Die katholische Kirche im Pressediskurs - Marianne Franz - E-Book

Die katholische Kirche im Pressediskurs E-Book

Marianne Franz

0,0

Beschreibung

Wie wird das kontroverse Thema 'Kirche' im Pressediskurs Österreichs und Frankreichs dargestellt? Dieser Band beschreibt und erklärt redaktionelle, überredaktionelle und länderspezifische Muster und berücksichtigt dabei auch die jeweiligen soziokulturellen Kontexte. Untersucht werden Pressetexte aus Qualitäts- sowie Boulevardzeitungen. Neben vielfältigen linguistischen Analysekategorien (z.B. Pressetextsorten, Bewertungen, Pressebilder) werden mit den Nachrichtenfaktoren auch kommunikationswissenschaftliche Aspekte in den Blick genommen. Der Band richtet sich an Forschende aus den Bereichen Linguistik, Kommunikationswissenschaft, Theologie und Religionswissenschaft sowie an JournalistInnen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 799

Veröffentlichungsjahr: 2017

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Marianne Franz

Die katholische Kirche im Pressediskurs

Eine medienlinguistische Untersuchung österreichischer und französischer Tageszeitungen

A. Francke Verlag Tübingen

 

 

© 2016 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen www.francke.de • [email protected]

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen

Inhalt

Vorwort(e)1 Einleitung1.1 Forschungsobjekt1.2 Hypothesen(1) Einfluss der Nachrichtenfaktoren sowie der Welt- und Wertvorstellungen(2) Themenselektion(3) Inhaltliche Darstellung(4) Redaktionelle Besonderheiten(5) Länderspezifische Besonderheiten (Vergleich Österreich – Frankreich)1.3 Untersuchungsdesign1.4 Aufbau der Arbeit2–6 Wissenschaftliche Grundlagen2 Medien- und Kommunikationswissenschaft2.1 Medien aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht2.2 Massenkommunikation2.3 Kommunikatorforschung2.3.1 Nachrichtenwerttheorie2.3.2 Verwandte Ansätze: Gatekeeping, News-Bias, Agenda-Setting, Framing2.4 Medieninhaltsforschung2.4.1 Medieninhalte oder: Gibt es objektive Berichterstattung?2.4.2 Inhaltsanalyse2.5 Zusammenfassung3 Medienlinguistik3.1 Die Sprache(n) der Medien3.1.1 Mediale Kommunikationsbedingungen3.1.2 Besonderheiten der Pressesprache3.2 Sprache-Bild-Texte3.2.1 Was ist ein Medien-Text?3.2.2 Bildsorte „Zeitungsbild“3.2.3 Sprache-Bild-Bezüge3.2.4 Funktionen von Zeitungsbildern3.3 Zusammenfassung4 Textlinguistik4.1 Merkmale der Pressetextsorten4.1.1 Informationsbetonte Pressetextsorten4.1.2 Meinungsbetonte Pressetextsorten4.1.3 Pressetextsorten mit informations- und meinungsbetonten Elementen4.2 Aktuelle Tendenzen der Pressetextsorten-Entwicklung4.3 Zusammenfassung5 Diskurslinguistik5.1 Diskurstheorie nach Foucault5.2 Diskursanalysen in der Linguistik5.3 Kritische Diskursanalyse nach Jäger5.4 Zusammenfassung6 (Pragmatische) Semantik6.1 Typen und Mittel der Bewertung mit Sprache6.1.1 Bewertungstypen: Explizite und implizite Bewertungshandlungen6.1.2 Sprachliche Bewertungsmittel6.2 Zusammenfassung7–8 Gesellschaftspolitischer Kontext7 Katholische Kirche und Staat7.1 Das österreichische Kooperationssystem7.2 Die französische Laizität7.3 Zusammenfassung8 Katholische Kirche und Medien8.1 Österreich8.1.1 Beziehung(-sproblem) „Kirche, Medien und Staat“8.1.2 Medienberichterstattung über die Kirche8.2 Frankreich8.2.1 Beziehung(-sproblem) „Kirche, Medien und Laizität“8.2.2 Medienberichterstattung über die Kirche8.3 JournalistInnen im Interview zur Beziehung „Kirche, Medien und Staat“8.3.1 Österreichische Journalisten8.3.2 Französische JournalistInnen8.4 Zusammenfassung9–10 Presselandschaften9 Die Presse in Österreich und in Frankreich9.1 Die Presse in Österreich9.1.1 Journalismus auf Österreichisch9.2 Die Presse in Frankreich9.2.1 Journalismus „à la française“9.3 Zusammenfassung10 Porträt der untersuchten Tageszeitungen10.1 Der Standard10.1.1 Daten und Fakten10.1.2 Leitlinie10.1.3 Der Standard und religiöse Berichterstattung10.2 Die Presse10.2.1 Daten und Fakten10.2.2 Leitlinie10.2.3 Die Presse und religiöse Berichterstattung10.3 Kronen Zeitung10.3.1 Daten und Fakten10.3.2 Leitlinie10.3.3 Kronen Zeitung und religiöse Berichterstattung10.4 Aujourd’hui en France10.4.1 Daten und Fakten10.4.2 Leitlinie10.4.3 Aujourd’hui en France und religiöse Berichterstattung10.5 Le Figaro10.5.1 Daten und Fakten10.5.2 Leitlinie10.5.3 Le Figaro und religiöse Berichterstattung10.6 Le Monde10.6.1 Daten und Fakten10.6.2 Leitlinie10.6.3 Le Monde und religiöse Berichterstattung10.7 Zusammenfassung11–13 Katholische Kirche im Pressediskurs: Textanalyse11 Inhaltsanalyse11.1 Korpus11.2 Methode11.3 Auswertung11.3.1 Umfang der Berichterstattung11.3.2 Themenfrequenz11.3.3 Distribution der Nachrichtenfaktoren11.4 Zusammenfassung12 Bildanalyse12.1 Korpus12.2 Methode12.3 Auswertung12.3.1 Formale Bildmerkmale12.3.2 Pragmasemantische Bildmerkmale12.3.3 Semantische Sprache-Bild-Bezüge13 Diskursanalyse13.1 Korpus13.2 Methode13.3 Auswertung13.3.1 Bewertungen in informations- und in meinungsbetonten Pressetextsorten13.3.2 Sprachliche Bewertungsmittel in informationsbetonten Pressetextsorten13.3.3 Sprachliche Bewertungsmittel in meinungsbetonten Pressetextsorten13.3.4 Verhältnis positiver und negativer Bewertung von Kirche13.3.5 Ideologiebezogene Bezeichnungsfelder im Pressediskurs über die Kirche13.3.6 Inhaltlich-ideologisches Bild der Kirche im Pressediskurs14 Zusammenfassung(1) Einfluss der Nachrichtenfaktoren sowie der Welt- und Wertvorstellungen(2) Themenselektion(3) Inhaltliche Darstellung(4) Redaktionelle Besonderheiten(5) Länderspezifische Besonderheiten15 Résumé(1) Impact des éléments d’information ainsi que des conceptions du monde et des valeurs(2) Choix des thèmes traités(3) Représentation de fond(4) Des particularités rédactionnelles(5) Spécificités nationales16 Anhang16.1 Codebuch Inhaltsanalyse16.1.1 Umfang der Berichterstattung16.1.2 Themenfrequenz16.1.3 Nachrichtenfaktoren16.2 Ergebnisdaten Inhaltsanalyse16.2.1 Umfang der Berichterstattung16.2.2 Themenfrequenz16.2.3 Distribution der Nachrichtenfaktoren16.3 Codebuch Bildanalyse16.3.1 Formale Bildmerkmale16.3.2 Pragmasemantische Bildmerkmale16.3.3 Semantische Sprache-Bild-Bezüge16.4 Korpus Diskursanalyse16.4.1 Der Standard16.4.2 Die Presse16.4.3 Kronen Zeitung16.4.4 Aujourd’hui en France16.4.5 Le Figaro16.4.6 Le MondeAbbildungenTabellenLiteraturQuellenForschungsliteraturSoftwareStichwortverzeichnisSachregister

Vorwort(e)

Der erste Satz meiner Dissertation fällt mir leicht; er soll all denen gewidmet sein, ohne die diese Arbeit kein Ende gefunden hätte: Ich danke den vielen Händen, die mich durch die folgenden Seiten getragen, getröstet, gezogen, gestoßen oder einen Beitrag anderer Art geleistet haben.

Danke, Ao. Univ.-Prof. Dr. Lorelies Ortner (Universität Innsbruck), für die tolle Betreuung, für deine Menschlichkeit, deine Nachsicht, für den Druck, den du im rechten Moment ausübst, für deine motivierenden Rückmeldungen, für deine wertvollen Anmerkungen, für die Zeit, die du immer für mich hattest.

Danke, Prof. Jean-Pierre Goudaillier (Université Paris Descartes), für die Betreuung, für die gute Unterstützung während meines sechsmonatigen Studienaufenhalts in Paris (September 2009–März 2010) und für das Ermöglichen der Dissertation als eine „thèse en co-tutelle“. Dieses von Frankreich ausgehende Mobilitätsprogramm für DissertantInnen impliziert eine Doppelinskription an der Universität Innsbruck und an der Université Paris Descartes und gewährt bei positivem Abschluss des Doktoratsstudiums die Anerkennung des Doktorats an beiden Universitäten. Die Inskription an der Pariser Universität erleichterte mir die unverzichtbare Recherchearbeit für den französischen Teil der Dissertation (Erstellung der französischen Korpora, Interviews mit französischen JournalistInnen, Literaturrecherchen).

Danke an das Vizerektorat für Forschung der Universität Innsbruck, das mir durch ein im Studienjahr 2009/2010 gewährtes Doktoratsstipendium aus der Nachwuchsförderung diesen Paris-Aufenthalt finanziell ermöglichte.

Danke an die JournalistInnen der österreichischen und der französischen Tageszeitungen, die sich für Interviews zur Verfügung gestellt haben: Philippe Baverel und Jacques Lallain (Aujourd’hui en France), Jean-Marie Guénois und Georges Potriquet (Le Figaro), Dieter Kindermann (Kronen Zeitung), Stéphanie Le Bars und Jean-Pierre Giovenco (Le Monde), Dietmar Neuwirth (Die Presse) und schließlich Markus Rohrhofer (Der Standard).

Danke für alles, Bernhard, du hast wohl am meisten an diesem Werk mitgetragen, warst sehr geduldig, hast mich oft angetrieben, mich ermutigt, mir das alles zugetraut.

Danke an meine Eltern und Geschwister und an meine Freunde, die meine Hochs und Tiefs und alles dazwischen ertragen haben.

Danke an meine Korrekturleserinnen Claudia und Gudrun.

Danke an meinen franko- und anglophonen Beistand, Ingrid, Julien und Ulla.

Danke an das Leben, das mich auch auf das Thema der Dissertation gebracht hat. Das Untersuchungsobjekt und die Untersuchungsperspektive sind kein Zufall. Ich vereine darin meine drei Studienrichtungen (Germanistik, Französisch, katholische Theologie) und damit auch viele meiner Interessen: die Liebe zu den Sprachen, zu Frankreich, zu Österreich, mein Interesse für die Theologie und die Kirche und vor allem für das Phänomen der Massenmedien mit ihrer ambivalenten Macht.

 

Innsbruck, Dezember 2012Marianne Franz

 

 

 

Rund dreieinhalb Jahre nach der Defensio meiner Dissertation im Jänner 2013, einen zweieinhalb Jahre alten Sonnenschein und Prachtkerl von Sohn sowie ein jetzt schon wunderbar lebhaftes, demnächst anmarschierendes Geschwisterchen später erscheint nun dieses Werk in leicht gekürzter und überarbeiteter Fassung. Dem wilden Leben, dem ich oben schon gedankt habe, ist es zuzuschreiben, dass die der Arbeit zugrunde liegende Literatur großteils weiterhin auf Stand 2012 zu bleiben hat. Zuletzt füge ich den obigen, heute nicht weniger gültigen Dankesworten noch sehr gerne einige weitere hinzu:

Danke an die HerausgeberInnen der Reihe, insbesondere an Prof. Dr. Kirsten Adamzik, für die Aufnahme meiner Arbeit in die „Europäischen Studien zur Textlinguistik“ und für die vielen wertvollen Anregungen im Rahmen der Drucklegung.

Danke an die Österreichische Forschungsgemeinschaft, an die Diözese Innsbruck und ihren ehemaligen Bischof Dr. Manfred Scheuer sowie auch an das Institut für Germanistik der Universität Innsbruck für die großzügige finanzielle Unterstützung des Drucks.

 

Innsbruck, August 2016Marianne Franz

1Einleitung

Abb. 1:

Französische Karikatur zum Beziehungsproblem „Kirche und Medien“ (Quelle: Guézou 2009: 3)

Deutsche Übersetzung:

Bischof:

„Was die Aufhebung der Exkommunikation von Bischof Williamson betrifft, Gott präserviere uns vor jeglichem voreiligen Urteil!…“

JournalistInnen:

„Präserv… …atif!! Es ist soweit! Er hat es gesagt!“ – „Wie furchtbar!“

Bischof:

„Um deutlich zu sein, ja, aber nein …, aber gut. Naja, je nachdem.“

Bildunterschrift:

„Eindringliche Zusammenhanglosigkeit angesichts einer ausgeprägten Fixierung.“1

Den Ausgangspunkt dieser Dissertation bildet eine Beobachtung, die wohl auch der KarikaturKarikatur in Abb. 1 zugrunde liegt: ein dem Anschein nach vorhandenes Beziehungsproblem zwischen der katholischen Kirche und den öffentlichen Medien.2

Tatsächlich muss man kein Experte sein, um zu erkennen, dass das Verhältnis zwischen Kirche und Medien nicht ausschließlich freundschaftlich ist. Kirchenmitglieder klagen immer wieder über die Medienmaschinerie und ihre Vorliebe für Skandale und Negativschlagzeilen. Die Kirche werde schlechter dargestellt, als sie sei, die positiven Aspekte würden ignoriert. Die Kirche fühlt sich (manchmal mit Absicht) missverstanden. Mitunter werden sogar Verschwörungstheorien ins Spiel gebracht, die Medien wollten die Kirche schädigen. Umgekehrt beschweren sich MedienvertreterInnen über die mangelnde kirchliche Kommunikationskompetenz. In der KarikaturKarikatur lässt sich das an der verwickelten Sprechblase erkennen. Der Bischof wirkt unbeholfen und weiß nicht so recht, was er sagen soll. Den Konflikt auf den Punkt bringen die Fotoapparate der JournalistInnen, aus denen offensichtlich Geschosse fliegen.

Befinden sich Kirche und Medien im Krieg? Was ist dran an diesem angeblichen Missverhältnis zwischen den beiden? Wie schreiben die Medien wirklich über die Kirche? Gibt es hier im internationalen Vergleich Unterschiede? Auf diese Fragen auf wissenschaftliche Art und Weise Antworten zu finden, ist das Ziel dieser Arbeit. Das Werkzeug dazu liefern allen voran die Linguistik, aber auch einige andere Forschungsdisziplinen wie die Medien- und Kommunikationswissenschaft, aus denen geschöpft wird.

Die Beforschung der medialen Berichterstattung ist kein Neuland, sondern hat Tradition. Neu ist das Thema, mit dem sich die vorliegende Arbeit auseinandersetzt. In einer durchaus säkularen Gesellschaft drängt sich die Frage auf, warum man sich mit dem medialen Bild einer Organisation befasst, deren Mitgliederzahlen ohnehin rückläufig sind und deren Untergang sich für manche schon abzuzeichnen scheint. Dass die Kirche aber immer noch eine gesellschaftliche Größe von nicht unbeträchtlicher Relevanz ist, spiegelt sich auch in ihrer unvermutet starken medialen Präsenz wider. Michael Fleischhacker, Chefredakteur der Presse, zählt Kirchenberichterstattung nicht zuletzt zu den „großen journalistischen Herausforderungen“ und gesteht ihr „Kulturkampfpotenzial“ zu (Fleischhacker 2010). Er spielt wohl darauf an, dass die erwähnte gesellschaftspolitische Relevanz der katholischen Kirche nicht unumstritten ist, ebenso wie zahlreiche ihrer Positionen oder Handlungen. Dabei geht es weniger um religiöse Glaubensinhalte (die im öffentlichen DiskursDiskurs nur selten Platz haben), sondern vielmehr um die daraus resultierenden (moralischen) Werthaltungen und Weltanschauungen, die zum Stein des Anstoßes werden.

Nichtsdestoweniger wurde die Kirche bislang als Thema sowohl in der Linguistik als auch in der Medien- und KommunikationswissenschaftKommunikationswissenschaft weitgehend ignoriert. Dort konzentriert man sich vor allem auf die Analyse der Presse-Berichterstattung in Hinblick auf politische Themen (z.B. Ausländerfeindlichkeit in der Presse; ethnische Minderheiten, Kernenergie, die EU-Erweiterung, politische Parteien im Vorlauf diverser Wahlen usw.) (vgl. auch Abschnitt 8).

Dass Kirche Kulturkampfpotenzial hat, zeigte sich auch schon in der Geschichte Frankreichs (vgl. Abschnitt 7.2). Heute herrscht dort eine strikte Trennung zwischen Staat und Kirche; viel strikter, als es in Österreich der Fall ist (vgl. Abschnitt 7.1), wo Staat und Kirche in vielen Bereichen kooperieren. Gerade dieser Unterschied macht einen Vergleich dieser beiden Länder interessant. Es bleibt festzustellen, ob sich die unterschiedlichen Staat-Kirche-Systeme in der Berichterstattung der Medien widerspiegeln. Auch dieser länderübergreifende Vergleich bildet ein Novum, das aufschlussreiche Ergebnisse zu den soziokulturellen und sprachlichen Besonderheiten der beiden Länder verspricht.

Alle Medien zu untersuchen sprengt die Ressourcen einer einzelnen Dissertantin. So wurde das MediumMedium der Tageszeitung ausgewählt, das nicht nur ein verhältnismäßig leicht zu handhabender Untersuchungsgegenstand ist, sondern das sowohl in Österreich als auch in Frankreich ein sehr beliebtes Medium und insofern repräsentativ ist (vgl. Kapitel 9).

Im Folgenden werden das Forschungsobjekt, die der Untersuchung zugrunde liegenden Hypothesen, das Untersuchungsdesign und der Aufbau der vorliegenden Arbeit genauer erläutert.

1.1Forschungsobjekt

Medien sind „Weltbildapparate“, so Winfried Schulz in Anlehnung an Konrad Lorenz, der mit dieser Bezeichnung den Einfluss des menschlichen Informationsverarbeitungssystems auf die Weltbild-Konstruktion hervorhob. Auch die Medien wählen – wie das menschliche Informationsverarbeitungssystem –

„aus der unendlichen Fülle von Zuständen und Vorgängen in der Welt einige wenige aus, unterziehen sie einem Verarbeitungsprozeß und entwerfen daraus ihr Weltbild. Dieses hat für die Gesellschaft einen ähnlich ‚objektiven‘, verbindlichen Charakter wie es die individuelle Weltwahrnehmung hat. So wie wir unseren Augen trauen, verlassen wir uns auch auf die Berichterstattung der Medien“ (Schulz 1997: 49; vgl. auch Abschnitt 2.3 Kommunikatorforschung).

Manchen Kirchenmitgliedern ist genau das ein Dorn im Auge. Sie sorgen sich, dass die Menschen, die die Kirche nur mehr aufgrund der Medienberichterstattung und nicht aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen mit der Kirche kennen, ein negatives Bild von Kirche vermittelt bekommen und dieses mediale Bild für real halten.Bewertung

Wissenschaftlich gesehen kann ein mediales Weltbild jedoch ohnehin „niemals ein Abbild der Wirklichkeit“ sein (Burkart 2002: 275). Nach konstruktivistischer Sicht ist die Wahrnehmung und Abbildung einer objektiven RealitätRealität, objektive nicht möglich, da die menschliche Informationsverarbeitung unweigerlich eine Reduktion dieser Realität mit sich bringt. Die Frage lautet also nicht „‚Wie (gut oder schlecht) bilden die Medien die Wirklichkeit ab?‘, sondern ‚Wie [re-]konstruieren die Medien die Wirklichkeit?‘“ (Burkart 2002: 274f.) (vgl. auch Abschnitt 2.4.1).

Die vorliegende Arbeit will dieser Frage auf den Grund gehen. Sie nimmt ein konkretes medial rekonstruiertes Weltbild genauer in Augenschein: das Bild der römisch-katholischen Kirche, wie es von den österreichischen und französischen Tageszeitungen geschaffen wird. Dazu werden Zeitungsartikel hinsichtlich der berichteten kirchlichen Themen sowie hinsichtlich ihrer inhaltlichen und sprachlichen Darstellung und der getätigten Bewertungen analysiert. Für die Untersuchung wurden je drei österreichische und französische Tageszeitungen mit nationaler Reichweite (je zwei QualitätszeitungenQualitätszeitung und eine BoulevardzeitungBoulevardzeitung) ausgewählt. In Österreich sind das Die Presse, Der Standard und die Kronen Zeitung; in Frankreich Le Figaro, Le Monde und Aujourd’hui en France. Berücksichtigt wurden informations- undPressetextsorten, informationsbetontemeinungsbetontePressetextsorten, meinungsbetonteTextsortenPressetextsorten, die die katholische Kirche zum Thema hatten und die Linie der jeweiligen Redaktion widerspiegelten.

Seit Beginn meiner Untersuchungen im Jahr 2008 riss die Berichterstattung über die Kirche nicht ab. Es mag dazwischen Zeiten gegeben haben, wo es ruhiger um die Kirche geworden ist, doch über weite Strecken war das Thema Kirche kontinuierlich präsent. Immer wieder tauchten neue Diskursereignisse auf, die eine Riesenwelle an medialer Berichterstattung auslösten; im Jahr 2009 waren es päpstliche Aussagen zum Kondom während seiner Afrikareise oder auch die aufgehobene Exkommunikation der Bischöfe der Piusbruderschaft (einer von ihnen leugnet annähernd zeitgleich den Holocaust); in Österreich folgten im Jahr 2010 der Skandal der zahlreichen aufgedeckten Fälle von Kindesmissbrauch innerhalb der österreichischen Kirche oder im Jahr 2011 der Aufruf zum Ungehorsam gegenüber der Kirchenleitung von der österreichischen Pfarrerinitative (ein Verein von österreichischen Pfarrern, der für die Reform der Kirche eintritt) – um nur einige Beispiele zu nennen. Es stellte sich bald heraus, dass es unmöglich war, alles abzudecken. Das Korpus musste stark eingeschränkt werden. Um dennoch allgemeine Aussagen treffen zu können, wurde nicht ein einzelnes diskursives EreignisDiskursives Ereignis (z.B. Kondomdebatte) untersucht, sondern die Berichterstattung über einen längeren Zeitraum verfolgt, indem eine StichprobeStichprobe (s. a. Künstliche Woche) der zwischen Jänner und Juni 2009 zum Thema „katholische Kirche“ erschienenen Artikel gezogen wurde. Insgesamt wurden 212 Artikel untersucht (Genaueres siehe Abschnitt 11.1, außerdem Abschnitte 12.1 und 13.1).

1.2Hypothesen

Die Untersuchung ging von folgenden Hypothesen in Bezug auf die Beschaffenheit der Berichterstattung über die katholische Kirche aus:

(1) Einfluss der NachrichtenfaktorenNachrichtenfaktoren sowie der Welt- und WertvorstellungenWelt- und Wertvorstellungen

Die Konstruktion der MedienrealitätMedienwirklichkeitMedienrealitätMedienwirklichkeit „Kirche“ vollzieht sich einerseits unter dem Einfluss der NachrichtenfaktorenNachrichtenfaktoren (d.h. der Eigenschaften eines Ereignisses, die darüber bestimmen, ob es in die Berichterstattung Eingang findet oder nicht, z.B. Prominenz der beteiligten Personen, räumliche Nähe des Ereignisses zu den LeserInnen, Dramatik usw.), andererseits unter dem Einfluss der Welt- und Wertvorstellungen der jeweiligen RedakteurInnen.

(2) ThemenselektionThemenselektion

Die NachrichtenfaktorenNachrichtenfaktoren und die Welt- und WertvorstellungenWelt- und Wertvorstellungen der jeweiligen RedakteurInnen wirken sich auf die Themensteuerung aus. Die Tageszeitungen berichten einseitig über die Kirche. Das Verhältnis der Bandbreite kirchlichen Geschehens in der Realität zu den in den Tageszeitungen wiedergegebenen Geschehnissen stimmt nicht überein. Im Detail bedeutet dies:

Die Berichterstattung ist auf „heiße Eisen“ fokussiert. Dazu gehören nach Bauer (vgl. 1997: 5f.) inner- und außerkirchlich heiß diskutierte Themen wie die Sexualmoral der Kirche, in diesem Zusammenhang auch Geburtenregelung, Schwangerschaftsabbruch, Homosexualität und Zölibat; weiters das Verhältnis zwischen den Religionen (Juden und Christen bzw. Muslime und Christen) sowie das Verhältnis zwischen den Konfessionen (Ökumene), Kirchenbeitrag oder auch der Primat des Papstes.

Über bestimmte kirchliche Tätigkeitsfelder wird kaum berichtet (z.B. Tätigkeiten im sozialen Bereich).

Über bestimmte kirchliche Tätigkeitsfelder wird nicht berichtet (z.B. Tätigkeiten im pastoralen Bereich, beispielsweise in den Pfarrgemeinden).

(3) Inhaltliche Darstellung

Ebenso beeinflussen die NachrichtenfaktorenNachrichtenfaktoren und die Welt- und WertvorstellungenWelt- und Wertvorstellungen der RedakteurInnen die inhaltliche Darstellung der behandelten Themen. Diese zeigt sich in der Wahl der sprachstrukturellen Elemente sowie in den transportierten explizitenBewertung, explizite und implizitenBewertung, implizite Wertungen. Im Detail bedeutet dies:

In dieser teils unbewusst teils bewusst geschaffenen bzw. rekonstruierten MedienwirklichkeitMedienwirklichkeit wird die Kirche tendenziell negativ dargestellt bzw. bewertet.

Wertungen sind nicht nur in den meinungsbetontenPressetextsorten, meinungsbetonteTextsortenPressetextsorten, sondern auch in den informationsbetontenPressetextsorten, informationsbetonte Textsorten enthalten, die ObjektivitätObjektivitätBerichterstattung, objektiveRealität, objektive für sich beanspruchen.

(4) Redaktionelle Besonderheiten

Aufgrund der spezifischen Welt- und WertvorstellungenWelt- und Wertvorstellungen der einzelnen RedakteurInnen bzw. Redaktionen wird davon ausgegangen, dass die Berichterstattungen der einzelnen Tageszeitungen zum Teil Parallelen, zum Teil aber auch Unterschiede aufweisen. Dies betrifft sowohl Themenstrukturen als auch Sprache und Inhalt der Artikel und damit die enthaltenen Bewertungen.

(5) Länderspezifische Besonderheiten (Vergleich Österreich – Frankreich)

Die Berichterstattung über die römisch-katholische Kirche in Frankreich weist inhaltliche und sprachliche Unterschiede zur Berichterstattung in Österreich auf, was auf die strikte Trennung von Staat und Kirche in Frankreich (Stichwort LaizitätLaizität) zurückzuführen ist. Im Detail bedeutet dies:

Kirchlichen Themen wird in französischen Tageszeitungen weniger Raum beigemessen als in österreichischen Tageszeitungen. Zahl und Länge der abgedruckten Artikel sind geringer.

Das Verhältnis negativer und positiver Meldungen in Bezug auf die Kirche fällt noch stärker zugunsten negativer Nachrichten aus als in Österreich. Die Berichterstattung bezieht sich noch häufiger auf so genannte „heiße Eisen“. Einige Tätigkeitsbereiche der Kirche werden noch weniger berücksichtigt.

Wird Kritik an der Kirche geübt, fällt diese offener und schärfer aus. Es gibt gehäuft explizite Wertungen, negative Wertungen treten öfter auf als in Österreich.

In den französischen Tageszeitungen gibt es keine spirituellen Angebote, wie es in österreichischen Tageszeitungen vereinzelt der Fall ist (z.B. „Bimail“ – Bibelworte als spirituelle Anregung zum Weiterdenken in der Wochenendausgabe der Tageszeitung Die Presse).

1.3UntersuchungsdesignKommunikationswissenschaft

Der Ansatz der Dissertation ist ein linguistischer. Ein derart komplexes Thema erfordert jedoch einen Blick über den Tellerrand und somit ein interdisziplinäres Untersuchungsdesign, das abseits verschiedener linguistischer Teildisziplinen (MedienlinguistikMedienlinguistik, TextlinguistikTextlinguistik, DiskurslinguistikDiskurslinguistik, SemantikSemantik, Pragmatik) auch aus der Forschungstradition der Medien- und Kommunikationswissenschaft schöpft (vgl. Kapitel 2–6 Wissenschaftliche Grundlagen). So weist die KommunikatorKommunikator- und Medieninhaltsforschung hinsichtlich der MedienwirklichkeitMedienwirklichkeit und ihrer Einflussfaktoren bereits zahlreiche Ergebnisse vor (NachrichtenwerttheorieNachrichtenwert, GatekeeperGatekeeping-Forschung usw.), auf denen hier aufgebaut werden kann.

Um die Hypothesen zu verifizieren und damit das mediale Bild der Kirche beschreiben zu können, wird auf verschiedene Methoden zurückgegriffen, die in den Abschnitten 2.4.2 und 11.2(InhaltsanalyseInhaltsanalyse) sowie 12.2(BildanalyseBildanalyse) und 5.3 und 13(DiskursanalyseDiskursanalyse) erläutert werden.

Aufgrund des breit angelegten Untersuchungsdesigns kann die vorliegende Arbeit für den DiskursDiskurs mehrerer Wissenschaftsdisziplinen von Interesse sein, z.B.:

Linguistik: Die auf Sprache fokussierte Analyse ist relevant für die linguistischen Teildisziplinen der MedienlinguistikMedienlinguistik (Sprache in den Medien), der SemantikSemantik (Wertungen), der Sprachkritik (kritischer Blick auf die Sprache) und auch der kontrastiven Linguistik (Vergleich zwischen Frankreich und Österreich).

Medieninhalts- und Kommunikatorforschung: Indem der Inhalt dieser themenspezifischen Berichterstattung analysiert wird und die RedaktionslinienRedaktionslinie nachgezeichnet werden (und damit ihre Welt- und WertvorstellungenWelt- und Wertvorstellungen in Bezug auf das Thema katholische Kirche), leistet die Dissertation einen Beitrag zur Medieninhalts- und Kommunikatorforschung. Außerdem wird sich im Zuge der Analyse der Themenstruktur herausstellen, inwieweit die NachrichtenwerttheorieNachrichtenwert auch auf das Thema „Röm.-kath. Kirche“ zutrifft.

MedienkritikMedienkritik bzw. Medienethik: Durch das Nachzeichnen des medial konstruierten Bildes der römisch-katholischen Kirche und das Aufdecken der Wertungen soll aufgezeigt werden, dass diese Berichterstattung keine neutrale ist. Die Frage stellt sich, inwiefern dies mit den Prinzipien einer objektiven BerichterstattungBerichterstattung, objektiveRealität, objektive vereinbar ist. In diesem Zusammenhang kann die Dissertation Medienkritiker ansprechen.

Theologie: Nicht zuletzt kann diese Dissertation auch für die Religionswissenschaft im Allgemeinen und für die katholische Theologie im Konkreten interessant sein, da sie die Rezeption der römisch-katholischen Kirche in den Medien untersucht: Wie wird Kirche in der medialen Öffentlichkeit wahrgenommen?

1.4Aufbau der Arbeit

Die Arbeit ist in vier große Kapitel untergliedert: Zunächst werden die wissenschaftlichen Grundlagen erläutert, auf denen die Untersuchung aufbaut (Kapitel 2–6): Medien- und Kommunikationswissenschaft (v.a. KommunikatorKommunikator- und Medieninhaltsforschung), MedienlinguistikMedienlinguistik, TextlinguistikTextlinguistik (in Hinblick auf die Pressetextsorten), DiskurslinguistikDiskurslinguistik, SemantikSemantik und Pragmatik.

Im zweiten Teil der Arbeit wird der gesellschaftspolitische Kontext Österreichs und Frankreichs erläutert (Kapitel 7–8): das Verhältnis zwischen Kirche und Staat sowie die Beziehung zwischen Kirche und Medien. Das Ziel dieses Abschnittes liegt darin, länderspezifische Eigenheiten herauszufiltern, die als Interpretationshintergrund für die Ergebnisse der empirischen Untersuchung dienen sollen.

Eine ähnliche Funktion erfüllt der dritte Abschnitt (Kapitel 9–10), der zunächst die österreichische und die französische Presselandschaft und ihre Besonderheiten beschreibt und in weiterer Folge die einzelnen untersuchten Tageszeitungen porträtiert. Hier gibt es bereits erste Ergebnisse in Hinblick auf die RedaktionslinienRedaktionslinie bzw. Positionen der Redaktionen zur katholischen Kirche, die auf von mir mit einigen JournalistInnen durchgeführte InterviewsInterview zurückgehen.

Das vierte Großkapitel umfasst die Darstellung der Ergebnisse der Textanalyse und damit die Verifizierung der dieser Arbeit zugrunde liegenden Hypothesen (Kapitel 11–13).

Die Arbeit schließt mit einem zusammenfassenden Überblick über die wichtigsten Befunde der Untersuchung (Kapitel 14), welcher auch ins Französische übersetzt ist (Kapitel 15).

Im Anhang befinden sich die Codebücher der Inhalts- und der BildanalyseBildanalyse, einige Ergebnisdaten sowie ein Teil des Korpus der DiskursanalyseDiskursanalyse (Kapitel 16).

 

In der Epoche des Gender-Mainstreamings ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass die Autorin der vorliegenden Arbeit auf die bewusste Verwendung einer geschlechtergerechten Sprache großen Wert legt. Wenn an der einen oder anderen Stelle auf die weibliche oder die männliche Form verzichtet wurde, dann aus Gründen der Sprachökonomie und der Lesbarkeit bzw. um zu vermeiden, dass der Text allzu schwerfällig wirkt. Die Autorin nimmt sich diese Freiheit heraus, möchte jedoch betonen, dass in diesen Fällen stets beide Geschlechter gleichermaßen gemeint sind.

2–6Wissenschaftliche Grundlagen

In den folgenden fünf Kapiteln werden die wissenschaftlichen Grundlagen erläutert, auf denen die vorliegende, interdisziplinär ausgerichtete Untersuchung aufbaut. In Kapitel 2 wird auf entsprechende Grundlagen der Medien- und Kommunikationswissenschaft eingegangen (v.a. KommunikatorKommunikator- und Medieninhaltsforschung). Kapitel 3 behandelt die Grundlagen der Medienlinguistik (etwa die Besonderheiten der Pressesprache oder die Stellung des Bildes in Medien-Texten)Medienlinguistik, Kapitel 4 die Grundlagen der TextlinguistikTextlinguistik (v.a. in Hinblick auf die untersuchten Pressetextsorten). Kapitel 5 beschreibt die diskurslinguistischen Grundlagen und Methoden, die für diese Arbeit relevant sind, und in KapitelDiskurslinguistik6 werden die wichtigsten Erkenntnisse der SemantikSemantik und der Pragmatik in Bezug auf Typen und Mittel der Bewertung mit Sprache dargestellt.

2Medien- und Kommunikationswissenschaft

Die vorliegende Arbeit schöpft aus der Forschungstradition der Medien- und Kommunikationswissenschaft. Das folgende Kapitel versucht diese Forschungsdisziplinen im bunten Fächerwald zu verorten und macht sich auf die Spuren relevanter Forschungsergebnisse.

Die Kommunikationswissenschaft versteht sich ursprünglich rein als empirische Sozialwissenschaft und hebt sich dadurch in Bezug auf ihre Ansätze und Methoden von der geisteswissenschaftlich geprägten, historisch-hermeneutischen Publizistikwissenschaft ab (vgl. Maletzke 1998: 22). Heute findet jedoch eine Vermischung dieser Wissenschaftsdisziplinen statt (vgl. Maletzke 1998: 24). Beck bezeichnet Kommunikationswissenschaft daher konsequent als interdisziplinäre Geistes- und Sozialwissenschaft,

„die sich als Humanwissenschaft mit dem Prozess menschlicher Verständigung, seinen Voraussetzungen, Rahmenbedingungen, Mitteln, Formen, Störungen und Folgen beschäftigt. […] Ziel der [Kommunikationswissenschaft] ist der systematische, theorie- und hypothesengeleitete sowie empirisch verfahrende Erwerb von Wissen über Kommunikation […]. […] Kommunikationswissenschaftler bedienen sich ebenso historischer, hermeneutisch-interpretativer und diskursanalytischer Methoden wie quantifizierender und qualitativer Methoden der empirischen Sozialforschung.“ (Beck 2006a: 134)

Im Zentrum des Interesses der Kommunikationswissenschaft steht die öffentliche, durch Medien vermittelte Kommunikation. Seit den 1990er Jahren und der vermehrten Auseinandersetzung mit der computervermittelten Kommunikation wendet man sich auch interpersonalen Kommunikationsprozessen bzw. der Verschränkung öffentlicher und nicht-öffentlicher Kommunikation zu (vgl. Beck 2006a: 134)

Die Fragestellungen der Kommunikationswissenschaft führen sie an ihre Fachgrenzen und betrafen schon früh zum Teil „Disziplinen wie Linguistik und Psychologie, Soziologie und Kulturanthropologie, Kybernetik, Politikwissenschaft usw.“ (Schmidt 2002: 60). Hier kommt die MedienwissenschaftMedienwissenschaft ins Spiel:

„Lange Zeit hat die Kommunikationswissenschaft die Medien allzu eng lediglich als technische Verbreitungsinstrumente betrachtet; um Medien in ihren vielfältigen Zusammenhängen mit anderen Phänomenen, etwa gesellschaftlicher, politischer, wirtschaftlicher, kultureller und ästhetischer Art, hat sie sich nur wenig gekümmert. Und eben um dieses Versäumnis wettzumachen, entstand die MedienwissenschaftMedienwissenschaft.“ (Maletzke 1998: 25)

Die Geburt der MedienwissenschaftMedienwissenschaft wird von den verschiedenen Forschern in den 1960er bzw. 1970er Jahren angesetzt, als ihre Geburtshelfer werden die Literaturwissenschaften (vor allem die Germanistik), die Theaterwissenschaft, die Volkskunde, die Kunstwissenschaft und andere geisteswissenschaftliche Fächer angeführt (vgl. z.B. Hickethier 2003: 6; Schmidt 2002: 54; Bentele 2006: 188; Faulstich 2002: 52f.). Heute sieht sich die Medienwissenschaft „wegen ihrer Herkunft […] als eine Text- und Kulturwissenschaft“ (Hickethier 2003: 6), doch ist sie mehr als das: Sie hat in den Jahrzehnten nach ihrer Etablierung starke sozialwissenschaftliche Einflüsse erfahren, allen voran seitens der Publizistik und der Kommunikationswissenschaft (vgl. Faulstich 1994, zitiert nach Schmidt 2002: 54).

Es ist daher nicht verwunderlich, dass Medien- und Kommikationswissenschaft gerne in einem Atemzug genannt werden.1 Ludes und Schütte schlagen schon 1997 vor, MedienwissenschaftMedienwissenschaft als eine Integrationswissenschaft zu sehen (zitiert nach Maletzke 1998: 27f.):

„Indem die MedienwissenschaftMedienwissenschaft sich zunehmend sozialwissenschaftlich orientiert, ‚entstehen Ansätze einer integrierten Medien- und Kommunikationswissenschaft, in der hermeneutisch-qualitative und sozialwissenschaftlich-quantitative Methoden zum Einsatz kommen, um angemessen dem medialen Wandel begegnen zu können.‘“

Aus diesen Erläuterungen geht hervor, dass eine exakte disziplinäre Verortung der Medien- und der Kommunikationswissenschaft nur sehr schwer, eigentlich sogar unmöglich ist. Ihre Untersuchungsgegenstände sind seit ihren Anfängen dergestalt, dass sie die Aufmerksamkeit mehrere Fächer auf sich ziehen. Beck bezeichnet Kommunikationswissenschaft als sich aus mehreren Teildisziplinen zusammensetzende Aspekt- bzw. Integrationswissenschaft (vgl. Beck 2006a: 134). Sie könne nur interdisziplinär erforscht werden. Geisteswissenschaftliche Fächer wie eben auch die Sprachwissenschaft und sozialwissenschaftliche Fächer bilden zusammen mit der Kommunikationswissenschaft ein interdisziplinäres Gefüge (vgl. Beck 2007: 156f.). So sind die öffentliche Kommunikation und die sie vermittelnden MassenmedienMassenmedien Gegenstand verschiedenster sozial- und geisteswissenschaftlicher Teildisziplinen bzw. Bindestrich-Wissenschaften mit ihren je unterschiedlichen Fachperspektiven (z.B. Kommunikationsgeschichte, MedienlinguistikMedienlinguistik, Medienpsychologie, Kommunikationssoziologie, Medienökonomie usw.) (vgl. Bonfadelli 2006a: 104f.).

Um die Forschungsfelder der Medien- und Kommunikationswissenschaft zu beschreiben, wird gerne auf die sogenannte Lasswell-Formel zurückgegriffen. „Der amerikanische Politologe und Sozialwissenschaftler Harold D. Lasswell hat 1948 die wichtigsten Fragestellungen der damaligen Massenkommunikationsforschung in einem Fragesatz zusammengefasst“ (Beck 2007: 156f.) und ihnen verschiedene wissenschaftliche Forschungsfelder zugeordnet (Tab. 1).

Tab. 1:

Fragen und Disziplinen der Kommunikations- und Medienforschung (Quelle: Kübler 2003: 131; eigene Darstellung)

Obwohl die Formel immer wieder kritisiert, erweitert und differenziert wurde, hat sie sich aufgrund ihrer Prägnanz in der Kommunikationswissenschaft etabliert (vgl. Kübler 2003: 131f.). Zu ergänzende Forschungsfelder, die sie nicht berücksichtigt, sind etwa die Mediennutzung oder die Medienorganisation bzw. die „institutionellen Rahmenbedingungen“ (Bentele/Brosius/Jarren 2003: 9).

Die vorliegende Arbeit versteht sich als medienlinguistische Untersuchung und befindet sich damit an der Schnittstelle zwischen Medien- und Kommunikationswissenschaft und Sprachwissenschaft. Sie baut sowohl auf der Forschungstradition der ursprünglich philologischen, geisteswissenschaftlich geprägten Medienwissenschaft als auch auf der Forschungstradition der stärker sozialwissenschaftlich geprägten Publizistik- und Kommunikationswissenschaft auf und macht sich deren Forschungsergebnisse zunutze. Dabei setzt sie sich vor allem mit dem „Who says what“ auseinander (KommunikatorKommunikator- und Medieninhaltsforschung). Ihr methodischer Zugang ist einerseits ein hermeneutischer (InhaltsanalyseInhaltsanalyse, DiskursanalyseDiskursanalyse und anschließende Interpretation), andererseits ein empirischer (Stichprobenanalyse, quantitative Auswertung der Untersuchungsergebnisse).Medium

In den folgenden Abschnitten werden ausgewählte Forschungsergebnisse der Medien- und Kommunikationswissenschaft dargestellt. Zunächst werden die Phänomene „Medium“ und „MassenkommunikationMassenkommunikation“ beschrieben und für die vorliegende Arbeit brauchbare Definitionen festgelegt. Im Anschluss gehe ich auf einige Erkenntnisse der beiden Forschungsfelder der KommunikatorKommunikator- und Medieninhaltsforschung ein, die für die Überprüfung der Hypothesen bzw. für die angewandte Untersuchungsmethode von Bedeutung sind.

2.1Medien aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht

Zur Erinnerung: Kommunikations- und MedienwissenschaftMedienwissenschaft beschäftigt sich „mit dem Prozess menschlicher Verständigung, seinen Voraussetzungen, Rahmenbedingungen, Mitteln, Formen, Störungen und Folgen“; dies tut sie vor allem im Bereich öffentlicher, durch Medien vermittelter Kommunikation (vgl. Beck 2006a: 134). Doch welche Medien sind das genau? Die Klärung dieses Begriffes inkludiert eine Klärung des Forschungsgegenstandes dieser Wissenschaften. Alltagssprachlich scheint er relativ klar zu sein. Rein assoziativ verbindet man damit sofort Fernsehen, World Wide Web, Rundfunk usw. Doch schon nach Duden (1999) birgt dieser Begriff eigentlich sehr vielschichtige Bedeutungen in sich: Ein Medium kann hier 1. ein „vermittelndes Element“ sein (z.B. „Gedanken durch das M. der Sprache, der Musik ausdrücken“), 2.a. kann mit Medium oder besser: mit Medien (meist im Plural) eine „Einrichtung, [ein] organisatorischer u. technischer Apparat für die Vermittlung von Meinungen, Informationen, Kulturgütern“ gemeint sein, vielleicht auch „eines der MassenmedienMassenmedien Film, Funk, Fernsehen, Presse“. Es könnte sich aber auch um 2.b. ein „[Hilfs]mittel“ handeln, „das der Vermittlung von Information u. Bildung dient (z.B. Buch, Tonband): das akustische Medium Schallplatte“; oder 2.c. um ein „für die Werbung benutztes Kommunikationsmittel“. 3. könnte dieser Begriff für einen „Träger bestimmter physikalischer, chemischer Vorgänge; Substanz, Stoff“ stehen oder 4.a. für jemanden, „der für Verbindungen zum übersinnlichen Bereich besonders befähigt ist“, oder schließlich 4.b. für jemanden, „an dem sich aufgrund seiner körperlichen, seelischen Beschaffenheit Experimente, bes. Hypnoseversuche, durchführen lassen“.

Zugegeben, einige dieser Bedeutungen lassen sich für die Medien- und Kommunikationswissenschaft bereits dadurch ausschließen, dass sie nichts mit Kommunikation zu tun haben (3., 4b). Dennoch zeigt dieser Einblick in das Wörterbuch von Duden, dass Medium vieldeutig ist und es einer Klärung bedarf, was mit diesem Terminus in den Medien- und Kommunikationswissenschaften – vor allem aber in dieser Arbeit – bezeichnet wird bzw. mit welchem Forschungsgegenstand sich diese Wissenschaften beschäftigen.

Sichtet man in Bezug auf den Begriff Medium die Forschungsliteratur, findet man (nicht sehr überraschend) verschiedenste Definitionen und Klassifizierungsmöglichkeiten. Hickethier (2003: 18) begründet diese Tatsache mit der „Mehrdimensionalität und Komplexität des Gegenstandsbereichs“ sowie mit den unterschiedlichen „Interessen und Fragestellungen“ und damit auch Konzeptionalisierungen der Wissenschaften. Vor allem die Medientheorie/-n befasst/-en sich mit der systematischen Beschreibung von Einzelmedien bzw. der Medien im Allgemeinen. Je nach (psychologischem, kommunikationswissenschaftlichem, kritischem, systemtheoretischem oder sozialwissenschaftlichem) Ansatz werden die Medien jedoch anders charakterisiert.

Es wird hier darauf verzichtet, die verschiedenen Medienkonzepte genauer vorzustellen (Näheres siehe Hickethier 2003: 18–36; Faulstich 2002: 17–26; Saxer 1999: 1–14). Die folgenden Ausführungen zielen darauf ab, eine für die vorliegende Arbeit relevante und brauchbare Mediendefinition zu finden.

Faulstich zitiert in seiner „Einführung in die MedienwissenschaftMedienwissenschaft“ verschiedenste Medienkonzepte – und stellt sie in Frage. Viele Versuche der Klassifizierung von Medien (etwa nach Arten oder Funktionen usw.) seien schlichtweg unbrauchbar oder gar unwissenschaftlich (2002: 20): „All diese Versuche sind ausnahmslos entweder unlogisch, unverständlich, dysfunktional, unvollständig, unbegründet oder banal.“ Sind ihm viele dieser Gruppierungen zu präzise und einschränkend, kritisiert Faulstich aber auch die vielerorts gepflegten, sehr allgemeinen und unwissenschaftlichen Metaphern wie etwa „Das Medium ist die Botschaft“, die von Marshall McLuhan stammt und mit der das Begriffswirrwarr laut Faulstich erst seinen Anfang nahm. Harsche Kritik übt er gegenüber dem viel gelesenen und „heute noch vielfach unkritisch zitierten Text“ McLuhans „Die magischen Kanäle“ („Unterstanding Media“, 1964):

„In diesem früheren Bestseller der Popularkultur und Zeitungsfeuilletons wird nachweislich ‚getrickst‘: Nach einem deutlichen Schema werden hier 1. Zitate aus aktuellen Pressetexten und 2. Anekdoten mit 3. Zitaten aus wissenschaftlicher Sekundärliteratur praktisch aller Disziplinen sowie 4. Zitaten aus literarischen Klassikern wie Shakespeare, James Joyce, Milton oder Yeats und der Bibel vermischt, 5. mit dunklen Metaphern und 6. mit mehr als 20 verschiedenen Medienbegriffen zur unterhaltsamen Verwirrung des Lesers versetzt und dann mosaikartig 7. zu diffus-unverständlichen, aber hochgelehrt und griffig klingenden Aussagen verdichtet. […] McLuhan war vieles, ein Eklektiker, ein Überflieger, ein Blender, ein Visionär, ein Schwätzer; nur eines war er nicht: ein Wissenschaftler.“ (Faulstich 2002: 21f.)

Nichtsdestoweniger galt McLuhan lange als Vater der Medientheorie und beeinflusste die Medien- und Kommunikationswissenschaft nicht unwesentlich.

Nach all dieser Polemik plädiert Faulstich für eine Rückbesinnung auf kritisches Denken und eine medienwissenschaftlicheMedienwissenschaft Theoriebildung; der Medienbegriff der Wissenschaft muss vom Medienbegriff der Alltagswelt unterschieden werden:

„Viele begreifen im alltäglichen Sprachgebrauch ‚Medium‘ im uneigentlichen Sinn, d.h. einfach als ‚Mittel‘ oder ‚Instrument‘ oder ‚Werkzeug‘ – und da kann prinzipiell alles ein Medium sein. Das meint durchaus auch Metaphern wie ‚Medium Sprache‘, ‚Medium Literatur‘ oder ‚Medium Musik‘. In der MedienwissenschaftMedienwissenschaft dagegen wird Medium als ein fachspezifisches Konzept verstanden, dem verschiedene Merkmale konstitutiv zugeordnet sind.“ (Faulstich 2002: 23)

Wie Faulstich kritisiert auch Hickethier historische Verengungen und gegenwärtige Überdehnungen des Medienbegriffs (vgl. Hickethier 2003: 18f.). Er selbst geht von einem kommunikationsorientierten Medienbegriff aus,

„der die Medien der individuellen und gesellschaftlichen Kommunikation in den Vordergrund stellt. Medien und Kommunikation werden in einem engen Zusammenhang gesehen. Kommunikation bedient sich immer eines Mediums. Die Menschen, die miteinander kommunizieren, verwenden dabei Zeichen, die mit Bedeutungen in Verbindungen stehen. Kommunikation ist wiederum Voraussetzung dafür, dass die Menschen Vorstellungen erzeugen und dass Wissen entsteht.“ (Hickethier 2003: 20)

Medien seien „gesellschaftlich institutionalisierte Kommunikationseinrichtungen“, wobei Hickethier (2003: 20) zwischen „informellen (nicht durch Organisationen, sondern durch Konventionen bestimmten) Medien“ (z.B. das Medium „Sprache“, die Musik, die Literatur) und „formellen (institutionalisierten) Medien“ (z.B. Telefon, Fernsehen, Radio, Presse usw.) unterscheidet.

Demnach wäre der Forschungsgegenstand der vorliegenden Arbeit im formellen Bereich der Medien angesiedelt.

Kommunikationsorientiert ist auch die Definition, die Faulstich vorschlägt. Sie geht ursprünglich auf Saxer (1999: 6) zurück, dessen Definition auch von Burkart, Jarren und Maletzke aufgegriffen wird (Burkart 2003: 187; Jarren 2003: 15; Maletzke 1998: 52) und in der Medien- und Kommunikationswissenschaft anerkannt zu sein scheint: „Medien sind komplexe institutionalisierte Systeme um organisierte Kommunikationskanäle von spezifischem Leistungsvermögen.“

Saxer (1999: 5) will damit ein medienwissenschaftliches Konzept schaffen, „das dieser scientific community Identität verleiht, dem expansiven Gegenstand gerecht wird und die medienbezogenen Beiträge unterschiedlicher Disziplinen integriert“. Ziel ist es, einen gemeinsamen Fragehorziont bzw. ein kohärentes Forschungsfeld festzumachen (vgl. Saxer 1999: 5). Die Beschreibung allgemeiner Medien-Charakteristika soll dies ermöglichen. Saxer (1999: 5f.) nennt fünf Medien-Merkmale, die schließlich zu seiner Medien-Definition geführt haben:

Medien sind Kommunikationskanäle. Diese Kanäle stellen je nach technischer Beschaffenheit bestimmte Zeichensysteme, Inhalte usw. bereit.1

Medien sind Organisationen, d.h. Sozialsysteme. Organisation ist notwendig, damit ein Medium seine Produkte bereitstellen kann.2

Medien sind komplexe Systeme, da sie etwa aus „Herstellungs-, Bereitstellungs- und Empfangsvorgängen“ bestehen.3

Medienkommunikation wirkt sich in allen gesellschaftlichen Bereichen funktional und dysfunktional aus. Sie haben ein spezifisches Leistungsvermögen, z.B. wird durch sie zu etwas aufgefordert (Werbung) oder es werden räumliche, zeitliche und soziale Distanzen überwunden (World Wide Web).4

Medien sind institutionalisiert. Sie sind „ins gesellschaftliche Regelsystem eingefügt“ und werden zum Teil über Marktmechanismen, zum Teil über die Politik geregelt.5

Nun aber zurück zu Faulstich: Auch er führt fünf konstitutive Medien-Merkmale an, die sich jedoch teilweise von Saxers Merkmalen unterscheiden (2002: 23f.):

Ein Medium ist ein „Bestandteil zwischenmenschlicher Kommunikation“, wobei diese Kommunikation vermittelt ist (im Gegensatz zur face-to-face-Kommunikation).

Ein Medium ist dementsprechend also ein „Kanal“.

Jeder dieser Kommunikationskanäle hat ein spezifisches Zeichensystem, „das die Vermittlung und das Vermittelte prägt oder zurichtet“ (z.B. Radio – auditives Zeichensystem, Zeitung – Druckmedium, Fernsehen – audiovisuelles Zeichensystem, World Wide Web – digitales Medium).

„Bei jedem Medium handelt es sich um eine Organisation.“ D.h., das Medium ist institutionalisiert.

Jedes Medium entwickelt sich, unterliegt daher einem „geschichtlichen Wandel“ und kann zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche gesellschaftliche Bedeutung haben.

Nach Faulstich (2002: 25) gibt es zwar bisher noch keine umfassende, allgemein anerkannte Definition von „Medium“ „im Sinne einer komplexen Medientheorie“. Saxers Definition (s.o.) erscheint ihm allerdings als die bisher gelungenste, wobei er diese um eine Komponente erweitert, mit der er die Bedeutung der Medien für die Gesellschaft betonen will (Faulstich 2002: 26): „Ein Medium ist ein institutionalisiertes System um einen organisierten Kommunikationskanal von spezifischem Leistungsvermögen mit gesellschaftlicher Dominanz.“MassenmedienMassenmedien

Blicken wir zurück auf die Dudendefinitionen von „Medium“: Saxers bzw. Faulstichs Medienbegriff scheint alle Bedeutungen auszuschließen, ausgenommen die Bedeutung 2.a, nach der ein Medium eine „Einrichtung, [ein] organisatorischer u. technischer Apparat für die Vermittlung von Meinungen, Informationen, Kulturgütern“ bzw. „eines der Massenmedien Film, Funk, Fernsehen, Presse“ ist.

Für die vorliegende Arbeit wird Faulstichs (bzw. Saxers) Medienbegriff übernommen. Demnach ist etwa die Sprache kein Medium (bei Hickethier wird sie als informelles Medium bezeichnet), auch I-Pods, Computer als Geräte oder gar die Schrift – all diese Dinge sind keine Medien (wie noch bei Marshall McLuhan; vgl. hierzu Faulstich 2002: 216), sondern vielmehr Instrumente, derer sich Medien allenfalls bedienen. Ein Medium wird erst zu einem Medium, wenn es zu einem institutionalisierten System wird, das bestimmte gesellschaftliche Aufgaben löst. Dies trifft vor allem auf die sogenannten Massenmedien zu, also auf „technisch produzierte und massenhaft verbreitete Kommunikationsmittel […], die der Übermittlung von Informationen unterschiedlicher Art an große Gruppen von Menschen dienen“ (Hickethier 2003: 24). Eines dieser Massenmedien steht im Fokus der vorliegenden Arbeit: die Tagespresse.Massenkommunikation

2.2Massenkommunikation

Im untrennbaren Zusammenhang mit (Massen-)Medien steht die sogenannte Massenkommunikation. In beiden Komposita (Massen-Kommunikation und Massen-Medien) drückt „Masse“ aus, dass ein disperses Publikum angesprochen wird. Da die Tagespresse ein Massenmedium ist und daher Massenkommunikation „betreibt“, soll hier kurz auf die Besonderheiten der Massenkommunikation (vor allem im Vergleich zur interpersonalen – privaten – Kommunikation) eingegangen werden.

Maletzke versuchte 1963 eine Definition, die bis heute weit verbreitet ist (zitiert nach Hickethier 2003: 25):

„Unter Massenkommunikation verstehen wir jene Form der Kommunikation, bei der Aussagen öffentlich (also ohne begrenzte und personell definierte Empfängerschaft), durch technische Verbreitungsmittel (Medien), indirekt (also bei räumlicher oder zeitlicher oder raumzeitlicher Distanz zwischen den Kommunikationspartnern) und einseitig (also ohne Rollenwechsel zwischen Aussagenden und Aufnehmenden) an ein disperses Publikum […] gegeben werden.“

Interpersonale Kommunikation wäre demnach eine Form der Kommunikation, bei der die Aussagen privat, mit oder ohne technische Verbreitungsmittel (gesprochene Sprache, Telefon), direkt (face-to-face) oder indirekt (Briefkommunikation, E-Mail, Telefon) und wechselseitig zwischen Aufnehmenden und Aussagenden an eine einzelne Person oder aber ein konkretes Publikum (Gruppe) gegeben werden.

Maletzke verpackte seine Definition der Massenkommunikation schließlich in ein grafisches Modell (Abb. 2), deren Hauptbestandeile die vier Faktoren Kommunikator (K), Aussage (A), Medium (M) und Rezipient (R) bilden.

Abb. 2:

Feldmodell der Massenkommunikation (Quelle: Maletzke 1963: 41, zitiert nach Burkart 2003: 184)

Maletzke selbst beschreibt das Schema bzw. die Beziehung der vier Faktoren zueinander folgendermaßen (1988, zitiert nach Rusch 2002c: 106f.):

„Der KommunikatorKommunikator (K) produziert die Aussage durch Stoffwahl und Gestaltung. Seine Arbeit wird mitbestimmt durch seine Persönlichkeit, seine allgemeinen sozialen Beziehungen (u.a. persönliche direkte Kommunikation), durch Einflüsse aus der Öffentlichkeit und durch die Tatsache, dass der Kommunikator meist in einem Produktionsteam arbeitet, das wiederum einer Institution eingefügt ist. Außerdem muss der Kommunikator die Erfordernisse seines Mediums und des ‚Programms‘ kennen und berücksichtigen, und schließlich formt er sich von seinem Publikum ein Bild, das seine Arbeit und damit die Aussage und damit endlich auch die Wirkungen wesentlich mitbestimmt. Die Aussage (A) wird durch das Medium (M) zum Rezipienten geleitet. Sie muss dabei den technischen und dramaturgischen Besonderheiten des jeweiligen Mediums angepasst werden. Der Rezipient (R) wählt aus dem Angebot bestimmte Aussagen aus und rezipiert sie. Der Akt des Auswählens, das Erleben der Aussage und die daraus resultierenden Wirkungen hängen ab von der Persönlichkeit des Rezipienten, von seinen sozialen Beziehungen, von den wahrnehmungs- und verhaltenspsychologischen Eigenarten des Mediums auf der Empfängerseite, von dem Bild, das sich der Rezipient von der Kommunikatorseite formt und von dem mehr oder weniger klaren Bewusstsein, Glied eines dispersen Publikums zu sein. Schließlich deutet der obere Pfeil im Feldschema an, dass trotz der Einseitigkeit der Massenkommunikation ein ‚Feedback‘ zustande kommt.“

Der Vorteil dieses Modells ist, dass darin auch äußere Einflüsse auf KommunikatorKommunikator und Rezipienten Niederschlag finden. Weder Kommunikator noch Rezipient stehen isoliert da, sondern sind eingebettet in soziale Netzwerke, die sie beeinflussen.

In der wissenschaftlichen Rezeption geht dieses Modell einigen nicht weit genug. Faulstich sieht hier den gesellschaftlichen Kontext (Institutionen, Politik, Wirtschaft u.a.) unberücksichtigt, womit er Maletzke jedoch Unrecht tut. In seinem Schema sind sehr wohl Institutionen angeführt; außerdem lassen sich unter dem Einflussfaktor „Zwang der Öffentlichkeit“ wohl auch Politik und Wirtschaft subsumieren. Gerechtfertigte Kritik übt Faulstich hingegen, wenn er sagt, dieses Modell unterstelle „ein offensichtlich idealisiertes Gleichgewicht“ zwischen KommunikatorKommunikator und Rezipienten (Faulstich 2002: 40) – ein überzeugender Einwand, den auch Kübler (2003: 121) mit Faulstich teilt: Das Modell lässt

„weitgehend ausser Acht, dass sich im Zeitalter professioneller, hochorganisierter, machtpolitisch verstrickter und vor allem ökonomisch – sprich: auf Profitmaximierung – ausgerichteter Medienkommunikation die Gewichte zum Nachteil des Publikums verlagert haben, dass es mithin erhebliche Beeinflussungsmöglichkeiten und wohl auch Abhängigkeiten gibt; sie werden durch das Modell egalisiert und damit eskamotiert.“

Hickethier (2003: 51) sieht außerdem ein Problem darin, dass Maletzke von einem journalistischen Verständnis der Massenmedien auszugehen scheint, „bei dem ein einzelner ‚KommunikatorKommunikator‘ sich einer technischen Apparatur bedient und mit ihr viele ‚Rezipienten‘ erreicht“. Das Modell versagt allerdings, wenn es darum geht, komplexere Medienangebote zu beschreiben (wie Filme), bei der mehrere Personen arbeitsteilig mitwirken (vgl. Hickethier 2003: 51). Auch Pressetexte sind komplexe Medienangebote, die nicht auf einen einzelnen Kommunikator zurückgehen, sondern von mehreren Kommunikatoren oder Autoren produziert werden (siehe dazu auch Abschnitt 3.1.1). Nicht nur dass viele Artikel von Presseagenturen hergestellt und von den Zeitungsredakteuren nur noch angepasst (gekürzt, erweitert usw.) werden, es werden auch unterschiedlichste Quellen zitiert (Politikeraussagen, Grafiken von Statistik-Büros usw.).

Massenkommunikation ist also öffentlich, indirekt und einseitig und richtet sich an ein disperses Publikum. Doch seit den 1960ern hat sich viel getan. Das World Wide Web und die zahlreichen Möglichkeiten der Interaktivitäten brachten große Veränderungen mit sich, die die Grenzen zwischen interpersonaler und Massenkommunikation verschwimmen ließen. Kübler (2003: 124) vertritt die Meinung, dass „angesichts der einhergehenden Transformationen […] nicht mehr so eindeutig und dipodisch zwischen personaler und Massenkommunikation“, zwischen Öffentlichem und Privatem getrennt werden kann. Kübler versucht die Neuerungen in Maletzkes Definition zu integrieren bzw. diese zu aktualisieren:

 

Unter medialer Kommunikation verstehen wir die (sich mehr und mehr verbreitende) Form der Kommunikation, bei der

Tab. 2:

Definition von medialer Kommunikation (Quelle: Kübler 2003: 124; eigene Darstellung)

Anhand der Online-Medien können diese neuen Entwicklungen am geeignetsten festgemacht werden. Das Internet ist einerseits öffentlich, d.h. von allen (mit Internetzugang) benützbar; andererseits gibt es Bereiche, die privat, etwa durch Passwörter geschützt, sind (Newsgroups, Chatrooms, Blogs usw.). Andere Merkmale der Massenkommunikation waren laut Maletzke die Einseitigkeit der Kommunikation sowie die raumzeitliche Distanz der Kommunikationspartner, die jedoch im World Wide Web zum Teil aufgebrochen scheinen.

„Elektronische Daten sind allerorts (nahezu) gleichzeitig mit ihrer Schöpfung und Eingabe verfügbar, so dass nicht nur der Zeitverzug innerhalb der Produktion, der durch diverse Phasen der Materialisierung und Gestaltung – etwa beim Druck – verursacht wird, wegfällt oder zumindest enorm reduziert wird: Letztlich fallen Produktion und Rezeption zusammen, was mit dem Begriff ‚Echtzeit‘ (Virilio 1996; Kloock 2000, 161ff.) gekennzeichnet wird; beim Internet können sie – wie im personalen Dialog – ständig wechseln. Vor allem das charakteristischste Kriterium der Massenkommunikation, die Einseitigkeit des Kommunikationstransfers, wird mehr und mehr aufgehoben – entsprechend erodiert die Dualität von personaler und Massenkommunikation.“ (Kübler 2003: 125f.)

Auch wenn der Begriff „Echtzeit“ sicherlich nicht zutrifft, da die eingegeben Daten erst übertragen werden müssen, ist die zeitliche Distanz beim Chat, beim Instant Messaging oder etwa bei der Internettelefonie tatsächlich kaum mehr wahrnehmbar.

Kübler mag in vielen Dingen Recht haben; sein Konzept der „allmähliche[n] Aufweichung der Massenkommunikation und [der] Mutationen zur medialen Kommunikation“ (2003: 123) scheint mir ein wenig zu drastisch. Massenkommunikation geht aufgrund der neuen Entwicklungen nicht verloren. Die „alten“ Medien (Fernsehen, Rundfunk, Presse) machen sich die „neuen“ zwar zunutze: Tageszeitungen gehen online, man kann diverse Nachrichtensendungen des ORF im Web ansehen, das Fernsehprogramm nachlesen, Rundfunksender haben Internetauftritte mit verschiedensten Angeboten und sind auch über Internet empfangbar (mit einer kleinen Zeitverschiebung). Dennoch: Die alten, traditionellen Medien mit ihren typischen „massenkommunikativen“ Merkmalen bleiben parallel dazu bestehen. Es ist ein Mehr an Angebot, aber das eine ersetzt das andere nicht.

Manche von Kübler angesprochene Neuerungen sind gar nicht so neu: Privatheit und Öffentlichkeit wurden auch in den „alten“ MassenmedienMassenmedien bereits gerne vermischt (Geburtstagswünsche, Informationen über Schul- oder Studienabschlüsse, Todesfälle usw. im Anzeigenteil der Tageszeitungen, Grüße an den oder die Liebste(n) über das Radio usw.). Auch die Einseitigkeit konnte in gewissen Fällen durchbrochen werden (Leserbriefe, Anrufer beim Rundfunk oder bei Live-Sendungen im Fernsehen). Die von Maletzke angeführten Merkmale der Massenmedien „öffentlich“, „einseitig“, „indirekt“ und „an ein disperses Publikum gewandt“ sind daher nicht ausschließlich zu sehen, sondern vorrangig.

Allerdings stimme ich Kübler in Bezug auf die Online-Medien zu. Das World Wide Web vermittelt neben öffentlicher bzw. Massenkommunikation auch private, interpersonale Kommunikation (E-Mail, Instant Messaging, Blogs, Chats, Plattformen wie Facebook usw. – oft durch Passwörter geschützt). Für dieses „Massen“-MediumMedium trifft es zu, dass die „Massen“-Kommunikation zum Teil aufgeweicht scheint. Es gestattet den Usern wie kein anderes Massenmedium auf Kommuniziertes zu antworten (viele Online-Tageszeitungen ermöglichen ihren Lesern etwa, auf Artikel direkt zu reagieren bzw. KommentareKommentar auf die Website zu posten). Privates und Öffentliches verschwimmen – man denke an zwar private, aber öffentlich zugängliche Blogs, die zum Teil eine große Öffentlichkeit erlangen (z.B. der Warblog eines Mannes aus Bagdad mit dem Pseudonym Salam Pax, der über das Kriegsgeschehen im Irak berichtete und 2003 das weltweite Interesse der Medien, so auch der New York Times, auf sich zog).

Nichtsdestoweniger müsste Küblers Definition, die ja die mediale Kommunikation im Allgemeinen in den Blick nimmt, in Bezug auf die Massenkommunikation abgeändert werden. Ausschließlich auf Massenkommunikation bezogen, könnte also eine Definition folgendermaßen lauten:

 

Unter Massenkommunikation verstehen wir die Form der Kommunikation, bei der

Tab. 3:

Gedankenexperiment zu einer zeitgemäßen Definition von MassenkommunikationKommunikator

Für die Zwecke der vorliegenden Arbeit, die ausschließlich die Printausgaben der Tageszeitungen in den Blick nimmt (die Internetauftritte bleiben unberücksichtigt), reicht Maletzkes Definition bzw. sein Modell der Massenkommunikation aus, um die Grundzüge der Kommunikationsvorgänge der Presse zu beschreiben.

 

Die Tageszeitungen als Printprodukte vermitteln eine Form der Kommunikation, bei der

Tab. 4:

Definition der Massenkommunikation in Tageszeitungen (Printversion)

2.3Kommunikatorforschung

Kommunikatorforschung beschäftigt sich „mit den Bedingungen und Voraussetzungen der Aussagenproduktion und -gestaltung“ (Beck 2006c: 136) „in den Institutionen der Massenkommunikation“ (Weischenberg 1999: 58). Dabei lag der Fokus lange Zeit auf der „Erforschung journalistischer Kommunikatoren“ (Beck 2006b: 136) und wurde später etwa auch auf „PR-Manger und ‚Öffentlichkeitsarbeiter‘“ ausgedehnt (Beck 2007: 165). Dennoch ist die deutschsprachige Kommunikatorforschung immer noch sehr stark auf den Journalismus ausgerichtet (vgl. dazu auch Pürer 2003: 108f.).

In den Anfängen dieser Forschungsdisziplin wurden Journalisten als individuell bzw. autonom handelnde Kommunikatoren gesehen. Mittlerweile ist man von dieser Sichtweise abgekommen. Die Kommunikate werden in der Regel arbeitsteilig hergestellt und man spricht daher auch von „kollektiven Akteuren“ (vgl. Beck 2007: 164). Zu den Kommunikatoren zählen alle am Prozess der Publikation Beteiligten. Das können Berufe bzw. Tätigkeitsbereiche sein wie

„Redakteure, Reporter, Fotoreporter, Autoren, Rechercheure und Archivare ebenso wie Pressesprecher, Kommunikationsmanager, aber auch Layouter, Grafiker, Cutter, Werbegestalter, Webdesigner und -programmierer, Ton- und Bildingenieure, Drucker, Kameraleute und Verleger, Herausgeber, Programmdirektoren, Intendanten oder andere dispositiv Tätige“ (Beck 2007: 164f.).

Der Sprachwisssenschaftler Bucher verwendet für das Phänomen der arbeitsteiligen Herstellung von Kommunikaten den Begriff „Mehrfachautorenschaft“:

„Medienbeiträge sind hinsichtlich ihrer Urheberschaft mehrschichtig. Sie sind einem Träger des Verbreitungsmediums verpflichtet – beispielsweise einem Verlagshaus oder einer öffentlichen Anstalt – gehen zurück auf verschiedene Quellen – geschriebene Texte, Dokumente, aufgezeichnete oder mitgeschriebene Äußerungen – werden mehrfach überarbeitet und in der Präsentation zusätzlich formatiert, beispielsweise in das Layout einer Tageszeitung eingepaßt oder von einer Rundfunksprecherin dem eigenen Sprechduktus angepaßt.“ (Bucher 1999a: 216)

Im publizistischen Bereich wären solche Mehrfachautoren etwa Journalist, Chefredakteur, Verlagshaus, Presseagentur, von der Material bezogen wird, Grafiker usw. Goffmann und Bell führen folgende Autoren an: den Prinzipal, den Urheber der Äußerung, den Berichterstatter, den Editor oder redigierenden Redakteur und den Präsentator (vgl. Bell 1991, Goffman 1981, zitiert nach Bucher 1999a: 216).

Allerdings unterscheidet sich der Begriff „kollektiver Kommunikator“ vom Begriff „Mehrfachautorenschaft“ dahingehend, dass mit Ersterem eindeutig nur die vermitteltende Instanz bezeichnet wird und nicht etwa die „Urheber der Aussage oder die Quellen“ (Beck 2007: 163), mit Zweiterem auch das Vermittelte, wenn beispielsweise Aussagen verschiedener Personen (mitunter in direkter Rede) wiedergegeben werden. Bucher (vgl. 1999a: 216f.) differenziert diesbezüglich zwischen der Kommunikationsebene der Darstellung (die mediale Handlung) und der Kommunikationsebene des Dargestellten (die Handlungen, die Gegenstand der Berichterstattung, der Kommentierung oder von Mediendialogen sind). Die Mehrfachautorenschaft rechtfertigt es, von einer „Intertextualität“ der Medienbeiträge zu sprechen (vgl. Bucher 1999a: 216).

Zurück zum Begriff „Kommunikator“: Ein Kommunikator im weitesten Sinne steht also für die „publizistische Institution der Aussagenentstehung“ (Weischenberg 1999: 60), er ist ein „Akteur (Handlungs- und Rollenträger), der Aussagen für die öffentliche Kommunikation bereitstellt“ (Beck 2006b: 135). Zu bemerken ist, dass die Rolle des Kommunikators stabil ist – im Gegensatz zur interpersonalen Kommunikation, wo Kommunikatoren und Rezipienten die Rollen wechseln.

Öffentliche Kommunikation wird erst durch Kommunikatoren möglich. Diese haben verschiedene Funktionen zu erfüllen: „Vermittlung von Information, aber auch Überzeugung oder Überredung“ usw. (Beck 2006b: 136). Kommunikatoren gestalten, be- und verarbeiten, selektieren, steuern und präsentieren (vgl. Beck 2007: 163f.). Ihnen „kommt damit nicht nur eine funktionale Schlüsselrolle im Kommunikationsprozess zu, sondern auch eine einflussreiche oder gar mächtige Position“. Kommunikatoren entscheiden „maßgeblich darüber […], welche Nachrichten, Themen und Meinungen Eingang in die öffentliche Kommunikation finden“ (Beck 2007: 165).

Welche Erkenntnisse – vor allem in Bezug auf den in dieser Arbeit interessierenden Journalismus – verdanken wir nun der Kommunikatorforschung? Im Laufe der Entwicklung dieses Forschungsfeldes wurden unterschiedliche theoretische Ansätze verfolgt. Löffelholz (2003) liefert diesbezüglich einen sehr guten Überblick. Auch wenn er anmerkt, dass aufgrund des „pluralistische[n], differenzierte[n] und dynamische[n] Forschungsgebiet[s] innerhalb der Kommunikationwissenschaft“ (2003: 31) eine Systematisierung nur sehr schwer möglich ist, versucht er in seinem Artikel dennoch eine solche. Dazu ordnet er „unterschiedliche theoretische Ansätze, die sich in ihrem Entstehungskontext, ihrer Herangehensweise, ihrem jeweiligen Untersuchungsfokus, der Komplexität ihrer Theoriearchitektur und ihrem Ertrag für die empirische Forschung ähneln“ (Löffelholz 2003: 31) sogenannten Theoriekonzepten zu, insgesamt acht an der Zahl. Sie werden in ihren Grundzügen auch von Beck (2007) im Zuge der Darstellung der Kommunikatorforschung in seiner Einführung in die KommunikationswissenschaftKommunikationswissenschaft. übernommen. Die acht Konzepte eignen sich insofern für die Beschreibung der Entwicklung der JournalismusforschungJournalismusforschung (s. a. Kommunikator), als dass ihre aufsteigende Nummerierung weitgehend der Chronologie ihrer Entstehung entspricht. Eine kurze Übersicht über Charakteristiken der einzelnen Konzepte ermöglicht folgende Tabelle (Tab. 5).1

Tab. 5:

Synopse theoretischer Konzepte der JournalismusforschungJournalismusforschung (s. a. Kommunikator) (Quelle: Löffelholz 2003: 33)

In den folgenden Abschnitten werden nun einige konkrete Ergebnisse (vor allem aus dem Bereich des analytischen und legitimistischen Empirismus sowie aus der Systemtheorie) vorgestellt, die für die Überprüfung der Hypothesen der vorliegenden Arbeit zentral sind (siehe Abschnitt 1.2). Es geht um die Art und Weise, welche Nachrichten von Journalisten ausgewählt werden. Dabei bildet die NachrichtenwerttheorieNachrichtenwert die Grundlage der ThemenfrequenzanalyseThemenfrequenzanalyse (siehe Abschnitt 11). Daneben werden in aller Kürze noch andere Theorien der NachrichtenselektionNachrichtenselektion bzw. -rezeption dargelegt, da sie Aufschluss darüber geben, welche Prozesse sowohl die Berichterstattung als auch die Nachrichtenrezeption beeinflussen.Nachrichtenwert

2.3.1Nachrichtenwerttheorie

Im Folgenden werden die zentralen für die vorliegende Arbeit relevanten Aussagen der Nachrichtenwerttheorie dargestellt. Für detaillierte Informationen verweise ich vor allem auf Maier u.a. (2010), auf die ich mich in diesem Abschnitt hauptsächlich beziehe.Nachrichtenfaktoren

Die Nachrichtenwerttheorie lässt sich bis in die 1920er Jahre zurückverfolgen, als sich Walter Lippmann damit auseinandersetzt, wie JournalistenJournalismusforschung (s. a. Kommunikator) Nachrichten auswählen und „welche Kriterien ein Ereignis erfüllen muss, um Redakteuren publikationswürdig zu erscheinen“ (Maier/Stengel/Marschall 2010b: 29). Einige von ihm angeführte Kriterien wie Negativität oder Betroffenheit der Leser sind den später entwickelten Nachrichtenfaktoren bereits ähnlich (vgl. Maier/Stengel/Marschall 2010b: 30). Der Terminus „Nachrichtenfaktor“ selbst fällt erst in den 1960er Jahren. Norwegische Friedensforscher beschäftigen sich mit dem Nachrichtenfluss und führen erstmals auch Inhaltsanalysen durch, um die Auswahlkriterien der Journalisten herauszufinden (vgl. Maier/Stengel/Marschall 2010b: 31). Wichtige Namen sind hier Østgaard, Galtung und Ruge. Østgaard zeigt neben äußeren (politischen und wirtschaftlichen) Faktoren, die auf den Nachrichtenfluss einwirken, auch dem Nachrichtenprozess inhärente Faktoren auf, die sowohl die Ereignisse, über die berichtet wird, betreffen als auch die Journalisten selbst. Solche inhärenten Faktoren sind Vereinfachung, Identifikation und Sensationalismus (vgl. Maier/Stengel/Marschall 2010b: 33f.). Galtung und Ruge zufolge spiegeln Nachrichtenfaktoren „allgemeine menschliche Wahrnehmungsprozesse“ wider (vgl. 1965, zitiert nach Maier/Stengel/Marschall 2010b: 34). Es handelt sich dabei um „Ereignismerkmale, die grundsätzlich das Interesse von Menschen auf sich ziehen, die einen Einfluss darauf haben, wie aufmerksam ein Thema in den Medien verfolgt wird“. Nachrichtenfaktoren sind also „allgemeine kognitionspsychologische Mechanismen“, die nicht nur die Themenauswahl beeinflussen, sondern auch die Rezeption der Berichterstattung (Maier 2010a: 26). Galtung und Ruge (vgl. 1965, zitiert nach Maier 2010a: 23) stellen drei Hypothesen bezüglich des Zusammenwirkens der einzelnen Nachrichtenfaktoren und ihrer Auswirkung auf die NachrichtenselektionNachrichtenselektion auf: 1. die Additivitätshypothese, der zufolge es wahrscheinlicher ist, dass ein Ereignis zur NachrichtNachricht wird, je mehr Nachrichtenfaktoren auf es zutreffen; (2) die Komplementaritätshypothese, die besagt, dass ein nicht vorhandenes Merkmal durch den hohen Wert eines anderen Faktors ausgeglichen werden kann, so dass das Ereignis dennoch zur Nachricht wird; (3) die Exklusionshypothese, nach der ein Ereignis mit zu wenigen oder keinen Nachrichtenfaktoren keinen Eingang in die Berichterstattung findet.

Kepplinger (2008, zitiert nach Maier 2010a: 18) beschreibt „Nachrichtenfaktoren“ später als „Merkmale von Nachrichten über Ereignisse und Themen, die dazu beitragen, dass diese publikationswürdig bzw. mit Nachrichtenwert versehen werden“. Aus dieser Definition geht hervor, dass zwischen Nachrichtenfaktor und Nachrichtenwert zu unterscheiden ist. Der Wert einer NachrichtNachricht steigt, je mehr Faktoren sie erfüllt. Anzahl und Ausprägung bzw. Intensität der Nachrichtenfaktoren bestimmen somit den Nachrichtenwert.

„Dieser Nachrichtenwert entscheidet darüber, ob ein Ereignis in der medialen Berichterstattung überhaupt verwertet wird und in welchem Umfang. Dieser Nachrichtenwert eines Ereignisses wird seit Schulz (1976) anhand verschiedener (formaler) Maßzahlen gemessen, in denen sich journalistische Beachtung ausdrückt: z.B. anhand der Platzierung eines Beitrags auf der Titelseite einer Zeitung […] oder anhand der Länge des Beitrags […].“ (Maier 2010a: 19)

Seit Schulz ist die Nachrichtenwertforschung vor allem in Deutschland beheimatet (vgl. Maier/Stengel/Marschall 2010b: 39f.). Die Anzahl der Nachrichtenfaktoren, die sich bei Galtung und Ruge noch auf zwölf belief (vgl. Maier/Stengel/Marschall 2010b: 36), wird von Schulz auf 19 erweitert. Er fasst sie aber zu sechs übergeordneten Faktorendimensionen zusammen (Konsonanz, Status, Dynamik, Valenz, Identifikation und Relevanz) (vgl. Schulz 1976 und 1982, zitiert nach Maier/Marschall 2010: 98f.). Auch andere Wissenschaftler, wie Staab, Donsbach, Maier u.a. oder Fretwurst, haben versucht übergeordnete Dimensionen zu erschließen (vgl. z.B. Staab 1990, Donsbach 1991, Maier u.a. 2009, Fretwurst 2008, zitiert nach Maier/Marschall 2010: 98–102), um Redundanz der inzwischen 22 Nachrichtenfaktoren und damit „Mehrfachmessung der journalistischen Auswahlkriterien“ zu vermeiden. Denn allem Anschein nach „berücksichtigen Journalisten bei der Auswahl wichtiger Ereignisse für die Berichterstattung vermutlich nicht so viele Ereignismerkmale, wie die aktuelle Forschung zur Nachrichtenwerttheorie suggeriert“ (Maier/Stengel 2010: 101). Die von den verschiedenen Forschern aufgezeigten Dimensionen sind nachstehend gegenübergestellt (Tab. 6).

Tab. 6:

Übergeordnete Faktorendimensionen der journalistischen Auswahl (Quelle: Maier/Stengel 2010: 103)

Maier und Stengel haben die vergleichbaren Faktorendimensionen zeilenweise nebeneinander angeordnet. Auch wenn sich die Termini zum Teil unterscheiden, sind die dahinterstehenden Merkmale großteils sinnverwandt (z.B. Status, Personalisierung, Prominenz, Personen). Hervorheben möchte ich den Faktor „Visualität“, der in der Tabelle bei Maier u.a. (2003–2009) vorkommt und ursprünglich von Ruhrmann u.a. eingeführt wurde, die sich mit dem Nachrichtenwert im deutschen Fernsehen auseinandergesetzt haben (vgl. Ruhrmann 2003, zitiert nach Maier/Stengel 2010: 108).

„Ausgehend von den Ergebnissen einer Journalistenbefragung zeigen sie zunächst, dass die Verfügbarkeit von qualitativ hochwertigem Film- und Bildmaterial einen der wichtigsten Einflussfaktoren für die Entscheidung über die Publikation eines Ereignisses als Nachrichtenmeldung darstellt (vgl. Diehlmann, 2003).“ (Maier/Stengel 2010: 108)

Dass Bilder in den letzten Jahrzehnten nicht nur im Fernsehen, sondern auch in der Presse immer wichtiger wurden und werden, wird auch in Abschnitt 3.2 erläutert. Rössler, Marquart, Kersten, Bomhoff (2009) sprechen diesbezüglich von Fotonachrichtenfaktoren und übertragen die Text-Nachrichtenfaktoren auf Bilder. Faktoren, die die Bildauswahl sowie den Grad der Aufmerksamkeit der RezipientInnen beeinflussen, sind Schaden, Gewalt und Aggression, Prominenz sowie Sex und Erotik (vgl. Rössler u.a. 2009, zitiert nach Maier/Stengel 2010: 110). Inwieweit das Vorhandensein von Bildern einen Nachrichtenfaktor in der Presse darstellt, ist noch nicht belegt.

Interessant ist, dass bisherigen Studien zufolge die Nachrichtenfaktoren medienübergreifend ähnlich sind. In Frage steht jedoch, ob die Ausprägung der Nachrichtenfaktoren, d.h. die den Faktoren zugesprochenen Werte, je nach MediumMedium und Redaktion unterschiedlich sein kann (vgl. Maier/Stengel/Marschall 2010c: 132f.). Ein weiteres Forschungsdesiderat besteht darin, ob die Nachrichtenwerttheorie auf verschiedene Kulturen gleichermaßen zutrifft, oder inwiefern die Nachrichtenfaktoren themenabhängig sind (vgl. Maier/Stengel 2010: 112f.). Die vorliegende Arbeit kann hier einen Beitrag leisten, da sie die Berichterstattung verschiedener Länder und verschiedener Redaktionen bezüglich eines spezifischen Themas vergleicht.

Kepplinger und Ehmig gehen in ihrer Zwei-Komponenten-Theorie davon aus,

„dass sowohl die Merkmale der Ereignisse (Nachrichtenfaktoren) als auch der Nachrichtenwert, den jeder einzelne Nachrichtenfaktor für ein spezifisches MediumMedium hat, die Nachrichtenauswahl bestimmen. Sie argumentieren, dass davon auszugehen sei, dass bestimmte Nachrichtenfaktoren z.B. für BoulevardzeitungenBoulevardzeitung wichtiger seien als für QualitätszeitungenQualitätszeitung. Daher versuchen sie den relativen Einfluss jedes einzelnen Nachrichtenfaktors zu errechnen und testen dann anhand einer zweiten StichprobeStichprobe (s. a. Künstliche Woche) die Qualität dieses Prognosemodells. Ihrer Meinung nach ist diese Prognosemöglichkeit eine der herausragenden Eigenschaften der Nachrichtenwerttheorie […]. Allerdings variieren diese Maßzahlen eben von Medium zu Medium und von Redaktion zu Redaktion, und auch die Forschung hierzu steht noch am Anfang […].“ (vgl. Kepplinger 2008 und Kepplinger/Ehmig 2006, zitiert nach Maier 2010a: 19)

Vorab kann festgestellt werden, dass die Nachrichtenwerttheorie die Hypothesen, von der die vorliegende Arbeit ausgeht (siehe Abschnitt 1.2), zu bestätigen scheint, wenn es um die tendenziell negative Darstellung der Kirche geht. Denn bisherige Studien zeigen:

„Das Weltbild in unseren Medien ist durch negative Ereignisse geprägt, die in relativer Nähe zu uns stattfinden, in denen vorrangig prominente Personen und aggressives Verhalten vorkommen, und die sich gut in (bewegten) Bildern darstellen lassen. Negativität, Personalisierung, Visualisierung, Boulevardisierung: all das sind oft beklagte mediale Trends unserer Zeit […].“ (vgl. Maier/Stengel/Marschall 2010c: 133)

Vorherrschende Methode, um festzustellen, welche Ereignisse welche Nachrichtenfaktoren aufweisen, ist die InhaltsanalyseInhaltsanalyse bereits publizierter Medienbeiträge. Dazu werden Nachrichtenfaktoren meist auf Artikel- oder Beitragsebene codiert (vgl. Maier 2010b: 53