Die Invasion - Robert A. Heinlein - E-Book

Die Invasion E-Book

Robert A. Heinlein

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Sie kommen!

Über Iowa wird ein unbekanntes Flugobjekt gesichtet. In der Bevölkerung bricht Panik aus. Kurz darauf die Entwarnung: Das Ganze war nur eine Zeitungsente. Doch dann verschwinden zwei Agenten des Secret Service, die mit der Angelegenheit befasst waren, bevor sie die schreckliche Wahrheit ans Licht bringen können: Es gibt tatsächlich eine Alien-Invasion, und die Besucher aus dem Weltall können die Gefühle und Gedanken der Menschen manipulieren. Schon bald haben die Aliens alles und jeden unter Kontrolle …

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 442

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



DAS BUCH

Als in Iowa ein unbekanntes Flugobjekt landet, bricht im Land Panik vor einer Alien-Invasion aus. Kurz darauf folgt die Entwarnung: Das Ganze war nur eine Zeitungsente, und die Menschen kehren beruhigt zu ihrem Alltagsgeschäft zurück. Was allerdings niemand weiß, ist, dass tatsächlich Grund zur Sorge besteht, denn es gab sehr wohl einen Angriff einer außerirdischen Macht – und jetzt kontrollieren die Aliens alles: Regierung, Wirtschaft, Kommunikationswege und jede einzelne Person, der sie begegnen. Die Bevölkerung ist ahnungslos, der Secret Service machtlos. Einzig Sam Cavanaugh, Gentleman und Topspion, beschließt, sich den außerirdischen Eindringlingen entgegenzustellen. Doch dazu muss er den Aliens näher kommen, als ihm lieb ist …

DER AUTOR

Robert A. Heinlein wurde 1907 in Missouri geboren. Er studierte Mathematik und Physik und verlegte sich schon bald auf das Schreiben von Science-Fiction-Romanen. Neben Isaac Asimov und Arthur C. Clarke gilt Heinlein als einer der drei Gründerväter des Genres im 20. Jahrhundert. Sein umfangreiches Werk hat sich millionenfach verkauft, und seine Ideen und Figuren haben Eingang in die Weltliteratur gefunden. Die Romane Fremder in einer fremden Welt und Mondspuren gelten als seine absoluten Meisterwerke. Heinlein starb 1988.

Mehr über Robert A. Heinlein und seine Romane auf:

diezukunft.de

ROBERT A. HEINLEIN

ROMAN

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Titel der amerikanischen OriginalausgabeTHE PUPPET MASTERSDeutsche Übersetzung von Margaret Auer
Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.
Überarbeitete Neuausgabe: 04/2017Überarbeitet und ergänzt von Elisabeth BöslCopyright © 1951 by Robert A. HeinleinCopyright © 1951 by World Editions, Inc.Copyright © 2017 dieser Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München,in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 MünchenUmschlaggestaltung: DAS ILLUSTRAT, München,unter Verwendung eines Motivs von Panos Karas / shutterstockSatz: Schaber Datentechnik, Austria
ISBN: 978-3-641-18041-6V002
www.diezukunft.dewww.penguinrandomhouse.de

1

Besaßen sie wirklich Verstand? Einen eigenen – meine ich.

Ich weiß es nicht, und ich habe keine Ahnung, wie wir das je ergründen könnten. Schließlich bin ich kein Wissenschaftler, nur ein Handlanger.

Zumindest bei den Sowjets mussten sie sich nicht viel einfallen lassen. Sie übernahmen einfach das kommunistische System des Drucks von oben nach unten, aber ohne die »sentimentale, bourgeoise Liberalität«, wie die Polit-Kommissare es nennen. Andererseits agierten sie bei Tieren alles andere als tierisch.

(Es ist sonderbar, draußen keine Hunde mehr zu sehen. Wenn wir die Dinger schließlich in die Finger kriegen, werden wir auch ein paar Millionen Hunde rächen. Und Katzen. Soweit es mich betrifft, eine ganz besondere Katze.)

Wenn sie keinen eigenen Verstand hatten, dann hoffe ich nur, dass wir es nie mit solchen ihrer Art zu tun bekommen, die einen haben. Wer dann verliert, ist mir klar: Ich – du – die ganze sogenannte Menschheit.

Für mich begann die Geschichte am 12. Juli, als mein Telefon mitten in der Nacht so schrill und pausenlos klingelte, dass ich wahrhaftig meinte, mir werde die Haut vom Schädel gezogen. Ich tastete herum, um das Gerät zu finden und abzuschalten, dann fiel mir ein, dass ich es in meiner Jacke am anderen Ende des Zimmers gelassen hatte. »Schon gut«, brummte ich, »schalte nur den verdammten Lärm ab. Ich höre dich ja.«

»Notfall«, sagte eine Stimme in meinem Ohr. »Melden Sie sich persönlich zum Rapport.«

Ich sagte ihm, wo er sich seinen Notfall hinstecken konnte. »Ich habe für zweiundsiebzig Stunden frei.«

»Rapport beim Alten«, beharrte die Stimme. »Sofort.«

Das war etwas anderes. »Schon unterwegs«, meldete ich und richtete mich so ruckartig auf, dass es mir vor den Augen flimmerte – und blickte in das Gesicht einer Blondine. Sie hatte sich ebenfalls aufgesetzt und schaute mich mit großen Augen an.

»Mit wem redest du da?«, fragte sie.

Ich glotzte zurück und erinnerte mich mühsam, dass ich sie schon einmal gesehen hatte. »Ich? Reden?«, stammelte ich, während ich mich bemühte, mir eine gute Lüge auszudenken. Dann, als ich langsam wacher wurde, fiel mir ein, dass es keine besonders gute Lüge sein müsste, denn sie konnte nur meine Hälfte des Gesprächs gehört haben. Die Sorte von Telefon, die in meiner Abteilung verwendet wird, weicht nämlich vom üblichen Standard ab. Der Hörer war chirurgisch hinter meinem linken Ohr eingepflanzt worden, der Ton wurde über den Knochen weitergeleitet. »Tut mir leid, Schatz«, fuhr ich fort. »Ich hatte einen Albtraum. Es kommt oft vor, dass ich im Schlaf rede.«

»Geht’s dir gut?«

»Jetzt, wo ich wach bin, schon«, versicherte ich ihr und plagte mich auf die Füße. »Schlaf ruhig weiter.«

»Na gut …« Sie schlief fast im gleichen Moment wieder ein. Ich eilte ins Bad, jagte mir sechzehn Millogramm »Gyro« in den Arm und ließ mich vom Vibro durchschütteln, während die Spritze dafür sorgte, dass alles wieder richtig zusammenkam. Als neuer Mensch oder zumindest als eine täuschend gute Nachahmung kam ich wieder heraus und griff nach meiner Jacke. Die Blondine schnarchte leise.

Ich spulte meine Erinnerungen zurück und stellte dankbar fest, dass ich ihr nicht das Geringste schuldete, also ging ich. Es gab nichts in dem Appartement, das mich – oder auch nur meinen Namen – hätte verraten können.

Ich betrat das Büro unserer Abteilung durch die Kabine eines Waschraums der McArthur Station. Unsere Büros findet man nicht im Telefonbuch. Sie existieren offiziell nicht. Wahrscheinlich gibt es sogar mich nicht. Alles ist getarnt. Auch der zweite Zugang, der durch einen kleinen, versteckten Laden führt, dessen Firmenschild anzeigt, dass man dort seltene Briefmarken und Münzen kaufen kann. Auch auf diesem Wege braucht man es gar nicht erst versuchen, denn man würde den Laden höchstens mit einer Zwei-Penny-Marke verlassen.

Also lasst die Finger davon! Schließlich habe ich doch wohl erklärt, dass es unsere Abteilung nicht gibt, oder war ich noch nicht deutlich genug?

Wie gut die Spionageabwehr arbeitet, kann kein Regierungschef eines Landes genau wissen. Er merkt es erst, wenn die Organisation versagt hat. Daher unsere Abteilung, denn doppelt hält besser. Weder die Vereinten Nationen wussten von uns, noch der Staatliche Geheimdienst; nehme ich wenigstens an. Ich habe mal gehört, wir würden aus Tarnungsgründen unsere Gelder vom Ministerium für Landwirtschaft bekommen, aber ich weiß nicht, ob das stimmt – ich werde bar bezahlt. Im Übrigen beschränkten sich auch meine Kenntnisse ausschließlich auf das, was ich während der Ausbildung gelernt hatte, und auf die Aufträge, für die mich der Alte einsetzte. Aufträge, die so lange interessant waren, als man sich nicht darum scherte, wo man schlief, was man aß oder wie lange man lebte. Insgesamt habe ich drei Jahre hinter dem Eisernen Vorhang verbracht. Ich kann Wodka trinken, ohne dass mir die Tränen kommen, und Russisch genauso gut hinrotzen wie Kantonesisch, Kurdisch und ein paar andere, ähnlich zungenverdrehende Sprachen. Von daher kann ich durchaus beurteilen, dass es hinter dem Eisernen Vorhang nichts gibt, was man in Paducah, Kentucky, nicht größer und schöner fände. Aber immerhin, man kann auch so leben. Sofern man allerdings einen Funken Vernunft besaß, war es besser, auszuscheiden und sich eine andere Arbeit zu suchen.

Für mich indessen wäre der Haken dabei der gewesen, dass ich dann nicht mehr für den Alten arbeiten würde. Und das gab den Ausschlag.

Nicht, dass er etwa ein entgegenkommender Vorgesetzter gewesen wäre! Im Gegenteil. Er war durchaus imstande zu sagen: »Kinder, wir müssen diese Eiche düngen. Springt in die Grube, ich buddle euch ein!«

Und wir hätten gehorcht. Jeder von uns.

Das Schlimmste aber war, dass der Alte uns alle tatsächlich begraben hätte, wenn seiner Ansicht nach auch nur dreiundfünfzig Prozent Wahrscheinlichkeit dafür bestanden hätte, dass es der Baum der Freiheit wäre, den er auf diese Weise wieder in Schwung brachte.

Als ich eintrat, hinkte er auf mich zu und verzog das Gesicht zu einem boshaften Lächeln. Wieder einmal fragte ich mich, weshalb er den Schaden an seinem Bein nicht beheben ließ. Vermutlich war er einfach stolz darauf, wie er dieses Hinkebein bekommen hatte. Jemand in der Position des Alten muss seinen Stolz im Geheimen pflegen, sein Beruf eignet sich nicht gerade für öffentliche Belobigungen. Mit seinem kahlen Schädel und der kräftigen Römernase sah er aus wie eine Kreuzung zwischen Satan und Kasperle.

»Willkommen, Sam«, sagte er. »Tut mir leid, dass ich dich aus dem Bett geholt habe.«

Der Teufel hol mich, wenn’s dem leidtut, dachte ich. So entgegnete ich nur kurz: »Ich hatte Urlaub.« Er war zwar der Chef, aber Urlaub ist Urlaub – und verdammt selten!

»Ach! Aber den hast du immer noch. Wir fahren in die Ferien.«

Was er Ferien nannte, war mir nie geheuer, darum biss ich auch auf den Köder gar nicht erst an. »Ich heiße jetzt also ›Sam‹«, sagte ich stattdessen. »Und wie noch?«

»Cavanaugh. Und ich bin dein Onkel Charlie – Charles M. Cavanaugh, im Ruhestand. Das ist deine Schwester Mary.«

Ich hatte schon bemerkt, dass noch jemand im Zimmer war, aber wo auch immer der Alte auftrat, verlangte er stets volle Aufmerksamkeit, die er behielt, solange er wollte. Jetzt erst besah ich mir meine »Schwester« genauer – und dann gleich noch einmal. Es lohnte sich.

Und ich verstand sofort, warum der Alte uns als Bruder und Schwester ausgab. Auf diese Weise hatte er keine »Betriebsstörungen« zu befürchten, denn ein geschulter Agent durfte ebenso wenig aus der Rolle fallen wie ein Schauspieler. Dass ich jedoch ausgerechnet diese junge Dame wie meine Schwester behandeln sollte, schien mir der übelste Streich, den man mir je gespielt hatte.

Mary war groß und schlank, dabei jedoch nicht ohne weibliche Formen. Sie hatte ausgesprochen schöne Beine und für eine Frau auffallend breite Schultern. Das Haar war flammend rot und gewellt, der Schädel, nach Art eines echten Rotschopfes, stark ausgeprägt. Ihr Gesicht war eher hübsch als schön zu nennen, die Zähne makellos weiß. Sie musterte mich, als ob ich nichts anderes als eine Hammelkeule wäre.

Ich war noch nicht mit meiner neuen Identität vertraut. Am liebsten hätte ich die Brust rausgestreckt und einen Paarungstanz aufgeführt. Der Alte merkte das offenbar, denn gleich darauf sagte er begütigend: »Immer langsam, Sammy. Kein Inzest in der Familie Cavanaugh! Ihr seid beide bei meiner Lieblingsschwägerin aufgewachsen und hattet eine behütete Kindheit. Deine Schwester liebt dich zärtlich, und du bist ihr herzlich zugetan, wenn auch auf eine natürliche, eindeutige und zum Verzweifeln ritterliche Weise, wie es sich für einen richtigen Amerikaner geziemt.«

»So schlimm gleich?«, fragte ich, während ich den Blick nicht von meiner »Schwester« wandte.

»Noch viel schlimmer.«

»Na schön denn! Grüß dich, ›Schwesterlein‹. Ich freue mich, deine Bekanntschaft zu machen.«

Sie streckte mir eine Hand entgegen, die sich fest anfühlte und ebenso kräftig zu sein schien wie meine. »Hallo, Brüderchen«, sagte sie mit tiefer Altstimme. Auch das noch! Hatte mir gerade noch gefehlt. Zum Teufel mit dem Alten!

Der Alte fuhr fort: »Ich möchte noch hinzufügen, dass du deiner Schwester so treu ergeben bist, dass du mit Freuden sterben würdest, um sie zu beschützen. Ich sage dir das zwar nicht gern, Sammy, aber deine Schwester ist, zumindest im gegenwärtigen Augenblick, für die Organisation von weit größerem Wert als du.«

»Ich verstehe«, bemerkte ich. »Danke auch vielmals für das freundliche Gutachten.«

»Aber, Sammy …«

»Sie ist meine Lieblingsschwester, ich behüte sie vor Hunden und fremden Männern. Man muss mir das nicht erst mühsam einbläuen. Also gut. Wann geht’s los?«

»Geh lieber erst einmal in den Schönheitssalon, dort haben sie ein neues Gesicht für dich.«

»Warum nicht gleich einen neuen Kopf? Auf Wiedersehen, Schwesterlein!«

Ganz so schlimm wurde es nicht, aber sie bauten mir ein neues Telefon ein und klebten Haare darüber. Dann gaben sie meinem Schopf dieselbe Farbe wie die meiner neuen Schwester, bleichten mir die Haut und bastelten an meinen Backenknochen herum. Als ich in den Spiegel schaute, sah ich einen natürlichen Rotschopf mit allem Drum und Dran. Vor allem hatte es mir das Haar angetan, an dessen ursprüngliche Farbe ich mich überhaupt nicht mehr erinnern konnte. War Mary tatsächlich eine echte Rothaarige? Ich hoffte es. Diese Zähne, und … Denk nicht mehr dran, Sammy! Sie ist deine Schwester!

Nachdem ich mir noch die entsprechenden Kleider angezogen hatte, reichte mir irgendwer ein bereits gepacktes Köfferchen. Auch der Alte hatte sich offensichtlich zurechtmachen lassen. Seine Glatze war nun mit krausen rötlich-weiß schimmernden Locken bedeckt. Das Gesicht war ebenfalls verändert worden, ohne dass ich hätte sagen können, wie man das angestellt hatte. Jedenfalls sahen wir eindeutig blutsverwandt aus und gehörten alle drei dem merkwürdigen Schlag der Rothaarigen an.

»Komm jetzt, Sammy«, sagte er. »Im Flugwagen erzähle ich euch mehr.«

Wir benutzten eine Straße, die mir nicht bekannt war und die hoch über New Brooklyn auf der nördlichen Startplattform, von der man den Manhattankrater überblickte, endete.

Ich saß am Steuer, während der Alte redete. Als wir außerhalb des örtlichen Kontrollbereichs waren, befahl er mir, die Maschine auf automatischen Kurs Richtung Des Moines, Iowa, einzustellen. Dann gesellte ich mich zu Mary und »Onkel Charlie«, die in der Reisekabine Platz genommen hatten. Dort erfuhren wir von dem Alten unseren neuen Lebenslauf. »Wir sind also eine glückliche Familie auf Reisen«, schloss er, »und wenn uns zufällig etwas Ungewöhnliches begegnet, müssen wir uns dementsprechend verhalten – wie neugierige, unzurechnungsfähige Touristen.«

»Aber worum geht es eigentlich?«, fragte ich. »Oder sind wir nur ein Spähtrupp?«

»Schon möglich.«

»Na schön. Aber falls ich sterbe, wäre es ganz nett zu wissen, wofür. Nicht wahr, Mary?«

Mary antwortete nicht. Sie besaß die bei Frauen so seltene Eigenschaft, nicht zu reden, wenn sie nichts zu sagen hatte. Der Alte musterte mich, allerdings nicht wie jemand, der sich unschlüssig ist, sondern eher, als wolle er meinen gegenwärtigen Status abschätzen, um dann die frisch erworbenen Daten in die Maschine zwischen seinen Ohren einzuspeisen.

Plötzlich sagte er: »Sam, hast du schon von fliegenden Untertassen gehört?«

»Wie bitte?«

»Du hast doch Geschichte studiert. Stell dich nicht so an.«

»Ach, die Dinger meinst du? Den Ufo-Blödsinn, an den man vor dem Umsturz glaubte? Ich dachte, du meintest etwas Neues, Aktuelles. Das waren damals doch nur Massenhalluzinationen.«

»Wirklich?«

»Nun, die Statistik anormaler Seelenzustände ist zwar nicht mein Steckenpferd, aber ich erinnere mich dunkel an eine Gleichung. Die ganze Zeit war damals seelisch zerrüttet, ein Mensch, der noch alle fünf Sinne beisammen hatte, wäre hinter Schloss und Riegel gesetzt worden.«

»Und jetzt sind die Menschen normal, wie?«

»Das möchte ich nicht unbedingt behaupten«, erwiderte ich und kramte weiter in meinem Gedächtnis, um die Gleichung zu finden. Und da war sie auch plötzlich. »Jetzt erinnere ich mich genau – es war Digbys Integral zur Errechnung von Daten zweiter und höherer Ordnung. Nachdem man die Fälle ausgeschlossen hatte, die sich natürlich erklären ließen, ergab sich mit einer Gewissheit von 93,7 Prozent, dass die Mär von den fliegenden Untertassen eine Wahnvorstellung war. Diese Zahl ist mir darum im Gedächtnis haften geblieben, weil es der erste Fall seiner Art war, bei dem man die Angaben planmäßig gesammelt und ausgewertet hatte. Auf Befehl der Regierung – Gott weiß, warum.«

Der Alte setzte eine onkelhafte Miene auf. »Sammy, halt dich fest. Heute werden wir uns höchstpersönlich eine fliegende Untertasse ansehen. Vielleicht sägen wir uns sogar als waschechte Touristen, die wir sind, ein Stück davon zum Andenken ab.«

2

Hast du dir kürzlich mal die Nachrichten angeschaut?«, erkundigte sich der Alte.

Ich schüttelte den Kopf. Dumme Frage – ich hatte Urlaub gehabt.

»Probier’s bei Gelegenheit mal«, schlug er vor. »Man erfährt dort eine Menge interessanter Dinge. Vor siebzehn Stunden« – der Alte blickte auf seine Uhr am Finger und fügte hinzu: »und zweiunddreißig Minuten landete in der Nähe von Grinnell im Staat Iowa ein Raumschiff. Bauart unbekannt. Annähernd scheibenförmig, Durchmesser etwa fünfundvierzig Meter. Herkunft fraglich, aber …«

»Hat man denn die Flugbahn nicht mit Radar verfolgt?«, unterbrach ich ihn.

»Nein«, entgegnete er. »Hier ist eine Aufnahme, die Raumstation Beta nach der Landung gemacht hat.«

Ich betrachtete die Fotografie und reichte sie an Mary weiter. Sie war so nichtssagend, wie eine Aufnahme aus achttausend Kilometer Entfernung es nur sein kann. Bäume, die wie Moos aussahen … ein Wolkenschatten, der den größten Teil des Fotos verdarb … und ein grauer Kreis, der ein scheibenförmiges Raumschiff, aber genauso gut auch ein Ölbehälter oder ein Wassertank hätte sein können. Ich wüsste gern, wie oft wir hydroponische Anlagen in Sibirien bombardiert hatten, nur weil wir sie für atomare Anlagen hielten.

Mary gab mir die Aufnahme zurück. Ich meinte: »Sieht wie ein Zirkuszelt aus. Was wissen wir sonst noch?«

»Nichts.«

»Nichts? Nach siebzehn Stunden? Und unsere Agenten? Hast du ihnen keinen auf den Hals gehetzt?«

»Doch, habe ich. Zwei, die in Reichweite blieben, und vier, die direkt hinfuhren. Sie haben keine Meldung gemacht. Sammy, ich hasse es, Agenten zu verlieren, vor allem, wenn ich keine Ergebnisse bekomme.«

Bis jetzt hatte ich mir keine Gedanken darüber gemacht, dass der Alte seinen eigenen Kopf bei dieser Mission aufs Spiel setzte – es hatte schließlich nicht so ausgesehen, als könnte es riskant werden. Doch jetzt begriff ich: Wenn der Alte sich selbst und damit zugleich die ganze Organisation – denn er und sie waren eins – in die Waagschale warf, dann musste die Lage sehr ernst sein. Niemand, der ihn kannte, hätte ihm den Schneid abgesprochen, doch genauso wenig konnte man seinen gesunden Menschenverstand anzweifeln. Er wusste um seinen eigenen Wert, und er würde sein Leben nicht riskieren, wenn er nicht davon überzeugt wäre, dass diese Angelegenheit erledigt werden musste und seine eigenen Fähigkeiten dafür vonnöten seien. Mich überlief ein kalter Schauer. Für gewöhnlich hat ein Agent die Pflicht, auf jeden Fall an seine eigene Rettung zu denken, seinen Auftrag auszuführen und Meldung zu machen. Bei unserem Unternehmen aber war es zuallererst der Alte, der zurückkommen musste, und nach ihm Mary. Ich war so entbehrlich wie eine Büroklammer – ein Gedanke, der mir gar nicht behagte.

»Ein Agent sandte eine Teilmeldung«, fuhr der Alte fort. »Er tat so, als sei er ein harmloser Zuschauer, und berichtete mir am Telefon, dass es sich um ein Raumschiff handeln müsse, obgleich er nicht erkennen könne, welche Art von Antrieb es benutze. Diese Aussage entsprach übrigens den Nachrichtenmeldungen. Dann sagte er noch, dass sich der Rumpf öffne und er versuchen werde, die Absperrung der Polizei zu umgehen und sich näher heranzupirschen. Seine letzten Worte lauteten: ›Hier kommen sie. Es sind kleine Geschöpfe, etwa …‹ Dann schaltete er ab.«

»Kleine Menschen?«

»Er sagte ›Geschöpfe‹.«

»Nachrichten aus der Umgebung?«

»Mehr als genug! Die Fernsehstation von Des Moines schickte einen Helikopter hin, um an Ort und Stelle Aufnahmen zu machen. Die Bilder, die man übertrug, waren durchweg Teleaufnahmen, die man aus der Luft gemacht hatte. Sie zeigten nur einen scheibenförmigen Gegenstand. Nachdem es daraufhin etwa zwei Stunden lang weder Bild- noch Hörberichte gegeben hatte, folgten später Großaufnahmen und Nachrichten, die ganz anders lauteten.«

Der Alte verstummte. »Na, und weiter?«, fragte ich.

»Demnach war alles Schwindel. Das Raumschiff war nur eine plumpe Fälschung, von zwei Farmerjungen aus Metallblech und Kunststoff in den Wäldern dicht neben ihrem Haus zusammengebastelt. Die Falschmeldung rührte von einem Ansager her, der die Buben dazu angestiftet hatte, um Stoff für eine spannende Geschichte zu erhalten. Der Mann wurde entlassen, und der neueste ›Überfall aus dem Weltraum‹ erwies sich somit als übler Scherz.«

Ich rutschte unruhig hin und her. »Ein Lausbubenstreich also, aber uns kostet er sechs Leute. Gehen wir sie suchen?«

»Nein, denn wir würden sie nicht finden. Unsere Aufgabe ist es, herauszubekommen, warum die Stelle, an der nach genauer Vermessung diese Fotografie gemacht worden ist« – er hielt die Teleaufnahme der Raumstation in die Höhe –, »nicht mit den Nachrichten übereinstimmt und warum der Sender von Des Moines eine Weile abgeschaltet war.«

Zum ersten Mal machte Mary den Mund auf. »Ich würde gern mal mit den Jungen von der Farm sprechen.«

Acht Kilometer vor Grinnell brachte ich den Wagen auf der Landstraße runter, und wir hielten Ausschau nach der McLain-Farm, denn Vincent und George McLain sollten die Missetäter sein. Der Weg war nicht schwer zu finden. Wo sich die Straße gabelte, stand ein großes Schild: »Zum Raumschiff hier entlang.« Bald parkten zu beiden Seiten der Fahrbahn Flugautos, gewöhnliche Wagen und sogenannte Triphibs. An dem Weg, der zur Farm führte, boten Verkaufsbuden Getränke und Andenken feil. Ein Polizist regelte den Verkehr.

»Halt mal an«, befahl der Alte. »Wir könnten uns den Spaß doch einmal ansehen, wie?«

»Sicher, Onkel Charlie«, pflichtete ich ihm bei.

Der Alte schwang sich, den Krückstock in der Luft, hinaus. Während ich Mary beim Aussteigen half, hängte sie sich an meinen Arm und schmiegte sich an mich. Sie blickte zu mir auf und brachte es dabei fertig, dumm und zugleich unnahbar auszusehen. »Meine Güte, bist du stark, Sammy!«

Ich hätte ihr am liebsten eine Ohrfeige gegeben. Die Kleines-Schwaches-Mädchen-Nummer von einer Agentin des Alten. Als lächelte ein Tiger.

»Onkel Charlie« schwirrte umher, fiel der Polizei auf die Nerven, hielt Leute an und redete auf sie ein, dann blieb er bei einer Bude stehen, um sich Zigarren zu kaufen, wobei er den Eindruck eines wohlhabenden, leicht schwachsinnigen alten Narren machte, der sich einen Feiertag gönnt. Er wandte sich um und deutete mit seiner Zigarre auf einen Sergeant. »Der Inspector hier erklärt, es sei ein Schwindel – ein Schabernack, von Lausejungen ausgedacht. Wollen wir wieder gehen?«

Mary mimte Enttäuschung. »Kein Raumschiff?«

»Es gibt schon eines, wenn man es so nennen will«, antwortete der Polizist. »Sie brauchen nur den neugierigen Grünschnäbeln dort nachzugehen. Übrigens bin ich Sergeant und nicht Inspector.«

Wir machten uns auf den Weg, überquerten eine Weide und gelangten in den Wald. Wenn man durch das Gatter wollte, musste man einen Dollar bezahlen. Viele machten kehrt. Der Pfad durch den Wald war ziemlich einsam. Ich bewegte mich vorsichtig und wünschte, im Hinterkopf statt des Mikrofons Augen zu besitzen. Nach der letzten Rechnung hatten sechs Agenten diesen Weg genommen, und keiner von ihnen war zurückgekehrt. Ich wollte nicht, dass diese Zahl auf neun anstieg. »Onkel Charlie« und »Schwester Mary« gingen voran, Mary plapperte albernes Zeug und wirkte irgendwie kleiner und jünger als auf der Fahrt. Wir kamen zu einer Lichtung, und das »Raumschiff« lag vor uns.

Es hatte einen Durchmesser von über dreißig Meter, aber es war aus Leichtmetall- und Kunststoffplatten roh zusammengefügt und mit Aluminiumfarbe lackiert. Es hatte eine Form, als wären zwei Tortenplatten mit der Oberseite aufeinandergelegt. Abgesehen davon, zeigte es keine besonderen Merkmale. Doch Mary piepste: »Wie aufregend!«

Ein junger Bursche von achtzehn oder neunzehn Jahren mit sonnenverbranntem, pickeligem Gesicht steckte den Kopf aus einer Luke an der Oberseite des Ungetüms. »Wollen Sie das Innere anschauen?«, rief er und fügte hinzu, dass es für jeden weitere fünfzig Cent koste, die Onkel Charlie auch sofort bereitwillig bezahlte.

Beim Einstieg zauderte Mary. Zu dem Pickelgesicht gesellte sich ein Bursche, der anscheinend sein Zwillingsbruder war, und die beiden schickten sich an, ihr beim Hineinklettern zu helfen. Sie wich zurück, und ich drängte mich vor, denn ich wollte ihr selbst die Hand reichen. Meine Gründe dafür waren zu neunundneunzig Prozent beruflicher Art; ich konnte die Gefahr, die den Platz umgab, geradezu wittern. »Es ist dunkel«, stammelte sie.

»Eine ganz ungefährliche Sache«, meinte der zweite junge Mann. »Wir haben den ganzen Tag Schaulustige herumgeführt. Ich bin Vince McLain. Kommen Sie, meine Dame.«

Wie eine besorgte Henne spähte Onkel Charlie durch die Luke. »Vielleicht sind Schlangen drin«, meinte er. »Steig lieber nicht ein, Kindchen.«

»Keine Bange«, redete ihr George McLain eindringlich zu. »Es ist ganz sicher.«

»Behalten Sie das Geld, meine Herren.« Onkel Charlie sah auf die Uhr. »Wir sind schon spät dran. Gehen wir, meine Lieben.«

Wieder ging ich gleichsam mit gesträubten Federn hinter den beiden her, bis wir bei unserem Wagen anlangten.

Während wir dahinrollten, fragte der Alte scharf: »Nun, was habt ihr bemerkt?«

Ich hatte eine Gegenfrage: »Besteht irgendein Zweifel an dem ersten Bericht? An dem, der plötzlich abbrach?«

»Nein.«

»Dieses Machwerk hätte selbst im Dunkeln keinen Agenten irregeführt. Es war nicht das Schiff, das unser Mann gesehen hat.«

»Natürlich nicht. Sonst noch etwas?«

»Wie hoch würdest du die Kosten dieses Schwindels schätzen? Neues Wellblech, frischer Lack und, soweit ich durch die Luke erkennen konnte, wahrscheinlich dreihundert Meter Balken zum Stützen.«

»Weiter.«

»Nun, dem ganzen Besitz der McLains sah man an, dass er schwer verschuldet ist. Die Burschen mögen den Streich ausgeführt haben, die Rechnung hat aber jemand anders bezahlt.«

»Offensichtlich. Und was meinst du, Mary?«

»Onkel Charlie, hast du bemerkt, wie sie mich behandelten?«

»Wer?«, erkundigte ich mich barsch.

»Der Sergeant und die zwei Burschen. Wenn ich sonst die Rolle der süßen, kleinen Frau spiele, verfehlt sie nie ihre Wirkung. Hier blieb sie ohne Erfolg.«

»Die Männer waren doch ganz hingerissen«, warf ich ein.

»Das verstehst du nicht, aber ich weiß Bescheid. Ich irre mich nie. Mit diesen Leuten stimmte etwas nicht. Sie waren innerlich wie abgestorben. Sozusagen Haremswächter.«

»Vielleicht Hypnose?«, fragte der Alte.

»Möglich. Oder auch Rauschgift.« Sie runzelte ratlos die Stirne.

»Nun …«, antwortete er. »Sammy, bei der nächsten Abzweigung halte dich links. Wir wollen uns noch eine Stelle ansehen, die drei Kilometer südlich von hier liegt.«

»Meinst du den Vermessungspunkt der anderen Aufnahme?«

»Was denn sonst?«

Aber dorthin gelangten wir nicht. Zuerst hinderte uns eine zerstörte Brücke, und ich hatte nicht genügend Anlauf, um den Wagen darüberfliegen zu lassen, ganz abgesehen von den Verkehrsvorschriften, die für ein Flugauto auf dem Boden gelten. Wir beschrieben einen Kreis nach Süden und steuerten auf der einzigen noch verbliebenen Zufahrtsstraße auf unser Ziel zu. Hier wurden wir jedoch von einem Polizisten aufgehalten. Ein Waldbrand sei ausgebrochen, erklärte er uns. Wenn wir weiterführen, würde man uns wahrscheinlich zur Bekämpfung des Feuers einsetzen. Soweit ihm bekannt sei, müsste er mich zur Löschmannschaft schicken.

Mary sah ihn unter ihren langen Wimpern schmachtend an, und er ließ sich erweichen. Sie machte ihm weis, dass weder sie noch Onkel Charlie mit dem Wagen umgehen könnten, was eine faustdicke Lüge war.

Nachdem wir wieder davongebraust waren, fragte ich sie: »Welchen Eindruck hattest du von dem da?«

»Was meinst du damit?«

»Haremswächter?«

»Ach woher! Ein höchst attraktiver Mann.«

Ihre Antwort schmeckte mir gar nicht.

Der Alte war dagegen, aufzusteigen und über die Stelle zu fliegen. Er hielt es für zwecklos. So steuerten wir auf Des Moines zu. Statt an der Einfahrtsschranke zu parken, bezahlten wir die Gebühr, nahmen den Wagen in die Stadt mit und parkten vor den Studios des Senders von Des Moines. Onkel Charlie verschaffte uns mit seinem großmäuligen Gehabe Zutritt zum Büro des Generaldirektors, wobei er ausgiebig log – oder Charles M. Cavanaugh war tatsächlich ein mächtiger Mann im staatlichen Nachrichtenwesen. Woher sollte ich das wissen?

Drinnen in den Amtsräumen spielte er die Rolle des einflussreichen Mächtigen weiter. »Nun, mein Herr, was soll dieser Unsinn mit dem Raumschiffschwindel? Reden Sie offen, mein Lieber. Ihre Sendegenehmigung hängt vielleicht davon ab.«

Der Direktor war ein kleiner Mann mit rundem Rücken, schien aber nicht eingeschüchtert, sondern nur verärgert zu sein. »Über unsere Fernsehsendungen haben wir bereits ausreichende Erklärung gegeben«, sagte er. »Wir sind einem Betrüger zum Opfer gefallen. Der Mann ist entlassen worden.«

»Das dürfte kaum genügen.«

Der kleine Mann – er hieß Barnes – zuckte mit den Achseln. »Was erwarten Sie von mir? Sollen wir ihn an den Daumen aufhängen?«

Onkel Charlie hielt ihm die Zigarre vor die Nase. »Ich warne Sie, mein Herr. Mich können Sie nicht so abspeisen. Ich bin keineswegs überzeugt, dass es zwei Bauernlümmel und einem jugendlichen Ansager möglich gewesen sein sollte, diesen vertrackten Schabernack auszuführen. Da steckt Geld dahinter, mein Herr. Ja, Geld. Und wo darf man erwarten, Geld zu finden? Genau hier, an der Spitze der Pyramide. Jetzt gestehen Sie, mein Lieber, was Sie tatsächlich …«

Mary hatte sich dicht neben Barnes’ Schreibtisch gesetzt, an ihrem Kleid genestelt und eine Haltung angenommen, die mich an Goyas »Entkleidete« erinnerte. Sie gab dem alten Herrn mit abwärts gerichtetem Daumen ein Zeichen.

Von Rechts wegen hätte es Barnes gar nicht bemerken dürfen; seine Aufmerksamkeit schien nur dem Alten zu gelten. Aber er nahm die Geste wahr, wandte sich Mary zu, und sein Gesicht bekam einen starren Ausdruck. Dann streckte er die Hand nach seinem Schreibtisch aus.

»Sam, mach ihn kalt!«, stieß der Alte hervor.

Ich sengte ihm die Beine ab, und er fiel zu Boden. Der Schuss war schlecht gezielt, ich hatte den Leib treffen wollen.

Ich trat zu ihm und stieß seine Pistole mit dem Fuß beiseite, damit er sie nicht noch mit seinen umhertastenden Fingern erreichen konnte. Ein Mensch, der solche Brandwunden hat, ist rettungslos verloren, aber er muss noch lange leiden, ehe er stirbt. So wollte ich ihm den Gnadenschuss geben, doch der Alte fauchte: »Rühr ihn nicht an! Zurück, Mary!«

Wie eine Katze, die etwas Unbekanntes untersuchen will, schlich er sich seitlich an den Körper heran. Barnes seufzte tief auf, dann war er still. Der Alte stieß ihn sanft mit dem Krückstock an.

»Chef, wird es nicht Zeit zu verschwinden?«

Ohne sich umzusehen, antwortete er: »Wir sind hier so sicher wie anderswo. Dieses Gebäude wimmelt vielleicht von ihnen.«

»Von wem?«

»Das weiß ich selbst noch nicht. Von solchen wie dem hier.« Er wies auf Barnes. »Ich muss ergründen, was dahintersteckt.«

Plötzlich fuhr Mary herum und stieß mit unterdrückter Stimme hervor: »Er atmet noch. Seht!«

Der Mann lag mit dem Gesicht nach unten; der Rücken der Jacke wogte, als dehne sich der Brustkorb. Der Alte warf einen Blick darauf und stocherte mit seiner Krücke daran herum. »Sam, komm her.«

Ich gehorchte.

»Zieh ihn aus«, fuhr er fort. »Nimm Handschuhe, und sei vorsichtig.«

»Ein getarnter Sprengkörper?«

»Halt den Mund. Pass auf!«

Er musste eine Ahnung gehabt haben, die der Wahrheit nahekam. Ich glaube, dass das Gehirn des Alten ein besonderes Kombinationsgerät enthielt, das aus einem Mindestmaß an Tatsachen einwandfreie Schlüsse zu ziehen vermag, etwa wie ein Museumsfachmann nach einem einzigen Knochen das ganze Tier rekonstruiert. Ich zog also Handschuhe an – Agentenhandschuhe, mit denen ich kochende Säure umrühren, doch ebenso auch eine Münze nach Kopf oder Adler abtasten konnte. Sobald ich die Hände geschützt hatte, drehte ich Barnes um und begann ihn auszuziehen.

Der Rücken hob sich immer noch. Das war unnatürlich und gefiel mir nicht. Ich schob die Hand zwischen die Schulterblätter. Für gewöhnlich besteht ein Männerrücken aus Knochen und Muskeln. Dieser hier war weich und wabbelig. Blitzschnell zog ich meine Hand zurück.

Wortlos reichte mir Mary eine Schere von Barnes’ Schreibtisch. Ich nahm sie und schnitt die Jacke auf. Darunter war der Körper mit einem leichten Unterhemd bekleidet. Zwischen diesem Wäschestück und der Haut fand sich auf halber Höhe des Rückens irgendetwas, das nicht Fleisch war. Einige Zentimeter dick, verlieh es dem Sterbenden ein leicht buckliges Aussehen.

Es pulsierte wie eine Qualle.

Während wir es beobachteten, glitt es den Rücken hinunter, von uns fort. Gerade wollte ich das Hemd wegziehen, als mir der Alte mit dem Stock auf die Hand schlug. »Du musst schon deutlich sagen, was ich tun soll«, brummte ich und rieb mir die Fingerknöchel.

Er antwortete nicht, sondern fuhr mit dem Stock unter das Hemd und zerrte es am Körper hoch. Das runde Ding kam frei.

Es war grau, seine nicht ganz durchsichtige Masse wurde von dunkleren Stellen durchzogen, und es erinnerte an einen riesigen Klumpen Froscheier. Und es war eindeutig lebendig. Während wir das Gebilde betrachteten, bewegte es sich fließend nach abwärts, in die Höhlung zwischen Barnes’ Arm und Brust, breitete sich darin aus und war anscheinend unfähig, sich vom Fleck zu rühren.

»Der arme Teufel«, sagte der Alte leise.

»Wie? Dieses Ding da?«

»Nein, ich meine Barnes. Erinnere mich daran, dass ich für ihn das Verdienstkreuz anfordere, wenn die Angelegenheit erledigt ist – sofern es je so weit kommen sollte.«

Der Alte richtete sich auf und stapfte im Zimmer herum, als habe er das merkwürdige Schleimwesen, das sich in Barnes’ Armbeuge schmiegte, ganz vergessen.

Ich wich zurück und starrte es unentwegt mit schussbereiter Pistole an. Es war nicht schnell und konnte offensichtlich nicht fliegen, aber ich wusste nicht, wozu es fähig war. Mary trat näher und lehnte sich fest an meine Schulter, als suche sie Trost. Ich legte den freien Arm um sie.

Auf einem Nebentisch stand ein Stapel Blechbüchsen, wie man sie zum Aufbewahren von Filmstreifen verwendet. Der Alte holte eine, schüttete die Rollen heraus und kam mit dem Behälter an. »Das genügt, glaube ich.« Er stellte ihn dicht neben das merkwürdige Wesen und versuchte es mit dem Stock aufzuscheuchen und zur Flucht in die Büchse anzuregen.

Stattdessen glitt es davon, bis es fast ganz unter dem Körper verschwunden war. Ich packte Barnes am rechten Arm und wuchtete ihn hoch. Der Klumpen blieb an ihm haften, dann fiel er zu Boden. Auf Anweisung unseres lieben alten Onkels Charlie begannen Mary und ich dicht hinter dem Geschöpf behutsam den Boden abzusengen, um es mit Gewalt in die Büchse zu treiben. Wir brachten es hinein, und ich knallte den Deckel zu.

Der Alte nahm unsere Beute unter den Arm. »Jetzt aber los, meine Lieben!«

Beim Hinausgehen blieb er an der Tür stehen und rief einen Abschiedsgruß zurück. Dann machte er hinter sich zu und trat an den Schreibtisch von Barnes’ Sekretärin. »Ich komme morgen noch einmal zu Herrn Direktor«, erklärte er ihr. »Nein, eine bestimmte Zeit haben wir nicht vereinbart. Ich rufe an.«

Ohne Eile gingen wir hinaus, der Alte mit der vollen Büchse unter dem Arm und ich mit gespitzten Ohren, falls sich irgendein Alarmzeichen rühren sollte. Mary spielte wieder das alberne kleine Ding, das unaufhörlich plapperte. Der Alte blieb sogar noch in der Eingangshalle unten stehen, kaufte eine Zigarre und erkundigte sich umständlich und mit herablassendem Wohlwollen nach allem Möglichen.

Sobald er im Wagen saß, gab er seine Anweisungen und mahnte mich, nicht zu schnell zu fahren. Nach einer Weile erreichten wir unser Ziel – eine Garage. Der Alte ließ den Direktor kommen und sagte: »Mister Malone braucht diesen Wagen, und es muss schnell gehen.« Diesen Satz hatte auch ich gelegentlich schon angewendet, nur war es damals »Mr. Sheffield« gewesen, der es eilig hatte. In etwa zwanzig Minuten hatte das Flugauto zu bestehen aufgehört, es löste sich in unverdächtige Ersatzteile auf, die in den Schränken der Werkstätten verschwanden. Der Direktor musterte uns, dann sagte er gelassen: »Gehen Sie durch die Türe dort drüben.« Zwei Mechaniker, die im Raum waren, schickte er weg, und wir schlüpften hinaus.

Auf einigen Umwegen gelangten wir schließlich in die Wohnung eines alten Ehepaares; dort verwandelten wir uns in braunhaarige Leute, der Alte hatte wieder eine Glatze, und ich legte mir einen Schnurrbart zu. Mary sah mit dunklem Haar so gut aus wie mit der roten Mähne. Die »Familie Cavanaugh« hatte sich aufgelöst; Mary bekam eine Schwesterntracht, und ich wurde als Chauffeur kostümiert, während der Alte unser ältlicher leidender Brotgeber wurde, dem selbst der übliche Schal und die schlechte Laune nicht fehlten.

Ein neues Fahrzeug wartete bereits auf uns. Die Rückfahrt verlief ungestört; wir hätten ruhig die Cavanaughs mit den Mohrrübenköpfen bleiben können. Ich hatte das Fernsehgerät ständig auf Des Moines eingestellt. Sollte die Polizei den verblichenen Herrn Barnes inzwischen entdeckt haben, so war bis jetzt wenigstens den Leitern der Nachrichtenabteilung noch nichts davon zu Ohren gekommen.

Wir begaben uns geradewegs in das Zimmer des Alten und öffneten die Büchse. Der Chef ließ Dr. Graves, den Vorstand des biologischen Laboratoriums, holen, der sich sofort mit Greifzangen an die Arbeit machte.

Statt der Zangen hätten wir jedoch eher Gasmasken nötig gehabt. Ein Gestank von verwesenden organischen Stoffen breitete sich im Raum aus und zwang uns, den Deckel wieder zu schließen und die Ventilatoren schneller laufen zu lassen. Graves rümpfte die Nase. »Was in aller Welt ist denn das?«, fragte er neugierig. »Erinnert mich fast an ein totes Baby.«

Der Alte fluchte leise. »Die Antwort darauf möchten wir von Ihnen hören«, sagte er. »Untersuchen Sie das Ding mit Schutzanzug und in einer keimfreien Zelle, und nehmen Sie keineswegs an, dass dieser Klumpen tot ist.«

»Wenn der lebt, bin ich die Königin Anna.«

»Vielleicht sind Sie es, aber setzen Sie sich nicht unnötig Gefahren aus. Es handelt sich um einen Parasiten, der sich an einen Wirt, etwa an einen Menschen, heften kann und ihn dann beherrscht. Sehr wahrscheinlich stammt er nicht von der Erde und hat dementsprechend auch einen anderen Stoffwechsel.«

Der Chef des Laboratoriums schnüffelte verächtlich. »Ein Parasit von einem anderen Planeten auf einem irdischen Wirt? Lächerlich! Die chemischen Vorgänge beider Körper würden sich nicht vertragen.«

Der Alte knurrte. »Der Teufel hole Ihre Theorien. Als wir das Geschöpf fingen, lebte es an einem Menschen. Wenn das bedeutet, es müsse bei uns vorkommen, dann weisen Sie mir nach, welcher Gruppe Lebewesen es zugehört und wo man seinesgleichen findet. Und ziehen Sie gefälligst keine voreiligen Schlüsse, ich wünsche Tatsachen.«

Der Biologe nahm eine steife Haltung an. »Die sollen Sie erhalten!«

»Gehen Sie an die Arbeit, und verbrauchen Sie nicht mehr von dem Ding, als unbedingt nötig ist. Den größten Teil davon brauche ich noch als Beweismittel. Und beharren Sie nicht auf der albernen Annahme, dieses Ding sei tot. Das ›Parfüm‹ könnte eine Schutzwaffe sein. Wenn der Klumpen lebendig ist, bedeutet er eine ungeheure Gefahr. Sollte er sich an einen Ihrer Mitarbeiter heranmachen, müsste ich den Mann höchstwahrscheinlich töten.«

Als der Leiter der Versuchsstation uns verließ, schien er seine Überheblichkeit verloren zu haben.

Unser Alter sank in einen Stuhl und schloss seufzend die Augen. Er schien eingeschlummert zu sein; Mary und ich hielten uns ruhig. Nach fünf Minuten etwa blickte er hoch und meinte: »Wie viele derartige ›Senfpflaster‹ können wohl mit einem Raumschiff landen, das genauso groß ist wie die Attrappe von Grinnell?«

»Ja, war das tatsächlich ein Raumschiff?«, fragte ich. »Der Beweis dafür ist doch noch nicht erbracht!«

»Er ist unwiderlegbar. Das Schiff existiert, und es befindet sich auch noch auf der Erde.«

»Wir hätten die Landestelle genauer untersuchen sollen.«

»Das wäre das Letzte gewesen, was wir in diesem Leben gesehen hätten. Die anderen sechs Agenten waren auch keine Narren. Doch beantworte meine Frage.«

»Das Ausmaß des Schiffes verrät mir nichts über seine Ladung, wenn ich weder die Entfernung, die es bewältigen musste, kenne noch die Art des Antriebs oder den persönlichen Bedarf der Fahrgäste. ›Wie lang ist ein Stück Seil?‹, könnte ich genauso gut fragen. Wenn Sie eine ungefähre Schätzung wünschen, würde ich sagen, ein paar Hundert, vielleicht auch einige Tausend.«

»Nun … ja. So gibt es vielleicht in Iowa einige Tausend Roboter oder Haremswächter, wie Mary sich ausdrückt.« Er dachte einen Augenblick nach. »Aber wie können wir in den Harem eindringen? Sollen wir herumlaufen und jeden Menschen mit einem Höcker am Rücken erschießen? Das würde zu viel Aufsehen erregen.« Er lächelte schwach.

»Ich werde dir eine andere Frage vorlegen«, sagte ich. »Wenn gestern ein Raumschiff in Iowa niedergegangen ist, wie viele werden dann morgen in North Dakota eintreffen? Oder in Brasilien?«

»Ja.« Er sah noch bekümmerter drein. »Ich will dir verraten, wie lang dein Stück Seil ist.«

»Ja?«

»Lang genug, um dir den Hals abzudrehen. Geht, Kinder, vergnügt euch, vielleicht habt ihr später keine Gelegenheit mehr dazu. Aber verlasst die Abteilung nicht.«

Ich ging zuerst in den Schönheitssalon, bekam meine natürliche Hautfarbe und das gewohnte Aussehen wieder, nahm ein ausgiebiges Vollbad und ließ mich massieren; dann trat ich in den Erholungsraum für die Angestellten. Ich wollte etwas trinken und mir nette Gesellschaft suchen. Ich sah umher, weil ich nicht wusste, ob ich nach einem blonden, rothaarigen oder braunlockigen Mädel suchen sollte, aber den »Rahmenbau« würde ich bestimmt wiedererkennen.

Mary war noch immer ein Rotschopf. Sie saß in einer Nische, nippte an einem Getränk und sah fast so aus wie bei unserer ersten Begegnung.

»Hallo, Schwesterlein«, rief ich, mir den Weg zu ihr bahnend.

Lächelnd erwiderte sie: »Hallo, Junge, geh vor Anker«, und rückte beiseite, um mir Platz zu machen.

Ich bestellte an der Wählerscheibe Whisky und Soda, dann meinte ich: »Ist das deine waschechte Aufmachung?«

»Natürlich nicht. Sonst trage ich Zebrastreifen und zwei Köpfe. Und du?«

»Mich hat meine Mutter mit einem Kissen platt gedrückt, so weiß ich nicht, wie ich ursprünglich ausgesehen habe.«

Wiederum musterte sie mich kühl und gründlich, als ob ich eine Hammelkeule wäre, dann sagte sie: »Ich kann die Absicht deiner Mutter verstehen, aber ich bin härter gesotten als sie. Es lässt sich schon aushalten mit dir, Bruderherz.«

»Danke. Aber jetzt Schluss mit dem Geschwistertheater, sonst bekomme ich Hemmungen.«

»Die könnten dir nicht schaden, glaube ich.«

»Mir? Ich neige niemals zu Gewalttätigkeiten, ich bin lammfromm und willig wie Graf Toggenburg«, wobei ich gleich noch hätte hinzufügen können: Wenn ich dich ohne dein Einverständnis anrührte, gehe ich jede Wette ein, dass ich meine Hand nur mehr als blutigen Stumpf zurückzöge. Die kleinen Mädchen des Alten sind alles andere als zimperlich.

Sie lächelte. »So? Nun, Gräfin Toggenburg ist nicht willig, heute Abend jedenfalls nicht.« Sie stellte ihr Glas nieder. »Trink aus und bestelle ein neues.«

Das taten wir und blieben beisammen sitzen. Ein seltenes Gefühl der Wärme und Geborgenheit erfüllte uns. In unserem Beruf gibt es nicht viele solche Stunden; deshalb genießt man sie doppelt.

Eines der angenehmsten Dinge an Mary war der Umstand, dass sie ihren Sexappeal nicht offensiv einsetzte, von beruflichen Erfordernissen einmal abgesehen. Ich glaube, sie wusste – ich bin sicher, sie wusste –, wie viel Sexappeal sie besaß. Doch sie war viel zu sehr »Gentleman«, um davon unter gewöhnlichen Umständen Gebrauch zu machen. Sie beließ ihn auf Sparflamme, gerade ausreichend, um noch angenehm zu wärmen.

Während wir plauderten, kam mir der Gedanke, wie gut sie sich an einem traulichen Kamin als mein Gegenüber machen würde. Bei meiner Tätigkeit hatte ich bisher nie ernstlich ans Heiraten gedacht. Schließlich war von den jungen Dingern eine wie die andere; warum sollte man ihretwegen den Kopf verlieren. Aber Mary war selbst Agentin; wenn ich mit ihr redete, hallten meine Worte nicht wie von einer Echowand wider. Ich merkte, dass ich eine höllisch lange Zeit einsam gewesen war.

»Mary …«

»Ja?«

»Bist du verheiratet?«

»Wie bitte? Warum fragst du? Im Übrigen – ich bin ledig. Aber was geht … ich meine, warum möchtest du das wissen?«

»Nun, vielleicht habe ich meine Gründe.« Ich ließ nicht locker.

Sie schüttelte den Kopf.

»Ich meine es ernst«, fuhr ich fort. »Sieh mich genau an. Ich besitze zwei kräftige Arme und Beine, ich bin noch einigermaßen jung und trage keinen Schmutz ins Haus. Du könntest es schlimmer treffen.«

Sie lachte, aber es klang freundlich. »Und du könntest dir ein besseres Sprüchlein ausdenken. Ich bin überzeugt, dass du es aus dem Stegreif aufgesagt hast.«

»Allerdings.«

»Nun, ich nehme dich nicht beim Wort. Hör zu, Schürzenjäger, deine Methode taugt nichts. Wenn ein Mädchen dich abblitzen lässt, ist das noch kein Grund, kopflos zu werden und ihr einen Ehevertrag anzubieten. Manche Frau wäre so gemein, dich festzunageln.«

»Ich meine es ehrlich«, erwiderte ich mürrisch.

»Ach? Und welches Gehalt bietest du mir?«

»Der Teufel hole deine hübschen Augen! Aber wenn du es verlangst, gehe ich auch darauf ein. Du kannst dein Honorar behalten, und ich lasse dir die Hälfte meines Verdienstes überweisen – falls du deine Stellung nicht aufgeben willst.«

Sie schüttelte erneut den Kopf. »Ich würde nie auf einer derartigen Versorgung bestehen. Vor allem nicht einem Mann gegenüber, den ich heiraten möchte.«

»Das habe ich auch nicht anders erwartet.«

»Damit aber verrätst du, dass du selbst die Sache nicht ernst genommen hast.« Sie blickte mich prüfend an. »Oder vielleicht doch?«, fügte sie mit warmer, weicher Stimme hinzu.

»Selbstverständlich.«

»Agenten sollten nicht heiraten.«

»Aber wenn, dann sollten sie Berufskollegen heiraten.«

Gerade wollte sie etwas entgegnen, hielt aber plötzlich inne. Der Alte meldete sich in meinem Hörer, und ich wusste, dass er Mary das Gleiche sagte.

»Kommt in mein Büro.«

Wortlos erhoben wir uns beide. An der Türe hielt Mary mich zurück und blickte mir in die Augen. »Weißt du jetzt, warum es töricht ist, von Heirat zu reden? Wir müssen diesen Auftrag zu Ende bringen. Die ganze Zeit über, während wir uns unterhielten, hast du in Wirklichkeit nur an die Arbeit gedacht, genau wie ich.«

»Nein, habe ich nicht.«

»Mach mir nichts vor! Sam, nimm einmal an, du wärest verheiratet und fändest eines Tages einen dieser Parasiten an den Schultern deiner Frau.« Grauen spiegelte sich in ihrem Blick, als sie fortfuhr: »Oder stelle dir vor, ich entdeckte einen von ihnen auf deinem Rücken!«

»Diese Gefahr will ich auf mich nehmen. Und an dich würde ich keinen herankommen lassen.«

Sie streichelte meine Wange. »Das glaube ich dir.«

Wir traten beim Alten ein.

Er blickte hoch. »Wir verreisen.«

»Wohin?«, fragte ich. »Oder darf ich das nicht wissen?«

»Ins Weiße Haus, den Präsidenten besuchen. Und jetzt halte den Mund.«

Das tat ich.

3

Wenn ein Waldbrand oder eine Seuche ausbricht, gibt es eine kurze Zeitspanne, in der ein Minimum an Abwehr noch die Gefahr einzudämmen und zunichtezumachen vermag. Die Jungs von der biologischen Kriegsführung drücken so was in Exponentialgleichungen aus, aber man braucht keine höhere Mathematik, um es zu kapieren; es hängt einfach von einer frühen Diagnose und entsprechend schnellem Handeln ab, bevor die Dinge außer Kontrolle geraten können. Was der Präsident tun müsste, war dem Alten längst klar: den nationalen Notstand erklären, das Gebiet von Des Moines absperren und jeden erschießen, der rauswollte, ganz gleich, ob es sich dabei um einen Cockerspaniel handelte oder um eine Oma mit ihrem Kochtopf. Dann die Bewohner einzeln vornehmen und nach Parasiten durchsuchen. Indessen könnte man das Radar anwenden und die Raketenmannschaften sowie die Raumstationen mobilisieren, um jedes neue Schiff, das landete, auszumachen und zu zerstören.

Die anderen Nationen, auch die hinter dem Eisernen Vorhang, waren zu warnen und um Hilfe zu bitten – ohne lange Verhandlung oder Abschluss eines internationalen Gesetzes, denn hier handelte es sich um einen Kampf der gesamten Menschheit; es ging um Leben und Tod, und es galt, einen Eindringling aus dem Weltraum abzuwehren. Woher der Feind kam, spielte keine Rolle, ob vom Mars, von der Venus, den Jupitermonden oder von außerhalb des Sonnensystems. Man musste die Invasion zurückschlagen.

Der Alte hatte den Fall geknackt, analysiert und binnen kaum mehr als vierundzwanzig Stunden den richtigen Lösungsweg herausgefunden. Das einzigartige Talent des Alten bestand darin, aus Tatsachen, die schwer zu begreifen waren, ebenso logische Schlüsse zu ziehen wie aus alltäglichen Begebenheiten. Nichts Besonderes, wie? Immerhin steht fest, dass bei den meisten Menschen der Verstand versagt, wenn sie mit Dingen konfrontiert werden, die althergebrachten Vorstellungen widersprechen. »Ich kann es einfach nicht glauben« ist eine Redensart, die Gebildeten wie geistig Minderbemittelten gleich geläufig ist.

Dem Alten jedoch ist sie vollkommen unbekannt – und er hatte das Ohr des Präsidenten.

Der Secret Service nahm uns gründlich in Arbeit. Ein Röntgenapparat klickte, und ich lieferte meine Strahlenpistole ab. Mary stellte sich als wandelndes Arsenal heraus. Der Apparat schlug fünfmal an, obwohl man hätte schwören können, dass Mary nicht einmal eine Steuerquittung versteckte – nicht unter diesem Outfit! Der Alte lieferte seinen Stock ab, ohne zu warten, dass man ihn darum ersuchte. Auch unsere implantierten Telefone wurden beim Durchleuchten entdeckt, aber auf chirurgische Eingriffe waren die Posten nicht vorbereitet. Sie berieten sich hastig, und der Wachhabende entschied, dass in Fleisch eingebettete Anlagen nicht als Waffen gelten konnten. Sie nahmen uns Fingerabdrücke ab, fotografierten unsere Netzhaut und geleiteten uns in ein Wartezimmer. Der Alte wurde eiligst hinausgeführt und zum Präsidenten gebracht, um zuerst allein mit ihm zu sprechen.

»Ich frage mich, warum wir mitkommen mussten«, sagte ich zu Mary. »Der Alte weiß alles, was wir wissen.«

Mary antwortete nicht, und so vertrieb ich mir die Zeit, indem ich im Geiste all die Schlupflöcher Revue passieren ließ, die ich in den Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz des Präsidenten entdeckt hatte. Auf solche Sachen verstehen sie sich hinter dem Eisernen Vorhang erheblich besser; jeder einigermaßen talentierte Attentäter hätte den Secret Service mit Leichtigkeit hinters Licht führen können. Ich empfand eine gewisse Verdrossenheit darüber.

Nach einer ganzen Weile wurden auch wir hinzugezogen. Ich war so aufgeregt, dass ich über meine eigenen Füße stolperte. Als der Alte uns vorstellte, stotterte ich. Mary verneigte sich nur. Der Präsident erklärte, dass er sich freue, uns zu sehen, und setzte das bewusste Lächeln auf, das man vom Fernsehen kennt; wir hatten wirklich das Gefühl, ihm willkommen zu sein. Mir wurde warm ums Herz, und meine Verlegenheit wich.

Wie auch meine Sorgen. Mit der Hilfe des Alten würde der Präsident das Heft in die Hand nehmen und diesem Horror in Des Moines Einhalt gebieten.

Der Alte forderte mich auf, alles zu berichten, was ich bei unserem Unternehmen getan, gesehen und gehört hatte. Als ich zu der Stelle kam, wo ich von Barnes’ Tod erzählen musste, versuchte ich einen Blick von ihm zu erhaschen, aber er sah mich nicht an. So ließ ich seinen Schießbefehl unerwähnt und machte dem Präsidenten verständlich, dass ich genötigt war, den Mann umzubringen, um einen anderen Agenten – Mary – zu schützen; denn ich hätte bemerkt, dass Barnes nach seiner Pistole griff. Der Alte unterbrach mich. »Wir wünschen einen vollständigen Bericht.«

So ergänzte ich seinen Befehl. Der Präsident warf ihm einen Blick zu, sonst verzog er keine Miene. Ich erzählte weiter von dem parasitischen Geschöpf, und da mich niemand unterbrach, schilderte ich getreulich alles bis zum gegenwärtigen Augenblick.

Dann kam Mary an die Reihe. Sie fand nicht gleich die rechten Worte, als sie dem Präsidenten zu erläutern suchte, weshalb sie erwarte, dass ihre Reize auf normale Männer eine bestimmte Wirkung ausübten, aber bei den beiden McLains, bei dem Sergeant und bei Barnes versagt hatten. Der Präsident kam ihr jedoch zu Hilfe, lächelte freundlich und meinte: »Meine liebe junge Dame, das glaube ich durchaus.«

Mary errötete. Während sie zu Ende sprach, lauschte der Präsident ernst, dann blieb er einige Minuten still sitzen. Dann wandte er sich an den Alten. »Andrew, Ihre Abteilung ist von unschätzbarem Wert für mich, und Ihre Berichte haben manchmal bei schwerwiegenden Entscheidungen der Weltgeschichte den Ausschlag gegeben.«

Der Alte schnaubte: »Das heißt also ›Nein‹, nicht wahr?«

»Das habe ich nicht gesagt.«

»Aber Sie hatten die Absicht.«

Der Präsident zuckte mit den Achseln. »Ich wollte gerade vorschlagen, dass sich Ihre jungen Leute zurückziehen. Andrew, Sie sind ein Genie, aber auch Genies irren. Sie arbeiten zu viel und verlieren Ihre Urteilsfähigkeit. Ich selbst bin kein Genie, aber ich habe schon vor mehr als vierzig Jahren begriffen, dass ich gelegentlich ausspannen muss. Wie lange ist es her, seit Sie zuletzt Urlaub gemacht haben?«

»Sehen Sie, Tom, das habe ich geahnt, deshalb brachte ich Zeugen mit. Sie stehen weder unter der Wirkung von Drogen, noch handeln sie unter Zwang. Rufen Sie Ihre Psychologen herein, und versuchen Sie, ihre Aussagen zu erschüttern.«

Der Präsident schüttelte den Kopf. »Sie würden keine Zeugen mitbringen, die man brechen könnte. Ich bin überzeugt, dass Sie von diesen Dingen mehr verstehen als jeder Fachmann, den ich beibringen könnte, um diese beiden zu überprüfen. Nehmen Sie einmal diesen jungen Mann – er war bereit, sich wegen eines Mordes anklagen zu lassen, nur um Sie zu decken. Andrew, Sie haben treue und ergebene Gefolgsleute. Und was die junge Dame angeht, so kann ich wirklich nicht auf Grund ihrer Intuition Maßnahmen ergreifen, die einem Kriegszustand gleichkommen.«

Mary trat einen Schritt vor. »Mister President, hier handelt es sich nicht um Intuition, ich weiß es«, sagte sie ernst, »ich weiß es todsicher in jedem einzelnen Fall. Woher ich dieses Wissen habe, kann ich nicht erklären, aber – jene Männer waren nicht normal.«

Er antwortete: »Sie haben eine naheliegende Erklärung nicht berücksichtigt. Es könnte sich tatsächlich … um Haremswächter gehandelt haben. Verzeihen Sie, aber derartige Unglückliche hat es allezeit gegeben. Nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit könnten Ihnen vier am Tag über den Weg laufen!«

Mary verstummte. Aber der Alte nicht. »Verdammt noch mal, Tom«, – ich war entsetzt, wie er mit dem Präsidenten sprach – »ich kannte Sie schon, als Sie noch Senator im Untersuchungsausschuss waren, und bei Ihren Nachforschungen war ich der Mann, in dessen Händen alle Fäden zusammenliefen. Sie wissen, dass ich mit diesem Bericht, der wie ein Märchen klingt, nicht zu Ihnen käme, wenn man die Tatsachen mit Erläuterungen aus der Welt schaffen könnte. Was halten Sie von dem Raumschiff? Was war seine Fracht? Warum konnte ich nicht einmal in die Nähe der Landestelle gelangen?« Er zog die Fotografie heraus, die von der Raumstation Beta aus aufgenommen worden war, und hielt sie dem Präsidenten vor die Nase.

Der Präsident schien unerschüttert. »Ja, ja, Tatsachen! Andrew, dafür haben wir beide eine Schwäche. Aber ich besitze außer Ihrer Abteilung noch andere Nachrichtenquellen. Nehmen Sie dieses Bild. Als Sie anriefen, haben Sie es besonders erwähnt. Die Maße und Grenzen der McLain-Farm, die in den Grundbüchern des dortigen Amtsgerichts eingetragen sind, stimmten mit dem errechneten Längen- und Breitengrad des fotografierten Objektes überein.« Der Präsident blickte auf. »Ich habe mich sogar in meiner eigenen Nachbarschaft schon verirrt. Sie, Andrew, befanden sich nicht einmal in vertrautem Gelände.«

»Tom …«

»Ja, Andrew?«

»Sie sind aber nicht hinausgefahren und haben die Grundbücher selbst eingesehen?«

»Natürlich nicht.«