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Die Verfahren der psychodynamischen Psychotherapie haben seit jeher ihre jeweils eigenen Interventionsmethoden entwickelt und gegeneinander abgegrenzt. Der Psychoanalytiker Jürgen Körner stellt hingegen die Vielfalt der psychodynamischen Interventionsmethoden verfahrensübergreifend dar. Die Entscheidung für eine erfolgversprechenden Methode sollte sich weniger an dem gewählten Setting (Sitzen oder Liegen, hohe oder niedrige Frequenz) orientieren, sondern davon abhängen, inwieweit der Patient von strukturellen Störungen geprägt ist, welche inneren Konflikte er zu bewältigen hat, über welche Mentalisierungskompetenzen er verfügt und welche Bindungsmuster er zu erkennen gibt.Das Buch erläutert anhand zahlreicher Beispiele, dass die Ziele psychodynamischer Psychotherapie, nämlich das Unbewusste bewusst zu machen, die subjektive Welt des Patienten zu erschließen und dabei die therapeutische Beziehung zu nutzen, in allen psychodynamischen Verfahren und Settings angestrebt werden können, allerdings in methodisch breit gefächerten Varianten je nach dem Struktur- und Entwicklungsniveau des Patienten.
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Seitenzahl: 77
Veröffentlichungsjahr: 2018
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PSYCHODYNAMIK Kompakt
Herausgegeben vonFranz Resch und Inge Seiffge-Krenke
Jürgen Körner
PsychodynamischeInterventionsmethoden
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-647-99797-1
Umschlagabbildung: Paul Klee, »Feuerwind«, 1922/akg-images GmbH
© 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A.
www.v-r.de
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.
Satz: SchwabScantechnik, Göttingen
Inhalt
Vorwort zur Reihe
Vorwort zum Band
1Was sind psychodynamische Interventionsmethoden?
1.1Definition
1.2Historie psychodynamischer Interventionsmethoden
1.2.1Am Anfang war die Rekonstruktion
1.2.2Von der »praktischen« zur »psychischen« Realität
1.2.3Interventionen im »Zwei-Personen-Stück«
1.2.4Die Vorleistung des Therapeuten und seine Verständigung mit dem Patienten
1.3Systematik psychodynamischer Interventionen
1.4Interventionsmethoden in anderen psychotherapeutischen Verfahren
2Interventionen zur Einleitung der Behandlung
2.1Managing the Setting
2.2Methodische Einstellung auf den Patienten
3Was wirkt? Ergebnisse der empirischen Forschung
4Praxis der psychodynamischen Psychotherapie
4.1Strukturelle Störung oder neurotischer Konflikt? Eine folgenreiche Entscheidung
4.2Psychodynamische Therapie mit Patienten auf niedrigem Struktur- bzw. Entwicklungsniveau
4.3Psychodynamische Therapie mit Patienten auf hohem Strukturniveau und neurotischem Konflikt
4.4Fallbeispiel: Eine Patientin auf mittlerem Strukturniveau
Literatur
Vorwort zur Reihe
Zielsetzung von PSYCHODYNAMIK KOMPAKT ist es, alle psychotherapeutisch Interessierten, die in verschiedenen Settings mit unterschiedlichen Klientengruppen arbeiten, zu aktuellen und wichtigen Fragestellungen anzusprechen. Die Reihe soll Diskussionsgrundlagen liefern, den Forschungsstand aufarbeiten, Therapieerfahrungen vermitteln und neue Konzepte vorstellen: theoretisch fundiert, kurz, bündig und praxistauglich.
Die Psychoanalyse hat nicht nur historisch beeindruckende Modellvorstellungen für das Verständnis und die psychotherapeutische Behandlung von Patienten hervorgebracht. In den letzten Jahren sind neue Entwicklungen hinzugekommen, die klassische Konzepte erweitern, ergänzen und für den therapeutischen Alltag fruchtbar machen. Psychodynamisch denken und handeln ist mehr und mehr in verschiedensten Berufsfeldern gefordert, nicht nur in den klassischen psychotherapeutischen Angeboten. Mit einer schlanken Handreichung von 60 bis 70 Seiten je Band kann sich der Leser schnell und kompetent zu den unterschiedlichen Themen auf den Stand bringen.
Themenschwerpunkte sind unter anderem:
–Kernbegriffe und Konzepte wie zum Beispiel therapeutische Haltung und therapeutische Beziehung, Widerstand und Abwehr, Interventionsformen, Arbeitsbündnis, Übertragung und Gegenübertragung, Trauma, Mitgefühl und Achtsamkeit, Autonomie und Selbstbestimmung, Bindung.
–Neuere und integrative Konzepte und Behandlungsansätze wie zum Beispiel übertragungsfokussierte Psychotherapie, Schematherapie, Mentalisierungsbasierte Therapie, Traumatherapie, internet-basierte Therapie, Psychotherapie und Pharmakotherapie, Verhaltenstherapie und psychodynamische Ansätze.
–Störungsbezogene Behandlungsansätze wie zum Beispiel Dissoziation und Traumatisierung, Persönlichkeitsstörungen, Essstörungen, Borderline-Störungen bei Männern, autistische Störungen, ADHS bei Frauen.
–Lösungen für Problemsituationen in Behandlungen wie zum Beispiel bei Beginn und Ende der Therapie, suizidalen Gefährdungen, Schweigen, Verweigern, Agieren, Therapieabbrüchen; Kunst als therapeutisches Medium, Symbolisierung und Kreativität, Umgang mit Grenzen.
–Arbeitsfelder jenseits klassischer Settings wie zum Beispiel Supervision, psychodynamische Beratung, Arbeit mit Flüchtlingen und Migranten, Psychotherapie im Alter, die Arbeit mit Angehörigen, Eltern, Gruppen, Eltern-Säuglings-Psychotherapie.
–Berufsbild, Effektivität, Evaluation wie zum Beispiel zentrale Wirkprinzipien psychodynamischer Therapie, psychotherapeutische Identität, Psychotherapieforschung.
Alle Themen werden von ausgewiesenen Expertinnen und Experten bearbeitet. Die Bände enthalten Fallbeispiele und konkrete Umsetzungen für psychodynamisches Arbeiten. Ziel ist es, auch jenseits des therapeutischen Schulendenkens psychodynamische Konzepte verstehbar zu machen, deren Wirkprinzipien und Praxisfelder aufzuzeigen und damit für alle Therapeutinnen und Therapeuten eine gemeinsame Verständnisgrundlage zu schaffen, die den Dialog befördern kann.
Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke
Vorwort zum Band
Angesichts der Bemühungen um eine Reform des Psychotherapeutengesetzes und vor dem Hintergrund einer Ausbildungsreform gewinnen Fragen der therapeutischen Kompetenz eine große Bedeutung. Auch Forschungsergebnisse zeigen, wie wichtig der Therapeutenfaktor und die psychotherapeutische Kompetenz sind. Im klinischen Alltag ist der Therapeut gefordert, die Interventionsmethoden sehr genau an den Patienten, sein Krankheitsbild und sein strukturelles Niveau anzupassen. Das erfordert große Kompetenz. Dieses Buch vermittelt psychotherapeutische Kompetenzen in Bezug auf die relevanten Interventionsmethoden anschaulich und klinisch relevant, unter anderem durch Fallvignetten.
Jürgen Körner versteht es meisterhaft, nach einer historischen Herleitung unterschiedlicher psychodynamisch fundierter Interventionstechniken der heutigen Vielfalt klinischer Anwendungen im therapeutischen Alltag stringente Form und methodische Fassung zu geben. Besonderes Augenmerk wird auf die Einleitung der Behandlung gerichtet, wobei die Ergebnisse der Wirksamkeitsforschung mit einbezogen werden. Folgerichtig zielt die Praxis der psychodynamischen Interventionen auf eine strukturorientierte Indikation, die je nach strukturellem Niveau der Patienten mehr deren Konflikten oder mehr der Ressourcenförderung therapeutische Räume eröffnet. Manchmal muss erst die Bühne instandgesetzt werden, auf der die konflikthaften Inszenierungen stattfinden.
Eine informative und in aller Detailfülle kompakte Darstellung des psychodynamisch-therapeutischen Handelns.
Inge Seiffge-Krenke und Franz Resch
1Was sind psychodynamische Interventionsmethoden?
Eine persönliche Vorbemerkung: Ich habe in zahlreichen Jahren ambulanter und stationärer psychotherapeutischer Arbeit gelernt, dass ich die Grenzen meiner schulengebundenen Methoden oftmals überschreiten musste, um Patienten in schwieriger Lage helfen zu können. Für einen Psychotherapeuten, der mit der Psychoanalyse hoch identifiziert ist, war es nicht ganz einfach, die vertraute und Sicherheit versprechende Technik zu erweitern und in Einzelfällen einen Patienten bei Problemlösungen aktiv zu unterstützen, ihm zu helfen, seine Affekte zu steuern, oder ihm in Krisenfällen beizustehen. Ich habe in dieser Zeit auch verstanden, dass es wenig sinnvoll ist, zwischen der »wahren« (hochfrequenten) Analyse einerseits und den »nur« abgeleiteten tiefenspychologisch fundierten Methoden mit variabler Frequenz und unterschiedlichen Settings andererseits starre Grenzen zu setzen. Psychoanalytiker könnten vielmehr stolz darauf sein, so viele methodische Varianten zur Verfügung zu haben, mit denen sie sehr unterschiedlichen Patienten helfen können.
Aus diesen Gründen habe ich gern die Aufgabe übernommen, dieses Büchlein über psychodynamische Interventionsmethoden zu schreiben. Ich werde – nach einem historischen Überblick – die Methoden der psychodynamischen Psychotherapie verfahrensübergreifend darstellen. Nicht das Setting oder die Behandlungsfrequenz sollten über die Wahl der Methoden entscheiden, sondern das jeweilige Struktur- und Entwicklungsniveau des Patienten, seine Mentalisierungskompetenz und die Themen und das Ausmaß seiner inneren Konflikte.
1.1Definition
Mit psychodynamischer Psychotherapie bezeichnen wir mit den Psychotherapierichtlinien psychoanalytisch begründete Verfahren, das sind die analytische Psychotherapie und die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie. Letztere umfasst als »Sonderformen« recht unterschiedliche Behandlungsmethoden, nämlich die Kurztherapie, die Fokaltherapie, die dynamische Psychotherapie und die niederfrequente Therapie »in einer längerfristigen, Halt gewährenden therapeutischen Beziehung« (Psychotherapierichtlinien 2015, 1.1.1).
Psychodynamische Psychotherapie bezeichnet also eine Gruppe durchaus heterogener Methoden, mit denen wir uns im weiteren Verlauf dieses Buches befassen werden. Zunächst aber möchte ich das Gemeinsame psychodynamischer Interventionsformen darstellen, auch im Vergleich zu den Methoden anderer psychotherapeutischer Verfahren, insbesondere der Gesprächspsychotherapie und der Verhaltenstherapie.
Die Psychotherapierichtlinien stellen analytisch begründete Verfahren »als Formen einer ätiologisch orientierten Psychotherapie dar, welche die unbewusste Psychodynamik neurotischer Störungen mit psychischer oder somatischer Symptomatik zum Gegenstand der Behandlung machen« (Psychotherapierichtlinien 2015, 1.1). Ausdrücklich werden hier »suggestive und übende Techniken auch als Kombinationsbehandlung ausgeschlossen«.
1.2Historie psychodynamischer Interventionsmethoden
Das Ziel, die unbewusste Psychodynamik zum Gegenstand der Behandlung zu machen, verfolgen die Psychoanalytiker seit dem Beginn der psychoanalytischen Bewegung. Auch wenn die psychodynamischen Methoden sich inzwischen breit aufgefächert haben, um sehr unterschiedlichen Patienten gerecht werden zu können, blieb das Ziel, das Unbewusste bewusst zu machen, ein zentrales Anliegen aller psychodynamischen Verfahren.
1.2.1Am Anfang war die Rekonstruktion
Freud begann seine psychoanalytische Arbeit mit ausforschenden Interventionen, die den Schleier der Amnesie beim Patienten lüften sollten. Noch in der Tradition seiner hypnotischen Behandlungsmethoden forderte er seine Patientinnen – es waren zunächst überwiegend Frauen – auf, möglichst rückhaltlos zu erzählen, was ihnen einfiele. Er begegnete ihren Assoziationen allerdings mit festen Überzeugungen darüber, wonach zu suchen sei: nach verdrängten Erinnerungen an zumeist sexuelle, traumatisierende Erfahrungen, die, unbewusst geworden, Angst machten und Symptome erzeugten. Mit der Aufhebung der Verdrängung sollte der Grund für die Symptombildung entfallen.
Mit der Fallgeschichte der Katharina (Freud, 1895) illustrierte Freud seine Methode auf eindrucksvolle Weise.
Eine 18-jährige junge Frau hatte ihn auf einem Spaziergang in den Hohen Tauern angesprochen und den »Herrn Doktor« wegen ihrer Atembeschwerden und Erstickungsangst um Hilfe gebeten. Schon nach wenigen Sätzen vermutete er hysterische Anfälle und suchte gezielt, aber zunächst vergeblich nach Auslösern. Als seine Ausforschung erfolglos blieb, versuchte er eine Deutung: »Wenn Sie’s nicht wissen, will ich Ihnen sagen, wovon ich denke, dass Sie Ihre Anfälle bekommen haben. Sie haben einmal, damals vor zwei Jahren, etwas gesehen oder gehört, was Sie sehr geniert hat, was Sie lieber nicht möchten gesehen haben«. Dann erinnert sich Katharina: Sie habe ihren Onkel »bei dem Mädel erwischt, bei der Franziska, meiner Cousine!«. Weiter fällt ihr ein, dass dieser Onkel1 sie schon als 14-jährige sexuell bedrängt habe. Indem ihr diese Erinnerungen bewusst wurden, verloren sie ihre krankmachende Wirkung, und Katharina erschien »wie verwandelt, das mürrische, leidende Gesicht hat sich belebt, die Augen sehen frisch drein, sie ist erleichtert und gehoben« (Freud, 1895, S. 191).
Freuds Intervention im Gespräch mit Katharina war streng genommen keine Deutung, sondern eher eine suggestiv vorgetragene Erklärung über einen biografischen Zusammenhang, eine Rekonstruktion. Dass sie so wirksam war, lag sicher auch an der Autorität, mit der der »Herr Doktor« die junge Frau belehrte, so dass sie sich in seiner Gegenwart traute, ihre peinlichen Erlebnisse zu erinnern und mitzuteilen.
Heute würden wir so nicht mehr vorgehen, und doch ist dieser Interventionstyp nicht verlorengegangen: Immer noch bieten wir auch rekonstruktive Deutungen über die fortdauernde Wirkung pathogener Einflüsse an, auch wenn wir heute nicht mehr annehmen, dass wir damit schon ihre Wirksamkeit aufheben könnten. Aber es ist für Patienten oft sehr erleichternd, wenn sie einen Zusammenhang zwischen ihrer Erkrankung heute und früh erlebten, vielleicht traumatischen Erfahrungen erkennen können.