Die Kelewan-Saga 2 - Raymond Feist - E-Book

Die Kelewan-Saga 2 E-Book

Raymond Feist

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Beschreibung

Während der Spaltkrieg mit Midkemia sich seinem Ende zu nähern scheint, tobt zwischen den kelewanischen Adelshäusern Acoma und Minwanabi ein erbitterter Kampf. Mara von Acoma hat ihre Durchsetzungsfähigkeit und ihren Kampfgeist bewiesen, doch sie wird von Schwarzer Magie und Attentätern bedroht. Aber ihr Erzfeind, der rachedürstende Lord Desio von den Minwanabi, rechnet nicht mit einem vermeintlichen midkemischen Sklaven, der zu Mara in einer ganz besonderen Beziehung steht und sich beim Kampf gegen Lord Desio als Maras größter Trumpf erweisen könnte …

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Raymond Feist und Janny Wurts

Die Kelewan-Saga II

Dienerin des Imperiums

Roman

Aus dem Englischen

Das Buch

Während der Spaltkrieg mit Midkemia sich seinem Ende zu nähern scheint, tobt zwischen den kelewanischen Adelshäusern Acoma und Minwanabi ein erbitterter Kampf. Mara von Acoma hat ihre Durchsetzungsfähigkeit und ihren Kampfgeist bewiesen, doch sie wird von Schwarzer Magie und Attentätern bedroht. Aber ihr Erzfeind, der rachedürstende Lord Desio von den Minwanabi, rechnet nicht mit einem vermeintlichen midkemischen Sklaven, der zu Mara in einer ganz besonderen Beziehung steht und sich beim Kampf gegen Lord Desio als Maras größter Trumpf erweisen könnte …

Der Autor

Raymond Feist wurde 1945 in Los Angeles geboren und lebt in San Diego im Süden Kaliforniens. Viele Jahre lang hat er Rollenspiele und Computerspiele entwickelt. Aus dieser Tätigkeit entstand auch die fantastische Welt Midkemia seiner Romane. Die in den 80er Jahren begonnene Saga ist bereits ein Klassiker des Fantasy-Genres, und Feist gilt als einer der wichtigsten Vertreter der Fantasy in der Tradition Tolkiens.

Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel »Servant of the Empire« bei Doubleday, New York.

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1. Auflage Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe Juni 2016 bei Blanvalet, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München Dieser Roman erschien bisher in zweigeteilter Ausgabe unter den Titeln »Der Sklave von Midkemia« und »Zeit des Aufbruchs« Deutsche Erstveröffentlichung © 1998 bei Verlagsgruppe Random House GmbH, München Copyright © der Originalausgabe 1990 by Raymond Elias Feist

In Erinnerung an

Inhaltsverzeichnis

Buch und AutorCopyrightWidmungEins - Sklave Zwei - Pläne Drei - Veränderungen Vier - Schwüre Fünf - Verwicklungen Sechs - Zerstreuungen Sieben - Zielscheibe Acht - Aussöhnung Neun - Hinterhalt Zehn - Meisterplan Elf - Wüste Zwölf - Fallstricke Dreizehn - Neuorientierung Vierzehn - Feier Fünfzehn - Chaos Sechzehn - Neuordnung Siebzehn - Der Graue Rat Achtzehn - Blutige Schwerter Neunzehn - Der Kriegsherr Zwanzig - Zeit der Unruhe Einundzwanzig - Hüter des Siegels Zweiundzwanzig - Aufruhr Dreiundzwanzig - Ausgang Vierundzwanzig - Durchbruch Fünfundzwanzig - Konfrontation Sechsundzwanzig - Lösung Siebenundzwanzig - Neuanfang

Eins

Sklave

Der Wind wurde schwächer.

Staub wirbelte in kleinen Wölkchen auf und legte sich in einer feinen Schicht auf die Palisade, die den Sklavenmarkt umgab. Trotz der unsteten Windböen war die Luft heiß und stickig und behielt ihren eigentümlichen Gestank – eine Mischung aus dem Geruch eingepferchter und ungewaschener Menschen, in den Fluss geleiteter Abwässer und der Abfälle, die gleich hinter dem Markt auf einer Müllkippe verrotteten.

Mara saß abgeschirmt hinter den Vorhängen ihrer in hellen Farben lackierten Sänfte; sie wedelte sich mit einem duftenden Fächer Luft zu. Falls der Geruch ihr zu schaffen machte, zeigte sie es zumindest nicht. Die Herrscherin der Acoma gab ihrer Eskorte das Zeichen anzuhalten. Die Soldaten in den grünlackierten Rüstungen blieben stehen, und schwitzende Träger setzten die Sänfte ab.

Ein Offizier mit dem Federbusch eines Truppenführers reichte Mara die Hand und half ihr aus der Sänfte. Ihre Wangen waren leicht gerötet, doch Lujan wusste nicht zu sagen, ob von der Hitze oder noch immer von dem Streit, der ihrem Aufbruch vom Herrenhaus vorausgegangen war. Jican, der Verwalter ihrer Güter, hatte den größten Teil des Morgens versucht, sie mit heftigen Einwänden vom Erwerb seiner Meinung nach völlig wertloser Sklaven abzubringen. Sie hatte die Diskussion schließlich beendet, indem sie ihm befohlen hatte zu schweigen.

Mara wandte sich an ihren Truppenführer. »Lujan, Ihr begleitet mich. Die anderen sollen hier warten.« Die Schärfe in ihrer Stimme ließ Lujan auf die Scherze verzichten, mit denen er gelegentlich die Grenzen des zulässigen Protokolls strapazierte. Seine wichtigste Aufgabe war jedoch ohnehin, sie zu schützen, und da er den öffentlichen Sklavenmarkt in dieser Hinsicht für einen wenig geeigneten Ort hielt, wandte er seine Gedanken rasch den Fragen der Sicherheit zu. Während er nach Anzeichen suchte, die auf eine Störung oder irgendwelchen Ärger hinwiesen, kam er zu dem Schluss, dass Mara die Meinungsverschiedenheit mit Jican vergessen würde, solange sie sich mit ihrem neuesten Plan beschäftigte. Und daher würde es ihr nicht gefallen, Einwände zu hören, mit denen sie bereits innerlich abgeschlossen hatte.

Lujan wusste, was seine Herrin auch tat, es diente alles dem Ausbau ihrer Position im Spiel des Rates, dem Herzstück tsuranischer Politik. Das Überleben und die Stärkung des Hauses der Acoma war ihr unablässiges Ziel, das sie nie aus den Augen verlor. Feinde wie Freunde hatten lernen müssen, dass sich das einst unerfahrene junge Mädchen zu einer äußerst talentierten Teilnehmerin am tödlichen Spiel entwickelt hatte. Mara war der Falle entwischt, die Jingu von den Minwanabi, der alte Feind ihres Vaters, ihr gestellt hatte. Statt dessen hatte sie erfolgreich ihre eigenen Pläne verfolgt und Jingu gezwungen, sich in Schande das Leben zu nehmen.

Doch wenn auch der Triumph Maras gegenwärtig das Gesprächsthema bei den Edlen im Kaiserreich bildete, hatte sie selbst sich kaum die Zeit gegönnt, die Früchte ihres Aufstiegs zu genießen. Der Tod ihres Vaters und ihres Bruders hatte das Haus der Acoma bis an den Rand völliger Vernichtung getrieben. Jetzt machte Mara sich daran, das Überleben der Acoma abzusichern, umso künftigen Gefahren besser begegnen zu können. Was geschehen war, lag hinter ihr, und dabei zu verweilen barg das Risiko, unvorbereitet überrascht zu werden.

Zwar war der Mann, der den Tod ihres Vaters und ihres Bruders befohlen hatte, schließlich selbst gestorben, doch ihre Aufmerksamkeit richtete sich weiter auf die Blutfehde zwischen dem Haus der Acoma und dem der Minwanabi. Mara erinnerte sich nur’zu gut an den unverhüllten Hass im Gesicht Desios von den Minwanabi, als sie und die anderen Gäste bei ihrer Abreise an der Gruppe vorbeikamen, die sich zum rituellen Selbstmord seines Vaters versammelt hatte. Desio mochte nicht so schlau sein wie sein Vater Jingu, doch er würde nicht weniger gefährlich sein; Trauer und Hass fügten seinen Motiven jetzt noch eine persönliche Note hinzu: Mara hatte Jingu auf dem Höhepunkt seiner Macht und noch dazu in seinem eigenen Haus vernichtet, während er als Gastgeber die Geburtstagsfeier für den Kriegsherrn ausrichtete. Danach hatte sie die Feierlichkeiten auf ihr eigenes Gut verlegt und den Sieg in der Gegenwart der einflussreichsten und mächtigsten Edlen des Kaiserreiches ausgekostet.

Doch kaum hatten sich der Kriegsherr und seine Gäste verabschiedet, galt Maras gesamte Aufmerksamkeit neuen Plänen zur Stärkung ihres Hauses. Sie hatte sich mit Jican zurückgezogen, um den Bedarf an neuen Sklaven zu besprechen, die das Gebiet nördlich vom Herrenhaus von Büschen befreien sollten; spätestens bis zur Zeit des Kalbens im Frühjahr mussten neue Weiden, Pferche und Scheunen bereitstehen, damit die jungen Needras und die Muttertiere genügend Gras zur Verfügung hatten.

Als mittlerweile zweithöchster Offizier der Acoma hatte Lujan gelernt, dass die Macht dieses Hauses nicht nur auf der Loyalität und dem Mut seiner Soldaten beruhte, oder auf den weitreichenden Handelskonzessionen und Investitionen – es waren die gewöhnlichen und trägen sechsbeinigen Needras, auf denen der ganze Reichtum der Acoma basierte. Wenn Mara also die Macht der Acoma steigern wollte, bestand ihre oberste Pflicht darin, die Zuchtherde zu vergrößern.

Lujan richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf seine Herrin, als Mara ihren Umhang etwas anhob, damit er nicht durch den Staub schleifte. Er war blassgrün und schlicht bis auf die Umrisse der Shatra-Vögel – das Wappen der Acoma –, die sorgfältig am Saum und an den Ärmeln aufgestickt waren. Die Lady trug Überschuhe mit hohen Sohlen um ihre Sandalen, damit diese nicht vom Straßenschmutz verunreinigt wurden. Ihre Schritte klangen hohl und dröhnend, als sie die hölzerne Treppe zu den Galerien entlang der Palisade emporstieg. Eine verblassende Markise aus Segeltuch überdachte die Konstruktion und bewahrte die tsuranischen Lords und ihre Makler vor der unbarmherzigen Sonne. Hier konnten sie gewöhnlich in angemessener Entfernung zum Staub und Schmutz der Straße und erfrischt von den leichten oder etwas kräftigeren Brisen, die vom Fluss herüberwehten, in aller Ruhe die zum Verkauf stehenden Sklaven begutachten.

Für Lujan war die Galerie mit ihren tiefen Schatten und den in Reihen aufgestellten Holzbänken weniger ein Rückzugsort als vielmehr ein Platz undurchdringlicher Dunkelheit. Er berührte seine Herrin leicht an der Schulter, als sie den ersten Absatz erreichte. Sie wandte sich um und begegnete Lujans besorgtem Blick.

»Lady«, sagte Lujan taktvoll, »wenn ein Feind hier auf Euch lauert, sollte er besser zuerst die Bekanntschaft mit meinem Schwert als mit Eurem hübschen Gesicht machen.«

Mara zog die Mundwinkel in der Andeutung eines Lächelns leicht empor. »Schmeichler«, meinte sie mit gespieltem Vorwurf, »Ihr habt natürlich recht.« Der förmliche Ton zwischen ihnen wurde durch ihren Humor jetzt ein wenig abgemildert. »Auch wenn Jicans Protest auf der Überzeugung beruhte, dass mir von den barbarischen Sklaven und nicht einem anderen Herrscher Gefahr drohen würde.«

Sie bezog sich auf die preiswerten Midkemier, Kriegsgefangene aus dem Spaltkrieg. Mara fehlte die nötige Finanzkraft, um gewöhnliche Sklaven für das Herrichten der Weiden kaufen zu können. So sah sie sich zum Erwerb von Barbaren gezwungen, die in dem Ruf standen, eigensinnig und rebellisch zu sein und es an jeglicher Demut gegenüber ihrem Herrn oder ihrer Herrin fehlen zu lassen. Lujan warf einen Blick auf seine Lady, die ihm kaum bis zur Schulter reichte, doch mit ihrer Persönlichkeit jeden Mann – ob Lord oder Sklave oder Diener – vernichten konnte, der ihren unbezwingbaren Willen herausforderte. Er kannte die Entschlossenheit in ihren dunklen Augen. »Ich gehe jede Wette ein, dass Ihr mit den Barbaren leichtes Spiel habt.«

»Wenn nicht, bekommen sie alle die Peitsche zu spüren«, sagte Mara entschieden. »Denn sonst würden uns nicht nur die Weiden fehlen, die wir im Frühjahr dringend brauchen werden, sondern auch das Geld für die Sklaven wäre verloren. Ich hätte Desio die Arbeit abgenommen.« Nur selten kam es vor, dass sie eigene Zweifel zugab, und er enthielt sich jeglichen Kommentars.

Lujan ging seiner Herrin auf die Galerie voran, während er schweigend seine Waffen kontrollierte. Die Minwanabi mochten noch ihre Wunden lecken, aber Mara hatte jetzt zusätzliche Feinde – Herrscher, die ihren plötzlichen Aufstieg neidisch verfolgten, Männer, die wussten, dass der Name der Acoma auf den Schultern einer zarten Frau und ihres unmündigen Kindes ruhte. Sie ist noch nicht einmal einundzwanzig, flüsterten deren Berater. Was Jingu von den Minwanabi anging, war Mara sicherlich schlau gewesen, aber sie hatte auch viel Glück gehabt; im Laufe der Zeit würden ihre Jugend und Unerfahrenheit sie zu Fehlern verleiten. Dann würden sich die rivalisierenden Häuser wie eine Jaguna-Meute erheben, bereit, den Reichtum und die Macht ihres Hauses in Stücke zu reißen und den Natami der Acoma – den Stein mit dem eingemeißelten Familienwappen, der die Seele und Ehre des Hauses enthielt – mit der Inschrift nach unten im Boden zu begraben und für immer dem Sonnenlicht zu entziehen.

Mara folgte Lujan durch den ersten Stock, das Gewand säuberlich über die Fußknöchel gehoben. Sie kamen an einem Eingang zu weiteren Galerien vorbei, doch die waren einem ungeschriebenen, aber strengen Gesetz zufolge den Händlern und Maklern vorbehalten. Sie erklommen das nächste Stockwerk, das nur von den Edlen benutzt wurde.

Da Midkemier zum Verkauf anstanden, war kaum jemand anwesend. Mara sah nur ein paar gelangweilt wirkende Händler, die mehr an dem allgemeinen Klatsch der Stadt interessiert zu sein schienen als daran, wirklich etwas zu erwerben. Der obere Rang der Galerien würde wahrscheinlich leer bleiben. Die meisten tsuranischen Edlen waren weit mehr mit dem Krieg jenseits des Spalts oder dem Versuch beschäftigt, die im Rat immer noch wachsende Macht des Kriegsherrn zu beschränken, als mit dem Erwerb schwer zu beherrschender Sklaven. Die ersten gefangenen Midkemier waren als Kuriositäten zu hohen Preisen verkauft worden. Doch der Reiz des Neuen hatte sich verloren, je mehr von ihnen auftauchten. Inzwischen brachten männliche Midkemier den niedrigsten Preis überhaupt; nur die Frauen von außerordentlicher Schönheit mit dem seltenen rotgoldenen Haar konnten noch immer eintausend Centuries bringen. Doch da die Tsuranis meistens Krieger gefangennahmen, konnten nur selten Frauen aus der barbarischen Welt angeboten werden.

Eine Brise vom Fluss zupfte am Federbusch von Lujans Helm, wehte ihn gegen die gefiederten Enden von Maras parfümiertem Fächer und brachte ihre Perlenohrringe zum Klingen. Die Stimmen der Ruderer aus den Barken wehten über die Palisaden, als die Männer den Gagajin hinauf und hinunter stakten. Deutlicher zu hören waren die Rufe der Sklavenhändler aus den staubigen Verschlägen im Innern der hohen Plankenmauern und das gelegentliche Klatschen einer Peitsche aus Needra-Fell, wenn sie ihre Waren für interessierte Kunden auf den Galerien präsentierten. Etwa zwei Dutzend Midkemier befanden sich in dem einen Verschlag. Es schienen keine Käufer interessiert zu sein, denn nur ein einziger Aufseher bewachte sie mit gleichgültiger Miene. Bei ihm standen ein Makler, der anscheinend Kleidung an sie zu verteilen hatte, und ein Buchhalter mit einer ziemlich angeschlagenen Tafel. Mara betrachtete die Sklaven neugierig. Sie waren alle sehr groß, überragten selbst den größten Tsurani noch um einen Kopf. Besonders einer ragte über dem pummeligen Makler auf, und seine rotgoldenen Haare blitzten in der Mittagssonne Kelewans, als er versuchte, sich in der unvertrauten Sprache verständlich zu machen. Mara hatte keine Gelegenheit, den Barbaren weiter zu betrachten, denn plötzlich blieb Lujan vor ihr stehen und griff warnend nach ihrem Handgelenk.

»Hier ist jemand«, flüsterte er ihr zu. Dann bückte er sich und tat so, als wäre ein Stein in seine Sandalen gerutscht. Unauffällig fuhr seine Hand zum Schwert, und über seine muskulöse Schulter hinweg erhaschte Mara einen Blick auf eine Gestalt, die im hinteren Teil der Galerie im Schatten saß. Es konnte durchaus ein Spion sein, oder schlimmer noch: ein Attentäter. Da Midkemier zum Verkauf anstanden, war das obere Stockwerk nahezu verlassen – eine Chance, die ein kühner Lord sich womöglich nicht entgehen lassen würde. Doch wenn ein feindliches Haus von Maras Entscheidung erfahren hatte, persönlich den Sklavenmarkt zu besuchen, sprach dies für einen Spion in den obersten Reihen der Acoma. Die Lady hielt inne. Sollte sie hier und jetzt getötet werden, würde ihr gerade erst ein Jahr alter Sohn Ayaki das letzte Hindernis für die Vernichtung der Acoma sein – eine Vorstellung, bei der es Mara den Magen umdrehte.

Dann bewegte sich die Gestalt im Schatten, und helles Sonnenlicht fiel durch einen Riss in der Markise und enthüllte ein gutaussehendes und junges Gesicht, das vor freudiger Überraschung lächelte.

Mara legte ihre Hand leicht auf Lujans Handgelenk, und die Beruhigung lockerte seinen Griff etwas. »Es ist in Ordnung«, sagte sie weich. »Ich kenne diesen Mann.«

Lujan richtete sich mit ausdruckslosem Gesicht auf, als der junge Mann sich von der Bank erhob. Der Mann bewegte sich mit der geschmeidigen Anmut eines Schwertkämpfers. Seine Kleidung war von beachtlicher Qualität, angefangen von den Sandalen aus blaugefärbtem Leder bis zu der bestickten Seidentunika. Er trug seine Haare wie ein Krieger, und sein einziger Schmuck war ein Anhänger aus schwarzem Obsidian um seinen Hals.

»Hokanu«, sagte Mara. Bei diesem Namen entspannte sich ihr Leibwächter. Lujan war zwar während des Blutbades im Herrenhaus der Minwanabi nicht anwesend gewesen, doch von den Gesprächen in den Unterkünften der Krieger wusste er, dass Hokanu und sein Vater, Lord Kamatsu von den Shinzawai, beinahe die Einzigen gewesen waren, die die Acoma unterstützt hatten – zu einer Zeit, da die meisten Lords Maras Tod als eine beschlossene Sache akzeptiert hatten.

Lujan stellte sich ehrerbietig zur Seite und betrachtete unter dem Rand seines Helms heraus den sich nähernden Edlen. Seit dem Tod ihres Mannes hatte Mara viele Heiratsangebote erhalten, doch keiner der Bewerber war so gutaussehend und in so hervorragender Position gewesen wie der zweite Sohn des Lords der Shinzawai. Lujan bemühte sich um korrektes Verhalten bis ins kleinste Detail, doch wie alle anderen im Haushalt der Acoma hatte er ein persönliches Interesse an Hokanu. Wie auch Mara, wenn er die leichte Rötung ihrer Wangen richtig deutete.

Nach der oberflächlichen Schmeichelei der letzten Bewerber tat Hokanus ernsthaftes Bemühen um Maras Zusage erfrischend gut. »Lady, welch außerordentliche Überraschung! Ich hatte nicht erwartet, eine so schöne Blume in einer derart unfreundlichen Umgebung zu finden.« Er hielt inne, verbeugte sich ordnungsgemäß und lächelte. »Wenn wir auch jüngst gesehen haben, welche Dornen diese Blüten tragen. Euer Sieg über Jingu von den Minwanabi sorgt immer noch für Gesprächsstoff in Silmani«, sagte er, indem er auf die Stadt anspielte, die den Gütern seines Vaters am nächsten lag.

Mara verneigte sich ebenfalls. »Ich habe unter dem Gefolge, das auf der Straße wartet, die Farben der Shinzawai nicht ausgemacht, sonst hätte ich einen Diener mit Jomach-Eistee und kaltem Kräutertee mitgenommen. Doch möglicherweise wollt Ihr Euer Interesse an diesen Sklaven nicht bekanntwerden lassen?« Sie ließ die Frage einen Augenblick in der Luft hängen, dann fügte sie heiter hinzu: »Geht es Eurem Vater gut?«

Hokanu nickte höflich und reichte Mara die Hand, als sie auf einer Bank Platz nehmen wollte. Sein Griff war fest, doch angenehm; nicht so wie die grobe Behandlung, die sie zwei Jahre zuvor durch ihren Mann kennengelernt hatte. Ihre Blicke trafen sich, und Mara sah eine gelassene Intelligenz in seinen Augen, überlagert von Heiterkeit angesichts der scheinbaren Unschuld ihrer Frage.

»Ihr seid sehr scharfsinnig.« Er lachte, anscheinend plötzlich erfreut. »Ja, ich bin an Midkemiern interessiert, und auf Wunsch meines Vaters, dem es übrigens außerordentlich gut geht, versuche ich diese Tatsache nicht allzu laut kundzutun.« Sein Gesichtsausdruck wurde ernster. »Ich möchte offen mit Euch sein, Mara, so, wie es mein Vater mit Lord Sezu war – unsere Väter haben in ihrer Jugend zusammen gedient, und sie vertrauten einander.«

Obwohl Mara von dem Charme des jungen Mannes sehr eingenommen war, bekämpfte sie den Wunsch, ihm gegenüber offen zu sein, um nicht alles zu enthüllen. Sie traute Hokanu; doch der Name ihrer Familie war erst kürzlich vor der Vergessenheit bewahrt worden, und sie konnte es nicht wagen, alles preiszugeben. Möglicherweise hatten die Bediensteten der Shinzawai lockere Zungen, und außerdem feierten junge, von ihrer Heimat weit entfernte Männer manchmal ihre erste Freiheit und die neue Verantwortung mit einem ordentlichen Schluck. Hokanu schien so vorsichtig zu sein wie sein Vater, doch sie kannte ihn nicht gut genug, um ganz sicher sein zu können.

»Ich fürchte, das Interesse der Acoma an den Barbaren ist rein finanzieller Art.« Mara fächelte sich mit leichtem Bedauern Luft zu. »Der Schwarm der Cho-ja, den wir vor drei Jahren für uns gewannen, benötigt Weideland, das wir eigentlich für die Needras brauchen. Wenn die Sklaven den Wald jedoch in der feuchten Jahreszeit abholzen, werden sie krank, sagt mein Hadonra. Wir müssen also Verluste in Kauf nehmen, damit unsere Herden zur Zeit des Kalbens genug Gras zum Fressen haben.« Sie blickte Hokanu reuevoll an. »Doch ich hatte nicht erwartet, hier einen Mitbewerber zu treffen. Ich freue mich, Euch zu sehen, doch es ärgert mich, dass ich gegen einen so lieben Freund bieten muss.«

Hokanu betrachtete einen Augenblick seine Hände, und ein unbeschwertes Lächeln trat auf sein Gesicht. »Wenn ich Mylady aus ihrem Dilemma erlöse, hat sie bei den Shinzawai einen Gefallen wiedergutzumachen. Sagen wir … durch die Einladung eines armen zweiten Sohnes zum Abendessen, vielleicht schon bald?«

Mara lachte plötzlich. »Ihr seid ein verdammt guter Schmeichler, Hokanu. Also gut; Ihr wisst, dass Ihr mich nicht bestechen müsst, um die Erlaubnis für einen Besuch auf meinen Gütern zu erhalten. Eure Gesellschaft ist mir ... immer sehr willkommen.«

In gespielter Trauer warf Hokanu einen Blick auf Lujan. »Sie sagt das sehr hübsch für jemanden, der mich das letzte Mal, als ich in Sulan-Qu war, zurückgewiesen hat.«

»Das ist nicht fair«, wandte Mara ein; dann begriff sie, wie schnell sie zu ihrer Rechtfertigung angesetzt hatte, und errötete. Etwas förmlicher fügte sie hinzu: »Eure Bitte kam in einem schrecklich unpassenden Augenblick, Hokanu.« Ihr Gesicht verdunkelte sich, als sie an den Spion der Minwanabi dachte – und an den hübschen, hartnäckigen Bruli, der in das Gewirr aus Intrigen und Ambitionen geraten war, die das Leben im Kaiserreich ständig begleiteten, und der einen hohen Preis dafür hatte zahlen müssen.

Hokanu sah, wie sich ein dunkler Schatten über ihr Gesicht legte, und ihm wurde warm ums Herz, als er die junge Frau ansah, die als Kind so ernst gewesen war und ihre Familie gegen alle Wahrscheinlichkeit mit Mut und Verstand vor dem Untergang bewahrt hatte. »Ich überlasse Euch die Midkemier«, sagte er mit fester Stimme, »für jeden Preis, den Ihr mit dem Makler aushandeln könnt.«

»Aber ich möchte Euch keine Unannehmlichkeiten bereiten«, wandte Mara ein. Der Fächer in ihren Fingern zitterte. Sie war angespannt, doch Hokanu durfte es nicht bemerken, und um ihn abzulenken, wedelte sie eifrig mit den Federn, als würde die Hitze ihr zusetzen. »Die Shinzawai haben den Acoma schon viel Gutes getan, und der Ehre wegen müssen wir uns dessen endlich wert erweisen. Lasst mich für Euch vom Kauf zurücktreten.«

Hokanu betrachtete die Lady, die zierlich und klein und viel attraktiver war, als sie selbst wusste. Sie konnte bezaubernd lächeln, auch wenn ihr mit Thyza-Puder geschminktes Gesicht gegenwärtig angespannt war. Plötzlich begriff der junge Mann, dass ihre Sorge weit mehr als nur den Formen der Ehre galt.

Der Gedanke brachte ihn zum Nachdenken. Sie war kurz davor gewesen, in den Dienst der Göttin Lashima zu treten, als sie geholt wurde, um ihre Rolle als Herrscherin einzunehmen. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte sie bis zu ihrer Hochzeitsnacht wenig oder nichts von Männern gewusst. Und Buntokapi von den Anasati, selbst zu seinen besten Zeiten ein grober Angeber mit schlechten Manieren, war der Sohn eines Feindes der Acoma gewesen, bevor er ihr Gemahl und damit Herrscher geworden war. Es lag an Buntokapis Grobheit, begriff Hokanu mit plötzlicher Sicherheit, weshalb diese Herrscherin und Mutter sich so unsicher wie ein deutlich jüngeres Mädchen benahm. Ein Gefühl der Bewunderung stieg in ihm auf; dieses so offensichtlich zarte Mädchen hatte sich im Verhältnis zu ihrer Größe und Erfahrung als außerordentlich tapfer erwiesen. Niemand außerhalb ihres Haushalts würde jemals ermessen können, was sie in den groben Armen Buntokapis hatte erdulden müssen. Sicher würde er viel erfahren können, wenn er jemanden aus dem näheren Kreis um Mara überreden könnte, einen Becher Wein in einer Wirtsstube zu trinken. Doch ein Blick auf Lujans wachsame Haltung überzeugte den Sohn Lord Kamatsus, dass der Truppenführer eine schlechte Wahl wäre. Der Krieger betrachtete Hokanu abschätzend, da er dessen Interesse wahrgenommen hatte, und wo es um seine Herrin ging, war seine Loyalität absolut. Hokanu wusste, dass Mara ein scharfes Urteilsvermögen besaß – sie hatte es dadurch bewiesen, dass sie so lange am Leben geblieben war.

Hokanu wollte ihre Stimmung aufheitern, sie jedoch nicht kränken. »Lady, ich sprach einzig aus der ehrlichen Enttäuschung darüber, dass ich Euch bei meinem letzten Besuch nicht habe sehen können.« Ein entwaffnendes Lächeln verdrängte jeden Anflug von Zurückhaltung. »Die Acoma schulden den Shinzawai keinen einzigen Gefallen. Wir denken nur praktisch, wie wir es immer tun. Die meisten midkemischen Sklaven gehen zum Sklavenmarkt nach Jamar und in die Stadt der Ebene – und das Ziel meiner Reise ist Jamar. Macht es Sinn, Euch auf die nächste Lieferung von Gefangenen aus dem Süden warten zu lassen, während ich vierzig Männer durch die Hitze treibe, sie dort für die Zeit meiner Geschäfte unterbringe und dann wieder nach Norden führe? Ich halte das nicht für sehr geschickt. Eure Needra-Weiden sind von größerer Wichtigkeit, denke ich. Wenn ich mich als Mitbieter zurückziehe, ist es also nichts anderes als eine kleine Höflichkeit.«

Mit kaum verhohlener Erleichterung stockte Mara mitten in der Bewegung und ließ den Fächer sinken. »Eine kleine Höflichkeit? Eure Güte sucht ihresgleichen, Hokanu. Ich würde mich freuen, wenn Ihr meine Einladung annehmt und nach Beendigung Eurer geschäftlichen Angelegenheiten in Jamar den Rückweg zu den Gütern Eures Vaters unterbrecht, um bei den Acoma Rast zu machen.«

»Dann hätten wir die Sache mit den Sklaven also geregelt.« Hokanu nahm ihre Hand. »Ich werde Eure Gastfreundschaft mit dem größten Vergnügen annehmen.« Er verbeugte sich und besiegelte damit ihre Abmachung. Als er sich wieder aufrichtete, blickte er geradewegs in Maras braune Augen, die ihn intensiv anstarrten. Die Lady der Acoma hatte ihn schon immer angezogen, vom ersten Augenblick an, da er sie gesehen hatte. Wenn er aus Jamar zurückkehrte, würde er sie vielleicht besser kennenlernen, seine Möglichkeiten bei ihr ausloten und herausfinden können, ob das Interesse auf Gegenseitigkeit beruhte. Jetzt jedoch, spürte er, beunruhigte sie seine Nähe. Der öffentliche Sklavenmarkt war nicht der geeignete Ort, die Gründe dafür herauszufinden, und es lag ihm fern, sie so sehr zu verwirren, dass ihre Freude über das Treffen in Bedauern umschlug. Er stand auf. »Also gut. Je schneller ich nach Jamar aufbreche, desto eher werde ich mich auf dem Rückweg befinden. Ich freue mich darauf, Euch wiederzusehen, Lady.«

Mara wedelte mit dem Fächer vor ihrem Gesicht. Sie fühlte sich ungewöhnlich befangen und verspürte sowohl Bedauern als auch Erleichterung über Hokanus Aufbruch. Mit dem äußeren Anschein von Selbstsicherheit nickte sie. »Auch ich freue mich darauf. Ich wünsche Euch eine gute Reise.«

»Ich wünsche Euch ebenfalls alles Gute, Lady Mara.«

Der jüngere der beiden Shinzawai-Söhne bahnte sich seinen Weg durch die Bänke und verließ die obere Galerie.

Als er auf der Treppe ins Sonnenlicht trat, war sein Profil mit der geraden Nase, der hohen Stirn und dem festen Kinn deutlich zu sehen – ein Anblick, der die Aufmerksamkeit wohl so mancher edlen Tochter in seiner Heimat auf sich gezogen hatte. Selbst in Lujans überaus kritischen Augen war Hokanu ein Mann, der sowohl durch sein Äußeres begünstigt wie auch von hohem gesellschaftlichen Rang war.

Laute Stimmen drangen aus dem Sklavenverschlag zu ihnen. Mara wandte ihre Aufmerksamkeit von Hokanu ab. Sie drängte sich dicht an das Geländer der Galerie, um den Grund für die Aufregung zu erfahren. Da sich unter den nackten Sklaven keine Bogenschützen verstecken konnten, bestand Lujan nicht darauf, dass sie sich im Schatten verbarg, sondern suchte weiter mit seinen Blicken die umliegenden Dächer ab.

Überrascht entdeckte Mara, dass die unschicklichen Rufe von dem Makler stammten, der die Barbaren beaufsichtigte. Seine kleine, plumpe Figur war in kostbare gelbe Seide gehüllt, und mit geballten Fäusten stand er vor einem der Midkemier, dem er kaum bis zum Kinn reichte. Es war der rothaarige Midkemier, den Mara bereits zuvor gesehen hatte. Sein nackter Körper glänzte in der Nachmittagssonne. Mit offensichtlicher Verzweiflung bemühte er sich, nicht zu lachen, während der Makler ihn mit einer Schimpftirade überzog. Mara musste zugestehen, dass die Szene etwas Komisches hatte; der Makler war selbst für einen Tsurani klein, und die Barbaren ragten vor ihm in die Höhe. In dem vergeblichen Versuch, bedrohlich zu wirken, war der Aufseher gezwungen, sich auf die Zehenspitzen zu stellen.

Mara beobachtete den Midkemier eingehender. Obwohl ihm jeden Augenblick die Züchtigung durch die Peitsche drohte, stand er mit vor der Brust gekreuzten Armen da, ein Abbild des Selbstvertrauens. Die vor ihm stehenden Männer – der Aufseher und die beiden Gehilfen, die dem Makler zu Hilfe gekommen waren – hatten alle einen höheren Rang inne, doch er überragte sie um mindestens einen ganzen Kopf. Der Midkemier schaute auf sie hinab wie ein junger Edler, der sich durch ihre Possen gelangweilt fühlte. Mara verspürte plötzlich einen Stich, als sie den Körper des Mannes näher betrachtete, der von harter Arbeit bei mageren Rationen schlank wie eine Gerte war. Während sie sich zur Ruhe zwang, überlegte sie, ob Hokanus Gegenwart sie tiefer beeinflusst hatte, als sie es für möglich gehalten hätte. Die Männer, denen jetzt ihre ganze Aufmerksamkeit gelten sollte, standen dort unten in dem Verschlag, und ihr Interesse an ihnen war einzig finanzieller Natur.

Mara hörte auf, den Mann unverblümt zu taxieren, und wandte sich seiner Auseinandersetzung mit dem Aufseher und seinen Gehilfen zu. Die Tirade des Maklers erreichte ihren Höhepunkt, dann war er außer Atem. Ein letztes Mal schüttelte er drohend seine Faust in der Höhe des Schlüsselbeins des Barbaren. Zu Maras absoluter Verblüffung zeigte der Sklave keinerlei Anzeichen von Unterwerfung. Statt sich vor den Füßen des Maklers demütig mit dem Gesicht nach unten auf den Boden zu werfen und still die verdiente Strafe, zu erwarten, strich er sich über den Bart und begann mit voller Stimme in gebrochenem Tsurani zu sprechen; seiner Haltung nach empfand er sich eher als ein Vertrauter denn als gehorsames Eigentum.

»Bei den Göttern, schaut Euch das an!«, rief Lujan verwundert aus. »Er benimmt sich, als hätten Sklaven das Recht zu diskutieren. Wenn sie alle so dreist sind wie dieser Bursche, wundert es mich nicht, wenn ein Herr ihnen die Haut vom Leib peitschen muss, um sie auch nur einen halben Tag zum Arbeiten zu bewegen.«

»Still.« Mara gebot Lujan mit einer abwehrenden Handbewegung zu schweigen. »Ich möchte das hören.« Sie bemühte sich, das mangelhafte Tsurani des Barbaren zu verstehen.

Plötzlich stockte der Midkemier. Er neigte seinen Kopf etwas zur Seite, als hätte er gesagt, was zu sagen war. Der Makler schien zu kochen. Er gab dem Gehilfen mit der Tafel ein Zeichen und sagte in verzweifeltem Ton: »Stellt euch in eine Reihe! Sofort!«

Gemächlich setzten die Sklaven sich in Bewegung und stellten sich nebeneinander auf. Die erhöhte Galerie ermöglichte Mara einen Blick auf die gesamte Szene, und sie sah, wie die Barbaren in dem Tumult versuchten, zwei ihrer Kameraden zu decken, die vor der zum Fluss zeigenden Holzpalisade kauerten.

»Was haben sie vor?«, fragte sie Lujan.

Der Krieger zuckte in kaum wahrnehmbarer, tsuranischer Weise mit den Schultern. »Irgendeinen Unsinn, schätze ich. Ich habe Needras gesehen, die mehr Hirn besaßen als dieser Makler.«

Unter ihnen begannen der Aufseher und sein Gehilfe mit der sorgfältigen Zählung der Sklaven. Die beiden an der Palisade reihten sich verspätet ebenfalls ein, stolperten dabei jedoch absichtlich und verloren das Gleichgewicht, sodass der Buchhalter bei dem anschließenden Chaos, als sie in die Reihe platzten, den Überblick verlor. Er begann von vorn. Jedes Mal, wenn er an einem Sklaven vorbeikam, blickte er nach unten auf die Tafel und machte eine Markierung. Der Makler schwitzte und fluchte wegen der Verzögerung.

Doch ebenfalls jedes Mal, wenn der Buchhalter sich seiner Tafel widmete, wechselten die unbeherrschbaren Barbaren ihre Position. Einer der Gehilfen ließ, um Ordnung bemüht, seine Peitsche über die Rücken einiger der Männer zischen. Ein Sklave rief daraufhin etwas in seiner Muttersprache, das verdächtig nach einer Obszönität klang, und rettete sich anschließend mit einem Sprung vor der Bestrafung. Die anderen lachten. Die Peitsche sauste herunter, versuchte diejenigen zum Schweigen zu bringen, die dem Makler am nächsten standen, doch der einzige Effekt war, dass die Reihe der Sklaven zerbrach, sie sich bewegten und hinter dem Rücken des Mannes neu aufstellten. Der Buchhalter blickte verzweifelt auf. Wieder waren die auf der Tafel niedergeschriebenen Zahlen hoffnungslos durcheinandergeraten.

In beschämender Weise offenbarte der Makler seine Ungeduld und rief: »Wir werden nichts als Asche sein, wenn du damit endlich fertig bist!« Er blickte an den Rand des Verschlags und klatschte in die Hände, und einen Augenblick später trippelte ein Diener mit einem Korb voller grobgewebter Hosen und Hemden herein. Er begann die Kleidung unter den Sklaven zu verteilen.

In diesem Augenblick fing der rothaarige Barbar an, den Aufseher wüst zu beschimpfen. Sein Tsurani war zwar gebrochen und deutlich falsch betont, doch irgendwann seit seiner Gefangennahme musste ihm ein namenloses Bettlerkind die Sprache gut beigebracht haben. Der Aufseher öffnete in ungläubigem Staunen den Mund, als er die biologischen Konsequenzen dessen bedachte, was der Midkemier gerade über seine Mutter gesagt hatte. Dann wurde er rot vor Wut und schwang seine Peitsche, der der Barbar jedoch geschickt auswich. Nun entwickelte sich zwischen dem großen Midkemier und dem kleinen, fetten Tsurani eine wilde Jagd.

Lujan lachte. »Es ist eine Schande, dass der Wille des Barbaren gebrochen werden muss. Diese Komödie entspricht ohne Weiteres dem Niveau vieler der reisenden Theatergruppen, die ich gesehen habe. Es scheint ihm offensichtlich Spaß zu bereiten.« Lujan nahm in der hinteren Ecke des Verschlags eine Bewegung wahr. »Ah!«, rief er aus. »Und er hat ein deutliches Ziel, wie es scheint.«

Auch Mara hatte bemerkt, dass einer der Sklaven wieder seine gekrümmte Haltung bei der Palisade eingenommen hatte.

Einen Augenblick später schien es, als würde er etwas hindurchschieben. »Bei Lashimas Weisheit«, sagte sie, und ein verwundertes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. »Sie stehlen die Kleidungsstücke!«

Die Galerie gewährte ihnen einen deutlichen Blick auf die Vorgänge. Der rothaarige Riese raste im Verschlag herum. Trotz seiner Größe bewegte er sich mit der Eleganz eines Sarcats, des schnellen und geräuschlosen sechsbeinigen Jägers im Grasland, und entzog sich jedem Versuch des Aufsehers, ihn zu fangen. Dann jedoch trottete er wie eine schwangere Needra-Kuh dahin. Er ließ den Aufseher dicht an sich herankommen, um plötzlich der Peitsche knapp auszuweichen und, schlurfend, rutschend und mit dem Fuß über den Boden streichend, eine gehörige Menge Staub aufzuwirbeln. Oder er krachte in diejenigen Kameraden, die bereits Hosen und Hemden erhalten hatten. Die plötzlich so unbeweglichen Männer fielen zu Boden und rollten hin und her, und, verdeckt vom Staub und dem Durcheinander der Bewegungen, verschwanden die Kleidungsstücke auf merkwürdigste Weise. Einige wurden zusammengerafft und anderen Sklaven weitergereicht; gelegentlich machte sich ein Hemd wie von selbst los und landete auf dem Boden, wo es von einem anderen Mann aufgenommen wurde. Auf diese Weise gelangte die Kleidung schließlich zu dem Mann an der Palisade. Im geeigneten Augenblick stopfte er den Stoff durch eine Lücke und nahm dafür von der anderen Seite herübergeschobene Muschelmarken entgegen, die im Kaiserreich als Münzen dienten. Der Midkemier wischte sie an seiner haarigen Brust ab, steckte sie in den Mund und schluckte sie hinunter.

»Es müssen Bettlerjungen auf der anderen Seite sein.« Lujan schüttelte den Kopf. »Oder vielleicht das Kind irgendeines Flussschiffers. Aber es ist mir ein Rätsel, wie ein Sklave auf den Gedanken kommen kann, dass er eine Verwendung für Geldmünzen haben könnte.«

»Sie zeigen jedenfalls großen Einfallsreichtum ... und großen Mut«, bemerkte Mara, und Lujan sah sie scharf an. Es machte den Truppenführer stutzig, dass sie diese ehrbaren Charaktereigenschaften fälschlicherweise Männern zugeschrieben hatte, denen nach den starren Regeln der Gesellschaft des Kaiserreiches ein noch geringerer Rang zustand als dem niedersten, schäbigsten Bettler in der Gosse. Die Verzweiflung hatte Mara gelehrt, die Traditionen ihres Volkes manchmal geschickt umzudeuten, mit den erstaunlichsten Folgen. Auch Lujan war nur aufgrund einer solch ungewöhnlichen Beugung der Traditionen in ihren Dienst geraten, und trotzdem konnte er nicht erkennen, was sie in den barbarischen Sklaven sah. In dem Versuch, ihre Faszination zu verstehen, wandte er sich dem immer noch andauernden Konflikt dort unten wieder zu.

Der Aufseher hatte inzwischen Verstärkung herbeigerufen. Mehrere muskulöse Wachen mit gebogenen Haken aus gehärtetem Needra-Fell in den Fäusten rannten jetzt in den Verschlag und auf den unbeugsamen Rothaarigen zu; jene Sklaven, die sie aufzuhalten versuchten, wurden mit Ellenbogen beiseite gestoßen oder bekamen kräftige Tritte von scharfkantigen Sandalen. Einer der Barbaren ging zu Boden, das Schienbein blutig gestoßen. Bei diesem Anblick machten die anderen den Soldaten schnell Platz, und auch der rothaarige Anführer wurde langsamer. Er wollte sich lieber in die Enge treiben lassen, als ernsthafte Verletzungen durch grobschlächtige Soldaten zu riskieren. Die Krieger hielten ihn mit den Haken fest und zogen ihn vor den rotgesichtigen und staubbedeckten Makler, dessen Gewand jetzt dringend einer Reinigung bedurfte. Sie stießen ihren gewaltigen Gefangenen auf die Knie und drückten ihn zu Boden, während der Aufseher nach Handschellen und Stricken aus gehärtetem Needra-Leder verlangte, um dem Barbaren seine unbezähmbare Wildheit auszutreiben.

Doch der Barbar war immer noch nicht eingeschüchtert. Als wäre ihm nicht bewusst, dass der Aufseher ihm mit einer einzigen Geste das Leben nehmen konnte, schleuderte er die zerzausten Haare zurück und betrachtete die Wächter mit großen, blauen Augen. Irgendwann in dem Durcheinander musste ihn ein Peitschenhieb quer über einen Wangenknochen getroffen haben. Blut rann über sein Gesicht und versiegte in dem wild wachsenden Bart. Der Midkemier konnte kaum älter als zwanzig sein, und sein prachtvolles Äußeres hatte unter der groben Behandlung durch die Wächter kaum gelitten. Er sagte etwas. Mara und Lujan sahen, wie sich das Gesicht des Maklers verhärtete, und eine der Wachen unterdrückte einen Lachanfall hinter der behandschuhten Hand, völlig untypisch für einen Tsurani. Der Aufseher mit der Peitsche schien sich besser im Griff zu haben. Er antwortete mit ein paar Hieben, dann trat er den Barbaren, sodass dieser vornüber auf das Gesicht fiel.

Mara zuckte trotz der offenen Brutalität nicht zusammen. Auf ihrem Gut wurden ungehorsame Sklaven wegen weit geringerer Vergehen gezüchtigt. Aber auch die Tatsache, dass die Haltung des Rothaarigen unvorstellbar war für die Sitten ihrer Gesellschaft, schockierte sie nicht weiter. Sie hatte sich mit den Gewohnheiten der Cho-ja vertraut gemacht, ihre Andersartigkeit und Weisheit schätzen gelernt, so fremdartig sie auch sein mochten. Als sie den Sklaven in dem Verschlag zusah, kam ihr der Gedanke, dass sie möglicherweise Menschen waren wie sie, dass aber ihre Welt ganz anders als Kelewan war. Sie waren Fremde und begriffen möglicherweise das Ausmaß ihres Schicksals nicht, denn auf Kelewan konnte ein Mensch die Sklaverei nur durch die Pforten des Todes hinter sich lassen. Er besaß weder Ehre noch Seele und war so unwichtig wie ein Insekt; entweder lebte er in Annehmlichkeiten oder unter großen Qualen, doch sein Schicksal kümmerte die Ranghöheren so wenig wie das der honigsammelnden Rotbienen.

Ein tsuranischer Krieger wäre eher durch die eigene Hand gestorben, als dass er zugelassen hätte, lebendig vom Feind gefangengenommen zu werden – entsprechend waren Gefangene gewöhnlich Verwundete, Bewusstlose oder Feiglinge. Diese Midkemier hatten vermutlich vor der gleichen Wahl gestanden, und mit ihrer Entscheidung, ohne Ehre weiterzuleben, hatten sie ihr Los bestimmt.

Der Rothaarige schien sich ganz und gar nicht damit abzufinden. Er rollte sich zur Seite, um einem Peitschenhieb auszuweichen, und krachte gegen die Fußknöchel des Aufsehers. Der fette Mann schrie auf und stolperte, doch der Buchhalter bewahrte ihn vor einem Sturz, indem er sofort die Tafel fallen ließ und in die zerknitterte gelbe Seide griff. Die Kreidetafel fiel in den Staub, und der Barbar rollte sich mit beneidenswerter Listigkeit auf sie. Schweiß und Schmutz verwischten die Markierungen, und von der Galerie aus sah Mara mit eigenartiger Erregung, dass der Korb leer war. Nur ein Drittel der Männer im Hof war angekleidet; einigen fehlten die Hosen, andere hatten keine Hemden. Obwohl der Rothaarige sich Schläge eingehandelt hatte, möglicherweise sogar den Tod durch den Strang, hatte er einen kleinen Sieg über seine Wärter errungen.

Die Männer mit den Haken kamen näher. Hitze und Anstrengung hatten ihnen auch das letzte bisschen Geduld geraubt, und es war klar, dieses Mal würden sie ihn zum Krüppel schlagen.

Aus einem plötzlichen Impuls heraus sprang Mara auf. »Genug!«, rief sie von der Galerie herunter. Der befehlende Ton ihrer Stimme zwang die Soldaten zum Gehorsam. Die Lady war eine Herrscherin, sie selbst dagegen waren nichts weiter als Diener. Sie waren es gewohnt, Befehle zu befolgen, und so ließen sie die Haken sinken und blieben stehen. Der Makler strich überrascht sein Gewand glatt, während der barbarische Sklave auf dem staubigen, ausgetretenen Boden sich mühsam auf einem Ellbogen aufstützte und nach oben schaute.

Es schien ihn zu erstaunen, dass sein Retter eine kleine, schwarzhaarige Frau war. Dennoch starrte er sie weiterhin kühn an, bis der Buchhalter ihm ins Gesicht schlug, damit er seinen Blick abwandte.

Mara runzelte verärgert die Stirn. »Ich sagte genug! Noch mehr davon, und ich werde darauf bestehen, dass Ihr dafür bezahlt, Waren zu zerstören, während jemand darauf wartet, ein Angebot zu machen.«

Der Makler straffte verblüfft die Schultern; sein ruiniertes Gewand aus gelber Seide war schlagartig vergessen. Er strich sich die verschwitzten Haare aus der Stirn, als könne er seinen Fehler in den Fragen des Anstands dadurch aus der Welt schaffen, dass er seine äußere Erscheinung verbesserte. Er sah die Lady der Acoma auf der Galerie stehen und verbeugte sich tief, beinahe bis zu den Knien. Er wusste, dass er froh sein konnte, wenn er die Midkemier für den Preis eines Zierfisches los wurde, nachdem der Rothaarige so deutlich sein schlechtes Benehmen zur Schau gestellt hatte. Dass die Lady Zeugin seines Auftretens geworden war und dennoch an einem Erwerb interessiert schien, grenzte an ein Wunder, das kein gesunder Mann gefährden würde.

Auch Mara wusste, dass er nicht in der Situation war, handeln zu können, und gab sich den äußeren Anschein von Gleichgültigkeit, während sie ihren Fächer durch die Luft zischen ließ. »Möglicherweise gebe ich Euch dreißig Centuries für diese Barbaren«, sagte sie langsam. »Doch wenn der Große zu viel blutet, möglicherweise nicht.«

Bei diesen Worten zog Lujan die Augenbrauen empor. Auch er hielt die Entscheidung seiner Lady, aufmüpfige Sklaven zu erwerben, nicht für sinnvoll, doch es stand einem Krieger nicht zu, Ratschläge zu geben. Also schwieg er, während sich der Makler unten im Hof an den Buchhalter wandte und ihn fortschickte, um Tücher und Wasser zu holen. Der Mann kehrte zurück und wandte sich sofort der entwürdigenden Aufgabe zu, die Wunden des Rothaarigen zu waschen.

Doch der Anführer der Barbaren duldete diese Aufmerksamkeit nicht. Er streckte seine gewaltige Faust aus und bewegte sich trotz der Fesseln schnell genug, um das Handgelenk des Buchhalters zu erwischen. Was er sagte, war auf der Galerie nicht zu verstehen, doch der Diener legte sowohl Stoff als auch Schüssel beiseite, als hätte er sich die Finger verbrannt.

Der Makler vertuschte diese Ungehorsamkeit mit einem mühsamen Lächeln. Er hatte kein Interesse daran, Maras Geduld auf die Probe zu stellen, indem er den Sklaven bestrafen ließ. Er tat, als würde alles nach Plan verlaufen, als einer der anderen Midkemier nach vorn trat und rasch begann, die Peitschenverletzungen des Rothaarigen zu versorgen.

»Lady, die Kaufverträge können in der behaglicheren Atmosphäre meines Büros sofort vorbereitet werden. Ich werde Euch geeiste Früchte gegen den Durst bringen lassen, während Ihr darauf wartet, unterschreiben zu können. Wenn Ihr so freundlich seid und mir in mein Büro folgen würdet ...«

»Das wird nicht nötig sein«, sagte Mara knapp. »Schickt Euren Schreiber hierher, denn ich möchte diese Sklaven sofort auf meine Güter bringen. In dem Augenblick, da ich die Kaufurkunde besitze, werden sich meine Krieger um sie kümmern.« Sie warf einen letzten Blick auf den Hof und fügte hinzu: »Das heißt, ich werde unterschreiben, sobald diese Sklaven mit ordentlicher Kleidung ausgestattet wurden.«

»Aber –«, stieß der Makler bestürzt hervor. Der Buchhalter zog ein säuerliches Gesicht. Obwohl der Korb aus dem Lager ursprünglich genügend Hosen und Hemden enthalten hatte, um drei Sklavenkarawanen aus Jamar auszustatten, waren viele der Männer immer noch nackt oder nur zur Hälfte bekleidet. Es hätte eigentlich eine ordentliche Untersuchung über den Vorfall geben müssen, und zweifellos auch einige Schläge, doch die Ungeduld der Lady entschied die Angelegenheit. Sie wollte sofort unterschreiben und kaufen. Mit einer eifrigen Handbewegung drängte der Makler den Buchhalter, den Fehler zu übersehen und die Arbeit zu erledigen. Bei dreißig Centuries würde er mit diesen Sklaven nur wenig Gewinn erzielen, aber noch schlimmer war das Risiko, dass sie überhaupt nicht verkauft wurden, den Verschlag füllten und Thyza aßen, das er besser an zugänglichere Sklaven verteilte – solche, die einzeln fünf bis zehn Centuries wert waren.

Der Makler musste nicht lange überlegen, welche unangenehme Nachricht er seinem Auftraggeber lieber überbringen wollte, und gewann seine Haltung zurück. »Schick meinen Läufer nach einem Schreiber, der das Dokument vorbereiten soll.« Als sein Untergebener protestieren wollte, trieb er ihn mit wütenden Worten zur Eile – bevor die Lady ihren Verstand wiedererlangte und ihre Meinung änderte.

Der Gehilfe huschte davon. Die Lady auf der Galerie achtete nicht darauf; ihr Blick richtete sich auf den rothaarigen Barbaren, den sie aus einer spontanen Eingebung heraus gekauft hatte. Er starrte zurück, und etwas in dem Blick seiner blauen Augen brachte sie zum Erröten, wie es Hokanu von den Shinzawai nicht geschafft hatte.

Mara wandte sich plötzlich ab, und ohne ein Wort zu ihrem Truppenführer eilte sie die Treppen von der Galerie hinunter auf die Straße. Der Truppenführer hatte sie mit einem einzigen Schritt eingeholt und seine Position vor ihr wieder eingenommen. Er fragte sich, ob ihr hastiger Aufbruch von der Ungeduld herrührte, nach Hause zurückzukehren, oder von irgendeinem anderen Gefühl des Unbehagens.

Er verwarf jegliche Spekulation und beugte sich hinab, um ihr in die Sänfte zu helfen. »Jican wird sich darüber sehr aufregen.« Mara sah ihren Truppenführer an, doch in seinem Gesicht war nichts von seiner üblichen Heiterkeit. An die Stelle des spöttischen Humors war ehrliche Besorgnis getreten – und vielleicht noch etwas anderes.

Dann erschien der Schreiber des Maklers mit den Dokumenten, die den Kauf endgültig besiegelten. Mara unterzeichnete; sie brannte darauf, endlich aufzubrechen.

Fremdartiges Geschnatter und Gemurmel erklang, als die Sklaven durch das Tor des Hofes hinausgetrieben wurden. Lujan nickte kaum wahrnehmbar mit dem Kopf, und die Wachen von Maras Eskorte machten sich daran, die zwei Dutzend Midkemier für den Marsch zurück zum Herrenhaus der Acoma aufzustellen. Die Arbeit wurde ihnen erschwert, da die Sklaven die Sprache nicht richtig beherrschten und eine unglaubliche Tendenz besaßen, alles zu hinterfragen. Kein Sklave von tsuranischer Herkunft hätte es jemals gewagt, vor dem befohlenen Marsch Sandalen zu verlangen. Die Soldaten fühlten sich durch den unglaublichen Trotz in die Enge getrieben, sodass sie zunächst mit Gewalt drohten, dann auch welche anwandten. Ihre Geduld schwand von Minute zu Minute. Die Soldaten waren keine Aufseher, und das Schlagen von Sklaven entsprach nicht ihrem hohen Rang. Die Vorstellung des Anblicks, wie sie auf einer öffentlichen Straße die Männer grob behandelten, beschämte sie und barg auch für die Herrin, die zum Aufbruch bereit war, keine Ehre.

Mara fühlte sich unbehaglich und hielt ihren Rücken vor Anspannung kerzengerade, während das raue Schauspiel vor ihr stattfand. Endlich bedeutete sie den Trägern, die Sänfte aufzunehmen. Zumindest konnten die Männer an dem Tempo, das Mara angeordnet hatte, erkennen, dass der Gang durch die Straßen von Sulan-Qu kurz sein würde.

Mara forderte Lujan auf, zu ihr zu kommen, und nach einer kurzen Unterredung entschied sie sich für einen Weg, auf dem sie mit den Sklaven am wenigsten auffallen würden. Der Weg führte durch die ärmeren Viertel am Fluss entlang, über Straßen voller Müll, Abwasserlachen und Pfützen aus Waschwasser. Jetzt zogen die Krieger ihre Schwerter und schoben die trödelnden Sklaven mit den flachen Seiten der Klingen vor sich her. Wegelagerer und Straßendiebe waren keine echte Bedrohung für ein Gefolge, das ihre Wachsamkeit und Erfahrung besaß, doch Mara drängte aus anderen Gründen zur Eile.

Ihre Feinde waren immer an dem interessiert, was sie tat, wie unwichtig es auch sein mochte, und schon bald würden Gerüchte über ihren Besuch im Sklavengehege die Runde machen. Möglicherweise waren der Makler und seine Gehilfen schon jetzt auf dem Weg zum örtlichen Weinhaus, und wenn nur ein einziger Händler oder Kaufmann sie über Maras Gründe für den Erwerb der midkemischen Sklaven spekulieren hörte, würden sich die Gerüchte sofort verbreiten. Und war ihre Gegenwart in der Stadt erst einmal bekannt geworden, würden die Spione der Feinde alles daransetzen, sie einzuholen und weiter zu verfolgen. Die Midkemier sollten die neuen Needra-Weiden vorbereiten, und Mara wünschte diese Tatsache so lange wie möglich geheimzuhalten. Wie banal diese Information auch sein mochte, alles, was ihre Feinde erfahren konnten, schwächte die Acoma. Und seit dem Tag, da Mara Herrscherin geworden war, galt ihre vordringlichste Sorge dem Erhalt des Hauses ihrer Ahnen.

Die Sänftenträger bogen in die Straße ein, die am Flussufer entlangführte. Hier verengte sich der Seitenweg zu einer kleinen Gasse zwischen baufälligen Häusern, die nur spärlichen Raum für die Sänfte ließen. Oberhalb der Mauern türmten sich Balkone mit groben Fellvorhängen über die Straße, deren Dachbalken beinahe gegeneinanderstießen und das Sonnenlicht aussperrten. Nachfolgende Generationen von Vermietern hatten immer mehr Stockwerke hinzugefügt, die das vorhergehende jeweils überragten, sodass der Blick nach oben nur ein kleines Stück des grünen Kelewan-Himmels offenbarte, das sich allerdings grell gegen die drückende Düsternis abhob. Maras Soldaten strengten sich an, um in der plötzlichen Dunkelheit etwas erkennen zu können; wie immer achteten sie auf alles, was ihre Herrin bedrohen konnte, und dieses Labyrinth bot reichlich Gelegenheit für einen Hinterhalt.

Auch die Brise vom Fluss konnte in das Gewirr aus Mietshäusern nicht eindringen, und so machte sich ein übel riechender Gestank aus Abfall, Müll und dem scharfen Geruch von faulendem Holz in der reglosen, feuchten Luft breit. Viele Fundamente waren von Moder zerfressen, weshalb die Wände eingebrochen waren und die Dachbalken auf trostlose Weise nach unten hingen. Trotz der abstoßenden Umgebung wimmelte es in der Straße von Menschen. Die Bewohner beeilten sich, Mara den Weg frei zu machen, und beim Anblick des Federbusches auf dem Helm des Offiziers quetschten sie sich an armselige Hütten, denen die Türen fehlten. Die Krieger großer Lords pflegten jeden armen Teufel zu schlagen, der nicht sofort aus dem Weg ging. Doch nur Scharen schreiender, schmutziger Gassenkinder forderten solch ein Unglück heraus; sie zeigten auf die Sänfte der Lady, die von ihrem Wohlstand kündete, und stoben vor den Soldaten auseinander, die mit den Speerschäften nach ihnen stießen, um sie zu vertreiben.

Die Midkemier hatten aufgehört zu plaudern, sehr zu Lujans Erleichterung. Im Augenblick waren die Krieger beschäftigt genug und benötigten keine zusätzliche Verwirrung. Egal, wie oft die Barbaren zur Ruhe angehalten wurden, wie es sich für Sklaven ziemte, sie neigten zu ständigem Ungehorsam. Jetzt, als das Gefolge der Acoma sich zwischen den übervölkerten Mietswohnungen hindurchzwängte, begann die beißende, rauchige Luft aus den Verstecken der Verkäufer von Drogenblumen immer mehr vorzuherrschen. Diejenigen, die das Harz der Kamota-Blüte zu sich nahmen, lebten in Träumen und Halluzinationen, und Anfälle von Wahnsinn suchten sie heim. Die Krieger hielten ihre Speere kampfbereit und machten sich auf einen plötzlichen Angriff gefasst, während Mara hinter verschlossenen Vorhängen saß und den duftenden Fächer dicht unter die Nase gepresst hielt.

Vor einer Ecke wurde das Tempo der Sänfte langsamer, und Mara rutschte zur Seite, als die Träger den Griff etwas veränderten und die Fracht an den Stützpfeilern eines herabhängenden Türeingangs vorbeiwuchteten. Einer der Stäbe verfing sich in dem schmutzigen Vorhang über dem Eingang und zog ihn etwas zur Seite. In dem Raum saßen dicht aneinandergedrängt mehrere Familien. Ihre Kleidung war schmutzig und ihre Haut voller Wunden. Sie teilten sich einen Topf mit ekliger Thyza, während in einem ähnlichen Topf in der Ecke die Notdurft des Tages gesammelt wurde. Auf einer zerlumpten Decke stillte eine Mutter ihr kraftloses Kind, während drei weitere Kleinkinder kreuz und quer über ihren Beinen hingen. Sie alle trugen die Spuren von Ungeziefer, Krankheiten und Hunger. Mara wurde übel von dem Gestank, und sie musste würgen. Doch da man ihr von Geburt an erklärt hatte, dass Armut und Reichtum nach dem Willen der Götter verteilt wurden, als Belohnung für die Taten in einem früheren Leben, schenkte sie den armen Teufeln keine Beachtung.

ENDE DER LESEPROBE