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Alles begann mit einer zwanglosen Frage.
So abwegig, dass sie nichts weiter sein konnte als ein Scherz.
Doch dann gab es plötzlich kein Zurück mehr.
Anne ist Tänzerin in einem Club. Männer finden sie attraktiv, viele hoffen auf ein schnelles Abenteuer, doch sie lässt jeden abblitzen. Nicht umsonst wird Anne „Eisprinzessin“ genannt.
Vor knapp fünf Jahren wurde ihr das Herz gebrochen. Ihr Exfreund ließ sie einfach sitzen. Und das, kurz nachdem die damals einundzwanzigjährige Anne von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte. Seitdem lebt sie gemeinsam mit der kleinen Sophie in einer Bruchbude in Wien. Ihre Eltern haben sich von ihr abgewandt, einzig ihre beste Freundin Marika hält zu ihr. Einsamkeit und ständige Geldnot bestimmen Annes Leben.
Doch dann steht plötzlich der gutaussehende Chris vor ihr. Ein erfolgreicher Sportler mit sprühendem Charme. Er lädt sie zum Essen ein und macht ihr aus heiterem Himmel einen Antrag. Und das bei ihrem ersten Date! Anne traut ihren Ohren kaum. Was sagt er da? Die Hochzeit soll schon am nächsten Tag stattfinden? Der Kerl ist doch verrückt! So verrückt wie sie, denn ehe sie sich versieht, sagt sie ja.
Eine Hochzeit mit einem Fremden. Nur ein verrücktes Abenteuer oder könnte auf Anne am Ende doch die große Liebe warten?
Bei diesem Roman handelt es sich um eine überarbeitete Fassung von „Ein verrückter Antrag“.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2025
Danielle A. Patricks
Über das Buch:
Alles begann mit einer zwanglosen Frage.
So abwegig, dass sie nichts weiter sein konnte als ein Scherz.
Doch dann gab es plötzlich kein Zurück mehr.
Anne ist Tänzerin in einem Club. Männer finden sie attraktiv, viele hoffen auf ein schnelles Abenteuer, doch sie lässt jeden abblitzen. Nicht umsonst wird Anne »Eisprinzessin« genannt.
Vor knapp fünf Jahren wurde ihr das Herz gebrochen. Ihr Exfreund ließ sie einfach sitzen. Und dass, kurz nachdem die damals einundzwanzigjährige Anne von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte. Seitdem lebt sie gemeinsam mit der kleinen Sophie in einer Bruchbude in Wien. Ihre Eltern haben sich von ihr abgewandt, einzig ihre beste Freundin Marika hält zu ihr. Einsamkeit und ständige Geldnot bestimmen Annes Leben.
Doch dann steht plötzlich der gutaussehende Chris vor ihr. Ein erfolgreicher Sportler mit sprühendem Charme. Er lädt sie zum Essen ein und macht ihr aus heiterem Himmel einen Antrag. Und das bei ihrem ersten Date! Anne traut ihren Ohren kaum. Was sagt er da? Die Hochzeit soll schon am nächsten Tag stattfinden? Der Kerl ist doch verrückt! So verrückt wie sie, denn ehe sie sich versieht, sagt sie ja.
Eine Hochzeit mit einem Fremden. Nur ein verrücktes Abenteuer oder könnte auf Anne am Ende doch die große Liebe warten?
Die Autorin:
Danielle A. Patricks ist das Pseudonym einer aus Österreich stammenden Autorin. Ihre Liebesgeschichten sind Geschichten fürs Herz – eben Herzgeschichten. Beim Schreiben taucht sie in eine Parallelwelt ein. Die Finger wandern über die Tastatur, Worte fliegen wie von Zauberhand auf den Bildschirm, Charaktere, Menschen mit Fehlern und Vorzügen betreten die fiktive Leinwand …
Sie selbst bezeichnet sich als absoluten Familienmenschen und liebt die Ruhe. Mit Ihrem Mann und diversen Haustieren, lebt sie in der Weststeiermark.
Danielle A. Patricks
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die
Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Januar © 2023 Empire-Verlag OG
Lofer 416, 5090 Lofer
Lektorat: Rebekka Maria Peckary
https://www.federnote.at/lektorat-korrektorat/
Korrektorat: Heidemaria Rabe
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur
mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Cover: Chris Gilcher
http://buchcoverdesign.de/
Illustrationen: Adobe Stock ID 115265729, Adobe Stock ID 178079650, Adobe Stock ID 238310199, Adobe Stock ID 432218188 und freepik.com
Für meinen Mann und meine Kinder, für ihre Liebe, ihr Verständnis und ihre tatkräftige Unterstützung.
Kapitel 1
Regentropfen prasselten gegen die Fensterscheiben, klatschten auf die Fensterbänke, auf die Dächer. Seit Tagen das gleiche traurige Bild. Regen. Grau in Grau. Tief und bedrohlich hingen die Wolken in der Landschaft. Ab und an bot das Leben nur Mühsal und Trostlosigkeit. Annemarie Seiberts, von jedem nur Anne genannt, hielt das Buch, in dem sie gelesen hatte, noch in der Hand, ihre Gedanken schweiften allerdings weit ab, der Blick hing am freudlosen Ausblick des Fensters. Den Inhalt des Lesestoffes hatte sie nicht mehr registriert seit Anfang der aufgeschlagenen Seite …
Ihre Gedanken hingen in der Vergangenheit vor sechs Jahren, zu einer Zeit, in der ihre Hoffnungen noch groß waren und sie die Welt noch durch eine rosarote Brille betrachtet hatte. Mit ihren zwanzig Jahren und abgeschlossenem Abitur wünschte sie sich, in einem Unternehmen die Karriereleiter emporzusteigen. Sie gehörte dem Führungsteam an. Eine schicke Wohnung und natürlich Designermode durfte sie ihr Eigen nennen. Leider nichts als schöne Träume. Kein Dienstgeber gab ihr eine Chance. Eine Absage nach der anderen fand sich im Postkasten. Die Abhängigkeit zu ihren Eltern drückte immer mehr auf das Gemüt. Das kleine schmuddelige Zimmer mit den uralten Möbeln, das sie im Elternhaus seit Kindertagen bewohnte, verdarb ihr zusätzlich die Laune. Ihr Vater war Alleinverdiener. Mit seinem Einkommen kam die Familie gerade mal über die Runden. Ihre Mutter weigerte sich vehement, eine Arbeitsstelle zu suchen.
Annes Freund, der als Barkeeper sein Geld verdiente, verhalf ihr zu einem Job als Serviererin im selben Nightclub. Er fand es toll, dieselbe Arbeitsstelle und Arbeitszeit zu haben. Anne nahm den Job an. Das eigene verdiente Geld lockte zu sehr. Eine andere Stelle zu suchen, wollte sie auf einen späteren Zeitpunkt verschieben. Ihre Eltern waren darüber alles andere als erfreut gewesen. Letztendlich gaben sie sich geschlagen, weil auch ihnen damit finanziell geholfen wurde.
In ihrer naiven Verliebtheit ließ sie sich damals auf ihren Traummann ein, der ihr die Sterne vom Himmel versprach. Allen Warnungen zum Trotz vertraute sie ihm ohne Wenn und Aber, verschenkte ihre Jungfräulichkeit. Das Glücksgefühl überwältigte sie. Sie lernte eine vollkommen neue Welt kennen. Menschen, die ihre Freiheit genossen, feierten und machten die Nacht zum Tag. Bald schon zählten die übrigen Angestellten und die Show-Girls zu ihrem Freundeskreis. Die Suche nach einer ausbildungsgerechten Arbeitsstelle wurde verschoben und irgendwann vergessen …
Das Sturmläuten der Haustürglocke riss Anne aus ihren Gedanken. Sie brauchte einige Sekunden, um wieder im Hier und Jetzt anzukommen. Beim dritten Klingeln rappelte sie sich hoch. Sie erwartete niemanden und schon gar nicht um diese Uhrzeit. Eventuell Marika, die eine Etage über ihr wohnte, überlegte Anne. Sie war im Laufe der letzten Jahre ihre beste Freundin und Vertraute geworden. Kaum hatte Anne die Tür geöffnet, huschte der quirlige Blondschopf an ihr vorbei. Ihre hellblauen Augen strahlten sie an. Marika war ein zierliches Persönchen und voller Temperament.
»Na endlich, ich dachte schon, ich muss hier draußen versauern«, plapperte Marika los. »Hast du geschlafen, komm ich ungelegen?« Sie wirbelte herum, um Anne genauer zu inspizieren.
»Nein und nein«, antwortete Anne lachend. »Ich habe gelesen und bin mit meinen Gedanken in die Vergangenheit abgeschweift wie so oft in letzter Zeit.«
Im Gegensatz zur lebhaften Marika wirkte Anne ruhig, eher in sich gekehrt. Das Vertrauen in die Menschen hatte sie verloren und verhielt sich allen gegenüber eher reserviert. Marika ließ sich dadurch jedoch nicht abschrecken und so wurden die beiden doch so unterschiedlichen Frauen dicke Freundinnen.
»Hör doch zu grübeln auf, das bringt schließlich nichts mehr, wenn du in der Vergangenheit lebst. Versuch endlich zu vergessen, suche dir einen Freund, lass dich wieder auf eine Beziehung ein oder lach dir einen für eine Nacht an. Hab wieder Spaß. Und denk einmal, hättest du damals anders reagiert, gäbe es heute deine kleine Sophie nicht. Sie ist doch alles Erlebte wert, oder? Und du hast es wirklich gut hingekriegt, die Erziehung meine ich. Passt schließlich alles. Wo ist der kleine Wirbelwind eigentlich?«
»Sie ist bei Marie. Ich habe ihr erlaubt, bei ihr zu übernachten. Marie hat Geburtstag und sie wollen eine Pyjamaparty veranstalten. Maries Mama bringt sie morgen gegen Mittag wieder nach Hause. Du hast heute also sturmfreie Bude und kannst dir selbst jemanden abschleppen, wenn wir schon beim Thema sind«, konterte Anne schnell.
»Jaja, lenk nur ab«, lachte Marika. Sie war zwar auch kein Beziehungsmensch und wollte keinen festen Partner, aber sie genoss die anonymen One-Night-Stands.
»Warum ich eigentlich hier bin! Ich brauche dringend Kaffee und Zucker, meiner ist nämlich alle und in ein paar Minuten kommt Gregor vorbei, um mir meine neue Vorhangstange zu montieren. Du weißt ja, wie kaffeesüchtig dieser Mensch ist.« Die Hektik war in Marikas Tonfall nicht zu überhören. Wild gestikulierte sie mit ihren Händen, um die Dringlichkeit des Gesagten zu unterstreichen.
Gregor wohnte auch im selben Wohnblock. Seiner Hilfe konnte sich jeder sicher sein. Er war ein Bild von einem Mann, groß, mit dunkelbraunem Haar und ebenso dunkelbraunen warmen Augen. Er war mit vielen Frauen befreundet, liebte jedoch nur Timor, seine zweite Hälfte. Timor glich durch seine beachtliche Größe dem Äußeren nach einem Bären. Innerlich war er ein Softie. Er war der Ruhepol in der Beziehung. Die beiden gaben ein gutes Team ab. Als sie ihre Partnerschaft auch von Gesetzes wegen amtlich eintragen durften, veranstalteten sie eine riesengroße, mit allen Raffinessen geplante Hochzeitsfeier. Zweihundert Personen, auch Anne, Marika und natürlich die kleine Sophie zählten zu der erlesenen Gästeschar. Sie strahlten so viel Liebe und Harmonie aus, dass Anne oftmals der Neid überkam. Gregor liebte Kaffee über alles und verlangte ihn frech als Belohnung, wenn er kleine Gefälligkeiten für die anderen Hausbewohner erledigte, wie eben Vorhangstangen zu montieren. Marika war absolut keine Kaffeetrinkerin. Sie liebte Früchtetees in allen Variationen. Daher wanderte Kaffee nicht automatisch in ihre Einkaufstasche.
»Hast du wieder einmal den Kaffee vergessen? Was ist, wenn ich bei dir unbedingt einen Kaffee trinken möchte, muss ich ihn mir dann zuerst selbst kochen und mitbringen?«, stichelte Anne belustigt. Die kleine Neckerei zauberte beiden ein Lächeln ins Gesicht.
»Nun mach schon, du weißt ja, Gregor ist immer überpünktlich«, drängte Marika und stürmte voraus in Annes helle gemütliche Küche.
Ohne auf Anne zu warten, griff sie nach der Kaffeepackung, die im rechten Schrank neben der Anrichte stand. Sie holte sich auch aus dem unteren rechten Schrank den Zucker. Anne lehnte am Durchgang zur Küche und beobachtete amüsiert Marikas hektisches Treiben. Ihre Freundin entschädigte sie dafür mit ihrer uneigennützigen Hilfe. Marika betreute ihre kleine Tochter, wenn sie selbst zur Arbeit musste und stand ihr bei Problemen immer zur Seite. Weswegen sie nie Dinge von ihr zurückverlangte, die sich Marika wegen ihrer Vergesslichkeit ausborgte und ebenso vergaß, diese wieder zurückzubringen.
»Tschüss und danke«, keuchte Marika und war schon wieder zur Tür hinausgeeilt.
Anne huschte ein Lächeln über die Lippen. Ein Lächeln, das von innen kam und ihr Gesicht erstrahlen ließ. Ihre bernsteinfarbenen Augen leuchteten und Lachfältchen umschmeichelten diese. Es tat gut, so eine Freundin zu haben. Sie gab Halt, den Anne dringender benötigte, als sie es selbst wahrhaben wollte.
Noch immer regnete es in Strömen. Zeit zum Umziehen. Anne begab sich ins Badezimmer, nahm eine ausgiebige Dusche und huschte in ihr kleines Schlafzimmer. Heute würde sie wohl mit der U-Bahn zur Arbeit fahren. Sie fuhr nicht gerne mit der U-Bahn, überhaupt nicht in der Nacht. Zu viele Obdachlose, Betrunkene oder Junkies hielten sich dort auf. Bei diesem Wetter blieb ihr leider keine andere Wahl. Mit dem Auto zu fahren, kam für sie nicht infrage. Der Treibstoff war zu teuer und es gab kaum freie Parkplätze. Die nächste U-Bahnstation lag bei ihrem Häuserblock gleich um die Ecke. Ihr Dienst fing täglich um zwanzig Uhr an. Sie begann zuerst ihre Schicht als Bedienung und wechselte dann in die Showgruppe, die mit ihrem Auftritt ab dreiundzwanzig Uhr das Publikum begeisterte. In der Regel fand nur eine Aufführung am Abend statt. Die Bar hatte durchgehend bis fünf Uhr morgens geöffnet. Anne machte nur hin und wieder Schlussdienst, wenn jemand ausfiel oder noch besonders viele Gäste anwesend waren.
Das war nicht immer so gewesen, erinnerte sich Anne nun. Ihre Erinnerungen an diese Zeit lebten abermals auf und ließen sie heute nicht los. Sie wollte sie wieder zurückdrängen in die hinterste Schublade. Wenn das nur so einfach wäre. Sie fragte sich, was damals schiefgelaufen war. Warum sie nicht erkannt hatte, wo ihr Leben hinführen würde. In Gedanken hörte sie das aufgedrehte Lachen der Gäste, als wäre es heute. Die ständigen Partys gaukelten ihr ein sorgenloses Leben vor. Ihr Freund liebte dieses Leben. Immerzu Spaß zu haben, war sein einziges Lebenselixier. Nach einiger Zeit beschloss Anne, zu ihm in die Wohnung zu ziehen. Zu Hause hielt sie sich kaum noch auf. Als sie ihren Eltern diesen Entschluss mitteilte, reagierten diese total schockiert. Trotzdem packte sie ihre Habseligkeiten zusammen, die vor allem aus Kleidung und einigem Krimskrams bestanden. Annes Eltern lehnten Klaus ab. Für ihre einzige Tochter wünschten sie sich einen besseren Schwiegersohn.
Klaus mied die wenigen Besuche bei ihren Eltern unter einem fadenscheinigen Vorwand oder erfand eine simple Ausrede.
»Du weißt, mich turnt dieses Geschwafel ab. Ich halt mit meinen Alten keinen Kontakt, warum sollte ich mit deinen welchen haben.«
Und sie? Sie akzeptierte es. Anne himmelte Klaus an. Nie hinterfragte sie, ob das alles gut gehen konnte. Sie fühlte sich erwachsen und selbstständig, hatte eigenes Geld zum Shoppen. Endlich durfte sie sich Kleider kaufen, ohne auf den Preis zu achten. Mit ihrem gut aussehenden Freund an der Seite konnte sie Spaß haben. Er sah das Leben von der lockeren Seite, machte sich keine Gedanken um die Zukunft. Warum auch? Nur kein Stress. Alles ist easy …
Nach etwa einem Jahr des Zusammenlebens, die glücklichste Zeit ihres Lebens, wie sie damals dachte, traten die ersten Probleme auf. Klaus ging immer öfter ohne sie aus. Verprasste mehr Geld, als er verdiente, begann mit Glücksspielen. Verlor dabei. Immer öfter musste sie alleine für die Miete aufkommen. Bei der Arbeit flirtete er ungeniert mit weiblichen Gästen oder mit den Show-Girls. Deswegen gab es zwischen ihnen immer öfter Streit. Genauso oft versöhnten sie sich wieder – zumindest anfangs.
Trotz Verhütung stellte Anne eines Tages fest, dass sie schwanger war. Nach dem ersten Schock überwog jedoch die Freude. Sie kochte für Klaus das Lieblingsessen, deckte den Tisch festlich und wartete, bis er nach Hause kam. Sie wollte ihn überraschen. Wie er wohl reagieren würde? Sie hoffte, dass er sich genauso darüber freuen würde wie sie …
»Das ist ein Scherz, oder? Von mir ist das ja wohl nicht.«
Mit diesen Worten war er auf und davon und mit ihm das restliche Ersparte. Dafür hinterließ er ihr einen riesigen Batzen Schulden und unbeglichene Rechnungen. Zu tief saß der Schock bei Anne, um sofort zu reagieren. Allein der Vorwurf, das Kind sei nicht von ihm, hatte sie komplett aus der Bahn geworfen. Die erste Zeit verkroch sie sich im Bett und ließ den Tränen freien Lauf. Sie wusste nicht, dass sie so viel Flüssigkeit in sich hatte. In der Bar meldete sie sich krank. Selbst ihre Eltern brachen den Kontakt zu ihr ab, als sie von Annes Schwangerschaft erfuhren.
»Schau, wie du zurechtkommst, hast ja nicht auf uns hören wollen. Dein nichtsnutziger Freund wird dich wohl unterstützen …«
Ja, von seiner Seite würde es nie eine Unterstützung geben, aber das behielt Anne für sich. Ihre Eltern erfuhren nie, dass sie verlassen worden war. Warum auch? Sie hätten sowieso kein Verständnis aufgebracht. Und Mitleid? Das war das Letzte, was sie wollte. Aber wenn sie ehrlich zu sich war, hätte sie nicht einmal das von ihren Eltern erwarten können.
Die ersten Monate verschwieg sie, so gut es ging, jedem ihre Schwangerschaft, verbarg ihren immer runder werdenden Bauch unter weiten T-Shirts, weit schwingenden Röcken, locker sitzenden Hosen. Irgendwann half auch das nicht mehr, sie musste ihrem Dienstgeber reinen Wein einschenken. Dieser verhielt sich wider Erwarten sehr fair. Zwei Monate vor der Entbindung ging sie in Mutterschutz. Ihr Boss verhalf ihr zu einer kleineren, günstigeren Wohnung. Mittellos, wie sie war, konnte sie sich die vorige Wohnung nicht mehr leisten. Ihre damaligen Arbeitskollegen und Freundinnen überraschten sie mit einer Grundausstattung an Babykleidung, Wäsche, Windeln und vielem mehr. Sie organisierten für sie einen gebrauchten Kinderwagen, ein Gitterbettchen, einen Wickeltisch und noch einige andere wichtige Dinge. So kam sie günstig zu einer Babygrundausstattung. Anne lebte in dieser Zeit sehr sparsam. Den Schuldenberg stotterte sie langsam, aber kontinuierlich ab. Oft hatte sie nicht einmal genug zu essen. An diese Zeit dachte sie nicht gerne zurück, behielt sie jedoch in Erinnerung. Sie schwor sich, sich nie mehr dermaßen mit einem anderen Menschen einzulassen.
Nach Sophies Geburt blieb Anne ein Jahr zu Hause. Danach suchte sie einen neuen Job in einem Büro oder im Verkauf. Zurück in die Bar als Kellnerin wollte sie eigentlich nicht mehr. War die Stellensuche schon schwierig, als sie noch unabhängig war, schien es mit Kind eine ausweglose Situation zu sein. Es blieb ihr keine andere Alternative, als zu ihrem ehemaligen Dienstgeber zurückzukehren. Dort konnte sie sofort wieder die Arbeit aufnehmen. Zu dieser Zeit war Marika bereits ihre Freundin und sofort begeistert, als Anne sie bat, nachts ihre Tochter zu beaufsichtigen. Tagsüber arbeitete Marika Teilzeit in einem »New Age Shop« und nachts übernahm sie die Aufsicht für Sophie.
Als sich eine Tänzerin verletzte und für längere Zeit ausfiel, bat der Barbesitzer Anne, für die Tänzerin einzuspringen. Geplant war zuerst nur während der Zeit der Verletzungspause, aber Anne lernte schnell und bewies wirklich Talent. Bei den Tänzerinnen war sie durch ihre unkomplizierte Art sowie ihren Ehrgeiz beliebt und so verblieb sie in der Showgruppe. Sie verdiente dadurch mehr. Am Anfang hatte Anne Hemmungen, in den knappen Kostümen, auch hin und wieder oben ohne aufzutreten. Noch nach so vielen Jahren, wenn sie jemand fragte, was sie beruflich mache, gab sie an, als Kellnerin tätig zu sein. Das Tanzen verschwieg sie.
Seit der Trennung hatte sie keine Beziehung mehr gehabt. Kein Mann hatte es seither geschafft, ein Date mit ihr zu vereinbaren. Sie war zu misstrauisch. Alleine für alles verantwortlich zu sein, war sie gewohnt. Sich selbst konnte sie vertrauen. Ihr Herz trug eine tiefe Narbe. Niemals mehr mochte sie sich so verletzen lassen. Vor allem von ihren Eltern fühlte sie sich verraten und im Stich gelassen. Sie hatte gelernt, dass es viel besser war, für alles selbst verantwortlich zu sein und sich auf niemanden zu verlassen.
Unter den Kollegen und auch unter den Gästen hatte sie den Spitznamen Eisprinzessin erhalten. Es war ihr egal. Sollten sie sie nennen, wie sie mochten. Anne hatte gelernt, mit lästigen und aufdringlichen Gästen umzugehen. Sie hatte immer eine spitze Bemerkung parat, sollte ihr jemand auf den Hintern grapschen. Gab es Beschwerden über ihre Unhöflichkeit und Abweisungen, stritt sie sich sogar mit ihrem Chef. Die Tänzerinnen wurden häufig von den männlichen Gästen in die Separees, kleine abgegrenzte dunkle Nischen, eingeladen. Anne nahm keine dieser Einladungen je an. Nicht einmal damals, als ihr Chef dies ausdrücklich von ihr verlangte, weil ein hoch angesehener Stammgast ihm für seine Unterstützung ein hohes Sümmchen angeboten hatte. Anne marschierte zielstrebig an den Tisch dieses Herrn und schüttete ihm sein Glas Champagner ins Gesicht.
»Ich suche mir meine Begleitung selbst aus, wenn ich glaube, eine zu benötigen.« Damit drehte sie sich um und ließ den Gast wie einen begossenen Pudel zurück. Sie packte ihre Sachen zusammen in dem Wissen, nun endgültig gefeuert zu werden. Ihr Chef ließ sie auch sofort in seinem Büro antanzen.
»Anne, Anne, was soll ich denn mit dir machen? Du vergraulst mir noch sämtliche Gäste. Mädchen, wir arbeiten im Dienstleistungsgewerbe, der Kunde ist König und wir sind für die Könige da …«
Anne spulte gedanklich die Rede ihres Chefs mit, da sie jedes Wort schon zum tausendsten Mal gehört hatte. Max drohte ihr schließlich endgültig mit Entlassung, sollte er nochmals von ihr in so eine unmögliche Situation gebracht werden. Dann würde er keine Rücksicht mehr nehmen. Damit wurde sie wieder auf ihren Arbeitsplatz entlassen. Seit diesem Vorfall vor ungefähr einem halben Jahr gab es keine ähnlichen Situationen mehr. Der Großteil der Stammgäste kannte sie gut genug, um ihr keine zwielichtigen Angebote zu machen, und bandelte lieber mit den freizügigeren Damen an.
Anne schloss den Regenschirm und schüttelte die Nässe aus ihm heraus. Die kalte Feuchtigkeit kroch bis auf die Haut. Sie betrat die Bar durch den Personaleingang. Die aufgeregten Stimmen von Kurt, dem Barkeeper, und von Thorsten, dem Chef de Rang, drangen zu ihr. Im Umkleideraum herrschte reges Treiben. Kurt und Thorsten berichteten, dass das österreichische Footballteam heute Plätze reserviert hatte, um seinen Sieg zu feiern. Sie gaben dem Personal genaue Anweisungen, die Aufteilung unter den Kellnern wurde vorgenommen und die Tänzerinnen wurden zu einer Extravorstellung fürs Footballteam verdonnert. Anne war verärgert. Extravorstellung. Sie wollte heute früher ins Bett, damit sie morgen zu Mittag, wenn Sophie nach Hause gebracht wurde, fit und ausgeschlafen war. Das konnte sie sich jetzt abschminken. Einige Spieler vom Footballteam hatten schon des Öfteren in der Bar gefeiert. Immer sehr ausgelassen, mit viel Alkohol, wenig Benehmen und noch weniger Anstand. Sportler waren Anne ein Dorn im Auge, besonders Footballspieler.
Kapitel 2
In der Umkleidekabine der VIKs herrschte ausgelassene Stimmung. Sieg nach so langer Durststrecke. Und gleich gegen Dänemark. Wasserrauschen drang aus den Duschen, tiefes Männerlachen, kleine verbale Geplänkel wurden ausgeteilt. Mark Jansen, Head Coach der VIKs, war stolz auf seine Männer. Heute hatten sie ihr Können unter Beweis gestellt. Dementsprechend stolz trat er daher beim Pressetermin auf.
»Unsere Saison ist bis jetzt äußerst super gelaufen. Anders als in den Vorsaisons. Man kann sich seiner Sache nie zu sicher sein, das ist uns schon klar. Die Spiele waren bis jetzt viel ausgeglichener und spannender als in den letzten Jahren. Bis jetzt haben sich eben die beiden stärksten Vereine durchgesetzt. Die Starks werden sicher eine Herausforderung, aber so wie meine Jungs in Form sind, ist alles möglich.«
Jansen bedankte sich und eilte zu den Spielern in die Umkleide. Der Sponsor hatte eigens für sie im Nightclub »Spleens« einige Tische reserviert, damit sie auf ihren Sieg gebührend anstoßen konnten. Ein paar hübsche, leicht bekleidete Mädchen und viel Champagner waren genau das Richtige.
»Na Chris, freust du dich auf die Eisprinzessin? Wie ich gehört habe, ist eine Feier im ›Spleens‹ für uns vorbereitet«, schrie Tobi quer durch den Raum.
Lachen der anderen folgte. Tobi war ein Riese von knapp zwei Metern und mit guten einhundertzwanzig Kilo reine Muskelmasse. Chris reagierte nur mit einem lauten Murren auf diese Anspielung. Er wollte seinen Kollegen nicht noch mehr Anlass für diverse Sprüche geben. Die kleine Brünette mit den traurigen bernsteinfarbenen Augen hatte es ihm angetan, seit er sie das erste Mal tanzen gesehen hatte. Leider hatte sich auch sofort herumgesprochen, dass sie total unzugänglich reagierte, wollte man ihr näherkommen. Sie verhielt sich zwar den Gästen gegenüber freundlich, aber distanziert. Allein ihr Blick reichte, um sich einen blöden Spruch zu verkneifen. Vielleicht gefiel ihm gerade das. Er mochte keine Frauen, die leicht zu haben waren, die sich den Männern an den Hals hängten. Und Groupies, die den Sportlern auflauerten, um sich an diversen intimen Stellen, wie auf dem nackten Busen, auf dem Hintern oder anderen nackten Körperstellen ein Autogramm geben zu lassen, waren ihm zuwider.
Christoph Lenders wurde als Auslandsspieler vom Team der VIKs gekauft und spielte seit drei Jahren in Österreich. Seine neue Heimat gefiel ihm. Auch von den Menschen mit ihrer ganz eigenen Mentalität war er angetan. Er hatte sich vor einem Jahr ein riesiges Haus auf dem Südhang des Rosenhügels in Wien gekauft. Für ihn allein war das Haus viel zu groß, aber er genoss es, sich auszubreiten. Häufig bekam er Besuch von seinen Teamkollegen. Nach einem ordentlichen Saufgelage war es hilfreich, Gästezimmer anbieten zu können. Er respektierte seine Mitspieler, jeden einzelnen von ihnen mitsamt den dazugehörigen Macken, die Spieler oft hatten. Nur wenn über die kleine Tänzerin gelästert wurde, verstand er keinen Spaß und hätte sich am liebsten mit jedem angelegt, der ein schlechtes Wort über sie verlor.
Kurz flackerte die Erinnerung an Camilla auf, die Frau, die er einmal geliebt hatte und die er heiraten wollte. Noch immer wallten Zorn und endlose Enttäuschung auf, wenn er an diese Zeit zurückdachte. Sie hatte ihn auf die für ihn schlimmste Art hintergangen. Erst nach der Trennung erfuhr er von seinen damaligen Kumpeln, dass Camilla ihm nie treu gewesen war. Einige seiner ehemaligen Spielerkollegen waren mit ihr in die Kiste gehüpft. Um zu vergessen, betrank er sich regelmäßig. Er ging keinem Streit und keiner körperlichen Auseinandersetzung aus dem Weg. Er zog sie geradezu an. Sein damaliger Coach sperrte ihn für einige Spiele und verbannte ihn in ein Trainingslager. Durch hartes Training und totale Alkoholabstinenz erholte er sich langsam sowohl körperlich als auch psychisch. Kurz darauf wurde er an das österreichische Team verkauft. Das Beste, das ihm passieren konnte. Weit weg von allem. In den letzten drei Jahren hatte er sich gut eingelebt, Freunde gefunden, sich ein neues Zuhause geschaffen, das Einzige, das ihm fehlte, war eine Frau an seiner Seite. Wärme und Geborgenheit, die nur eine Partnerschaft geben konnte. Aber wo fand man so jemanden? Wem konnte er vertrauen? Oh, tollen Frauen war er sehr wohl begegnet. Für eine Nacht wäre schnell eine bereit gewesen, sich mit ihm zu vergnügen. Auch sein Reichtum war dabei ein nicht zu übersehender Magnet. Doch keine vermittelte ihm das Gefühl, ihr jemals vertrauen zu können. Dabei wünschte er sich doch nichts Unmögliches. Seine Eltern waren seit beinahe vierzig Jahren glücklich verheiratet. Ihr Glück erarbeiteten sie sich in all den Jahren mit gegenseitigem Respekt, mit Liebe und Vertrauen.
»Hey Chris, bist du endlich fertig? Wir warten nur noch auf dich. Dabei hab ich gedacht, dass du es gar nicht mehr erwarten kannst, die Eisprinzessin zu sehen«, spöttelte Tim.
Sein Kollege Timothy Smith riss Chris aus den Gedanken. Er merkte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg, weil er sich ertappt fühlte.
»Ich komm ja schon, schließlich muss ich mich doch herausputzen für die Damenwelt.«
»Welche Damenwelt? Du hast ja doch nur Augen für die eine. Weiß sie das eigentlich?«
»Was soll sie wissen?«
»Na, dass du auf sie stehst, du Idiot«, lachte Tim.
Sie packten ihre Taschen und eilten zu ihren Autos. Chris erwiderte nichts auf Tims Ansage, weil es ja stimmte und er sich nicht noch mehr Blöße geben wollte. Die Eisprinzessin, wie sie von allen genannt wurde, hatte etwas an sich, das ihm gefiel.
Im »Spleens« gab es um einundzwanzig Uhr noch nicht den großen Ansturm. Den Spielern war das egal. Außerdem sollten sie in den Genuss einer Extravorstellung der Tänzerinnen kommen. Ihr Coach und der Sponsor hatten dies arrangiert. Ein riesiges Buffet sorgte für das leibliche Wohl. Die Einrichtung des Lokals dominierte durch gerade Linien, viel Chrom und dunkles Holz. Die Tische standen in geraden Reihen mit einladenden Sitzbänken dicht aneinander. An der gegenüberliegenden Seite erstreckte sich eine lang gezogene Bar. Der Barkeeper ließ keine Wünsche offen. Wollte man sich mit einer Eroberung zurückziehen, reservierte man einfach ein Separee. Abgegrenzt durch dünne Wände war man ungestört. Chris hatte noch nie ein Separee beansprucht. Wozu auch? Seine Kumpel dagegen zogen sich im Laufe so manch fortgeschrittener Stunde mit ihren Auserwählten in diese Kämmerchen zurück. Meist endeten solche Begegnungen dann letztendlich entweder im Bett der Dame, seiner Kumpel oder in irgendeinem Stundenhotel. Mittlerweile hatten sich auch die Frauen der Spieler zu ihnen gesellt, bei den VIKs durchaus gewünscht und gern gesehen. Sie gaben den Männern Rückhalt, betreuten sie, wenn es ihnen nicht so gut ging, und unterstützten die gesamte Mannschaft. Sie waren eine große Familie. Auch das gefiel Chris. Das war durchaus ein Grund, warum er sich auf Anhieb bei den VIKs wohl- und willkommen gefühlt hatte. Die Gemeinschaft und das Miteinander stärkten ihn und gaben ihm das Gefühl, nie alleine zu sein. Stolz schweifte sein Blick über die Anwesenden und deren freudestrahlenden Gesichter. Durch ihren heutigen Sieg hatten sie einen Meilenstein bewegt. In allen Medien würde morgen über sie berichtet werden. Vielleicht errang dadurch Football in Österreich doch einen höheren Bekanntheitsgrad und Stellenwert bei den Menschen. In seiner Heimat belegte Football Rang eins unter den Sportarten. Die Spiele waren allesamt ausverkauft und die Konkurrenz der Teams um einiges härter als hierzulande. Letzteres war wohl der einzige Wermutstropfen, überlegte Chris.
Ihr Head Coach Mark Jansen stand auf und begrüßte alle. In seiner kurzen Rede beglückwünschte er die Spieler zum Sieg. Er bedankte sich bei den Frauen für ihre Unterstützung und erklärte das Buffet für eröffnet. Er war kein großer Redner. Aber auf lange Reden wären sie sowieso nicht scharf gewesen. Mark wischte sich die Schweißperlen von der Stirn, die immer dann hervortraten, wenn er eine Ansprache halten sollte. Mittlerweile war er bei allen für seine kurzen Statements auch bei der Presse bei Interviews bekannt. Umso intensiver fielen hingegen seine Trainingseinheiten aus, die sich durchaus bewährten, wie heute bewiesen wurde.
Kapitel 3
Anne war nicht erfreut, ihren Dienst als Tänzerin zu beginnen. Lieber servierte und bediente sie. Das Tanzen machte sie des Geldes wegen, um finanziell besser über die Runden zu kommen. Als sie nun von der Bühne eilte, hielt ihr Chef sie zurück.
»Anne, einen Augenblick«, stoppte er sie. »Du wirst im Separee vier erwartet.«
Bevor sie jedoch ein Wort dagegenreden konnte, bremste er sie.
»Ohne Widerrede! Du wirst da heute hineingehen. Verstanden? Das ist eine verdammte Anweisung. Und ich mache dich auf die letzte Vereinbarung aufmerksam – entweder du nimmst diese Einladung an oder ich feuere dich! Hast du mich verstanden?«
Max hatte sich in seiner vollen Größe von einem Meter achtzig vor ihr aufgebaut und drohte nun mit Händen und wilden Gebärden. Es war ihm völlig ernst. Er würde sie heute entlassen, wenn sie der Einladung dieses Kunden nicht nachkam. Heißer Zorn stieg in ihr auf. Mit ihren großen Augen starrte sie ihren Chef ungläubig an. Was passierte da gerade? Sollte sie einfach gehen, ihn ignorieren. Dann war sie den Job los. Sie brauchte das Geld. Sie brauchte den Job. Ohne ein Wort drehte sie sich abrupt um und rauschte Richtung Separees davon.
»Das Vierer«, hatte er gesagt.
Sie hasste das. Er hatte sie beinhart erpresst. Sie wollte das nicht. Sie war kein Flittchen. Das war sie nie gewesen und trotzdem hatte sie nun als alleinerziehende Mutter Verantwortung für ihre vierjährige Tochter zu tragen. Allein dieser Umstand zwang sie, diese Erniedrigung in Kauf zu nehmen und in dieses verdammte »Vierer-Separee« zu gehen.
Mit schweißnassen Fingern öffnete sie zaghaft die Tür. Zuerst mussten sich ihre Augen an den abgedunkelten Raum gewöhnen. Ein Riese mit breiten Schultern kam auf sie zu. Mit tiefer Stimme begrüßte er sie.
»Guten Abend. Danke, dass Sie meine Einladung angenommen haben. Ich heiße Christoph Lenders und bin Footballspieler«, stellte er sich förmlich vor.
»Guten Abend, Herr Lenders, ich weiß, wer Sie sind. Schließlich ist das Footballteam öfter hier in dieser Bar«, knurrte sie mit schroffer Stimme.
»Nehmen Sie doch Platz, was darf ich Ihnen zu trinken bestellen? Champagner oder einen Cocktail?« Seine Stimme klang etwas unsicher oder kam es Anne nur so vor?
»Ein Glas Rotwein«, hielt sich Anne kurz und ließ sich auf der gemütlichen Bank nieder.
Chris holte an der Bar das gewünschte Glas Rotwein und für sich ein Bier. Er konnte es noch nicht fassen, die Eisprinzessin war wirklich gekommen.
Zurück im Separee setzte er sich ihr gegenüber. Zu nahe wollte er ihr nicht treten. Er musste erst ihr Vertrauen gewinnen.
»Verzeihen Sie mir, Anne, ich darf Sie doch Anne nennen?«
Sie nickte nur kurz.
»Sie denken sicher, was will der von mir?«, begann er vorsichtig. »Ich möchte Sie einfach kennenlernen, ich möchte Sie bitten, mir eine Chance zu geben, Sie kennenlernen zu dürfen.«
Er machte eine unbeholfene Bewegung, seine Stimme verriet Unsicherheit.
Anne starrte ihn mit ihren großen braunen Augen an, ohne auf das Gesagte zu reagieren.
»Darf ich Sie heute einladen, mit mir essen zu gehen?«
»Das wird leider nicht möglich sein«, entfuhr es ihr, »ich habe bis circa ein Uhr Dienst.«
»Oh, das hab ich mit Ihrem Chef schon geregelt, er gibt Ihnen selbstverständlich frei.«
Entrüstet entfuhr ihr »Was? Er gibt mir frei? Ohne mich vorher zu fragen, ob ich das überhaupt möchte?« Erst jetzt hörte sie die Panik in ihrer Stimme. Sie rang merklich um Fassung. Auf wen sollte sie ihre Wut richten? Auf ihren Chef oder ihr Gegenüber?
Chris legte seine Hände auf die ihren, mit denen sie nervös am Tischtuch herumzupfte.
»Ich verspreche Ihnen, ich werde nichts tun, was Sie nicht wollen«, schwor Chris, ohne auf ihre Frage genauer einzugehen.
»Außerdem hat mir Ihr Chef ernsthaft gedroht, sollte ich Sie nicht fürsorglich behandeln. Er hält große Stücke auf Sie. Ich möchte mich mit Ihnen nur unterhalten, einfach reden, über Dinge, die Sie gerne mögen. Was Sie gar nicht mögen. Warum Sie hier arbeiten«, mit einer ausholenden Handbewegung deutete er an, dass er das Lokal meinte. »Ich möchte Sie nicht erschrecken. Keineswegs. Sie sind eine ausgesprochen hübsche Frau. Ich habe mich in Sie verguckt, als ich Sie das erste Mal gesehen habe«, gestand er. »Da haben Sie mir einen Wodka serviert. Ihre Augen wirkten traurig. Das war an jenem Abend, als Sie einem anderen Gast, der Ihnen auf Ihren hübschen Po gegrapscht hat, den Champagner ins Gesicht gegossen haben«, grinste Chris nun breit. »Ihre Courage hat mir gefallen. Ich glaube, nein, ich weiß es, ab da konnte ich die Augen nicht mehr von Ihnen lassen. Ich möchte erfahren, was für ein Mensch Sie sind und warum Ihre schönen – warten Sie …«, er beugte sich weit über den Tisch ganz nah an sie, damit er ihre Augen besser sehen konnte, »… Ihre bernsteinfarbenen Augen so traurig blicken.«
Dann lehnte er sich wieder gemächlich zurück. Seine Augen hielten sie fest. Warm und unergründlich.
Bei Anne, fasziniert von seiner tiefen und sympathischen Stimme, begann der Widerstand leicht zu bröckeln. Sie fühlte sich geschmeichelt. Jemand machte sich Gedanken um sie. Eine wildfremde Person machte sich um ihr Wohlergehen Gedanken. Doch meinte er es ernst? Meinte er es auch so, wie er es sagte und wie es sich für sie anfühlte? Sie war verwirrt.
»Sie machen mich verlegen. Ich treffe mich nicht mit unseren Gästen, weder im Separee noch sonst wo. Und hier sitze ich jetzt nur, weil mir mein Chef mit Entlassung gedroht hat, sollte ich Ihre Einladung nicht annehmen. Ich weiß nicht, was Sie ihm gesagt oder angeboten haben. Nur dass Sie es wissen, allzu viel Spaß brauchen Sie sich nicht erhoffen. Ich bin keine angenehme Gesellschaft. Es wäre sicherlich klüger, wenn Sie sich eine andere weibliche Begleitung suchen würden.« Langsam kehrte ihre Selbstsicherheit zurück.
Anne verzog keine Miene. Ihr war es völlig ernst. Ihr Gegenüber sollte wissen, worauf er sich einließ. Sie hoffte, ihre Worte würden ihm klarmachen, dass er sich besser verziehen sollte.
»Keine Sorge, es geht nicht darum, was Sie wahrscheinlich vermuten. Ihr Chef war mir einfach einen Gefallen schuldig, weshalb er meiner Bitte, mich hier mit Ihnen treffen zu können, nachgekommen ist«, begann Chris. »Dass er das Druckmittel der Entlassung gewählt hat, war mir nicht bewusst und tut mir leid. Und bevor Sie mir erklären, dass Sie nicht käuflich sind, ich bin davon überzeugt.«
Chris wurde mit einem Mal bewusst, mit dieser Frau konnte er nicht einfach essen gehen und sie anschließend als Nachspeise vernaschen. Er hatte sich dies in Gedanken bereits ausgemalt. Seine Sportlerkumpel mochten bei ihren Eroberungen so vorgehen. Anne würde ihm die kalte Schulter zeigen. Er begehrte diese Frau um jeden Preis. Nur für eine Nacht? Nein. Sie hatte mehr als einen »One-Night-Stand« verdient. Und er auch. Außerdem würde sie sich darauf niemals einlassen. Eher würde der Mond vom Himmel fallen. Sie würde sogar eine Entlassung in Kauf nehmen. Ihr Tonfall hatte ihm eindeutig zu verstehen gegeben, dass er sich vom Acker machen soll, das wurde Chris schmerzlich bewusst. Er musste sich etwas Außergewöhnliches einfallen lassen, um sie zu gewinnen. Und auf einmal wusste er, was zu tun war.
»Wäre das nicht so, würde ich Sie auch nicht einladen wollen«, konterte er schließlich. »Und ob Sie eine angenehme Begleitung sind oder nicht, möchte ich selbst entscheiden. Also, können wir gehen? Ich habe im ›Domes Tino‹ einen Tisch für uns reserviert.«
Anne war nun gänzlich baff. Das »Domes Tino« war das angesagteste Speiselokal schlechthin. Wenn man dort reservierte, musste man mindestens sechs Monate warten, um einen Tisch zu bekommen.
»Aber das ist doch viel zu nobel, dafür bin ich auch gar nicht wirklich angezogen«, protestierte Anne verlegen.
»Wir könnten gerne einen kurzen Abstecher zu Ihrer Wohnung machen, wenn Sie sich umziehen möchten, aber wegen mir muss es nicht sein. Ich nehme an, Sie möchten zumindest aus diesem Kostüm raus, oder? Gehen wir also zuerst zur Garderobe. Anschließend entscheiden wir, ob Umziehen erforderlich ist oder wir gleich in diese Nobelstätte gehen können«, schlug er vor. Das verschmitzte Funkeln seiner Augen entging Anne.
Er erhob sich und hielt ihr die Hand hin. Ohne darauf zu reagieren, stand sie ebenfalls auf. Beim Hinausgehen legte er seine Hand auf ihren Rücken, knapp unterhalb des Nackens. Mit leichtem Druck, doch ohne aufdringlich zu wirken, dirigierte er sie zur Tür, die er ihr galant öffnete. Unverzüglich stieg ihr sein männlicher Duft in die Nase und ins Hirn. Ihr Körper begann augenblicklich verräterisch zu kribbeln. Auf ihrer nackten Haut prickelte es, wo seine Hand lag. Seine Wärme spürte sie am ganzen Leib. Als sie an der Bar vorbeikamen, wünschte Max ihnen einen schönen Abend. Ihr eisiger Blick, der ihn traf, lockte ihm ein neckisches Schmunzeln ins Gesicht.
»Viel Spaß, kleine Eisprinzessin«, flüsterte er ihr ins Ohr, gerade so laut, dass sie und ihr Begleiter es hörten.
Rasch lief Anne weiter, der Ärger schwoll noch mehr an. Machte sich ihr Chef gerade über sie lustig? Sie konnte den Gedanken jedoch nicht weiterverfolgen, da ihr die Hand auf ihrem Rücken und die Nähe des Mannes, der sie gerade elegant aus dem Raum führte, nur zu bewusst wurden. Schweigend marschierten sie nebeneinander den dunklen Gang entlang zu den Garderoben. Die ganze Zeit spürte sie die Wärme seiner Hand. Mit seinen langen Beinen hatte er keine Schwierigkeiten, mit ihr Schritt zu halten. Vor der Garderobe drehte sie sich zu ihm, um ihm klarmachen zu können, dass er vor der Tür warten soll. Für ihren Geschmack standen sie zu nah aneinander. Gerade sie, die immer genug Distanz brauchte und sich diese als Schutzschild zugelegt hatte. Jetzt erst wurde ihr bewusst, wie groß und breit dieser Mann war. Mit ihren Zehn-Zentimeter-Absätzen reichte sie ihm gerade bis zum Kinn. Er lächelte auf sie herab und zeigte dabei schöne weiße Zähne. Seine tiefblauen Augen ruhten auf ihr. Mit einer geschmeidigen Bewegung beugte er sich leicht an ihr vorbei, um die Tür zu öffnen.
»Ich nehme an, dass wir hier richtig sind, nachdem Sie so abrupt stehen geblieben sind?«, hörte sie seinen tiefen Bass. »Bitte, nach Ihnen«, damit schob er sie durch die offene Tür.
»Ich würde Sie bitten, draußen zu warten«, fauchte sie mit eisiger Stimme.
»Oh, ich möchte eigentlich verhindern, dass Sie sich aus dem Staub machen und ich ohne nette Begleitung dastehe. Ziehen Sie sich um, ich verspreche, ich werde nicht gucken«, neckte er sie.
Gerade das hatte Anne beabsichtigt. Sie wollte durch die Hintertür raushuschen, während er wartete. Sie war mit dieser Situation wenig zufrieden und überrumpelt und ergab sich ihrem Schicksal. Genervt kramte sie aus ihrem Spind ihre Kleidung und das Duschgel. Was sollte ihr schon passieren? Er war Profisportler und als solcher hatte er einen Ruf zu verlieren, sollte er ihr zu nahetreten oder gar grob werden. Schließlich kannte sie ihn nicht, nur von seinen Barbesuchen und was in der Zeitung über ihn zu lesen stand. Er gehörte zu den begehrtesten Junggesellen, sollte man der Klatschpresse glauben.
Frisch geduscht und umgezogen trat sie nach kurzer Zeit aus dem Duschraum. Sie trug ihre schwarze Röhren-Jeans und dazu ihren schwarzen hüftlangen Lieblingspullover mit V-Ausschnitt.
»Wow«, staunte er fasziniert.
»Sie sehen absolut bezaubernd aus. Also meinetwegen ist nochmals Umziehen reine Zeitverschwendung«, schwärmte Chris. Seine Bewunderung hörte man an der Stimme.
Als sein Blick auf ihr ruhte, stieg ihr die Röte ins Gesicht. Sie war Komplimente nicht mehr gewohnt.
Verlegen entwischte ihr ein leises »Danke«. Sie ergriff ihre Tasche und wandte sich zum Gehen. »Wenn Sie mich so mitnehmen, wäre ich bereit.«
Noch bevor Anne an der Tür war, hatte er sie schon für sie geöffnet.
»Bitte, es ist mir ein Vergnügen«, hauchte er und legte dabei wieder die Hand auf ihren Rücken.
Dieses Mal spürte sie ihn nicht unmittelbar auf der Haut und doch, es war wieder wie vorhin ein angenehmes, prickelndes Gefühl. Es vermittelte ihr irgendwie Schutz und Geborgenheit, obwohl sie sich das sicherlich einbildete. Und sie wollte dieses Gefühl nicht zulassen, weil sie schon so lange Zeit auf sich alleine gestellt war und Verantwortung für zwei tragen musste. Irritiert versuchte sie, den angenehmen Schauer abzuschütteln. Als sie ins Freie traten, stellte sie fest, dass der Regen aufgehört hatte. Der Asphalt dampfte noch und die Luft fühlte sich schwül und feucht an.
»Sind Sie mit dem Auto hier?«, riss Chris sie aus ihren Gedanken.
»Nein, mit der U-Bahn.«
»Gut, dann fahren wir mit meinem Auto und ich bringe Sie danach selbstverständlich nach Hause.«
Sein leicht englischer Einschlag beim Sprechen fiel ihr erst jetzt auf. Es gefiel ihr, wie er sprach, tief, mit leichten nasal und lang gezogenen Vokalen. Ohne das Tempo zu verlangsamen oder ihre Antwort abzuwarten, führte er sie zu seinem Wagen, die Hand ruhte immer noch auf ihrem Rücken. Mit der linken Hand öffnete er nun die Beifahrertür, damit sie einsteigen konnte. Er fuhr einen schwarzen SUV der Marke Audi.
»Ich dachte, Sie fahren sicher einen schnellen Sportwagen, jetzt bin ich aber schon ein wenig enttäuscht.«
»Oh, das tut mir leid, Ihnen diese Freude verdorben zu haben«, witzelte er. »Aber bei meiner Größe komme ich mir in einem Sportwagen wie in einer Sardinenbüchse vor.«
Er drehte sich zu ihr und lächelte sie amüsiert an. Es war ein warmes Lächeln. Seine tiefblauen Augen, die im Dunkeln des Autos fast schwarz wirkten, und die dunklen leicht gelockten Haare, obwohl kurz getragen, gaben ihm ein verwegenes Aussehen. Trotz seiner beachtlichen Größe, vor allem jetzt so nah neben ihr, wirkte Chris überhaupt nicht bedrohlich. Das verwunderte Anne. Sie fühlte sich sogar wohl in seiner Nähe.
»Seit wann arbeiten Sie im ›Spleens‹?«, erfüllte seine Stimme das Innere des Autos.
»Seit ich meinen Schulabschluss gemacht habe.«
»Wann war der, wenn ich fragen darf?«
»Vor sechs Jahren. Ich habe maturiert, dann jedoch keine andere Anstellung bekommen. Ich wollte mir schon etwas anderes suchen, aber irgendwie bin ich nie dazu gekommen.« Anne hatte für ihr Empfinden schon zu viel Privates preisgegeben. Näher wollte sie nicht darauf eingehen. Sie zog sich weiter in ihr Schneckenhaus zurück. Ihr Leben ging niemanden etwas an.
»Und das Tanzen, machen Sie das auch schon so lange?« Chris ließ nicht locker. Er bemerkte ihren Versuch abzublocken. Diese Frau war ein Rätsel. Sie gefiel ihm mit ihren schulterlangen kastanienbraunen Locken und den traurigen warmen Augen. Ihre Figur, schlank, mit weichen Rundungen, war die reine Verlockung. Ob sie das wusste? Wegen ihrer niedrigen Absätze reichte sie ihm nicht einmal bis zu den Schultern. Und doch strahlte sie eine Aura aus, die mit nichts zu vergleichen war. Seine Hand hatte er absichtlich auf ihren Nacken gelegt, weil er sie dort unbedingt berühren wollte. Er wollte sie spüren. Und es fühlte sich sogar noch besser an, als er geahnt hatte. Ihre vorsichtige Art, ihr Misstrauen, welches sie ihn spüren ließ, veranlasste ihn, vorsichtig und bedacht mit ihr umzugehen. Irgendjemand musste sie tief verletzt haben.
Sie hatte ihre Hände in den Schoß gelegt und spielte mit ihren Fingern, so wie sie es auch vorhin im Separee bereits gemacht hatte. Es verriet ihre Unsicherheit.
»Nein, das Tanzen mache ich noch nicht so lange«, kam nun nach längerem Zögern ihre Antwort.
»Das merkt man nicht, Sie tanzen sehr gut. Anne, wie lange tanzen Sie also schon, das haben Sie mir noch nicht verraten.«
Anne zuckte kurz zusammen. Gerade als sie zu einer Antwort ansetzen wollte, bog er in die Parkgarage des Restaurants ein. Chris stellte das Fahrzeug in einer Parklücke ab und beeilte sich, um ihr die Tür zu öffnen.
»Oh … Oh, i… ich bin es nicht gewohnt, dass mir jemand die Tür aufhält«, stotterte sie verlegen.
»Liebe Anne, dann wird es aber höchste Zeit, dass das jemand für Sie macht«, flüsterte er ganz nah an ihrem Ohr. So nah am Ohr, dass sie seinen heißen Atem spürte. Eine Gänsehaut breitete sich aus und ihr Körper reagierte auf jede seiner Berührungen, und war es nur der Atem wie soeben. Verwirrt ergriff sie seine Hand, die er ihr reichte. Als er die Tür schloss, stand er ganz nah bei ihr. Sie war zwischen Auto und seinem Körper gefangen. Wieder merkte sie, wie sie errötete, und die Hitze in ihr kroch aus allen Poren.
»Sie sind wunderschön, wissen Sie das? Ich würde Sie wirklich gerne küssen. Keine Angst, ich habe Ihnen versprochen, nichts zu tun, was Sie nicht wollen.« Zärtlich strich er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich dorthin verirrt hatte. Ein Schauer rieselte über ihren Rücken.
»Und es gefällt mir, wenn Sie rot werden«, neckte er sie.
Er trat einen Schritt zurück und legte ihr wie selbstverständlich seine Hand auf den Rücken wie vorhin knapp unter dem Nacken. Er führte sie zum Lift. Im Restaurant wurden sie am Empfang zuvorkommend begrüßt und ein Ober geleitete sie an einen Tisch für zwei Personen, der im hinteren Bereich des Lokals in einer kleinen gemütlichen Nische stand. Anne registrierte im Vorbeigehen die Gäste, die allesamt nobel und elegant gekleidet waren. Sie spürte die Blicke, die ihnen folgten. Die Anordnung der Tische war durch Pflanzen oder halb hohe Raumteiler in sich abgeschlossen und vermittelte ein gemütliches Ambiente. Die Einrichtung bestand aus hellem Edelgehölz und verbreitete schlichte Eleganz. Mattes Altrosa wechselte zu einem dezenten Lindgrün und trennte so optisch zwei aneinandergrenzende Räume. Frische Zimmerblumen mit satten grünen Blättern frischten die Atmosphäre auf. Von ihrem Tisch aus konnte sie das Restaurant überblicken, ohne selbst den Blicken der anderen allzu sehr ausgesetzt zu sein.
»Gefällt es Ihnen?«, fragte Chris, der sie beobachtet hatte.
»Ja, es sieht gemütlich aus, obwohl es so elegant eingerichtet ist. Es gefällt mir wirklich. Ich war noch nie hier. Sind Sie öfter hier? So viel ich gehört habe, wartet man hier ewig, wenn man einen Tisch reservieren lassen möchte?«
»Na ja, noch nicht oft, aber doch einige Male mit meinen Teamkollegen nach einem Spiel oder mit Bekannten. Mit einem Date bin ich das erste Mal hier.«
Chris beobachtete Anne. Ihre Augen und ihre Mimik verrieten ihre Gedanken. Die Überraschung stand ihr ins Gesicht geschrieben.
Er bezeichnete sie als Date? Irgendwie freute es sie. Wusste aber nicht, warum.
»Warum sind Sie jetzt erstaunt?« Chris sah sie belustigt an.
Anne fühlte sich abermals ertappt. Konnte der Typ denn Gedanken lesen?
»Soll ich Ihnen das abnehmen?«, verwundert starrte sie ihn an.
»Ein erfolgreicher Mann wie Sie. Sie werden sich doch vor Frauenbekanntschaften nicht retten können.«
Chris setzte sein charmantestes Lächeln auf.
»An Frauenbekanntschaften mangelt es mir nicht, wenn ich wollte. Aber ich bin wählerisch. Ich gehe nicht mit jeder X-beliebigen aus. Groupies, die sich uns Spielern an den Hals werfen, sind mir ein Gräuel. Ich mag keine Frauen, die …«, weiter kam Chris in seiner Erklärung nicht, denn der Ober trat an ihren Tisch, um ihre Bestellung aufzunehmen.
»Haben Sie bereits gewählt? Was darf ich Ihnen bringen?«
Chris bestellte eine Flasche Champagner, als Vorspeise wählte er geräucherte Lachsröllchen auf Krenschaum, danach Medaillons Espagnole mit Spargel-Kartoffelcroûtons, Salat. Als Dessert Mousse au Chocolat. Kurz blickte er zu Anne, um zu fragen, ob ihr dies auch passen würde. Sie nickte.
Der Ober bedankte sich.
»Ich hoffe, es macht Ihnen wirklich nichts aus, dass ich heute für uns beide bestellt habe. Sollten Sie lieber doch etwas anderes essen wollen, können Sie es mir gerne sagen. Die Karte ist riesig, mit Speisen, die ich nicht einmal aussprechen kann, geschweige denn weiß, was es ist. Und ich gestehe, ich will mich lieber mit Ihnen unterhalten, als Ihnen dabei zuzusehen, wie Sie sich mit der Speisekarte beschäftigen.«
Anne huschte ein Lächeln übers Gesicht.
»In manchen Dingen lasse ich mich gerne beraten. Es fühlt sich für mich allerdings seltsam an, wenn ich einmal keine Entscheidung selbst treffen muss.«
Schon wieder hatte sie mehr verraten, als sie wollte. Verdammt. Das lag sicher am Champagner. Sie vertrug nicht viel Alkohol.
Unerwartet ergriff Chris ihre Hand.
»Ich würde Sie gerne verwöhnen und bei Entscheidungen helfen. Erzählen Sie mir, wer Sie so sehr verletzt hat, dass Sie keinen Menschen mehr an sich heranlassen. Sich nicht helfen lassen. Kein Vertrauen schöpfen. Alleine für alles verantwortlich sein wollen.«
Anne zog abrupt ihre Hand unter seiner heraus.
»Ich möchte nicht darüber reden. Es ist eine lange Geschichte und es würde den Abend zerstören.«
Die Erinnerungen an die Panik, die Leere und den Berg von Schulden schwappten hoch. Ein Schatten huschte über ihr Gesicht. Nur kurz. Und doch blieb er Chris nicht verborgen.
»Oh, ich habe Zeit, die ganze Nacht und noch länger. Und Ihre Lebensgeschichte wird ganz sicher nicht den Abend zerstören, so schlimm Ihr Erlebtes auch sein mag.«
»Ich kann nicht«, verweigerte Anne.
Sie saß hier mit Chris Lenders, einem Footballspieler, der ein charmanter und zuvorkommender Kerl war. Aber er war eben ein Mann. Und sie ließ sich nicht mehr auf Männer ein, sie hielt sie seit Jahren auf Abstand. Und dieser hier war im Begriff, eine imaginäre Grenze zu überschreiten.
»Gut, sagen wir, Sie könnten schon, aber Sie kennen mich zu wenig, um mir Ihre Geheimnisse anzuvertrauen. Ich erzähle auch nicht gerne von mir. Wie wär’s? Ein Tauschhandel. Meine Geschichte gegen Ihre? Sollte ich Sie langweilen, unterbrechen Sie mich einfach.«
Anne starrte ihn an, verwirrt, erstaunt. Innerlich aufgewühlt, schienen sich ihre Gedanken zu überschlagen.
Chris überlegte kurz, wo er beginnen sollte, ohne den Blick von ihren Augen zu wenden. Anne war noch verschlossener, als er befürchtet hatte. So wie sie jetzt dasaß, ohne Regung, in sich zurückgezogen, das Kinn leicht gehoben, gereichte sie dem Namen Eisprinzessin alle Ehre.
Während er noch überlegte, servierte der Ober die Vorspeise. Das gefüllte Lachsröllchen lag auf grünem Blattsalat und war mit Krenobers verziert. Anne kostete zaghaft. So etwas Vorzügliches hatte sie noch nie gegessen.
»Hm, schmeckt das köstlich«, schwärmte sie und ließ sich den Bissen im wahrsten Sinne des Wortes auf der Zunge zergehen.
Die eisige Atmosphäre hatte sich verzogen.