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***BAND 4 DER EINFÜHLSAMEN HOFFNUNG-FÜR-DIE-LIEBE-REIHE***
Stefan Brender, der Zuchtmeister, liebt Pferde, sein Singleleben und den Lindenhof. Er ist erleichtert, als der alte Morbach nach anfänglicher Ablehnung seiner Enkelin Toni das Gestüt überschreibt. Toni ist frisch verliebt und bald schon sollen die Hochzeitsglocken für sie und Jan läuten. Als Stefan immer mehr bemerkt, wie glücklich Toni seit dem Beginn ihrer Beziehung ist, beginnt er, die beiden um ihr Liebesglück zu beneiden. Mit einem Mal gefällt ihm sein Singleleben doch nicht mehr so sehr. Aber wenn es um die Liebe geht, hat er stets mit schlimmen Erinnerungen zu kämpfen. Seit einer herben Enttäuschung in jungen Jahren ist er ein eingefleischter Junggeselle. Doch als Julia mit ihrem fünfjährigen Sohn Markus auf den Lindenhof und in sein geordnetes Leben stürmt, wirbeln sie es gehörig durcheinander. In ihrer Gegenwart beginnen die Schmetterlinge in Stefans Bauch nach so langer Zeit endlich wieder zu flattern.
Auch sonst gibt es viel Aufregung am Lindenhof. Thomas Wegener ist zurückgekehrt und Toni sowie die Hof-Mitarbeiter werden vor eine schwierige Entscheidung gestellt.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Danielle A. Patricks
Über das Buch:
Stefan Brender, der Zuchtmeister, liebt Pferde, sein Singleleben und den Lindenhof. Er ist erleichtert, als der alte Morbach nach anfänglicher Ablehnung seiner Enkelin Toni das Gestüt überschreibt. Toni ist frisch verliebt und bald schon sollen die Hochzeitsglocken für sie und Jan läuten. Als Stefan immer mehr bemerkt, wie glücklich Toni seit dem Beginn ihrer Beziehung ist, beginnt er, die beiden um ihr Liebesglück zu beneiden. Mit einem Mal gefällt ihm sein Singleleben doch nicht mehr so sehr. Aber wenn es um die Liebe geht, hat er stets mit schlimmen Erinnerungen zu kämpfen. Seit einer herben Enttäuschung in jungen Jahren ist er ein eingefleischter Junggeselle. Doch als Julia mit ihrem fünfjährigen Sohn Markus auf den Lindenhof und in sein geordnetes Leben stürmt, wirbeln sie es gehörig durcheinander. In ihrer Gegenwart beginnen die Schmetterlinge in Stefans Bauch nach so langer Zeit endlich wieder zu flattern.
Auch sonst gibt es viel Aufregung am Lindenhof. Thomas Wegener ist zurückgekehrt und Toni sowie die Hof-Mitarbeiter werden vor eine schwierige Entscheidung gestellt.
Die Autorin:
Danielle A. Patricks ist das Pseudonym einer aus Österreich stammenden Autorin. Ihre Liebesgeschichten sind Geschichten fürs Herz – eben Herzgeschichten. Beim Schreiben taucht sie in eine Parallelwelt ein. Die Finger wandern über die Tastatur, Worte fliegen wie von Zauberhand auf den Bildschirm, Charaktere, Menschen mit Fehlern und Vorzügen betreten die fiktive Leinwand …
Sie selbst bezeichnet sich als absoluten Familienmenschen und liebt die Ruhe. Mit ihrem Mann und diversen Haustieren lebt sie in der Weststeiermark.
Danielle A. Patricks
Liebesroman
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die
Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
August © 2024 Empire-Verlag OG
Lofer 416, 5090 Lofer
Lektorat: Carolin Wenner
https://www.die-zeilenschleiferei.de/
Korrektorat: Heidemarie Rabe
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur
mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Cover: Chris Gilcher
https://buchcoverdesign.de/
Illustrationen: Adobe Stock ID 225814777
Diese Geschichte widme ich all jenen Personen, die mit gesundheitlichen Problemen kämpfen und die täglichen Herausforderungen, die das Leben an sie stellt, meistern.
Kapitel 1
Stefan
Morgendlicher Tau überzog die Wiese mit einer Glitzerdecke. Die Sonne tauchte rötlich schimmernd hinter dem Hügel auf. Einzelne Wolken malten Bilder an den Himmel. Heute war der erste September. Die Zeit verflog viel zu schnell für Stefans Geschmack. Lautes Poltern der Hufe gegen die Boxenwände und Wiehern durchbrach die idyllische Stimmung. Allmählich kam Leben in den Lindenhof.
»Ist ja gut, Amigo, bin ja schon da«, hallte die verschlafene Stimme von Max aus dem Stall. »Amigo, ich weiß, dass du schon ungeduldig auf deinen täglichen Ausritt wartest«, versuchte der angehende Pferdewirt Max den aufgebrachten Hengst zu besänftigen.
Stefan, der Gestütsleiter des Lindenhofs, hörte Max schon beim Eintreten in den Stall mit Toni Morbachs Pferd quatschen und musste grinsen.
Anscheinend hatte seine Besitzerin heute verschlafen. Wobei, ganz vorstellen konnte Stefan sich das nicht. Toni war die Pünktlichkeit in Person und der allmorgendliche Ausritt mit Amigo war ihr heilig. Amigos Verhalten färbte auf Sultan ab. Auch er drehte unruhige Runden in der Box.
»Na, das wird ja heiter werden mit euch beiden«, meckerte Max.
»Guten Morgen, Max. Alles okay bei dir?«, grüßte Stefan.
»Morgen, Stefan. Ja, ja. Bin etwas im Stress, weil Amigo Flausen im Kopf hat und Sultan mitreißt. Die beiden warten schon ungeduldig auf den Ausritt.«
Stefan grinste breit. »Na, dann wünsche ich viel Spaß. Ich habe sie bis nach draußen gehört.«
Max schob seine Kappe zurück, kratzte sich an der Stirn und ergriff den Schubkarren.
»Ich hole für sie frisches Heu. Vielleicht beruhigt sie das ein wenig.« Im Vorbeigehen nickte er den beiden Stallburschen kurz zu, die ihren Dienst antraten. Max war am Morgen nicht gerade gesprächig. Stefan und die anderen kannten ihn gut genug, um sich nicht über seine knappe Art zu wundern.
Stefan schritt auf Amigo und Sultan zu, die ihn mit ihren großen Augen und stolz erhobenen Köpfen erwarteten.
»Na, wer wird denn so ungeduldig sein?«, tadelte er die beiden liebevoll. Mit einem Lächeln hielt er ihnen Leckereien entgegen, die sie freudig annahmen.
»Na also, geht doch«, scherzte Stefan. Er streichelte ihre samtigen Nasen und die Ganaschen, bevor er seinen Weg in den linken Stalltrakt fortsetzte, wo die Boxen der trächtigen Stuten lagen. Jeden Morgen war dies sein erster Anlaufpunkt. Das Wohl der Tiere stand an erster Stelle, denn sie bildeten das Herzstück der Zucht auf dem Lindenhof. Die prächtigen Stuten, einst selbst hier gezüchtet und trainiert, waren nun für die nächste Generation verantwortlich. Jedes Tier war ein Juwel, liebevoll gepflegt und umsorgt. Sie repräsentierten das Gestüt, das weit über die Landesgrenzen hinaus für seine exzellente Zucht bekannt war und einen makellosen Ruf genoss.
»Guten Morgen, Stefan«, holte ihn Tonis Stimme aus seinen Gedanken. Sie stützte sich beim Gehen auf einen Stock.
»Guten Morgen, Toni, Amigo ist ziemlich aufgebracht und unruhig. Ich glaube, Max hat alle Hände voll damit zu tun, ihn zu beruhigen.« Der verschmitzte Unterton in seiner Stimme war nicht zu überhören.
»Ich habe ihn bereits gehört, aber jetzt bin ich ja da. Jan ist schon bei den Pferden, um sie zu satteln. Wie geht es den Stuten?«
»Alles im grünen Bereich. Keine Auffälligkeiten«, berichtete Stefan voll Stolz. Für das Wohlergehen der Pferde und der Zuchttiere war vor allem er verantwortlich. Sein Chef Arthur Morbach schätzte und respektierte seine Arbeit. Auch Toni, die Enkelin von Morbach, brachte ihm große Achtung entgegen. Er kannte Toni schon seit Langem. Sie war eine Kämpfernatur, ähnlich wie ihr Großvater, und ließ sich nicht so leicht unterkriegen. Diese Eigenschaft bewunderte er an der jungen Frau. Stefan war überzeugt, dass sie einmal eine ausgezeichnete Chefin sein würde, wenn die Zeit dafür gekommen war.
»Ich muss weiter«, sagte Toni und begab sich zu Amigo.
Stefan sah ihr nach, wie sie einen Schritt vor den anderen setzte. Er fand es einzigartig, wie sie sich nach ihrem schweren Unfall zurückkämpfte. Obwohl sie auch nach der Operation noch Schmerzen plagten, war sie zu keiner Zeit gegenüber Angestellten oder Tieren ungehalten. Nie hatte sie es andere spüren lassen. Ob er in einer ähnlichen Situation ebenso stark gewesen wäre, er wusste es nicht. Er war froh, dass er mit zwei gesunden Beinen gesegnet war. Er öffnete Selmas Box und trat ein. Ruhig strich er Selmas Hals entlang und fuhr mit der Handfläche über den Bauch. Sie würde ihnen im kommenden Frühjahr sicherlich wieder ein prachtvolles Fohlen schenken. Er liebte seine Arbeit. Bei jedem Pferd, das aus ihrer Zucht ausgezeichnet wurde, hatte er einen großen Anteil daran. Stolz über seine Leistung erfüllte ihn.
»Bist ein braves Mädchen.«
Max kam mit dem Heu an. Er stellte die Karre ab und wischte sich über die Stirn.
»Ist alles okay mit ihr?«, fragte er.
»Ja, alles bestens.«
»Gut, dann fange ich bei ihr mit dem Futter an.« Max öffnete die Tür zur Box. Er füllte den Futtertrog auf.
»Später könnt ihr die Stuten auf die Weide führen«, sagte Stefan zu Max, bevor er zur nächsten trächtigen Stute ging.
»Guten Morgen, Stefan.« Arthur Morbach kam in den Stall.
»Guten Morgen, Herr Morbach«, begrüßte Stefan den Besitzer des Gestüts mit einem Nicken.
»Haben Sie Toni und Jan gesehen?«
»Sie waren eben im Stall und haben die Pferde für ihren Ausritt abgeholt. Amigo war recht ungehalten, weil Toni schon spät dran war.«
Herr Morbach lachte vergnügt.
»Die jungen Leute brauchen halt auch ein bisschen Zeit für sich allein. Wir waren in jungen Jahren nicht anders, oder?«
»Na ja«, erwiderte Stefan nachdenklich. Einerseits wunderte es ihn, dass sein Chef merklich gut gelaunt war, seitdem Toni und Jan Olsson offiziell ein Paar waren. Andererseits erinnerte er sich an seine eigene Jugend. Die Bilder seiner enttäuschenden Beziehung drängten sich ins Bewusstsein. Frauen hatten in seinem Leben keinen Platz mehr. Hand in Hand war er einst mit seiner Liebe über die blühenden Wiesen gelaufen, voller Hoffnung und Pläne für die Zukunft. Doch diese Träume waren zerplatzt wie Seifenblasen. Eine Leere hatte sich in Stefans Innerem ausgebreitet, die er trotz aller Bemühungen nicht hatte füllen können.
Die Enttäuschung und der Schmerz hatten eine unsichtbare Mauer um sein Herz errichtet, die niemand zu durchbrechen vermochte. Er war ein Einzelgänger, der sich in der Gesellschaft von Pferden am wohlsten fühlte. Sie waren seine treuen Begleiter, die ihm bedingungslos vertrauten und seine Einsamkeit mit ihrer Anwesenheit erträglicher machten. In ihrer Gegenwart vergaß er die Vergangenheit und war frei.
»Bei den Stuten ist alles in Ordnung«, sagte Stefan. Eher, um sich von den aufkeimenden Gedanken abzulenken als zur Information für seinen Chef.
Herr Morbach strich Selma sanft über die Stirn.
»Wenn Sie später etwas Zeit erübrigen können, kommen Sie bitte in mein Büro. Ich möchte die nächsten Termine mit Ihnen abgleichen.«
»Natürlich.« Stefan blickte zu seinem Chef, dessen Anwesenheit er für einen Augenblick verdrängt hatte, und wandte sich den Pferden zu. Morbach schlenderte weiter, um die anderen Pferde zu besuchen.
Kapitel 2
Toni
Tonis Schritte waren bedacht und behutsam. Jeder Schritt war ein kleiner Triumph, ein Sieg über die Schmerzen und Einschränkungen, die sie seit ihrem folgenschweren Unfall vor zwei Jahren durchlebt hatte. Zwar benötigte sie den Rollstuhl nicht mehr, trotzdem war ihr Gang langsamer als früher. Heute stützte sie sich auf den Gehstock, der ihr Sicherheit gab und half, das Gleichgewicht zu halten. Jeder getane Schritt war eine Erinnerung daran, wie weit sie gekommen und wie stark sie war.
Ihr Gesicht strahlte vor Glück, als sie bei den Boxen ankam, wo Jan die beiden Vierbeiner für den Ausritt sattelte. Sie lehnte sich erschöpft, aber zufrieden an das Gitter der Box und beobachtete, wie Jan geschickt die Sättel auflegte. Hoffentlich sah ihr die Anstrengung des Fußmarsches vom Haus zu den Stallungen niemand an. Zumindest sprachen weder Max noch Jan sie darauf an.
Toni genoss den Moment der Ruhe und des Glücks, umgeben von den Pferden, die ihr so viel bedeuteten. Trotz der Anstrengung und der Schmerzen war sie dankbar für jeden Schritt, den sie gehen konnte, für jeden Moment, den sie auf ihren eigenen Beinen stand. Denn für sie war jeder Schritt ein kleiner Sieg, ein Zeichen ihrer Stärke und ihres unerschütterlichen Willens.
Jan drehte sich zu ihr und holte Amigo, ihren Hengst, aus der Box.
»Na, mein Schatz, willst du gleich hier aufsitzen oder lieber draußen im Freien?«
»Draußen, hier ist es mir zu eng.« Sie klopfte Amigo auf die Schulter, kraulte seine Mähne und holte aus ihrer Hosentasche ein Pferdeleckerli.
»Heute machen wir das Aufsitzen auf altbewährte Methode, mein Junge«, flüsterte sie dem Hengst ins Ohr. Jan führte Amigo aus dem Stall. Toni humpelte hinterher. Als sie bei den beiden angekommen war, legte sich Amigo auf ein Zeichen von ihr auf den Boden, damit Toni leichter in den Sattel klettern konnte. Sobald sie im Sattel saß, richtete sich das Pferd vorsichtig auf. Damals, als Toni im Rollstuhl saß, hatte Amigo ihr auf diese Weise das Reiten überhaupt ermöglicht. Die beiden waren ein eingespieltes Team. Heute schmerzte ihr linkes Bein besonders. Die Therapieeinheiten von gestern waren zu intensiv gewesen. Sie wollte jedoch nicht auf ihren Therapeuten hören, weil ihr die Heilung zu langsam voranschritt. Zwei Jahre war sie auf den Rollstuhl angewiesen gewesen, ohne Hoffnung, jemals wieder laufen zu können. Nun schritt die Heilung für ihren Geschmack viel zu langsam voran. Sie streichelte Amigo, redete beruhigend auf ihn ein, während sie auf Jan und seinen Sultan wartete.
»So, mein Schatz, jetzt kann es losgehen«, erklang Jans Stimme hinter ihr. »Sultan ist heute besonders eigenwillig, mir scheint, er nimmt die Marotten von Amigo an.«
»Ja natürlich«, lachte Toni auf. »Dein Sultan ist eifersüchtig, das ist alles. Der Kerl will dich für sich allein. Das schmink dir ab, mein Freund«, tadelte sie das Pferd, als es neben sie und Amigo trat, und kraulte es hinterm Ohr. Toni beugte sich vor, um Jan einen Kuss zu geben. Sultan stampfte zum Protest mit dem Vorderhuf auf. Beide grinsten.
»Sag ich doch, eifersüchtig ist er«, bestätigte Toni glucksend. Jan saß auf und sie verließen gemächlichen Schrittes den Hof. Toni sah zu Jan. Ihr wurde warm ums Herz. Dieser Mann zeigte ihr tagtäglich, wie schön die Liebe und das Leben sein konnten. Erst nach langem Zögern hatte sie sich getraut, über den eigenen Schatten zu springen und sich auf ihn einzulassen. Seit vier Wochen waren sie offiziell ein Paar. Jan hatte ihrem Großvater, dem das Gestüt und der Familienbesitz gehörten, angeboten, hier zu arbeiten. Ihretwegen hatte er seine Heimat verlassen und war mit Sack und Pack hierhergezogen. Großvater war seitdem zugänglicher und verträglicher. Er akzeptierte Jan. Endlich hatte er eingewilligt, den gesamten Besitz an sie zu übergeben, obwohl sie eine Frau war. Seine verstaubten Ansichten hatte er endgültig zu den Akten gelegt. Der Notartermin war für kommende Woche fixiert. Toni konnte es kaum erwarten. Dies alles verdankte sie zu einem Großteil Jan, der ihrem Großvater ins Gewissen geredet hatte. Indirekt dankte sie auch dem vermaledeiten Ex, Thomas Wegener, der durch seine krumme Tour ihrem Großvater die Augen geöffnet hatte. Er hatte ihm gezeigt, dass Männer nicht unbedingt die besseren Geschäftspartner und Betriebsführer waren. Toni atmete tief durch. Ihr Jan war bei der Aufdeckung von Thomas’ unlauteren Machenschaften federführend gewesen. Dadurch hatte er seinen besten Freund verloren.
»Was ist? Du strahlst und irgendwie scheint mir, ist dein Lächeln festgeklebt.« Jan studierte ihr Gesicht.
»Wird wohl so sein. Ich bin verliebt und gerade irrsinnig glücklich. Irgendwie fühle ich mich, als schwebe ich auf Wolke sieben.«
»Huch, so schlimm? Kann ich dir irgendwie helfen?«
»Da hilft nur küssen, küssen, küssen, bis wir keine Luft mehr bekommen.«
»Meine Liebe, du bist ja unersättlich! Deine Lippen sind von der intensiven Nacht leicht geschwollen. Max hatte verlegen zur Seite geguckt. Direkt rot ist der arme Junge geworden.«
»Papperlapapp, übertreib mal nicht, mein Lieber«, rügte Toni entrüstet. »Was glaubst du, was er und Marie in ihren vier Wänden anstellen? Briefmarken sammeln wahrscheinlich nicht.« Marie und Max waren seit einem Jahr ein Pärchen. Die beiden waren entzückend, wie Toni fand. »Und außerdem, wer hat denn nicht aufgehört und ständig an mir herumgeknabbert?« Sie sah ihn empört an. Sie trieb Amigo an und er galoppierte mit der lachenden Toni auf seinem Rücken über die Wiese. Jan nahm mit Sultan die Verfolgung auf. Das Leben konnte so leicht und unbeschwert sein. Die düsteren Zeiten schienen endgültig vorbei, die Nebelwand hatte sich gelichtet.
Im wilden Galopp fegten sie über die Wiese, sie schlugen den Weg Richtung Ferienhof ein. In weniger als einer Stunde begann das tägliche Programm für die Kinder-Reitstunden, Therapiereiten, Hippotherapie. Heute stand für eine Schülergruppe, die anstelle des regulären Sportunterrichts Reiten auf dem Stundenplan hatte und sehr erfahren im Umgang mit den Tieren war, ein Ausflug auf dem Programm. Diesen würden Toni und Elsa begleiten.
Jan war für eine Hippotherapie gebucht. Am Ferienhof kümmerte sich Jan vor allem um die kleinen Patienten, die mit ihren strahlenden Augen und voller Freude auf dem Rücken der Pferde saßen. Die Verbindung zwischen Mensch und Tier war spürbar, eine harmonische Einheit, die glückliche Momente und Trost brachte. Jan war ein Meister seines Fachs, einfühlsam und geduldig begleitete er die Kinder durch die Therapie. Toni bewunderte ihn dafür.
Die Weite des Hofs und die Ruhe der Natur bildeten zudem die perfekte Kulisse. Die Pferde schritten über die grünen Wiesen, ihre Hufe im Einklang mit den Herzen der Kinder. Jeder Schritt, jede Bewegung war ein Schritt in Richtung Wohlbefinden, ein Zeichen der Hoffnung und des Vertrauens. Jan machte ihnen Mut, ihre Grenzen zu überwinden und stark zu werden. Das war wahrscheinlich der Grund, warum Toni sich bei ihm selbst so geborgen fühlte.
Am Hof angekommen rutschte Toni vom Rücken ihres Amigos und Jan stützte sie. Er brachte die beiden Pferde zu den Boxen, wo sie Karl, der Stallbursche, in Empfang nahm. Der Geruch von Stroh und frischem Heu lag in der Luft, die Pferde schnaubten zufrieden. Toni und Jan schlenderten zur Küche, wo Christl sie mit einem warmen duftenden Apfelkuchen und frisch gebrühtem Kaffee empfing. Die Sonne schien durch die Fenster und tauchte den Raum in ein sanftes Licht, das die Szene wie in einem Gemälde erscheinen ließ.
»Na, ihr beiden seid aber heute spät dran«, bemerkte Christl mit einem Lächeln auf den Lippen.
»Hm, ja, wir haben ein wenig verschlafen, tut mir leid«, antwortete Toni. Ihre Wangen wurden warm. Hoffentlich wurden sie nicht rot.
Christl schmunzelte und meinte augenzwinkernd: »Ja, ja, ich verstehe. Ich wünschte, ich könnte auch noch einmal jung und verliebt sein.«
Für diese Worte erntete sie einen skeptischen Blick von Toni.
»Ich dachte, du brauchst diesen ganzen Liebeskram nicht, wie du immer zu sagen pflegst?«
»Eh nicht, aber hin und wieder wird man träumen dürfen. Vor allem, wenn ich mir euch beiden Turteltäubchen so ansehe«, gluckste Christl.
Jan verschluckte sich am heißen Kaffee. Er hustete.
»Ich glaube, Toni, unsere Christl beneidet uns, auch wenn sie es nicht zugibt.«
Die Angesprochene winkte mit der Hand ab und machte sich am Herd zu schaffen. Darauf köchelte eine kräftige Rinderbrühe in einem riesigen Topf. Die Knödel für die Suppeneinlage bereitete sie gerade zu.
»Sag, Toni, wo bleibt eigentlich Marie, sie hat versprochen, mir heute auszuhelfen?« Kaum hatte sie den Satz beendet, öffnete sich die Küchentür und Marie trat ein.
»Hallo, alle zusammen. Ich musste noch ein paar Besorgungen erledigen, vorrangig für deinen Großvater, Toni, daher bin ich später dran. Die Apotheke sperrt leider nicht früher auf.«
»Apotheke? Was fehlt ihm denn? Mir gegenüber hat er nichts erwähnt.« Sorge stieg in Toni auf.
»Seine Medizin gegen die Arthrose ist ihm ausgegangen, das Rezept hatte er schon zu Hause. Nichts Tragisches, keine Sorge.« Marie hob beschwichtigend die Hände. »Es kann schon sein, dass er verstärkt Schmerzen in den Gelenken verspürt. Vielleicht fragst du ihn und versuchst, ihn zum Arzt zu schleppen. Er hat zwar so getan, als sei er gut gelaunt. Ganz habe ich es ihm jedoch nicht abgenommen.« Marie zuckte mit den Schultern.
»Gut, ich werde gleich heute am Nachmittag mit ihm reden«, beschloss Toni. Ihr Großvater war für seinen Sturschädel bekannt und dass er nicht zum Arzt ging, bevor die Schmerzen unerträglich wurden. Mit seinen knapp neunundsiebzig Jahren meldete sich sein Körper vermehrt und zeigte ihm unerbittlich das fortgeschrittene Alter.
»Wie lange wirst du heute hier sein, Marie?«, fragte Toni.
»Was schätzt du, wie lange brauchen wir?«, gab sie die Frage an Christl.
»Voraussichtlich bis sechzehn Uhr müssten wir es schaffen. Die Schülergruppe kommt gegen vierzehn Uhr zurück, oder Toni?«
»Genau, wir starten in einer viertel Stunde und um vierzehn Uhr ist die Rückkehr geplant, sofern nichts dazwischenkommt.«
»Für das Essen und das anschließende Aufräumen benötigen wir zirka zwei Stunden.«
»Du hast es gehört«, meinte Marie an Toni gewandt. »Warum ist das wichtig? Brauchst du mich auf dem Gutshof?«
»Nein, das nicht. Aber ich dachte, vielleicht kannst du noch einmal ins Dorf fahren und einige Besorgungen erledigen? Ist jedoch nicht so eilig, kann auch morgen sein. Ich komme leider erst am Freitag zum Einkaufen, wenn ich die nächste Therapie habe.«
»Kein Problem. Schreib mir auf, was du benötigst.«
»Danke und tschau, bis später.« Toni hob die Hand zum Gruß und zog Jan hinter sich aus der Küche.
»Tschau«, rief er völlig überrumpelt, bevor die Tür hinter ihm ins Schloss fiel.
»Warum so eilig?«
»Sieh auf die Uhr, du Plaudertasche.«
»Ich und Plaudertasche? Wer hat denn die längste Zeit gequatscht? Warte nur, mein Schatz, das wirst du mir büßen.«
Toni lachte und ging so schnell wie möglich davon. Es war eher ein Davonhumpeln. Jan hielt sie am Ärmel ihrer Jacke fest.
»Nichts da, davonlaufen gilt nicht.« Er zog sie in seine Arme und umschloss ihre Lippen mit den seinen. Toni schlang ihre Arme um seinen Hals. Beide versanken in einen intensiven innigen Kuss. Sie ließen die Zungen miteinander spielen. Wärme, Hitze und Gänsehaut überzogen abwechselnd Tonis Körper. Schmetterlinge schwirrten im Bauch. Sie vergaß die Welt um sich herum. Konnte sie je genug von ihm bekommen? Niemals, schoss es Toni durch den Kopf. Sie schwebte in einem Ausnahmezustand und einem Glücksgefühl, das sie so noch nie erlebt hatte.
»Da seid ihr ja«, riss die Stimme von Elsa die beiden Turteltäubchen aus ihrer innigen Umarmung.
Toni löste sich widerwillig von Jans Lippen.
»Überall wird man gestört«, meckerte sie, grinste jedoch dabei. »Du siehst, ich muss leider arbeiten.« Toni hauchte Jan einen flüchtigen Kuss auf die Wange, bevor sie sich gänzlich aus seiner Umarmung löste. Sofort stieg das Gefühl auf, dass etwas Wichtiges fehlte. Wo vorher Wärme, ja sogar Hitze zu spüren war, verblieb ein kühler Schauer. Gemeinsam mit Elsa ging sie davon.
»Tut mir leid, dass ich eure Zweisamkeit stören musste, Chefin, aber die Kinder sind schon ungeduldig.«
»Okay, wo geht es hin? Welche Route reiten wir?«
»Über den Anger Richtung Alm und über die Nordweide zurück.«
»Gut, das geht sich leicht aus, um rechtzeitig zum Essen zurück zu sein. Auf geht es.« Toni freute sich auf den gemeinsamen Ausflug mit den Kindern.
Elsa ritt der Schülergruppe voraus und Toni machte mit ihrem Amigo den Abschluss. Dazwischen ritten die beiden Lehrerinnen, die die Gruppe begleiteten. Die Kinder liebten diese Ausflüge. Zweimal im Schuljahr standen diese auf dem Programm anstatt eines normalen Wandertages. Es war Zeit für eine Pause. Sie hatten zirka die Hälfte der Strecke hinter sich und waren bereits zwei Stunden unterwegs. Elsa lenkte Joy, ihren Schimmel, zum Platz, der zum Verweilen ideal war.
»Absteigen«, befahl sie, »Brotzeit! Eine Stunde rasten wir hier. Bitte führt die Pferde zur Quelle da hinten, damit sie trinken können. Anschließend könnt ihr selbst essen.« Während die Mädchen mit ihren Pferden beschäftigt waren, ließ sich Toni langsam aus dem Sattel gleiten, bedacht darauf, nicht mit dem linken Bein zuerst aufzutreten. Erst als sie sicher auf dem Boden stand, ließ sie Amigo los. Elsa führte ihn und Joy zu den anderen zur Quelle. Toni setzte sich auf einen größeren Steinbrocken. Elsa und die Lehrerinnen hockten sich zu ihr ins Gras. Sie plauderten über alles, was junge Frauen interessierte, Mode, Filme und den üblichen Tratsch, der im Dorf kursierte. Das Wetter zeigte sich von der schönen Seite. So hätte Toni lange verweilen können. Nach einer Stunde war die Rast zu Ende und es hieß aufsitzen. Die Reiterinnen machten sich auf den Heimweg. Klara, eine Schülerin, wartete auf Toni, bis diese zu ihr aufgeschlossen hatte.
»Toni, darf ich dich etwas fragen?«, begann sie vorsichtig. Das Mädchen wirkte traurig.
»Natürlich, Klara. Raus mit der Sprache.«
Das Mädchen druckste herum, bevor es zögerlich zu sprechen begann.
»Du weißt, ich reite für mein Leben gerne. Aber ich werde bald nicht mehr am Reitunterricht teilnehmen können, weil mein Papa arbeitslos geworden ist und er sich das Geld für die Stunden nicht mehr leisten kann.«
»Oje, das ist aber schade.« Dem Mädchen stiegen Tränen in die Augen und liefen die Wangen hinab.
»Ich weiß eh, dass es nicht gehen wird, aber wäre es eventuell möglich, dass ich, statt die Stunden zu bezahlen, auf dem Hof arbeite?« Sie wischte sich mit dem Ärmel über die tränenverschmierten Augen.
»Im Moment kann ich dir nichts versprechen, aber ich melde mich, sobald ich eine Idee habe. Oder wenn ich weiß, wo wir helfende Hände benötigen.« Toni lächelte Klara aufmunternd an und versuchte dem Mädchen etwas Hoffnung zu schenken.
»Wir finden eine Lösung. Ganz sicher. Und du kommst auf jeden Fall trotzdem zu den Reitstunden, auch wenn du sie vorerst nicht bezahlen kannst.«
Sie nahm sich fest vor, am Abend mit Jan, ihrem Großvater und Sepp, dem Gutsverwalter, zu sprechen. Am Lindenhof oder auch am Ferienhof brauchten sie immer helfende Hände.
Kapitel 3
Jan
Jan marschierte zum Reitplatz, auf dem bei schönem Wetter, wie heute, die Therapieeinheiten für die Kinder abgehalten wurden. Sein Sprössling Markus, ein fünfjähriger Junge mit spastischer Lähmung, wartete auf ihn. Markus saß auf Flecki, einer Haflingerstute, und streichelte sie am Kopf. Den Namen hatte das Pferd bekommen, weil ein kreisrunder weißer Fleck auf der Stirn prangte. Betty, ebenfalls eine ausgebildete Reittherapeutin, hatte Markus beim Aufsitzen geholfen.
»Na endlich kommst du, ist aber auch Zeit«, begrüßte ihn Markus schon ungeduldig. »Flecki und ich marschieren schon die dritte Runde im Kreis, langsam wird es fad.«
»Hi, kleiner Mann, nicht so ungeduldig. Wie ich sehe, bist du heute schon richtig aufgewärmt. Danke, Betty, für deine Unterstützung.«
»Gerne. Markus und ich verstehen uns prächtig, also pass nur auf, dass er dir nicht untreu wird.«
»Na, na, was hör ich da, Markus? Du gibst dich mit Mädchen ab, und noch dazu mit solchen, die viel älter sind als du? Wir Männer müssen zusammenhalten, schon vergessen?« Jan zwinkerte ihm zu.
Markus kicherte. »Betty ist okay, auch wenn sie ein Mädchen ist.«
Betty hob triumphierend den Kopf. »Na also! Ja! Super, Markus. So, aber jetzt muss ich euch allein lassen, Anna-Marie ist gerade gekommen. Bis später.«
»Tschau«, rief Markus ihr hinterher. Jan stellte sich zu Pferd und Jungen, kontrollierte gewissenhaft das Sattelpad und den Therapiegurt.
Bei manchen Kindern mussten zwei Trainer bei der Reitstunde dabei sein. Markus schaffte es mittlerweile allein, ohne dass er gehalten oder zusätzlich gesichert werden musste, auf Flecki zu sitzen. Jan führte die Longe und gab Anweisungen für den Jungen und das Pferd. Die Stute und der Junge waren sehr vertraut miteinander. Sie machte keine schnellen Schritte. Wenn sie bemerkte, dass der Junge sich nicht mehr festhalten konnte, hielt sie an. Jan zeigte dem Kleinen Tricks und Griffe, wie er auf dem Rücken des Pferdes besser Balance hielt. Seine Muskeln entspannten sich beim Reiten automatisch, ohne dass es dem Kleinen bewusst wurde. Wegen der verkürzten Sehnen und der verkümmerten Muskelpartien saß Markus im Rollstuhl. Viele Operationen hatte er hinter sich und es war gewiss, dass mindestens genauso viele folgen würden. Auch wenn sein Körper gehandicapt war, sein Geist war es auf keinen Fall. Der Knirps konnte mit seinen fünf Jahren besser lesen als so mancher Zehnjährige. Sein Hirn saugte jegliche Informationen wie ein Schwamm auf. Oftmals kam Jan aus dem Staunen nicht heraus, was ihm der Junge alles zu erzählen wusste. Die Reitstunden mit Markus wurden nie langweilig.
Nach etwa einer viertel Stunde machten sich bei Markus die ersten Ermüdungserscheinungen bemerkbar. Das war der Zeitpunkt, an dem Jan den Jungen in eine liegende Position auf dem Pferderücken brachte. Auf diese Weise entspannte sich die Rückenmuskulatur und Markus verbrachte eine weitere Viertelstunde auf Flecki. Für heute reichte es mit der Therapie und Jan führte das Pferd samt Markus auf den Vorplatz des Ferienhofes, wo er den Jungen vom Pferd hob und ihn in den Rollstuhl setzte. Im Anschluss gab es für Flecki selbstverständlich eine Belohnung. Heute hatte Jan eine Möhre eingesteckt und Markus durfte sie der Haflingerstute vor die Nüstern halten.
»Am liebsten würde ich für immer hierbleiben«, seufzte der Junge. »Bei euch ist es lustig und toll.«
»Oh«, antwortete Jan, »da wären aber deine Mama und dein Papa sicherlich traurig.«
»Nee! Mama vielleicht, aber Papa nicht, der hat uns verlassen. Ich bin ihm zu anstrengend, hat er zu Mama gesagt.« Eine Träne kullerte dem Jungen über die Wange.
Jan hielt in der Bewegung inne. Bald würde Markus von seiner Mutter abgeholt werden. Er kniete sich vor das Kind und umarmte es.
»Dein Papa ist aber ein schöner Feigling, wenn er nicht erkennt, welchen Schatz er mit dir hat.« Wenn er dem Mann begegnen sollte, würde er ihm seine Meinung geigen, schwor sich Jan. Wie konnte man einen so lieben Jungen und dessen nette Mutter verlassen. Zu Markus sagte er: »Nicht traurig sein, mein Freund. Du darfst so oft hierherkommen, wie du möchtest. Vielleicht mag deine Mama auch Reiten lernen. Dann könntet ihr beide gemeinsame Ausflüge machen. Na, was meinst du?«
»Ehrlich? Super, das muss ich gleich Mama erzählen, die glaubt mir das nie im Leben.« Die aufgeregte Stimme hallte im Innenhof wider.
»Was glaub ich dir nicht?« Eine angenehme Stimme holte die beiden aus ihrem Gespräch. Markus strahlte seine Mutter an, die sich zu ihnen gesellte.
»Mama, Jan hat mir soeben erlaubt, so oft ich möchte, hierherzukommen, auch außerhalb meiner Therapiestunden. Und du könntest reiten lernen und später können wir das gemeinsam tun. Ist das nicht super?«
»Ja, das wäre es «, kam es zaghaft von Julia Felber. Ihre Miene verdunkelte sich merklich. »Herr Olsson, darf ich Sie kurz sprechen?«, presste sie leise hervor. Ihre Augen funkelten vor Ärger.
»Gerne, gehen wir ein kleines Stück. Markus, wartest du bitte hier?« Jan sah zuerst zum Jungen und dann zur aufgebrachten Frau neben sich.
Er ging ein paar Schritte voraus und verweilte einen Moment, bis sie ihm folgte.
»Was ist das Problem?«
»Wie kommen Sie dazu, meinem Jungen Versprechen zu geben, die Sie nicht einhalten können? Er hat es schwer genug und braucht keine weiteren Enttäuschungen!«
»Markus hat mir erklärt, dass er gerne für immer hierbleiben möchte, woraufhin ich hellhörig wurde und nach dem Warum fragte. Frau Felber, es tut mir leid, dass Markus’ Vater Sie verlassen hat. Ich weiß, dass Markus darunter leidet, aber auch für Sie muss diese Situation irrsinnig schwierig sein. Daher nochmals mein Angebot, Sie und Markus können jederzeit zu uns kommen. Sie sind herzlich willkommen. Das ist nicht nur so dahergesagt. Mein Angebot steht. Wenn Sie das Reiten erlernen möchten, sehr gerne.«
Julia schluckte. Ihre Mimik lockerte sich.
»Es wird allerdings trotzdem nicht möglich sein …« Es folgte eine Pause. »Aus finanziellen Gründen. Aber ich will Sie nicht mit meinen Problemen behelligen. Entschuldigung, auf Wiedersehen.« Sie drehte sich um und lief los. Jan griff nach dem Ärmel ihrer Jacke und hielt sie zurück.
»Frau Felber, nicht so schnell. Warten Sie. Ich habe nichts von Bezahlung gesagt, oder? Davon ist keine Rede. Die Kosten für die Therapieeinheiten sind hoch genug, obwohl die Kasse etwas zuzahlt. Das verstehe ich durchaus. Überlegen Sie es sich bitte. Wenn Markus uns besuchen möchte, bringen Sie ihn, ohne lange zu überlegen.« Er musterte sie eine Zeit lang.
Julia nickte Jan zu und ging zu Markus.
Jan blickte ihr in Gedanken versunken nach. Er würde mit Toni sprechen müssen und sollte sie nicht einverstanden sein, dass Frau Felber und ihr Sohn gratis Reitunterricht erhielten, dann musste er wohl oder übel selbst in die Tasche greifen. Die beiden taten ihm unendlich leid. Was für ein Mistkerl musste das sein, der seine Familie verließ, nur weil er mit der Beeinträchtigung seines Sohnes nicht zurechtkam. Er führte Flecki in die Box, wo er sie von Sattel und Zaumzeug befreite. Anschließend rieb er sie sorgfältig trocken. Nach einer anstrengenden Therapieeinheit war das Fell verschwitzt und die Stute genoss diese Aufmerksamkeit. Jan hielt ihr ein paar Karotten vor die Nüstern, die Karl in die Box gelegt hatte. Markus’ Worte und die traurigen Augen des Jungen ließen ihn nicht mehr los. Wo blieb die Gerechtigkeit? Jan wetterte im Stillen. Musste Markus nicht schon viel zu viele körperliche Schmerzen als Fünfjähriger ertragen? Nein, auch seelische Schmerzen wurden ihm böswillig zugefügt – durch seinen eigenen Vater. Jan verstand die Welt nicht mehr. Er nahm sich fest vor, gleich heute Abend mit Toni gemeinsam nach einer Lösung zu suchen.
Bis dahin dauerte es allerdings noch. Gleich wartete die dreizehnjährige Charlotte auf ihre Hippotherapie. Für sie sattelte Jan Schneeflocke, eine Warmblutstute mit einem sanften Gemüt und einem einfühlsamen Wesen. Hinzu kam, dass das Pferd Kinder besonders liebte. Jan sprach mit ihr, während er sie sattelte. Mit ihren Nüstern stupste sie Jan an der Schulter an. Ein Zeichen, dass sie auf ihr Leckerli wartete.
»Na, na, wer wird denn so ungeduldig sein, du Vielfraß.« Jan tätschelte das Tier am Hals und reichte ihm ein Pferdeleckerli, laut Packungsbeschreibung mit Apfel-Zimt-Geschmack. Schneeflocke brummelte zufrieden. Sie liebte dieses Zeug. Jan lachte und führte sie aus der Box ins Freie. Charlotte war von ihrem Vater hergebracht worden. Als Jan mit Schneeflocke auf sie zuging, verabschiedete sich der Vater des Mädchens. Sie kam seit einem Jahr hierher. Das Reiten lockerte ihre Rückenmuskulatur und stärkte sie gleichzeitig. Auch tat Charlotte der Kontakt mit Schneeflocke psychisch gut. Bevor das Mädchen in den Sattel stieg, liebkoste es Schneeflocke, streichelte sie am Hals, oberhalb der Nüstern, an den Ganaschen. Charlotte legte ihren Kopf an den von Schneeflocke. Oft dauerte es zehn bis fünfzehn Minuten, bis die beiden sich begrüßt hatten. Jan wartete geduldig. Sobald Charlotte so weit war, half er ihr beim Aufsteigen. Er führte sie aus dem Innenhof hinaus auf den Außenplatz. Er achtete auf Charlottes Sitzposition.
»Wie geht es dir heute?« Jan versuchte, mit Charlotte ins Gespräch zu kommen, was sich oft als schwierig gestaltete, da sie sehr introvertiert war. Mit Fremden sprach sie nie, hatten ihre Eltern erzählt. Bei ihm und Schneeflocke taute sie jedoch auf.
»Gut.«
»Sagst du mir, wenn du Schmerzen hast? Versuch, dich etwas nach vorne zu beugen und Schneeflocke am Hals zu umarmen. Dabei kannst du deinen Kopf auf ihre Mähne legen. Versuch es einfach. Ich stütze dich, keine Angst.« Jan hielt Schneeflocke am Zügel. Charlotte ließ sich langsam nach vorne fallen und hielt sich beidseits am Pferdehals fest. Ein Lächeln huschte über das ansonsten so verschlossene Gesicht. Jan führte Schneeflocke langsam im Kreis über den Platz. Nach einigen Minuten sollte Charlotte sich aufsetzen und den Rücken gerade halten. Diese Übung gefiel ihr nicht besonders gut. Jan ermutigte sie dazu.
»Das tut weh«, gab sie zu. Abermals änderte sie die Sitzposition. Jan ließ sich ständig neue Ideen einfallen, damit ihr das Reiten Spaß machte. Seine langjährige Praxis und die hervorragende Ausbildung, die er genossen hatte, halfen ihm dabei. Die Zeit verging viel zu schnell. Charlottes Vater kam auf den Reitplatz, um seine Tochter abzuholen. Jan half ihr beim Absteigen. Herr Tiel hatte die letzten Übungen beobachtet und bedankte sich bei Jan.
»Charlotte ist nach den Therapien viel fröhlicher und glücklicher und auch ihre Rückenschmerzen haben sich verbessert. Ich staune, wie das möglich ist.«
»Die Hippotherapie ist eine besondere Form der Krankengymnastik, die auf neurophysiologischen Prinzipien basiert. Das Pferd bewegt sich im Schritt und dient als Medium, um dreidimensionale Schwingungen auf das Becken des Menschen zu übertragen. Diese sanften Bewegungen helfen den Kindern, ihre körperlichen Einschränkungen zu lindern.« Jan streichelte Schneeflocke über die Mähne.
»Jedenfalls erstaunt es mich immer wieder aufs Neue, welche Fortschritte Charlotte mit dieser Therapie macht. So, jetzt müssen wir uns aber beeilen, Mama wartet schon mit dem Essen auf uns. Auf Wiedersehen, Herr Olsson«, verabschiedete sich Herr Tiel. Charlotte winkte ihm zum Abschied zu.
Kapitel 4
Julia
Julia lenkte den Wagen vom Ferienhof und bog auf die Bundesstraße ab.
»Das war so toll auf dem Ferienhof, Mama! Die Betreuer waren so lieb und wir haben so viele lustige Sachen gemacht. Ich will unbedingt öfter hin, bitte, bitte, bitte!« Markus quasselte und quasselte. So aufgedreht erlebte sie ihren Sohn äußerst selten. Julia war mulmig zumute. Sie schluckte ihre aufsteigenden Tränen hinunter. Sie konnte dieses Angebot nicht annehmen. Sie nahm nichts geschenkt, basta. Bezahlen konnte sie die Reitstunden auch nicht. Zumindest nicht, solange sie keine Alimente von ihrem Noch-Ehemann erhielt. Es tat weh, dass er sie einfach verlassen hatte, aber noch mehr schmerzte es, weil Markus ihren Streit mitbekommen hatte. Die Stimme ihres Mannes hallte in ihrem Kopf nach.
»Du schaffst das schon, aber mir ist Markus mit seiner Behinderung zu anstrengend«, hatte er lapidar gemeint. »Ich wollte immer einen Sohn, mit dem ich Fußball spielen oder Skifahren gehen kann«. Die letzten Worte hatte er geschrien. Wäre Markus nicht mitten in der Tür gestanden und hätte das mitangehört, hätte sie ihrem Ehemann eine gescheuert.