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Der Autor und begeisterte Segler beginnt nach über 40000 Seemeilen und 74 Jahren die Höhen und Tiefen seiner Lebenszeit auf einem Langtörn aufzuarbeiten und gerät dabei in manches neue Abenteuer, lernt aber auch echte Kameradschaft kennen.
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Seitenzahl: 185
Veröffentlichungsjahr: 2019
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Ich bin der Albatros,
der am Ende der Welt auf dich wartet.
Ich bin die vergessene Seele der toten Seeleute,
die Kap Hoorn ansteuerten von allen Meeren der Erde.
Aber sie sind nicht gestorben im Toben der Wellen,
denn heute fliegen sie auf meinen Flügeln in die Ewigkeit,
mit dem letzten Aufbrausen der antarktischen Winde.
Sara Vial, chilenische Dichterin
Prolog
Der Plan
Männerfreundschaft
Segeln ist die beste Medizin
Das war knapp
Kurs Galicien
Gespenster
Palos ruft
Warum nicht Alicudi?
Syrakus
Der Weg ist das Ziel
Der Himmel kann warten
Dalmatien als Zugabe
Abschied
Zwölf Meilen bis zum Himmel, aber nur zwei bis zur Hölle. Eine abenteuerliche Geschichte auf See.
Sie erzählt von drei sich völlig fremden Männern, die das Schicksal und die See zusammen führte, rein zufällig und in grenzwertigen Situationen. Jeder von ihnen hat Brüche im Leben, die er verarbeiten will und muss. Ganz in Ruhe segeln, nur segeln, ihre Träume leben, ihre Seelen heilen, mehr wollen sie nicht. Dass es trotzdem ein verdammtes Abenteuer werden würde, konnten sie nicht ahnen. Draußen auf See haben sie sich gefunden, unter Umständen, die sich keiner wünscht. Da es das Schicksal so wollte, wollten sie es auch. Ein Langtörn sollte es werden, vom schottischen Aberdeen bis zum italienischen Triest. Nicht als Abenteuer gedacht, nur zur Ruhe kommen, die Probleme aus der Ferne betrachten. Nein, auch Kap Hoorn, der Ritterschlag für alle Segle, sollte es nicht sein. Es wäre auch sehr vermessen, im letzten Viertel ihres Lebens auf einer mittelgroßen Serien-Yacht von der Nordsee nach Südamerika und wieder zurück segeln zu wollen. Vor 30 Jahren wären sie sicher begeistert dabei gewesen, heute lieben sie es ruhiger. Mehrere Orkane, die in den Jahren über sie hinweg gebraust sind, bei Jedem anders, reichen ihnen. Und doch liegen auf ihrem Törn überraschende Abenteuer wie Steine am Strand.
Am Ziel wissen sie, es sind immer zwölf Meilen bis zum Himmel aber nur zwei Meilen bis zur Hölle.
Es war so ein Gefühl dass es an der Zeit wäre zu verschwinden. Auslöser war nicht etwa eine midlife crisis, dafür bin ich zu alt. Ich habe die mindestens tausend Enttäuschungen, die das Leben bereit hält, schon hinter mir, bin im bescheidenen Rahmen glücklich. Also warum zum Teufel sollte ich dann weg wollen?
Ein anderes Leben beginnen, klingt banal, ist keine Erklärung. Die meisten Menschen haben ja nur das eine.
Es könnte auch eine Therapie für mein geschundenes Ich sein, für die Ängste und Enttäuschungen, für die Wut und Trauer, eine Analyse meiner zahlreichen Fehler, eine Ruhepause für die ermüdete Seele im Kampf des Lebens und Zeit für eine Bilanz.
Vielleicht kehrt dann die Ruhe und Sicherheit in mein Leben zurück, auch das Glück.
Aber vielleicht ist es auch nur die Sehnsucht, die erlebten schönen Stunden auf See dauerhaft zu genießen!?
Vergesse ich dabei nicht die Momente, in denen ich geflucht und geweint habe? In denen ich mein ganzes Können aufbieten musste, um die wahnsinnig gewordene See zu beeindrucken?
Und nicht mehr zu wetten gewagt habe, dass ich durchkomme?
Doch das alles zählt nicht mehr, wenn man mit Macht wieder hinaus will, einen Langtörn plant. Es ist nicht einfach dafür andere Segler zu begeistern, die Guten segeln am lieber allein oder mit wirklich guten Freunden. Aufschneider und Abenteurer braucht man nicht auf See.
Ein Törn, der vielleicht viele Monate dauert, hat auch Zeit für eine gute Vorbereitung, dachte ich mir. Also zuerst mal ein stabiles Schiff suchen, möglichst alt, mindestens so alt wie ich. Dachte, es lässt sich sicher eine gute Beziehung zwischen Gleichaltrigen aufbauen. Aber wo ist dieses Teil zu finden?
Das Schiff sollte robust, sicher, leidlich schnell sein und dabei wenig kosten. Wobei „wenig“ relativ ist, Schiffe dieser Kategorie haben einen mittleren sechsstelligen Preis. Aber träumen darf man ja.
Schon zwei turbulente Wochen später verlasse ich die Fähre in Aberdeen, viel größer als erwartet und auch schöner finde ich die Stadt vor. Imposante Gebäude aus silbern glitzerndem Granit prägen das Stadtbild. Mein erster Bummel durch die Quays endet vor dem Douglas Hotel am Ende des Regent Quay. Hier am Hafen bin ich richtig, fühle ich mich wohl, denke ich noch, um bald darauf einzuchecken.
Vom Zimmer aus ist ein ganzes Stück vom Hafen zu sehen. So ein Hafen ist für mich ein Ort um die Augen zu unterhalten ohne sie zu übermüden. Durch das halb geöffnete Fenster dringt gedämpfter Arbeitslärm, überlagert das aufdringliche Quietschen der Kräne. Nur die Schreie der gefräßigen Möwen und das röhrende Typhon eines nicht sichtbaren Hafenschleppers übertönen diese Klangkulisse. Es riecht nach Freiheit.
So stand ich schon in vielen Häfen mit diesem kleinen angenehmen Rausch der Seele, denke nicht, träume auch nicht.
Das Sein verströmt, ich bin die tauchende Möwe, die Gischt, die zwischen zwei Wogen in der Sonne schwebt. Alles, nur nicht ich selbst.
Wie viele solcher Momente hat mir die See schon geschenkt?
Wenn sie sanft ist, denke ich wie der alte Mann bei Hemingway an "la mar“.
„Man sagt es auf Spanisch, wenn man die See liebt. Manchmal sagt einer, der sie liebt, böse Dinge über sie, aber er sagt es immer so als ob es sich um eine Frau handele“, sagte Hemingway einmal.
Nach ein paar Minuten finde ich wieder zurück in das Jetzt dieses schmucklosen Hotelzimmers, will als nächstes lange duschen, auf dem Bett liegen und versuchen zu ruhen, aber es klappt nicht, bin zu aufgewühlt.
Vor vielen Jahren bin ich mal nachts an dieser Küste vorbei gesegelt, sah nur die zarte Lichtglocke in der Ferne über der Stadt. Geheimnisvoll, wie ein Gruß für die da draußen mit schwerer See kämpfenden.
Erinnerungen.
Ein gesunder Hunger treibt mich bald wieder in die Altstadt, intuitiv zur Kneipenmeile, die Auswahl dem Zufall überlassend. Eine offene Tür, eine schöne Fassade, etwas Musik, das reicht schon. In der Silver Street Nr.13 sticht mir gewaltig „The Globe Inn“ ins Auge, eine hübsche Altstadtkneipe mit rockiger Musik.
Obwohl der Raum nicht sehr groß ist, verlieren sich die wenigen Tische fast, bei nur etwa zwei Dutzend Sitzplätze, dafür dominiert die Theke mit einem gewaltigen Tresen. Zehn kantige Männer, sicher Stauer vom nahen Hafen, stehen hier und trinken ihr Bier. Alle Sitzplätze an den Tischen sind voll belegt.
Nein, in einer Ecke ist noch ein Platz am Tisch frei. Dort sitzen, in lebhaftem Gespräch vertieft, zwei Männer und eine Frau, sicher Hafenarbeiter und die Frau vieleicht Verkäuferin oder etwas Ähnliches. Einer der longshoreman, ein lang auf-geschossener mit kantigem Gesicht, schaut herüber, winkt mir ein o.k. zu und zeigt auf den freien Platz.
Also hole ich mir vom Grill einen Fleischspieß mit Gemüse und einen Spieß mit Scampies, setze mich zu ihnen und genieße.
Erst als keine Bedienung kommt erinnere ich mich, dass man hier sein Bier selber holen muss. Fast alle trinken Caledonia Beer, Schottlands Bier Nr.1, also her damit. Doch schon der erste Schluck reicht, es riecht schlecht und der Geschmack ist auch durchschnittlich, ein zweites werde ich mir nicht holen. Das Essen aber schmeckt fantastisch, alles frisch und knackig.
Danach ein zweiter Bierversuch, dieses Mal ein „Red Kid Ale“, ein dunkles irisches. Ein altes schottisches Sprichwort sagt zwar, man soll kein Bier trinken, das schwärzer als die eigene Seele ist. Dann ist dieses Stout hier gerade noch erlaubt, tiefschwarz, voll malzig, rund und mit einem tollen Hang zur Bitterkeit. So wie das Leben manchmal schmeckt. Ein Hoch auf das Leben und dieses Bier.
Das fängt ja gut an, zufrieden grunzend lehne ich mich zurück. Einer der Männer, der große kantige, nicht unsympathisch, geht an den Tresen und holt drei Caledonia sowie ein Red Kid für mich. Sehr freundlich denke ich, die kennen mich doch gar nicht.
„You´v not problems“ stellt der Große fest und nickt mir zu. Wenn der wüsste, mein ganzes Leben ist ein einziges Problem. Aber im Augenblick wird ein Schiff gesucht und das Geld dafür. Der Große scheint Gedanken lesen zu können.
„Ich bin John und bin dabei, mein Schiff zu verkaufen“, sagt er leidenschaftslos. „Schau es dir an. Ist es nicht schön? Und Robert zögert noch“.
Robert ist also der andere Typ mit der netten Frau, kombiniere ich. John reicht ein Bild von seiner Yacht herüber, ein mir nicht geläufiger Schiffstyp. Sieht stabil aus, mit dem verlängerten Mittel-Cockpit ziemlich groß.
„Ja, ein solides Schiff“, bestätige ich.
Die drei sprechen weiter und können sich offensichtlich nicht einigen. Immer wieder muss ich auf das auf dem Tisch liegende Bild schielen. Sieht aus wie eine „Royal Huisman“. So ein Schiff kann ich nie bezahlen, obwohl es vermutlich ziemlich viele Jahre auf den Planken hat. Träum weiter, denke ich noch. Lieber zum Schluss ein Red Kid und natürlich drei Caledonia. Cheers.
Später ein kurzes „Bye“ und ein ebenso kurzer Weg zum Hotel. War ein schöner Abend.
Der nächste Vormittag sieht mich schon wieder aktiv durch Aberdeen schlendern. Was beeindruckt mich an der Geschichte Schottlands am meisten? Das war offenbar die Geschichte von Alexander Stuart und der Elgin Cathedral in Aberdeen. Von der zweitgrößten Kathedrale Schottlands steht heute nur noch eine Ruine, die die einstige Pracht noch erahnen lässt. Erbaut im Jahre 1224 nannte man sie ein Leuchtfeuer für die Christen Schottlands. Mit Gewalt vergrößerte Alexander Stuart ständig seinen Machtbereich. Dabei schreckte er auch nicht davor zurück, sich mit dem Bischoff von Moray anzulegen. Dieser verhängte über ihn die Exkommunikation. Darauf erreichte Alexander 1390 mit großer Streitmacht Aberdeen und brannte die Elgin Cathedral nieder. So brutal lief das damals. Ich stehe staunend vor den Ruinen, alles atmet hier Geschichte.
Die Ruine der Elgin Cathedral
Nach einem nachdenklichen Gang durch die alten Mauern ist noch Zeit für die uralten Grabstätten. Die Zeit vergeht wie im Flug. Inzwischen ist es später Nachmittag geworden.
Eigentlich ist teatime schon fast vorüber. Was in Deutschland „Fünf-Uhr-Tee“ genannt wird, heißt in Schottland „afternoon tea“. Egal wie man es nennt, dort im Pavillon vor dem alten Gemäuer sitzen Schotten beim Tee und ich setzte mich dazu.
Auf dem Tisch steht eine Schale mit goldgelben Scones, eine Art Pfannkuchen, gefüllt mit Käse oder Konfitüre. Einfach lecker.
Hier fühle ich mich wohl, die Probleme der letzten Jahre, alles was mich nachts quält, sind hier vergessen. Der ganze Scheiß bleibt außen vor und dieses „was-geht-mich-die–Welt-an-Gefühl“ stellt sich bei mir ein.
Dieser Tee ist göttlich, es fühlt sich an als ob einem ein Engel auf die Zunge pinkelt, denke ich noch. Glückliche Menschen von der Insel. Das Summen der Stimmen dringt kaum noch zu mir, ich bin im Moment in einer anderen Dimension.
Warum habe ich eigentlich die Welt retten wollen? denke ich, in einer Zeit, in der zu viele nur an sich denken. Es war mein Traum, etwas Gutes zu schaffen, aber auch die Sucht nach Anerkennung und das ging gründlich in die Hose.
Seitdem bin ich an Land misstrauisch geworden gegen jede Annäherung. Der Dalei Lama hat einmal gesagt: „Wer einmal von einer Schlange gebissen wurde, der fasst selbst ein Seil nur ganz vorsichtig an.“ So geht es mir. Später auf See wird die Zeit mir Zeit geben, mein Leben zu analysieren.
Das schrille Lachen einer Frau reißt mich aus dem Gestern. Das ist doch das Pärchen vom letzten Abend.
„Heute wieder auf ein Red Kid?“ fragt die nette Frau.
Unbewusst und mechanisch antworte ich „Ja, gerne.“
Dabei wollte ich doch ein Schiff suchen und der Hafen ist so groß, das dauert.
Auf dem Weg zum Hotel sehe ich am Waterloo Quay das Schiff von Johns Bild gestern Abend. Tatsächlich, es ist eine Royal Huisman 55, nicht mehr ganz neu mit Beulen und Kratzern, genauso wie ich.
Im Weitergehen sagt eine Stimme „Bleib!“
Seit wann sprechen Schiffe? wundere ich mich und bleibe dann doch stehen und schaue eine Weile hinüber.
Nein, mit fast 17 Meter Länge ist die Yacht viel zu groß und nicht bezahlbar.
Aber ein bisschen traurig bin ich schon und werde mir heute keine Schiffe mehr ansehen, mir würde keines gefallen. Also bleibt am Abend noch der Weg zum „Globe Inn“.
Vielleicht kommt John wieder, würde mich freuen und werde ihn fragen, wie ein Stauer zu so einem Schiff kommt, es interessiert mich einfach.
Ja, das Schiff ist verdammt alt, weit über 50 Jahre. Ein Aluminium-Werftbau, soviel sieht man, streng im Verhältnis 1:4 gebaut, sehr flache Aufbauten, kräftiges Rigg. Mit so einem Schiff kannst du alt werden.
Als ich später das „The Globe Inn“ betrete, fragt mich John „Why are you smiling?“
Ich bin mir gar nicht bewusst zu lächeln.
„Did you see something nice?” legt John nach.
Oh ja, ich habe etwas Schönes gesehen, murmele ich, aber wenn man auch nur eine ganz winzige Chance sieht, etwas zu erwerben, soll man es nicht vor dem Verkäufer loben.
Die Stimmung ist heute ausgelassen und gelöst. Unweit der Theke jammen Folkmusiker auf gälisch.
John erzählt mir etwas enttäuscht, dass es mit Robert nicht zum Verkauf gekommen ist. Mein Lächeln wird breiter. Schnell stehe ich auf und hole ein Red Kid und ein Caledonian für John vom Tresen. Würde ein Whisky dazu passen? Jetzt schon? The barman bemerkt das Zögern und den Blick zur Whiskyflasche. „From the Northern Highlands?“ fragt er. Auf das zustimmende Kopfnicken holt er eine Flasche „Dalmore Single Malt“, stellt ein schweres Glas auf die Theke zum Kosten. Auf dem Etikett ist „21 years old“ zu lesen und der Name „King Alexander“. Sofort denke ich wieder an Alexander Stuart und die Elgin Cathedral. Der Whisky riecht leicht nach Zitrus und Mandeln. Ich rolle mir einen kleinen Schluck unter die Zunge, schmecke aromatische Wildbeeren, Vanille und Karamell. Der Barmann schenkt schon zwei Gläser Dalmore ein, während John die Szene unbewegt beobachtet. Als wir uns zuprosten, geht ein Leuchten über sein Gesicht. Wohlig räkelt sich der gute Tropfen in unseren Kehlen. So spricht es sich doch besser.
John erzählt, dass er gute Freunde in Irland hat und jedes Jahr einhand einen Törn für zwei Wochen nach Dublin gemacht hat, früher als es ihm noch gut ging. Das alte Schiff hat er von seinem Vater. John ist lange zur See gefahren, hat dann seine Frau kennengelernt und fortan im Hafen gearbeitet, um zu Hause zu sein. „Es war die glücklichste Zeit meines Lebens, die tragisch endete“, sagt er.
Bei diesen Worten sitzt er still und in sich gekehrt am Tisch.
Ich will ihn nicht stören.
Um uns herum herrscht Trubel, doch keiner nimmt von uns Notiz. Als die Folkmusiker ein irisches Volkslied spielen, werde ich doch aufmerksam. Bisher war es eher Hintergrundmusik, aber genau dieses Lied habe ich vor Jahren in Irland im Pub von Waterford gehört, „Red ist the rose that in yonder garden grows“.
Schöne Erinnerung.
Auch John ist wieder zurück in dieser Welt. Er hebt sein Glas und trinkt mir zu. „Segle mit mir nach Dublin“, schlägt er vor.
Doch ich habe andere Pläne, ich suche ein Schiff zum Kauf.
„Kauf meins“ bietet John an.
„Das wäre wirklich ein Traum, aber dieses Schiff kann ich nicht bezahlen“, murmele ich mehr zu mir traurig.
„Schade, dann lass uns trinken“ ist Johns Antwort. Als die Flasche Balmore schon fast leer ist, sind wir beide nicht mehr nüchtern. Der Barmann läutet die Glocke zum „last order“, eigentlich auch in Schottland nicht mehr zwingend vorgeschrieben, aber aus Tradition wird es in manchen Pubs noch gemacht. Wir beide wanken, uns gegenseitig stützend, entschlossen in die leicht neblige Nacht. Unterwegs sagt John plötzlich: „Lass uns noch etwas trinken, ich habe noch eine gute Flasche auf meinem Schiff.“
Da nichts dagegen spricht, sitzen wir beide bald im Cockpit der Yacht. Dass es schon fast Mitternacht ist, stört uns nicht, die Nächte in den Häfen sind immer faszinierend.
Guter alter Scotch, du Seelentröster, denke ich während John die Flasche öffnet. Wortlos trinken wir und die Hafenluft umhüllt uns wie ein feuchtes Tuch. Vom stehenden Gut tropft es.
Wie schweres Öl schwappt das Hafenwasser lautlos gegen die Bordwand. Das Licht der eisernen Laternen vom Quay spiegelt sich mehrfach im leicht bewegten Wasser. Irgendwoher schwingt Glockenschlag. Doch schon Mitternacht?
Auch wenn John mit Sicherheit zehn Jahre jünger ist als ich, sind wir doch beide Segler, Männer, die mit Schiffen und Yachten umgehen können und ihr Handwerk verstehen. John scheint sich wieder von den Gespenstern seiner Vergangenheit losgerissen zu haben und lacht plötzlich unmotiviert laut.
Ich schrecke hoch und gieße nochmal ein.
„Wenn du nicht mit mir segeln willst, dann segle ich eben mit dir“, sagt John mit rauer Stimme. „Ein Schiff haben wir doch“ setzt er noch hinzu. Schlagartig bin ich nüchtern, fast.
Weiß er noch, was er da sagt? Wir segeln mit seinem Schiff meine Tour??
Hat er das ernst gemeint?
Eine Bedingung stellt John aber noch: Wir segeln über Dublin.
Da meine ich zu sehen, wie sich der Mast langsam zur Seite neigt, immer weiter. Dann pendelt er wieder zurück. Wie geht das bei Windstille? Ach ja, der Whisky. „Nimm die Koje im Vorschiff“ hört ich John noch sagen. Dann hüllen mich die „Northern Highlands“ in einen traumlosen Schlaf.
Schritte auf dem Oberdeck wecken mich. Die Umgebung sieht nicht nach Hotelzimmer aus, ich liege zwischen einem Dutzend Segelsäcken und aufgeschossenem Tauwerk.
Mein Kopf ist klar, sehr klar. Aber was ich von dem Gespräch gestern Nacht noch weiß, klingt unglaublich.
John und ich auf Langfahrt, mit diesem herrlichen alten Schiff.
Als John kurz darauf den Niedergang runter kommt, glaube ich mich verhört zu haben. Aber John wiederholt „Good morning Sir, wann geht’s los?“
„Bei uns sagen wir einfach Skipper“, bitte ich ihn „und lass uns nochmal einen Tag drüber schlafen“.
„All right“ ist Johns kurze Antwort.
„Wir treffen uns morgen früh hier auf dem Schiff“ schlage ich vor und bin schon unterwegs Richtung Hotel.
Beim Frühstück schlägt mein Puls wieder normal, denn das Angebot von John war doch arg ungewöhnlich, mal sehen wie er heute nüchtern darüber denkt.
Zuerst will ich nochmal die Stadt erkunden, Craiglevar Castle reizt mich, denn so schnell komme ich sicher nicht wieder her. Die Turmhügelburg wurde 1457 zum ersten Mal erwähnt, eine Wohnburg ohne besondere Wehrfunktion. Die Bauweise spiegelt eine gelungene Verbindung zwischen französischen und schottischen Baustilen wider. Diese Turmburg will ich mir ansehen.
Ein alter schottischer Park empfängt mich mit herrlicher Stille. Beim Laufen über die Wege rund um die Burg bestaune ich die Türmchen und den L-förmigen Grundriss. Wie mag man hier zwischen 16. und 19. Jahrhundert am nördlichen Ufer des schottischen Flusses Dee gelebt haben? Ich sehe förmlich den Butler durch den großen Saal schlurfen, verstaubt korrekt. Mich fröstelt.
Immer wieder drängt sich der Gedanke an Johns Schiff in meinen Kopf. Auf dem Rückweg zur Stadt bin ich gedanklich schon auf See. Wird alles gut gehen? Werden wir einen dritten Partner finden? Der Nachmittag pendelt sich ein zwischen dem Tropfen der herrlich langsam verrinnenden Zeit und freudig vorauseilenden Gedanken, wie vor jedem neuen Törn.
Was fehlt noch? Wie viel Proviant brauchen wir? Wie wird das Wetter? Und vieles mehr.
Kaum graut der Morgen checke ich im Hotel aus, nichts hält mich mehr. John wird schon warten.
Und tatsächlich, er hat Kaffee aufgebrüht, sitzt im Cockpit der Yacht und hört den 07.35 UTC-Wetterbericht. Ich bin überrascht und möchte noch vielmehr über ihn erfahren, aber das hat Zeit.
„Ausreichend Wind und keine Warnungen und im Salon stehen ham and eggs für dich“ begrüßt mich John. Das gefällt mir. Wir frühstücken wortlos.
Draußen steht ein lebendiger ablaufender Strom und erzeugt versilberte Wellen.
John steht wie selbstverständlich auf, räumt die Back ab und zeigt mir die vorhandenen Vorräte, ausreichend bis Dublin denke ich.
Also Leinen los.
Langsam schiebt sich unsere Yacht aus dem Victoria Dock in den River Dee, der Beginn eines Abenteuers. Mit ablaufendem Strom bei etwas über 6 m Wassertiefe laufen wir flussabwärts am Pilot Quay vorbei, dem Lotsenkai. Schon 30 Minuten später blinzelt uns das grüne Feuer der Nordmole an Backbord zu. Wir sind endlich auf See.
John bereitet das Segelsetzen vor, während ich gegen den Wind aufsteuere. Mit dem letzten Schnaufen des Motors hören wir auch schon die wohlig rauschende See.
Kurs 30° bei westlichen Winden um 5 Bft. Die schottische Küste mit der Mündung des River Dee ist noch gut zu erkennen. Etwas nördlich davon die Mündung des River Don. Doch schon bald ist die Küste nur noch ein taubengrauer Strich am Horizont.
Selbstverständlich bekommen nun der Wind, die See und das Schiff einen Schuss Rum ab. Es muss Rum sein, nichts anderes. Die Götter müssen längst Alkoholiker sein, bei all den Seeleuten die über die Jahrhunderte hinweg mit diesem Ritual um Glück und guten Wind gebettelt haben. Unser Törn hat begonnen.
Erst zwei Stunden an Bord und schon ist dieses vertraute Gefühl wieder da, dieses langgezogene Wiegen in kühler, salziger Seeluft. John übergibt mir das Ruder.
Er koppelt inzwischen den vor uns liegenden Kurs während ich mich mit den Bewegungen des Schiffes vertraut mache.
Das mit John ist wahrlich ein Glücksfall, offensichtlich sieht er das umgekehrt genauso, wir haben beide ein Problem mit unserer Vergangenheit, wir lieben beide die See und wir verstehen uns ohne Worte. Soviel Übereinstimmung ist wirklich selten.
Ich steuere jetzt etwas nach Nord auf, so wie es John ansagt. Noch 30 Meilen bis zum östlichen Kap, dann Kurs 330°. Bis zum nördlichsten Punkt von Schottland sind es noch fast zwei Tage. Ob ich John mal frage, was er davon hält, den Kaledonischen Kanal quer durch die Highlands zu segeln?
Fragen kostet ja nichts.
Als John aus dem Niedergang steigt, sieht er mich lange nachdenklich an. „Was hältst du davon, durch den Kaledonischen Kanal zu segeln?“ fragt er mich.