Die Legenden der besonderen Kinder - Ransom Riggs - E-Book
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Die Legenden der besonderen Kinder E-Book

Ransom Riggs

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Beschreibung

Die langerwartete Rückkehr in die Welt von Jacob, Emma und Miss Peregrine - SPIEGEL-Bestseller-Autor Ransom Riggs erzählt in diesem Band mit einzigartigen Fantasy-Erzählungen die wunderbaren, unheimlichen und herrlich skurrilen »Legenden der besonderen Kinder« Die Geschichte der ersten Ymbryne und der Entstehung der Zeitschleifen, die Sage vom Mädchen, dessen beste Freundin seine tote Schwester ist, oder das Märchen vom Wald der besonderen Tiere – jedes besondere Kind kennt die berühmten Erzählungen, die über Generationen in aller Welt gesammelt wurden. Nun liegen die faszinierenden »Legenden der besonderen Kinder« endlich auch in schriftlicher Form vor - in hochwertiger Geschenk-Ausstattung mit zahlreichen Illustrationen Ein Muss für Fans der Bestseller-Reihe und der Verfilmung von Tim Burton - und ein atmosphärischer Einstieg für alle, die die Welt der »besonderen Kinder« noch entdecken möchten.   Mehr davon? Die komplette Fantasy-Reihe des amerikanischen Bestseller-Autors Ransom Riggs im Überblick: Band 1 - Die Insel der besonderen Kinder Band 2 - Die Stadt der besonderen Kinder Band 3 - Die Bibliothek der besonderen Kinder Band 4 - Der Atlas der besonderen Kinder Band 5 - Das Vermächtnis der besonderen Kinder Band 6 - Die Zukunft der besonderen Kinder

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 215

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Ransom Riggs

Die Legenden der besonderen Kinder

Aus dem Englischen von Silvia Kinkel

Knaur e-books

Über dieses Buch

Die Geschichte der ersten Ymbryne und der Entstehung der Zeitschleifen, die Sage vom Mädchen, dessen beste Freundin seine tote Schwester ist, oder das Märchen vom Wald der besonderen Tiere – jedes besondere Kind kennt die berühmten Erzählungen, die über Generationen in aller Welt gesammelt wurden.

Nun liegen die faszinierenden »Legenden der besonderen Kinder« endlich auch in schriftlicher Form vor.

Inhaltsübersicht

WidmungMottoHinweis für den LeserVorwortDie edlen KannibalenDie Prinzessin mit der gespaltenen ZungeDie erste YmbryneDie GeisterfreundinCocoboloDie Tauben von St. Paul’sDas Mädchen, das Albträume zähmen konnteDie HeuschreckeDer Junge, der Macht über das Meer hatteDie Geschichte von CuthbertMillard NullingsRansom RiggsAndrew Davidson
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Die Legenden derbesonderen Kinder

Herausgegeben und kommentiert von Millard Nullings

Illustriert von Andrew Davidson

 

Copyright © 2016 Syndrigast Publications

 

Gedruckt in einem Nomadenzelt in der Wüste Lop Nor im östlichen Teil des Tarimbeckens, das sich am Fuße des Kuruk-Tagh-Gebirges im Uigurischen Autonomen Gebiet Xinjiang erstreckt. Eine nahezu perfekte Ebene.

 

In einer Buchbinderei tief unter der Erde mit einem kostbaren Einband versehen. Den Eingang zu dieser Werkstatt, der sich in London zwischen Fish Street Hill und Pudding Lane befindet, sollten Sie zu Ihrer eigenen Sicherheit gar nicht erst suchen.

 

Akribisch korrekturgelesen von den zwei Köpfen und fünf Augen der Patricia Panopticot.

»Caesar nom supra grammatico.«

 

Dieses Buch bitte nicht vervielfältigen, stehlen oder mit Eselsohren versehen. Bitte verwenden Sie das Buch nicht als Untersetzer oder Türstopper. Bitte lesen Sie die dritte Geschichte nicht rückwärts laut vor.

Der Verleger kann nicht zur Verantwortung gezogen werden für alles, was dann passiert.

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Für Alma LeFaye Peregrine, die mir beigebracht hat, Geschichten zu lieben.

– MN

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Homo sum: humani nil a me alienum puto.

– Terence

 

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Hinweis für den Leser

 

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

dieses Buch, das Sie gerade in Händen halten, ist nur für die Augen von Besonderen bestimmt. Sollten Sie nicht zu diesem Kreis zählen – anders ausgedrückt, sollten Sie nicht nachts aufwachen und über dem Bett schweben, weil Sie vergessen haben, sich an der Matratze festzubinden, sollten aus Ihren Handflächen keine Flammen lodern und in Ihrem Körper keine Bienen leben –, dann legen Sie dieses Buch bitte sofort wieder dorthin zurück, wo Sie es gefunden haben, und vergessen Sie es. Keine Sorge, Ihnen entgeht nichts. Sie würden dieses Buch nämlich seltsam, erschütternd oder gar nicht nach Ihrem Geschmack finden. Und im Übrigen gehen die darin enthaltenen Geschichten Sie auch nichts an.

 

Mit besonderer Hochachtung

 

Ihr Verleger

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Vorwort

Falls Sie zum Kreis der Besonderen zählen – und da Sie bis hierher gelesen haben, hoffe ich das aufrichtig –, benötigen Sie vermutlich keine Einleitung zu diesem Buch. Die enthaltenen Erzählungen waren prägender Bestandteil unserer Erziehung, die Sie in Ihrer Kindheit so oft gelesen oder gehört haben, dass Sie Ihre Lieblingsgeschichten Wort für Wort auswendig kennen. Für jene Unglücklichen, die ihre Besonderheit erst kürzlich entdeckt haben, oder die unter Umständen aufwuchsen, in denen keine Besonderenliteratur zugänglich war, biete ich diese kurze Einführung.

Unser geliebtes altes Volkstum wurde seit jeher von Generation zu Generation in Form von Geschichten weitergegeben, die allesamt eine Mischung aus wahren Begebenheiten und Märchen sind. Darüber hinaus dienen sie als moralische Lehrstücke für heranwachsende Besondere. Diese Geschichten stammen aus ganz unterschiedlichen Gegenden dieses Erdballs, aus mündlichen oder auch schriftlichen Überlieferungen, und erfuhren im Laufe der Jahre eindrucksvolle Wandlungen. Ihr Fortbestand beruht nicht nur darauf, dass es sich um ausgezeichnete Literatur handelt, die Geschichten sind vielmehr auch Träger von Geheimwissen. Verschlüsselt finden sich auf ihren Seiten die geografische Lage verborgener Zeitschleifen, die Geheimidentitäten einiger wichtiger Besonderer sowie weitere Informationen, die das Überleben eines Besonderen in der feindlichen Welt gewährleisten. Ich muss es wissen: Diese Geschichten sind der Grund, warum ich überhaupt noch in der Lage bin, diese Worte zu schreiben. Sie haben nicht nur mein Leben gerettet, sondern auch das meiner Freunde und unserer geliebten Ymbryne. Ich, Millard Nullings, bin ein lebender Beweis für den fortdauernden Nutzen dieser Geschichten, obwohl sie bereits vor sehr langer Zeit entstanden sind.

Deshalb widme ich mich ihrer Erhaltung und Verbreitung und habe es mir zur Aufgabe gemacht, eine Auswahl der Geschichten unter dem Titel Die Legenden der besonderen Kinder herauszugeben und zu kommentieren. Die vorliegende Sammlung ist beileibe nicht erschöpfend oder vollständig – jene Ausgabe, die Erzählungen von Besonderen, die ich in meiner Jugend gelesen habe, war ein unhandliches dreibändiges Werk, das zusammengenommen mehr wog als meine Freundin Bronwyn –, aber die hier enthaltenen Geschichten repräsentieren meine Favoriten, und ich habe mir die Freiheit genommen, sie mit historischen und kontextbezogenen Fakten zu versehen, sodass Besondere allerorts von meinem Wissen profitieren können. Zudem hege ich die Hoffnung, dass Ihnen diese Ausgabe durch ihr kleineres Format auf Reisen und bei Abenteuern als praktischer Begleiter dienen und sich als ebenso nützlich erweisen wird wie einst für mich.

Genießen Sie also bitte die Lektüre – vor einem knisternden Feuer in einer frostigen Nacht, einen schnarchenden Grimmbären zu Ihren Füßen. Und sollten Sie die Geschichten laut vorlesen (was ich sehr empfehle), dann bedenken Sie deren heikle Natur, und vergewissern Sie sich, dass Ihre Zuhörer ausschließlich Besondere sind.

 

Millard Nullings, Dr. rer. nat., Gelehrter

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Die edlen Kannibalen

 

n dem kleinen Dorf Swampmuck lebten Besondere, die ein sehr bescheidenes Dasein führten. Sie waren Bauern, und obwohl sie nur das Allernötigste besaßen und in wackeligen Hütten aus Schilfrohr wohnten, waren sie gesund und guter Dinge. Nahrung wuchs reichlich in ihren Gärten, und sauberes Wasser strömte in den Flüssen. Sogar ihre einfachen Behausungen schienen reiner Luxus zu sein, weil das Wetter in Swampmuck so mild war, dass sich viele der Bewohner nach einem langen Tag hingebungsvoller Arbeit in den Sümpfen einfach auf den Boden legten und zwischen den Gräsern schliefen.

Die Erntezeit liebten sie am meisten. Sie arbeiteten rund um die Uhr, hieben die am höchsten aufgeschossenen Schilfhalme ab, bündelten sie auf Eselskarren und transportierten ihren Ertrag in die fünf Tagesritte entfernte Marktstadt Chipping Whippet. Das war harte Arbeit. Die scharfen Ränder der Schilfblätter zerschnitten ihnen die Hände. Die Esel waren übellaunig und bissig. Die Straße zum Markt war voller Schlaglöcher und wurde von Dieben belagert. Oft ereigneten sich während der Erntezeit schlimme Unfälle wie jener, als der Bauer Pullman in einem Anfall von Übereifer beim Mähen seinem Nachbarn aus Versehen ein Bein abhackte. Der Nachbar, Bauer Hayworth, reagierte verständlicherweise aufgebracht, aber die Dorfbewohner waren generell nicht nachtragend, und so war der Vorfall schon bald vergeben. Das wenige Geld, das die Leute auf dem Markt verdienten, reichte gerade, um das Notwendigste und außerdem noch ein paar Rationen Ziegenkeule zu kaufen. Mit diesen seltenen Leckerbissen feierten sie nach der Ernte ein rauschendes Fest, das über Tage andauerte.

Da geschah es in einem Jahr kurz nach dem Erntefest, dass drei Reiter eintrafen. Nach Swampmuck verirrte sich so gut wie nie jemand, denn es war kein Ort, der Fremde anlockte, und Gestalten wie diese hatte es hier ganz sicher noch nie gegeben: zwei Männer und eine Dame, von Kopf bis Fuß in kostbaren Seidenbrokat gekleidet, auf drei edlen Araberhengsten. Doch obwohl die Fremden offenkundig reich waren, wirkten sie ausgemergelt und schwankten kraftlos in ihren mit Edelsteinen geschmückten Sätteln.

Neugierig versammelten sich die Dorfbewohner um die Reiter, bewunderten deren wunderschöne Kleidung und Pferde.

»Geht nicht zu nah heran!«, warnte Bäuerin Sally. »Sie sehen krank aus.«

»Wir sind unterwegs zur Küste von Meek«[1], erklärte einer der Männer, der offenbar als Einziger genügend Kraft zum Sprechen besaß. »Vor ein paar Wochen wurden wir von Banditen überfallen. Wir konnten ihnen zwar entkommen, haben uns aber hoffnungslos verirrt. Seither bewegen wir uns im Kreis und suchen nach der alten Römerstraße.«

»Hier seid ihr himmelweit von der Römerstraße entfernt«, sagte Bäuerin Sally.

»Und von der Küste von Meek«, fügte Bauer Pullman hinzu.

»Wie weit ist es bis dorthin?«, fragte der Mann.

»Sechs Tagesritte«, antwortete Bäuerin Sally.

»Das schaffen wir nie«, sagte der Mann mit düsterer Miene.

In diesem Moment rutschte die in Seide gewandete Dame von ihrem Sattel und stürzte zu Boden.

Trotz ihrer Sorge vor Ansteckung brachten die mitfühlenden Dorfbewohner die Dame und ihre Begleiter ins nächstgelegene Haus. Die Bauern reichten den Reitern Wasser und betteten sie auf Strohlager. Bestimmt ein Dutzend Dorfbewohner umringten die Fremden und boten ihre Hilfe an.

»Lasst sie in Ruhe!«, befahl Bauer Pullman. »Sie sind erschöpft und müssen schlafen!«

»Nein, sie brauchen einen Arzt«, erwiderte Bäuerin Sally.

»Wir sind nicht krank«, entgegnete der Mann. »Wir haben Hunger. Vor über einer Woche gingen unsere Vorräte zu Ende, und seither hatten wir nicht einen Bissen zu essen.«

Bäuerin Sally wunderte sich, warum so reiche Menschen nicht einfach Essen bei anderen Reisenden kauften, denen sie unterwegs doch sicher begegnet waren, aber sie war zu höflich, um zu fragen. Stattdessen befahl sie ein paar Jungen aus dem Dorf, loszulaufen und Schalen mit Sumpfgrassuppe, Hirsebrot und die wenigen, vom Fest übrig gebliebenen Stücke Ziegenkeule zu holen. Aber als die Speisen vor den Besuchern ausgebreitet wurden, schoben diese sie beiseite.

»Ich möchte nicht unhöflich scheinen«, sagte der Mann, »aber das können wir nicht essen.«

»Wir wissen, dass es eine sehr bescheidene Mahlzeit ist«, sagte Bäuerin Sally, »und ihr seid vermutlich Festmahle gewohnt, die eines Königs würdig sind, aber mehr haben wir nicht.«

»Das ist nicht der Grund«, entgegnete der Mann. »Getreide, Gemüse, Tierfleisch – das können unsere Körper nicht verarbeiten. Und wenn wir uns zwingen, es trotzdem zu essen, machen uns diese Speisen noch schwächer.«

Die Dorfbewohner waren verwirrt. »Wenn ihr weder Getreide noch Gemüse oder Tiere essen könnt«, sagte Bauer Pullman, »wovon ernährt ihr euch dann?«

»Von Menschen«, antwortete der Mann.

Alle in der Hütte wichen einen Schritt von den Fremden zurück.

»Wollt ihr damit sagen, dass ihr … Kannibalen seid?«, fragte Bauer Hayworth.

»Von Natur aus, wir haben es uns nicht ausgesucht«, antwortete der Mann. »Aber, ja.«

Er versicherte den Dorfbewohnern, dass sie zivilisierte Kannibalen seien und niemals unschuldige Menschen töteten.

Sie, und andere ihrer Art, hatten mit dem König eine Vereinbarung getroffen, niemals Menschen gegen ihren Willen zu entführen und zu essen. Als Gegenleistung wurde ihnen gestattet, zu einem hohen Preis die abgetrennten Gliedmaßen von Unfallopfern und die Körper gehängter Verbrecher zu kaufen. Darauf reduzierte sich folglich ihr Speiseplan.

Sie waren jetzt unterwegs zur Küste von Meek, weil sich dieser Ort rühmte, die höchste Unfallrate und die meisten Toten durch Erhängen in ganz Großbritannien zu haben, sodass Nahrung verhältnismäßig üppig, wenn nicht gar reichlich vorhanden war.

Obwohl die Kannibalen zu jener Zeit als vermögend galten, waren sie ständig unterernährt, immerzu gequält von einem Hunger, den sie nur selten zu stillen vermochten. Und so wie es aussah, waren die in Swampmuck eingetroffenen Kannibalen dem Hungertod nahe und würden es niemals bis nach Meek schaffen.

Nun hätten die Bewohner jedes anderen Dorfes, seien es Besondere oder Normale, vermutlich mit den Schultern gezuckt und die Kannibalen hungern lassen.

Aber die Swampmuckianer waren über die Maßen mitfühlend, und von daher überraschte es niemanden, als Bauer Hayworth auf Krücken humpelnd einen Schritt vortrat und sagte: »Zufällig habe ich neulich bei einem Unfall mein Bein verloren. Ich habe es in den Sumpf geworfen, finde es aber bestimmt wieder, wenn die Aale es noch nicht gefressen haben.«

Die Augen der Kannibalen begannen zu leuchten.

»Das würdest du tun?«, fragte die Kannibalendame und strich ihr langes Haar von der knochigen Wange zurück.

»Ein bisschen seltsam ist das schon für mich«, gestand Hayworth, »aber wir können euch doch nicht einfach sterben lassen.«

Die übrigen Dorfbewohner stimmten zu. Hayworth humpelte zum Sumpf, fand sein Bein, vertrieb die daran nagenden Aale und brachte es den Kannibalen auf einem Tablett.

Einer der Kannibalen reichte Hayworth einen Beutel voller Geldstücke.

»Was ist das?«, fragte Hayworth.

»Die Bezahlung«, antwortete der Kannibale. »Genauso viel berechnet uns der König.«

»Das kann ich nicht annehmen«, erwiderte Hayworth, aber als er den Beutel zurückgeben wollte, hielt der Kannibale die Hände hinter den Rücken und lächelte.

»Es ist nur gerecht«, versicherte er. »Ihr rettet uns das Leben!«

Als die Kannibalen zu essen begannen, wandten sich die Dorfbewohner höflich ab. Bauer Hayworth öffnete den Beutel, schaute hinein und wurde blass. Es war mehr Geld, als er je in seinem Leben gesehen hatte.

Die Kannibalen verbrachten die folgenden Tage damit, zu essen und wieder zu Kräften zu kommen. Und als sie endlich stark genug waren, um ihre Reise an die Küste von Meek fortzusetzen – dieses Mal mit einer korrekten Wegbeschreibung –, versammelten sich die Dorfbewohner, um sie zu verabschieden. Als die Kannibalen Bauer Hayworth sahen, fiel ihnen auf, dass er ohne Krücken ging.

»Ich verstehe das nicht!«, rief einer der Kannibalen erstaunt. »Ich dachte, wir hätten dein Bein gegessen!«

»Habt ihr auch«, antwortete Hayworth. »Aber wenn die Besonderen von Swampmuck ihre Gliedmaßen verlieren, dann wachsen sie wieder nach.«[2]

Der Kannibale sah ihn an, schien etwas sagen zu wollen, überlegte es sich dann aber offenbar anders. Stattdessen stieg er auf sein Pferd und ritt mit den anderen davon.

Wochen vergingen. Alle kehrten zur Normalität zurück, außer Bauer Hayworth. Er war oft geistesabwesend und ertappte sich im Laufe des Tages mehrfach dabei, wie er sich auf seine Hacke stützte und aufs Moor hinaussah. Er dachte an die Geldbörse, die er in einem Loch versteckt hatte. Was sollte er mit dem Geld anfangen?

Alle seine Freunde machten Vorschläge.

»Du könntest dir einen ganzen Schrank voller schöner Kleider kaufen«, sagte Bauer Bettelheim.

»Aber was soll ich damit?«, erwiderte Bauer Hayworth. »Ich arbeite den ganzen Tag im Sumpf, ich würde die Sachen nur ruinieren.«

»Du könntest dir eine Bibliothek voller guter Bücher zulegen«, schlug Bauer Hegel vor.

»Aber ich kann nicht lesen«, erwiderte Bauer Hayworth, »und auch sonst niemand in Swampmuck.«

Der Vorschlag von Bauer Bachelard war der dümmste von allen. »Du solltest dir einen Elefanten kaufen«, sagte er. »Mit dem kannst du dein Sumpfgras zum Markt schleppen.«

»Aber er würde das ganze Gras fressen, bevor ich es verkaufen kann!«, entfuhr es Hayworth zunehmend verzweifelt. »Wenn ich doch etwas an meiner Hütte machen könnte! Die Schilfrohre halten den Wind nicht richtig ab, und im Winter zieht es durch alle Ritzen.«

»Du könntest das Geld nutzen, um die Wände zu tapezieren«, sagte Bauer Anderson.

»Sei kein Narr«, meldete sich Bäuerin Sally zu Wort. »Kauf dir einfach ein neues Haus!«

Und genau das tat Hayworth: Er baute ein Haus aus Holz, das erste, das jemals in Swampmuck errichtet wurde. Es war klein, aber stabil und hielt den Wind ab. Und es besaß sogar eine Tür, die in Angeln hing und auf- und zuschwang. Bauer Hayworth strahlte vor Stolz und wurde von allen Dorfbewohnern um sein Haus beneidet.

Ein paar Tage darauf traf eine Gruppe Reiter ein. Sie waren zu viert, drei Männer und eine Frau, und da sie schöne Kleider trugen und auf Araberhengsten ritten, wussten die Dorfbewohner sofort, wer sie waren – gesetzestreue Kannibalen von der Küste Meeks.[3] Diese Kannibalen schienen nicht zu hungern.

Wieder versammelten sich die Dorfbewohner um die Ankömmlinge, um sie zu bestaunen. Die Kannibalendame, in einem mit Goldfäden durchwirkten Rock, Hosen mit Knöpfen aus Perlen und Stiefeln mit Fuchsfellbesatz, sagte: »Vor ein paar Wochen sind Freunde von uns in dieses Dorf gekommen, und ihr habt euch sehr großzügig gezeigt. Da wir derlei Freundlichkeit nicht gewohnt sind, wollten wir euch persönlich danken.«

Dann stiegen die Kannibalen von ihren Pferden ab, verbeugten sich vor den Dorfbewohnern und schüttelten jedem Einzelnen die Hand. Die Dorfbewohner staunten über die zarte Haut der Kannibalen.

»Noch eine Sache, bevor wir wieder gehen«, sagte die Kannibalenfrau. »Wir hörten, dass ihr über eine einzigartige Gabe verfügt. Ist es wahr, dass euch verlorene Gliedmaßen nachwachsen?«

Die Dorfbewohner bestätigten dies.

»Wenn das so ist«, sagte die Frau, »möchten wir euch einen bescheidenen Vorschlag unterbreiten. Die Gliedmaßen, die wir an der Küste von Meek essen, sind selten frisch, und wir sind das vergammelte Essen sehr leid. Würdet ihr uns ein paar von euren verkaufen? Wir bezahlen euch natürlich großzügig.«

Sie öffnete ihre Satteltasche und präsentierte einen Sack voller Münzen und Juwelen. Den Dorfbewohnern gingen bei dem Anblick die Augen über, aber sie wandten sich verunsichert ab und tauschten sich flüsternd aus.

»Wir können unsere Gliedmaßen nicht verkaufen«, gab Bauer Pullman zu bedenken. »Ich jedenfalls brauche meine Beine zum Gehen!«

»Dann verkauf doch deine Arme«, schlug Bauer Bachelard vor.

»Aber wir brauchen unsere Arme für die Arbeit in den Sümpfen!«, erwiderte Bauer Hayworth.

»Wenn wir für unsere Arme bezahlt werden, brauchen wir kein Sumpfgras mehr anzubauen«, brachte Bauer Anderson vor. »Damit verdienen wir doch sowieso kaum etwas.«

»Es ist nicht recht, uns auf diese Weise zu verkaufen«, wandte Bauer Hayworth ein.

»Du hast gut reden!«, fuhr ihn Bauer Bettelheim an. »Du hast schon ein Haus aus Holz!«

Und so gingen die Dorfbewohner mit den Kannibalen einen Handel ein: Alle Rechtshänder würden ihren linken Arm verkaufen, und alle Linkshänder ihren rechten. Und da die Arme nachwuchsen, würde man sie immer wieder verkaufen. Auf diese Weise hatten die Dorfbewohner eine stabile Einkommensquelle und brauchten nicht mehr den ganzen Tag die Felder zu bestellen oder sich bei der Ernte zu plagen. Alle schienen zufrieden mit der Vereinbarung, bis auf Bauer Hayworth, dem die Feldarbeit Freude bereitete und der es bedauerte, dass das Dorf seinen traditionellen Handel einstellte – auch wenn dieser, verglichen mit dem Verkauf der Gliedmaßen an die Kannibalen, nicht sehr profitabel war.

Aber Bauer Hayworth konnte nichts tun und musste hilflos mit ansehen, wie seine Nachbarn die Landwirtschaft aufgaben, ihre Sümpfe brachliegen ließen und sich die Arme abhackten. (Teil der Besonderheit war, dass das Abhacken nicht sonderlich schmerzte, es ging so leicht wie das Abwerfen des Schwanzes bei einer Eidechse.) Mit dem eingenommenen Geld kauften sie auf dem Markt von Chipping Whippet Lebensmittel – Ziegenkeule wurde nun täglich statt einmal im Jahr gegessen – und bauten sich Häuser aus Holz, so wie das von Bauer Hayworth. Und natürlich wollte auch jeder eine Tür, die in den Angeln schwang. Und dann baute Bauer Pullman ein zweigeschossiges Haus, und schon bald wollten alle ein Haus mit zwei Etagen. Irgendwann errichtete Bäuerin Sally ein Haus mit zwei Etagen und einem Satteldach, und schon bald wollten alle zweigeschossige Häuser mit Satteldach haben. Jedes Mal, wenn die Arme der Dorfbewohner nachgewachsen, wieder abgehackt und verkauft worden waren, nutzten sie das Geld für Erweiterungen ihrer Häuser. Schließlich waren die Häuser so groß, dass es dazwischen kaum noch Platz gab und der einst große Dorfplatz zu einer schmalen Gasse geschrumpft war.

Bauer Bachelard kam als Erster auf eine Lösung. Er kaufte ein großes Stück Land am Dorfrand und baute sich dort ein Haus, das sogar noch größer war als sein vorhandenes (das, nebenbei bemerkt, drei Türen an Angeln, zwei Etagen, ein Satteldach und eine Veranda besaß).

Das geschah etwa zu der Zeit, als die Dorfbewohner aufhörten, sich mit »Bauer Sowieso« anzureden und sich stattdessen Mr und Mrs nannten, weil sie keine Bauern mehr waren, abgesehen von Bauer Hayworth, der immer noch seinen Sumpf beackerte und sich weigerte, den Kannibalen weitere Gliedmaßen zu verkaufen. Für ihn sei sein einfaches Haus gerade recht, beharrte er und nutzte es nicht einmal viel, da er nach einem Tag harter Arbeit weiterhin gern in den Sümpfen schlief. Seine Freunde hielten ihn für altmodisch und verrückt und hörten auf, ihn zu besuchen.

Das einst bescheidene Dorf Swampmuck breitete sich schnell aus, da die Dorfbewohner immer größere Landstücke erwarben, auf denen sie riesige und kunstvoll verzierte Häuser bauten. Um das zu finanzieren, begannen sie, den Kannibalen sowohl einen Arm als auch ein Bein zu verkaufen (das jeweils entgegengesetzte Bein, um das Gleichgewicht besser halten zu können), und lernten, auf Krücken zu laufen. Die Kannibalen, deren Hunger und Reichtum schier unendlich zu sein schienen, freuten sich sehr darüber.

Schließlich riss Mr Pullman sein Holzhaus ab und baute eines aus Steinen. Das löste einen Wettkampf unter den Dorfbewohnern aus, bei dem es darum ging, wer das größte Steinhaus bauen konnte. Mr Bettelheim übertraf sie alle: Er baute ein wunderschönes Haus aus honigfarbenem Kalkstein, die Art von Zuhause, wie es nur die reichsten Händler in Chipping Whippet bewohnten. Er konnte es sich leisten, indem er einen Arm und beide Beine verkaufte.

»Er ist zu weit gegangen«, beschwerte sich Mrs Sally bei Ziegenkeulen-Sandwiches in dem schicken neuen Restaurant, das das Dorf errichtet hatte.

Ihre Freundinnen stimmten zu.

»Was hat er denn, bitte schön, von seinem dreigeschossigen Haus«, sagte Mrs Wannamaker, »wenn er nicht einmal Treppen steigen kann?«

In dem Moment kam Mr Bettelheim ins Restaurant – getragen von einem kräftigen Mann aus dem Nachbardorf. »Ich habe einen Mann engagiert, der mich die Treppen hinauf- und hinunterträgt und auch sonst überallhin«, verkündete er stolz. »Ich brauche keine Beine!«

Die Damen staunten nicht schlecht. Schon bald hatten auch sie ihre Beine verkauft, und überall im Dorf wurden die Steinhäuser abgerissen und durch riesige Villen aus Kalkstein ersetzt.

Die Kannibalen hatten mittlerweile die Küste von Meek verlassen und lebten in dem Wald nahe Swampmuck. Es gab keinen Grund mehr, sich von den spärlichen Happen aus gehängten Kriminellen und bei Unfällen abgetrennten Gliedmaßen zu ernähren, wenn die Gliedmaßen der Dorfbewohner frischer, schmackhafter und reichlicher vorhanden waren als alles, was es in Meek gab. Sie hausten in bescheidenen Waldhütten, weil sie den Dorfbewohnern so viel zahlten, aber die Kannibalen waren dennoch zufrieden, weil sie viel lieber mit vollen Bäuchen in Hütten lebten als hungrig in Prachtbauten.

Je abhängiger die Dorfbewohner und die Kannibalen voneinander wurden, desto stärker wuchs auch ihr jeweiliger Appetit. Die Kannibalen wurden fett. Nachdem sie sämtliche Rezepte für Arme und Beine bis zum Überdruss probiert hatten, fragten sie sich, wie die Ohren der Dorfbewohner wohl schmeckten. Aber die Dorfbewohner wollten ihre Ohren nicht verkaufen, weil diese nicht nachwuchsen. Das blieb so, bis Mr Bachelard, getragen von seinem starken Diener, den Kannibalen heimlich einen Besuch im Wald abstattete, um zu fragen, wie viel sie dafür zu zahlen bereit wären.

Er war zu dem Schluss gekommen, dass er auch ohne Ohren würde hören können. Und wenn er dann auch hässlich aussah, so dürfte der weiße Marmorpalast, den er von den Einnahmen bauen wollte, schön genug sein, um das zu kompensieren. (Die in finanzieller Hinsicht Scharfsinnigen unter Ihnen mögen sich fragen, warum er sein Geld von dem wiederkehrenden Verkauf der Arme und Beine nicht einfach sparte, bis er sich einen Marmorpalast leisten konnte? Nun, das ging nicht, weil er bei einer Bank sehr viel Geld geliehen hatte, um das Landstück zu kaufen, auf dem das Kalksteinhaus erbaut worden war. Und nun schuldete er der Bank jeden Monat den Gegenwert eines Armes und eines Beins, allein um die Zinsen des Kredits zu bezahlen. Ihm blieb also keine andere Wahl, als seine Ohren zu verkaufen.)

Die Kannibalen boten Mr Bachelard einen exorbitanten Betrag an. Mr Bachelard schnitt sich die Ohren ab, war froh, sie los zu sein, und ersetzte sein Kalksteinhaus durch den Marmorpalast seiner Träume. Es war das schönste Gebäude im Dorf, möglicherweise in ganz Oddfordshire. Obwohl die Dorfbewohner hinter Bachelards Rücken tuschelten, wie sehr er sich verunstaltet hatte und wie dumm es sei, Ohren zu verkaufen, die nie nachwachsen würden, besuchten sie ihn alle und ließen sich von ihren Dienern durch die Marmorräume tragen, die Marmortreppen hinauf und hinunter, und gingen alle grün vor Neid wieder fort.

Zu diesem Zeitpunkt hatte kein Dorfbewohner außer Bauer Hayworth noch Beine, und nur sehr wenige besaßen Arme. Für eine Weile beharrten sie alle darauf, einen Arm zu behalten, damit sie auf etwas zeigen und selbstständig essen konnten, aber dann erkannten sie, dass ein Diener ihnen genauso leicht einen Löffel oder ein Glas an die Lippen halten konnte, und es war auch nicht sehr viel mühevoller, zu sagen »hol mir dies« oder »hol mir das«, als quer durch den Raum auf etwas zu zeigen. Arme wurden schließlich als überflüssiger Luxus betrachtet, und die Dorfbewohner hockten fortan als Torsos in seidenen Tragesäcken auf dem Rücken ihrer Diener.

Nicht lange danach nahmen die Ohren den gleichen Weg wie die Arme. Die Dorfbewohner taten so, als hätten sie Mr Bachelard nie als entstellt bezeichnet.

»So schlimm sieht es wirklich nicht aus«, sagte Mr Bettelheim.

»Wir könnten Ohrschützer tragen«, schlug Mr Anderson vor.

Und so wurden die Ohren abgeschnitten, verkauft und von dem Erlös Marmorpaläste gebaut. Das Dorf erlangte einen Ruf als architektonische Schönheit, und das einstige Kaff, in das sich nur zufällig einmal jemand verirrt hatte, wandelte sich zur Touristenattraktion. Ein Hotel und weitere Restaurants schossen in die Höhe. Ziegenkeulen-Sandwiches standen längst nicht mehr auf der Speisekarte. Die Bewohner von Swampmuck gaben vor, nie auch nur von Ziegenkeulen-Sandwiches gehört zu haben.

Manchmal verweilten die Touristen in der Nähe von Bauer Hayworths bescheidener, einstöckiger Hütte und wunderten sich über den Gegensatz zwischen dieser einfachen Behausung und den sie umgebenden Palästen. Er erklärte ihnen, dass er das einfache Leben eines Sumpfgrasbauern mit vier Gliedmaßen bevorzuge, und führte sie auf seiner Sumpfparzelle herum. Es war das letzte Sumpfstück in Swampmuck, da alle anderen trockengelegt worden waren, um Bauplatz für die Häuser zu schaffen.

Die Augen des ganzen Landes ruhten auf Swampmuck und seinen wunderschönen Marmorpalästen. Die Hauseigentümer liebten die Aufmerksamkeit, aber es nagte an ihnen, dass alle Häuser nahezu gleich aussahen. Jeder wollte als Besitzer des schönsten Hauses von Swampmuck gelten. Mittlerweile benötigten sie jedoch beide Arme und Beine, um allein die monatlichen Zinsen auf ihre hohen Kredite zahlen zu können, und ihre Ohren hatten sie bereits verkauft.

Sie traten mit neuen Vorschlägen an die Kannibalen heran.

»Würdet ihr mir Geld leihen, wenn ich meine Nase als Sicherheit biete?«, fragte Mrs Sally.

»Nein«, antworteten die Kannibalen, »aber wir würden sie mit Freuden auf der Stelle kaufen.«

»Aber wenn ich meine Nase abschneide, sehe ich aus wie ein Monster!«, entfuhr es ihr.

»Du könntest dir einen Schal ums Gesicht wickeln«, schlugen die Kannibalen vor.

Mrs Sally lehnte ab und befahl ihrem Diener aus ihrem Tragetuch heraus, sie nach Hause zu bringen.

Als Nächstes kam Mr Bettelheim zu den Kannibalen.