Die Deutung in der Psychoanalyse - Jürgen Körner - E-Book

Die Deutung in der Psychoanalyse E-Book

Jürgen Körner

3,0

Beschreibung

Die Deutung nimmt unter allen Interventionen psychodynamischer Psychotherapeuten eine Sonderstellung ein. Ihre Funktion hat sich mit der Fortentwicklung der therapeutischen Methoden stark verändert. Wie und mit welchen Absichten ein Psychotherapeut deutet, hängt vordergründig von seiner theoretischen Orientierung z. B. als Neo-Freudianer, Objektbeziehungstheoretiker, Selbstpsychologe oder Intersubjektivist ab. Hintergründig aber lässt er sich von seinen nicht bewussten Menschenbildern und privaten, impliziten Theorien leiten. Dieses Buch beschreibt die Geschichte der Deutungskonzepte ausführlich im Kontext der sich wandelnden psychoanalytischen Methoden. Es ordnet die Deutung in die Systematik psychoanalytischer Interventionen (Klarifikation, Konfrontation, Durcharbeiten) ein und erklärt anschaulich den Zusammenhang mit anderen methodischen Konzepten wie der freien Assoziation, der Abstinenz und der gleichschwebenden Aufmerksamkeit.

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Seitenzahl: 232

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Lindauer Beiträge zur Psychotherapie und Psychosomatik

Herausgegeben von Michael Ermann

 

U. T. Egle/B. Zentgraf: Psychosomatische Schmerztherapie (2014)

M. Ermann: Herz und Seele (2005)

M. Ermann: Träume und Träumen (2005/2014)

M. Ermann: Freud und die Psychoanalyse (2008/2015)

M. Ermann: Psychoanalyse in den Jahren nach Freud (2009/2012)

M. Ermann: Psychoanalyse heute (2010/2012)

M. Ermann: Angst und Angststörungen (2012)

M. Ermann: Der Andere in der Psychoanalyse (2014)

U. Gast/P. Wabnitz: Dissoziative Störungen erkennen und behandeln (2014)

R. Gross: Der Psychotherapeut im Film (2012)

O. F. Kernberg: Hass, Wut, Gewalt und Narzissmus (2012)

J. Körner: Abwehr und Persönlichkeit (2013)

J. Körner: Die Deutung in der Psychoanalyse (2015)

R. Kreische: Paarbeziehungen und Paartherapie (2012)

W. Machleidt: Migration, Kultur und psychische Gesundheit (2013)

L. Reddemann: Kontexte von Achtsamkeit in der Psychotherapie (2011)

A. Riehl-Emde: Wenn alte Liebe doch mal rostet (2014)

C. Stadler: Traum und Märchen (2015)

U. Streeck: Gestik und die therapeutische Beziehung (2009)

R. T. Vogel: Das Dunkle im Menschen (2015)

R. T. Vogel: Existenzielle Themen in der Psychotherapie (2013)

L. Wurmser: Scham und der böse Blick (2011/2014)

H. Znoj: Trauer und Trauerbewältigung (2012)

Jürgen Körner

Die Deutung in der Psychoanalyse

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Dieses Buch stellt eine grundlegend überarbeitete und erweiterte Fassung der Vorlesungen dar, die der Autor zum gleichen Thema im Rahmen der Lindauer Psychotherapiewochen 2014 gehalten hat. Unter www.auditorium-netzwerk.de ist eine Übersicht aller Aufnahmen der Lindauer Psychotherapiewochen einzusehen, die unter info@auditorium-netzwerk.de angefordert werden kann.

Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

 

1. Auflage 2015

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-024174-9

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-024175-6

epub:    ISBN 978-3-17-024176-3

mobi:    ISBN 978-3-17-024177-0

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

Inhalt

 

 

 

Einführung und Übersicht

1.

Vorlesung Systematischer Überblick: Deuten als Erklären, als intentional Beschreiben und als Interpretieren

Wie »finden« wir eine Deutung im psychoanalytischen Prozess?

Welche Absichten verfolgen wir mit unseren Deutungen?

Wie gestalten wir mit unseren Deutungen die therapeutische Beziehung?

Exkurs: Deuten als Erklären

2.

Vorlesung Die Deutung im Wandel der psychoanalytischen Konzepte: Wie fing es an?

Freuds Falldarstellung der Katharina

Freie Assoziation und Übertragung

3.

Vorlesung Die Deutung im Wandel der psychoanalytischen Konzepte: Das interpretierende Subjekt tritt auf

4.

Vorlesung Die interaktionelle Perspektive

Exkurs: Die Handlungssprache in der Psychoanalyse

5.

Vorlesung Praxis psychoanalytischer Deutungen

Exkurs: Die psychoanalytische Situation

Die Übertragungsdeutung

Das verborgene Menschenbild des Psychoanalytikers

Bildnachweis

Literatur

Stichwortverzeichnis

Personenverzeichnis

Einführung und Übersicht

 

 

 

Warum spielen Deutungen in der analytischen Psychotherapie eine so besondere Rolle? Weil der Gegenstand der Psychoanalyse das interpretierende und Bedeutung setzende Subjekt ist. Seine seelischen Erkrankungen lassen sich nicht einfach aus der pathogenen Wirkung objektiver Lebensereignisse erklären, sondern sie werden nur dadurch verständlich, dass wir nachvollziehen, wie die werdende Persönlichkeit als Kind oder Jugendlicher ihre eigene, soziale Wirklichkeit erlebte und verarbeitete. Natürlich darf man die Wirkung tatsächlicher Einflüsse, denen ein junger Mensch unterliegt, nicht verleugnen. Aber abgesehen von sehr frühen, auch vorgeburtlichen Einflüssen und von traumatischen Erfahrungen ist auch das Kind niemals nur ein »unbeschriebenes Blatt«, in welches ein vielleicht ungünstiges Schicksal seine Eintragungen vornähme. Das Kind und erst recht der Heranwachsende wirkt von Anfang an als interpretierende Persönlichkeit mit, die ihre Welt deutet und schon dadurch mitgestaltet.

In der analytischen Psychotherapie suchen wir daher auch nicht die »objektiven« Ursachen für Fehlentwicklungen, sondern das potentiell handlungsfähige Subjekt, das auch in seinen Symptomen einen Sinn, z. B. eine unbewusste Absicht erkennen kann, das in der therapeutischen Situation seine unbewussten Arbeitsmodelle von Beziehungen zum Ausdruck bringt und das in der Beziehung zum Analytiker neue Wege des Erlebens und Handelns erprobt.

Auch wenn sich unsere Patienten selbst gern als passive Opfer schädlicher Einwirkungen sehen und nicht leicht für die Erkenntnis gewonnen werden können, dass sie ihre Entwicklungsgeschichte selbst mitgeschrieben haben, verfolgen wir mit ihnen doch das Ziel, dass sie Handlungsfreiheit (zurück)gewinnen, indem sie sich ihre unbewussten Motive und Absichten bewusst machen und indem sie erkennen, wie sehr sie ihre Welt interpretieren und gestalten.

Deutungen allein befördern allerdings nicht den therapeutischen Erfolg. Wir müssen unseren Patienten auch Zusammenhänge erklären und die Wege, die sie genommen haben und einschlagen werden, mit ihnen erkunden. Wir müssen sie auch ermutigen, ihnen unsere Wertschätzung zeigen, ihnen erlauben, dass sie uns subjektiv verwenden und sie zuweilen auch konfrontieren. Ob alle diese Interventionen wirksam sind, hängt aber weitgehend davon ab, wie wir – auch mit unseren Deutungen – die therapeutische Beziehung gestalten. Sie ist die »Bühne«, auf der unsere Patienten neue Beziehungserfahrungen wagen und erproben können. Davon soll dieses Buch handeln.

Die Kapitel des Buches habe ich in folgender Weise gegliedert: Die erste Vorlesung soll etwas Ordnung schaffen in der Vielfalt der Bedeutungen, mit denen Psychoanalytiker1 den Begriff der »Deutung« verwenden. Denn mit einer »Deutung« bezeichnen wir in einigen Fällen eine quasi-kausale Erklärung, in anderen eine intentionale Beschreibung und in wieder anderen eine Interpretation, also die Zuschreibung eines Sinngehaltes. Erklärungen, intentionale Beschreibungen und Interpretationen sind aber sehr unterschiedliche Wege des Erkenntnisgewinns, sie folgen unterschiedlichen Sucheinstellungen, geben Antworten auf sehr unterschiedliche Fragestellungen und verfolgen höchst ungleiche Absichten. All diese Unterschiede werden aus einer wissenschaftstheoretischen Perspektive erkennbar; deswegen ist dieses erste Kapitel trotz zahlreicher Praxisbeispiele eher theoretisch gehalten.

Die in der ersten Vorlesung charakterisierten Typen einer psychoanalytischen Deutung standen in der Geschichte der psychoanalytischen Behandlungstechnik nicht gleichwertig nebeneinander. Und sie wurden auch nicht zur gleichen Zeit entwickelt: Die Deutung als Erklärung war in der Frühzeit der Psychoanalyse sehr verbreitet. Intentionale Beschreibungen hingegen kamen erst auf, nachdem die psychoanalytische Behandlungssituation als »Zwei-Personen-Stück« verstanden worden war und überhaupt klar wurde, dass sich das Unbewusste nicht nur als – mehr oder weniger verzerrte – Anschauung der sozialen Welt zu erkennen gibt, sondern dadurch zur Wirkung kommt, dass das Subjekt mit seinen unbewussten Absichten in diese Welt hineinwirkt – in der psychoanalytischen Situation als »interaktioneller Anteil der Übertragung «2 überaus wirksam.

Die Deutung als Interpretation fehlte in der frühen Geschichte der Psychoanalyse, nämlich in der Zeit, als Freud noch seine erste Angsttheorie (»Die Verdrängung macht Angst«) verfolgte und an seiner »Trauma-Theorie« festhielt. Dieser zufolge waren es biologische Vorgänge, welche die Symptome, also etwa eine Angstneurose hervorbrachten, und die Therapie sollte die scheinbar kausalen Wirkungen pathogener Erlebnisse rückgängig machen. Erst nachdem Freud etwa um 1897 herum seine biologische Krankheitslehre in eine psychologische verwandelte, indem er das interpretierende und bewertende Subjekt einsetzte, lag es nahe, dieses Subjekt, das in seiner eigenen, gedeuteten Welt lebt, ins Zentrum der psychoanalytischen Behandlung zu rücken.

Obgleich die drei Deutungstypen nicht genau nacheinander in der Geschichte der psychoanalytischen Behandlungsmethodik auftraten, habe ich mich entschieden, ihre Darstellung historisch und nicht nach einer wissenschaftstheoretisch begründeten Systematik (wie in der ersten Vorlesung) anzuordnen, dies wird in der zweiten und dritten Vorlesung geschehen. Diese an der Historie orientierte Darstellung bietet den Vorteil, den Zusammenhang zwischen der Deutungstechnik und den Konzepten der psychoanalytischen Behandlung wie dem der freien Assoziation, der gleichschwebenden Aufmerksamkeit, der Abstinenz, der Übertragung und Gegenübertragung darzustellen. Beispielsweise setzt eine Deutung als intentionale Beschreibung, die dem Patienten verdeutlichen soll, wie er seinen Analytiker verwendet, voraus, dass dieser seine Gegenübertragung nicht als Störung, die »niederzuhalten« wäre, auffasst, sondern als eine sinnfällige Antwort versteht, die den interaktionellen Aspekt der Übertragung überhaupt erst zu erfassen ermöglicht.

Die zweite Vorlesung erzählt die Entwicklung des Deutungsbegriffs in der Frühzeit der Psychoanalyse, der Zeit der Traumatheorie und der ersten Angsttheorie. Im Kontext dieser Theorien waren Deutungen mehr oder weniger konfrontative Erklärungen, wie ich dies am Fall der »Katharina« darstellen werde. Freuds Intervention im Gespräch mit Katharina (»wenn Sie’s nicht wissen, will ich es Ihnen sagen…«3) ist ja keine Deutung, ja, nicht einmal eine Erklärung, sondern eine Suggestion, die den Schleier der Amnesie auch tatsächlich aufhebt. Es ist gut zu erkennen, wie diese frühen Interventionsform noch in der Tradition der hypnotischen und kathartischen Technik steht, mit der Freud seine ersten Patientinnen – es waren überwiegend Frauen – behandelte.

Dieser frühe Abschnitt aus der Entwicklung psychoanalytischer Deutungstechnik ist nicht nur aus historischen Gründen interessant. Denn die damals üblichen Deutungen als Erklärungen sind ja nicht verschwunden, sondern heute noch ein Teil der angewandten Methodik. Rekonstruktive Deutungen zum Beispiel sind, genau betrachtet, Erklärungen über einen mehr oder weniger zwingenden Zusammenhang zwischen frühen Erfahrungen (oder Bewertungen) und heutigem Erleben und Handeln.

Die dritte Vorlesung berichtet über die Veränderungen in der Deutungstechnik, als Freud schon zum Ende des 19. Jahrhunderts seine biologische Theorie seelischer Erkrankungen in eine psychologische verwandelt hatte. Damit erschien das bedeutungssetzende Subjekt, das nicht mehr auf innere oder äußere Reize reagieren musste, sondern das seine Welt interpretiert und bewertet. Um einen Menschen zu verstehen, genügt es seither nicht mehr, all die objektiven Einflüsse aufzuzählen, denen er unterlag, sondern wir müssen seine innere Welt teilen, nachvollziehen, wie er erlebt hat, was ihm schon in frühen Jahren »objektiv« widerfuhr.

Das mag heute wie eine Banalität erscheinen, aber wir müssen uns doch immer wieder fragen, wie weit wir zum Beispiel bei der Erhebung einer Anamnese versuchen, uns auf objektive Daten zu stützen, oder immer schon zu wissen glauben, wie der Patient von heute, das Kind von damals, seine Lebensumstände gedeutet hat.

Dazu ein Beispiel: Ich habe vor Jahren einen männlichen Patienten behandelt, dessen Vater bei Kriegsende zunächst als vermisst galt, dann aber, im Jahre 1948, der Patient war gerade acht Jahre alt, vor der Türe stand, unsicher, verlegen, aber dann doch mit dem Anspruch auf Achtung und Respekt. Mein Patient, ein Einzelkind, erzählte im Laufe der analytischen Behandlung diese Geschichte in sehr unterschiedlichen Versionen, zwei sehr gegensätzliche will ich hier wiedergeben. Einmal berichtete der Patient, dass der Vater sich sehr aggressiv zwischen ihn und seine Mutter gedrängt habe. Er sei aus dem gemeinsamen großen Bett geworfen worden und habe eine kleine hässliche Kammer beziehen müssen. Er habe das Gefühl gehabt, überflüssig geworden zu sein oder sogar zu stören, habe sich dann viel draußen mit seinen Freunden herumgetrieben.

Zu einem späteren Zeitpunkt erzählte er folgende Version: Als der Vater kam, sei es wie eine Befreiung gewesen. Er habe zuvor in einer sehr engen Beziehung zu seiner Mutter gelebt. Diese sei sehr ängstlich gewesen, ertrug es kaum, wenn er die Wohnung verließ, um mit anderen Kindern zu spielen. Das abendliche Kuscheln im gemeinsamen Bett habe er »steif wie ein Brett« über sich ergehen lassen. Die Mutter sei dann, als der Vater einzog, »aufgetaut«, habe ihn »aus den Fängen gelassen« und er durfte endlich mit seinen Freunden spielen. Er bekam auch ein eigenes Zimmer, das er mit seinen Bildern und Spielsachen gestaltete und nicht »dauernd aufräumen« musste.

Vielen Analytikern sind ähnliche Fälle bekannt, wenn auch vielleicht nicht in so unterschiedlichen Varianten über ein und dasselbe »wahre« Geschehen. Wir wissen längst, dass man einem objektiven Datum wie »ich war die jüngste von 6 Kindern« nichts Wesentliches entnehmen kann, bevor der Patient4 nicht erzählt, wie er diese »Tatsache« erlebt hat. Und wir glauben, dass weder die erste noch die letzte Version dieser Geschichte die »wahre« ist, denn nach der letzten könnte immer noch eine weitere auftauchen, die wir mit dem gleichen Respekt betrachten werden wie alle anderen.

Die dritte Vorlesung wird die Wandlungen im Deutungsbegriff im Zusammenhang mit dem Übergang von einer »Ein-Personen-« zu einer »Zwei-Personenpsychologie« beschreiben. Deutungen stellen nun nicht mehr nur fest, wie der Patient seine Welt interpretiert(e), sondern sie konzentrieren sich darauf, wie der Patient seine Welt gestaltet, welche bewussten und nicht bewussten Motive er dabei verfolgt. Dieser Wandel des Deutungskonzeptes erfasste auch gleichsinnig den Begriff der Übertragung: Sie wird nun nicht mehr als »Irrtum« oder »falsche Verknüpfung« problematisiert, sondern als notwendig subjektiver Beziehungsentwurf aufgenommen.

Die vierte Vorlesung betrachtet die psychoanalytische Deutung aus einem anderen, interaktionellen Blickwinkel, und zwar unter der Frage: Wir gestalten wir mit unseren Deutungen die therapeutische Beziehung zu unserem Patienten? Zwar behandelten auch die vorhergehenden Kapitel die Wirkung der jeweiligen Deutungstypen auf die therapeutische Beziehung – zum Beispiel liegt es ja auf der Hand, dass eine Erklärung vom Typ »die Wut, die Sie jetzt mir gegenüber empfinden, ist doch die gleiche, die Sie auch schon gegen Ihren Vater hegten« die Beziehung in eine andere Richtung lenkt als etwa eine Deutung »Sie sind jetzt sehr wütend auf mich«. Aber in der vierten Vorlesung geht es nicht um die »Nebenwirkungen« einer Deutung, sondern darum, wie wir mit unseren Deutungen die therapeutische Beziehung gestalten.

Die fünfte Vorlesung schließlich ist der Praxis psychoanalytischer Deutungen gewidmet. Nach einem kurzen Rückblick auf die bislang vorgestellten Theorien der Technik und die dazu gehörenden Deutungskonzepte wende ich mich in einem Exkurs zunächst der psychoanalytischen Situation und ihrem Rahmen zu. Handelt es sich um eine Als-ob-Situation, um ein Training oder um ein Spiel mit besonderen Regeln? Nein, die psychoanalytische Beziehung ist kein Spiel, sondern eine subjektiv ausgestaltete Wirklichkeit. In dieser wirklichen Beziehung spielen Übertragungsdeutungen eine besondere Rolle, über sie werde ich in diesem Kapitel ausführlich referieren. Am Schluss dieses Kapitels befasse ich mich mit dem verborgenen Menschenbild des Psychoanalytikers. Damit ist Folgendes gemeint: Wie und woraufhin wir als Analytiker deuten, hängt zwar von der »Theorie der Technik« ab, die wir bevorzugen, hintergründig aber wirken unsere nicht bewussten Menschenmodelle sehr einflussreich mit. Wie stellen wir uns ein »gutes Leben« vor? Was soll der Patient erreichen? Soll er aufrichtig und selbstkritisch sein Unbewusstes erforschen, oder soll er eher ein mildes Über-Ich entwickeln? Soll er vor allem unabhängig werden von seinen inneren Objekten oder wollen wir ihm zu größerer sozialer Bezogenheit verhelfen? Und auf welchen Wegen wollen wir mit ihm arbeiten? Liegt uns selbst eher ein »paternales« Modell nahe, in dem wir unseren Patienten auffordern, sich selbst ungeschminkt zu erkennen, oder sehen wir »maternal« unsere Aufgabe eher darin, unseren Patienten, der so Schlimmes durchgemacht hat, empathisch zu begleiten und zu Wachstum und Reifung anzuregen?

1     Wenn hier und noch öfter in diesem Buch von »Psychoanalytikern« die Rede ist, sind immer auch tiefenpsychologisch fundiert arbeitende Psychotherapeuten gemeint.

2     König K (1982)

3     Freud (1895), S. 191

4     Aus Gründen der Vereinfachung wähle ich die Formulierung »der Patient«, wenn Patienten und Patientinnen gemeint sind.

1. Vorlesung Systematischer Überblick: Deuten als Erklären, als intentional Beschreiben und als Interpretieren

In den philosophischen und historischen Wissenschaften und in der Theologie heißt Deuten, einen Sinn darzulegen, einer menschlichen Äußerung – zum Beispiel einem Text, einer Handlung oder einem Kunstwerk – eine Bedeutung zuzuschreiben. Eine solche Zuschreibung ist in jedem Falle als ein subjekthafter Entwurf zu verstehen, dessen »Wahrheit« ungewiss bleiben muss, denn eine Deutung richtet sich ja nicht auf objektive Merkmale eines Gegenstandes. Sie kann also nicht »wahr« oder »falsch« in einem empirischen Sinne sein. Das gilt auch für unsere Deutungen im psychoanalytischen Dialog.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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