Die Kraniche fliegen nicht - Gerd Pechstein - E-Book
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Die Kraniche fliegen nicht E-Book

Gerd Pechstein

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Beschreibung

Die Überwinterung von Maria und Alex begann im Glück. Perfektes Urlaubsfeeling mit Sonne, Meer und Palmen begleiten sie zunächst während ihres Aufenthalts auf den Kanaren. Das Glück wird vollkommen mit dem Besuch des kleinen Enkels Jonas. Plötzlich änderte sich alles. Viele Urlauber erfasste eine Unruhe, ja Angst, nicht in die Heimat zurückkehren zu können. Die Unterhaltungen werden zunehmend von gesellschaftspoli-tischen Themen bestimmt. Dies spüren Maria und Alex bei ihren Wanderungen am Meer bei Begegnungen mit Bekannten immer wieder neu. Die in den Vorjahren gewohnte Ruhe, das eins werden mit der Natur, gelingt immer weniger. Die psychische Belastung bei Maria nahm täglich zu, Angst und Panikattacken erfassten sie, depressive Phasen häuften sich. Alex sucht nach Wegen, Maria zu helfen, ihre Ängste zu überwinden. Wird es ihm gelingen? Bringt sie doch noch ein „Kranich“, wie sonst der Ferienflieger liebevoll genannt wird, zurück in die Heimat? Ein autofiktionaler Roman über eine Reise mit ungewissem Ausgang.

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Inhaltsverzeichnis

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

NACHWORT

Impressum

Gerd Pechstein

Die Kraniche

fliegen nicht

Roman

Für Ilona,

die mich dies schreiben ließ.

Ich habe gelernt, dass Mut nicht

die Abwesenheit von Angst ist,

sondern der Triumph über sie.

Der mutige Mensch ist nicht der,

der keine Angst hat,

sondern der, der diese Angst überwindet.

Nelson Mandela

KAPITEL 1

Die Strahlen der Herbstsonne durchbrachen die schnell ziehenden weißen Wolken und fanden den Weg bis in das kleine Zimmer.

Meist saß Alex, so auch heute, dort in der Nähe des Fensters an seinem PC.

Plötzlich hörte er die unnachahmlich fragende und gleichzeitig auffordernde Stimme seiner Frau Maria aus dem Wohnzimmer:

„Alexander, was machst du denn schon wieder am PC? Du sollst doch deine Augen schonen. Komm, hilf mir beim Tisch decken.“

Er schüttelte seinen Kopf und holte tief Luft. Diese Art der Ansprache, geprägt von Unverständnis für seine Hobbys, konnte er partout nicht leiden.

Und immer kamen solche Aufträge zum unpassenden Zeitpunkt. Wenn Maria ihn mit Alexander ansprach, dann war sie verärgert.

„Ich kann jetzt nicht“, rief er zurück. „Bin gerade dabei, unseren Flug für die Überwinterung zu buchen. Ist jetzt wichtiger als den Tisch zu decken.

Der Buchungszeitpunkt ist wegen des Black Friday gerade günstig. Der Preis kann sich im Handumdrehen ändern. Ist wie bei den Preisen an der Tankstelle.“

„Komisch, immer wenn ich deine Hilfe benötige, bist du unabkömmlich. Da warte ich also noch mit dem Mittagessen. Sag bitte Bescheid, wenn du soweit bist. Es ist alles schon fertiggekocht. Du kennst dich: Ist das Essen nicht mehr heiß auf dem Teller, bist du der Erste, der über das kalte Essen meckert.“

„Ja, ich komme sofort nach Abschluss der Buchung“, rief er zurück.

Alex bemerkte die leichte Verärgerung, aber spürte auch ein gewisses Verständnis für seine Situation.

Plötzlich ein lauter Knall. Er sprang auf und wollte nachsehen, was passiert ist. Maria war nicht zu sehen. Es klingelte. Er ging zur Tür.

Überrascht sah er Maria vor der Tür. „Du?“, fragte er irritiert. „Ich denke, du bereitest das Essen zu? Hast du keinen Schlüssel?“

„Ich wollte nur zum Briefkasten und da schlug ein Luftzug die Tür zu. Wozu den Schlüssel, du bist doch da.“ Alex schüttelte den Kopf.

Er hat noch Marias Spruch im Ohr: „Ohne Schlüssel verlässt man keine Wohnung oder man will dem Schlüsseldienst zum Auftrag verhelfen.“

Doch er antwortete nur: „Ich meinte vor Tagen gehört zu haben, dass dir so etwas nie passiert.“

Wortlos zwängte Maria sich an ihrem Mann vorbei in die Küche.

Alex ging flugs wieder zum PC. Hoffentlich sind die Seite und die begonnene Buchung noch vorhanden, brummelte er vor sich hin.

Er fand alles noch so vor, wie er es verlassen hatte. Er atmete tief durch, ordnete seine Gedanken und folgte den Anweisungen des Anbieters.

„Wie weit bist du denn nun. Ich wärme jetzt schon das dritte Mal das Essen auf“, hörte er Maria rufen.

„Du hältst mich nur von der Arbeit ab und dadurch verzögert sich alles. Ich komme, wenn ich fertig bin“, antwortete er verärgert und fügte hinzu: „Und pass auf, dass die Türen nicht zuschlagen. Die Nachbarn werden aus dem Mittagsschlaf gerissen.“

Das musste er noch loswerden.

Er mag keine Störung bei solchen Arbeiten. Er hat sich angewöhnt nur kurz auf diese Rufe seiner Frau zu antworten, keine weitergehende Diskussion zu provozieren. Und jetzt ging die Flugbuchung vor.

Inzwischen kam er mit der Internetbuchung gut zurecht. Nur die vielen Fragen zu den Zusatzleistungen, die den Preis nach oben treiben, nervten.

Er durfte nichts vergessen, kein Kästchen zu viel an-kreuzen. Alles zig Mal überprüfen, damit man nicht in eine Kostenfalle des Anbieters tappte oder Hinweise übersah.

Ein Tippfehler durfte keinesfalls bei den wichtigen Personenangaben entstehen. Der Ärger wäre vorprogrammiert und würde teuer werden.

Es ist nicht so leicht, mit fast achtzig dies zu bewältigen. Doch klagen hilft nichts. Man muss diese Verbraucherfallen erkennen und umgehen.

Alex brummelte vor sich hin, denn es störte ihn das fehlende Verständnis von Maria für seine Arbeit.

Sie scheut den PC wie der Teufel das Weihwasser. Nochmals alles kontrollieren, vor allem auch die Namen, Geburtsdaten und schon konnte er die Buchung abschließen.

„Bin fertig“, rief er erleichtert Maria zu. „Hat alles funktioniert und wir haben einen Superpreis. Konnte auch gleich den Rückflug für Anfang April buchen. Ich bin echt stolz auf mich.“

„Immer mit deinem Eigenlob. Hast recht, wenn ich dich nicht hätte, ich wäre aufgeschmissen. Überall diese PC-Terminals und Automaten, egal ob Bank, Post oder Bahn.

Die Nachbarin klagt auch immer. Ihre Zugtickets müssen immer die Kinder beschaffen. Ich freue mich schon, dass ich zumindest einige Nachrichten mit dem Smartphone versenden und im Internet surfen kann.

Ich mag diese Technik und Digitalisierung nicht. Ist für junge Leute, die damit aufwachsen.“

So ging die nun belanglose Unterhaltung hin und her, eigentlich wie immer, denn viele Themen gab es nicht, wenn man im meist trüben kalten Spätherbst kaum aus dem Haus kam.

„Jetzt komm aber zum Essen. Hast es dir doch verdient. Mach später weiter.“

Er spürte den versöhnlichen Ton, wusste, Maria hat es nicht so gemeint.

Sie wollte aber auch Anerkennung ihrer Hausarbeit.

Nach mehreren Jahrzehnten Ehe verstand und half man sich, brauchte nicht viele Worte. Doch jetzt ist es anders. Reisevorbereitungen sind für Ältere immer stressig – zumindest für Maria und Alex.

Die Zeit bis Weihnachten verging wie im Fluge. Der Besuch bei der Familie des Sohnes Stefan gehörte dazu.

Der kleine Enkel Jonas freute sich auf das Christkind. Gemeinsam mit der Mama hatte er viele Wünsche dem Christkind aufgeschrieben und gemalt.

Immer dabei, Max, der Golden Retriever, der Jonas nicht von der Seite wich. Jede seiner Bewegungen verfolgte er mit seinen treuen, hinter den Fellhaaren versteckten Augen. Nur selten ließ er ein Bellen hören.

Der Kirchgang unterschied sich von den Vorjahren, denn dieses Jahr spielte Jonas beim Krippenspiel mit.

Er war der Josef mit Hut und einem dicken knorrigen Stock. Zum Text durfte er das Mikrofon nehmen, was das Beste beim Theaterspielen für ihn war, wie Papa bemerkte.

„Habt ihr mich gesehen? Sah ich nicht toll mit dem Mikrofon aus?“, fragte er Oma und Opa nach dem Krippenspiel.

„Hast es gut gemacht. Wir haben alles genau beobachtet“, antwortete die Oma und man lief gemeinsam nach Hause.

Welch ein Wunder, der Weihnachtsbaum leuchtete und inzwischen hatte das Christkind Geschenke gebracht. Auch ein Mikrofon entdeckte Jonas darunter, was ihn vollständig von den anderen Geschenken ablenkte. Rasend schnell verging die Zeit.

Die Großeltern drängelten nach Hause, denn dort wartete Arbeit – die Koffer mussten fertig gepackt werden.

Eine nicht konfliktarme Arbeit und Zeit, denn Maria wollte möglichst für alle Fälle im Urlaub gewappnet sein.

Schnell füllten sich die Koffer. Dafür wurden die Schränke immer leerer.

Alex packte die Angst. Erfahrungsgemäß kamen mindestens 60 % der Sachen unbenutzt wieder nach Hause. Das Problem dabei: Maria fehlten trotzdem vor Ort wichtige Sachen. Auch diesmal wurde mehrfach umgepackt.

Maria fragte ihren Mann oft nach seinen Wünschen. Doch der antwortete kaum.

Alex wusste, die Entscheidung traf Maria. War ihm auch so recht, denn er ist nicht wählerisch.

Er braucht nur wenige Sachen bei dem sommerlichen Wetter auf der Insel, wie er immer wieder betonte. Das ärgerte Maria.

Alex verzog sich deshalb meist schnell in sein Zimmer. Nur ab und zu erschien er mit der Kofferwaage. Es dauerte.

Maria kam an die Grenze ihrer Belastung. Sie wurde immer gereizter. Der Rücken und Nacken schmerzten.

Manches unbedachte kritische Wort fiel, ehe die vorgegebenen 40 Kilogramm eingehalten wurden. Die Kofferwaage zeigte unerbittlich das Übergewicht an.

Die Tage vergingen schnell und die Abreise auf die kanarische Insel, das Paradies für Maria und Alex seit über zehn Jahren, war gekommen.

„Habt ihr die Nachricht gehört, dass in China ein neuer Virus grassiert?“, fragte sie ihr Sohn Stefan.

„Ja, wird wohl wieder so eine neue Grippevariante sein, die jährlich von Asien kommt“, meinte Alex.

„Vor zwei Jahren hatte ich mir im Flugzeug die Influenza eingefangen. Erstmals haben wir dann Silvester mit den Nachbarn mit einem Glas Kamillentee auf das neue Jahr angestoßen. Nicht wieder so einen Urlaubs- und Jahresbeginn.“

„Das glaube ich nicht, dass es nur eine neue Influenzaart ist. Das hörte sich dramatischer an. So wie damals 2003 bei der SARS-Epidemie“, entgegnete Stefan und erzählte weiter:

„Ich las Silvester eine Meldung über das Auftreten von vielen schweren Lungenentzündungen in der chinesischen Millionenmetropole Wuhan. Hoffentlich verbreitet sich das Virus nicht zu uns aus.“

Alex winkte ab. „Wird schon nicht so schlimm werden. Unsere Insel ist weit weg.“

„Nein, es scheint gefährlicher zu sein. Habe erst vorhin gelesen, dass der dortige Großmarkt, wo man alle möglichen Haus- und vor allem Wildtiere handelt, geschlossen wurde.

Dort soll das Virus aufgetreten sein und Hunderte Menschen befallen haben. Zunächst scheint man die neue Krankheit nicht ernst genommen zu haben.“

„Das hört sich wirklich nicht gut an. Doch jetzt überwintern wir erst einmal und sind weit weg von Menschenansammlungen.

Wir werden die Entwicklung jedoch weiterverfolgen. Danke für den Hinweis.“

Nun wandte sich Stefan wieder dem Beladen des Autos mit dem Reisegepäck zu. Er ärgerte sich über die Gelassenheit seines Vaters.

Pünktlich kamen sie am Flughafen an. „Passt gut auf euch auf. Ist ja nicht lange hin und ihr müsst unseren Besuch ertragen“, sagte Stefan lächelnd noch zu seinen Eltern, verabschiedete sich und schon tauchte er in den Massen von hektisch laufenden Reisenden unter.

Das Einchecken verlief problemlos, jedoch am Gate bewegte sich zum vorgesehenen Boarding nichts. Alex fragte nach.

„Wissen sie das nicht? Der Flug startet etwa zwei Stunden verspätet. Wir haben doch alle beim Check-in informiert“, antwortete der Mitarbeiter am Einlass, Alex fragend ansehend.

„Uns nicht“, antwortete Alex misslaunig. „Wir gehörten wohl nicht zu den VIP-Fluggästen.“

Seinen Ärger konnte er nicht verbergen. Doch schon Sekunden später bedauerte er seine spitze Bemerkung. Der Mitarbeiter sah Alex irritiert an.

„Da haben sie bestimmt zu Beginn eingecheckt. Sorry, mein Herr“, sagte der Angestellte am Zugang zum Flugsteig. „Die Maschine kommt aus Oman und hat Verspätung.“

Alex setzte sich wieder zu Maria und informierte sie, die ihn erschrocken ansah.

„Da kommen wir ja im Dunklen auf den Kanaren an. Die Verwalterin Sophia kann doch nicht am Bungalow bis nach 22 Uhr auf uns warten.“

„Komm, mach mit deiner ewigen Schwarzmalerei kein Problem draus. Ich werde mit ihr schnell eine Lösung finden.“

„Auch haben wir nichts zum Essen und kein Trinkwasser“, ergänzte Maria unbeeindruckt.

Alex reagierte genervt. Typisch Maria. Immer pessimistisch und das Haar in der Suppe suchend.

„Du weißt, zumindest eine Flasche Wasser und Wein stehen bereit. Lass uns doch erst einmal ankommen. Die Geschäfte sind bis 22 Uhr geöffnet. Auch die Anreise ist schon Urlaub und sollte ohne Hektik verlaufen. Immer deinen Stress ohne triftigen Grund.

Ich werde alles regeln. Die Situation können wir sowieso nicht ändern, nur warten.“

Er nahm sein Smartphone und informierte Sophia über die neue Situation.

Schnell kam die Antwort, dass Maria und Alex nach Ankunft den Schlüssel in ihrer Wohnung abholen sollten.

„Ihr kennt euch ja aus, besitzt meine Adresse und im Bungalow ist alles wie immer vorbereitet. Hier sind es noch 23 °C bei Sonnenschein“, schrieb Sophia.

Alex zeigte Maria die Nachricht. „Siehst du, alles regelt sich. Das Mietauto werden wir schnell erhalten und unterwegs im Einkaufscenter können wir das Wichtigste einkaufen.“

Maria schien zufrieden, doch die Dunkelheit besorgte sie weiter.

„Was machst du dir Gedanken um die Dunkelheit. Ich muss doch das Auto fahren. In einer Stunde sind wir am Ziel. Alles wird gut.“

Damit beendete Alex die Diskussion. Marias sorgenvolle Miene blieb; doch sie schwieg.

Mit zwei Stunden Verspätung, so wie angekündigt, startete polternd das Flugzeug. Keine Minute der Verzögerung wurde nicht aufgeholt. Es fehlte der Rückenwind, wie der Flugkapitän wiederholt betonte.

Die Koffer kamen nach der Ankunft schnell und die Übergabe des Pkw vollzog sich am Schalter zügig.

Hier wirkte die Verspätung positiv, denn es warteten keine Passagiere anderer Flugzeuge, die ein Auto mieten wollten.

Sophia wurde schnell von der Ankunft informiert und schon befanden sie sich auf dem Weg zum Bungalow.

Der Einkauf konnte schnell erledigt werden, was jedoch die Ankunft im Urlaubsort weiter verzögerte.

Nach herzlicher Begrüßung, kurzer Umarmung und kleinem Wortwechsel erhielt Alex von Sophia die Schlüssel. Nach nur wenigen Minuten Fahrt erreichten sie den Parkplatz an der Bungalowsiedlung und erleichtert bezogen sie ihr Quartier für die nächsten drei Monate.

Sie schnauften kurz durch, setzten sich an den Tisch der noch warmen Terrasse, betrachteten den fast vollen Mond und erfrischten sich mit einem Glas Wasser.

Die Reiseanstrengungen zeigten Wirkung. Ist man durch die Verspätung doch länger als sonst unterwegs gewesen. Es ist schon fast Mitternacht.

Dieses kurze Innehalten, das Genießen des Ankommens unter fremden Sternen, musste sein.

Man hörte in der Ferne das tosende Meer. Der recht kräftige Wind wehte die Meeresluft über die Insel. Maria meinte schon das „Salz auf den Lippen“ zu spüren. Alex lächelte.

Schnell wurden noch die wichtigsten Sachen ausgepackt, eine Kleinigkeit gegessen, geduscht und ab ins Bett.

Der Schlaf blieb nach der aufregenden Anreise zunächst aus. Irgendwann fielen die Augen zu, sank man in einen tiefen, erholsamen Schlaf.

Am frühen Morgen weckte sie die über dem Atlantik aufgehende glutrote Sonne durch das nach Osten gerichtete Fenster.

KAPITEL 2

Der Morgen begann, wie sie es erwarteten: Sonne, blauer Himmel, nur kleine weiße Wolken zogen durch. Nur ein warmer, leichter, etwas böiger Wind blies über die Terrasse.

Von weitem hörten sie die Brandung des Meeres. Es herrschte Flut. Zwei Möwen flogen schreiend hoch über ihnen.

Die fächerartigen Wedel der Palmen am Pool schlugen geräuschvoll aneinander.

„Die abgestorbenen Palmwedel sind seit letztem Jahr mehr geworden. Müssten einmal abgeschnitten werden“, meinte Maria.

„Das soll doch nicht deine Sorge am ersten Tag unseres Aufenthaltes sein“, entgegnete Alex gereizt, der nicht an den Ruhetag des Bäckers gedacht hatte.

Er stand deshalb vor verschlossener Tür und musste somit zum Backwarengeschäft im anderen Shoppingcenter laufen.

Eigentlich kein Problem für ihn. Er lief gern, doch er ärgerte sich wegen seiner Vergesslichkeit.

Es war warm. Wie gewohnt wurde das Frühstück auf der Terrasse unter dem Sonnenschirm regelrecht zelebriert.

Die meist noch warmen, frischen Baguettes schmeckten ihnen. Dazu der fantastisch blaue Himmel und die wärmeren Sonnenstrahlen am frühen Morgen. Auch das zog sie im Winter auf die Insel.

Das Lesen der letzten Ausgabe der Fuerteventura-Zeitung, die Alex vom Shoppingcenter mitgebracht hatte, gehörte dazu. Sie wollten informiert sein.

Freudig begrüßten sie die Nachbarn, die bereits im vorigen Jahr den Nachbarbungalow gemietet hatten.

Die ersten Tage verliefen wie die Jahre zuvor: Bevorraten im großen Supermarkt, solange das Mietauto verfügbar war. Dazu einige Ausflüge auf der Insel und täglich eine Wanderung am Strand.

Letzteres mochten Maria und Alex besonders, da durch die Brandung und die Wucht der heranstürmenden Wellen die Luft besonders salzhaltig war und mit hoher Feuchtigkeit eingeatmet werden konnte.

Dies bedeutete für die beiden sehr viel. Neben dem Glücksgefühl, dem unruhigen, lärmenden Meer nah zu sein, genoss man diese quasi endlose wiederkehrende Bewegung der Wellen und die Veränderungen des Strandes, verursacht durch Ebbe und Flut.

Nicht nur sie dachten so, sondern bei für die Urlauber günstigem Wetter in der Hochsaison könnte man unmittelbar am Meeresrand denken, sich auf einem Weg in einer stark besuchten Wanderregion in Deutschland oder Österreich zu befinden.

Dies unterschied im Winter den Strand von anderen Regionen. Die Urlauber lagen nicht nur auf den Liegen, tankten die Sonne auch beim Strandwandern.

Nein, man sucht die Bewegung, lief am langen Strand, teils durchs flache Wasser stapfend, schnell oder langsam, oft miteinander plaudernd, hin und zurück.

Doch am Strand mit seiner großen Breite verloren sich die Wanderer und je weiter man sich vom Ort entfernte, desto einsamer wurde es.

Die Liegen sind nicht dominant und engen den Strand nicht ein, wie man es aus anderen Urlaubsgebieten kennt.

Nach einigen Tagen unternahmen Maria und Alex die erste größere Tour zur Playa Barca, dem Beginn des wunderschönen Sotavento-Strandes.

Bald hatten sie den Strand für sich. Felsige Abschnitte boten Gelegenheit zur Rast, zu einem kleinen Picknick aus dem Rucksack, der sie stetig begleitete.

Sie liefen weiter, setzten sich bald wieder auf einem großen Felsen unweit von dem schäumenden Meer, dass heute aufgrund einer nicht alltäglichen Strömung Unmengen von Feuerquallen an den Strand spülte.

Diese gallertartigen, rosa aussehenden Meerestiere mit ihren Tentakeln riefen bei Maria Ekel hervor.

Sie dachte an ihre Schulzeit im Ferienlager an der Ostsee, wo sie schmerzhafte Erinnerungen an einen Badetag nach der Kollision mit einer Feuerqualle im Gedächtnis behielt.

„Sieh mal, Alex“, wendete sie sich zu ihm hin, „so etwas haben wir in den mehr als zehn Jahren unserer Überwinterung noch nicht erlebt. Ein Streifen von fast einem Meter mit diesen ekelhaften Quallen. Da möchte man nicht am Strand laufen, geschweige baden.“

„Das ist die unberührte, vom Menschen nicht beeinflusste Natur. Ich habe gelesen, dass besondere Strömungsverhältnisse dazu führen, dass die Quallen in solchen Massen in den letzten Tagen an den Strand gespült wurden.

Ist eine Ausnahmesituation. Vielleicht ist doch der Mensch schuld daran, falls die Strömungen vom Klimawandel beeinflusst werden.“

„Egal warum, es ist eklig und ich hoffe, dass der Spuk mit der nächsten Flut vom Meer wieder mitgenommen wird. Sorge dafür, sonst musst du zukünftig allein gehen", sagte sie lachend.

„Ich bin doch nicht Poseidon, der Gott des Meeres. Na ja, rückwärts nehmen wir den Weg oben auf der Steilküste. Einverstanden?“

„Natürlich, war doch nur Spaß. Gehen noch bis zu den Surfern und dort setzen wir uns unter die Bäume an die Bar in dem Palmenwäldchen. Ich trinke einen Barraquito zum Kräfte mobilisieren und schaue zu, wie die Flut die Lagune sich stetig mit Wasser füllt. Dieses Schauspiel gefällt mir immer wieder. Vor allem, wenn die Flucht der Strandwanderer beginnt.“

„Seit wann bist du so schadenfroh und hast Glücksgefühle, wenn andere vor dem Wasser flüchten müssen, um trockenen Fußes das Ufer hier am Hotel zu erreichen?“, fragte Alex erstaunt.

„Kann doch nichts dabei passieren. Das Wasser steigt nur bis zu den Knien. Außerdem trocknen die Sachen ganz schnell bei der heutigen Hitze.“

Man gönnte sich noch eine kurze Pause. Sie beobachteten das Meer und einige der um sie herumtollenden Atlashörnchen. Sie genossen diese Einsamkeit, nur unterbrochen von Strandgängern.

„Das Rasten an der Bar ist eine gute Idee", knüpfte Alex an das Gespräch an. „Ich werde wohl lieber ein Bier trinken. Komm, ich habe schon den Rucksack gepackt. Die Flut beginnt. Gehen wir los. Das Wasser engt den Strand schon ganz schön ein.

Ich nehme an, in dreißig Minuten sollten wir es bis zu der Selbstbedienungsbar am Egli-Surf-Center unterhalb des Melia Hotels schaffen.“

Maria folgte ihm und schimpfte über das Geröll unter ihren Füßen und die Felsbrocken, die auf schmalen Trampelpfaden umgangen werden mussten.

„Dies nennt man im Reisekatalog ‚Naturstrand‘. Ist doch nicht schlimm. Sieh, wie die jungen Leute fast springend diesen Parkour meistern.

Mit trittfesten Schuhen ist es für sie ein Vergnügen und sportliche Herausforderung, lange Küstenabschnitte auf diese Weise zu bewandern.

Bei uns geht es langsamer, dem Alter entsprechend.“

Dabei lachte Alex Maria zu und lief ihr voraus, den günstigsten Pfad suchend.

Die farbenfrohen Schirme der Kitesurfer über dem Meer sah man immer deutlicher. Der Wind und höherer Wellengang ermöglichten einigen, sich mit Sprüngen weit über das Meer zu erheben.

Sie hielten an dem Surfcenter vorn am Strand kurz inne, setzten sich auf die gerade frei gewordenen Stühle und beobachteten das Geschehen auf dem Wasser kurze Zeit.

Es faszinierte sie dieser akrobatische Sport. Hier konnte man schnell sehen, wer noch lernte und wer zu den Profis zählt, die sich schon in Wettkämpfen messen.

„Alex, lass uns weitergehen, mein Barraquito und dein Bier rufen“, mahnte Maria zum Aufbruch.

Dabei lachte sie diebisch, denn Alex mag es nicht, wenn er zum Laufen ermahnt wird.

Sie folgten rechts dem Weg an der Lagune entlang hin zum Hotel.

Schnell erreichten sie das Wäldchen und fanden einen schattigen Tisch, von dem man gut die Lagune und die Surfer beobachten konnten.

Ein wunderschöner Platz zum Erholen, zum Genießen des Naturereignisses der Gezeiten, das hier besonders gut beobachtet werden kann. Alex holte die Getränke an der Bar.

Langsam stieg das Wasser, eroberte sich schnell große Flächen des noch vor kurzer Zeit trockenen Strandes. Letzte Strandwanderer hasteten durch die Lagune im noch flachen Wasser Richtung Hotel.

Die Surfanfänger dagegen bereiteten sich auf die Übungsstunden vor. Die Lagune ist bei Flut ein ideales gefahrloses Terrain für die ersten Schritte auf dem Weg zum perfekten Surfer, um später auf den oft unberechenbaren Wellen des Atlantiks zu bestehen.

Gern sitzen sie hier, auch wenn der Weg mit über 3 km für ältere Personen anspruchsvoll ist.

In Gedanken versunken, Maria mit ihrem Barraquito und einer Flasche Wasser, Alex mit einem Bier aus der Dose, beobachteten sie das rege Geschehen in der Lagune und auf dem Meer.

Nicht nur sie schmunzelten mit einer gewissen Portion Schadenfreude, als einige, die den weiten Weg um die Lagune scheuten, im inzwischen kniehohen Wasser stolperten und teils komplett mit den Kleidungsstücken und Gepäck ins Wasser fielen.

Man hörte zunächst das Fluchen, auch erschrockenes Kreischen, doch dann überwog das Lachen über das Missgeschick.

Die Kinder dagegen, nur mit den Badesachen bekleidet, vergnügten sich im flachen Wasser. Patschnass kamen sie am Wäldchen, wo auch der Hotelzugang sich befand, an.

Die spöttischen Bemerkungen, der auf dem Trockenen sitzenden, mussten sie ertragen.

Inzwischen hatte ein Ehepaar am anderen Ende des Tisches von Maria und Alex Platz genommen, packten Sandwiches und für jeden einen Apfel aus.

---ENDE DER LESEPROBE---