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Wie viele Trainees habe ich für das Segeln von Yachten begeistert? Wie viele Skipper habe ich ausgebildet? Und wie viele schräge Typen haben meine Nerven auf den Törns strapaziert? Sicher über eintausend, ich habe sie nicht gezählt. Meine Logbücher entlocken mir beim Lesen immer wieder ein Schmunzeln oder einen Fluch. Kurioses, Heiteres und Ernstes einer Generation von Yacht-Skippern.
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Seitenzahl: 245
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Die irische Braut
Capraia mal anders
Auf einem Seemannsgrab
San Giorgio Maggiore
Der Mann der zweimal lebte
Kai aus der Kiste
Die Wundertüte
Anna und die dicken Dinger
Einfach nur Pech
In aller Freundschaft
Vermisst
Korsika, wild und stürmisch
Warum tu ich mir das an?
Worte zum Schluss
Der Törn ist zu Ende.
Es ist fast Mitternacht. Ich sitze allein im Cockpit der Yacht und höre Musik. Ein irisches Lied „ Two steps from heaven…“ und denke darüber nach, dass die Musik wo immer ich gesegelt bin, die gleichen Gefühle weckt. Die kroatischen Lieder genauso, wie die kraftvollen korsischen Lieder oder die Gesänge der englischen Seeleute im Pub. Eine bunte Mischung aus Sehnsucht, Traurigkeit und Lebensfreude.
Oft wird mir die Zeit lang, zwischen den Fahrten auf See. Dort draußen auf dem Meer ist alles ehrlich. Die See fühlt nichts, sie ist zu allen gleich, gleich gut und gleich grausam. Ich liebe diese ehrlichen Momente, wenn nur das Können zählt. Und ich mag die Menschen, die von der See angezogen werden, die sie begreifen wollen in ihrer Schönheit und ihrer grenzenlosen Wut. Segeln kann man nicht lernen. Man kann lernen, ein Boot sicher zu führen, die Technik zu beherrschen, wieder anzukommen. Ich kann segeln, weil ich´s gelernt und auf 40000 Seemeilen gebracht habe, ohne zu scheitern. Die Seele des Segelns erkennt man erst nach vielen tausend Seemeilen auf See und den vielen Nächten in den Häfen. Dazu gehört es auch, Erlebnisse mit Menschen zu teilen, die auch vom Meer fasziniert sind.
Ab und zu nehme ich meine alten Logbücher, erinnere mich an den einen oder anderen Törn und schreibe die Erlebnisse auf um sie, verehrte Leser, zum Träumen zu verführen. Ich erzähle von der Weite des Meeres, von der Kunst, den Wind zu nutzen und ich lehre den Respekt vor der ungeheuren Kraft der Elemente. Ich schreibe aber auch als Skipper meine Erlebnisse auf, um diese wahren Geschichten mit den vielen segelbegeisterten Trainees nochmal zu erleben.
So wie in diesem Buch.
Seitdem ich vor Jahren erst die englische und dann die schottische Küste besucht habe, hat sich der Wunsch in meinem Kopf festgebissen, auch die irische See kennenzulernen. Ganz gleich, ob ich in der Adria oder im westlichen Mittelmeer segle, ich träume manchmal von den Küsten Irlands. Was genau diese Gefühle auslöst, weiß ich nicht.
Vielleicht war es damals, Anfang der neunziger Jahre, als ich nach London segelte und dort in den Pubs dem Dudelsack lauschte. Ganz hingerissen merkte ich gar nicht, dass mir ein Ire ein Glas Whisky in die Hand drückte. Er hob sein Glas und trank mir zu.
Ich muss zugeben, dass ich gerne mal einen Scotch trinke. Einen irischen Whisky habe ich bisher immer gemieden. Ist mir zu moorig. Aber dieser hat alles Bisherige noch übertroffen. Ich hab entsetzt nach Luft geschnappt. Lachend hat er in das schwere Glas etwas Eiswasser getan. Die Erinnerung an diesen Abend verblasst nicht, vielleicht auch, weil ich die irische und schottische Musik sehr mag. Vielleicht war es aber auch die Erinnerung an dieses alte Schiff in der dänischen Südsee, es muss in Faaborg gewesen sein. An einer Pier lag ein sehr alter Schoner mit kräftigen Holzplanken. Der Skipper war ein großer rothaariger Mann, höchstens Anfang zwanzig. Er kam mit dem Schiff von Irland. Meine neugierigen Blicke ins Luk veranlassten ihn, mich aufs Schiff zu bitten. So etwas hatte ich noch nicht gesehen und ich bin in vielen Häfen gewesen. Der Schoner wurde 1794 in Irland gebaut. Unter Deck lag überall Tauwerk, sauber aufgeschossen. Im Schiffsraum unter einer ledernen Hängematte standen zwei Trinkwasserfässer. Mitten im Raum ein schwerer blankgescheuerter Holztisch. An der Bordwand gegenüber stand ein eiserner Ofen. Er segelt allein, sagte er mir. Noch während ich mir das Schiff ansah, stellte er mir eine große Mug mit Tee auf den Tisch. Und sang mit kräftiger Stimme das alte irische Volkslied a capella „Red is the rose….“ Ich war so ergriffen, dass ich eine kurze Weile nicht sprechen konnte. Dann dankte ich ihm und ging zurück auf meine Yacht. Ein unvergessliches Erlebnis.
Jetzt im heißen Süden nehme ich mir vor, den Traum von Irland zu realisieren. Der Start könnte in Harlingen/Holland erfolgen. Die Hafenstadt kenne ich schon von einigen Törns.
Von dort nach London und Plymouth. Die beiden Städte und ihre Häfen kenne ich auch von 1998. Von Plymouth sind es bis Cork im Süden von Irland nur 135 Seemeilen. Und dann natürlich Dublin. Das wäre ein 2-Wochen-oneway-Törn. Nun fehlt noch die Yacht.
Es gehört auch Glück dazu, das richtige Schiff zu finden. Ein englischer Werftbau, eine OYSTER 475 soll es sein. Die Länge von 14,81 Meter und die 120 qm Segelfläche bei drei Kabinen für geplante zwei Mitsegler sprechen dafür. Eine 3er-Crew ist genau die richtige Crewgröße, finde ich.
Wer käme für diesen Törn in Frage? Nur Albert und Arnold. Die Beiden sind im gleichen Alter, seit langer Zeit befreundet und segeln zusammen. Albert habe ich auf einem vorhergehenden Törn kennengelernt. Trink- und seefest hat er schon einige Yachten ins Mittelmeer überführt, auch Einhand, also allein an Bord. Das trifft bei ihm besonders zu, da seine linke Hand gelähmt ist. Er schafft an Bord mit seiner rechten Hand mehr, als andere mit beiden Händen.
Im Juni fahren wir auf der A7 über Leer nach Harlingen. Dieser holländische Hafen liegt etwas nördlich der großen Seeschleuse, die das Ijsselmeer von dem westfriesischen Wattenmeer trennt. Unser Schiff liegt im Zuiderhafen, einer ehemaligen Gracht, die von kleinen zweigeschossigen Häusern gesäumt ist. Bevor wir einchecken, besuchen wir noch „de stenen Man“, den Steinmann.
Dieses zweiköpfige Monument aus Gusseisen auf einem Steinsockel ist ein nationales Kulturdenkmal, errichtet 1774 erinnert es an den Initiator der Deicherneuerung von 1576. Es steht etwas südlich vom Zuiderhafen auf dem Außendeich.
De stenen Man von 1774 / Harlingen
Am alten Leuchtturm vorbei gehen wir zum Fischereihafen. Hier gibt es einen Imbiss mit frischem Fisch aller möglichen Zubereitungen. Die Harlinger Fischer fangen vor allem Muscheln, Austern und Krabben, aber auch guten Seefisch. Satt gehen wir zurück zu unseren Schiff.
Das Check-In geht flott, wir übernehmen das Schiff und bunkern die mitgebrachte Verpflegung. Dann ist es soweit.
Beim Tower melden wir uns ab, die Schleuse wird geöffnet und wir fahren ins Wattenmeer.
Jetzt heißt es „Nase in den Wind und Blick auf den Horizont“. Zuerst fahren wir vorsichtig unter Maschine, denn es ist Niedrigwasser, d.h. mit der Ebbe ist das Wasser fast fünf Stunden lang von der Küste weg zur Nordsee geflossen. Überall sind große Flächen des Wattenmeeres trocken gefallen. Wenn wir abkürzen wollen, müssen wir die Insel Texel südlich passieren. Bis Texel sind es ca. 15 Seemeilen, in drei Stunden gut zu erreichen. Das Wetter ist gar nicht friesisch feucht, es scheint die Sonne bei kühlen 15°C. Albert steht am Ruder und versucht die Stangen, die die Fahrrinne begrenzen, rechtzeitig zu erkennen. Sonst sitzen wir auf dem Sand. Im Salon ist es gemütlich warm. Arnold bereitet den Kaffee vor, es gibt Irish-Coffee nach seinem Spezialrezept. Alles Notwendige hat er mitgebracht. Über unserem Gaskocher karamellisiert er jeweils 2 Teelöffel Zucker im hitzebeständigen Glas. Dazu kommen 4 cl irischer Whisky, der ebenso erwärmt wird.
Aufgefüllt mit starkem Kaffee und etwas Sprühsahne obendrauf, serviert er uns das unter Bordbedingungen komponierte Getränk. Irish-Coffee wurde 1942 im Westen Irlands von Joe Sheridan, Chef eines Flughafenrestaurants erfunden. Die Iren nennen ihn auch Gaelic Coffee.
Der weltweite Durchbruch für den Irish-Coffee kam, als im Jahr 1952 das Café “Buena Vista” in San Francisco die Idee von Joe Sheridan kopierte. Wie ich Arnold kenne ist damit zu rechnen, dass dieses Getränk uns auf dem Törn noch öfter erfreut.
Wie geplant sehen wir in der Ferne den roten Leuchtturm der Insel Texel, die auch Eierland genannt wird. Leider nicht unser Ziel, denn ich hätte mir gern den Museumshafen angesehen. Wir wollen aber südlich von Texel bleiben und die Küste von Den Helder an Backbord lassen. Voraus liegt nur noch die kleine flache Sandinsel Noorderhaaks, die wir südlich passieren. Die Nordsee empfängt uns mit langen runden Wellen aus Nordwest. Der Wind ist moderat, trotzdem binden wir in das Großsegel das erste Reff ein. Ausgerefft ist schnell und mit der Fahrt über Grund von 5,8 Knoten können wir zufrieden sein. Unser Ziel ist jetzt London bzw. einer der Londoner Häfen in der Themse. Noch ca. 110 Seemeilen und wir haben die erste Etappe bewältigt. Bis dahin wollen wir das Segeln genießen. Es ist heute noch lange hell. Der Himmel hat im Blau eine leichte Zinnoberfärbung und der Wind flaut etwas ab, bleibt aber dann bei 4 Bft. Es wird wohl auch morgen schönes Segelwetter geben. In der Ferne sehe ich drei größere Schiffe, zwei Ro-Ro-Schiffe mit Kurs englischer Kanal und einen noch größeren Tanker, sicher mit Kurs Wilhelmshaven.
Segler im Ärmelkanal
Die fahren im Verkehrstrennungsgebiet TG/GB, abgekürzt für Terschelling / German Bight (Deutsche Bucht).
Diesen Zwangsweg müssen wir irgendwann kreuzen, wenn wir zur englischen Küste wollen. Und das geschieht wohl besser, wenn noch genügend Helligkeit da ist. Ich rufe also per Funk die Verkehrsleitzentrale Terschelling Traffic und bitte um Einweisung. Die Holländer am Funk sind nett und zeigen mir eine Lücke im Verkehr des Trennungsgebietes.
Das Queren ist insofern nicht einfach, da wir mit ca. 5 Knoten Fahrt unterwegs sind, die Frachter aber mit weit über 20 Knoten fahren und uns im Radar nicht immer erkennen.
Die Holländer orten uns per Satellit und leiten uns sicher hinüber. Es ist schon dunkel, als wir die Lichter der ersten Bohrtürme an der englischen Küste sehen. Zuerst dachte ich an Schiffsverkehr, konnte aber keine Positionslichter erkennen. Mal leuchtete ein einzelnes Licht, mal war der ganze Turm hell erleuchtet. Wir halten gut fünf Meilen Abstand und segeln nach Süden. Dreimal bin ich an dieser Küste gesegelt, Albert schon viele Male, als er Yachten nach Gibraltar überführt hat. Trotz gleichbleibendem Wind segeln wir nur noch mit 4 Knoten Fahrt. Der Gezeitenstrom steht uns entgegen. 24 Uhr ist Wachwechsel.
Albert geht in die Koje und ich übernehme das Ruder. Auf der Heckbank neben Arnold sitzend, beginne ich meine 2-Stunden-Wache. Arnold kontrolliert nochmal die Positionslichter, alles in Ordnung. Dann trägt er die Position in die Karte ein und geht auch in die Koje. Er hat die 2-4 Wache und möchte noch etwas ruhen.
Die Nacht ist nicht dunkel, man kann schemenhaft den Bug der Yacht erkennen. Das Land ist noch zu weit weg. Das hab ich mir immer gewünscht, nach Irland segeln.
Warum, weiß ich eigentlich nicht. Es ist nur so ein Gefühl. Die Art wie die Menschen leben, ist anders. Konservativ und doch weltoffen, wenig gesprächig und doch herzlich.
Besonders gegenüber denen, die das Meer liebt. Sie selbst leben ja auf einer Insel, vom Meer umgeben. Das erlebt man in ihren Liedern und Tänzen.
Fast ebenso geht es mir bei der schottischen Musik. Einmal, im Hafen von Chatham an der Themse, kam eine Gruppe direkt vors Schiff und spielte über zwei Stunden schottischen Dudelsack. Man sagte mir, das wäre ein Willkommen für fremde Segler, aus Tradition. Das glaube ich gern, denn ich hab schon ein paarmal erlebt, dass die Menschen auf den Inseln sehr traditionsbewusst sind. Leise summe ich „Red ist the Rose that in yonder garden grows….“
Die zwei Stunden sind ohne Probleme vergangen. Der Autopilot macht seine Arbeit, ich stelle einen heißen Tee auf die Back und ein paar Schnittchen. Dann wecke ich Arnold, übergebe ihm die aktuelle Position und er übernimmt das Ruder.
Es steht jetzt gerade ein mäßiger Wind gegen die Tide und ich höre das leichte Brechen der Wellenkämme als angenehmes Rauschen.
Hier habe ich zweimal schon heftiges Wetter erlebt. Mit der „SEDOV“ 1998 hatte die See eine Höhe von 4 Metern. Dagegen ist es heute friedlich. Ich trinke noch eine Mug Tee und verschwinde in der Koje. 05.30 Uhr werde ich munter. Wir haben eben 52° 30`Nord überquert. An Steuerbord grüßt der Leuchtturm Yarmouth mit seinem Licht herüber.
Die Stadt Yarmouth und seine Einwohner lebten früher vom Heringsfang. Heute lebt die Stadt vom Öl. Draußen vor der Küste stehen viele Bohrtürme. Es ist schon hell geworden und einige kann ich sehen.
Auch den Offshore-Windpark Scroby Sands. Er liegt nur 2 Seemeilen vor der Küste. Immer weiter geht es nach Süden. Jetzt beginnt die Strömung uns zu schieben, ein Zeichen, dass die Flut eingesetzt hat. Noch etwa 50 sm bis London. Die Farbe der Wassers im Kanal ist hellbräunlichgelb durch das Wasser der Themse. Am Vormittag sehen wir endlich die 7 km breite Mündung der Themse. Und die Nore-Sandbank mit dem davor liegenden Feuerschiff. Der sanft ansteigende Küstenstreifen ist lebhaft grün.
Dazwischen stehen Geschützstellungen aus dem zweiten Weltkrieg. Mit der weißen Farbe ihrer Mauern sehen die Befestigungen in der Sonne wie gerade gebaut aus. Wir segeln den breiten Fluss aufwärts. Die Themse ist ein sehr langsam fließender Fluss. So kommen wir gut voran. Am frühen Nachmittag stehen wir schon zwischen der Isle of Grain und Sheerness.
Sheerness ist die breite Einfahrt zum River Medway. Nach weiteren 2,5 Meilen nehmen wir nach 27 Stunden die Segel runter. An Backbord liegen die Docks von St. Mary`s Island, unserem Ziel. Bis zu den Londoner Docks scheint es mir zu weit. Außerdem habe ich schon zweimal auf der Towerbrigde gestanden. Ebenso am Big Ben und der Nelson-Säule.
Da ich uns per Funk angekündigt habe, öffnet sich die Gezeiten-Schleuse und wir fahren zum Liegeplatz. Nach 148 Seemeilen sind wir fest. Drei Büchsen Bier werden geöffnet, wir haben fast 15% unseres Törns geschafft. Da wir morgen Mittag weiter wollen, lassen wir uns mit dem Cab (Taxi) nach Rochester kutschieren. Eigenartig, dieses Taxi. Sieht aus wie ein Rover, hat eine Trennwand aus Maschendraht und hinten eine Holzbank. Sehr gewöhnungsbedürftig. In Rochester gehen wir ins Marinemuseum. Sehenswert, was die Briten da zusammengetragen haben.
Das nächste Taxi bringt uns nun doch nach London.
Natürlich besuchen wir Downingstreet 10. Danach möchte die Crew zum Pikadilly Circus und eine Fahrt mit der Londoner U-Bahn lockt. Ich mache mich auf den Weg zum Buckingham Palast. Vielleicht trinkt die Queen einen Tee mit mir.
Leider nicht. Aber ein Foto mit dem Bobby am Eingang fällt für mich ab. Die Crew ist inzwischen wieder bei mir angelangt und wir lassen uns zurück nach Rochester fahren. Dort suchen wir uns einen Pub. Der sieht von außen schon gemütlich aus, ist es auch drinnen. Es ist gerade mal 19 Uhr und hier geht schon die Post ab. Viel mehr Gäste als Stühle zähle ich. Das macht auch nichts, da viele zwischen Theke und Tisch hin und her pendeln, einige stehen immer und andere sitzen auf der Tischkante. Ich hoffe, dass sich keiner auf mein Whiskyglas setzt. Aber die Leute sind erstaunlich freundlich, obwohl sie uns sofort als Fremde orten. Oder vielleicht deswegen?
Kurz darauf kommen neue Gäste und bringen Kartons mit Speisen. Offensichtlich eine private Feier. Wir werden mehrmals aufgefordert, in die Kartons zu greifen und zu essen. Ab und zu stellt mir jemand ein großes Bier hin. Ich versuche, mich in dem Lärm mit einem älteren Briten zu unterhalten. Edward wohnt in dieser Straße und ist hier auch geboren. Seit vierzig Jahren arbeitet er in den Docks.
Natürlich haben alle hier an unseren Ölzeug-Jacken gesehen, dass wir Segler sind, sagt er.
Zwanzig Minuten vor 23 Uhr ruft Edward mir zu:
„Last Order“. Ganze Batterien von vollen Biergläsern schweben durch den Raum. Kurz vor 23 Uhr singen die Gäste „God save the Queen“.
Gleich darauf ist das Lokal leer. Wir stehen vor dem Pub und beraten, wie wir zurück kommen. Es sind zwar nur 4 km, aber in unserem Zustand beschwerlich. Da kommt ein Taxi, „Greetings from Edward“ ruft der Fahrer.
Auf unserem Schiff angekommen, müssen wir natürlich noch auf Edward anstoßen. Dann schlafe ich tief und traumlos, bis mich ein Fluch von Albert weckt. Es ist zehn Uhr, aber deshalb flucht er nicht. Es regnet und wir haben das Oberlicht aufgelassen, schön nass ist es jetzt im Salon.
Zum Frühstück mache ich ein Glas Rollmops auf, dazu gibt es Schwarzbrot. Ein schnelles Frühstück. Arnold gibt sich dafür mehr Mühe. Er zaubert wieder für jeden einen Irish Coffee. Jetzt sind wir putzmunter.
Zwei englische Kriegsveteranen, an ihren alten Uniformen erkennbar, stehen vor unserer Yacht und helfen uns beim Ablegen. Dann winken sie freundlich und schauen uns nach. Wir motoren den Medway-River stromab bis zur Einmündung in die Themse. Vor uns liegen 190 Seemeilen bis Plymouth.
Zu unserer rechten liegt die Isle of Sheppey, eigentlich keine richtige Insel, sie ist nur durch ein kleines Flüsschen vom Festland getrennt.
Zur Mittagszeit steht unsere Yacht bereits auf der Position 51° 05`N und 001° 28`E. Vor uns liegt die Straße von Dover, der engste Teil des Ärmelkanals. Sie ist 17 Meilen (27,4 km) breit. Die Straße von Dover gehört zu den Schifffahrtswegen mit dem dichtesten Schiffsverkehr der Welt (ca. 400 Schiffe pro Tag). Die kürzeste Fährverbindung ist zwischen den Häfen Calais in Frankreich und Dover in England. Unter der Straße von Dover verläuft der 1994 eröffnete Eurotunnel.
Für Schiffe ist diese Engstelle nicht ungefährlich. Nicht nur wegen des dichten Verkehrs. Hier gibt es eine Reihe von Sandbänken und gefährlichen Untiefen. So etwa in der Nähe der englischen Küste die berüchtigten Goodwin-Sands und die Varna-Sandbank und in der Mitte der Straße von Dover die Sandettie-Bank. Alle sind natürlich durch Großtonnen und Feuerschiffe gekennzeichnet. Aber was nützt das bei dem hier oftmals herrschenden Nebel oder starkem Sturm?
Da heißt es für uns exakt zu navigieren und sich von den Routen der Großschifffahrt fern zu halten.
Wir haben wirklich Glück mit dem Wetter. Trotzdem sind wir alle drei an Deck und beobachten den Verkehr. Alle 30 Minuten trage ich die aktuelle Position in die Seekarte ein. Wir sind richtig froh, als Dover hinter uns liegt.
Jetzt navigieren wir in Sichtweite der Küste Richtung Brighton und Southampton. Der Hauptschifffahrtsweg liegt nun außer Sichtweite.
Nur Trawler kreuzen ab und zu unseren Weg. Bis Plymouth sind es noch fast 24 Stunden, wenn Wetter und Wind es erlauben. Also viel Zeit, über unseren Törn und unser Leben nachzudenken. Gesprächsstoff auf See ist das Wetter, die Navigation, der nächste Hafen, vergangene Erlebnisse oder Frauen. Albert spricht es zuerst aus. „Schade, dass wir nur Männer an Bord sind.“ sagt er bedauernd.
„Ja“ unterstützt ihn Arnold „Wir hätten viel mehr Gesprächsstoff und Spaß.“
„Vielleicht eine wilde rothaarige Irin?!“ spinnt Arnold den Faden weiter. „Genau“ pflichtet ihm Albert bei. „Hand für Koje“ und lacht anzüglich.
Dabei haben wir alle drei liebe Menschen zu Hause, die auf uns warten. Aber so ist das nach einer Woche auf See.
Diese Gedankenverbindung bewirkt, dass er flugs im Salon verschwindet. Am Klappern der Gläser erkenne ich, dass der Irish-Coffee in Arbeit ist. Es ist doch gut, Arnold angeheuert zu haben. Dann sitzen wir im Cockpit und schweigen. Nur ein paar große Seevögel begleiten uns. Auf der Höhe von Southampton kreuzt eine große Yacht unseren Kurs. Schonergetakelt und etwa 80 ft groß. „Wir haben den Wind an Steuerbord“ ruft Arnold „ der muss ausweichen!“ Recht hat er.
Aber die Yacht segelt locker 20 Knoten und hat weit voraus unseren Kurs gekreuzt. Ein herrlicher Anblick, bei weit über 400 qm Segelfläche.
Träumen dürfen wir ja. Auch von der rothaarigen irischen Braut. Am späten Nachmittag kommt die Isle of Wight in Sicht. Noch ein oder zwei Stunden, dann sehen wir auch die berühmten Needles, drei längliche Kreidefelsen am westlichen Ende der Scratchell`s Bay.
The Needles
Am äußeren Ende steht der Leuchtturm Needles Lighthouse. Bis 1764 gab es noch einen alles überragenden vierten nadelförmigen Felsen, von dem die Gruppe ihren Namen erhielt. Der Felsen stürzte im Sturm um. Die weiß leuchtenden Felsen halten unsere Blicke noch einige Zeit gefangen. Noch 76 sm bis Plymouth zeigt mein GPS.
Und es wird langsam Nacht.
Ich gehe in die Koje und freue mich auf Irland.
Albert wird wieder die erste Wache übernehmen. Obwohl uns die Tide am Morgen entgegen steht, also Flut herrscht, sollten wir Plymouth am Vormittag erreichen. Wir müssen durch den Plymouth Sound in den Tamar-River. Die Stadt ist heute Standort der königlich-britischen Marinewerft mit dem größten Marinehafen Westeuropas. Aber soweit kommen wir gar nicht.
Wir machen im Yachthafen fest, um unsere Vorräte zu ergänzen und Wasser zu tanken. Was ich nicht wusste: Etwa ein Kilometer südwestlich der Stadt liegt die Insel Drakes Island im Plymouth Sound. Von hier aus startete die englische Flotte 1588 zum Kampf gegen die spanische Armada.
Ich setze mich neben Albert und freue mich über das beständige Wetter. Albert ist einige Jahre älter als ich und beruflich viel unterwegs gewesen. Jetzt hat er die für das Segeln auf langen Strecken nötige Ruhe. Wenn ich mich über unzuverlässige Zeitgenossen oder Freunde, die keine sind, aufrege, dann zitiert er Sokrates: „Bedenke, dass die menschlichen Verhältnisse unbeständig sind. Dann wirst du in glücklichen Zeiten nicht übermütig-fröhlich und in unglücklichen Zeiten nicht allzu traurig sein.“
Später habe ich oft an diesen Spruch gedacht und an Albert. Er muss meine Gedanken gespürt haben, denn er fragt:
„Alles klar?“ Und ich antworte „Alles klar vorn und achtern“.
„Ja, ans Singen und Tanzen und Whiskytrinken“ sage ich leise. „Wie heißt sie denn?“ fragt er scherzhaft.
Ich antworte „ Molly Malon“
Jetzt muss auch er lachen und wir summen beide das irische Volkslied von Molly Malon, der Fischverkäuferin.
“In Dublin's fair city, where the girls are so pretty, I first set my eyes on sweet Molly Malon………”
Im Ärmelkanal, zehn Stunden vor Plymouth in dunkler Nacht.
Ich hole uns einen Irish-Coffee nach meinem Rezept, ohne Zucker, ohne Kaffee und ohne heißes Wasser. Schmeckt auch so.
Albert hebt sein Glas und ich meins. Ohne Worte.
Wir verstehen uns, denn wir sind Segler, die die See lieben. Schade, dass Arnold in der Koje ratzt. Er hätte gut mitgehalten. Aber er hat bald Wache und muss fit sein.
Zumal etwas Nebel aufgezogen ist. Kein untypischer Vorgang im englischen Kanal. Vereinzelt hört man schon den tiefen Ton röhrender Typhons (Schallsignalgeräte). Es wird gut sein, wenn wir die Wache zu zweit gehen. Vier Augen sehen mehr als zwei, sagt das Sprichwort. Noch haben wir keine Schiffe in Sicht. Ich schalte das Radar ein, obwohl es viel Strom verbraucht. Ja, ich bin beruhigt. Keine Echos im 5-Meilen-Radius, also kein Schiffsverkehr in unserer Nähe.
Als Arnold zur Ablösung kommt, mache ich uns Dreien einen sogenannten „Mittelwächter“, einen Imbiss um Mitternacht. Dicke Gulaschsuppe, schön heiß, mit geröstetem Weißbrot. So könnte ich immer weiter segeln. Wer braucht schon den Stress an Land?
Albert macht noch zwei Stunden Ausguck für Arnold und ich lege mich hin. Meine Wache beginnt um 2 Uhr. Noch im Einschlafen denke ich darüber nach, wem ich sonst noch mein Leben anvertrauen würde, nachts im englischen Kanal. Viele Namen fallen mir da nicht ein. Vielleicht Klaus-Dieter aus Rostock oder Horst, der Fischer.
Skipper (lks.) und Klaus-Dieter (auf einem früheren Törn)
Das Arbeiten der Yacht in den Wellen begleitet mich in den Schlaf. Tief ist er nicht, denn auf See spürt ein Skipper jede Änderung von Windrichtung oder Seegang im Schlaf.
Zwei Stunden nach Mitternacht weckt mich Albert auf dem Weg in seine Koje. Ich übernehme von ihm die Wache.
„Nichts Besonderes, keine Fahrzeuge in der Nähe“ berichtet er. Die Sicht ist jetzt aber deutlich unter 1000 Metern. Ich schaue mir das Radar-Bild an. Ein Mitläufer ist an Backbord zu erkennen, aber in 4 Meilen Entfernung. Seine Lichter sind im Nebel nicht zu sehen. Die Luft ist jetzt etwas wärmer, könnte schon ein Gruß des Golfstroms sein.
Auf dem Deck können wir uns nicht bewegen, in den Böen beträgt die Krängung über 15 Grad. Muss ja auch nicht sein, die Segel stehen gut.
Am Wind
Arnold setzt sich neben mich. Wir haben uns während seiner Ausbildung zum Skipperschein(SKS) kennengelernt und sind seitdem viele Törns zusammen gesegelt. Adria, Dänemark und friesische See. Und immer wieder Ostsee.
Da waren wir noch einige Jahre jünger und haben die Seefahrt genossen. Auch Arnold schwelgt in Erinnerungen und beginnt zu erzählen.
Früher ist er zur See gefahren, dann irgendwann an Land geblieben. Doch die Seefahrt lässt ihn nicht los. So hat er mit seinem ehemaligen Arbeitskollegen Albert, sie arbeiteten in der gleichen Behörde, schon viele Male gemeinsam Yachten überführt. Dabei denken wir auch oft in unseren Gesprächen an Klaus-Dieter, der mit uns auf der „Bornrif“ fuhr.
Und mit solchen Männern wie Albert, Arnold und Klaus-Dieter bin ich unterwegs.
Als unsere Wache langsam zu Ende geht, erscheint am Himmel ein heller Streifen im leichten Nebel. In einer halben Stunde ist Sonnenaufgang, vielleicht sehen wir heute die Sonne wieder. Schemenhaft sehen wir den Leuchtturm Eddystone Rock, nicht weit vor Plymouth.
Was wir noch nicht sehen sind die Pylone der zwei Leuchttürme Plymouth Sound, obwohl wir schon nahe sind. Als der an Steuerbord stehende dann plötzlich direkt vor uns auftaucht, sind wir doch überrascht.
Jetzt packen wir die Segel ein und laufen unter Maschine in die Mündung des Tamar-Rivers.
Nach 34 Stunden auf See sind wir dann im Hafen fest. Arnold bringt uns eine Runde Bier aus unseren Vorräten, bevor er daran geht, das Schiff aufzuklaren, Mit Albert gehe ich einkaufen, denn wir wollen möglichst bald wieder auslaufen.
Fünf Stunden brauchen wir mindestens bis Lands End.
Diese Landzunge ist der westlichste Punkt Englands. Vor und in den Klippen von Lands End befindet sich aufgrund der exponierten Lage ein Schiffsfriedhof. Viele Schiffe liegen hier unter der Wasseroberfläche. Im Sturm gestrandet. Noch weitere 22 Meilen südöstlich befindet sich der südlichste Punkt Großbritanniens, Lizard Point. Dann komm Cap Cornwall und wir haben es geschafft. Hier beginnt die Irische See. Also los die Leinen. Am Hafen winken uns einige Menschen bei der Ausfahrt nach. Auch die Frau mit dem grünen Parka und blonden Haaren. Vorhin am Hafen hatte sie mich gefragt, wohin wir segeln. „Dublin“, habe ich gesagt.
„Good luck“ hat sie geantwortet.
Nun sind wir wieder draußen. Die See ist etwas rauer, aber noch gut zu besegeln. Bis Cork in Irland liegen nun ca.135 Seemeilen vor uns. Volle 24 Stunden. Ich trage das Logbuch nach, Albert kontrolliert das Rigg und Arnold steuert. So nähern wir uns Lands End, dem letzten Punkt der alten Welt. Hier haben sich früher die Auswanderer von Europa verabschiedet. Für uns heißt es jetzt wieder Kurs Nordwest, dem Wetter entgegen. Die Sicht ist klarer geworden, aber es ist stürmisch. Gut, dass wir ein Reff eingebunden haben. Das gleichmäßige Segeln mit achterlichem Wind im Kanal ist vorbei. Unser Schiff tanzt wie ein Rodeopferd. Ich falle etwas vom Wind ab und es wird besser. Das Cockpit ist klatschnass. In den Unterlieken der Segel fängt sich das überkommende Wasser und läuft dann übers Deck und durch die wasserspuckenden Speigatts wieder ab. Wir hocken im nassen Ölzeug frierend mit den Lifebelts gesichert auf der Heckbank. Warum tun wir uns das an? Eine Antwort darauf gibt es nicht.
Man tut es oder man lässt es. Wir tun es für dieses einmalige Gefühl. Wir respektieren dieses tausendmal stärkere Element, das Meer und es respektiert uns. So sitzen wir nachts in der Gischt der Brecher, in uns gekehrt. Wieder ein besonders hoher Brecher. Das Meer brodelt weiß um uns herum.
Ein Lied fällt mir ein. Ein irisches Lied, was sonst.
Es heist „Two steps from Heaven, two steps from Hell…“
Die Morgensonne schleicht sich an meinen Rücken heran
Was ich getan habe, kann ich nicht zurücknehmen
Ich lasse den Kopf beschämt hängen
Was vergangen ist, kann sich nicht wiederholen
Ich war zwei Schritte vom Himmel entfernt,
Zwei Schritte von der Hölle
Bewahre mich vor meinem Urteil,
Bitte rette mich vor mir selbst
Die Sonne wird aufgehen, aber die Zeit steht still
Ein leeres Glas werden die Dämonen auffüllen
In meinen Augen sehe ich einen anderen Mann
Was einmal Stein war, ist zu Sand geworden
Wenn du zwei Schritte vom Himmel entfernt bist,
Zwei Schritte von der Hölle
Kann dich keiner retten,
Außer du rettest dich selbst
In der Nacht, wenn du dich mir zuwendest
In einer Nacht voll zerbrochener Träume
Öffne ich mein Herz, dir gegenüber
Und lass es singen, singen, singen
I was two steps from heaven, I was two steps from hell……………..
Stunde um Stunde dieses Rollen und Stampfen. Wir gewöhnen uns langsam daran. Gut, dass Arnold die Kaltverpflegung vorbereitet hat. Das Kauen macht uns wieder lebendig. Wir tun etwas. Als er dann noch eine große Kanne mit heißem Tee herbei holt, hat das Leben wieder Gin, wie mein Freund Mike immer scherzhaft sagt. Ich berechne den Kurs. Durch das ständige Kreuzen werden wir nicht Cork anlaufen können, sondern Waterford. Das liegt günstiger. Mitternacht ist längst vorbei. Ein einsames rotes Licht taucht an Backbord auf. Ein Entgegenkommer unter Segeln, sicher auch eine Yacht.
Der fremde Skipper sieht unser Licht und wird sich fragen „ Was wollen die bei diesem Wetter in Irland?“
Wir wissen es selbst nicht genau, denn das Ziel ist die Fahrt, nicht ein Ort. Ein Regenschauer rauscht über uns hinweg. Das Trommeln der Tropfen auf dem Sprayhood klingt wie eine Melodie. Genau so schnell wie der Regen kam, verschwindet er wieder. Die dunkelgraublauen Wolken am Himmel bekommen jetzt einen zart ziegelroten Hauch. Das Wetter wird besser.
Zwei Stunden später können wir schon zu dritt im Salon frühstücken, der Autopilot tut seine Arbeit. Dann schauen wir uns die Seekarte an. Noch drei Stunden bis zur Mündung des Flusses Suir. Flussaufwärts liegt Waterford.
Die Stadt wurde im 9. Jahrhundert von den Wikingern gegründet. Sie war Irlands erste Stadt, die diese Bezeichnung verdiente. Heute ist sie die fünftgrößte der Republik Irland.
Was wir am Nachmittag zuerst sehen, ist Hook Lighthouse, der Leuchtturm an der Mündung des Suir River. Es ist Zeit, die Segel zu bergen. Wir sind in Irland. Stolz setzen wir die irische Flagge an Steuerbord.