Die königlichen Waisenkinder - Isabell Rohde - E-Book

Die königlichen Waisenkinder E-Book

Isabell Rohde

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Beschreibung

In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkinder" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Ihre Lebensschicksale gehen zu Herzen, ihre erstaunliche Jugend, ihre erste Liebe – ein Leben in Reichtum, in Saus und Braus, aber oft auch in großer, verletzender Einsamkeit. Große Gefühle, zauberhafte Prinzessinnen, edle Prinzen begeistern die Leserinnen dieser einzigartigen Romane und ziehen sie in ihren Bann. Auf dem höchsten Punkt der kleinen Insel Veluna, versteckt hinter Palmen, Zedern und Zypressen und gerade mal für Eingeweihte vom Meer aus zu erkennen, lag die Villa des Prinzen Lorant. Und nur wenige in dem darunter liegenden Dorf wußten, wer der Mann war, der dort oben in aller Abgeschiedenheit jeden Sommer verbrachte. Vielleicht waren die dreihundertvier Stufen, die man zur Villa hinaufsteigen mußte, schuld daran, wenn sich die Neugier der Menschen in engen Grenzen hielt. Von den Touristen, die vereinzelt vom Festland mit der Fähre zur Insel übersetzten, fragte nur selten einer, ob es zuträfe, daß dort oben der berühmte Theaterschauspieler Lorante seinen Sommersitz habe. Die Inselbewohner stellten sich dann dumm und taten so, als wüßten sie gar nicht, wer das war. Dabei hatte sich hier und da schon herumgesprochen, daß Lorante und der Prinz Lorant von Omberland ein und derselbe Mann waren, der sich hier aber nur als Ruhe suchender Künstler niedergelassen hatte. So war es und sollte es bleiben. Auch wenn ab und an in bunten Zeitungen nachzulesen war, wie ausgiebig Lorante und seine Frau Desirée West ihr junges Glück auf der Insel genossen. Und nur ganz Kluge wußten, daß der ältere Bruder von Lorant nun als König Wolfhard auf dem Thron des Königreichs Omberland saß und der Jüngste der drei, Kronprinz Roger, ihm einst darauf folgen mußte. Denn Lorant hatte aus Liebe zum Theater auf die Krone verzichtet und sich inzwischen als hervorragender Bühnendarsteller weltweit einen guten Namen gemacht. Aber wen interessierte das schon, solange König Wolfhard und seine Königin Sybille so vorbildlich an der Spitze ihres Reichs standen? Lorante, wie sie den schauspielernden Prinzen hier nannten, und seine Frau Desirée konnten ihr Leben in der Villa also wirklich unbeschwert genießen. Solange ihre Namen nicht in den Klatschspalten auftauchten, kümmerte sich während der Sommermonate kein Mensch um die beiden. Auch sonst war auf der Insel Veluna so gut wie gar nichts los. Jetzt, da es von Tag zu Tag heißer wurde, hockten sich höchstens eine Handvoll Fremde auf die Sessel vor dem einzigen Café im Ort. Wenn sie abends zurück zum Festland fuhren, sagte man sich hier bald Gute Nacht. Nein, hier war nicht viel los. Alles ging seinen gemächlichen Gang, und wenn morgens Lorante die vielen Stufen von der Villa ins Dorf hinunter eilte, um noch vor dem Acht-Uhr-Glockengeläut das Frühstücksbrot bei der Bäckerin Alma zu holen, sah sich keiner nach ihm um. Heute unterhielt sich Lorante etwas länger mit Alma, dann stieg er mit den fünf Weißbroten schneller als sonst die Stufen zur Villa hinauf. Seine schöne Frau Desirée und die vier Angestellten warteten sonst ungeduldig auf die backfrische Ware.

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Fürstenkinder – 77 –

Die königlichen Waisenkinder

Pia nahm sie an ihr Herz – und fand ihr Glück

Isabell Rohde

Auf dem höchsten Punkt der kleinen Insel Veluna, versteckt hinter Palmen, Zedern und Zypressen und gerade mal für Eingeweihte vom Meer aus zu erkennen, lag die Villa des Prinzen Lorant. Und nur wenige in dem darunter liegenden Dorf wußten, wer der Mann war, der dort oben in aller Abgeschiedenheit jeden Sommer verbrachte. Vielleicht waren die dreihundertvier Stufen, die man zur Villa hinaufsteigen mußte, schuld daran, wenn sich die Neugier der Menschen in engen Grenzen hielt.

Von den Touristen, die vereinzelt vom Festland mit der Fähre zur Insel übersetzten, fragte nur selten einer, ob es zuträfe, daß dort oben der berühmte Theaterschauspieler Lorante seinen Sommersitz habe. Die Inselbewohner stellten sich dann dumm und taten so, als wüßten sie gar nicht, wer das war. Dabei hatte sich hier und da schon herumgesprochen, daß Lorante und der Prinz Lorant von Omberland ein und derselbe Mann waren, der sich hier aber nur als Ruhe suchender Künstler niedergelassen hatte.

So war es und sollte es bleiben. Auch wenn ab und an in bunten Zeitungen nachzulesen war, wie ausgiebig Lorante und seine Frau Desirée West ihr junges Glück auf der Insel genossen. Und nur ganz Kluge wußten, daß der ältere Bruder von Lorant nun als König Wolfhard auf dem Thron des Königreichs Omberland saß und der Jüngste der drei, Kronprinz Roger, ihm einst darauf folgen mußte. Denn Lorant hatte aus Liebe zum Theater auf die Krone verzichtet und sich inzwischen als hervorragender Bühnendarsteller weltweit einen guten Namen gemacht. Aber wen interessierte das schon, solange König Wolfhard und seine Königin Sybille so vorbildlich an der Spitze ihres Reichs standen?

Lorante, wie sie den schauspielernden Prinzen hier nannten, und seine Frau Desirée konnten ihr Leben in der Villa also wirklich unbeschwert genießen. Solange ihre Namen nicht in den Klatschspalten auftauchten, kümmerte sich während der Sommermonate kein Mensch um die beiden. Auch sonst war auf der Insel Veluna so gut wie gar nichts los. Jetzt, da es von Tag zu Tag heißer wurde, hockten sich höchstens eine Handvoll Fremde auf die Sessel vor dem einzigen Café im Ort. Wenn sie abends zurück zum Festland fuhren, sagte man sich hier bald Gute Nacht. Nein, hier war nicht viel los. Alles ging seinen gemächlichen Gang, und wenn morgens Lorante die vielen Stufen von der Villa ins Dorf hinunter eilte, um noch vor dem Acht-Uhr-Glockengeläut das Frühstücksbrot bei der Bäckerin Alma zu holen, sah sich keiner nach ihm um.

Heute unterhielt sich Lorante etwas länger mit Alma, dann stieg er mit den fünf Weißbroten schneller als sonst die Stufen zur Villa hinauf. Seine schöne Frau Desirée und die vier Angestellten warteten sonst ungeduldig auf die backfrische Ware.

»Pia!« schrie der Prinz, kaum hatte er die Villa über die geräumige Terrasse betreten. »Piaaa!«

Aber nur Franca erschien unter der Tür des ebenerdigen Wohnraums. Sie war das Mädchen für alles in der Villa, und fing den Beutel mit dem Brot geschickt auf, als er ihn ihr zuwarf.

»Wo ist Pia denn?«

Franca war immer wortkarg. Nur, wenn sie mit dem Koch stritt, wurde sie gesprächig. Seine Frage beantwortete sie deshalb nur mit einem Blick zur Süd-Terrasse der Villa.

»So, schon bei Madame? Wie brav von ihr!«

Franca nickte. Lorante streifte seine ausgelatschten Sneakers von den Füßen, klatschte in die Hände und rief: »Frühstück! Frühstück, Liebling!« Bevor er auf die Süd-Terrasse verschwand, sah er sich noch mal zu Franca um und freute sich. Sie lächelte tatsächlich. Er hatte es mal wieder geschafft!

Sein Liebling, Desirée West, als Filmstar eine berühmte Schönheit, als Schauspielerin zu ihrem Mißfallen noch nicht erfolgreich genug, lag hingegossen in der ersten Morgensonne und ließ sich gerade von Pia zwei Blatt Papier reichen. Sie nahm die beiden Faxe mit spitzen Fingern entgegen, überflog den Inhalt der Nachrichten und stöhnte dann laut auf.

»Lorante! Endlich bist du da! Warum hat das denn heute so lange gedauert? Du mußt mir helfen. Schau nur, zwei Faxe aus den USA!« Sie nahm ein Tüchlein und tupfte sich über die Stirn. »Ich bin ratlos, Lorante! Diese Produzenten sind einfach unverschämt!«

Lorante war dreißig und ein ausgesprochen schöner Mann. Für seine letzte Rolle in New York, wo er den Prinzen von Homburg spielte, hatte man ihm den Kopf kahl geschoren. Inzwischen wuchsen die dunklen Haare wieder nach, und das verlieh seinem jungenhaften Gesicht mit den blitzblauen Augen eine besondere Keckheit. Und nur die, die ihn schon auf der Bühne erlebt hatten, wußten, welch gefährlichen, vielleicht sogar brutalen Ausdruck dieses Gesicht annehmen konnte.

Jetzt lächelte er milde und erinnerte damit an einen alten, weisen Mann. »Pia wird die Faxe nachher beantworten, Liebling. Franca bringt gleich Orangensaft und frisches Brot.«

»Aber es ist heute später als sonst! Du weißt doch, ich muß meine Vitamine immer zur gleichen Zeit nehmen – mit frischem, in Orangensaft aufgeweichtem Brot.« Desirée schloß ihre schönen Augen, wobei sie sich mit einem leidenden Ausdruck in Pias Richtung wandte.

Pia Pradi kannte das schon. Seit gut zwei Monaten diente sie Desirée West als Privatsekretärin, und es kam nicht selten vor, daß der Filmstar sich in unangenehmen Situationen einfach blind stellte. Sie sah Lorante nur fragend an, bis er ihren Blick erwiderte.

»Nach dem Frühstück, Pia. Lassen Sie sich Zeit. Madame und ich müssen ja erstmal beratschlagen, was wir diesen Filmfritzen in Hollywood antworten…«

»Nein, nein! Es geht um den Vertrag, Lorant! Die wollen, daß ich schon im August im Studio bin. Im August! Dabei habe ich vertraglich bestimmt, daß ich erst im September mit der Arbeit anfange.«

Desirée konnte sich nicht nur blind stellen, sie konnte auch ihre sonst so zarte Stimme quälend schrill klingen lassen. Aber was sie auch immer versuchte –, sie sah dabei zauberhaft schön aus.

»In Amerika ist es jetzt Mitternacht, Liebling.«

Franca kam mit dem Riesentablett und stellte Brot, Kaffee, heiße Milch und Orangensaft bereit.

»Außerdem hat Pia bis halb drei Uhr nachts mit mir gearbeitet und verläßt uns heute für ihr erstes freies Wochenende«, fuhr er fort. »Sie hat sich vorher noch in aller Ruhe einen Kaffee verdient.« Er sah zu Pia hinüber, die mit den beiden Bögen unentschlossen am Tisch stand. »Sie nehmen doch die Mittagsfähre, Pia?«

»Ja, Hoheit.« Für Pia war Lorante ein Prinz, da konnte er noch so leutselig und nett sein.

»Und Sie nehmen hoffentlich nicht zuviel Gepäck mit. Sonst muß ich fürchten, Sie kommen nicht zu uns zurück«, fügte er lächelnd hinzu.

»Ich komme bestimmt zurück, Hoheit.«

»Aber Sie fürchten sich vor dem Besuch meines Bruders, nicht wahr? Heute nacht haben Sie’s mir gestanden. Oder ist das alles schon vergessen?«

»Nein. Aber ich werde zurückkommen.«

Desirée richtete sich auf und öffnete die Augen wieder. Lorante rückte den beiden Damen die Stühle zurecht. Er setzte sich, goß seiner Frau Orangensaft und Pia und sich Milch und Kaffee ein. Dann lehnte er sich behaglich zurück, um sein Gesicht der Morgensonne zuzuwenden.

Wie jeden Morgen verteilte Pia Stückchen des frischen Brots. Sie hielt den Blick gesenkt, denn sie ahnte schon, daß Madame gleich Fragen stellen würde. Es konnte sich nur um Sekunden handeln.

Pia Pradi war eine aparte junge Frau. Ihr schmales Gesicht mit dem blassen Teint wurde von großen dunklen Augen beherrscht. Wer wollte, konnte in diesen Augen eine ganze Welt aus Träumen entdecken, aber wenn sie mal von Herzen lachte, und das kam leider nicht oft vor, verriet diese Traumwelt kindliches Gottvertrauen und einen nicht zu brechenden Glauben an das Gute im Menschen. Und? Hatte sie damit nicht recht?

Hier in dieser Villa, beim Prinzen Lorant und seiner schönen Frau, hatte sie ihre erste Stellung und damit ihren Traumjob angetreten. Sie wurde so gut bezahlt, wie sie es nie erhofft hatte, und konnte, wenn sie im Herbst zurück aufs Festland kam, bestimmt eine andere berufliche Herausforderung finden. Drei Monate als Privatsekretärin von Desirée West und Lorante –, die machten aus ihr eine erfahrene Bürokraft, um die sich die anspruchsvollsten Chefs reißen würden.

Ein kleines Lächeln huschte über ihre Lippen. Der gute Pater Franco würde vor Stolz schnaufen und eine Messe lesen!

»Ich dachte, du und Pia arbeitet an deiner Rolle als Hamlet auf Spanisch«, begann Desirée da schon. »Und dabei unterhaltet ihr euch über den Besuch deines Bruders?!«

Pia hob den Blick. Lorante erwiderte ihn kurz, dann wandte er sich Desirée zu. »Pias Spanisch ist perfekt. Wie ihr Französisch und Englisch. Und was der alte Shakespeare an Umgangssprache vermissen läßt, haben wir zur Erholung in einem ganz normalen Gespräch geübt.«

»In Buenos Aires auf der Bühne wird Hamlet von dir erwartet, Lorant! Kein normaler Umgangston auf Spanisch!«

»… was allgemein bekannt ist, mein Schatz! Aber nur dank unseres normalen Plaudertons vertraute Pia mir an, wie sie sich vor dem Besuch meines Bruders fürchtet.« Er zwinkerte in die Sonne. »Als ob Wolfhard ein Ungeheuer ist! Und seine Frau, die liebenswerte Sybille, eine Hexe!« Er nahm das Stück Brot, schnupperte daran und schloß genießerisch die Augen. »Und übrigens, heute bei der Bäckerin Alma hat’s etwas länger gedauert, weil ich für Wolfhards Stipvisite bei uns gleich Brot und Kuchen bestellt habe. Große Mengen Mandelkuchen, den sie in Almas Backstube so toll zubereiten, schmecken auch einem König!«

»Bist du verrückt? Mandelkuchen von der Insel Veluna für deinen Bruder!« empörte Desirée sich. »Wenn sich herumspricht, daß wir das Königspaar erwarten, kommt vielleicht das halbe Dorf hier hinauf. Und ich brauche doch meine Ruhe, Lorant!«

»Es spricht sich aber nicht herum. Alma weiß doch gar nicht, von wem wir Besuch bekommen. Nur, daß wir vier Esser mehr am Tisch haben als sonst.«

Pia sah ihn über den Rand ihrer Kaffeeschüssel an. »Vier…?«

»Ja, zwei Leibwächter sind dabei. Zum Schlafen werden wir sie unten im Dorf unterbringen«, grinste er frech. »Und Sie, Pia, halten sich an Ihr Versprechen, nicht wahr? Nicht mal Ihr Freund Pater Franco sollte erfahren, daß mein Bruder für zwei Tage bei uns bleibt. Inkognito heißt das, wie Sie wissen.« Und dann lachte er leise, bis Pia verlegen nickte und er ihr ermunternd zuzwinkerte.

*

Pater Franco war viel zu früh zur Anlegestelle der Fähre gekommen. Jetzt stand er da und atmete schwer, weil die Hitze ihm immer zu schaffen machte. Seine dunkle Soutane ließ sein Bäuchlein zwar nicht so üppig wirken, aber ihr Stoff war so schwer, daß sich die Hitze darunter staute.

Mit einem roten Tuch wischte er sich den Schweiß von der Stirn, wobei er auch immer wieder einen Gruß erwidern mußte. Er kannte ja jedes seiner Schäfchen in der Gemeinde, sogar die, die sich nicht regelmäßig zur Messe einfanden. Eine nette Dame, die gottesfürchtige Apothekersgattin, kam jetzt sogar auf ihn zu.

»Sie erwarten Besuch, Hochwürden?«

»Pia Pradi«, entgegnete er knapp, denn gerade legte die Fähre an. Und er fieberte doch dem Augenblick entgegen, in dem Pia über das schwankende Brückchen auf ihn zukam. An ihrem Blick würde er erkennen, wie es ihr ergangen war, ob sie zu viel oder zu wenig zu tun hatte und ob der Prinz und seine Frau auch nett zu ihr waren!

»Ach, die kleine Pia!« Die Apothekersgattin zog ihre Oberlippe etwas hoch und rümpfte die Nase.

»Sie ist ein Geschöpf Gottes wie wir alle, Señora. Ja, und ein besonderes Geschöpf!« betonte er leicht verärgert.

»Natürlich! Natürlich! Wer einen so großzügigen Wohltäter hat wie Sie, muß ja etwas Besonderes sein!« Sie nickte ihm zu und entschwand in der Menge der Wartenden. Pater Franco schnaufte etwas stärker. Hier im Ort gab es also immer noch Menschen, die für ein Findelkind wie Pia nichts übrig hatten. Wenn sich inzwischen herausgestellt hätte, daß Pia einen reichen oder adeligen Vater gehabt hätte oder ihre Mutter eine arme verblendete Kreatur aus bürgerlichen Kreisen war, spräche man bestimmt respektvoller von ihr. Aber so galt sie noch immer als das kleine, armselige Bankert, das ihm in einer kalten Winternacht wahrscheinlich von einer Zigeunerin vor die Kirchentür gelegt worden war.

Oder waren einige Leute nur mißgünstig, weil er Pia zu einem guten Schulabschluß und zum Sprachenstudium in Mailand verholfen und auch dafür bezahlt hatte? Denn ihre Pflegeeltern Tino und Maria waren herzensgute Menschen, aber weit davon entfernt, ihr mehr zuzutrauen, als in ihrem kleinen Lädchen Schuhe, Nadeln und Knöpfe zu verkaufen.

»Pater Franco!«

Voller Unbehagen mußte er der Apothekersgattin nachgesehen und die Anlege-Brücke aus den Augen gelassen haben. Denn Pia hatte schon das Festland betreten und ihn entdeckt. Sie strahlte noch genauso wie das kleine Mädchen, dem er zu Weihnachten immer bunte Heiligenbildchen geschenkt hatte. Und sie trug noch das gleiche dunkle Kostüm wie an dem Tag, als er sie auf Veluna zum Vorstellungsgespräch beim Prinzen begleitet hatte.

Das beruhigte ihn, denn es zeigte doch, daß sie sich nicht von der teuren Eleganz der Prinzengattin in Versuchung führen ließ und bescheiden geblieben war. Aber dieses umwerfend strahlende Lächeln! Und dann dieser Gang und das Leuchten in ihren Augen! Das alles verhieß nichts Gutes. Sie war ja kein Baby mehr, auch nicht mehr zehn, sondern vierundzwanzig und eine wohlgeformte junge Frau. Tja, und bis Weihnachten, wenn er ihr neue Heiligenbildchen überreichte, waren noch fünf Monate hin. Konnte eine so sympathische junge Frau nicht doch bis dahin auf den falschen Weg geraten?

Pia ließ ihm ihre Tasche direkt vor die Füße fallen. »Wie nett, daß Sie mich erwarten, Hochwürden!«

»Gelobt sei Jesus Christus, Pia!«

»Ja, Amen, Pater. Amen, Hochwürden!«

Sie strich ihr dunkles glänzendes Haar aus dem Gesicht und sah ihn erwartungsvoll an. Wie rund und rot seine Bäckchen waren! Und wie schwer sein Atem ging! Leicht war’s ihm bestimmt nicht gefallen, sie hier an der Fähre zu erwarten. Und anzunehmen, daß er jetzt ihre Tasche trug, war natürlich Quatsch. Er war Pater Franco und kein Prinz Lorant oder dessen jüngerer Bruder Prinz Roger, der sich bei seinem Besuch vor Monaten genauso ritterlich und galant gezeigt hatte.

»Es ist heiß, Pater. Ob ich Sie drüben zu einem Eis einladen darf?« fragte sie und hob ihre Tasche selbst an.

»Eis? Du willst mich zu einem Eis einladen?«

»Ja, weil ich so viel zu erzählen habe! Wollen Sie nichts davon wissen?«

»Aber willst du denn nicht zu Maria und Tino in den Laden! Sie erwarten dich doch!«

»Ja, das tun sie. Aber erst mit der letzten Fähre. Und ich will nicht mit leeren Händen zu ihnen kommen. Ich verdiene doch gut, Hochwürden. Ein Dankesgeschenk wär’ da schon angebracht. Begleiten Sie mich wenigstens? Sie dürfen etwas aussuchen für Maria und Tino. Etwas Besonderes, das den beiden wirklich Freude macht.«

Sie ging schon los, und er folgte ihr. »Nicht in der Hitze, Pia. Laß uns deine Tasche erst in der Sakristei absetzen. Dort ist es kühler. Und da spricht es sich auch leichter, weil wir ungestört sind.«

»Hm. Nun ja. Gut.«

Es war nicht weit bis zur Kirche. Mit den vielen Stunden, die sie früher schon mit ihm in der Sakristei verbracht hatte, verband Pia nicht nur angenehme Erinnerungen. Immer hatte Pater Franco sie dort zu Gehorsam, Pflichtbewußtsein und Fleiß angehalten. Sogar in den Ferien, während ihre Freundinnen durchs Städtchen schlenderten und sich von den Jungens nachpfeifen ließen, hatte er Vokabeln und Mathe mit ihr gebüffelt. Sie sah ihn an und mußte lächeln. Nein, das konnte er ihr jetzt nicht mehr antun! Sie war oben in der Villa Privatsekretärin, und der Prinz studierte sogar seinen spanischen Hamlet-Text mit ihr ein. Nein, sie war kein kleines Mädchen mehr.

»Wenn ich ein Glas kühles Wasser von Ihnen bekomme, kann ich auf das Eis verzichten, guter Pater Franco!« bekannte sie.

Durch das Kirchenschiff mit seinem Geruch nach Weihrauch und Kerzendochten hinein in die kühle Sakristei! Pia ließ die Tasche auf den Boden plumpsen, und während Pater Franco ihr Quellwasser in ein Glas füllte, setzte sie sich schon, verschränkte die Arme im Nacken und begann zu erzählen.

Was für liebenswerte Menschen dort oben in der Villa auf Veluna lebten! Wie einfach und bescheiden sie ihren Alltag verbrachten und wie großmütig besonders der Prinz ihr in den ersten Wochen jeden kleinen Fehler nachgesehen habe!

»Du… du hast Fehler gemacht! Nach deinem guten Examen in Mailand?!«

»Nein, nicht bei den Büroarbeiten. Auch nicht, wenn ich mit den amerikanischen Produzenten oder mit dem Theater-Intendanten in Buenos Aires telefonieren muß. Nur… im Umgang mit Madame.«

»Madame…? Die Frau des Prinzen sprichst du als Madame an? Nicht Hoheit?«