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Anika hat es satt! Nach einer großen Enttäuschung beschließt sie, sich nie wieder auf eine feste Bindung einzulassen. Wäre da nur nicht ihr neuer Kollege Mike Koller. Er ist aufdringlich, selbstgefällig, er raubt Anika den letzten Nerv – und er ist unverschämt attraktiv. Immer mehr verfällt sie seinen türkisfarbenen Augen, bis sie schließlich ein gemeinsames Wochenende in den Bergen verbringen.
Doch gerade als Anika glaubt, Mike habe ihre Mauern eingerissen, verschwindet er und sie findet heraus, dass es nie einen Mike Koller gegeben hat. Wer ist Mike wirklich? Und wird Anika sich jemals wieder erlauben zu lieben?
Die Katastrophe mit dem Verliebtsein ist der zweite Teil der Herzschlagmomente-Reihe. Tauchen Sie ein in eine Geschichte über Vertrauen, Hoffnung und ein Herz, das sich verzweifelt nach Liebe sehnt.
Alle Bände sind in sich abgeschlossen und durch wiederkehrende Figuren miteinander verbunden. Sie können unabhängig voneinander gelesen werden. Der Roman ist eine Neuauflage von Mein Boss, die Liebe und andere Katastrophen.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2025
Danielle A. Patricks
Über das Buch:
Anika hat es satt! Nach einer großen Enttäuschung beschließt sie, sich nie wieder auf eine feste Bindung einzulassen. Wäre da nur nicht ihr neuer Kollege Mike Koller. Er ist aufdringlich, selbstgefällig, er raubt Anika den letzten Nerv – und er ist unverschämt attraktiv. Immer mehr verfällt sie seinen türkisfarbenen Augen, bis sie schließlich ein gemeinsames Wochenende in den Bergen verbringen.
Doch gerade als Anika glaubt, Mike habe ihre Mauern eingerissen, verschwindet er und sie findet heraus, dass es nie einen Mike Koller gegeben hat. Wer ist Mike wirklich? Und wird Anika sich jemals wieder erlauben zu lieben?
»Die Katastrophe mit dem Verliebtsein« ist der zweite Teil der Herzschlagmomente-Reihe. Tauchen Sie ein in eine Geschichte über Vertrauen, Hoffnung und ein Herz, das sich verzweifelt nach Liebe sehnt.
Der Roman ist eine Neuauflage von »Mein Boss, die Liebe und andere Katastrophen«.
Die Autorin:
Danielle A. Patricks ist das Pseudonym einer aus Österreich stammenden Autorin. Ihre Liebesgeschichten sind Geschichten fürs Herz – eben Herzgeschichten. Beim Schreiben taucht sie in eine Parallelwelt ein. Die Finger wandern über die Tastatur, Worte fliegen wie von Zauberhand auf den Bildschirm, Charaktere, Menschen mit Fehlern und Vorzügen betreten die fiktive Leinwand …
Sie selbst bezeichnet sich als absoluten Familienmenschen und liebt die Ruhe. Mit ihrem Mann und diversen Haustieren lebt sie in der Weststeiermark.
Danielle A. Patricks
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die
Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Juli © 2023 Empire-Verlag OG
Lofer 416, 5090 Lofer
Lektorat: Rebekka Maria Peckary
https://www.rebekka-maria-peckary.at/
Korrektorat: Johannes Eickhorst
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur
mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Cover: Chris Gilcher
https://buchcoverdesign.de/
Illustrationen: Adobe Stock ID 46736077, Adobe Stock ID 482786664
Seit einer Woche nahm der Alltag bei den Neumanns wieder Raum ein. Klara fand es ungewohnt, nach so vielen Wochen der Genesung wieder für sich selbst zu sorgen. Unterstützt wurde sie zwar noch von ihrer jüngeren Tochter Anika sowie von Gert, aber wenigstens grundlegende Dinge wie sich selbst duschen, Haare waschen, ein kleines Gericht kochen und kurze Strecken spazieren gehen konnte sie wieder selbst und bereiteten ihr immense Freude. Es waren die wirklich kleinen Dinge des Lebens, die seit dem Autounfall vor vier Monaten an Gewicht und Bedeutung gewonnen hatten. Aber beim Gehen erinnerten sie die Schmerzen an das unsagbare Glück, den Aufprall überlebt zu haben. Der Ex-Verlobte ihrer älteren Tochter Jennifer wollte unter allen Umständen eine Hochzeit mit ihr erzwingen. Zuvor hatte er sie mit Jennifers bester Freundin betrogen. Die Abfuhr, die Jenny ihm erteilte, wollte er daraufhin nicht akzeptieren. So heckte Peter einen abscheulichen Plan aus, nämlich sein Auto absichtlich in das von Jennifers Eltern zu lenken. Er fuhr mit überhöhter Geschwindigkeit gerade auf sie zu, als sie von ihrer Einfahrt auf die Straße bogen. Ihre Eltern wurden dabei schwer verletzt. Er selbst überlebte den Zusammenstoß jedoch nicht. Klara dachte mit Grauen daran zurück. Sie verstand Jenny voll und ganz, dass sie diesem Mann nicht verzeihen konnte. Umso glücklicher machte sie der Umstand, zu wissen, dass Jenny die große Liebe letztendlich doch noch fand. Im Mai war die Hochzeit geplant. Max, der zukünftige Schwiegersohn, besaß nicht nur das Herz am rechten Fleck, sondern auch die Mittel, seiner Frau finanziell ein gutes Leben bieten zu können. Seine beiden Kinder, derentwegen Jenny bei ihm als Nanny eine Anstellung angenommen hatte, liebten ihre neue Mami über alles. Klaras Gesicht überzog ein zufriedenes Lächeln, als sie daran dachte. Ihre Augen strahlten. Sie freute sich auf ihre Stiefenkel. Jennys neue Familie hatte sich in ihrem Herz eingenistet. Klara blickte von ihrer Morgenzeitung auf, als Gert die Küche betrat. Er roch nach seinem herb-holzigen Aftershave. Gert hielt seine von Natur aus graumelierte, dichte Haarpracht im Zaum. Für sein Alter war er noch immer ein attraktiver Mann. Klara strahlte ihn an. »Weißt du schon, wie lange du heute im Büro bleibst?« Sie wartete auf seine Antwort, während er die Espressomaschine bediente. »Ich denke bis gegen fünfzehn Uhr. Das lässt sich einrichten.« Er nippte an dem heißen Getränk und setzte sich zu seiner Frau an den Tisch. Dort standen frisches Gebäck, Butter und Marmelade. Mit seinen schlanken Bürohänden schnitt er die Semmel in zwei Teile. Eine Hälfte behielt er und die zweite legte er zurück ins Körbchen. Klara verfolgte jeden seiner Handgriffe. Seit über sechsundzwanzig Jahren waren sie bereits verheiratet und noch immer faszinierte sie, mit welcher Akribie er täglich seine halbe Frühstücksemmel bestrich. Voller Genuss biss er in das knusprige Gebäck. »Möchtest du heute etwas unternehmen, wenn ich nach Hause komme? Oder sind dringend Besorgungen zu erledigen?« Er tupfte sich den Mund mit der Serviette ab, nahm einen kräftigen Schluck Kaffee und blickte sie an. »Nein, aber ich möchte eine Forelle braten.« »Es ist besser, wenn du damit wartest, bis ich zu Hause bin. Ich helfe dir dabei. Du sollst dich doch noch schonen«, tadelte er sie in liebevollem Tonfall. »Es geht mir wieder gut«, protestierte sie. »Ich bin so froh, wieder so fit zu sein, und mit jedem Tag wird es besser.« Klara wusste, dass Gert und auch ihre Töchter es nur gut mit ihr meinten, aber es nervte trotzdem, den besorgten Blick von ihm zu sehen. Seine Fürsorge in Ehren, aber er versuchte, sie tatsächlich in Watte zu packen. Ein spitzbübisches Funkeln leuchtete aus den grauen Augen. »Ich will dich nicht nerven, aber ich mach mir eben Sorgen. Anika ist heute wieder besonders gut drauf, wie mir scheint. Sie trällert heute besonders laut im Badezimmer. Wenn sie wenigstens singen könnte. Mir schmerzt der Kopf bei diesen falschen Tönen«, beschwerte sich Gert liebevoll. So gerne ihre jüngere Tochter sang, so wenig beherrschte sie es. Sogar bis in die Küche drang ihr Gesang, oder wie man diese Klänge bezeichnen könnte. Klara zuckte mit den Schultern. »Es ist doch schön, wenn sie morgens schon so gut gelaunt ist. Sollte sie einmal in eine eigene Wohnung ziehen, wird uns ihr Geträller fehlen.« »Dafür ist sie aber schon noch zu jung, findest du nicht? Na ja, ich muss los. Tschüss, bis heute Nachmittag.« Dann drückte er ihr einen sanften Kuss auf den Mund und überließ sie sich selbst, bevor sie noch etwas erwidern konnte. Klara seufzte. Die letzten Wochen nach dem Unfall, als sie aus dem Krankenhaus entlassen wurde, verbrachten sie und Gert, der nach seinem Krankenstand zusätzlich Urlaub genommen hatte, bei Max und Jenny. Ihr Schwiegersohn in spe hatte sie zu sich geholt, um Jenny zu bewegen, zu ihm und den Kindern ohne Bedenken zurückzukehren. Dort erhielt Klara die nötige Pflege, die sie zum Gesunden benötigte. Dafür würde sie Max ewig dankbar sein. Gerade als sie die Zeitung schließen wollte, hüpfte ihre jüngste Tochter Anika herein. »Morgen, Mama. Schon ausgeschlafen? Ist Papa schon zur Arbeit? Ich muss auch gleich los, bin schon spät dran.« Sie drückte ihrer Mutter ein Küsschen auf die Wange und war schon wieder zur Tür hinaus.
Auf dem Weg ins Büro sang Anika aus voller Brust den Song ›I’ll show you‹ von Justin Bieber mit. Dass sie mit den Tönen danebenlag, störte sie wenig. Es folgten die Morgennachrichten. Als sie bei Beginn der Nachrichten auf dem Firmenparkplatz ankam, hatte sie bereits ein paar Minuten Verspätung. Sie lief schnell ins Büro, öffnete das Fenster, um frische Morgenluft hereinströmen zu lassen, und startete ihren PC. Täglich das gleiche Prozedere seit zwei Jahren. Als nächstes schaltete sie noch rasch das kleine Radio und die Kaffeemaschine ein. Anika liebte diese Regelmäßigkeit. Ihr Büro lag zentral und war mit dem Chefbüro sowie dem Büro der Buchhalterin und Lohnrechnerin durch Türen zu den jeweiligen Räumen verbunden. In ihrem Reich war sie die Chefin. Alle Anfragen und Anliegen kamen zuerst zu ihr. Sie teilte auf und ordnete zu. So hielt sie ihrem Chef den Rücken frei, damit er sich um die tatsächlichen Chefangelegenheiten kümmern konnte. Die beiden waren ein eingespieltes Team.
»Hallo, schönes Fräulein«, drang die Männerstimme Anika Neumann ins Ohr. Die Stimme gehörte einem ansehnlichen Exemplar der männlichen Spezies, wie sie in dem kurzen Augenblick, als sie von ihrem Computer hochsah, feststellte. »Guten Morgen«, knurrte sie, da sie gerade begonnen hatte, den vorbereiteten Bericht ihres Chefs abzutippen, nachdem sie einen kurzen Blick auf die Liste der empfangenen E-Mails geworfen hatte. Es waren wieder überdurchschnittlich viele. Nach Freundlichkeit stand ihr nicht der Sinn. Typen, die am frühen Morgen schon gut gelaunt waren, waren Anika sowieso suspekt. »Na, na, gleich so mürrisch?«, kam es von ihrem Gegenüber. »Übrigens ich bin Mike Koller, der Neue in der Produktion, und soll mich hier zum Dienst anmelden. Irgendwelche Papiere soll ich auch unterschreiben und ich wurde gebeten, diese Bestellliste abzugeben.« Seine tiefe Stimme klang durch den Raum. Er reichte ihr ein mit Metallstaub verschmiertes, vollgekritzeltes Blatt Papier über die Theke. Als sie einen kurzen Blick darauf warf, erkannte sie die Kralle von Herbert Tintsche.
»Oh, klar. Legen Sie es auf das Pult. Sie sind also der neue Produktionsmitarbeiter? Gut. Ich habe bereits alles vorbereitet. Einen Moment.« Sie wusste nicht, warum, aber irgendwie machte sie ihr Gegenüber nervös. Es kribbelte verdächtig in der Bauchgegend. Sie hoffte, er würde ihr die Nervosität nicht anmerken. Ohne aufzublicken, flogen Anikas Finger flink über die Tastatur, um die letzten Wörter zu tippen. Als der Bericht, den ihr Chef heute in aller Herrgottsfrüh auf das Diktiergerät gesprochen haben musste, endlich fertig abgetippt und gespeichert war, stand sie auf. Dann kramte Anika kurz in einem Berg von Unterlagen auf ihrem Schreibtisch und reichte dem Neuen einige Blätter zur Unterschrift. »Hier, der Arbeitsvertrag, die Hausordnung und die Bestätigung, dass Sie die Firmenschlüssel erhalten haben. Bitte jeweils hier eine Unterschrift«, forderte sie kurz und prägnant. Sie zeigte mit dem Finger auf die Linien, auf denen er unterschreiben sollte. Dabei erregten ihre langen, frisch designten Fingernägel sichtlich Aufmerksamkeit.
»Tolle Fingernägel«, bemerkte er. Sie blickte zu ihm hoch und stellte fest, dass er sie mindestens um eine Kopflänge überragte. Das war ihr vorhin, als sie gesessen hatte, gar nicht aufgefallen. Als sie ihn beim Unterschreiben beobachtete, drängte sich der Gedanke auf, dass seine Hände nicht wie die eines Produktionsarbeiters wirkten. Schnell verdrängte sie ihre Überlegung wieder und überreichte ihm jeweils eine Durchschrift der unterzeichneten Unterlagen. Das leichte Zittern ihrer eigenen Finger ignorierte sie. »Haben Sie noch Fragen?« Anikas Blick glich dem eines Monsters. »Ähm, nein! Sagen Sie, sind Sie immer so miesepetrig oder nur mir gegenüber?« »Ich dachte, Sie haben keine Fragen mehr! Und wie ich bin, geht Sie einen feuchten Kehricht an. In Zukunft können Sie sich solche Ausdrücke wie ›Schönes Fräulein‹ sparen. – Steht übrigens in der Hausordnung unter Punkt 12.« »Was? Dass ich nicht freundlich grüßen darf?« Sein breites Grinsen verärgerte sie noch mehr.
»Nein, weibliche Mitarbeiterinnen sind mit Respekt zu behandeln und plumpe Annäherungsversuche fallen unter die Kategorie ›sexuelle Belästigung‹.« Anika zog die Nase kraus – wie immer, wenn ihr etwas besonders ernst war. Der Typ brach in schallendes Gelächter aus. Dann lugte er Anika aus feuchten Augen an. Eingeschnappt versuchte sie, seinem Blick standzuhalten. Es fiel ihr verdammt schwer. Dieser Kerl war wirklich das Letzte! Von Männern hatte sie die Nase voll, überhaupt von großen, mit sportlicher Figur, breiten Schultern, muskulösen Oberarmen und dunklem Haar, das keck in die Stirn fiel. Und erst recht diese türkisblauen, leuchtenden Augen! Trug der Kerl etwa gefärbte Kontaktlinsen? Eine derartige Augenfarbe gab es doch gar nicht! Oder? So faszinierend sie auf Anika wirkten, machten sie sie in gleichem Maße nervös. Unsicherheit kroch in ihr hoch. Anika begann, sich unter seinem sie musternden Blick unwohl zu fühlen. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie ihn ebenso angestarrt haben musste, denn ihr Gegenüber räusperte sich und schmunzelte. »Gefällt Ihnen, was Sie sehen?« Augenblicklich spürte Anika Hitze in ihre Wangen steigen.
»Es geht«, bemühte sie sich, so neutral wie möglich hervorzuwürgen. Mit ›Ich muss weitermachen‹ versuchte sie, diesen Mike zum Gehen zu bewegen. Der schien jedoch die Ruhe in Person zu sein und bewegte sich keinen Millimeter.
»Und Sie? Haben Sie nichts zu tun?« Anika war genervt.
»Sie sind aber kratzbürstig. Sagen Sie, ist der Boss da?«
»Nein, außerdem müssen Sie vorher einen Termin vereinbaren, schließlich hat der Chef auch noch anderes zu tun, als mit den Arbeitern, die eigentlich in die Werkstatt gehören, zu plaudern.«
»Gut, dann besorgen Sie mir einen Termin und geben mir Bescheid«, erwiderte er, ohne sein breites Grinsen zu beenden, und verschwand durch die Tür.
»Puh!« Anika schnaufte, als Mike gegangen war. Zum Glück war das Fenster noch offen. Frischluft! Während Sie die Luft einatmete, hoffte sie, dass sie nicht zu sabbern begonnen hatte. Wie peinlich war das denn? Ach, sicher nicht, beruhigte sie sich selbst! Dafür hatte er sie zu sehr geärgert. Sie hatte nichts gegen Männer. Ganz und gar nicht. Schließlich arbeiteten in der kleinen Metallfirma, in der sie seit der Matura beschäftigt war, zu siebenundneunzig Prozent Männer. Ihre Kollegin von der Buchhaltung und eine Putzfrau sowie ihre Wenigkeit stellten den geringen Frauenanteil der Firma. Mit den Kollegen hatte sie keine Probleme. Dafür grenzte sie sich rechtzeitig ab und gab eindeutig zu verstehen, dass sie an keiner wie auch immer gearteten Beziehung Interesse hatte. Die meisten, sowieso um einiges älter als sie, waren verheiratet oder zumindest in festen Händen. Bei den neu Eingestellten lohnte es nicht, anzubandeln – oft waren sie nur kurz hier in der Firma. Außerdem: Eine Enttäuschung in Liebesdingen reichte ihr voll und ganz, obwohl diese schon eine Zeitlang zurücklag. Schnell verdrängte sie den Gedanken daran. Eine feste Beziehung stand sowieso nicht auf ihren Plänen. Wieso sich jetzt diese kurze Überlegung in ihre Gedanken geschlichen hatte, verwunderte sie. Gerade erst zweiundzwanzig Jahre jung geworden, zählten Partys, Feiern, Disco und Shoppen zu ihren absoluten ›must haves‹. Wer brauchte schon einen Mann? Sie genoss ihre Freiheit! Anika gestand sich dennoch ein, bezüglich der Männerwelt einen Knacks abbekommen zu haben. Aber das musste sie nicht gleich an die große Glocke hängen. Ihr Herz hatte einen gewaltigen Sprung davongetragen, vergleichbar mit einem tiefen Graben. Wenn es um Männer ging, beherrschten Enttäuschung, Misstrauen und Vertrauensverlust seitdem ihr Handeln. So einen Mann, wie es ihr zukünftiger Schwager war, gab es wahrscheinlich sowieso nur einmal auf der ganzen weiten Welt. Ihre um vier Jahre ältere Schwester Jenny war zu beneiden. Diplomingenieur Maximilian Winter, Jennys Verlobter, brachte zwar bereits zwei kleine Kinder mit in die Ehe, aber dennoch war er ein Mann nach Anikas Geschmack. Verträumt seufzte sie auf. So viel Glück wie ihre Schwester musste man erst einmal haben! Deren Hochzeit, organisiert von ihrer zukünftigen Schwiegermutter, fand in knapp zwei Monaten in Spanien statt. Nicht dass jemand glaubte, diese würde Jenny bei allem ihren Willen aufzwingen. Oh nein! Bevor sie eine Entscheidung traf, besprach sie sich mit Jenny und Max. Eleonore Winter war eine Perle und sie liebte Jenny. Ja, auch das gab es. Anika seufzte.
»Hey, was ist dir den über die Leber gelaufen?« Die Stimme ihrer Freundin und Kollegin riss Anika aus ihren Tagträumereien. Zeit, wieder im Hier und Jetzt anzukommen. Karin, die Buchhalterin, ließ sich auf den freien Sessel fallen und blickte Anika neugierig an.
»Ach, nichts, der Neue hat genervt.«
»Wie, genervt?«
»Weiß ich auch nicht so recht. Er hat irgendwie blöd gegrüßt. Zu freundlich für meinen Geschmack und wenn schon jemand ›Schönes Fräulein‹ sagt, flippe ich sowieso aus. Du kennst mich.«
»Oh, oh, da hast du dich gleich von deiner allerbesten Seite gezeigt, wie?« Karin konnte sich das Schmunzeln kaum verkneifen. »Entschuldige, dass ich grinsen muss, ich wollte dich nicht zusätzlich reizen. Lassen wir deinen wunden Punkt dort, wo er sich befindet – tief vergraben in deinem Inneren.«
»Mhm. Ist wohl besser so!« Anika starrte nun zu Karin hoch. »Und du? Brauchst du etwas?«
»Ja, den Ordner mit den Abrechnungen der Firma Grangl vom Januar.« Anika lief zum nahestehenden Aktenschrank, sperrte ihn mit ihren Spezialschlüsseln auf und zog wenig später den gewünschten Ordner heraus. Hier hatte alles seine Ordnung.
»Danke, Anika. Sag, wann gehst du zu Mittag?«
»So gegen eins. Warum?«
»Super, dann gehen wir zu Toni, bis dahin bin ich mit der Abrechnung sicher fertig.« Karin und Anika tranken in der Mittagspause gerne in Tonis Café einen heißen Latte macchiato oder einen Cappuccino und gönnten sich dazu eine seiner Snackspezialitäten, die der Inhaber mit viel Fantasie kreierte. Das Lokal lag gleich um die Ecke ihrer Firma und war generell sehr beliebt. Vor allem um die Mittagszeit herrschte täglich Hochbetrieb. Anika lief das Wasser im Mund beim Gedanken daran zusammen. Leider war der Arbeitstag erst angebrochen und die Mittagszeit lag in weiter Ferne. Dazwischen warteten Akten, Rechnungen und Tabellen, und Unmengen von Mails, die erledigt werden mussten. Karin verzog sich wieder in ihr kleines Büro, wo sie in Ruhe mit ihren Zahlen jonglieren konnte. Anika rief abermals die Mails ab, nur um festzustellen, dass ihr für den Rest des Tages sicher keine Minute langweilig werden würde. Auf ihrem Mailserver gingen ausschließlich dienstliche Briefe ein. Private Post durfte sie über die Firmenadresse nicht erhalten, auch das gehörte zur strikten Anordnung ihres Chefs. Sie fand es nicht weiter tragisch, da sie ihre privaten E-Mails über ihr Handy abrufen konnte. Gelegentlich griff sie eben auch in der Dienstzeit, in einem unbeobachteten Augenblick, zu ihrem Telefon, um die Neuigkeiten in ihrem Freundeskreis zu erfahren. Sie wollte über die Geschehnisse in ihrem privaten Umfeld informiert sein. Wie es nun schien, würde sie heute vor dem Abend allerdings kaum dazu kommen, sich um ihre eigenen Nachrichten zu kümmern. Frustriert wegen der vielen Arbeit, ließ sie ihr Handy in der Tasche weiterklingeln und konzentrierte sich weiter auf die laufend aufblinkenden Neueingänge. Die erste Nachricht stammte von Dr. Berthammer, welcher einen Termin bei ihrem Chef zwecks Angebotslegung für eine Sonderanfertigung wünschte. Klaus Eberer gab Bescheid, dass sich die Lieferung des Edelstahls um einen Tag verzögern würde. Es gab Probleme beim Zoll. Herr Merlinger von der Bank ersuchte um einen dringenden Anruf. Anika wunderte sich, hob den Telefonhörer ab und wählte die Kurznummer vom Chefbüro, um Herrn Pail darüber zu informieren. Dringende Angelegenheiten wollte er sofort wissen. Und diese Mail klang irgendwie sogar sehr dringend, wie Anika befand. Sie leitete ihm natürlich diverse Mails weiter, aber in der Regel schrieb sie sich die Anfragen sowie Informationen zusammen und klärte zuerst mit ihrem Chef, welche er selbst lesen und beantworten wollte. Er war noch vom alten Schlag. Die modernste Computertechnik interessierte ihn ausschließlich bei seinen Produktionsmaschinen. Sie machte eine kurze Pause, huschte auf die Toilette und, bevor sie sich wieder an die Arbeit machte, zückte sie nun doch schnell ihr Mobiltelefon. Die Neugierde war zu groß. Schließlich wollte sie wissen, von wem der Anruf vorhin stammte. Ihre Mama hatte angerufen und auch eine SMS gesendet. Sofort machte sich Anika Sorgen, dass es ihr nicht gut gehe, denn der Unfall ihrer Eltern saß ihr noch in den Knochen. Vor allem Klara Neumann wurde beim Unfall schwer verletzt – und hatte nur knapp überlebt. Schnell öffnete Anika die Nachricht. »Hallo, Kleines«, las Anika und ärgerte sich, als Nesthäkchen der Familie noch immer so genannt zu werden. »Wir sind heute am Nachmittag nicht zu Hause. Für Essen müsstest du selbst sorgen. Bussi, Mama.« Seit dem Unfall genossen ihre Eltern das Leben in vollen Zügen. Sie trafen sich mit Freunden, gingen häufig auswärts essen, unternahmen Wochenendausflüge, besuchten Jennifer und Max und hatten sich sogar einen Flug nach New York geleistet, um Thomas zu besuchen und zu sehen, wo er zurzeit beschäftigt war. Im Mai würde Jennifers und Max’ Hochzeit in Spanien stattfinden. Darauf freute sich nun auch Anika, wie sie sich eingestand. Ihre Mutter jedoch hatte zurzeit kein anderes Thema mehr. Es war nicht mehr lange bis dahin. Max’ Eltern lebten auf Mallorca, seit sie ihrem Sohn die Firma übergeben hatten. Sie genossen das milde Klima in Meeresnähe. Anika hatte sich vorgenommen, in Begleitung dort aufzukreuzen. Alleine zu so einem Ereignis zu gehen, auch wenn es nur die Hochzeit ihrer Schwester war, machte schließlich doch keinen Spaß. Allerdings müsste da wohl ein Wunder geschehen. Wie sollte sie in den nächsten zwei Monaten jemanden finden, der bereit war, sich als ihr Lover auszugeben und mitzufahren. So zu tun, als ob. Schließlich war eine Beziehung für sie absolut ausgeschlossen. Alles in ihr sträubte sich seit ihrer ersten Beziehung dagegen. Leider fehlte nicht nur das Vertrauen, sich erneut auf einen Partner einzulassen, auch diese Schmerzen des Verletztwerdens wollte sie nie mehr erleben. Sie hatte eine Liebesschnulze gelesen, in der sich die Protagonistin einen Callboy gemietet hatte, um bei der Hochzeit ihrer Schwester in Begleitung erscheinen zu können. Anika schnaufte. So mutig war sie nicht. Und außerdem hätte sie nicht das nötige Geld dafür. Am Ende des Romans wurde aus den beiden tatsächlich ein Paar. So ein Schwachsinn, dachte Anika. Sie überlegte, wer von ihren vielen männlichen Bekannten genügend schauspielerisches Talent besaß, ihren Freund zu mimen und sie zu begleiten. Da fiel ihr Pierre, der französische Austauschschüler, ein. Ein dunkelgelockter Jüngling mit gerade einmal zwanzig Jahren. Nein! Einen Milchbubi brauchte sie nicht. Dann dachte sie an Klaus. Der war wenigstens gleich alt wie sie selbst. Leider hatte die Sache einen Haken, denn er war mit ihrer Erzfeindin Sybille liiert. Sie war gerade dabei, auf der Suche nach dem passenden männlichen Gegenpol gedanklich weiter auszuholen, als ihr Chef ins Büro stürmte. Schnell ließ sie das Handy sinken und steckte es unter ihre linke Pobacke. Schon wieder Luftschlösser gebaut, Tag geträumt. Himmel, was war nur los mit ihr?
»Sagen Sie, Anika, ist der neue Mitarbeiter schon da? Hat er sich bei Ihnen gemeldet?« Herr Pail schien nichts von Anikas gedanklicher Reise nach Mallorca mitbekommen zu haben. Sie wunderte sich jedoch. Normalerweise kümmerte sich der Vorarbeiter, Herbert Tintsche, um die neuen Mitarbeiter.
»Ja, er war heute Morgen hier. Ich habe ihm die Schlüssel ausgehändigt und alles unterschreiben lassen. Ach ja, und er hätte gerne einen Termin bei Ihnen.«
»Wieso erfahre ich das erst jetzt? Das hätten Sie mir sofort sagen müssen. Um alles muss ich mich selbst kümmern! Ich bin dann in der Halle, wenn Sie mich brauchen.« Bevor er davonstapfen konnte, rief sie ihm schnell nach: »Und wann kann ich zu Ihnen? Es sind einige Mails zu beantworten.«
»Nach dem Mittagessen, so gegen zwei Uhr, werde ich wieder zurück sein.« Damit fiel die Tür hinter ihm ins Schloss. Verwundert schüttelte Anika den Kopf. Das hatte es noch nie gegeben, dass er wegen eines Mitarbeiters solch ein Aufheben machte. Sie setzte sich die Kopfhörer auf und begann die restlichen Texte zu schreiben, die der Chef auf das Diktiergerät gesprochen hatte. Der Vormittag verflog. Punkt ein Uhr Mittag, endlich! Karin beendete noch rasch eine E-Mail, bevor sie und Anika sich zu Tonis Café aufmachten. Karin stöckelte in High Heels und Anika lief leichtfüßig in ihren Sneakers neben ihrer Kollegin her. Das kleine Lokal war zum Bersten voll und Lärm, gemischt aus lauten Stimmen und Musik, drang ihnen in die Ohren, als sie die Tür öffneten. Sie zwängten sich zur Theke vor, um sich in einer Reihe anzustellen. Es dauerte, bis sie ihre Bestellungen aufgeben konnten.
»Hey, Karin, Anika«, hörten sie plötzlich jemanden ihre Namen rufen. Sie drehten sich suchend um. Franz, ein Mitarbeiter aus der Firma, winkte zu ihnen herüber.
»Kommt her, wir haben noch Platz für euch.« In der Firma hatte sich ein eigenes Schichtmodel durchgesetzt. So fand der Schichtwechsel um dreizehn Uhr statt und die Männer trafen sich anschließend noch bei Toni zum ›Arbeitsausklang‹, wie sie es nannten. Karin grinste breit. »Klar, danke.« Seit es das Rauchverbot gab, war die Luft in dem kleinen Raum zumindest nicht mehr ganz so stickig wie früher. Die beiden zwängten sich mit ihren Kaffees und Sandwiches zum Tisch ihrer Arbeitskollegen, die zusammenrückten, damit sich die beiden setzen konnten. Ein kurzer Blick in die Runde ließ Anika leise aufatmen. Der Neue war nicht dabei. Dieser Mann brachte es doch tatsächlich zustande, sie zu verunsichern. Schnell schüttelte sie diese Gedanken ab. Angestrengt versuchte sie, Herberts stolzen Erzählungen über seinen zweijährigen Sohn Paul und dessen Fortschritte beim Sprechen zu lauschen. Der Vorarbeiter war mit Leib und Seele Vater und wäre liebend gerne bei seinem Sohn zu Hause geblieben. Leider verdiente seine Frau nicht annähernd so viel, wie er es tat. Deshalb hatte nicht er die Kinderbetreuung übernommen. Er bemühte sich aber, so viel Zeit wie möglich mit seinem Jungen zu verbringen. In drei Monaten erwartete die Familie weiteren Nachwuchs. Anika gönnte es Herbert und seiner Frau von ganzem Herzen. Für sie selbst waren Kinder kein Thema.
»Hey, Anika, wo bist du denn wieder mit deinen Gedanken?« Sie starrte Markus verwirrt an. »Wieso?«
»Wir wollten wissen, wie du den Neuen findest?«
»Wieso? Ich kenn ihn nicht. Er hat nur seine Schlüssel geholt und die üblichen Papiere unterschrieben.« Anika fühlte sich ertappt und wusste nicht recht zu antworten.
»Na ja, wie gefällt dir sein Erscheinungsbild? Der sieht doch super aus, da müsst ihr Mädels doch total darauf abfahren?« Markus grinste. Mit seinen knapp vierzig Jahren hatte er noch immer keine Familie gegründet. Das war wohl für ihn auch nichts. So viel Anika mitbekam, wechselte er seine Freundinnen so häufig wie seine Hemden, jeden Tag eine andere. Sie merkte, wie sie rot wurde, und versuchte auszuweichen.
»Typen, die meinen, unwiderstehlich zu sein, können mir gestohlen bleiben«, meckerte sie. Die Männer lachten. Alle kannten Anika nur zu gut und neckten sie gerne. Vor allem in Bezug auf Männer reagierte Anika besonders kratzbürstig. Den Grund, warum sie mit ihren zweiundzwanzig Jahren derart widerborstig reagierte, wenn es um die männliche Spezies ging, hatte sie niemandem verraten. Und dabei sollte es bleiben. Dass es ihnen gefiel, weil sie immer einen Spruch parat hatte und nicht auf den Mund gefallen war, wusste sie.
»Karin, kommst du? Die sind mir heute auch zu witzig, die halt ich nicht länger aus«, meckerte Anika und sprang auf. Sie schnappte sich ihre Handtasche und lief voraus. Karin blickte ihre Freundin verwundert an und erhob sich, um ihr zu folgen.
»Tschüss«, verabschiedete sie sich rasch. »Anika, warte doch! Was ist denn auf einmal los? Irgendwie bist du heute schon den ganzen Vormittag komisch«, rief sie ihrer Freundin hinterher. Sie beeilte sich, sie einzuholen.
»Ich bin nicht komisch. Aber die rauben mir den letzten Nerv mit ihren Andeutungen. Die können mich mal«, meckerte Anika, die sich plötzlich selbst sehr kindisch vorkam, was sie erst recht ärgerte.
»Ich glaube, der Neue … Wie heißt er eigentlich?« Karin blieb kurz stehen, um zu verschnaufen.
»Mike Koller«, auch Anika stoppte.
»Also, dieser Mike, glaube ich, gefällt dir doch. Sonst würdest du nicht so reagieren. Das ist mir schon vorhin im Büro aufgefallen.« Karin betrachtete ihre Freundin von der Seite.
»Jetzt fängst du auch noch damit an! So ein Schmarrn!« Anika lief wieder los und beschleunigte das Tempo, während Karin versuchte, zu ihr aufzuschließen, was mit ihren Stöckelschuhen mit den hohen Absätzen gar nicht so einfach war. Anika tat sich in ihren bequemen Tretern um einiges leichter.
»Jetzt sei kein Muffel! Mensch, Anika. Du bist jung, single und hübsch. Was ist denn schon dabei, wenn er dir gefällt. Mir kannst du es doch sagen. Ich behalt es auch für mich, ehrlich. So gut musst du mich schon kennen. Oder?«
»Ja, ja. Ist schon gut. Er gefällt mir aber nicht, basta!«
»Was machst du heute Abend?«, fragte Karin. »Wenn du nichts vorhast, könnten wir nach der Arbeit in die Stadt fahren, shoppen und anschließend irgendwo eine Kleinigkeit essen.«
»Mhm, ja, können wir machen. Ich arbeite bis fünf, und du?«
»Auch, also abgemacht! Ich freu mich, tschüss.« Anika schlenderte mit einer Spur schlechten Gewissens im Schlepptau zurück in ihr Büro. Ihr gefiel der Neue ausgesprochen gut, da hatte sie gelogen, aber was half es. Über ihren Schatten zu springen, vermochte sie dennoch nicht.
»Morgen, Mama«, nuschelte Anika verschlafen, als sie die Küche betrat. Ihre Mutter saß am Tisch, wie jeden Morgen um diese Zeit, trank ihren Kaffee und las die regionale Tageszeitung. »Guten Morgen, meine Kleine. Wie geht’s?«
»Geht so. Wenn du nicht ständig meine Kleine sagen würdest, ginge es mir besser«, fauchte Anika. Eigentlich wollte sie ihre Mutter nicht anmotzen, aber immer noch wurde sie in der Familie als Nesthäkchen bezeichnet, und, was noch viel schlimmer war, auch so behandelt.
»Du weißt aber schon, dass ich es nicht böse meine, oder?« Anika spürte, dass ihre Mutter sie beobachtete, während sie die Kaffeemaschine bediente.
»Gestern ist es anscheinend spät geworden, nicht? Du siehst nicht gerade ausgeschlafen aus«, stellte Klara Neumann nun fest.
»Karin und ich waren in der Stadt. Wir haben einen kurzen Abstecher in die Sunny Bar gemacht und dort ein paar Freunde getroffen. Ich bin aber schon um Mitternacht zu Hause gewesen.« Anika berichtete ihrer Mutter immer alles. Dies war irgendwie bei ihnen so eine Art Brauch.
»Und ihr? Wann seid ihr nach Hause gekommen? Hattet ihr einen schönen Abend?« Anika lehnte sich mit ihrer Tasse Kaffee in der Hand an den Küchentresen und trank einen Schluck.
»Danke, ja, hatten wir. Hervorragendes Essen in netter Gesellschaft hat schon was«, schwärmte ihre Mutter. »Es ist allerdings nicht allzu spät geworden. Zumindest waren wir vor dir im Bett«, bemerkte sie mit Augenzwinkern.
»Und warum bist du so mürrisch? Hast du Probleme?«, wollte ihre Mutter wissen.
»Nein, keine Probleme, echt nicht. Hab wahrscheinlich doch zu wenig Schlaf abbekommen. So, ich muss dann«, verabschiedete sich Anika rasch, nachdem sie die Tasse in einem Zug ausgetrunken hatte. Sie war froh, dem forschen Blick ihrer Mutter, dem wirklich nichts entging, zu entkommen. Was hätte sie ihrer Mutter auch erzählen sollen? Dass sie sich in den neuen Mitarbeiter mit den unglaublichsten türkisblauen Augen, die sie je gesehen hatte, verguckt hatte. Dass er sie aber genauso zur Weißglut trieb, weil er sie einfach ausgelacht hatte und sie nicht ernst zu nehmen schien. Der Feierabend hatte wirklich super begonnen. Sie und Karin waren durch die Einkaufspassage geschlendert, hatten einige tolle Outfits probiert und natürlich auch viele Sachen eingekauft, um sich abschließend in ihren Lieblingsitaliener zu setzen und eine Pizza zu verspeisen. Bis dahin verlief alles einwandfrei. Anika hatte abschalten, alles um sich vergessen können. Auch die türkisblauen Augen. Doch dann wollte Karin noch unbedingt in die Sunny Bar. Anika ließ sich überreden. In dem Lokal war sehr viel los. Laute Musik dröhnte durch den Raum, gedämpftes Licht, an das sich die Augen erst gewöhnen mussten, schufen eine intime Atmosphäre. Die Lichtspektakel in allen Farben auf der winzigen Tanzfläche, die zu dieser frühen Stunde noch vereinsamt war, setzten einen Gegenakzent zu den nur wenig beleuchteten Sitzplätzen. Trotz des Wochentages war das Lokal zum Bersten voll, denn in dem kleinen Dorf nahe Perg gab es nur dieses eine Inlokal. Anika und Karin zwängten sich an die Bar, um ihre Drinks zu bestellen. Gerade als der Barkeeper sich ihnen zuwandte und ihre Bestellung aufnahm, registrierte Anika aus den Augenwinkeln ein Augenpaar, das auf sie gerichtet war. Sie drehte sich zur Seite. Tatsächlich! Da stand Mike Koller, in Begleitung einer Gruppe junger Leute. Er lächelte sie an, hob sein Glas in ihre Richtung und nickte zur Begrüßung. Anika merkte, wie ihr die Hitze in den Kopf stieg. Sie ergriff rasch das Glas, das ihr der Barkeeper auf die Theke gestellt hatte, und prostete Mike zu. Was hätte sie auch sonst machen sollen. Gänzlich unhöflich zu sein, entsprach auch nicht ihrem Naturell. Karin beobachtete ihre Freundin und schielte verstohlen zu Mike.
»Willst du hinübergehen? Wir könnten uns zu ihnen gesellen«, meinte Karin beiläufig. »Der Typ sieht ja hammermäßig aus. Kennst du ihn?«
»Mike Koller.« Anika presste den Namen zwischen ihren Zähnen hervor.
»Wow! Jetzt ist alles klar.«
»Was soll das denn heißen? Was meinst du? Sprich doch nicht ständig in Rätseln!« Anika funkelte ihre Freundin an.
»Na, dass ich jetzt verstehe, warum du dich heute so komisch aufgeführt hast. Der Typ hat dich total aus der Bahn geworfen. Gut so! Hinübergehen und ein wenig schäkern fände ich jetzt durchaus angebracht.« Karin zwinkerte und führte ihr Glas an den Mund, um das spitzbübische Grinsen, das sich auf ihrem Gesicht auszubreiten drohte, zu überdecken. Sie blinzelte Anika zu, die genervt mit den Augen rollte. »Sag, spinnst du? Ich will nichts von dem! Hör auf, ständig hinüber zu starren, und komm endlich.« Sie zog Karin am Ärmel weg von der Bar. Wie konnte ihre Freundin ihr nur so in den Rücken fallen? Dass Mike verdammt gut aussah, war nicht anzuzweifeln. »Komm schon und stier nicht ständig in seine Richtung.«
»Hey, schauen werde ich doch noch dürfen, vielleicht ist ja sonst noch ein ansprechendes Exemplar der männlichen Spezies hier.« Karins Blicke schweiften im Lokal umher. Mit ihren gerade mal sechsundzwanzig Jahren war sie dabei, ihre kürzliche Trennung von ihrem Langzeitfreund David zu verdauen.