Die Liebe kann mich mal - Ellen Kühne - E-Book

Die Liebe kann mich mal E-Book

Ellen Kühne

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  • Herausgeber: WOLFSTEIN
  • Kategorie: Erotik
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2018
Beschreibung

»Die Stärke einer Frau liegt in ihrer Schwäche.« Elisabeth, 32, Unternehmerin, hat ihr Leben fest im Griff, wenn da nicht dieses kleine Problem „Männer“ wäre: Alle ihre Beziehungen scheitern innerhalb kürzester Zeit. Die alleinerziehende Mutter ist am Verzweifeln. So kann es nicht weitergehen, es muss sich etwas ändern! Eines Tages stößt sie auf den mysteriösen Blogger Sky. Er offenbart ihr die Geheimnisse einer erfüllten Liebe. Seine fordernde Art und sein unkonventionelles Denken bringen Elisabeth an ihre Grenzen. Ehe sie sich versieht, wird ihr ganzes Leben umgekrempelt.

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Seitenzahl: 342

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Vollständige eBook Ausgabe 2018

© 2018 WOLFSTEIN

in der Spielberg Verlag GmbH, Regensburg

Lektorat: Sigrid Müller

Umschlaggestaltung: Ronja Schießl

Coverbilder: © Shutterstock.com

Foto Ellen Kühne: © Iryna Khablo

Foto Nadine Herberger: © Jürgen Schwab

Alle Rechte vorbehalten

Vervielfältigung, Speicherung oder Übertragung

können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Inhaltsverzeichnis

Die Liebe kann mich mal

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Die Liebe kann mich mal

Kapitel 1

An diesem Sonntagvormittag saß Elisabeth mit angezogenen Beinen in ihrem Lieblingssessel auf der Terrasse. Eingemummelt in eine warme Wolldecke starrte sie seit einiger Zeit ins Nichts. Eine Isolierkanne mit heißem Früchtetee stand vor ihr auf einem runden Glastisch. Auch ein Stift, Notizheft und ein ausgeschalteter Laptop warteten dort auf ihren Einsatz. Doch Elisabeth, von Freunden Lisa genannt, rührte sich nicht. Nur zwei schmale Linien liefen von ihren feuchten Rehaugen über die Wangen und verschwanden in dem enganliegenden Rollkragenpullover. Frischer Wind, der sich immer wieder bemerkbar machte, trocknete die neu kommenden Spuren auf seine ungezähmte Weise. Nebenbei spielte er mit ihren langen kastanienfarbenen Haaren, die zu einem Zopf gebunden waren. Immer mehr Strähnen riss er aus dem Bund und ließ sie in ihr Gesicht fallen. Er wehte und pustete sie an, als ob er ihr sagen wollte, sie solle aufwachen und sich nach den Dingen umschauen, die ihr direkt zu Füßen lagen. Die ersten Krokusse erfreuten den Blick mit ihren Farben und kündigten das Ende des Winters an. In der Luft konnte man die Wiedergeburt der Natur wahrnehmen.

Nur Lisas Gedanken waren weit vom Aufwachen der Lebensgeister entfernt. Auch für die fröhlichen Vogelgesänge war sie taub. Die Kokonposition, in der sie sich befand, half ihr sich warm zu halten, in einer Zeit, als Herzschmerz sich in ihrem Inneren mit eisiger Kälte breitmachte. Die junge Frau kam sich leer und ausgebrannt vor. Kein Empfinden, keine Emotionen, einfach nichts.

Erst als die Mittagssonne ihr Profil erwärmte, kehrte Lisa allmählich aus ihrer Gedankenwelt zurück. Sie konnte sich an nichts erinnern. Es herrschte ein tiefes Loch in ihrem Verstand, das all ihre lebenswichtige Energie einsaugte. Diesen Zustand kannte sie bereits und war gar nicht darüber erfreut, dauerhaft darin zu verweilen. Ihr war aber auch nicht danach, die Welt positiv zu betrachten. Bewusst wollte Lisa sich ihrer Schattenseite stellen, ohne diese erneut unterdrücken zu müssen.

Morgen würde sie wieder eine Maske tragen. Sie musste für ihre Kunden und deren Probleme da sein. Gut gelaunt, hübsch aussehend, zuvorkommend – das Gesicht der ›Schönheits-Oase‹. Das repräsentierte sie, um den Bedürfnissen anderer Frauen gerecht zu werden. Aber heute war ihr Tag, zumindest bis nachmittags. Elisabeth hatte zwei Töchter, die vom Übernachten bei ihren Freundinnen abgeholt werden sollten. Von da an würde sie wieder in die Mutterrolle schlüpfen und ihre eigenen Sehnsüchte zurückschrauben.

Lisa goss sich warmen Früchtetee ein, trank davon einen Schluck und bemerkte sofort die wohltuende Wirkung. Sie legte die Decke beiseite und streckte ihre Beine aus. Dann nahm sie einen weiteren Schluck des heißen Getränks und fühlte, wie das Leben in ihren Körper zurückkehrte. Lisa blieb noch einen Augenblick sitzen, um die warmen Strahlen der Frühlingssonne auf ihrem Gesicht verweilen zu lassen. Die Wärme tat gut. Ihr Kopf war zwar noch leer, aber nicht mehr so schwer. Sie ging eine Runde durch ihren kleinen Garten. Den kannte sie noch nicht so richtig, da sie und ihre Töchter erst im späten Herbst in das neue Haus eingezogen waren. Lisa beugte sich nieder und befreite behutsam eine Gruppe lilafarbener Krokusse vom alten Laub der Nachbarsbäume. Ein sanftes Lächeln erstrahlte auf ihrem Gesicht, als sie sich an die Zeiten erinnerte, in denen sie sich für dieses Haus beworben hatte. Sie, die alleinerziehende Mutter, in einer renommierten Gegend im Herzen Bremens, wer hätte das gedacht? Noch vor ein paar Jahren wäre dieser Gedanke unvorstellbar gewesen. Aber die Zeiten änderten sich und die Menschen auch. All das hatte sie nur sich selbst zu verdanken.

Sie kam hoch und ihr Blick wurde ernst.

Man gewöhnt sich so schnell an das Erreichte und die Freude vergeht wie der Schnee von gestern. Warum fühle ich mich so elend, wenn ich alles zum Glücklichsein habe? Ein Idiot hat mich verlassen, na und? Warum leide ich wegen eines Menschen, der mich sowieso nicht schätzte? Nichts, was ich machte, war gut genug für ihn, egal wie sehr ich mich bemühte. Eigentlich müsste ich jubeln, dass ich ihn los bin, aber ich heule seit zwei Wochen nur rum, sobald ich wieder alleine bin. Das muss aufhören. Ich bin 32 Jahre alt, habe ein gutgehendes Geschäft aufgebaut und zwei wundervolle Töchter auf die Welt gebracht. Meinen Beitrag für die Menschheit habe ich bereits geleistet und nun habe ich es verdient, glücklich zu sein. Dieses Recht lasse ich mir nicht nehmen, hörst du, DU DA OBEN?! Ich lasse das nicht mehr zu!

Elisabeth schaute voller Entschlossenheit zum Himmel. Der klebrige Schleier des Selbstmitleids löste sich allmählich auf. Es war ein befreiendes Gefühl, die Entscheidung zu treffen nicht mehr leiden zu wollen. Lisa kehrte zu ihrem Platz auf der Terrasse zurück. Innerlich war sie aufgeregt und wusste genau, dass etwas Wunderbares mit ihr geschehen würde. Sie fühlte, dass sie kurz davor war, einen alten Knoten zu lösen, der ihr ganzes Leben beeinflusst hatte.

Ab sofort wird alles anders, beschloss Lisa für sich.

Doch sie wusste nicht, was genau sie machen sollte und sie wusste nicht, wo sie anfangen sollte, etwas zu verändern. Denn so lange sie sich erinnerte, war das Thema Liebe in ihrem Leben mit vielen Enttäuschungen verbunden gewesen. Mittlerweile hatte Lisa panische Angst davor, sich zu verlieben, zu öffnen und zu vertrauen. Auch die letzte Beziehung war ein Beweis, dass mit ihr etwas nicht stimmte. Dachte sie zumindest. Doch was? Lisa wusste, dass ihr Körper von Männern sehr begehrt wurde, denn sie bekam ständig Komplimente zu ihrem Äußeren. Außerdem war sie intelligent, charismatisch, unabhängig und stand mit beiden Beinen im Leben. Sie erwartete nicht viel von einem Partner: nur gegenseitigen Respekt, Wertschätzung und Liebe natürlich. Intuitiv fühlte sie aber, dass irgendetwas Wichtiges vor ihr verborgen blieb. Bis jetzt hatte Lisa ihre Beziehungen nie hinterfragt. Sie hatte immer alles so hingenommen, wie es gekommen war, ohne sich bewusst zu sein, dass sie sich im Kreise drehte. Männer und Situationen hatten sich stets verändert, aber ihre Ansichten waren die alten geblieben.

Bis jetzt hatte sie ihr Beziehungsleben nach einer Schablone gelebt, die ihr von der Außenwelt vorgegeben worden war. Nach dieser Schablone verliebte sie sich neu und trennte sich wieder. Sie merkte selbst, wie unsicher sie geworden war, was Männer betraf, und wie schwer es ihr fiel, eine Trennung zu verarbeiten.

Sich in die Arbeit zu stürzen, war auf Dauer keine Lösung.

Entweder, ich stelle mich dem Ganzen und finde einen Ausweg, oder ich bleibe mein Leben lang unzufrieden, stellte Lisa fest.

Und darauf hatte sie nun wirklich keine Lust. Sie hatte das Gefühl, dass die große Liebe wenig mit Zufall zu tun hatte. Wie alles andere im Leben auch. Elisabeth hatte viel erreicht und war stolz auf ihre Leistung. Ihr war nichts geschenkt worden und das Schicksal war manchmal besonders hart zu ihr gewesen. Umso mehr schätzte sie das Erreichte.

Jetzt, da sie ihr Geschäft ins Rollen gebracht hatte, hatte Lisa Kapazitäten für sich selbst frei. Die junge Frau war hartnäckig, ließ sich nicht mit weniger abspeisen, wenn sie wusste, dass sie mehr schaffen konnte. Und nun war die Zeit gekommen, da sie mehr in einer Partnerschaft erreichen wollte. Doch zuerst brauchte sie einen Mann an ihrer Seite, der dazu passte.

Aber wo soll ich den bloß hernehmen? Sofort meldete sich ihre innere Stimme. Wenn ich so denke, komme ich gar nicht vorwärts. Lisa, denke um! – forderte sie sich selbst auf.

Wenn ich ein neues Geschäft aufbauen würde, wo würde ich anfangen? Als Erstes, die Zielsetzung: Was will ich erreichen? In diesem Fall lautet die Antwort: Ich will eine glückliche Beziehung führen können, mit einem Mann, der mich liebt und den ich liebe.

Warum hat es bis jetzt nicht funktioniert? Was habe ich falsch gemacht?

Lisa überlegte, welche ihrer Freundinnen oder Bekannten in einer glücklichen Beziehung war. Denn sie wollte wissen, was diese Menschen anders machten. Viele waren zwar vergeben oder verheiratet, aber richtig glücklich schien niemand zu sein. Diese Feststellung machte sie stutzig.

Also bin ich nicht die Einzige? Die halbe Welt hat ähnliche Probleme!

Sie wurde nachdenklicher.

Koste es, was es wolle, ich finde heraus, wie man eine glückliche Beziehung führt. Wenn es einen Trick gibt, dann werde ich ihn bald kennen.

Mit dieser Entschlossenheit nahm Lisa ihr Notebook vom Tisch, schenkte sich Tee nach und machte sich auf die Suche nach Antworten. Sie gab in die Suchmaschine sämtliche Begriffe ein, die ihr einfielen, um in ihrem Vorhaben weiterzukommen. In kürzester Zeit überflog sie mehrere Texte und schloss die Seiten desinteressiert wieder. Die junge Frau wusste nicht wirklich, wonach sie suchte, sie vertraute einfach ihrem Bauchgefühl. Es musste auf jeden Fall etwas Erkenntnisreiches und Interessantes sein. Elisabeth surfte reichlich viel im Netz und machte eifrig Notizen. Sie vergaß komplett die Zeit. Als Lisa auf die Uhr schaute, war sie bereits zu spät. Die Kinder mussten längst abgeholt werden. Sie murmelte ein paar Unnettigkeiten vor sich hin, schlüpfte in die Straßenschuhe und pfiff ihren Pudel Schoko zu sich. Elisabeth war immer sehr genau und erwartete dasselbe von anderen. Sie vertrat die Meinung, dass gegenseitiger Respekt darauf basierte, einander ernst zu nehmen.

Schoko wedelte pausenlos mit dem Schwanz und leckte seinem Frauchen das Gesicht ab, als beide im Auto saßen. Er freute sich über die Möglichkeit, endlich rauszukommen, denn die heutige Situation war fremd für ihn. Sämtliche Anspielungen seinerseits waren von seiner Besitzerin rigoros ignoriert worden. Das hatte es noch nie gegeben. Lisa streichelte ihn, bat um Entschuldigung und versprach, dass es nie wieder vorkommen würde. Ihr wurde klar, wie sehr sie ihre Liebsten wegen ihres Liebeskummers in letzter Zeit vernachlässigt hatte. Sie schämte sich dafür. Aber sie spürte auch, dass sich irgendetwas in ihr verändert hatte. Plötzlich waren das Leiden und der damit verbundene Schmerz weg, auch das Selbstmitleid war wie weggeblasen. Sie fühlte sich klar und energiegeladen. Es kam ihr vor, als ob sie gewisse Grenzen in ihrem Inneren überschritten hätte. Lisa wusste jetzt, dass ihr nichts Schlimmes passieren konnte und sie hatte keine Angst mehr, verlassen zu werden. Das war ein neues Gefühl, das ihr in diesem Ausmaß nicht bekannt war. Es fühlte sich herrlich an! Sie drehte die Musik im Radio lauter, der aktuelle Song war genauso energisch und mitreißend, wie Lisas Laune.

Der Nachmittag verlief großartig. Mutter und Töchter kamen sich wieder näher. Es wurde viel erzählt, gelacht und getobt. Schoko fühlte sich wie im Paradies. Sein fröhliches Gebell hörte man bis in die Nachbarschaft. Auch der Pizzalieferant bekam einen Teil der freudigen Energie in Form eines großzügigen Trinkgeldes ab. Im Haus herrschte eine Aura des Glücks.

Als Lisa ihre Kinder ins Bett brachte, drückte sie die Mädchen fest an sich und sagte, dass sie das Beste waren, was ihr je passiert war. Sie bat um Verzeihung für ihre Laune der letzten Zeit und machte ein paar Vorschläge für die Unternehmungen der nächsten Wochenenden.

»Hat sich unsere Mama etwa verliebt?« fragte die achtjährige Maxima ihre ältere Schwester.

»Das weiß ich nicht«, antwortete Alexa. »Aber hoffentlich bleibt sie länger so. Wenn es nach mir ginge – wir brauchen keinen Mann im Haus. Schoko reicht uns.«

Kapitel 2

Lisa beseitigte noch schnell die Spuren des wilden Abends, danach drehte sie mit dem Hund eine Runde um den Block. Nach dem Spaziergang holte sie ihre Notizen der heutigen Recherche hervor. Sie überflog das Geschriebene mehrmals, legte den Block zur Seite und nach einer kurzen Denkpause ging sie hinaus auf die Terrasse. Auf einem der Sessel lag eine Wolldecke, die Lisa über ihre Schultern warf. Sie machte ein paar Schritte, musste aber immer wieder stehen bleiben, um sich besser konzentrieren zu können. Sämtliche Erkenntnisse schossen wie Pilze nach dem Regen in ihrem Inneren hoch. Lisa griff nach ihren Schreibutensilien und hielt die Gedanken fest:

• ich klammerte

• ich verstellte mich

• ich versuchte um jeden Preis den Erwartungen von anderen gerecht

zu werden

• ich machte vieles, ohne darum gebeten zu werden und erreichte

immer das Gegenteil

• ich spielte etwas vor, das ich nie war

• und ich verlor mich dabei ...

Ich bin eine erwachsene Frau, die in der Lage ist, ihre Kinder allein großzuziehen und Geld zu verdienen, aber ich weiß nicht wie man sich einem Mann gegenüber richtig verhält. Vielen Männern, die an mir interessiert waren, schenkte ich mein Vertrauen und meine Gefühle, ohne dies zu hinterfragen. Ich war der Meinung, dass jeder eine Chance verdient hat. Als ich von außen gewarnt wurde, stürzte ich mich bereits in eine Rettungsaktion. Auf eigene Kosten. Auf Kosten meiner Kinder. Auf Kosten meines Glückes. Jetzt stehe ich da. Mein letzter Partner verließ mich wegen seiner Ex, die in meinen Augen nicht einmal annähernd an mich heranreicht. Und doch entschied er sich für sie, anstatt für mich. Mein Aussehen und mein Erfolg reichen nicht aus, um einen Mann an mich zu binden. Ich muss etwas verändern und zwar in der Einstellung zu mir selbst. Ich bin sehr dankbar, dass ich emotional so tief gesunken bin, denn ich fühle den Boden, von dem ich mich abstoßen kann, um an die Oberfläche zu kommen.

Lisa war sehr erschöpft vom heutigen Tag, der sehr erkenntnisreich gewesen war. Ein Tornado aus Gefühlen, Emotionen und unzähligen Gedanken wirbelte in ihr herum. Doch nun wusste sie, dass sie nicht mehr diejenige war, die geschleudert wurde, sondern diejenige, die sich im Herzen des Tornados befand. Von dieser Position aus, sah das Leben ganz anders aus. Mit diesem Wissen ging Lisa zu Bett und schlief lächelnd ein, denn sie spürte, dass alles gut war.

Als sie am nächsten Morgen aufwachte, tat ihr der Kopf weh und ihr Herz schlug schwer. Sie reckte und streckte sich, gähnte. Sah an die Decke und beschloss, sich heute ein bisschen Zeit für sich zu nehmen. Denn das kam meistens viel zu kurz.

Ich bin auch wichtig und nach so einer turbulenten Zeit, muss ich etwas Gutes für mich tun. Und sei es nur in den Park zum Joggen zu gehen, oder in Ruhe einen Kaffee zu genießen. Lisa schrieb eine SMS an ihre Kollegin, mit der Bitte die Termine am Vormittag für sie zu übernehmen. Prompt kam eine Daumenhoch Antwort zurück. Lisa kicherte.

Wie schön, dass es Menschen gibt, auf die man sich verlassen kann, dachte sie zufrieden.

Sie ließ sich entspannt in die Kissen fallen und verweilte noch ein wenig grinsend im Bett.

Als Maxima und Alexa nach unten kamen, umarmte Lisa sie herzlich. Die Geschwister sahen sich verdutzt an.

»Du bist noch da, Mama?«

»Ja, ich dachte, wir frühstücken heute mal zusammen.«

Alexa strahlte über das ganze Gesicht und Maxima klatschte begeistert in die Hände. Sie setzten sich an den Tisch und blickten sich an. Dann lachten sie gleichzeitig.

»Das sollten wir öfters tun, Mama«, sagte Alexa.

»Ja stimmt. Ich werde mich in Zukunft bemühen.«

Sie lächelte ihre Kinder an und eine wohlige Wärme durchfuhr sie.

»Mama, habe ich dir von meinem Projekt für die Schule erzählt? Das mit dem positiven Denken?« fragte Alexa mit halbvollem Mund.

Lisa schüttelte den Kopf und ihre Tochter plapperte munter weiter:

»Wir sollen eine Collage zum Thema ›Positives Denken‹ erstellen. Wie man darauf kommt, was einen davon abbringt und so. Dann sollen wir darüber einen richtigen Vortrag machen und den vor der gesamten Klasse halten. Kannst du mir dabei helfen?«

Lisa freute sich, ihrer Tochter behilflich sein zu können. Sie sagte zu.

»Natürlich helfe ich dir. Wenn du magst, schaue ich später nach ein paar Zeitschriften – zum Bilder ausschneiden. Ok?«

Alexa sprang auf, wischte sich die restlichen Brösel vom Mund und umarmte ihre Mutter schwungvoll.

»Du bist die Beste!«

»Kinder! Ihr müsst los, sonst kommt ihr zu spät.«

Die Mädchen küssten ihre Mutter zum Abschied und verschwanden hinter der Eingangstür.

Lisa schnappte sich Schoko und ging mit ihm in den Park. Der kleine Hund freute sich sichtlich, Zeit mit seinem Frauchen verbringen zu können. Lisa joggte los und Schoko trottete tapfer neben her. Sie sah die Blumen im Park sprießen. Wie die Blumen sich ihren Weg durch die Erde ins Leben erkämpften, so wollte auch Lisa sich ihren Weg in ein glückliches, zufriedenes Leben verschaffen. Aufgeben kam nicht mehr in Frage! Es war Frühling und sie wollte Spaß haben, Spaß am Leben! Das Leben in vollen Zügen genießen, daran teilhaben. Selbstmitleid gab es nicht mehr! Sie wollte sich wieder spüren. Mit sich im Reinen sein.

Als Lisa an einem Kiosk mit einer großen Auswahl an Zeitschriften vorbeilief, dachte sie an Alexas Schulprojekt und die dazugehörige Collage. Lisa bog zum Kiosk ab und studierte die Auswahl. Ihr Blick fiel auf eine fett gedruckte Überschrift auf einem Frauenmagazin: »Denk positiv, oder lass es bleiben!«

»Vielleicht ist das genau das Richtige«, murmelte sie vor sich hin und kaufte die Zeitschrift.

Lächelnd, mit einem wohligen Gefühl, drehten sie und ihr treuer Begleiter wieder in Richtung Heimat um. Dort angekommen, erlaubte sich Lisa eine Auszeit und übte mal nichts zu tun.

Immer wieder schweiften ihre Gedanken zu Alexas Schulprojekt. Positives Denken. Sie versuchte, all ihre Gedanken positiv zu ummanteln, nur irgendetwas störte sie dabei. Doch was? Vermutlich weil sie gerade erst damit angefangen hatte und alles neu für sie war. Sie musste es erst lernen.

Gibt es etwa so viel Negatives in meinem Leben? Hm, doch das kann es nicht sein, es muss einen anderen Grund haben.

Jetzt war aber keine Zeit mehr darüber nachzudenken, denn die junge Frau musste zur Arbeit.

In ihrem Schönheits-Studio empfing sie Kundin um Kundin und kümmerte sich um deren Wohlbefinden. Ihr Job lag Elisabeth wirklich am Herzen und wenn man etwas so gerne tat, dann konnte es nur gut werden.

Der Nachmittag verging wie im Flug und die junge Frau verspürte Zufriedenheit. Am Abend verabschiedete sie ihre letzte Kundin und schloss hinter ihr ab. Elisabeth genoss ihren neuen Zustand. Sie atmete tief die angenehme Abendluft ein und beobachtete die Sonne, die noch ein wenig Kraft hatte, um die Straßen mit einem orangen Schleier zu überziehen.

Zu Hause wurde Lisa von einer aufgeregten Alexa in Empfang genommen.

»Mama! Mein Projekt. Komm, schau es dir an. Es ist fertig.«

»Gerne mein Schatz, lass mich nur noch schnell meinen Mantel aufhängen.«

Alexa kam aus ihrem Zimmer, mit einem großen Plakat und vielen Notizen in der Hand. Die Mutter setzte sich auf die Couch und ihre Tochter präsentierte das Projekt.

»Positiv Denken ist nichts für einen gesunden Verstand«, begann Alexa und Lisa sah sie mit großen Augen an. Dabei fragte sie sich, ob sie die richtige Zeitschrift gekauft hatte. Das, was ihr Sprössling da von sich gab, hörte sich sehr abgebrüht an.

»Alexa, ist das alles aus der Zeitschrift?«

»Nein, ich war auf der Homepage des Autors.«

Lisas Augen wurden immer größer.

»Mama, reg dich nicht auf, ich war nur auf der Seite des Autors und sonst nirgends. Keine Sorgen, ich weiß, dass wir nicht ins Internet sollen, wenn du nicht zu Hause bist.«

Lisa atmete aus. Im Großen und Ganzen fand sie es sehr gut, was ihre Tochter da gebastelt hatte, dennoch wollte sie sich die Seite des Autors genauer ansehen. Es hörte sich zwar interessant, aber irgendwie ungewöhnlich an. Doch das letzte wollte sie vor ihren Kindern nicht zugeben.

»Zeigst du mir bitte die Homepage des Autors?«, fragte sie und Alexa klappte den Laptop auf.

»Hier.«

Lisa ließ die Seite offen und ging in die Küche, um Abendbrot für die Kinder zu machen.

Es wurde wieder ein fröhlicher Abend im Kreise ihrer kleinen Familie. Lisa liebte ihre Kinder über alles und war dankbar sie zu haben. Aus dieser Emotion heraus umarmte sie sie stürmisch und die beiden wussten nicht, wie ihnen geschah. Die drei lachten.

Später, als die Mädchen in ihrem Zimmer waren, holte Lisa sich den Laptop auf den Schoß und sah sich die Seite des Autors genauer an. Eine blaue Seite. Mehr nicht. Zunächst dachte sie, dass der Laptop defekt sei, oder noch schlimmer - einen Virus hatte. Sie klickte wild auf der Seite herum, doch nichts passierte. Kurz überlegte sie, dann kam ihr eine Idee. Sie markierte die gesamte Seite und erkannte dadurch einen Link, auf den man klicken konnte. So gelangte man auf die eigentliche Autorenseite.

»Wieso möchte jemand, der eine Internetseite betreibt, nicht, dass man seine Seite ganz offensichtlich anklickt?«, fragte sie sich und schüttelte den Kopf. Interessiert studierte Lisa die Homepage. Doch über den Autor selbst konnte man nichts herausbekommen. Auch durch das Impressum war nicht ersichtlich, um wen es sich handelte.

»Sky«, sagte Lisa und lächelte, »interessanter Name für jemanden, der eine blaue Internetseite betreibt.«

Sie sah sich die Seite weiter an und entdeckte einen Blog. Dieser weckte nun wirklich ihr Interesse. Denn der letzte Blogeintrag handelte davon, dass man nicht positiv denken sollte. Sie las die Überschrift zweimal.

»Denkt nicht positiv!« Mit Ausrufezeichen.

Sie klickte den Beitrag an und las. Es ging darum, dass man nicht aufgesetzt positiv denken, sondern Dinge durchaus hinterfragen sollte.

Der Blog begeisterte Lisa immer mehr. Sky, ein virtueller Coach und dazu ein Frauenversteher, hielt kein Blatt vor den Mund mit seiner direkten Art. Er erläuterte der Frauenwelt, wie man einen Mann dazu bringen konnte, einem aus der Hand ›zu fressen‹. Er behauptete, dass Frauen den Männern überlegen seien, aber nur dann, wenn eine Frau sich richtig verhielt. Sky erklärte, dass die Instinkte bei Männern nach wie vor sehr stark ausgeprägt seien und jede weibliche Person, die sensibel genug wäre und über das notwendige Wissen verfüge, könne jeden Mann um den Finger wickeln. Der Blog war voll mit Beispielen von Frauenverwandlungen. Persönliche Erfahrungen, die Teilnehmerinnen von Skys Schule mit anderen Leserinnen teilten. Jede Geschichte war einzigartig und sehr motivierend. Lisa bewunderte die Frauen, die einen Durchbruch vom Mauerblümchen zu einer mentalen Königin geschafft hatten.

Am Anfang war Skys Art der Informationsübermittlung für Lisa sehr gewöhnungsbedürftig. Er packte die Wahrheit nicht in Watte, beschönigte sie nicht und schmückte sie nicht aus. Er war knallhart. Manchmal hatte Lisa das Gefühl, dass Sky absichtlich provozierte. Er brach nicht nur sämtliche Regeln mit seinen Aussagen und Feststellungen, sondern manchmal auch mit seinen Manieren, die aber zu einem deutlich schnelleren Begreifen der Materie führten. Lisa war eine Querdenkerin, die Eintönigkeit und Langeweile nicht ausstehen konnte. Dieser Blog war alles andere als langweilig und sehr nützlich noch dazu. Der war wie für sie gemacht. Fast täglich holte sie sich ihre persönliche Portion neuer Erkenntnisse, die sie durch ihren eigenen Verstand hindurchsiebte.

Lisa erkannte in den beschriebenen Beiträgen ihr eigenes Verhaltensmuster. Ihr wurde klar, dass Fehler, die sie in Partnerschaften gemacht hatte, nicht selten am Verhalten der Frau lagen. Ihr leuchtete ein, dass auch Männer sich nach einem bestimmten Muster verhielten. Diese Schule, die Sky anbot, interessierte Lisa sehr. Zunächst aber wollte sie mehr Informationen über den geheimnisvollen Coach herausfinden. Irgendetwas hielt sie noch von der Anmeldung ab. Vielleicht war es nur ihre eigene Unsicherheit, vielleicht aber auch die ungewöhnliche Weise des Unterrichts. Oder waren die Verletzungen aus den letzten Erfahrungen mit Männern noch zu frisch? Lisa wusste es nicht genau, aber der Gedanke etwas zu verändern und etwas ganz Verrücktes zu machen, gefiel ihr immer mehr.

Sky war männlich. Das stand fest. Diese Beiträge konnten unmöglich von einer Frau stammen, sie waren zu provokativ und gradlinig. Das imponierte Lisa, weil vieles auf den Punkt gebracht wurde, zwar auf gewöhnungsbedürftige Weise, aber ohne störenden Schnickschnack. Lisa wollte mehr über den Autor erfahren. Vergeblich. Weder sein Alter noch etwas anderes fand sie. Einfach nichts. Auf seiner Internetseite war zwar ein Button ›über den Autor‹ angebracht, aber dort waren genau zwei Sätze zu lesen: »Der Blog ist entstanden, um DICH weiterzubringen. Lasse DICH nicht vom Wesentlichen ablenken.

In der Kürze liegt die Würze!, musste Lisa schmunzeln. Die meisten Menschen geben viel zu viel von sich preis und das lenkt tatsächlich ab. Aber hier ist doch gar nichts. Wer bist du, Sky? – grübelte Lisa.

Das Schulprojekt von Alexa über ›Gedanken und ihre Auswirkungen‹ kam bei der Lehrerin überragend gut an. Es war eines der besten der gesamten Klasse. Und warum? – überlegte Lisa, weil wir durch Zufall auf Skys Blog aufmerksam wurden. Mich hat von Anfang an seine Sichtweise beeindruckt. Nicht positiv (wie jeder andere lehrt), sondern effektiv zu denken. Seine Vorgehensweise zu vielen Themen unterscheidet sich von der Masse. Was habe ich zu verlieren, wenn ich ihn anschreibe? Eigentlich nichts. Was schreibe ich ihm überhaupt?

Lisa grübelte. Ihre Gedanken spielten ihr einen Streich, in dem sie ihr stets entwischten. Die junge Frau gab auf: Schluss für heute. Ich kann nicht mehr denken, weder effektiv noch positiv. Ich bin platt und gehöre ins Bett. Entscheidungen werden morgen getroffen.

Sie schaltete die Nachttischlampe aus und verfiel sofort in einen erholsamen Schlaf, in dem sie ab und zu lächelte. Denn sie träumte seit Längerem von etwas Schönem.

Kapitel 3

Das geschmackvoll eingerichtete Behandlungszimmer, die entspannende Hintergrundmusik mit Ozeanrauschen, das gedimmte Tageslicht und die Aromen von ätherischen Ölen zauberten eine wohltuende Atmosphäre. Lisas ›Schönheits-Oase‹ wirkte sehr einladend. Während Elisabeth das Gesicht ihrer Kundin behandelte, dachte sie wieder an die Möglichkeit, ihr Wissen über Männer, Beziehungen und glückliche Partnerschaft zu optimieren.

Was ist, wenn es wirklich eine Art Geheimformel gibt? ließ Lisa den Gedanken zu. Ich muss diesen Sky kontaktieren, sonst platze ich vor Neugier. Vielleicht bringt er mich tatsächlich weiter.

»Lisa!

Leider sind meine Kapazitäten für das nächste halbe Jahr bereits erschöpft. Ich nehme keine Teilnehmerinnen für diesen Kurs mehr an. Ein Crashkurs wäre dagegen möglich. Beginn: SOFORT! Dauer: 1 Monat. Schwierigkeitsstufe: sehr intensiv und hart. Bei Abbruch werden keine Kosten zurückerstattet. Bedenkzeit: 24 Stunden.

Gruß Sky«

Als Lisa diese Antwort las, fragte sie sich, ob Sky Soldatinnen ausbildete.

Oder will er bloß schnelles Geld verdienen, mit armen dummen Frauen, die auf so etwas reinfallen? Nur, weil eine Frauenzeitschrift von ihm berichtet, muss er noch lange keine Höhenflüge haben und komische Anforderungen stellen. Von wegen – AUSGEBUCHT. Ein billiger Trick, mehr nicht!, ärgerte sich Lisa. Sie verließ ihr Postfach.

Das Läuten der Türglocke ließ sie in die Realität zurückkehren. Die nächste Kundin betrat das Studio. Nach einer herzlichen Begrüßung begleitete Lisa die Dame ins Behandlungszimmer. In der nächsten Stunde widmete sie sich ihrem Element – Verwöhnung von Körper, Geist und Seele. Lisa liebte ihre Arbeit sehr. Sie hatte nicht nur fantastische Hände, wie ihre Kundinnen behaupteten, sondern fühlte sich in einen Menschen hinein und besaß die seltene Gabe des Zuhörens. Sie erlaubte den Frauen sich ihre Sorgen von der Seele zu reden und nur, wenn ihre Meinung gefragt wurde, zeigte sie ganz dezent einen neuen Blickwinkel auf, aus dem die bestehende Situation ganz anders aufgefasst werden konnte. Die Frauen verließen Lisas ›Schönheits-Oase‹ rundum erneuert und äußerst zufrieden. Keine ging, ohne einen weiteren Termin ausgemacht zu haben, denn die Chance einen spontanen Wunschtermin zu bekommen, war sehr gering.

Elisabeth hatte ein kleines Paradies geschaffen, in dem jede Frau königlich behandelt und verwöhnt wurde. Sie war der Meinung, dass es da draußen genügend Leid für die zärtlichen Geschöpfe gab und der Hauptgrund dafür waren die MÄNNER. Sie selbst war keine Ausnahme und kannte diesen elenden Zustand nur zu gut. Und jetzt, da sie kurz davor war, sich in einen Kurs einzuschreiben, um Männer besser verstehen zu können, kam ein kurioses Angebot.

Und von wem? Von einem Mann! Sollte ich mich lieber nach einem weiblichen Coach umschauen? Aber ich will ja nicht die Frauen verstehen lernen... also sollte der Coach auch männlich sein... oder sehe ich das falsch?

Lisa verweilte in ihren Gedanken und dachte immer mehr über ein Coaching nach. Sie beschloss Skys Antwort am Abend erneut in aller Ruhe zu lesen und sich intensiver mit den Rezensionen der Teilnehmerinnen zu beschäftigen. Lisa kannte sich zu gut: Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann war sie dieser Idee ausgeliefert. Ihr bleibt nur eins übrig – den richtigen Weg der Umsetzung zu finden.

Die Recherchen des Abends zeigten, dass Sky relativ zwiespältige Meinungen bei den Frauen hervorrief. Entweder man liebte, verehrte und bedankte sich bei ihm, oder man hasste und beschimpfte ihn.

»Seine Methoden sind nicht immer adäquat, aber wenn man es durchhält, erlebt man ein blaues Wunder«, schrieb eine Teilnehmerin, »und jetzt weiß ich wirklich, wie das Glück sich anfühlt!«

Man, Lisa, vielleicht solltest du all deine Vorurteile diesem Sky gegenüber beiseitelegen und einfach ins kalte Wasser springen? Was hast du denn schon zu verlieren außer ein Häufchen Scheine, die du innerhalb kurzer Zeit wieder verdienst? Aber die Erfahrung, die du dadurch gewinnst, die wird unbezahlbar sein!, sprach die innere Stimme zu ihrer Besitzerin.

Voller Entschlossenheit klickte Lisa auf ihr Postfach und teilte dem Coach ihre Zusage mit. Nachdem die Nachricht gesendet worden war, lehnte sie sich mit über dem Kopf gekreuzten Händen zurück und schmunzelte vor sich hin. Sie hatte gerade eben etwas total Verrücktes getan, was die kopflastige und disziplinierte Elisabeth nie getan hätte, aber die freche, kühne und freiheitsliebende Lisa eben schon. Aus einem unerklärlichen Grund war sie so zufrieden mit sich selbst, wie schon lange nicht mehr.

Nachdem der bürokratische Teil über die Bühne gebracht worden war, bat Sky Lisa ein paar Informationen über sich zusammenzustellen, um ein genaueres Bild von seiner Schülerin zu bekommen. Lisa ging mit viel Ehrgeiz an die Sache heran. So, wie sie alles in ihrem Leben tat. Sie investierte mehrere Stunden ihrer kostbaren freien Zeit in diese Aufgabe. Eifrig schrieb sie zwischen den Terminen und ergriff jede Gelegenheit, um fertig zu werden. Sie versuchte nichts Wichtiges auszulassen, denn viele Kleinigkeiten konnten sehr bedeutend sein. Viele Details und sogar Daten hatte sie bedacht. Elisabeth wollte, dass der Coach merkte, was für eine hervorragende Schülerin sie war. Es war spätabends, als die letzte Taste am Laptop gedrückt wurde und der letzte Satz zu Ende geschrieben war. Sie überflog ihr beachtliches Werk und schickte es zufrieden ab. Lisa war überzeugt, dass sie ihre erste Aufgabe mit Bravour erledigt hatte.

Am nächsten Tag rief sie regelmäßig ihre E-Mails ab. Sie war aufgeregt. Schon lange hatte sie sich nicht mehr in der Position der Schülerin befunden. Das war ein neues Gefühl für die Zweiundreißigjährige. Das erste Mal seit langer Zeit ließ sie es zu, sich und ihre Leistung zu bewerten. In der Mittagspause, als Lisa ihre Mails wiederholt prüfte, war auch eine von Sky dabei. Aufgeregt öffnete sie die Nachricht und konnte nicht fassen, was sie da las:

»Lisa!

Da wir nicht viel Zeit haben, um Nettigkeiten auszutauschen, werde ich sofort auf den Punkt kommen:

• du gibst viel zu viel von deiner Person preis. Somit nimmst du

deinem Gegenüber die Gelegenheit dich besser kennenlernen

zu wollen. Auch ich als Coach, bin in erster Linie – ein Mann.

Denke in Zukunft immer daran, wenn du mit männlichen

Personen verkehrst.

• du willst alles perfekt machen und somit in deinem

Unbewussten – perfekt sein. Höre damit auf! Perfektion ist

etwas Einseitiges, Eintöniges. Das ist langweilig! Perfekte Frauen

sind langweilig, sie sind steif. Männer meiden solche Frauen!

• das innere Feuer wiederum ist interessant. Finde etwas, für das

du innerlich brennst. Etwas, bei dem die Zeit für dich

persönlich stehen bleibt. Etwas, in dem du aufgehst und mit

dem du verschmilzt. Wenn dein inneres Feuer brennt, bist du

niemals langweilig!

Gruß Sky«

Was bildet dieser Sky sich ein? Was glaubt er, wer er ist?

Elisabeth war außer sich vor Wut. Sie sprang auf und schenkte sich ein Glas Wasser ein.

Ich und eintönig … langweilig … nur weil ich mich bemühe vieles richtig zu machen? Blödmann!

Lisa konnte sich nicht beruhigen.

Weiß er überhaupt, welches Ausmaß an Verantwortung eine alleinerziehende Mutter zu tragen hat? Dass man da etwas versteift wird, ist ja kein Wunder. Wessen Schuld ist das denn? Ihr seid doch alle gleich, uns starke Frauen runtermachen zu wollen, damit ihr euch wenigstens etwas größer fühlen könnt …

Lisa brauchte frische Luft bei all der Aufregung. Sie hatte noch eine halbe Stunde bis zur nächsten Kundin. Sie pfiff ihren Pudel zu sich und drehte mit ihm eine Runde. Der Sauerstoff tat ihr gut. Lisa kam langsam wieder runter. Sie beschloss, eine Antwort zu schreiben. Aber was für eine! Den Rest des Tages war Lisa ruhiger als sonst. Sie ging ihren Pflichten nach und versuchte dabei normal zu wirken. In ihrem Inneren herrschte jedoch ein Gefühlssturm, den sie überhaupt nicht unter Kontrolle hatte. Der Abend mit den Kindern war sehr bescheiden: Lisa verwies sich auf starke Kopfschmerzen und bat um etwas Freiraum. Die Mädels drückten sie verständnisvoll und gingen in ihr Zimmer. Das schlechte Gewissen ihren Töchtern gegenüber verstärkte den inneren Wirbel.

Wenn er denkt, dass ich alles hinschmeiße, dann hat er sich mit der Falschen angelegt. Ich bleibe dran. Aber meine Meinung bekommt er zu lesen, das steht schon mal fest.

Lisas Laptop war einsatzbereit. Sogar ihr Mailfach war auf das Schreiben einer neuen Mail eingerichtet, doch Lisa zögerte. Sie dachte immer wieder über das Gelesene nach.

Sie gab zu viel preis, … ihre Texte waren zu lang, … ihr fehlte es an Raffinesse? ... Er bekommt Raffinesse und Feuer gleichzeitig, aber nicht jetzt ...

Sie spielte dieses Spiel mit, aber nach ihren Regeln.

»Lieber Sky,

vielen Dank für deine Impulse. Ich werde darüber nachdenken. Wenn du sonst nichts mehr über mich wissen willst, bin ich bereit für die eigentlichen Aufgaben.«

Lisa war mit ihrer eigenen Beherrschung sehr zufrieden. Die Vorstellung, dass sie nicht die Position einer Marionette angenommen hatte, gab ihr zusätzliche Kraft. Sie würde Skys Anforderungen nachgehen müssen, denn so lautete die Vereinbarung zwischen den beiden, aber sie würde ausschließlich ihre eigenen Interessen verfolgen und sich emotional distanziert verhalten.

Nichts wird mehr persönlich genommen! – lautete ihr neues Programm.

Hey, das fühlt sich ja richtig gut an! Warum bin ich nicht früher zu diesem Entschluss gekommen? Das hätte mir in meinen Beziehungen jede Menge Ärger erspart. Denn ich muss schon zugeben, dass ich mit dem komischen männlichen Humor nie umgehen konnte. Ich nahm vieles für bare Münze, schluckte meinen Ärger hinunter, war eingeschnappt …

Lisas Gedanken wurden durch den Benachrichtigungston des Mailfaches unterbrochen. Skys Antwort war da. Lisa zögerte mit dem Aufmachen. Sie hatte nicht so schnell damit gerechnet. Vor allem nicht um diese späte Zeit. Ihre vor Kurzem gewonnene Einstellung nichts persönlich zu nehmen, schien sich in Luft aufzulösen. Ihr Herz schlug schneller. Die innere Anspannung wurde größer.

Was ist, wenn da wieder eine blöde Bemerkung steht? – meldete sich die innere Stimme.

»STOP!« hörte Lisa sich laut reden.

»Ich muss da durch. Das war meine Entscheidung. Keine Angst mehr vor männlicher Kritik. Ich werde darüber hinauswachsen!«

Sie öffnete die Mail und las sie mehrmals durch:

»Lob zu deiner Beherrschung, Lisa. Die erste Aufgabe hast du mit Bravour erledigt, indem du konstruktive Kritik angenommen hast. Die Reaktionen von euch Frauen sind meistens viel zu emotional und aufbrausend. Ihr bringt euch dadurch selbst in Schwierigkeiten und macht euch das Leben schwer. MERKE: Männer können mit weiblichen Emotionen nicht umgehen. Männer brauchen klare Ansagen.

Damit du diese Lektion ein für alle Mal verinnerlichst, ist hier der erste Teil deiner nächsten Aufgabe: organisiere so schnell wie möglich ein Date. Am besten mit einem Mann, den du noch nicht kennst. Sämtliche Chatportale machen so eine Bekanntschaft leicht möglich. Der zweite Teil folgt, sobald der erste erledigt wurde.

Schönen Abend Sky«

Und wieder war Lisa sehr verwirrt, obwohl sie sich innerlich auf das Schlimmste vorbereitet hatte. Mit so einer Reaktion hatte sie dann doch nicht gerechnet. Sie wurde gelobt, weil sie sich entschlossen hatte nach ihren Regeln zu spielen. Ihre Entscheidung war zufällig - die richtige!

Irre! dachte Lisa nur.

Sie konnte das alles noch nicht richtig fassen. Ihr Kopf brummte. Sie massierte die Schläfen und beschloss für heute Schluss zu machen. Eine Flut an Gedanken, Eindrücken und Emotionen des Tages musste sich erst einmal legen, damit Lisa klar denken konnte.

Und diese neue Aufgabe …, fing ihr Verstand an zu rotieren und wurde abrupt unterbrochen.

Morgen. Alles Morgen.

Kapitel 4

Lisa atmete aus vollem Brustkorb. Sie lief im Park an leeren Bänken, noch nackten Bäumen und einzelnen Passanten vorbei. Neblige, feuchte und sehr erfrischende Luft brachte neue Kraft und Energie in Lisas Körper. Trotz des Stechens an der Seite lief sie immer weiter. Ihr kleiner Pudel wich nicht von ihrer Seite, mal überholte er sie und forderte mit lautem Gebell zum Aufholen, mal blieb er zurück, zum Schnüffeln oder um sein Autogramm zu setzen.

Herrlich!, dachte Lisa.

Sie fühlte sich so lebendig. Früher war sie regelmäßig gejoggt und wusste diesen Schub an Energie zu schätzen. Im Laufe der Zeit hatte es nachgelassen, bis sie schließlich komplett damit aufgehört hatte.

Einiges muss und wird sich ändern!, beschloss Lisa.

Sie dachte über ihre neue Aufgabe – ein Date zu organisieren – nach. Einen Mann zu finden, stellte für sie kein Problem dar. Ihre Erfahrung mit Kennenlernportalen war groß. Nur die Erfolge waren sehr bescheiden.

Vielleicht wird es jetzt anders, dank dieses eigenartigen Coaches, ließ sie den Gedanken zu. Was solls! Ich lasse mich einfach auf dieses Spielchen ein und werde schon sehen, was dabei rauskommt. Auf jeden Fall ist dieser Sky eine sonderbare Person. Er bringt mich auf andere Gedanken … oder, hm … er bringt mich dazu, meine Gedanken zu hinterfragen. Das gefällt mir!, schmunzelte sie vor sich hin.

Lisa konnte Bäume ausreißen, so gut und energiegeladen hatte sie sich seit einer Ewigkeit nicht mehr gefühlt. Sie machte sich schnell für die Arbeit fertig und beschloss die restliche Zeit für die stehengebliebenen, noch gepackten Kartons zu nutzen. Seit dem Umzug standen noch immer ein paar Kisten in der Ecke, die das Interieur des geschmackvoll eingerichteten Hauses störten.

Ein Teil des alten Lebens war darin verstaut. Bücher, Fotos und viele andere Schätze, die für den Alltag nicht unbedingt relevant waren. Lisa holte ihr Wertvollstes behutsam heraus und sah sich nach dem richtigen Platz dafür um. Ein Schwall an Erinnerungen kam in ihr hoch. Aus all diesen wunderbaren Büchern hatte sie als junge, unerfahrene Frau und Mutter ihr kostbares Wissen geschöpft. Vom Kochen bis zur Kindererziehung, von der Persönlichkeitsentwicklung bis zur Geschäftsführung … Lisa hatte einen persönlichen Draht zu jedem dieser tollen Bücher, denn jedes einzelne erinnerte sie an eine bestimmte Phase ihres Lebens. Sie lernte besonders gern von Menschen, die selbst etwas geschafft hatten und ihre wertvollen Erfahrungen auf diesem Weg an die Menschheit weitergaben.

Als die Bücher ins Regal verfrachtet waren, kamen die Fotoalben dran. Lisa blätterte nachdenklich darin herum. Die kurze Reise in die Vergangenheit wirbelte Erinnerungen auf: Ihre kleinen Prinzessinnen in sämtlichen Variationen, der erste gemeinsame Urlaub mit Sonne, Strand und Meer, der tollpatschige Schoko als zuckersüßer Welpe. Die alte Wohnung am Rande der Stadt, die alte Liebe … Lisa sah auf die Uhr. Die Zeit lief ihr davon. Sie musste los. Die erste Kundin kam bereits in wenigen Minuten. Sie ließ alles liegen. Die letzte Kiste wurde beiseitegeschoben.

Am Abend muss dieses Chaos beseitigt werden, beschloss Lisa und verließ das Haus.

Sämtliche Pausen an diesem Tag investierte sie in Skys nächste Aufgabe: Das Anlegen eines Profils bei einem Datingportal. Lisa war darin geübt, denn sie hatte schon einmal gehofft auf diesem Wege einen Mann kennenzulernen. Doch damals war nichts Passendes dabei gewesen, außer reichhaltiger Erfahrung. Diesmal war die Plattform nur ein Mittel zum Zweck und Lisa ging sehr locker an die Sache heran. Es machte ihr großen Spaß einen Text über sich zu erfinden und ein passendes Bild hochzuladen. Das Resultat ließ nicht lange auf sich warten: Fünf Anfragen während sie mit einer Klientin beschäftigt war. Lisa begann Gefallen an der Sache zu finden.

Na, Turteltäubchen, dieses Mal wird nach meinen Regeln gespielt! – schmunzelte die junge Frau zufrieden vor sich hin.

Zu Hause angekommen, wurde Elisabeth von ihrer jüngsten Tochter Maxima ungestüm in Empfang genommen.

»Mama, wie hast du das gemacht? Wie konntest du das bloß wissen?«, überfiel sie das aufgeregte Mädchen, das vor Ungeduld hampelte und zappelte, bis Lisa ihren Mantel abgelegt hatte.

Sie sah ihre Tochter verwirrt an.

»Maxima, ich verstehe kein Wort. Beruhige dich bitte und erkläre mir, was los ist. Was habe ich gemacht?«

»Komm einfach mit, ich zeige es dir.«

Ungeduldig zerrte Maxima ihre Mutter ins Esszimmer zum Tisch, auf dem verstreut die Bilder des heutigen Morgens lagen. Auch der große, nicht ausgepackte Karton stand bereits offen da. Ein Teil seines Inhalts war auf dem anderen Ende des Tisches verteilt. Es waren unzählige Malfarben und Pinsel in verschiedenen Größen.

»Mama, guck, da ist Schoko! Du hast ihn vor fünf Jahren gemalt, da steht das Datum. Aber unser Schoko ist erst zwei Jahre alt. Wer ist dieser Hund, Mama? Und warum sieht er aus wie unserer? Sogar die Flecken sind drauf.«

Maxima hielt eine Leinwand, auf der ein kleiner schwarzer Pudel mit braunen Flecken abgebildet war, hoch. Er saß auf einer Wiese voller gelber Löwenzahnblumen. Das achtjährige Mädchen schaute seine Mutter mit großen blauen Augen an.