Die Kunst des 20. Jahrhundert - Carl Einstein - E-Book

Die Kunst des 20. Jahrhundert E-Book

Carl Einstein

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Beschreibung

"Bilder sind keine Bibelots, sondern geistige Wirkungen." Carl Einstein, 1931. Inhalt u.a.: Beginn (Matisse, Derain, Modigliani, Kisling, Rousseau, Rouault, Utrillo); Kubismus (Picasso, Braque, Gris, Léger); Futurismus (Boccioni, Severini, Carra, de Chirico); Die Deutschen (Nolde, Brücke, Heckel, Pechstein, Schmidt-Rottluff, Kirchner, Feininger, Hofer, Modersohn-Becker, Marc, Macke, Kandinsky, Klee, Kokoschka, Grosz, Beckmann, Dix); Russen (Chagall, Russen nach der Revolution); Zur Plastik (Maillol, Haller, de Fiori, Lehmbruck, Brancussi, Barlach, Archipenko, Lipchitz, Laurens, Belling). Einstein hat mit Die Kunst des 20. Jahrhunderts "absolut Endgültiges über die Kunst unserer Zeit geschrieben." Daniel-Henry Kahnweiler. Carl Einstein (* 26. April 1885 in Neuwied; † 5. Juli 1940 bei Pau nahe der spanischen Grenze), bedeutender Kunsthistoriker und Schriftsteller, Grenzgänger zwischen Kunst, Literatur und Wissenschaft, durch seinen Lebensweg mit vielen Künstlern der Moderne eng vertraut.

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Inhaltsverzeichnis

Titelseite

Die Vorbedingungen

BEGINN

Henri Matisse

Georges Rouault

Henri Rousseau

André Derain

Amedeo Modigliani

Roger de la Fresnaye

DER KUBISMUS

Pablo Picasso

Georges Braque

Juan Gris

Fernand Léger

Die romantische Generation

DER FUTURISMUS

DIE DEUTSCHEN

Emil Nolde

Die „Brücke“

Erich Heckel

Max Pechstein

Karl Schmidt-Rottluff

Ernst Ludwig Kirchner

Paula Modersohn-Becker

Carl Hofer

Lyonel Feininger

Oskar Kokoschka

George Grosz

Max Beckmann

Otto Dix

RUSSEN

Marc Chagall

Konstruktivisten

DER BLAUE REITER

Franz Marc

Wassilij Kandinsky

Paul Klee

ZUR PLASTIK

Über den Autor

Impressum

Hinweise und Rechtliches

E-Books im Reese Verlag (Auswahl):

E-Books Edition Loreart:

Carl Einstein

Die Kunst des 20. Jahrhunderts

Reese Verlag

Die Vorbedingungen

Einmal mußte der zu lang aufgesattelte Schönheitsbetrieb, der in den Bezirken feiger, professoraler Malerei abgenutzt war, vor anderen oder verborgenen Erfahrungen und Erlebnissen niederbrechen, da diese in ererbte Schemen nicht mehr einzuordnen waren. Die klassizistische Bildordnung und die malerischen Mittel waren längst verbraucht und übermüdet. Kaum noch beschäftigte man sich mit einem ursprünglichen Bildganzen oder schuf eine Anschauung, vielmehr arrangierte man feige Umgruppierungen und verschob innerhalb einer fertigen Bildanlage zweitrangige Teile und Stufungen. Das klassische Maß war zu Mäßigkeit und Mangel an Begabung verkommen, und die Ewigkeit stiller Größe hatte zu lange blöd gelächelt. Übriggeblieben war das einfältige Gebaren mißverstehender Philologen, die eine rationalistisch verschnittene Antike lehrten, deren geschichtliche Akzente falsch gesetzt waren, da man den spätgriechisch-römischen Manierismus den primären mythischen, allerdings fast barbarischen Erfindungen der Alten vorangestellt hatte.

Mit dem Impressionismus rückte Aufruhr heran, und bisher gewisse Formschemen wurden aufgelöst. Man empörte sich gegen die philologisch hochstapelnden Nachbeter und ihre Erbschaft und bekämpfte die akademisch billige Ausbeutung der klassischen Überlieferung. Vom Impressionismus aus begann von neuem der kräftige Aufruhr gegen den Klassizismus, der später mit heftigerem Entschluß fortgesetzt wurde.

Die Impressionisten hatten Natur als Parole ausgegeben. Allerdings jene wurde als Lichtdrama definiert; also eine rein malerische und technisch einseitige Formel; zumal heute Natur immer eine gesonderte Übereinkunft bedeutet. Schon in den Wäldern von Fontainebleau hatte man gegen die Übungen der Ecole des beaux-arts gemalt, Wirklichkeit und atmosphärische Lockerung wurden üblicher Bildanfertigung entgegengestellt. Das Genetische der Bilder lag nicht mehr verborgen, die erregte Handschrift wurde gezeigt. Das Heroentum aus moralischer Pappe, die staatlich geschützten Zeichenformeln wurden auf den Theaterspeicher verstaut. Die abstrahierte Zeichnung, die plastisch aufgedonnert worden war, wich flächigen und biegsamen Zeichen; wiederum begann man, was als gegenwärtige, untheoretische und ungeschichtliche Natur man verspürte, in die Fläche einzufangen.

In der Dichtung durchbrach man gleicherweise die Übereinkunft des pathetisch herrschenden Ereignisses, man löste die gipserne Ewigkeitspose der Helden in fast indifferentes Geschehen oder ein inneres Entwickeln und versuchte noch zaghaft und unwissend über die Fassade des geschlossenen Charakters zu ursächlicher Seelendeutung vorzudringen. Die rationalisierte, ausgeschnittene Anekdote ist abgesetzt, philologischer Lyrismus wird durch Beobachten erledigt; statt statischer Synthese der Person versucht man die „begründende“ Analyse und reiht Sensationen und Gefühle atomistisch aneinander. Der Romantiker, der die Zweiheit von common sens und autistischer Einbildungskraft empfindsam oder ironisch gegeneinander ausspielte, wurde nun vom „unpersönlichen“ Beobachter abgelöst. In die Philosophie gleiten von der Biologie her dynamische Lockerungen, von der Physik her typische Beziehungen oder äffisch genutzte, nämlich physikalisch formulierte Kräfte; doch die absoluten, so sehr geglaubten Systeme mit dem vorbeschlossenen happy end der reinen Vernunft schlichen bedenklich ins Fragliche und wurden nur noch ästhetisch gewertet.

Wiederentdeckung des Lichts! Man findet eine neue Deutung des Sehens durch das Licht. Sehen ist nichts fertig Gegebenes, vielmehr aufschimmernder Umriß, ein Stück Körper, ein Aufleuchten, Farbverhältnisse. Statt der klassischen Vollständigkeit betont man die Auswahl der optischen Elemente, man gibt visuelle Abkürzungen (Abbreviaturen). Sehen entsteht im Licht, wird aus Teilen und Teilchen erregt. Licht ist Führer und Bilddominante; jenes bestimmt die Auslese der malerisch bedeutsamen Momente. Licht ist also ein Mittel subjektiven Wertens. Man betreibt bald eine Art farbiger Atomistik, eine simple physiologische Lehre von Farbreizen wurde zur Doktrin erhoben, was dem abergläubischen positivistischen Geist dieser Zeit entsprach. Das Sehen wird analytisch auf farbige Reize und Gegensätze zurückgeführt, geradezu naturwissenschaftlich. Mau zeigt das Bildgenetische, die Handschrift; das Zeitmoment erschüttert die frühere formelhafte Festigkeit. Der platonislerenden Ästhetik, der Lehre von ewigen, unabhängigen, statischen Formen, werden Eindrucksmoment und subjektive Erregung entgegengestellt.

Der fertigen Bildtypen überdrüssig, wollte man das Sehen selber greifen und fand statt einheitlicher fester Formen leuchtende Beweglichkeiten, Zwischenstufungen, Schwingungen, das Licht. Die verheerende Wirkung der christlich entfärbten Antike, die Überschätzung der unkörperlichen und platonisch dauernden Linie waren beendet; die Linie hatte man einst wie eine Schattenseele vom vergänglichen Körper gelöst. Mit der Verheidnischung der Renaissance wurde sie zur plastischen Raumlinie umgebildet und später zum pseudoplastischen modelé des Baroque geschwellt.

Die statischen Formen und Massen, die ewige Geltung behaupteten, eigneten sich nicht, das erregt Funktionelle dieser skeptischen Zeit auszudrücken. Die stabile Geometrie der Massen wurde aufgegeben; jüngere Gläubige, denen die Skepsis der Väter nicht lag, suchten jene fünfzig Jahre später wieder hervor. Betont wurde das Licht als die entscheidende Bildkraft; doch wurde es zunehmend lehrhafter zerlegt. Denn diese skeptische Zeit glaubte so gern der positiven Wissenschaft. Man mühte sich nun nicht mehr um Volumen und lineares Umreißen plastischer Gestalt, sondern Lichtstärken werden dargestellt, freundlich verbunden oder kämpfend entzweit. Bald dringen die Neoimpressionisten zu lehrhaftem Aufbau und pedantischer Zerlegung des Lichtes vor. Signac und Cross übernahmen von dem großen Bildner Seurat das Modische, die Technik, sein Zeitliches. Die Mechanik der Massen scheidet aus, ein Stück Natur wird auf ein farbiges Lichtschema zurückgeführt, das man nach Stimmung und Uhr nuanciert; man webt weibisch teppichhafte Dekors.

Man hatte alles auf die Bewegung des Lichts gestellt, und demgemäß kürzte man ab. Allerdings drohte Gefahr, daß unter dem Zwang der koloristischen Lichtformel das komplexe Bild, vor allem das Volumen, die primären Raumzeichen verlorengingen. Fern von akademischer Form und Geschichte wagte man das Licht zu isolieren. In solcher Beschränkung der Bildaufgabe lag ein Stück Abstraktion, eine zu enge Arbeitsbedingung war vorausgesetzt. Die Einbuße an umfassender Haltung glich man durch malerische, biegsame Stufung aus. Statt der dramatisch gestellten Figuren bot man eine atomistisch gleitende Licht- und Farbbewegung, die gegenständliche Geschlossenheit des klassischen Bildes zerfloß. Der Betrachter sollte den Mangel an komplexer und statischer Form durch die synthetische Mischung der Farbteile im Auge, also durch eigenes Verbinden und gesteigerte Mitarbeit ersetzen. Hier beginnt die bewußte Einschaltung des weiterbildenden Beschauers, die später noch lange nachwirkt. Die Forderungen an den aktiven Betrachter werden erhöht, bis dieser später durch völligere Bildformulierungen wieder zur Passivität gezwungen wird.

In der klassischen Malerei hatte die Landschaft als eine Art begleitender minderer Statist gedient, ungefähr wie der Chor in der Oper; man war anthropozentrisch gestimmt, der menschliche Mikrokosmos symbolisierte am kräftigsten das Weltganze. Die Landschaft verallgemeinerte duldsam den Charakter der Figuren oder ruhte als stiller Gegensatz. Man stellte gegen den bewußten, zentralen, gottähnlichen Menschen die ungewußt wachsende Natur, oder ein menschlicher moralischer Zustand wurde in das Naturgeschehen übersetzt. Den mythologisierenden Alten war die wörtliche Landschaftsmalerei weniger bedeutsam, da die Flüsse und Bäume usw. als mythische Kräfte zu humanisierten Göttern gebildet wurden. Nach einem totemistisch animistischen Zustand vermenschlichte man ungehemmt, die menschliche Gestalt war in der Zeus-Religion Symbol aller Kräfte geworden; der Mensch hatte gesiegt, und die Bäume grünten, und die Flüsse strömten als vermenschlichte Götter. Alles erschien nun im Menschen verkörpert, dem Ebenbilde Gottes, diesem Mikrokosmos, dem das All entsprach und der Gott zunächst verwandt war. Der Mensch galt als Maß und Gesetz. Man war anthropozentrisch gestimmt; christliche Ablehnung der Natur sprach mit. Erst aus dem ästhetisierenden Heidentum der Renaissance, aus diesem mythisch allegorisierenden Archaismus heraus, wurde wieder von neuem die Landschaft bejaht und die Hybris des Menschen etwas begrenzt. Mählich wurde die Landschaft der früher so vordringlichen Figur beigeordnet. Die Bejahung der Natur; die Beschränkung des Figuralen wuchs dermaßen an, daß man später pantheistisch sich ganz mit der Landschaft genügen konnte, eine städtische Romantik. Statt vorgefaßter Komposition suchte man nun resigniert das erregende Motiv, und an Stelle freier Erfindung trat die ergebene, demütige Beobachtung. Gerade diese Rückführung der Farbe auf das Licht entsprach der herrschenden, beschreibenden Naturwissenschaft; die kopernikanische Sonne war nun auch für die Malerei Zentralkörper geworden.

Die starren Bild- und Dingeigenschaften zerschmelzen nun im Licht. Das Dauernde wird gelöst. Lokalfarbe und Valeurs vergehen im farbig direkten Licht; der Umriß wird durch die Bewegung des Lichts gelöst. Die Plastik geschlossener Körper zerschmilzt in den feinen Schwingungen der Farbteile. Durch die Analyse Taines war der Mensch zu einem „Symptom des Milieus“ umgewertet worden, gleich wie die einzelnen Ereignisse nur noch als Zeichen genereller Ströme galten. Ebenso hat Monet den Gegenstand zum farbigen Zeichen des Lichts gemindert und umgebildet, zu einem Geschehen des Lichts, also zum Symptom einer allgemeineren Kraft.

Entschlossene Analytiker gaben die realistisch primitive Lokalfarbe des Ingres auf und entfernten sich von der dramatisch-gegenständlichen Farbbewegung des Delacroix. Wie die Physiker die beziehungsreichen Vorgänge untersuchten, statt bei angeblich festen Körpern zu verharren, so fixierte der Impressionist die Lichtbeziehung, und die Dinge selber galten für nichts anderes denn farbige Rapports. Man war fern von der spätbarocken Lichtform Rembrandts, die in sich kontrastiert und atelierhaft abgegrenzt ist, in hell und dunkel nach Rezepten auskomponiert war; nun zeigte man die Arbeit des Lichts, das man geradezu naturwissenschaftlich zerlegte. Ähnliches leisteten die Dichter; sie lösten die rhythmischen Regeln und paßten die Kadenz dem Geschehen an. Die konventionellen Formen brachen vor etwas nieder, das im Gegensatz zum Überlieferten als dynamische Natur, tätige oder leidende, man verspürte.

Vor diesem Temperament, das die Bewegung des Lichts einfing und mit abkürzender Technik den Moment griff, zerfielen zunächst Plastik und fester Bau. Eine mangelnde strenge Ganzheit sollte durch die farbig geordnete Analyse des Eindrucks ersetzt werden, deren Teile im Auge des Betrachters fast physiologisch verschmolzen.

Die Palette war vereinfacht und die Bildfläche von der üblichen fausse-plastique gereinigt. Fläche, Handschrift und Farbe standen nackter, durchsichtiger da. Man begnügte sich mit der reizvollen Epidermis, die des Konstruktiven ermangelte. Die Leinwand war nun von Philologie und akademischem truc gesäubert. Man gab formal Simples farbig kompliziert, und wieder konnte man einmal von vorne beginnen.

Eine Technik war gefunden, eine Analyse des Lichts - doch eines fehlte: die gründliche Durchformung des Bildraums. Man hatte die Problemstellung vereinfacht und spezialisiert, doch die Lösung war raffiniert auf Stufung gestellt; der Streit zwischen primitiver Struktur und gestufter Sensibilität setzt ein. Die Technik verriet trotz triebhafter Primamalerei delikate Wissenschaftsnähe. Die Farbe war gereinigt und gesteigert, doch das Grundmotiv bildender Kunst, die Raumgleichung, war bei solcher Verengung der Bildaufgabe verlorengegangen. Hier trat der Zwiespalt zwischen Maltechnik und komplexer Form auf, zwischen limitiertem Moment und gänzlicher Gestaltung, ein Widerstreit, der Cézanne und seine Nachfolger beschäftigte.

Dank dem impressionistischen Aufruhr waren die Überlieferten starren Formtypen und die Gegenstände, worein diese verhaftet waren, erschüttert. Voraussetzungslos will man beobachten und das Strömen farbigen Lichts hinschreiben. Ein anderes kam zustande als das gewohnte Bild, das dem Betrachter kaum eine Chance von Aktivität bot. Jetzt mußte dieser die notierte farbige Erregung optisch zusammenfassen. Der Betrachter mußte sich mit schnellwirkenden, dekorativen Reizen begnügen, und was dem impressionistischen Bild an Geschlossenheit fehlte, sollte er verbindend hinzufügen.

Die Gestaltung des statisch Verharrenden konnte kaum Aufgabe einer Generation sein, die das gleitend Funktionelle bevorzugte und jedes platonisch Feste bezweifelte. Gegenüber dem starr Akademischen betonte man das biologisch Bewegte, das Dynamische und somit das für diese Zeit Wahrere: das funktionelle Licht. Die naturwissenschaftliche Gesinnung dieser Zeit führte nach der ersten Erregung zu einer fast wissenschaftlichen Optik. Optimistisch bejahte man im Impressionismus die Wirklichkeit, doch im gleichen Maß, welch Paradox, verengte und erschütterte man sie durch die Einseitigkeit der Bildformel. Jede Revolte enthält zunächst Destruktives, Kritik und Zerstörung.

Man revoltierte wieder dagegen, daß Kunst Wiederholung ewiger Regeln sei. Gegen den Klassizismus, der die Ewigkeit der Typen bestätigen wollte, setzte man die aktuelle Erregung als wechselreiche Erfahrung. Gegen den Kompositionskanon stellte man die dynamische Beziehung der Farbteile.

Die werdende Sensation wurde dem ideal Fertigen und Vollendeten, diesen Schatten des Ewigen, bevorzugt. Man sprach in Primamalerei und nutzte eine biegsam empfindliche Technik. Die vorgefaßte Ganzheit, der Ewigkeits-truc des alten Bildes, die dramatische Charakterisierung galten wenig, verglichen mit zeitlichem Bewegen und farbigem Übergang. Die Statik der Massen^ wurde durch dynamische Kräfte abgelöst, die feste Struktur durch entrinnenden Ablauf, die Sensationen; das gleitende Licht versucht man zu fixieren. Dies strömend Eilige wird Träger dieser Empfindsamkeit, es gilt nicht mehr als nebensächlicher Schmuck, der am Saum der Dinge schaukelt, ist nicht mehr virtuose Zutat oder schmückender Behang, sondern das Licht selbst zaubert die Dinge hervor, und diese sind seine eigenste Schöpfung, die es bildet und atmend wieder löst. Das Bild ist nur noch die farbige Pause des gleitenden Geschehens. Die Natur wird nicht mehr als dauernde Gestalt gebildet. Sie ist nun schwankendes Sichereignen, das aus kleinsten Lichtteilen gewoben wird. Nun wurde die Landschaft, früher Staffage, da aus ihr das Licht strahlt, über die kanonisierte Figur heraus zum Hauptmotiv erhoben. Die Landschaft ist die Bühne des Lichts, und dieses gilt nun als bedeutsamste, malerische Gewalt.

Man hatte aus Naturwissenschaft und Philosophie immer stärker das substanzhaft Dauernde ausgeschieden. An Stelle des Seins trat das Werden; an Stelle der gegebenen Ideen, dieser transzendenten Mechanik, die alles Dasein angeblich fetischhaft beherrscht und somit in ein logisches Spiel verwandelt, setzte man nun ein seelisches Geschehen. Das Dauernde und unerschüttert Jenseitige wurde durch das stärker betonte Zeitmoment abgelöst. Im gleichen Sinn wurden die alten Bildformeln, die überlieferten Gestaltschemen immer heftiger erschüttert. Der Mensch verspürte sich selbst nicht mehr als rationale Einheit, sondern als sich veränderndes Aggregat, das Reize empfängt, verarbeitet und weitergibt. Begriff und Seele waren zu Funktionen gelockert. Das Bewußte galt nur noch als schwache Spitze der seelischen Prozesse, und die Gesetze wurden eher als Arbeitshypothesen eingeschätzt. Das Systematische der Wissenschaften besaß nur noch ästhetischen oder entwicklerischen Wert.

Damit verging auch die klassische Struktur der Bilder. Die Plane wurden verschmolzen und galten nur noch als Farbverhältnisse. Das perspektivische Kalkül der Ferne schwand; die ewigen Maße verflogen im impressionistischen Moment und in der neuen atomistischen Technik. Das Gleitende und die Intensität des Augenblicks wurden geschätzt.

Das gelöste Motiv erhielt eine neue, eine fließende Einheit, die strömend die Leinwand beherrschte: das Licht.

Das Lichtmedium übereilt demokratisch die Bildfläche, die neue Bedeutung gewinnt. Auf ihr spielen nun nicht geometrisch feste Rhythmen, und geschlossene plastische Gebilde wachsen nicht mehr aus ihr hervor. Überall flaniert. Licht. Bedeutsam vor allem wird die Farbe; das Plastische der klassischen Bildkonzeption zergeht. Die ersten Betrachter der impressionistischen Gemälde hatten richtig verspürt, daß hier die alte Ordnung von Zeichnung, modelé und gegenständlicher Farbe, also all dies, was nach konventionellem Sinn den Gegenstand bildet, erschüttert war; der in seinem Besitzsinn beleidigte Bürger, dem alles Feste unter der strömenden Gewalt des Lichts zerfloß, protestierte gegen diesen malerischen Nihilismus. Diese impressionistischen Bilder gewannen ihre Kraft nicht mehr aus der üblichen Ordnung gesicherter, fester Dinge; man verzichtete auf Modellierung und Tiefe und schuf aus Farb- und Lichtbeziehungen ein dekoratives Bild, wobei die Dramatik des Bildentstehens höher gewertet war als die nachahmerische, erotisch bestimmte Tiefendarstellung. Die Impressionisten waren keine Realisten: sie waren wohl Naturalisten, soweit sie den physiologisch-optischen Empfindungen folgten. In der Behandlung des Gegenständlichen waren die französischen Impressionisten ebenso folgerichtige Artisten wie Mallarmé. Gab dieser die Spannung der zeichenhaften Metaphern, so die Impressionisten die Spannung gegenständlich fast neutraler Farbteile. Man kann vielleicht auch an Flaubert denken, diesen Epiker, der seine Menschen als kompositorische Mittel nutzte, um einen deklamierten Sprachverlauf zu bauen (der zum Teil allerdings noch durchaus romantisch geartet ist). Flaubert gruppierte seine Menschen indifferent, nihilistisch. Eine ähnliche Gleichgültigkeit gegenüber dem Gegenständlichen bestimmte die Impressionisten. Sie behandelten Menschen gleichwie Stilleben auf das Dekorative hin; das einzig Bewegte ist nicht der Mensch, sondern der lichthaltige Farbprozeß. Mit dieser artistischen Indifferenz den Gegenständen gegenüber wurde der Weg für autonome, formale Versuche geöffnet.

Diesem Weglassen der zeichnerischen Akzente entspricht in der Dichtung das poème en prose, dies Späterzeugnis endender Romantik. Das Gefüge von Vers, Zäsur und zusammenfassender Strophe zerfiel im unmittelbaren Niederschreiben des seelischen Geschehens. Man gab das dichtende Leiden und Tun selbst und zeigt den Vorgang. Der genetischen Technik der impressionistischen Maler entsprach im Gedicht die Folge bildhafter Analogien.

Nun glaubte man wieder einmal der Natur nähergekommen zu sein. Soweit dies einen Sinn hat, besagt es, daß man eine malerische Sprache gefunden hatte, die eigenem Temperament und allgemeiner Gestimmtheit entsprach.

Wie die Maler die Natur als flüchtiges Phänomen analysierten, so hatte man vorher die Morphologie zur Biologie umgebildet. Die gesamte Wissenschaft löste ihre Gegenstände aus starren Gebilden zu Funktionen und Beziehungen, zumal in der Psychologie. Doch verfuhren die Psychologen zunächst rationalistisch und unkonkret, sie konstruierten abstrakte psychische Generalisierungen, bis man dank Nietzsche und Freud begann, einzelne seelische Vorgänge zu beschreiben. Die kompakte Seele und ihre abstrakten generellen Funktionen gerieten nun ins Reich der Antiquitäten, und an ihre Stelle traten einzelne Komplexe, deren geschichtliche Bildung man auf spürte. Entsprechend der damaligen Verschmelzung von seelischen und physiologischen Vorgängen faßten die Impressionisten den Betrachter als Reizenempfänger, worin der Prozeß des Bildzusammenschlusses vollzogen wird. Das impressionistische Bild erreicht eben keine endgültige Gestaltstufe, und so bedurfte man der aktiven Mitarbeit des Betrachters. Die Bilder werden nun Kreuzungspunkte seelischer Funktionen, und das Endgültige, Unbewegbare ist verabschiedet. Gleichwie der Maler mit biegsamer Empfindsamkeit aus einzelnen Farbreizen (touches) sein Bild webt, so verarbeitet der Betrachter die atomistischen Farberreger des impressionistischen Gemäldes, während der Betrachter der klassischen Bilder durch deren komplexere und fertigere Gestaltung eher passiv geordnet und zusammengefaßt wird. Der Betrachter des impressionistischen Bildes übernimmt produktiv ein Stück Malerei, dessen optische Dynamik regsam weitergeführt wird. Gewiß schließen sich die Teile des impressionistischen Bildes dekorativ zusammen, doch die Verbindung der Farbreize wird dem Betrachter überlassen, zumal das Motiv, das nur als Lichtform gedeutet ist, fragmentarisch blieb. In diesem strömenden Übertragen des Optischen, dem Bewahren der funktionellen Empfindung lagen Kraft und Grenze der impressionistischen Bilder. Hieraus rührt ihr Elan, doch auch ihr Mangel an Aufbau und zwingender Endgültigkeit. Die Malerei war eben nicht weniger als die Wissenschaft spezialisiert worden; es haftet ihr nun etwas Fragmentarisches an. Hatte in der klassischen Malerei die Sensation als vorläufige Skizze und durchaus Unzulängliches gegolten, so gewann jene nun eine andere und erhöhte Bedeutung, da gerade in ihr das Funktionelle kräftig und unmittelbar enthalten schien. Mit der Metaphysik war zunächst die „ewige Form“ diskreditiert, bis neue bildnerische Konstruktionen oder „Lügen“ versucht wurden.

Dem Betrachter der klassischen Bildwerke werden komplexe, fertige Formen geboten, die er annimmt oder verwirft. Irgendwie war die Form räumlich vollständiger verwirklicht, und zu der Leistung des Betrachtens tritt noch eine Art verstandesmäßiger Auseinandersetzung hinzu.

Das impressionistische Bild fixiert die farbige Erregung. Seine Grenzen liegen in der dekorativen Abkürzung des Motivs, im Technischen und der Intensität des Reizes. Das impressionistische Bild enthält bereits eine gegenstandsfeindliche Tendenz; denn man kürzt ab, wenn nur das farbig Funktionelle ausgelöst wird und die Grundeigenschaften des räumlichen Seins ausgeschaltet sind. Diese neue Kunst war wie jede Kunst eine neue Willkür.

Wir verweisen nachdrücklich auf das Funktionelle und gleichzeitig Destruktive des impressionistischen Sehens, da hierin bestimmende Momente des heutigen Bildens enthalten sind. Später deutete man dies Funktionelle um, indem man die impressionistische Zeitauslese, den Moment zu einer umfassenderen konstruktiven Folge von optischen Bewegungen erweiterte und die aufeinanderfolgenden gegenständlichen Zeichen formal zu etwas, was ich Erinnerungsdimension nenne, weitete und verfestigte. Nun konnte man die räumlich entscheidenden Gegenstandszeichen umgreifender und doch flächig bilden.

Gerade Corot und Delacroix hatten die Farbe ungemein gelockert und gedehnt, so daß sie differenzierten Sensationen zu dienen vermochte, und hierdurch wurde eine spontane Malerei möglich, da man jetzt die plötzliche Erregung niederzuschreiben wagte. Die impressionistische Analyse des Lichts bedeutete nur ein entschlosseneres Vordringen in solcher Richtung, eine noch stärkere Auflockerung der Bildteile in funktionelle Reize. Hieraus folgte allerdings ein Verengen des Gestaltungsziels und somit eine Spezialisierung der Bildeinheit. Man wagte entschlossene Abkürzung. Die Lichtkraft der Körper galt, doch erfand man keine neue raumhafte Struktur. Die artistisch einseitige, flächenhafte farbige Abkürzung wird komplexeren Vorstellungen entschlossen entgegengestellt. Eine umfassendere Synthese versuchten erst die Nachfolger.

Allerdings gab man „nur“ Epidermis. Damit wurde jedoch eine bildmäßige Flächentechnik vorbereitet, und der akademische beschreibende Klassizismus war zunächst beendet. Ein solches Vorgehen birgt zweifellos eine Art artistischen Nihilismus gegenüber dem konventionell Gegenständlichen. Eine technische Artistik, dank welcher Kunst heute in vielem geradezu Isolierung bedeutet.

Mallarmé, der zu zaghaft mit dem Impressionismus verbunden wird, gab die gegensätzlichen Reize metaphorischer Ketten. Er schaltete das gegenständlich Komplette aus zugunsten des gespannten Zusammenklangs der Bilder, die sich dem Leser zu artistisch selbständiger, gedichteter Folge verweben. Rational einander fremde Zeichen werden verbunden, und biologisch einander fremde Funktionen verschmelzen im Gedicht halluzinativ vermählt. Die seelische Folge gilt und nicht die rational erklärende. Das sentimental Stoffliche, die motivische Einheit verschwinden im Strom der Analogien. Man vermeidet banales Beschreiben mittelbarer Tatsachen und schafft eine halluzinative Folge von Zeichen, die dem visionären Ablauf entspricht.

Allerdings zeigte sich bald das Unzulängliche und Beschränkte dieses Artistentums, da man nicht gewagt hatte, die Bedingungen des Daseins selber abzuändern. Die Impressionisten gelangten trotz ihrer Versuche nicht zur großen Komposition, die anderes als eine aktuelle Technik erfordert.

Der Impressionismus ist ein Beispiel neuer Willkür und heutigen Spezialistentums. Wichtig war die Abkürzung, die an Stelle völligerer Bildkonzeption trat sowie das Betonen der Bildfläche, wodurch man die fausse plastique ausschaltete. Damals sagte man: Man male, um zu malen, und die Technik genüge sich selber. Mit dieser artistischen Spezialisierung konnte jedoch eine völligere Gestalt kaum erreicht werden. Man hatte eine Flächentechnik gefunden (und diese war wichtig genug), doch keine entscheidende Raumkonzeption.

Der Impressionismus eröffnete mit seinen technischen Funden trotz allem vermeintlichen Realismus die Möglichkeit einer subjektiven und imaginativen Malerei. Schnell zeichnet man die dekorativen Hinweise auf, um den Seelenzustand festzuhalten, der in Handschrift und deren Tempo spricht. Das Schauspiel der figural komplexen Komposition war zu einem Drama der Handschrift und der Farbteile sublimiert worden; doch infolge dieser technischen Begrenzung wirken die Bilder der Impressionisten nur dekorativ, gleichgültig, ob Mensch, Landschaft oder Stilleben gedeutet sind. Der Kampf mit dem Volumen, dieser lebendigen, täglich umzubildenden Projektion, kraft der die Dualismen zwischen Bild und gegenständlicher Konvention sichtbar werden, diese gründliche Spannung mangelt diesen Bildern. Doch eines bleibt bedeutsam: die Entschlossenheit, das stofflich Dramatische in ein technisches, flächenhaftes Drama umzuwandeln; damit begann eine Epoche der technischen und formalen Freiheit.

Die artistische Gestimmtheit bekundet sich darin, daß das Motiv nur unpathetischer Vorwand ist; man ist von sentimentaler oder ideologischer Einschätzung des Stoffes entfernt, jedoch auch gleichermaßen von völliger Gestaltung. Der Gegenstand wird im naturalistischen Sinne dargestellt, soweit er technisch anpaßbar ist. Man wertet nach Licht und Farbgehalt. Es entsteht die impressionistische Abkürzung, die zwischen Naturalismus und Gestaltung liegt, woraus fälscherweise der Vorwurf der Skizzenhaftigkeit impressionistischer Bilder hergeleitet wurde. Festere, entschiedenere Gestalt gewann der Impressionismus dank Renoir und Cézanne. Diese Meister verfestigten das neue Mittel, machten es klassisch und verdrängten durch formales Bereichern und Verdichten die Abkürzung. Gerade die späteren Arbeiten der Impressionisten bezeugen, daß diese Schule wenig mit dem Naturalismus gemein hat, sondern daß diese Technik bereits Mittel zu besonderer bildmäßiger Gestaltung enthielt.

Degas, Renoir und Cézanne, also Impressionisten, begannen die Reaktion und drangen von farbiger Analyse zu völligeren Formen. Gleichzeitig knüpfte man bewußter und entschiedener wieder an die klassisch französische Überlieferung an. Bei Renoir kann man von einer Wiederkehr des mittelmeerischen Hellenismus sprechen. Hinter Degas stehen die Schatten von Ingres und David; die römisch-italienischen Spätelemente der französischen Überlieferung werden hier von neuem lebendig, während Cézanne der französischen Malerei den Weg zu einer tektonischen Primitive bei technischer Komplizierung weist. Er erscheint als der Revolutionärste und gleichzeitig Konservativste unter seinen Zeitgenossen.

Nun versucht man den Bildern gebautere Festigkeit zurückzugewinnen und erstrebt mit der neuen Technik eine präzisere Raumgestaltung, wobei man die impressionistischen Licht- und Farberfahrungen umbildet. Im frühen Impressionismus, besonders bei Monet und Manet, ist der Widerstreit zwischen Technik und Gestalt - oder allgemeiner - zwischen Technik und Raum offenkundig. Man gab flächenhafte farbige Abkürzungen, jedoch ohne das Volumen flächenhaft zu übersetzen. Der Raum war empfindsamer Impression, die Gestaltung einer technischen Einseitigkeit geopfert worden.

Renoir und Cézanne, daneben sehr intellektuell, doch weniger entschieden Degas, versuchten die neue und aktuelle Technik einer stabileren Bildstruktur unterzuordnen. Der Impressionismus wurde zur Klassik. Aus der Zeichnung des Degas liest man leicht den Einfluß des Ingres ab. Trotz allen Esprits, aller kapriziösen Bewegungsmotive ist Degas der akademischste, Renoir lebt in den Bezirken von Hellenismus und Rokoko, das seit Kreta und Etrurien im Mittelmeer immer wieder aktuell war. Renoir paßt den Lichtverlauf immer gefügiger einem klassischen Gestaltaufbau an und ordnet ihn den kompositionellen Richtungsmomenten unter. Allerdings stellt er die Figuren in einen technisch vereinfachten, impressionistischen Hintergrund, der flächig in dunstigem Schmelz wogt. Mitunter denkt man an Rubens und sehr oft an Fragonard. Renoir setzte diese Überlieferung äußerst bewußt fort. In seinen Bildern erwacht noch einmal die große mittelmeerische Überlieferung, und in antiker Gesinnung zaubert er Bruchstücke alter Formbezirke mit der neuen Technik hervor.

Der Wille Degas’ und Renoirs, entschiedener Volumen darzustellen, weist sich darin, daß beide Skulpturen schufen. Allerdings, die Oberfläche der Degasschen Plastiken ist impressionistisch, während Renoir antikisch geschlossene Körper bildete, wobei er das Œuvre Maillols vorwegnahm.

Vielleicht wurde Cézanne von den Nachfolgern allzu scharf von der impressionistischen Gruppe abgetrennt. Man wertete vor allem seine aktuelle Wirkung und sah in ihn einseitig die spätere Optik hinein, wobei man Voraussetzung und Folge fast gleichstellte. Vielleicht definierte die spätere Generation aus einem Bedürfnis nach Gegensatz den Impressionismus zu eng. Man hatte Cézanne zum Feldgeschrei erhoben. Cézanne suchte die Mittel der Impressionisten zu einem komplexen Bild zusammenzuschließen, das heißt die gefundene Technik einer bedeutenderen Anschauung unterzuordnen. Renoir, der glückliche Optimist, der alles Geschichtliche bejahte, hatte das neue Mittel in die Gestaltüberlieferung des Rokoko und Hellenismus eingefügt. In seinen Arbeiten steckt altes Erbgut.

Beim frühen Cézanne überrascht zunächst ein leidenschaftlich, fast romantisches Barock. Instinktiv versucht er in diesen raumgreifenden Kurven Volumen einzufangen, das er später fast lehrhaft baut. Damit war die2 Trennung von den Impressionisten vollzogen. Cézanne suchte eine Ordnung. Er war revolutionär, da er konservativ war. In seinen Aquarellen löst er die Motive fanatisch auf, entschiedener als jeder andere Impressionist; hierbei fand er Kräfte, die der neuen analysierenden Technik widerstanden, nämlich die Struktur des Motivs. Damit hatte er etwas gewonnen, eine eigentümliche Primitive, die mit komplizierter, malerischer Technik verbunden wurde. Klassik wurde unter veränderten geschichtlichen Bedingungen versucht. Keiner hat so stark wie Cézanne die französische Malerei zur Primitive gezwungen, und wir stellen bei ihm den Dualismus von einfacher Struktur und kompliziertester, malerischer Empfindsamkeit fest, einen Dualismus, den wir bei Poussin und Corot wiederfinden - ein Phänomen, das ich le double style nenne.

Bei Cézanne spricht ein ungestümes Bedürfnis nach Volumen, das in den frühen, etwas skulpturalen Bildern, also gegensätzlich zur impressionistischen Flächentechnik, auftritt.

Schon steckt in diesen frühen Bildern eine Erregung, die auf zusammenfassende Ordnung geht. Diese Gemälde erscheinen ungeschlacht. Allmählich aber findet Cézanne Grundtypen von Volumen: Würfel, Zylinder, Kegel, und man kann sagen, daß Cézanne nun beginnt, das Motiv gemäß diesen Elementen zu generalisieren. Cézanne dachte immer an die große Form, an eine dauerhafte Komposition, aufgebaut mit den neuen impressionistischen Mitteln. Cézanne war Tektoniker mit impressionistischer Technik, und somit ging er in seiner Arbeitsmethode einen den Alten entgegengesetzten Weg. Cézanne vermochte die Impression wie keiner seiner Kameraden an ihrem atmenden Ursprung zu bezaubern, und solch fast schmerzhafte Sensibilität mußte um jeden Preis eine stabile Form suchen, wollte sie sich nicht verpuffen; vielleicht erzwang gerade diese Verletzlichkeit solch strenge Logik, man mußte die vielfältig erfahrenen Eindrücke fanatisch vereinheitlichen, wollte man nicht bersten. Es gibt einen Grad von hochgesteigerter spezialisierter Empfindsamkeit, wobei man nur noch das Farbige notiert. Welche Freiheit gegenüber dem Motiv in Cézannes Aquarellen, die als Beispiele gereinigter Anschauung gelten. Cézanne ist vielleicht in diesen Studien mehr Impressionist als alle anderen, aber gerade darum vom Motiv unabhängiger und ihm fern; jede Sentimentalität gegenüber dem Gegenständlichen ist ausgeschaltet. Statt dessen bricht etwas hervor, was die Kultur der anderen verbarg: der primitive Kern des Impressionismus. In Cézannes Aquarellen widersteht nur der Hauch des Sichtbaren, die letzten farbigen Elemente; doch wird hier bereits das Motiv in einfache farbige Gegensätze geschieden und zerbrochen, um Volumen zu bilden. Licht dient jetzt als konstruktives Mittel, und die farbige Erregung wird zur Tektonik gezwungen, indem man das nicht mehr Auflösbare heraushebt und den tektonisch unzerstörbaren Kern herausschält. Cézanne löste das Motiv in den Aquarellen auf, bis er zu den Elementen drang, doch bleibt er innerhalb der spätklassischen Raumformulierung, und erst später wagte man die Elemente selbst umzuwerten. Cézannes Leistung besteht vor allem in der klassischen Restauration des Impressionismus. Er hat den Impressionismus zu einer tektonischen Primitive gezwungen, die später bürgerlich und akademisch verengt beim jüngeren Derain wiederkehrt.

Seurat war gleicherweise zur Komposition vorgedrungen, doch seine Sensibilität war weniger gewagt, war kühler und beschränkter. Die Komposition Seurats wurde durch die Wahl des Motivs aktualisiert. Der provinzielle Cézanne hingegen mied jede Aktualität. Man hat ihn mit Marées verglichen, dessen Adel nicht über das Philologische seiner Leistung hinwegtrügt. Marées blieb im Gegensatz zu den Impressionisten in den Bezirken herkömmlicher, klassizistischer Haltung. Die Einfachheit Marées wirkt wie ein Verarmen durch dürre Bildung; allzu nahe und deutlich winken ironisch die verehrten Vorbilder. Neues hat Marées dem Klassizismus kaum hinzugefügt; er scheiterte an der Größe der Alten, einem bedrängten Historismus und einem Traum von Vollendung, die von anderen in gemäßer und bedeutender Umwelt längst vorher erreicht war.

Cézanne ging nicht von einem Ganzen oder gegenständlich geschlossenen Körpern aus, sondern von Farbteilen, deren Beziehungen und Modulation. Er beginnt mit farbigen Zentralpunkten (points centrals), zu denen sämtliche Farbkörper des Bildes in Beziehung und Abhängigkeit gebracht werden. Mit diesen impressionistischen Atomen erreicht Cézanne Bildnisse in einem neuklassischen Sinn. Cézanne steht technisch diametral zu den alten Meistern; er hat keine Gesamtschau zur Verfügung, die zu individualisieren, zu vereinzeln ist und ihm durch geistige Umwelt und Überlieferung geboten würde. Dieser katholisch und politisch konservativ gesonnene Bürger sah dem Impressionismus sub specie aeternitatis. Eine große archaische Tendenz spricht aus diesem Werk, und Cézanne, der Impressionist, überschreitet das übliche Klassische und rückt in die Nähe der primitiven und frühen Griechen.

Cézanne ging vom Farbteil zum Ganzen, von der Sensation zur Struktur, während die Alten die farbige Empfindung als letztes ihrem Bildgebäude eingeordnet hatten. Cézanne war im Notieren der Sensation groß, doch das Ergebnis ist tektonisch primitiv. Cézanne zwang die schmiegsamen Farbkörper zu Gestalten. Um ihnen Halt zu verleihen, benutzte er die klassisch trennenden Plane und fügte seine Sensation in einfache Richtungskomponenten. Die Alten waren von der fertigen Gestalt ausgegangen, die immer reicher individualisiert wurde; Ergebnis des Glaubens an eine fertige, vollendete Schöpfung, die noch die Renaissance beherrschte. Cézanne hingegen ging von sehr nuancierten Sensationen aus, die, um Halt zu gewinnen, auf einfache Körper bezogen, also generalisiert wurden. Das Klassische war hier gestorben, um gleich Lazarus aufzuwachen, doch der Weg zur Form war umgestülpt. Bei Cézanne war die Farbe zum Beginn umgewertet, aus den farbigen Dominanten wird zum Ende das früher Primäre, die tektonische Gestalt, abgeleitet. In diesen so schwer faßlichen Farbteilen, eben in der Sensationsspur und deren Aufbau, liegt das Impressionistische Cézannes. In der Problemstellung des Volumens ist sein Klassisches einbeschlossen und ebenso die Wirkung auf die kommenden Generationen. Von Cézanne geht der autonome Kolorismus aus, sobald man ihn bei der farbigen Sensation, dem Beginn, faßt; bei Cézanne setzt der Kampf um eine Raumstruktur von neuem ein, sobald man ihn beim Ergebnis faßt. Matisse zum Beispiel versuchte in seinen Anfängen die farbige Struktur Cézannes zu generalisieren und summiert farbig das Motiv, während die jüngere Gruppe von einer Anschauung des Raums ausgeht, die zu Gegenständen individualisiert wird, unter Beibehaltung der Bildfläche. Die tektonische Anschauung war durch eine überreiche Sensation erzwungen worden; die vielfältigen Impressionen forderten strengen Aufbau, wollte man nicht zerwanken. Der Arbeitsprozeß und die Bildkonzeption Cézannes von der passiven Impression bis zur willensmäßigen aktiven Tektonik hat die seelische Spanne ungemein erweitert. Man durchläuft die gegensätzlichen Schichten von leidendem und tätigem Erleben und gelangt somit zu einer seelisch gespannteren und reicheren Ganzheit.

Cézanne wollte die Sensation zu stabiler Fülle erweitern. Er überschritt die technische Analyse des Impressionismus und so gelangte er zu einem formalen Realismus, indem er von einer Anschauung ausging, die die Grundeigenschaft vorgestellter Körper, nämlich das Volumen, enthält. Bei ihm wachst alle Zeichnung aus dem Malen. Die Kontraste sind dermaßen farbig abgehoben, daß sie aus gegenschimmernder Berührung Kontur erzeugen, der letztes Ergebnis feinster Farbteile ist. Die Impression ist farbig in ihren Teilen präzisiert; die Gegensätze sind dermaßen gestuft, daß Abgrenzung und Gestalt dank farbiger Modulation entstehen. Die Farbe verräumlicht sich kraft ihrer Kontraste, und die Richtungsgegensätze ergeben sich nicht nur aus Farbe und Licht verlauf, sondern aus den Gegensätzen der formalen Gestalttypen.

Cézanne war von einem Minimum gegenständlicher Eigenschaften ausgegangen; distanzierter Artist wie seine Kameraden. Die Alten hingegen hatten ein optimistisches Maximum gegenständlicher Fülle erstrebt. In diesem Maximum, ob es nun mit perspektivischer Raumeroberung oder dramatischen Gestalten und Bewegungsreichtum erzielt wurde, liegt ihre Wirkung. Sie erstrebten etwas äußerst Komplexes. Cézannes Weg hingegen ging zu einer Primitive mit aktueller, sehr sensitiver Technik. Bei ihm erkennt man bereits deutlich die archaisierenden Tendenzen der sogenannten Modernen. Die Alten waren vom gesetzmäßigen Aufbau des Ebenbildes Gottes ausgegangen, und in ihren Kompositionen ahmen sie die Harmonie der gottgeschaffenen Welt nach. Letzten Endes war ihr Realismus religiös. Cézanne begann experimentell mit lichthaltigen Farbteilen, die nach Gegensatz und Modulation um Farbzentren gruppiert wurden, deren Gesamt eine fest konstruierte Komposition ergeben sollte. Diesen Beginn vom Farbatom aus nannte er la petite sensation. Aus einer impressionistischen Technik wollte er die klassische Gestaltung gewinnen. Um solches Zieles willen unterwirft er die dynamische Sensation dauernden Gestalttypen. Der katholische konservative Cézanne verspürt ein geradezu religiöses Bedürfnis nach Dauer, er will die Ewigkeit des göttlichen Werkes nacheifernd bestätigen.

Undisziplinierte Reaktionäre betonen in seinem Werk die impressionistische Technik. Gegenwartsfanatiker hingegen das Konstruktive. Mit beiden einseitigen Definitionen verkürzt man Cézanne um sein Ganzes und Persönliches und unterschlägt das eigentümlich Krisenhafte seiner Malerei, die trotz aller Vollendung oft im Problematischen und Unvollendeten verharrt. Cézanne schuf dem Impressionismus eine logische Methode, kraft der es ihm gelang, über die Impression zu dauerhafterem Aufbau zu dringen. Man darf ihn den umgekehrten Klassiker nennen.

Doch die Position zur Welt und die malerischen Mittel sind recht spezialisiert. Der Mensch ist wie ein Stilleben, Motiv, weiter nichts, Anlaß zur farbigen Sensation. Hier läuft die Grenze aller artistischen Indifferenz. Der heutige Mensch scheint das Mittel zu einem Sachzweck zu sein: sei es, um kollektiv politischer oder artistischer Absicht zu dienen. Bei den Impressionisten stellt man einen Egoismus fest, dem das Objekt nur als Symptom gilt. Man beendet den klassischen Realismus und kündigt den Gehorsam gegen die Vorherrschaft „der göttlichen Natur“, und dies um einer abgesonderten Kraft der Natur willen, des Lichtes wegen. Realität wird ein Symptom der malerischen Dominanten, wie später die Dinge nur noch die Peripherie formaler Vorstellungen berühren. Cézanne hatte die impressionistischen Mittel bis zum Statuaren gezwungen. Allerdings scheiterte er letzten lindes an den Grenzen impressionistischer Reizbarkeit. Die „Badenden“ blieben unvollendet. Vielleicht waren die Mittel zu fein, der Atomaufbau zu verwickelt. Seurat besaß leichter organisierbare Mittel dank dem etwas pedantischen Pointillismus. Die Technik, also Seurats modische Schwäche, übernahmen mißverstehend seine kleinen Schüler. Entscheidend war sein Entschluß zu strenger Komposition, kraft dem er in der Reihe der größten Kompositeure steht. Von den „Badenden“ Cézannes und den Bildnissen Seurats aus begann dann die Suche nach dem figuralen Bild.

Irgendwann mochte ein brennendes Gemüt auffahren: warum nur isolierende Artistik, stillebenhafte Menschen? Warum gingen Erschütterung, seelische Gespanntheit und Differenzierung des Themas verloren? Vermag das impressionistische Mittel solches nicht zu fassen? Kann man nicht mehr die Dramatik Delacroix’ erreichen, das Lehrhafte Millets, das Ethische Daumiers durch ein neues Pathos zu ersetzen und somit die Kunst wieder vermenschlichen? Sind Bilder nicht für alle da, von irgendeinem Anonymus gemacht, dessen Absicht auf kollektive Wirkung ausgeht? Man müßte den Impressionismus zum religiösen und kollektiven Mittel steigern, die artistische Abgetrenntheit überwinden und aus dem Geschmacklichen in die allen vertrauten Gefühlsbezirke vorstoßen.

Vincent van Gogh kannte die Kraft des gipfelnden Moments, der ins Bleibende verfestet werden will. Engster Zeitausschnitt und steilstes Glühen galten ihm identisch, und so erschien ihm der Moment als ekstatische Steigerung. Er versuchte, solches Entbranntsein, die äußerste Expression, festzuhalten; eine ekstatisch geöffnete Sensibilität arbeitete hier, die mehr als optisch war. Das Technische wurde zur subjektiven unmittelbaren Expression gewandelt, eine eilige, rasend geschleuderte Ausdrucksform, eine fast manische Ornamentik; man mußte eilen, wollte man den Moment fixieren, damit die Direktheit der ekstatischen Trance erhalten werde. Gerade im ekstatischen Schaffen wird in lyrisch gesteigerter Subjektivität oder in objektivierender Identifizierung der vom Motiv geleistete Widerstand etwas summarisch erledigt. Darum begann man das rascheste Mittel, das leicht ermüdete Ornament zu nützen. Man ist noch allzusehr ins Motiv gebunden, um zum Psychogramm zu dringen, also man stilisiert und verharrt in der Zwischenwelt. Vincent van Gogh wollte mehr aussagen als eine nur optische Beziehung und versuchte anderes zu geben als reizvolle Oberfläche. Symbolische Auflösung und die geistige Verwandlung des Motivs werden opferwillig versucht. Nun schaut man Farben, welche die sichtbare Feststellung überschreiten, die einer erleuchteten Leidenschaft, einem inneren Pathos entsprechen. Lichtfarben werden nach Gefühl und symbolischer Bedeutung verbunden und entgegengesetzt.

An Stelle des geschmacklichen Impressionismus tritt die manische Identifikation mit der Sonne. Aus Lichteffekt wird Sonnenhörigkeit. Wir bemerken, daß van Gogh ein Stilleben, „Sonnenblumen“, mit Gauguin gegen dessen Selbstporträt eintauscht. Die männliche, befruchtende Sonne strahlt hinter der geöffneten weiblichen Zugbrücke. Sein Sämann ist der Sonne identisch, vor der er einherschreitet. Man könnte die Handschrift van Goghs geradezu solar nennen. Die Situation van Goghs wird tragisch nicht um des Handwerklichen willen, sondern weil die Identifikation mit der Sonne mißglückte. Die Ikarus-Mythe ereignet sich neu. Die Sonne ist Zeichen des zeugenden Vaters, also männliches Ideal. Identifizierte man sich mit ihr, so will man den Vater, den Heroen, vertreten und ersetzen, und so wird man leicht Opfer des Ideals, das man nicht zu verwirklichen vermag. Zumal eine kultische Kollektivaufgabe dem isolierten Einzelnen zugemutet wird. Van Gogh nannte die Menschen mitunter Gestirne, und oft sagte er la vie est ronde.

Also van Gogh treibt das impressionistische Metier bis zum religiös Symbolhaften. Man ist durchaus entfernt von dem stillebenhaften unerschütterten Gestalten Cézannes, oder von den geistvollen zeichnerischen Formulierungen des Degas Die Farbe überschreitet nun die sichtbar reizvolle Feststellung, sie entspricht einer Leidenschaft, einem inneren Pathos; Lichtfarben, die symbolisch geordnet werden. Die Farbreize (touches) werden zum expressiven Mittel verwandelt. So ist der Impressionismus durch Vincents Liebe zur Metapher gesteigert, und mitunter berührt er das Allegorische der Alten. Er will Symbole schaffen, also weniger direkte Beschreibung; Malerei soll wieder mehr als nur Handwerk sein. Nicht mehr Malerei um des Malens, sondern der menschlichen Leidenschaft, einer Gesinnung willen, Anonymität und Unterordnung des Metiers unter den Menschen, empfindsamer Humanismus eines Ekstatikers, Humanismus, das führt zu Delacroix, zu Daumier und dem lehrsamen Millet, die in der Malerei noch darstellten und dramatisch charakterisierten; Reste des komplexen Alten. Malerei selber wird fast gleichgültig vor dem Menschlichen und gewinnt, nur diesem dienend, ihren Sinn. Man ist Impressionist aus Glauben fast, das Licht und Christus, der es ausströmte - man malt Liebe, fast sentimental. Die flinken Japaner hatten Mittel zu rascher, doch banaler Flächenschichtung gewiesen, ornamentale Phraseologien. Von technischer Distanziertheit ist man bei van Gogh weit entfernt. Hier predigt Ekstase; die Erde soll zur Identität mit dem Menschen um der Barmherzigkeit willen gezwungen werden, nicht nur zur Ordnung optischer Eindrücke. Malerei gilt als Mittel gläubiger Leidenschaft, um der Identität willen übersetzt man das Motiv. Etwas wie eine Symbolik der Farbe beginnt, die nicht nur einem technischen Sehen, sondern einer geistigen oder ethischen Schau gehorchen soll.

Die Gestalten werden in ekstatischer Hemmungslosigkeit eilig umrissen. Rasendes Ornament verbindet die übersetzten Farbflächen, gegeneinander, übereinander; Farben als zeichenhafte Charakterisierung, doch bedroht Kunstgewerbe solch ekstatisches Summieren. Man verharrt in der Zwischenwelt empfindsamer Stilisierung. Man übersetzt Farbe aus innerem Zwang, Farbe wird zum Symbol gesteigert. Die Gestalt wird mit rasender Zeichnung erledigt, die die kontrastierenden Farbflächen umsäumt, die von breiten Touches übersäten Flächen voneinander trennt; solch leidenschaftlicher, doch rascher Kontur ermöglicht die eilig strömende Überschau. Sentiment war Ausgang dieser Bilder, und hierauf sind sie angelegt. Doch ekstatische Ornamentik gerät mitunter zum Kunstgewerbe. Die Vormänner hatten die handwerklichen Konventionen geliefert; der Erbe überrast besessen die Leinwände. Die Technik gilt nur als Mittel von Pathos und Gefühl, raschestes Ausdrucksmittel einer kurz brennenden Ekstase der Auflösung. Technisch gestufte Sensibilität gerät zu pathetischem Ethos und moralisierender Allegorie, die lebensgefährdende Triebrichtungen notdürftig verbirgt. Doch etwas fehlt dieser Raserei, die zwischen euphorischer Steigerung und einer tiefen Todesnähe gespannt ist. Man war zum äußersten gestürmt, und vergaß darüber eine originale räumliche Einheit, dies hauptsächliche Bedürfnis der gierigen Augen. In eiliger Ekstase hatte man Ornament und etwas undichten Dekor erzeugt. Van Gogh verspürte, daß der beschreibende Realismus geradezu unwahr geworden war, da eine Spaltung zwischen Empfindung und der verwirrten, objektiven Welt eingetreten war. Man übersetzt symbolisierend, man bietet eine Art farbiger Graphik, doch die Ekstase dringt kaum zu völliger Verwandlung. Bei aller Liebe verarmt die Gestalt; oft sind Ekstatiker formarme, passive Monomanen. So klammerte sich van Gogh mitunter an Delacroix, Millet oder Daumier wie an alten, festen Geländern, damit man Inhalt gewinne und, gestützt auf die figurale Erfindung der Alten, nicht zusammenbreche. Man faßt das fertig übernommene Vorbild der Alten in eine neue Technik und anderes Pathos. Grade demütige Aufnahme von Vorbildern beweist, wie van Gogh das kollektiv anonyme Kunstwerk erstrebte und dies als etwas übergeordnet Persönliches erfaßte, wovor die Individualität gleichgültig wird. Die Nachbildung zeigt allerdings auch, welche Bedeutung man der technischen Interpretation zumaß. Man kopierte, um seine Erregung über ein menschlich wichtiges Motiv, das bildhaft bereits dargestellt war, kundzutun; sentimentale Umschreibung, Variante, also ein Beschränken des Produktiven gradezu im Sinn der Alten. Wertvoll blieb die Übersetzung, das Verdichten im eigenen Superlativ. Die Raserei weitete Handschrift und Farbe. Die Farbreize (touches) wurden zu rasch gefüllten Flächen verbreitert, Umrisse eingefügt, man kolorierte fast volkstümlich; eine Primitive der farbigen Mittel w;u vorbereitet. Der Expressionismus konnte beginnen Matisse trat solche Erbschaft an.

Vincent van Gogh verspürte deutlich, daß man mit der nur technischen und geschmacklichen Auffassung das Drama eingebüßt hatte. Die Impressionisten hatten die Bilderregung nur auf technische Artistik beschränkt, die verringerte Gegenständlichkeit gewährte. Man hatte vom Drama nur das Spiel der farbigen Beziehung erübrigt, bewußt mied man genrehaftes Beschreiben: die Alten hatten versucht, eine erwünschte oder fromm geglaubte Dauer bildhaft darzustellen Ihre Bejahung der Schöpfung trieb sie zu umfassenderem Bewältigen der plastisch nahen Einzelheiten, zumal das Detail ihnen als Sinnbild selbst des Größten galt. Eine immer reichere Darstellung wurde dem überlieferten Formvorrat verbunden, und so vermochten sie eine erstaunliche Masse von Erlebnissen in ihre eigene, beredsame Welt zu fassen. Van Gogh versuchte die artistische Gelassenheit vermittels Darstellung und Drama zu durchbrechen. Man will hier mitunter auf germanische Bewegtheit hinweisen, doch Delacroix oder Victor Hugo waren Romanen. Die Impressionisten hatten das Literarische aus dem Bilde verwiesen. Van Gogh empfand diese Literatur aber als Menschliches und gleichzeitig auch als Stimulans zum großen Bilde. Allerdings schwankte er etwas unentschieden zwischen Rührstück und einer überraschend bedeutenden Symbolik. Van Gogh blieb mit solchen Versuchen zunächst ein Einzelfall; jedoch finden wir seine Technik in den jugendlichen Beginnen der Späteren häufig wieder, die sich später zumeist dem komplexeren Cézanne zuwandten.

Unter den Zeichnungen van Goghs finden wir Blätter, die im Gegensatz zu ornamentaler Lösung aus kleinen Strichen gefügt sind; hier wirkt neoimpressionistischer Einschlag. Van Gogh war durch die pointillistische Schule zu lichtreinerer Palette und komplementärer farbiger Ergänzung angeregt. Die Neoimpressionisten fügten den Luminarismus in eine wissenschaftliche Mechanik, sie verstärkten das abstrakt Autonome der Farbreize (touches) und mechanisierten den Impressionismus zu beruhigter Dekoration. Hier wurden Prozeß und Moment durch die dekorative Harmonie der Farbteile abgelöst; mit der methodischen Farbzerlegung wuchs die Forderung an die Mitarbeit des Betrachters. Die optische Farbmischung wird nun in das Kalkül bewußt einbezogen. Die Impression wird schulmäßig wiedergegeben, und statt der genetischen Erregung sucht man eine schwebende Harmonie, die den jüngeren Matisse beeinflußt haben mag, wie auch das dekorativ Gobelinhafte die Anfänge der Späteren mitbestimmte. Die Grundfläche bleibt gewahrt. Das Optische ist raffiniert, doch technisch eng und pedantisch gefaßt. Raumhaft befriedigende Gleichungen fand diese Schule kaum. Ihre Maler überragt der einzige Seurat, von dem die Freunde und Schüler die sehr sterbliche Technik übernahmen, ohne seine großen Figurationen zu begreifen.

BEGINN

Henri Matisse

Henri Matisse wurde am 31. Dezember 1869 in Le Cateau, Département du Nord, geboren. Er besuchte kurze Zeit die École des beaux-arts, die er bald mit dem Atelier des Gustave Moreau vertauschte. Dort lenkte er durch seine sicheren Aktzeichnungen die Aufmerksamkeit Moreaus auf sich. Er malt in Clamart bei Paris, stellt 1896 im „Marsfeldsalon“ aus, tritt 1901 zum erstenmal in den „Indépendants“ hervor, die er die nächsten Jahre regelmäßig beschickt. Er arbeitet dann, Signac benachbart, in Saint-Tropez und Cassis. Kehrt nach Paris zurück, um nun wieder längere Zeit im Süden, in Collioure, zu malen. Dort entstehen die „Teppiche“ („Les upe. bleus“, „Les tapis rouges“) und das Porträt „Marguerite“. 1908 eröffnet Matisse seine Schule. Angewidert von der schwächlichen Nachahmerei der Schüler, schließt er sie nach einiger Zeit. Matisse arbeitet meist in Nizza.

1903 „Die Lebensfreude“.

1907 „Die Toilette“.

1908 „Das Glück des Lebens“.

1910 „Der Tanz“.

1910 „Die Kapuzinerkresse“.

1911 „Die Musik“.

1911 „Das Atelier“.

1911 „Die Goldfische“ der früheren Sammlung Sichtschukin.

1911 „Das Fest im Tanger“.

1911-1912 „Maurisches Café“.

1912 Ausstellung der Marokkobilder bei Bernheim.

1913 „Rifkabyle“.

1914 „Die Goldfische“ der Sammlung Halvorsen.

1916-1917 Die Bildnisse der drei Schwestern.

1917 „Frauen am Bach“ der Sammlung Paul Guillaume.

1918 „Toque de Gouro“.

„Je voudrais n’ être jugé que sur l’ensemble

de mon œuvre, la courbe générale de ma ligne.“

Matisse

Mit van Gogh und den Neoimpressionisten siegte, gleichzeitig mit dem Willen zur Komposition und zu bewußter farbiger Übersetzung, das flächig Dekorative. Schnell summierte man die Dinge zu farbig übersetztem Klang, der durch kunstgewerbliche Ornamentik gestützt wurde. Von Ornamentik ist zu sprechen, da ein Umriß den bildräumlichen Ausgleich von Bewegungserfahrungen ersetzen soll. Man stilisiert, da man nur einen bequemen Vertrag zwischen Motiv und subjektiver Gestimmtheit versucht. Man wollte aus der Atomistik, der analysierten Impression zu geschlossenerem Gestaltgefüge gelangen. Seit Corot und Delacroix war die Farbe immer kräftiger gelockert und geteilt worden, man löste das Bild in kleinste gestufte farbige Gegensätze, woraus eine Auflösung des Bildganzen folgte. Ergebnis: ein Steigern der Farbbewegung, doch Minderung des Gestalthaften. Nun ging der Weg vom analytischen Luminarismus zu einem breiten Kolorismus; man löste aus dem Lichtdrama den farbigen Träger und verselbständigte ihn. Die Farben fügen sich flächig zusammen und nicht wie bei den Alten plastisch überhöht. Van Gogh hatte in ethischer Erregtheit verkündet, daß die Farbe Wahreres ausdrücken könne als die nur körperhaften Eigenschaften des Modells; er verwies damit auf eine symbolisierende Darstellung des Seelischen.

All diese Jungen von 1905 suchten das große Bild, das die Nuance ausschließt, die letzten Endes ein technisches Genrebild ergibt. Ihre Vordermänner hatten solches bereits leidenschaftlich versucht. Ich erinnere an die großen „Badenden“ Cézannes. Eine Krise des Staffeleibildes war angefacht, und ein Versuch zur Monumentalität begann, die mehr gewähren sollte als einen Geschehnisausschnitt, nämlich die von der flutenden Zeit wieder befreite Farbe. Große Farbflächen wurden gegeneinandergestellt, wobei man die Kenntnis der Komplementärfarben nützte; doch deren Abgrenzung verlief ornamental wie bei van Gogh oder Gauguin. Aus der Lehre von den Komplementärfarben schloß man, daß die Farbflächen in sich genügende Gesetzlichkeit und somit Form enthalten, damit das Bild frei balanciere; die Farben trügen ihre Gesetze in sich, und aus ihrem Zusammenhang heraus baue sich Komposition; der jeweiligen Farbe entspreche eine bestimmte Form. Wir weisen hier auf die Lautsymbolik Rimbauds hin, die er in seinen Voyelles auf stellte, und erinnern an die freie Verknüpfung von Wortbildern, die Mallarmé technisch vollendet gelang sowie an dessen Kalligraphie des Gedichts, worin er die Bedeutung der Worte oder der Satzbilder graphisch wiedergab.

Die „Fauves“ (so hatte man die Gruppe um Matisse genannt) glaubten, Bildaufgaben rein koloristisch lösen zu können. Die fast programmatische Wahl der Farbe war unter dem Einfluß der Turner, Delacroix, Jongkind und Monet von den Impressionisten angeregt worden. Van Gogh und Gauguin wirkten dann weiter. Man scheint dem Wandbild ganz nahe zu sein. Die Architekten begannen von neuem sich zu rühren. Doch Räume, die kräftig genug sind, starken Bildflächen durch dreidimensionales Volumen zu begegnen, blieben aus. Die Architekten bauen unter dem Einfluß der Maler noch objets d’art und verfertigen standardisierten Frühkubismus. Ironischer Fakt, daß Matisse und Marquet, um durchzukommen, eine Decke im Grand Palais stukkieren.

Man versuchte etwa eine Synthese, jedoch mit unzureichenden Mitteln; eine umfassende Konzeption, die primäre, seelische und formale Kräfte einschloß, fehlte. Man hatte eher die Sensation vergröbert, das Seelische kunstgewerblich verarmt und gelangte so zu dekorierter Primitivität. Stilersatz als Auspowerung. Eine tatsächliche Durchformung des Hildes mangelte. Man kam zu großen Bildern eher aus einer gelockerten Schlaffheit der Mittel, die gestaltarm in weite Flächen zerschwammen. Eines ahnte man allerdings, und dies bleibt wichtig: nämlich daß das Bild als Einheit konzipiert werden müsse. Was man jedoch nicht begriff: daß diese biIdmäßige Einheit seelisch und formal gegensätzliche und vielschichtige Erlebnisse zwingen müsse. Darum blieb Matisse in seiner Bildordnung Akademiker und im Malerischen raffinierter Dekorateur. Solch Vereinheitlichen blieb eben schwach und sekundär. Ergebnis: eine farbig dekorative und schematische Sensation. Die Abkürzung der Impressionisten schlug in negative Stilisierung um, man ließ weg, um große dekorative Farbflächen zu gewinnen. Trotz aller etwas vegetarischen Einfachheit blieben diese bildet Fragmente; denn sie beglichen das Motiv formal ungenügend, und der Betrachter durchläuft rasch dies allzu bequeme Formspiel. Solche Arbeiten rettet noch vorläufig die subtile Auswahl, der Geschmack, banalste und billigste Ecke des Seelischen, die letzten Endes ins Konziliante und Mondäne verrinnt.

Man erinnert sich, daß die Deutschen eine gleiche Krise durchliefen. Pathetisch und lasch hatte man die pedantisch geschichteten Farbkörper der Impressionisten vergröbert; denn von diesen und van Gogh war man ausgegangen. Jetzt forderten und erzeugten die breit schwimmenden Flächen von selber eine stärkere Kontur. Eine etwas billig leere Harmonie wird erzielt; zu oft wiederholt man den gleichen Akkord. Ähnlich hatten Dichter wie Claudel und Suarès die Rimbaudschen Zeichen pathetisch ausgerollt und versanken in breite Paraphrase und bebilderte Rhetorik, die jedes Baues ermangelt und wohinter eine großmütterliche Problematik dürftig sich verbirgt. Die simple Optik dieser „Fauves“ wie die Deklamationen dieser Prediger sind rasch durchschaut. Das Negative dieser Bilder zeigt die Flucht vor einer vielfältig verwirrenden Zivilisation, die Gauguin bereits vorher mit einer berechnenden Archäologie der kolonialen Halbwelt und zweifelhafter Exotik erschlagen wollte. Damals spottete Renoir: „On peint si bien aux Batignolles.“ All dies war rasches Jugenderlebnis, schmächtige Absicht, temperamentvoll aufgeblasen und rasch abgenutzt. Wollte man nicht bankrottieren, so mußte man zu Cézanne kommen, der den Bildraum strenger gebaut, völliger durchdrungen hatte und der Wahrnehmung umfassendere Kräfte entgegengestellt hatte, damit im Zweidimensionalen eine genügende Formgleichung gewonnen werde; kräftig genug, um die Bewegungsvorstellungen zu übersetzen und die vermischten Vorerfahrungen auszuschalten.

Wichtig bleibt, daß eine Voraussetzung, nämlich die Bildfläche, als Grenze festgelegt war.

Die Krise wurde akut, nachdem ein jeder an seinem großen Bild gescheitert war. Mit raffinierten Plakaten war eben nichts zu erreichen. Das war um 1906 und 1908, als Matisse „Das Glück des Lebens“, Vlaminck und Derain ihre großen Akte malten und Picasso mit einer mächtigen Komposition kämpfte. Damals erkannte man resigniert, daß das Monumentale mehr erfordert als farbige Metapher und Vergrößerung, daß sie aus allgemeinen Lebensbedingungen herauswächst, doch aus nur ästhetischen Bedürfnissen und Absichten nicht geschaffen werden kann. Schon Gauguin hatte versucht, Monumentalität durch koloniales Abenteuer und kunstgewerbliche Exotik zu gewinnen; van Gogh spricht leidenschaftlich und vielleicht intensiver von religiösen Bildern, als daß er sie verwirklicht hätte. Trotz allem Pathos war man rational, dekorierte und blieb in engen Grenzen verhaftet; mitunter mutet diese Teppichwelt recht banal an. Plattfüßiger Wigwam und vegetarisches Freibad. Die Fauves resignierten vor ihren ungenügenden Mitteln. Ihre Flächen und Ornamente waren rasch abgespielt; bald war ihr Bildtyp mechanisiert und verbraucht, da man das Monumentale mit großer Leinwand und grobem Mittel verwechselt hatte. Allerdings, man hatte ein Stück Tradition und ihre Technik weggeräumt, der Weg lag freier; doch war man selber verarmt. Der Konflikt zwischen Malerei und Bildgestaltung war verstärkt, sichtbar und zwingend.

Matisse und die Fauves hatten die mindere Erbschaft angetreten, die der Neoimpressionisten und van Goghs. Man vereinfachte und bevorzugte das Dekorative; Ergebnis: la sensation directe. So entwickelte sich Matisse zum Techniker der schnellen, etwas billigen, später geschickt eleganten Lösungen. Von der impressionistischen Abkürzung war man zum Dekor gekommen die Welt als farbige, etwas leere Sensation und man verwandte geschmackvolle Mittel weiten Ranges, worüber das Schwierige vernachlässigt war; der Raum war der Farbe geopfert. Der sanfte Maurice Denis nannte konfirmandenhaft ängstlich diese dekorative Abkürzung la recherche de l’absolu.

Die Neoimpressionisten hatten die Zerlegung der Farbe systematisiert, um „dieser möglichsten Glanz zu verleihen und ihre Leuchtkraft harmonisch zu steigern“. Signac schreibt: „Die von uns angewandte Technik ist keineswegs impressionistisch. Sosehr die Technik der Impressionisten instinktiv und momentan ist, so überlegt und beständig ist die unsere. Der Neoimpressionist beginnt kein Bild, ohne vorher über dessen Anordnung im klaren zu sein. Überlieferung und Wissenschaft leiten ihn; er harmonisiert die Komposition und paßt die Linien (Richtung und Winkel) und die Farben dem Bildcharakter an. Die Liniendominante wird durch den Gegenstand bestimmt; horizontale Linien künden Ruhe, steigende Kurven jubeln Freude, sinkende Linien bezeichnen Trauer. Ein charakteristisches polychromes Farbenspiel verbindet sich dem Ausdruck der Linien. Indem der Maler die Farbe und Linie dem Gefühl, das ihn erfüllt, unterordnet, wird er zum Schöpfer. Er betont Rhythmus, Maß und Kontrast. Wir erstreben die höchste Steigerung der Farbe und Harmonie. Diese Technik eignet sich zu dekorativer Malerei, sie ist ein Beispiel einer bedeutenden dekorativen Haltung, wobei die Analyse der Synthese, das Flüchtige dem Beständigen geopfert wird. Diese Bilder, die etwas vom Reiz der Teppiche und Stickereien besitzen, sind sie nicht auch Dekorationen?“ Aus dem Diktat Seurats zitieren wir: „L’art c’est l’harmonie; l’harmonie c’est l’analogie des contrastes. Ces diverses harmonies sont combinées en calmes, gaies et tristes ...“

Die Haltung des Matisse und der Fauves war durch van Gogh vorbestimmt. Aus seinen Briefen kann man bereits ihre Anschauung herauslesen; die französischen Maler haben ihre Absichten und ihr Handwerk, ohne vor Enttäuschungen zurückzuschrecken, ziemlich folgerichtig durchdacht. Einer gut erzogenen Sinnlichkeit entspricht die prüfende Kontrolle; (während überalterte Kritiker die Maler ungefähr auf dem Niveau triebhafter Jagdhunde halten möchten).

In den Briefen van Goghs findet man die Haltung der Fauves und der deutschen Expressionisten vorgezeichnet. Von der Farbe als Ausdrucksmittel sagt van Gogh:

„Man muß die Ehe zweier Liebenden durch die Ehe zweier Komplementärfarben ... darstellen.“

„Ich versuchte durch das Rot und Grün die furchtbare Leidenschaft der Menschen auszudrücken.“

„In meinem Kaffeehausbild wollte ich darstellen, daß ein Café ein Ort ist, wo man verrückt werden und Verbrechen begehen kann.“

„Dies ist eine Farbe, unwahr vom Standpunkt der Realisten, der Augentäuscher, aber eine suggestive Farbe, die eine Bewegung glühenden Gefühls ausdrückt.“

„Ich weiß nicht, ob irgendeiner vor mir von suggestiver Farbe gesprochen hat.“

„Das wird nicht der Impressionismus sein, der die Lehre formuliert.“

„Das ähnelt, wenn man will, einem billigen Farbendruck. Das Volk, das die Farbendrucke kauft und barbarisch sentimentale Drehorgellieder liebt, geht den richtigen Weg.“

„Großes Format und summarische Handschrift sind gerechtfertigt.“

„Keine gestuften Töne; die Berge waren blau, macht sie blau und damit genug.“

„Auriers Aufsatz ermutigt mich, noch mehr von der Wirklichkeit mich zu entfernen und eine Art Farbenmusik zu schaffen.“

„Wenn all meine Farben auf einmal und gleichzeitig in mir erblühen, ist dies kein Beweis, daß ich wie ein Somnambuler sie fühle?“

„Ich will das Bild des Künstlers malen ... Um dies zu vollenden, werde ich willkürlicher Kolorist.“

„Die genaue Farbe ist nicht das Eigentliche, das man suchen muß.“

„Die Malerei, wie sie jetzt ist, verspricht subtiler mehr Musik und weniger Skulptur zu werden; sie verspricht die Farbe.“

„Die Beziehungen der Farbe sprechen durch sich selbst.“

„Der Maler der Zukunft ist ein Kolorist, wie er noch nie gelebt.“

„Ich will in meinen Bildern eine Sache sagen, tröstlich wie Musik. Ich möchte Männer oder Frauen malen in dieser Ewigkeit, in dem Beben unserer Farben.“

Dekoration: „Darin werden wir durchaus ursprünglich sein, darein will ich einen Stil bringen.“

„Die gemeinsten Farbenholzschnitte mit ihren farbigen Flächen finde ich ebenso bewunderungswürdig wie einen Rubens oder Veronese.“

„Die Bilder kommen mir wie im Traum; eine erschreckende ‘Hellseherei. Ich werde Figuren aus dem Kopf zeichnen.“ „Ich arbeite jetzt oft aus dem Kopf. Diese Bilder sind immer weniger linkisch und erscheinen mir künstlerischer als die Stücke, die nach der Natur gearbeitet sind.“

„Alles, was ich nach der Natur gearbeitet habe, waren Kastanien, die ich aus dem Feuer holte. Ich beginne aus dem Kopf zu arbeiten.“

„Ich bedaure durchaus nicht, daß ich die theoretischen Prinzipien der Farbe ein wenig zu beherrschen versuchte.“

„Tatsächlich fühle ich mich getrieben, einen Stil zu suchen.“

„Man muß das Gesamte einer Landschaft fühlen; dies unterscheidet Cézanne von allen andern.“

Mit solchen Sätzen ist die Kunst des Matisse fast festgelegt. Allerdings dieser ist akademischer, kühler und summarischer als van Gogh.

Das Doktrinäre der neoimpressionistischen Technik verlockte Matisse und die Fauves, die in ihr ein Mittel zu dauerhafterer Komposition sahen. Man verbreiterte und generalisierte farbig das neoimpressionistische Handwerk. Die Ausstellung des Werks des Georges Seurat (1859-1891) wirkte ungemein. Daneben wurde 1905 eine umfassende Schau der Arbeiten van Goghs (1853-1890) in den „Indépendants“ gezeigt. Cézannes entscheidende Einwirkung begann später, nach dem Niederbruch der Fauves. Nun sah man Seurats große Kompositionen endlich konnte man wieder durchgearbeitete, bis ins kleinste beherrschte Kompositionen bewundern; ein Meister von geduldiger Strenge, der das Gegenwärtige ins groß gebaute Bildnis zog, sprach hier. Hier schimmerte ein geläuterter Bildentschluß, worin jedes vorgewußt war; unerschütterliche Heiterkeit und bezaubernde, reine Ornamentik leuchteten einfach und geschmeidig, so daß man der Fläche froh war und weiterdringende Gestaltung vergaß. Hier war die Bildfläche subtil aufgeteilt, die Formen glitten überzeugend und logisch, ohne daß die Fläche von räumlich kontrastierenden Planen durchbrochen war.

Gerne glaubten Matisse und seine Freunde, daß, wenn man die farbige Zerlegung meide, man nun das Glück der großen Form zurückgewinne. Die „Lebensfreude“ entstand. Matisse hatte große einfache Flächen zusammen oder gegeneinander gestimmt; Ergebnis: wohlfeile Ornamentik. Stufungen und Einzelheiten schwanden. Simpel leere Formen sollten bedeutende Gestalt gewähren. Nicht vom Licht komme das Heil, sondern aus der Farbe und ihren Kontrasten, die Bau und Form in sich bereits enthalten. Die Gesetze von Kontrast und Harmonie waren bekannt, ein leichtverständliches Wissen, eine geschmackvoll professorale Mechanik. Es galt nur, groß zu sehen und, statt dem Motiv gehorsam zu folgen, dieses zu verallgemeinern. Statt in Lokalfarben ängstlich zu beschreiben, solle man die farbigen Mittel benutzen und frei Farbe gegen Farbe stimmen kraft des vertrauten Gesetzes der Komplementäre. So mußte das große Bild gelingen doch vielleicht nur ein umfangreiches Plakat. 1910 hatte Matisse den „Tanz“ vollendet. Ein elliptisch-rasendes Körperornament war gegen blauen Grund und halb elliptisches kugliges Hellgrün gesetzt. Die Akte sind stärker aufgeteilt als in der „Lebensfreude“; man versucht Volumen zu suggerieren.