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Was bewirkt Veränderung im Prozess der analytischen Psychotherapie? Sind es die Deutungen der Analytiker und Analytikerinnen, die ihren Patienten und Patientinnen notwenige Einsichten vermitteln? Oder sind es die Erfahrungen einer sehr persönlichen Beziehung, in der sich die Patientinnen und Patienten gesehen, vielleicht sogar getröstet oder ermutigt fühlen können? Dass Psychoanalytiker den Einfluss der Beziehungserfahrung heute höher gewichten als früher, spiegelt sich in ihren geänderten Konzepten der therapeutischen Beziehung. Aber es waren wohl die Patienten und Patientinnen, die diese Veränderungen anstießen. Früher schrieben sie dem Analytiker oder der Analytikerin die Autorität zu, dass er bzw. sie »es weiß« und ihnen erklärt, was sie verstehen sollen. Heute erwarten sie von ihm bzw. ihr eine wahrhaftige Antwort auf ihren Beziehungswunsch. Das Buch verleiht den Patienten und Patientinnen eine emanzipatorische Stimme und zeigt, wie sehr Theorie und Therapie der Psychoanalyse von den Bedürfnissen der Patientenseite geprägt werden.
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Seitenzahl: 98
Veröffentlichungsjahr: 2020
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Herausgegeben von
Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke
Jürgen Körner
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.
© 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG,
Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.
Umschlagabbildung: Paul Klee, Augen in der Landschaft, 1940/akg-images
Satz: SchwabScantechnik, GöttingenEPUB-Produktion: Lumina Datamatics, Griesheim
Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com
ISSN 2566-641X
ISBN 978-3-647-99939-5
Vorwort zur Reihe
Vorwort zum Band
1Einleitung und Überblick
2Die erste Generation der Patienten: »Aufklären und bewusst machen!«
2.1Klinische Theorie und therapeutische Methode im Modell »Aufklären und bewusst machen«
2.2Das Selbstverständnis der Psychoanalytiker im Modell »Aufklären und bewusst machen«
3Die zweite Generation der Patienten: Die Arbeit im Subjektmodell
3.1Klinische Theorie und therapeutische Methode im Subjektmodell
3.2Das Selbstverständnis der Psychoanalytiker im Subjektmodell
4Die dritte Generation der Patienten: Das intersubjektive Modell
4.1Klinische Theorie und therapeutische Methode im intersubjektiven Modell
4.2Das Selbstverständnis der Psychoanalytiker im intersubjektiven Modell
5Die Geschichte der Psychoanalyse: Vom Erklären zum Verstehen
6Rückblick
Literatur
Zielsetzung von PSYCHODYNAMIK KOMPAKT ist es, alle psychotherapeutisch Interessierten, die in verschiedenen Settings mit unterschiedlichen Klientengruppen arbeiten, zu aktuellen und wichtigen Fragestellungen anzusprechen. Die Reihe soll Diskussionsgrundlagen liefern, den Forschungsstand aufarbeiten, Therapieerfahrungen vermitteln und neue Konzepte vorstellen: theoretisch fundiert, kurz, bündig und praxistauglich.
Die Psychoanalyse hat nicht nur historisch beeindruckende Modellvorstellungen für das Verständnis und die psychotherapeutische Behandlung von Patienten und Patientinnen hervorgebracht. In den letzten Jahren sind neue Entwicklungen hinzugekommen, die klassische Konzepte erweitern, ergänzen und für den therapeutischen Alltag fruchtbar machen. Psychodynamisch denken und handeln ist mehr und mehr in verschiedensten Berufsfeldern gefordert, nicht nur in den klassischen psychotherapeutischen Angeboten. Mit einer schlanken Handreichung von 70 bis 80 Seiten je Band kann sich die Leserin, der Leser schnell und kompetent zu den unterschiedlichen Themen auf den Stand bringen.
Themenschwerpunkte sind unter anderem:
–Kernbegriffe und Konzepte wie zum Beispiel therapeutische Haltung und therapeutische Beziehung, Widerstand und Abwehr, Interventionsformen, Arbeitsbündnis, Übertragung und Gegenübertragung, Trauma, Mitgefühl und Achtsamkeit, Autonomie und Selbstbestimmung, Bindung.
–Neuere und integrative Konzepte und Behandlungsansätze wie zum Beispiel Übertragungsfokussierte Psychotherapie, Schematherapie, Mentalisierungsbasierte Therapie, Traumatherapie, internet-basierte Therapie, Psychotherapie und Pharmakotherapie, Verhaltenstherapie und psychodynamische Ansätze.
–Störungsbezogene Behandlungsansätze wie zum Beispiel Dissoziation und Traumatisierung, Persönlichkeitsstörungen, Essstörungen, Borderline-Störungen bei Männern, autistische Störungen, ADHS bei Frauen.
–Lösungen für Problemsituationen in Behandlungen wie zum Beispiel bei Beginn und Ende der Therapie, suizidalen Gefährdungen, Schweigen, Verweigern, Agieren, Therapieabbrüchen; Kunst als therapeutisches Medium, Symbolisierung und Kreativität, Umgang mit Grenzen.
–Arbeitsfelder jenseits klassischer Settings wie zum Beispiel Supervision, psychodynamische Beratung, Soziale Arbeit, Arbeit mit Geflüchteten und Migranten, Psychotherapie im Alter, die Arbeit mit Angehörigen, Eltern, Familien, Gruppen, Eltern-Säuglings-Kleinkind-Psychotherapie.
–Berufsbild, Effektivität, Evaluation wie zum Beispiel zentrale Wirkprinzipien psychodynamischer Therapie, psychotherapeutische Identität, Psychotherapieforschung.
Alle Themen werden von ausgewiesenen Expertinnen und Experten bearbeitet. Die Bände enthalten Fallbeispiele und konkrete Umsetzungen für psychodynamisches Arbeiten. Ziel ist es, auch jenseits des therapeutischen Schulendenkens psychodynamische Konzepte verstehbar zu machen, deren Wirkprinzipien und Praxisfelder aufzuzeigen und damit für alle Therapeutinnen und Therapeuten eine gemeinsame Verständnisgrundlage zu schaffen, die den Dialog befördern kann.
Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke
Was ist therapeutisch wirksam im psychoanalytischen Kontext? Ist es die Deutung als Kunst oder die Beziehung als verliehene Macht, die dem Patienten zugutekommt? Deutung und Beziehung sollten nicht gegeneinander ausgespielt, sondern integriert zur Verfügung gestellt werden. Die Psychoanalyse blickt auf eine Geschichte der Veränderung ihrer Konzepte und Interventionen zurück, die in diesem Buch unter der Hypothese erzählt wird, dass es die Patienten sind, die ihren Behandelnden neue Impulse geben und sie zu neuen Erklärungsmustern anregen. Die Psychoanalyse befindet sich unter dem Einfluss der Patientinnen und Patienten immer in einer geistigen Bewegung, was nicht unmittelbar in den institutionellen Strukturen der Ausbildung und Weiterbildung oder in den Fachgremien zum Ausdruck kommt.
Die Geschichte der methodischen Entwicklung in der Psychoanalyse lässt sich als Geschichte einer Emanzipation der psychoanalytischen Patienten erzählen. Der Autor beschreibt diese Entwicklung in drei Phasen: »Die erste Generation lauschte den Erklärungen der Analytiker, die zweite Generation suchte eine Verständigung, wie die soziale Welt – auch innerhalb der psychoanalytischen Beziehung – zu deuten sei, und die dritte forderte den Analytiker, die Analytikerin auf, sich in der therapeutischen Beziehung auch persönlich zur Verfügung zu stellen.«
Das therapeutische Verhältnis der Anfangsphase der Psychoanalyse war ein paternalistisches, in dem der Patient dem Therapeuten viel Deutungsmacht zuschrieb. Es ging dabei um »aufklären und bewusst machen«. Und so gehörte es zum Selbstverständnis der Analytiker bis in die 1980er Jahre, nicht nur eine anerkannte therapeutische Methode anzuwenden, sondern auch eine gesellschaftskritische Position einzunehmen, die die politische Kultur dieser Zeit mitprägte.
Die zweite Generation von Patienten erwirkte von den Therapeuten eine Anerkennung als »interpretierendes Subjekt«. Der Analytiker oder die Analytikerin war nicht mehr die wissende Autorität, die befragt wurde, sondern ein Gegenüber, mit dem man sich über die Bedeutung von Erinnerungen, Träumen und Symptomen auf Augenhöhe im Hier und Jetzt der Beziehung verständigen konnte. Im subjekthaften Modell der Deutung bestand die Kunst darin, auf eine Vielfalt von Deutungskontexten zurückgreifen zu können. Die politische Positionierung des Analytikers verlor zunehmend an Einfluss.
Die dritte Generation von Patienten erwartete schließlich in einem neuen »intersubjektiven Modell« eine persönliche Antwort auf ihren Übertragungsentwurf, nicht nur als Erklärung oder Deutung, sondern als emotionale Resonanz. Der Analytiker ist nicht mehr der wissende und überlegene Beobachter, sondern ein Mitkonstrukteur der gemeinsamen Wirklichkeit. Obgleich die Aufgabenverteilung in der Dyade asymmetrisch bleibt und der Analytiker aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung den Prozess steuert, begegnen sich die Beteiligten in einem Arbeitsbündnis und entwickeln die Beziehung als »Ko-Konstruktion«, die immer wieder neu zur Verhandlung ansteht. Diese dritte Generation braucht es, dass die Therapeutinnen und Therapeuten sich mit ihrer Antwort zur Verfügung stellen und die Suche der Patienten nach ihrer Identität unterstützen.
Ein kenntnisreiches Buch, das nicht nur den Patienten und Patientinnen eine emanzipatorische Stimme verleiht, sondern auch aufzeigt, wie sehr Theorie und Therapie der Psychoanalyse von den Bedürfnissen der Patientenseite getriggert und geprägt werden.
Inge Seiffge-Krenke und Franz Resch
Was wirkt vorrangig im Prozess einer psychodynamischen Psychotherapie1? Ist es vor allem die Kunst des Psychoanalytikers, seinem Patienten bislang unbewusste Phantasien, Erinnerungen oder Absichten in luziden Deutungen bewusst zu machen? Oder sind es die Beziehungserfahrungen in der therapeutischen Situation, die den Patienten anregen, seine ihm bisher vertrauten »Working Models« von Beziehung infrage zu stellen und neue zu erproben?
Natürlich zielen diese Fragen nicht auf eine Antwort im Sinne einer Alternative. Denn eine hohe Deutungskunst bliebe ohne den Hintergrund einer tragfähigen und vertrauensvollen therapeutischen Beziehung wirkungslos, und auch eine emotional sehr bewegende Beziehungserfahrung muss bewusst erlebt und vielleicht auch verbalisiert werden. Aber die Verteilung der Gewichte des Einflusses von Deutungen und Beziehungserfahrungen hat sich im Laufe der Entwicklung psychodynamischer Methoden stark verändert (Hoffmann, 1983). Waren die ersten Generationen der Analytiker um Sigmund Freud noch überzeugt, dass es vor allem darauf ankomme, durch treffende Deutungen Unbewusstes bewusst zu machen – und diese Auffassung hielt sich bis Mitte des vorigen Jahrhunderts –, traten die Auffassungen von dem Einfluss kunstvoller Deutungen zunehmend in den Hintergrund. Spätestens mit den Konzepten einer »entwicklungsorientierten« Psychoanalyse (Emde, 2011) und der Verbreitung der relationalen und der intersubjektiven psychodynamischen Psychotherapie wuchs die Einsicht in die Wirkmächtigkeit der Beziehungserfahrungen in der therapeutischen Dyade.
Wie lassen sich diese Veränderungen erklären? Psychoanalytikerinnen und Psychoanalytiker bevorzugen wohl die Erklärung, dass sie im Laufe der Jahre ihre theoretischen Konzepte und nachfolgend auch ihre methodischen Einstellungen geändert haben, womit sie dann auch einer neuen Klientel gerecht werden konnten. Ich vermute aber, dass es eher umgekehrt war: Die Patienten änderten sich und ihre Erwartungen an die Psychoanalytiker, und diese passten sich den sich ändernden Erwartungen an.
Anfangs schrieben die Patienten – überwiegend zunächst Patientinnen – den Analytikern eine hohe Deutungsmacht zu und erlaubten ihnen, sie über ihr Unbewusstes aufzuklären. Das war wirksam, wie wir aus zahlreichen Krankengeschichten wissen. Aber schon bald genügten ihnen die klugen, zuweilen auch autoritär vorgetragenen Erklärungen der Analytiker nicht mehr. Und es reichte ihnen auch nicht mehr, zu erfahren, welche vielleicht traumatischen Erfahrungen sie verdrängt und so vor sich selbst verborgen hatten. Sie wollten vielmehr erzählen, wie sie das verstanden haben, was ihnen widerfahren war, und wie sie bis heute ihre Welt interpretieren.
Die Antwort der Analytiker und Analytikerinnen auf diese sich ändernden Erwartungen ihrer Patienten war, dass sie ihre früher so bevorzugten Deutungen (eigentlich waren es quasikausale Erklärungen) fortentwickelten zu Interpretationen, die verständlich machten, wie ihre Patienten sich und ihre soziale Welt damals und heute verstehen. Diese Deutungen waren dann nicht mehr »wahr« oder »falsch«, sondern Verstehensangebote, über die man sich verständigen konnte (oder auch nicht).
Und diese Entwicklung ging noch weiter: Etwa ab Mitte des vorigen Jahrhunderts wuchsen die Zweifel an der Autorität des Analytikers, der ausschließlich deutete, sich aber in der therapeutischen Beziehung weitgehend zurückhielt. Und der Patient fragte nicht mehr nur: »Wie erklärst du mir meine Erlebnislücken?«, und auch nicht mehr: »Wie interpretierst du, wie ich meine Welt von damals und die von heute erlebe?«, sondern: »Wie antwortest du auf meinen Beziehungsentwurf über uns jetzt und hier?«
Die Geschichte dieser methodischen Entwicklung lässt sich daher auch als Emanzipationsgeschichte der psychoanalytischen Patienten erzählen: Die erste Generation lauschte den Erklärungen der Analytiker, die zweite Generation suchte eine Verständigung, wie die soziale Welt – auch innerhalb der psychoanalytischen Beziehung – zu deuten sei, und die dritte forderte den Analytiker, die Analytikerin auf, sich in der therapeutischen Beziehung auch persönlich zur Verfügung zu stellen.
Die Entwicklung der psychoanalytischen Methode folgte also immer den Praxiserfahrungen der Analytiker. Und das war von Anfang an so: Ihre wesentlichen Begriffe wie Übertragung, Gegenübertragung, Widerstand, Abstinenz oder Regression entstanden als Versuche, überraschende, oft auch ängstigende Phänomene in Begriffe zu fassen, sie buchstäblich zu »begreifen« und damit auch »unschädlich« zu machen, ihnen jedenfalls das Unheimliche zu nehmen, um mit ihnen arbeiten zu können. In den »technischen« Begriffen der Psychoanalyse sind daher kondensierte Praxiserfahrungen aufgehoben, und sie können am besten dadurch vermittelt werden, dass wir sie in erfahrbare Praxis zurückverwandeln.
Dass in diesem Buch die Geschichte der psychoanalytischen Behandlungsmethode (nach-)erzählt werden wird, soll also weniger eine Verehrung früherer Psychoanalytikergenerationen zum Ausdruck bringen, sondern vielmehr eine Entwicklung beschreiben, die »bottom up« von den Patientinnen und Patienten angestoßen wurde. In dieser Entwicklungsgeschichte unterscheiden sich die psychodynamischen Verfahren grundlegend von der Verhaltenstherapie, die nicht derart »bottom up«, sondern »top down« entstanden ist, nämlich als Anwendung einer schon vorliegenden, empirisch bewährten Theorie, der Lerntheorie, auf das Praxisfeld der Verhaltensmodifikation.
Nun hat die Psychoanalyse nicht nur als Behandlungskonzeption große Erfolge erzielt, sondern sie hat auch die Kultur- und Gesellschaftswissenschaften stark beeinflusst. Und parallel zur Entwicklung der psychoanalytischen Methode in dem sich ändernden Spannungsfeld zwischen Deutungskunst und Beziehungserfahrung ereignete sich auch das Kommen und Gehen der Psychoanalyse als aufklärerische und kulturkritische Methode. Obwohl Freud seine Arbeit durchaus nicht mit der Absicht begonnen hatte, die bürgerliche Gesellschaft des Viktorianischen Zeitalters zu kritisieren, entfalteten seine Methoden des Aufklärens und Bewusstmachens eine nachhaltige emanzipatorische Wirkung, und zwar dadurch, dass die Patientinnen von damals über ihre Erfahrungen mit einer repressiven und verlogenen Sexualmoral sprachen.
Aber nach Jahrzehnten großer Einflussnahme auf die politischen Theorien und pädagogischen Konzepte verschwand die Psychoanalyse als kritische Theorie der Gesellschaft weitgehend wieder. Denn auch die Patienten haben sich verändert. Sie leiden nicht mehr unter der repressiven Unterdrückung ihrer Sexualität. Das Unbehagen »in« der Kultur, über das Freud 1930 schrieb, richtet sich nicht mehr gegen eine lustfeindliche und autoritär unterdrückende Gesellschaft. Aber mit welchen Anliegen, die über das Unmittelbare, die Heilung von den Symptomen hinausreichen, wenden sich unsere Patienten heute an uns? Vielleicht sollten wir versuchen, noch besser hinzuhören, was uns unsere Patientinnen und Patienten heute zu sagen haben.