag, 11. November, 10:15 Uhr

Die Fahrt vom nebligen Gamskogel hinunter ins Tal verlief weitgehend schweigsam. Korbi konzentrierte sich mit der Hingabe eines Chirurgen darauf, den schweren BMW X5 so sanft über die Schlaglöcher der Forststraße zu manövrieren, als würde er eine Ladung rohe Eier oder Nitroglyzerin transportieren. Jedes Knacken im Unterholz, jedes Aufspritzen von Schlamm wurde von ihm registriert und bewertet. Jette Hansen hingegen war damit beschäftigt, ihre ersten Eindrücke in einem kleinen, schwarzen Notizbuch zu ordnen, das sie wie einen Schild vor sich hielt. Sie hatte ihre Stiefel tatsächlich im eiskalten Bach gereinigt – sehr zu Korbis sichtlicher und hörbarer Erleichterung –, aber der schwache, süßliche Geruch von feuchtem Wald, modrigem Laub und dem Tod hing noch immer leicht in ihren Kleidern, ein olfaktorischer Kontrast zum Lederduft des Innenraums.

Der Obermeier-Hof lag nicht weit vom Dorfplatz entfernt, aber er thronte auf einer kleinen, künstlich aufgeschütteten Anhöhe, als wollte er auf den Rest von Tannbach herabspucken. Es war kein Bauernhof im klassischen Sinne, wie ihn Korbis Vater Georg führte, mit Geranienkästen, einem dampfenden Misthaufen und Katzen, die durch die Scheune streiften. Es war ein Agrar-Industrie-Komplex mit Wohnhaus-Attitüde, ein Denkmal aus Beton und Geltungsdrang. Die Zufahrt war nicht gekiest, sondern mit teurem, grauem Granit gepflastert, der so fugenlos verlegt war wie ein Tanzsaalparkett. Das Haupthaus war ein riesiger, quadratischer Kasten, frisch verputzt in einem aggressiven Gelb, das selbst im Nebel in den Augen schmerzte, flankiert von Balkongeländern aus gebürstetem Edelstahl, die in der Sonne geblitzt hätten, wenn sie denn geschienen hätte. Auf dem Dach der riesigen Maschinenhalle glitzerte eine Photovoltaikanlage, deren Fläche groß genug war, um eine Kleinstadt zu versorgen – oder zumindest das Ego des Besitzers zu befriedigen.

„Nett“, kommentierte Jette trocken, als Korbi den Wagen vor dem hohen, schmiedeeisernen Gartentor parkte, das mit goldenen Spitzen verziert war. „Bescheidenheit und ländliche Zurückhaltung waren keine seiner primären Tugenden, oder?“ „Der Hias hat immer gsagt: Wer ko, der ko“, brummte Korbi und schaltete den Motor aus. „Er hat jeden Cent, den er aus dem Wald und den Fördergeldern gepresst hat, in Beton und Stahl gesteckt. Er wollte zeigen, dass er der König vom Tal ist. Aber frag nicht, wie’s drinnen aussieht. Wahrscheinlich wie in einem Möbelhaus-Katalog, Seite fünf, Abteilung ‚Schöner Wohnen für Neureiche‘.“

Korbi stieg aus und richtete seinen Pullover, zupfte imaginäre Fussel weg. Er hasste diesen Teil der Arbeit mehr als den Leichenfund selbst. Die Todesnachricht überbringen. Den Boten spielen, der eine Welt zum Einsturz bringt. Auch wenn der Hias ein Arschloch gewesen war, das seinesgleichen suchte – seine Frau, die Vroni, hatte das nicht verdient. Oder vielleicht doch? Sie hatte es immerhin dreißig Jahre an seiner Seite ausgehalten, war mit ihm verblasst, während er immer lauter wurde. „Lassen Sie mich reden“, sagte er leise und eindringlich zu Jette, als sie zum Eingang gingen, der von zwei steinernen Löwen flankiert wurde. „Ich kenn die Vroni seit der Schulzeit. Wir haben zusammen im Sandkasten gespielt, bevor das Leben kompliziert wurde. Wenn Sie jetzt mit ‚Polizei, Hände hoch, Dienstmarke‘ kommen, macht die dicht wie eine Auster.“ „Ich hatte nicht vor, sie zu verhaften, Hauptkommissar. Nur zu informieren“, entgegnete Jette kühl, aber sie verstand den Wink, trat einen halben Schritt zurück und überließ ihm die Führung.

Korbi drückte auf die Klingel. Es war keine normale Klingel, es war eine High-Tech-Video-Gegensprechanlage mit Fingerabdruckscanner. Nichts passierte. Kein Summen, keine Stimme. Er drückte noch einmal. Länger. Dann hörte er Schritte. Schwere, schleifende Schritte. Nicht im Haus, sondern hinter dem Haus, auf dem Kiesweg. Eine Frau kam um die Ecke der Doppelgarage. Sie trug grüne Gummistiefel, eine ausgebeulte graue Arbeitshose und eine dicke, fleckige Fleecejacke. In der Hand hielt sie eine Harke, an der noch feuchte Erde klebte. Es war Veronika „Vroni“ Obermeier. Fünfzig Jahre alt, aber in diesem Moment sah sie aus wie sechzig oder siebzig. Das Gesicht war fahl, fast durchscheinend, die Haare grau meliert und streng, lieblos zurückgebunden. Sie wirkte wie ein Schatten, der durch sein eigenes Reich geisterte, eine Dienerin im Palast ihres Mannes.