Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Was ist Abwehr? Bis heute dominiert die negative Seite ihrer Funktionen: Der Abwehrende schränkt sich selbst ein, verbirgt Wesentliches, Eigenes und entfernt sich gleichsam von sich selbst. Wir übersehen dabei die konstruktive Funktion der Abwehr, die es dem Subjekt doch erst ermöglicht, die vielfachen Einschränkungen und Zumutungen im Verlaufe seiner Sozialisation nicht nur hinzunehmen, sondern auch zur Entwicklung seiner Persönlichkeit und zur Verfeinerung seines ästhetischen und kulturellen Lebens zu nutzen. Dieses Buch beschreibt die Geschichte der Abwehrkonzepte ausführlich und untersucht die zentrale Rolle von Abwehrvorgängen in der Entwicklung der Persönlichkeit.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 192
Veröffentlichungsjahr: 2013
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Was ist Abwehr? Bis heute dominiert die negative Seite ihrer Funktionen: Der Abwehrende schränkt sich selbst ein, verbirgt Wesentliches, Eigenes und entfernt sich gleichsam von sich selbst. Wir übersehen dabei die konstruktive Funktion der Abwehr, die es dem Subjekt doch erst ermöglicht, die vielfachen Einschränkungen und Zumutungen im Verlaufe seiner Sozialisation nicht nur hinzunehmen, sondern auch zur Entwicklung seiner Persönlichkeit und zur Verfeinerung seines ästhetischen und kulturellen Lebens zu nutzen. Dieses Buch beschreibt die Geschichte der Abwehrkonzepte ausführlich und untersucht die zentrale Rolle von Abwehrvorgängen in der Entwicklung der Persönlichkeit.
Prof. Dr. Jürgen Körner, Dipl.-Psych., Psychoanalytiker, lehrte Sozialpädagogik an der Freien Universität Berlin und war Gründungspräsident der International Psychoanalytic University Berlin.
Lindauer Beiträge zur Psychotherapie und Psychosomatik
Herausgegeben von Michael Ermann
M. Ermann: Herz und Seele (2005)
M. Ermann: Träume und Träumen (2005)
M. Ermann: Freud und die Psychoanalyse (2008)
M. Ermann: Psychoanalyse in den Jahren nach Freud (2009/2012)
M. Ermann: Psychoanalyse heute (2010/2012)
M. Ermann: Angst und Angststörungen (2012)
R. Gross: Der Psychotherapeut im Film (2012)
O. F. Kernberg: Hass, Wut, Gewalt und Narzissmus (2012)
J. Körner: Abwehr und Persönlichkeit (2013)
R. Kreische: Paarbeziehungen und Paartherapie (2012)
W. Machleidt: Migration, Kultur und psychische Gesundheit (2013)
L. Reddemann: Kontexte von Achtsamkeit in der Psychotherapie (2011)
U. Streeck: Gestik und die therapeutische Beziehung (2009)
R. T. Vogel: Existenzielle Themen in der Psychotherapie (2013)
L. Wurmser: Scham und der böse Blick (2011)
H. Znoj: Trauer und Trauerbewältigung (2012)
Jürgen Körner
Abwehr und Persönlichkeit
Verlag W. Kohlhammer
Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Dieses Buch stellt eine grundlegend überarbeitete und erweiterte Fassung der Vorlesungen dar, die der Autor zum gleichen Thema im Rahmen der Lindauer Psychotherapiewochen gehalten hat. Unter www.auditoriumnetzwerk.de ist eine Übersicht aller Aufnahmen der Lindauer Psychotherapiewochen einzusehen, die unter [email protected] angefordert werden kann.
1. Auflage 2013 Alle Rechte vorbehalten © 2013 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Umschlag: Gestaltungskonzept Peter Horlacher Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH + Co. KG, Stuttgart Printed in Germany
Print: 978-3-17-022979-2
E-Book-Formate
pdf:
978-3-17-023822-0
epub:
978-3-17-027638-3
mobi:
978-3-17-027639-0
Vorwort
1. Vorlesung Begriff und Geschichte
Innere Konflikte
2. Vorlesung Theorie und Systematik
Der Ärger in der Kinokassen-Schlange
Abwehr auf der Zeitachse
3. Vorlesung Das Ich im „Abwehrkampf“ als Verlierer und als Sieger
Das Ich als Gewinner im „Abwehrkampf“
4. Vorlesung Interpersonelle Abwehr
Die interpersonale Abwehr braucht den anderen
Kollusionen
Interpersonale Abwehr in sozialen Gruppen
Interpersonale Abwehr in Großgruppen und Institutionen
Die projektive Identifizierung
Die Geschichte der Übertragungskonzepte, zu Ende erzählt
5. Vorlesung Abwehr im Rahmen der psychoanalytischen Situation
Abwehr stützt den Rahmen
Der Rahmen der psychoanalytischen Situation
Abwehr und Widerstand
Die Aufgaben des Analytikers
Abwehrdeutungen
Die Vorleistung des Analytikers
6. Vorlesung Abwehr an der Schnittstelle von Individuum und Kultur
Sublimierungen
Die Anfänge der Persönlichkeitsentwicklung im Hochmittelalter
7. Vorlesung Die Aufgabe der Psychoanalyse
Makro-Perspektive
Kann man Abwehr erzeugen?
Noch einmal: Die Makro-Perspektive
Literatur
Stichwortverzeichnis
Personenverzeichnis
Abwehr ist nicht beliebt. Sie verrät, dass eine Person in die Defensive geraten ist und sich gegen eine innere Gefahr zur Wehr setzen muss. Meist sind es Drohungen aus dem Über-Ich oder quälende Ansprüche des Ich-Ideals, die zu radikalen Selbsteinschränkungen zwingen. Abwehrmechanismen müssen unbewusst ablaufen, um wirksam zu sein, das macht sie erst recht suspekt. Sie setzen sich gleichsam hinter dem Rücken des Subjekts durch und durchkreuzen seine Idee von selbstbewusstem und entscheidungsfreiem Handeln. Indem sich die Abwehr gegen eigene Phantasien, Wünsche und Absichten richtet, scheint sie den Menschen von sich selbst zu entfremden – zugunsten einer blinden Anpassung an internalisierte, „triebfeindliche“ Verbote oder soziale und kulturelle Ansprüche.
Psychoanalytiker halten sich gern zugute, dass sie „triebfreundlich“ sind und ihre Patienten ermutigen, die Fesseln ihrer eigenen Abwehrmechanismen zu lösen und dadurch Erlebnisfähigkeit und Handlungsfreiheit zurückzugewinnen. Darin ähneln sie den Verfechtern einer „antiautoritären“ Erziehung, die in der abwehrbetonten Persönlichkeit den zwar gut angepassten, aber politisch unmündigen und leicht manipulierbaren Untertanen erblickten. Beide übersehen aber, dass es die Abwehrmechanismen dem Menschen überhaupt erst ermöglichen, sich zu einer sozialen Persönlichkeit zu entwickeln und ein kulturelles Leben in einer modernen Gesellschaft mit zu gestalten.
Das Subjekt ist im „Abwehrkampf“ nicht nur ein Verlierer, sondern auch ein Gewinner. Zwar verengt es in der Abwehr seine Selbsterkenntnis und schränkt seine Handlungsfreiheit im ärgsten Falle bis zur Symptombildung ein, aber es entwickelt über Abwehrprozesse seinen Charakter und bereichert seine Erlebens- und Genussmöglichkeiten um ein Vielfaches. Dieser Doppelcharakter der Abwehr zeigt sich in der Betrachtung individueller Entwicklungsgeschichte, in der Analyse sozialer Gruppierungen wie auch in der Makro-Perspektive auf kulturelle Prozesse.
Weil über die negativen Seiten der Abwehr schon viel geschrieben wurde, soll sich dieses Buch ausführlicher mit dem Subjekt beschäftigen, das als „Sieger“ aus dem „Abwehrkampf“ hervorgeht, indem es an seiner eigenen Selbstbeschränkung sogar zu wachsen vermag.
Berlin, im Frühjahr 2013
Jürgen Körner
Der Begriff der „Abwehr“ lässt an kriegerische Auseinandersetzungen denken: Ein gefährlicher Angriff muss abgewehrt, also zurückgeschlagen, unschädlich gemacht werden, da hilft sich ein Verteidiger in einer bedrängten Lage, und nur wenn die Abwehr gelingt, kann er sich wieder sicher fühlen. Auch andere Begriffe der frühen Freud’schen Terminologie legen solche bedrohlichen Assoziationen nahe: Besetzung und Gegenbesetzung, Unterdrückung, Reaktionsbildung und Widerstand. Tatsächlich stellte Freud sich das Seelenleben des Menschen von Anfang an als ein spannungsreiches Konfliktgeschehen vor, also schon zu jener Zeit (1895)1, als er noch stoffliche (elektrische, chemische) Ursachen für die körperlichen Erkrankungen seiner Patientinnen suchte. Auch wenn Freud seinen naturwissenschaftlich angelegten Entwurf recht bald in eine psychologische Theorie über die Dynamik des Seelenlebens verwandelte, behielt er den Begriff der Abwehr zunächst bei.
Ehlers2 beschreibt, dass Freud in seinen Konzepten von der kurz zuvor entwickelten Infektionstheorie von Pasteur und Koch beeinflusst worden war. Diese hatten erkannt, dass zahlreiche Krankheitssymptome des Körpers nicht nur Fehlfunktionen darstellen, sondern als Ergebnis aktiver Versuche zu verstehen seien, sich gegen gefährliche Angriffe feindlicher, also etwa giftiger Erreger zur Wehr zu setzen. Auf ähnliche Weise verstand Freud auch die psychische Abwehr als aktive Form der Auseinandersetzung mit belastenden Erfahrungen, die nicht nur Schaden anrichtet, indem sie das Individuum einengt, sondern im günstigen Falle sogar seine Handlungsfreiheit vergrößert.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!