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Im bitterkalten Januar 1945 führte mein Großvater einen Treck von 37 Familien auf der Flucht vor der Front aus dem Dorf Oberglauche in Schlesien auf Nebenstraßen nach Lohowa/Luhov in Tschechien. Sein Tagebuch fanden seine Enkel und Urenkel. Sie haben sich nach 72 Jahren auf die Spurensuche in die alte Heimat begeben und sind dem Fluchtweg bis nach Lohowa gefolgt. Unterwegs erlebten sie einige Überraschungen, die ihnen das Begreifen der Flucht-Ereignisse und die Umstände ihrer Geburt erhellt haben.
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Seitenzahl: 148
Veröffentlichungsjahr: 2018
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Eine Reise nach Schlesien
in die Heimat unserer Vorfahren,
aufgeschrieben für unsere Nachfahren
Prolog
Schlesien historisch
Der große Treck
Die erste Reise in die fremdgewordene Heimat
Brief vom Nupper
Schlesien 1975
Planung der dritten Reise
Von Glauche nach Lohowa
Die wiedergefundene Heimat
Erinnerungen an Großvater Paul
Kindheitserinnerungen
Auf der Flucht geboren
Schlesischer Humor
Vertrieben aus der Heimat Schlesien
Wiedererkennen, Emotionen, ein Stück Kindheit
Kennenlernen und tiefe Gefühle
Dorles Erinnerungen
Der schwere Neuanfang
Heem will ihch, suste weiter nischt, ock heem!
Nachwort
Stammbaum der Familie
Ein Unbekannter hat diese Zeilen in die Mauer der 1500 Jahre alten kleinen Kirche St. Prokulus in Naturns/Südtirol geritzt. Seit ich diesen Spruch sah, geht er mir nicht aus dem Kopf. Wie viel Gefühl liegt in diesem kleinen Vers, wie viel Stolz, Glücksgefühl, Geborgenheit und auch etwas Traurigkeit. Jeder Vertriebene auf der Welt, jeder der die Heimat verlassen musste, aus welchen Gründen auch immer, denkt irgendwann an den Flecken Erde, auf dem er oder seine Vorfahren gelebt haben und glücklich waren. Herausgerissen suchen sie irgendwann ihre Wurzeln, die in der Heimaterde geblieben sind. Uns, den Nachkommen von Paul und Pauline Naumann, geht es genauso. 1945 wurde unsere Familie aus Niederschlesien vertrieben und nun zieht es uns wieder in die alte Heimat unserer Vorfahren, als Besucher und Suchende. Die nach 72 Jahren noch vorhandenen Spuren des Lebens unserer Vorfahren bedeuten uns sehr viel. Sie zeugen vom Fleiß und Geschick dieser Menschen und machen uns stolz.
Wir sind nicht mehr die heimatlosen, durch den Krieg vertriebenen Gastarbeiter im Restdeutschland der Nachkriegszeit. Das von unserer Familie Geschaffene besteht weiter, in der neuen Heimat wie in der alten, wenn dort in Oberglauche/Gluchow Gorny auch nicht mehr jede Mauer und jedes Haus steht. Wir haben durch die nachfolgend geschilderte Reise die Heimat unserer Eltern wiedergefunden, auch wenn wir an einem anderen Ort wohnen, denn Heimat ist kein Ort.
Heimat ist ein Gefühl, das kann uns niemand nehmen. Bei uns Kindern stellte sich dieses Gefühl immer dann ein, wenn unsere Großmutter Pauline uns das Gedicht vom frechen Spatz in ihrer schlesischen Mundart vortrug. Ich will es hier zur Einstimmung auf das Kommende niederschreiben.
Die Teilnehmer von lks. nach rts.: Martin Niendorf, Reinhard Niendorf, Konrad Klotz, Renate Arndt, Birgit Gütling, Werner Niendorf, Gretel Gundermann
(fotografiert von Hans Naumann)
Dar Sperlich woar a frecher, dar flug uff olle Dächer.
Dar flug uff olle Tärme mit unverschamten Lärme.
A froaß, woas a erwischte, kemmandern gunnt a nischte.
Is sullde kees nischt assa, olls wulld `s salber frassa.
A froaß sich rund und dicke und kriggt a steif Genicke.
Und kriggt a fettes Wampla, al wie a Putterstampla.
A wurde rund und runder, is ging schunt nischt mehr nunder.
A wurde immer fetter, doch fraß a immer wedder.
Noch sieba Tage froaß a. Om achta Tage soaßa.
Mit uufgeblossna Ziepsa und kunnde nimme giepsa.
Uff eemoll hurrt` merrsch kracha,
merr finga oan zu lacha.
Dooloag doas Viehch, doas dicke,
zerplotzt ei tausend Stücke.
Schlesien 1939
Niederschlesien
Über Schlesien wurde und wird viel berichtet, und die Vielzahl von Büchern und Literatur ist unüberschaubar. Um unserer kleinen Schar von Mitreisenden vom 5. bis 9. April 2017 und den Interessierten in unserer weitverzweigten Familie viel Mühe zu ersparen, möchte ich kurz über den Landstrich erzählen.
Schlesien, polnisch Sląsk, befindet sich im Südwesten Polens. Vom Wortstamm bedeuten die 2 Worte dasselbe. Man differenziert noch Ober- und Niederschlesien, eine ungefähre Linie zwischen beiden Teilen kann man sich etwa zwischen den Städten Brieg und Oppeln vorstellen. Das Gebiet unserer Vorfahren liegt in Niederschlesien.
Die Umrisse dieses Landstriches auf einer Karte wurden von einem Dichter einmal mit einem Eichenblatt verglichen, als dessen Blattrippe man die Oder betrachten könnte. Die westlichsten Ausläufer Schlesiens ragen noch heute etwas nach Deutschland hinein und bilden den Schlesischen Oberlausitz-Kreis.
Über Geographie und Wirtschaft will ich mich nicht weiter auslassen, doch geschichtlich möchte ich einen kleinen Überblick zusammenfassen.
1000 Jahre zurück gab es schon ein deutsches und ein polnisches Königreich. Beide waren christlich, doch zunächst keine direkten Nachbarn. Dazwischen siedelten zahlreiche heidnische westslawische Stämme.
Die Sorben in der Lausitz sind ein kulturelles Überbleibsel davon. Begehrlichkeiten, diese Gebiete zu erobern, gab es von polnischer und deutscher Seite.
Schließlich, nach einigen Kämpfen und Feldzügen, kam die Grenze ungefähr dort zustande, wo sie heute ist. Die polnischen Fürsten und Könige erkannten die deutsche Dominanz an, worauf mehrere relativ friedliche Jahrhunderte folgten.
Ein weiteres junges Königreich begann sich nach Nordosten auszudehnen, das tschechische Böhmen. Es kam zur Übernahme Schlesiens durch Böhmen. Böhmen wiederum wurde Teil des Deutschen Reiches und mit ihm auch Schlesien. Eine wichtige Stadt an der Oder wurde gegründet und Vratislav genannt. Sie hieß später Breslau, heute Wrocław.
Das mag so um 1200 gewesen sein. Die neu hinzugekommenen Landstriche verfügten über reiche Naturschätze, doch sie waren dünn besiedelt.
Die jeweiligen Landesherren, seien es deutsche, polnische oder böhmische, bezogen Reichtum und Macht überwiegend aus Landwirtschaft, Handwerk, Bergbau und dem Handel. Dazu brauchte es tüchtige Siedler, die man in vielen Gegenden Deutschlands fand, in denen die Bevölkerung infolge wirtschaftlichen Fortschritts stark angewachsen war.
Man bot den Siedlern günstiges Land, Steuerfreiheit für viele Jahre und Sicherheit durch die Einführung des deutschen Rechtssystems, das damals fortschrittlichste in Mittel- und Osteuropa.
Auch wurden zahlreiche Städte nach deutschem Stadtrecht gegründet, wovon noch heute die Struktur alter Stadtkerne in Osteuropa zeugt.
Eine Vertreibung oder gar Ausrottung der alteingesessenen polnischen Bevölkerung fand nicht statt, eher eine Durchmischung und Assimilation. Auch im herrschenden Adel gab es vielfache Verflechtungen zwischen Deutschen und Polen.
Dies geschah oft durch Heirat oder Vergabe von Lehen (große Herrschaftsgüter). Doch die weitere deutsche Besiedlung fand allmählich ein Ende, denn die Pest wütete um 1350 in großen Teilen Europas und ließ die Bevölkerung schrumpfen. Bis um das Jahr 1300 etwa hatten sich durch den überwiegend friedlichen Wandel Grenzen zwischen Deutschem und Polnischem Siedlungs- und Herrschaftsgebiet herausgebildet, die in der Grundform bis 1945 Bestand hatten.
Selbst wenn in der Geschichte die politischen Grenzen vielfach verschoben worden waren (gut nachzulesen in historischen Werken), so blieb doch die deutsche Bevölkerung in etwa ortsansässig. Erst nach dem Ersten Weltkrieg nahmen die ethnischen Spannungen zu und führten letztendlich mit zum Zweiten Weltkrieg. Und nun und danach wurden die meisten Menschen in Schlesien wie auch den anderen Ostgebieten zum Spielball der großen Politik und verloren durch Flucht und Vertreibung endgültig ihre jahrhundertelang angestammte alte Heimat.
Einzige Ausnahme bildet die verbliebene deutsche Minderheit in Oberschlesien, die mittlerweile wieder ihre Kultur pflegen darf. Jahrzehntelang war dies nur schwer möglich, doch hat mehrere Generationen friedlichen Nebeneinanderlebens zu einem entspannten Verhältnis geführt.
Fast drei Generationen sind seit Kriegsende vergangen, und es ist gut zu wissen, dass die beiden Völker - Deutsche und Polen - ihren Frieden miteinander gefunden haben.
Es ist schön zu sehen, wie die polnischen Schlesier das Land lieben und pflegen, genau wie ihre deutschen Vorgänger viele Jahrhunderte zuvor. Es ist ein gutes Gefühl, das Interesse der (vor allem) jüngeren Polen an uns, unserer Herkunft und am Schicksal unserer Vorfahren erlebt zu haben.
Martin Niendorf
Wappen v. Schlesien
Aufgeschrieben 1945-46 von meinem Großvater Paul Naumann (1882-1957) in Sütterlin Übersetzt 2014 von Hans Naumann
Die zweite Januarhälfte des Jahres 1945 dürfte bei tausenden ehemaligen Bewohnern des Kreises Trebnitz für unendliche Zeiten in traurigster Erinnerung bleiben. In diesen Tagen wurde es bittere Wahrheit, was viele schon lange befürchteten, andere wieder immer noch als abwendbar erhofft hatten. Auf höheren Befehl musste somit auch unsere Heimat geräumt werden.
Unsere liebe Heimat, die manche Geschlechter über 200 Jahre ernährte und es ihnen möglich machte, sich in dieser Zeit durch eisernen Fleiß einen gewissen Wohlstand zu erwerben. Was das heißt kann nur der ermessen, der diese Tage und Nächte bei Schnee, Eis und bitterer Kälte, öfter des Nachts ohne jegliches Obdach, selbst miterleben musste.
Am Bedauernswertesten waren all die Kranken, ältere Leute, werdende Mütter und Kinder, die oftmals stundenlang in winterlicher Kälte auf den überfüllten Straßen stehen mussten.
Nachdem die meisten alten Leute aus unserem Dorf sowie kindereiche Mütter, Kranke und die Insassen der Sonnenheimat (Kinderheim) bereits am 19. Januar durch unsere Gespanne, wozu auch drei Gespanne vom Dorf gestellt werden mussten, und was in Betracht des allgemeinen Aufbruchs von den Betreffenden nicht gerade freudig begrüßt wurde, in Richtung Peuschwitz Kr. Jauer abtransportiert waren, mussten die übrigen Dorfbewohner am 21. Januar das Dörflein in derselben Fahrtrichtung räumen.
Gegen 2 Uhr nachmittags, an einem Sonntage, setzte sich unser trauriger Zug, bestehend aus vielen, nur mit dem Allernötigsten beladenen Wagen, darunter mehrere Rinder als Zugtiere, in Bewegung.
Die meisten von uns warfen wohl zum Abschied noch sehnsüchtige Blicke auf die Stätte seliger Kindheit und froher Stunden und nahmen Abschied, viele wohl für immer! Doch die wenigsten werden vielleicht damals erwogen haben, welche jammervollen Zeiten nun folgen würden.
Unser Treck kam, nach längerem Aufenthalt bei der Fahrt in Trebnitz, im ersten Zug bis Riemberg/ Roscislanice Krs. Wohlau. Dort wurde während der Nacht eine längere Ruhepause eingelegt, bei welcher die meisten Gespanne jedoch auf der Straße stehen mussten. Noch vor Tagesanbruch ging es weiter bis Groß Pogel/ Pogalewo Wlk..
Die Nacht zum 24. verbrachten wir in Rogau/ Rogow Legnicki, leider wieder unter freiem Himmel. Im überfüllten Ort war kein Unterkommen zu finden und eine Weiterfahrt infolge Ermattung der Zugtiere nicht möglich.
Beim Aufbruch am 24. war Vater Schotte, der von Anfang an Misstrauen zu dem ganzen Unternehmen hatte, nicht zu bewegen, weiter mit zu machen. Da der Treck jedoch zwecks Aufnehmen neuer Fuhrwerke den Platz räumen musste, blieb er zurück. Sein weiteres Schicksal ist trotz vieler Umfragen bisher unbekannt. Am 24. kamen wir bis Möttig/ Motyszyn und konnten dort, teilweise auch nur unter Anwendung von Gewalt, Unterkunft für Mensch und Tiere finden.
Der 25. brachte uns auf beschwerlicher Fahrt bis Mertschütz/ Mierczyce, dort war es betr. unserer Unterbringung schon etwas besser. Manche kamen ganz gut unter und alles hatte ein schützendes Obdach.
Am 26. Nachmittags landeten wir in Poischwitz/Paszowice, wo die Zuweisung der Quartiere noch längere Zeit in Anspruch nahm. Dort trafen wir auch unseren Herrn Pastor Schian mit Frau, sowie unsere Verwandten Kaufmann Naumann und Frau. Beide Familien wollten z.Zt. unseres Aufbruchs Glauche nicht verlassen. Doch das inzwischen leer gewordene Dorf hat sie wohl doch bewogen, mit ihren Fuhrwerken (Fahrrädern?) ausgerüstet, auf kürzestem Wege in den Kreis Jauer zu wechseln. In Oberglauche dürfte nach allem was in Erfahrung gebracht wurde, eine einzige ältere Frau zurückgelassen worden sein. Die Unterbringung in P. (Poischwitz) war, wenn auch nicht gerade hervorragend bei der überstarken Belegung, jedoch immerhin annehmbar, bei einigen Familien sogar prima. Leider hatten wir dort unsere ersten Toten. Vom Treck sahen wir in Rogau und Leubus Leichen am Wegesrand liegen. Unsere Verstorbenen, Mutter Triebe, Vater Guhr, allen Glauchern lieb und wert, sowie auch Mutter Gabriel wurden auf dem dortigen Friedhof von unserem Heimat-Geistlichen und dem Geleit vieler ehemaliger Dorf-Genossen zur letzten Ruhe gebettet.
Schon die ersten Tage unseres Dort seins wurden benutzt, Fühlung zu nehmen mit in umliegenden Ortschaften untergebrachten evtl. Verwandten und Bekannten, was vielen auch gelang. Auch wir konnten unsere jüngste Tochter mit ihrem Kind sowie die anderen Blüchertaler und Tarnoster Verwandten ausfindig machen und aufsuchen.
Angeblich sollte alles nach 14 Tagen wieder in die Heimat zurück, doch es kam anders. Eines Tages mussten sich gegen 80 Flüchtlingsgespanne befehlsgemäß ins Hinterland begeben, zwecks Abtransport von Getreide, Kartoffeln usw und sollten am zweiten Tage wieder zurück sein. Da jedoch mehrere Orte, wohin der Fahrbefehl lautete, schon unter Ari-Beschuss lagen, musste andere Fahrtrichtung eingeschlagen werden. Dadurch wurde ihre Abwesenheit auf fast vier Tage verlängert. Einige Gespannhalter allerdings hatten diesem Befehl nicht Folge geleistet und dafür sich und ihre Tiere geschont.
Der Donner der Geschütze war immer deutlicher zu hören und es sickerte bereits einiges durch betreffs unseres weiteren Aufbruchs. Frau Gramatte im Verein mit Fam. Grinzow verließ wohl als erste ihre Dorfgenossen in Richtung Schönau, Katzbach. Desgleichen brachte der Glaucher Trecker unter der bewährten Führung von Richard Bindig und Wilhelm Härtel wieder Mütter, Kinder usw. in Sicherheit. Am 12. Februar mussten dann auch wir anderen den Ort räumen, die Einheimischen wenige Stunden später. Wir kamen am selben Tage bis Würgsdorf/Wierzchoslawice und fanden nach langen vergeblichem Suchen Unterkommen in einem Kuhstall, doch soll es einige gegeben haben, die in geheizte Stuben einziehen konnten. Nur mit Mühe war es möglich, alle Gespanne notdürftig unter zu bringen.
Da an ein einigermaßen geregeltes Unterkommen im Verbunde des ganzen Trecks nun nicht mehr zu denken war, trennten wir uns am nächsten Tage 13 Gespanne vom Haupttreck und kamen bis Merzdorf/Marciszow am Bobr Kr. Landshut. Dort blieben wir zwei Tage und trafen zufällig einen Sohn von Mutter Hillmann, der als Soldat dort Posten stand. Die erste Nacht schliefen wir in einem leeren Schweinestall mit Vater Bintig und Vater Weitze zusammen. Am 15.02. ging´s weiter bis Erlendorf/ Oslsyzyny, dort kamen wir mit Familie Oder in einer Stube unter. Doch auch alle anderen hatten einigermaßen Unterkunft.
Der nächste Tag brachte uns bis Hohenbruck-Trautenau/Bojiste auf Tschechischem Gebiet, wo die Unterkunft für Mensch und Tier zufriedenstellend war. Am 17.02. landeten wir in Pilnikau-Pilsdorf/Pilnikow. Dort fanden die Pferde ein fast besseres Quartier als die Menschen. Auf der beschwerlichen Fahrt am nächsten Tag bis Gr.Borowitz/ Borovnice, dort waren die Pferde miserabel bei einem äußerst unfreundlichen Besitzer eingestellt, wir durften in Betten schlafen. Am 19. ging es weiter bis Jitschin/Jicin wo alles Massenquartier bezog. Ebenso am 20. in Sobotka. Der 21.02. brachte uns bis Jungbunzlau/ Mlada Boleslav, auch dort Massenquartier, doch angenehmer als die vorigen. Auch hatten wir dort Gelegenheit, mit einem Teil der anderen Glaucher zusammen zu treffen. Am 22. ging es bis Vtelno, wieder in einer Schule untergebracht. In der Nacht musste unsere älteste Tochter Frieda weggebracht werden, und am 23. bei unserer Durchfahrt in Melnik konnte dort die Ankunft der kleinen Renate festgestellt werden. Am selben Tag noch verlor Familie Labitzke eins ihrer beiden Pferde. Da bereits in Peuschwitz bei H.Titze, Kalis und Bintig Abgänge an Pferden eintraten, wurde die Weiterfahrt immer beschwerter.
In Schelesen/Zelizy, wo wir gegen Abend eintrafen blieb alles auch am 24. und 25.2. da mehrere Gespanne dringend zur Schmiede mußten.
Der 26. brachte uns über Liboch/Libechow nach Wegstädtl/Steti, Gastorf/Hostka, Pallupp nach Enzowan/Ecowany Kreis Leitmeritz/Litomerice. An diesem Tag sah ich meinen Verwandten Herrn Naumann zum letzten Mal. Wer hätte dies geahnt.
Über Leitmeritz, Lobositz/Lovosice am 27. nach Welomin/Velemin, desgleichen am 28. über Liebshausen/Libceves nach Weberschan/Brvany. Von dort am 01.03. über Wittosess/Bitozeves nach Saatz/Zatec. Da am nächsten Morgen starke feindliche Verbände über der Stadt kreisten, durften wir erst spät die Weiterfahrt über Podersam/Podborany nach Lubenz/Lubenez antreten.
Am 5.3. dann über Lubenz nach Luditz/Zlutice, wieder Massenquartiere und wegen Schneeverwehung Ruhetag, während wir am 3. u. 4. März in Modschied/Mocidlec übernachteten und angenehme Quartiere hatten.
Der 7.3. brachte uns über sehr hohe Berge unter großer Anstrengung nach Netschetin/Nectiny und der folgende Tag über Preitenstein/Nove Mestecko, Anischau/Unesow nach Radlowitz/Radimovice Kr. Mies, während fünf Gespanne über Wscherau/Vesernby nach Kuniowitz/Kunejovice weiter fahren mußten. Da die Orte nicht allzu weit auseinander lagen, konnten wir uns dann und wann sprechen. Die Unterbringung war äußerst primitiv, doch wurde von allen begrüßt, dass die oftmals sehr beschwerliche Fahrerei für einige Zeit beendet sein sollte. Es muss dabei in Betracht gezogen werden, dass unter den Zugtieren junge Pferde waren, die beim Verlassen unserer Heimat erstmalig ein Geschirr aufgelegt erhielten.
Und wenige von uns dürften es geglaubt haben, dass Rinder von Schlesien bis nach dem Sudetenland laufen könnten und in einzelnen Fällen diese anstrengende Tour recht gut überstanden haben.
Die drei abgegebenen Gespanne standen ihren Besitzern seit Poischwitz wieder zur Verfügung, doch durch die bereits erwähnten Abgänge machten sich bei den oft schlimmen Wegverhältnissen mehrmals größere Schwierigkeiten bemerkbar. Zum Glück waren die meisten unserer Männer, die seinerzeit zum Volkssturm mussten, wieder bei uns eingetroffen und konnten durch ihre Mitwirkung mehrmals zur reibungslosen Weiterfahrt beitragen.
All die vorausgegangenen Strapazen hatten zur Folge, dass sich mehrere schwer erkrankte Frauen unter uns befanden, und schon am zweiten Tag in Radlowitz mussten leider die Geschwister Domke ihre liebe Mutter verlieren. Am 13.3. wurde sie auf dem kath. Friedhof in Wscherau unter möglichster Anteilnahme der Bekannten beerdigt. Da kein Geistlicher erschien, widmete ihr ein Verwandter, Herr Kape, Worte des Nachrufs. Da wir noch über 16 Monate in ungefähr derselben Gegend festgehalten wurden, konnten ihre Angehörigen noch mehrmals ihre Ruhestätte schmücken. Von nun an versuchte sich jeder mehr oder weniger nützlich zu machen. Gespanne wurden erst zum Holzschleppen, später zum Dungfahren und sonstigen Feldarbeiten verwandt. Am 15.3. traf unsere Tochter mit ihrer Jüngsten wieder bei uns ein und am selben Tag ging unsere Schwiegertochter ins Entbindungsheim in Holleischen/Holysov. Die Auswirkung des Krieges macht sich immer mehr bemerkbar. Pilsen wird immer öfter stark mit Bomben belegt.
Am 18.04. wird unsere Schwiegertochter mit dem inzwischen geborenen Stammhalter durch unser Gespann in Stribro abgeholt. Der 25.04. brachte wieder schwere Angriffe auf Pilsen, Tuschkau/Mesto Touskow usw. Herr Hätzelt, der im letzteren Ort im Krankenhaus lag, konnte sich nur in Unterkleidung durchs Fenster retten. Am 6.5. besetzten 18 USA-Panzer unseren Ort und blieben bis 25.
Von diesem Tag ab galt Radlowitz gewissermaßen als Niemandsland, und Plünderungen traten fast täglich ein, anfangs nur bei den ansässigen Bauern, doch bald wurden auch wir Flüchtlinge nicht verschont.