Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Eine Novelle, die von Schmerz und Hoffnung handelt und dazu einen wahren Kern besitzt. Sadako Sasaki war ein junges gesundes Mädchen. Zumindest schien es so. Durch ein Unglück wurde ihr eine Diagnose gestellt, welche den Rest ihres Lebens beeinflussen sollte.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 63
Veröffentlichungsjahr: 2022
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Eine Novelle, die von Schmerz und Hoffnung handelt und dazu einen wahren Kern besitzt.
Es waren die ersten Lektionen des Tages. Die kalte Novemberluft zog draussen um das Schulgebäude und wirbelte einige wenige Blätter durch die Luft. Die letzten Kinder der Klasse hatten sich soeben der frostigen Kälte entzogen und sich in dem Schulzimmer eingefunden. Wie immer waren einige der Jugendlichen schon seit einer Weile da und führten Gespräche mit ihren Klassenkameraden.
Doch heute unterhielten sie sich nicht mit lockeren Gesprächen wie üblicherweise. Die Atmosphäre war nicht leicht und fröhlich. Es lag nicht daran, dass die ersten winterlichen Tage des Monats begonnen hatten, nein, es lag viel mehr an dem einen Platz, der heute schon wieder nicht besetzt war. Zuerst fiel es den meisten Schülern nicht einmal auf, denn Sota war schon immer ein eher ruhiger Mitschüler, den man leicht übersah. Doch als die Ersten auf seine Abwesenheit hindeuteten, wuchsen die Fragezeichen über ihren Köpfen. Sota war eigentlich immer anwesend, und wenn doch nicht, dann wusste immer mindestens jemand davon Bescheid. An diesem Montag war es jedoch anders. Niemand wusste, warum sein Platz schon wieder leer blieb. Schon seit dem vergangenen Donnerstag tauchte er nicht mehr in der Schule auf.
Mit dem Klingeln der Schulglocke betrat schliesslich auch die Klassen- und ebenso Deutschlehrerin das Klassenzimmer. Die Schüler standen auf und verneigten sich kurz, wie es die japanische Tradition verlangte. Ehe die Lehrerin an ihren Schreibtisch lief, liess diese ihren Blick durch das Schulzimmer schweifen. Mit zügigen Schritten näherte sie sich ihrem Pult und breitete ihre Unterlagen aus. Neben ihren üblichen Gegenständen holte sie dieses Mal auch einen kleinen Stapel Origami Papier hervor und stellte ihn mit einem ernsten Gesichtsausdruck vor sich hin.
«Heute werden wir die erste Deutschlektion streichen und über ein anderes, jedoch sehr wichtiges Thema sprechen.» Nachdem sie mit diesem Satz die Aufmerksamkeit der ganzen Klasse auf sich gezogen hatte, betrachtete sie nochmals die einzelnen Gesichter der Jugendlichen. Auf einigen liess sich Freude darüber, dass der Deutschunterricht ausfiel, erkennen, auf anderen Neugier und auf einigen wenigen Besorgnis.
«Wie euch wahrscheinlich aufgefallen ist, fehlt Sota seit einiger Zeit», während die Lehrerin eine kurze Sprechpause machte und sich zu überlegen schien, wie sie die folgenden Worte am besten ausdrücken könnte, erkannte man, wie den Schülern der Ernst der Lage bewusst wurde. Sie wussten zwar noch nicht, was ihnen erzählt werden würde, doch wenn eine Lehrperson die Abwesenheit eines Schülers so ansprach, konnte das einfach nichts Gutes bedeuten. «Sota hat mich gebeten, euch etwas mitzuteilen. Er ist momentan in einer Klinik und lässt sich aufgrund einer Essstörung behandeln. Er wird so bald nicht zurück in die Schule kommen.» Bei dieser Neuigkeit schauten sich die Schüler besorgt an. Niemandem fiel auf, dass Sota an etwas dieser Art litt. «Ist das nicht eine Mädchenkrankheit? Und wie kann es sein, dass es niemandem von uns aufgefallen ist? Ist man dann nicht extrem mager?», fragte einer der Schüler, der sich keinen Reim auf das Ganze machen konnte. «Zu deiner ersten Frage, obwohl Essstörungen bei Frauen deutlich häufiger vorkommen, ist dies auf keinen Fall eine reine Frauenkrankheit. Männer können ebenso gut von eben jener betroffen sein, wie das weibliche Geschlecht. Und der Umstand, dass Sota, ein Junge, daran erkrankt ist, macht eine diese auch nicht weniger gefährlich. Und um auch deine zweite Frage zu beantworten, nein, es muss nicht sein, dass man bei einer Essstörung mager ist,» erwiderte die Lehrerin, «es existieren verschiedenste Arten von Essstörungen. Natürlich gibt es da die Magersucht, welche du gerade eben beschrieben hast, aber das ist bei weitem nicht die Einzige. Es gibt auch andere Essstörungen, welche deutlich weiterverbreitet sind. Es gibt solche, bei denen man kaum einen Unterschied erkennen kann oder deren Auswirkungen das Gegenteil der Magersucht sind. Da gibt es zum Beispiel die Binge-Eating-Störung, bei der man bei sogenannten ‘Fressattacken’ unkontrolliert viel Nahrung zu sich nimmt. Oder auch die Bulimie, wo man nach Essanfällen die Nahrung wieder erbricht.» Bei diesen Beispielen nickten alle verstehend. «Also kann es gut sein, dass Sota schon Jahre an einer Art von Essstörung litt und es niemand von uns bemerkt hat, da man es manchmal einfach nicht sehen kann?», schlussfolgerte eine der Schülerinnen. «Genau so ist es. Es gibt aber natürlich noch viele weitere Arten von Essstörungen, doch diese drei Arten gehören zu den häufigsten. Falls euch dieses Thema noch weiter interessiert, könnt ihr nach dieser Lektion gerne zu mir kommen und ich gebe euch ein paar gute Internetseiten, wo ihr mehr darüber erfahren könnt. Doch jetzt wollen wir weiter machen.» Die Lehrerin hält den Stapel Origami-Papier in die Luft. «Wer von euch weiss, was das ist?» Natürlich eilten einige der Hände flink in die Luft. «Origami-Papier», antwortete der Schüler, den die Lehrerin aufgerufen hatte. «Und hat jemand auch eine Idee, was wir mit dem falten werden?», nach dieser Frage schnellte keine der Hände in die Luft. «Wir werden Papierkraniche falten,» eröffnete die Lehrerin, «und währenddessen wir diese falten, werde ich euch die Geschichte über Sadako Sasaki erzählen, die im Jahr 1955 gelebt hatte.»
Sadako Sasaki führte ein Leben wie jedes andere 12-jährige Mädchen im Jahr 1955. Sie wuchs in Japan auf, ging dort in die Schule und verbrachte ihre Freizeit gerne mit ihren Freunden. Sie war gut in der Schule und hatte vielseitige Interessen, doch nichts ging ihr übers Rennen. Sie liebte das Gefühl der Freiheit, welches sie überkam, wenn sie rannte. Sadako war darin auch sehr talentiert, in ihrer Freundesgruppe war sie immer die Schnellste und auch bei Wettbewerben in der Schule erreichte sie immer das Podium ihrer Kategorie. Es war kaum zu übersehen, wie sehr ihr das Rennen gefiel.
Das Wetter war schön und warm, als Sadako, wie an vielen anderen Tagen, mit ihren Freunden spielte. Wieder einmal tollten sie um ihre Häuser herum. Heute stellte es sich als besonders anstrengend heraus, denn es wurde Sadakos Lieblingsspiel gespielt. Die Freundesgruppe hatte die Regel, dass jeder Tag einer der Freunde sich ein Spiel wünschen durfte, welches sie dann an jenem Nachmittag spielten. Heute durfte sich Sadako ein Spiel wünschen und wer hätte es gedacht, sie wünschte sich, wie jedes Mal, Fangen. Doch obwohl der bisherige Tag wie jeder andere verlief, ging das Spiel an diesem Tag ganz anders vonstatten. Sadako konnte man normalerweise nur mit einer List fangen, denn wenn sie einem sah, rannte sie viel zu schnell weg und obwohl das jeder wusste, versuchten die Freunde immer wieder Sadako auch auf diese Weise zu fangen. Doch jedes Mal aufs Neue scheiterten sie.