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Vor tausenden von Jahren regierten in Ägypten immer wieder Frauen mit fast uneingeschränkter Macht – obwohl sie in einer männlich dominierten Gesellschaftsordnung lebten. Sechs von ihnen – Meritneith, Nofrusobek, Hatschepsut, Nofretete, Tausret und Kleopatra – stiegen in höchste Positionen auf und übten als eigenständige Staatsoberhäupter bedeutenden Einfluss aus. National Geographic begibt sich auf die Spuren dieser klugen und mächtigen Frauen.
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Seitenzahl: 87
Veröffentlichungsjahr: 2022
„Kleopatra auf den Terrassen von Philae“ von Frederick Arthur Bridgman (1847–1928).
Dieses Relief aus dem Totentempel der Hatschepsut zeigt eine Prozession von Soldaten, die Äxte und Baumzweige tragen. Es könnte eine Darstellung von Hatschepsuts berühmter Handelsexpedition nach Punt sein, von der zahlreiche Luxusgüter mitgebracht wurden, darunter verschiedene Baumarten.
Einleitung
Die Herrschaft der klugen Königinnen
|KAPITEL EINS|
MERITNEITH
BLUTIGE ZEITEN
|KAPITEL ZWEI|
NOFRUSOBEK
DIE LETZTE DER FAMILIE
|KAPITEL DREI|
HATSCHEPSUT
PR-PROFI
|KAPITEL VIER|
NOFRETETE
NICHT NUR EIN SCHÖNES GESICHT
|KAPITEL FÜNF|
TAUSRET
DIE ÜBERLEBENDE
|KAPITEL SECHS|
KLEOPATRA
GLAMOURÖSE DRAMA QUEEN
Bildhinweise und Impressum
Ein ptolemäischer Goldarmreif aus der Zeit Kleopatras. Die beiden gewundenen Schlangen sind Symbol für Schutz und Erneuerung.
Es gibt einen Ort auf unserem Planeten, an dem vor Tausenden von Jahren immer wieder Frauen mit uneingeschränkter Macht regierten, obwohl sie in einer männlich dominierten Gesellschaftsordnung lebten. Das Alte Ägypten stellt eine Ausnahmeerscheinung dar. Als einziges Land verließ es sich immer wieder auf Frauen, um das System funktionsfähig zu halten und das Land vor Unfrieden zu bewahren. Vor allem wenn eine Krise bevorstand, galt es, auf diese Weise ein stabiles Fundament zu sichern. Die meisten dieser Frauen regierten als ägyptische Gottkönige in Menschengestalt und keineswegs nur in einer Machtposition hinter einem Mann auf dem Thron. Sechs von ihnen – Meritneith, Nofrusobek, Hatschepsut, Nofretete, Tausret und Kleopatra – stiegen in höchste Positionen auf und übten als eigenständige Staatsoberhäupter bedeutenden Einfluss aus. Sie alle begannen als Königinnen – als „sexuelles Gefäß“ ihres Königs –, doch jede avancierte zur obersten Entscheidungsträgerin. Fünf von ihnen dienten als weiblicher Pharao. Zwar muss jede dieser Frauen auch die für ein solches Amt notwendige Würde sowie Geschick, Intelligenz und Gespür besessen haben, doch es war auch das ägyptische System, das ihre Regentschaft brauchte und sie daher an die Macht brachte.
Die Geschichte der großen ägyptischen Königinnen birgt einige Überraschungen und dunkle Wendungen. Als politische Strippenzieherinnen waren die Herrscherinnen darauf vorbereitet, komplexe Aufgaben und wichtigste Leitungsfunktionen zu bewältigen und die Figuren auf dem Schachbrett in ihrem Sinne zu bewegen. Aus einer anderen Perspektive betrachtet, waren sie allerdings vollkommen machtlos und selbst Schachfiguren in einem patriarchalischen System. Ihre Macht, wenngleich verbunden mit Positionen von realer und formaler Autorität, war von Übergang geprägt. Diese Königinnen waren Platzhalter für die rechtmäßigen männlichen Regenten, die entweder zu alt oder zu jung für die Herrschaft oder noch gar nicht geboren waren. Nicht selten löschten die Männer, die ihnen nachfolgten, ihre Namen aus den offiziellen, vom Königstempel verfassten „Königslisten“. Oder sie ließen sie ganz einfach weg.
Anubis (Mitte), Hüter der Tore zur Unterwelt, steht vor einer königlichen Mumie. Das Gemälde stammt aus dem Grab des jungen Königs Siptah, um 1191 v. Chr.
Um die seltsame und widersprüchliche Erzählung von weiblicher Macht zu verstehen, wollen wir uns diesen Frauen selbst zuwenden. Wir blicken auf eine außergewöhnlich lange Zeitspanne von 3000 Jahren, eine Zeit voller Höhen und Tiefen, in denen diese Frauen, an die man sich heute nur teilweise erinnert, die Geschicke ihres Landes mitbestimmten.
Meritneith, eine der frühesten Verkörperungen weiblicher Macht aus dem Alten Ägypten, herrschte in der Mitte der ersten Dynastie (3000–2890 v. Chr.), in den Anfängen des ägyptischen Reichs, als das Königtum noch neu und grausam war. Zwar nahm sie niemals eine offizielle Stellung ein, doch sie taucht in Königslisten als jene Person auf, die die Regierungsgeschäfte für ihren Sohn, König Den, führte, weil dieser das Königsamt in zu jungen Jahren übernehmen musste.
Ihre Macht, wenngleich verbunden mit Positionen von realer und formaler Autorität, glich eher einer kurzfristigen Illusion.
„Nofretete in ihrem königlichen Streitwagen“ von Fortunino Matania (1881–1963).
Elf Dynastien später, in der 12. Dynastie (1985–1773 v. Chr.), konsolidierte Nofrusobek die Macht, die Meritneith lediglich dank der Männer und Knaben in ihrem Umkreis ausgeübt hatte. Nofrusobek war die erste Frau, die das ägyptische Königtum in ihrem offiziellen Titel führte. Als Alleinherrscherin regierte sie vier Jahre lang und erreichte so, was Meritneith nicht gelungen war.
In der 18. Dynastie (1550–1295 v. Chr.) etablierte Hatschepsut das mächtigste weibliche Königtum, das Ägypten je gesehen hatte. Ihre Regentschaft zeichnete sich durch Innovation, kluges strategisches Handeln und Ausdehnung des Imperiums aus und bescherte ihrem Land Wohlstand. Möglich geworden war ihr Königtum, weil ihr Gatte und Halbbruder Thutmosis II. jung gestorben war und keinen Thronerben hinterlassen hatte. Weil Hatschepsut keinen Sohn hatte, der ihr Vermächtnis hätte fortführen können, wurde ihr Name aus den religiösen und historischen Aufzeichnungen gelöscht.
Ein Jahrhundert später, gegen Ende der 18. Dynastie, bediente sich Nofretete einer anderen Taktik, um an die Macht zu gelangen. Es ist nicht verwunderlich, dass Ägyptologen noch immer darüber streiten, ob Nofretete überhaupt das Königtum erlangte. Unstrittig ist, dass sie Ägypten nach einer Periode großer Unruhen auf den Weg der Konsolidierung brachte. Nofretete bleibt uns als eine große Schönheit im Gedächtnis, für ihr feines Gesicht voller Anmut und Sinnlichkeit. Folgt man jüngeren Untersuchungen, dann war sie womöglich noch viel mehr.
Diese Kreiselscheibe mit Alabastereinlage könnte dem Spiel gedient haben. Sie wurde in der Grabkammer des Hemaka gefunden, Kanzler des Pharao Den während der 1. Dynastie.
Während der 19. Dynastie (1295–1186 v. Chr.) gelang Tausret durch ihren Gemahl und einen königlichen Erben der Zugang zur Macht. Als mutige Alleinherrscherin verzichtete sie auf geheime Identitäten, neue Namen oder Maskulinisierung. Ihr Grab im Tal der Könige zeigt sie als weiblichen König. Nach ihr ruhte die weibliche Macht in Ägypten für tausend Jahre. Das Land, in dem Frauen wiederholt aufgestiegen und bis an die Spitze gelangt waren, fiel unter fremde Herrschaft. Dann betrat Kleopatra VII. die Szene. Als Mitglied einer mazedonisch-griechischen Herrscherfamilie gehört sie streng genommen gar nicht auf die Liste ägyptischer Königinnen. Doch auch sie regierte Ägypten und wusste vermutlich von den großen Frauen, die vor ihr auf dem Thron saßen. Kleopatra war eine meisterhafte Taktikerin, die ihre Beziehungen ebenso zum Wohle Ägyptens wie auch für ihre eigenen Ziele zu manipulieren wusste.
Ägyptens politisches System ermöglichte diesen Frauen die Regentschaft – es verlangte geradezu, dass sie die Arena der Macht betraten. Auf den folgenden Seiten versuchen wir, dies zu verstehen und die Strategie jeder einzelnen Königin zu analysieren. Die meisten Frauen gelangten nicht durch Gewalt an die Macht, sondern durch politischen Konsens. Sie waren sich der Notwendigkeit bewusst, ihre Macht ständig absichern zu müssen, anstatt sich in die Brust zu werfen und Kriegstrommeln zu rühren. Das machte sie in Momenten der Krise unentbehrlich. Die ägyptische Gesellschaft erhob ihre Königinnen und ließ sie an die Spitze aufsteigen, weil Frauen gewöhnlich nicht zu militärischen Eroberungen und ungestümen Aggressionen neigen.
Das bedeutet nicht, dass die Herrscherinnen ausschließlich friedfertig waren. Hatschepsut befahl grausame Strafexpeditionen, Tausret war vermutlich in das Attentat auf einen Kanzler involviert. Im Allgemeinen jedoch tendierten die weiblichen Herrscher nicht dazu, Kriege gegen die eigene Bevölkerung anzuzetteln. Meist entpuppten sie sich als kluge Wahl für ein besonnen agierendes Ägypten.
Vor langer Zeit in einem fernen Land hatten Frauen mit einer Regelmäßigkeit das Sagen, die Historiker heute verblüfft. Ägypten unterstützte weiblichen Ehrgeiz im Wissen, dass dieser das Land auf einen umsichtigen und stabilen Kurs lenkte. Sehen wir uns an, wie diese Frauen es an die Spitze ihrer Gesellschaft geschafft haben.
DIE AUTORIN
Kathlyn Cooney ist Professorin für ägyptische Kunst und Architektur an der University of California (UCLA) in Los Angeles. Ihr Spezialgebiet sind handwerkliche Produktion, die Erforschung von Sarkophagen sowie Wirtschaftssysteme der Alten Welt. Ihren Ph.D. in Ägyptologie erhielt sie an der Johns Hopkins University.
Diese Augabe von NATIONAL GEOGRAPHIC Special basiert auf Cooneys Buch „When Women Ruled the World: Six Queens of Egypt“, erschienen 2018.
In ihrer aktuellen Forschung über die Wiederverwendung von Sarkophagen konzentriert sich Cooney vor allem auf die 19. bis 21. Dynastie. Sie untersucht die sozioökonomischen und politischen Unruhen dieser Periode, welche auch die Gräber und Begräbnispraktiken im Alten Ägypten beeinflussten. Sie untersuchte und dokumentierte fast 300 Särge, darunter jene aus Sammlungen in Kairo, London, Paris, Berlin und im Vatikan.
Die Karnak-Tempelanlage im ägyptischen Luxor bei Sonnenaufgang. Sie stammt aus der Zeit von etwa 2055 v. Chr. bis um 100 n. Chr. und gilt als größtes jemals errichtetes religiöses Bauwerk.
Die Architektur der Djoser-Pyramide geht zurück auf Grabbauten wie Meritneiths stufengegliederte Mastaba in Abydos.
Fast 5000 Jahre liegt die Regentschaft von Meritneith zurück, der Königin der ersten Dynastie Ägyptens (3000–2890 v. Chr.). Weil ihr Sohn für die Alleinherrschaft noch zu jung war, bestieg sie den Thron. Archäologen entdeckten ihren Namen mit dem Titel der Mutter des Königs auf Siegeln und Versiegelungen aus ihrem Grab und in der Grabanlage ihres Sohnes Den, der sie später als König ablöste. Offenbar stellte ihre Wahl das geringste Risiko für die Fortführung der königlich-dynastischen Linie dar. Als königliche Mutter besaß sie die Autorität, um ein womöglich aufsässiges und verwöhntes Kind zu bändigen. Sie würde sich um dessen Erziehung zum Regenten und Krieger kümmern. Sie würde sicherstellen, dass sein Harem voller schöner junger Frauen war, die potenzielle Nachfolger gebären würden. Meritneiths Aufgabe war es, die Machtposition ihrer Familie zu erhalten. Ihre Stellung gewährte auch ihr außergewöhnliche Befugnisse.
Was wissen wir über die Welt, in die Meritneith hineingeboren wurde? Als sie ein junges Mädchen war, stand das ägyptische Königtum in vollem Glanz. Der neue König Djer, wahrscheinlich ihr Vater, war der zweite Herrscher aus Ägyptens 1. Dynastie, einer Abstammungslinie, an deren Anfang ihr vermutlicher Großvater König Aha stand. Zuvor hatten verschiedene Kontrahenten um die Macht im Königtum gekämpft und immer mehr Gebiete im Niltal und Nildelta zusammengefügt, bis es zur endgültigen Vereinigung der beiden Regionen im Norden und Süden kam.
Der Palermostein ist ein Bruchstück des Annalensteins der 5. Dynastie. Er listet die Könige der ersten Dynastien auf.
Den Tod eines Königs begleiteten Sorgen, Zweifel und Unsicherheit – das galt vor allem für die Zeit, als das Königtum noch in seinen Anfängen steckte. Aus diesem Grund versuchten die Könige der 1. Dynastie, ihre Macht mit Menschenopfern zu festigen. Ohne Skrupel ermordeten sie just jene Angehörige von Eliten, mit denen sie den Wein geteilt, am selben Tisch gespeist oder die sie nachts umarmt hatten.
Der Keulenkopf des Narmer stammt aus der Regierungszeit König Narmers, des ersten Königs der 1. Dynastie.