Die Liebe siegt - Anni Lechner - E-Book

Die Liebe siegt E-Book

Anni Lechner

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Beschreibung

Heidi Meindl und Sigi Lenz sollen heiraten – jedenfalls wenn es nach Heidis Mutter geht. Doch Sigi, der größte Langweiler des Dorfes, ist ganz sicher nicht Heidis Typ. Zum Glück steht die Wallfahrt nach Altötting bevor, auf der sie Sigi endgültig loszuwerden hofft. Und auf dem Weg nach Altötting trifft Heidi Stefan, einen anderen Pilger, der ganz neue Gefühle in ihr weckt. Doch haben die beiden eine Zukunft? Dieser und die zwei weiteren Romane „Geheimnis um Petra“ und „Der schmale Grat zwischen Liebe und Hass“ sind in diesem Buch enthalten.

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Seitenzahl: 336

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Anni Lechner

Die Liebe siegtGeheimnis um PetraDer schmale Grat zwischen Liebe und Hass

Roman

Anni Lechner: Band 9, Die Liebe siegt ... und zwei weitere spannende Romane

Copyright © by Anni Lechner

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Verlagsagentur Lianne Kolf.

Überarbeitete Neuausgabe © 2017 by Open Publishing Verlag

Covergestaltung: Open Publishing GmbH – Mathias Beeh

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Erlaubnis des Verlags wiedergegeben werden.

eBook-Produktion: Datagroup int. SRL, Timisoara

ISBN 978-3-95912-216-0

Die Liebe siegt

»Also, Mama! Alles, was recht ist. Es kann doch ned dein Ernst sein, dass ich den Sigi heiraten soll!«, rief Heidi empört.

»Hast du vielleicht einen anderen Schatz, weil du den armen Sigi ned magst?«, fragte Anna Meindl sichtlich besorgt.

»Nein, Mama, ich hab noch keinen Burschen gefunden, der mir gefallen könnt. Ich werd doch im nächsten Monat erst achtzehn Jahr alt. Da hat's wirklich noch ein bisserl Zeit, bis ich mich unters Ehejoch klemmen lass!«, erwiderte Heidi verärgert. Was fiel ihrer Mutter ein, ihr ausgerechnet eine Verlobung mit Sigi Wenz vorzuschlagen.

»Ich weiß ned, was du gegen den armen Sigi hast. Er ist doch so ein braver Bursch und hilft uns immer wieder aus, wenn Not am Mann ist!«, erklärte Anna Meindl in ihrem jammervollen Ton, der Heidi schon seit Jahren auf die Nerven ging.

»Auf alle Fäll hab ich nix für ihn übrig. Das muss wirklich einmal gesagt werden. Langsam ärgert's mich nämlich, dass du ihn mir die ganze Zeit schmackhaft machen willst«, erklärte Heidi schnappiger, als sie es eigentlich gewollt hatte.

Anna Meindl kämpfte jetzt sichtlich mit den Tränen. »Ich weiß ned, was ich bei deiner Erziehung falsch gemacht hab, weil du so bockbeinig geworden bist«, greinte sie und schlurfte wie eine alte Frau davon. Dabei war sie noch keine fünfzig Jahre alt und sah mit ihrer schlanken Figur und den brünetten Haaren noch recht gut aus. In ihrer Jugend war sie sogar eine Schönheit gewesen und hatte ihrer Tochter einiges davon vererbt. Doch ihre tränenreichen Gefühlsausbrüche und der Einfluss ihrer Verwandten Kathrin Wenz hatten ihre Spuren auf ihrem Gesicht und ihrem Gemüt hinterlassen.

Heidi wusste, dass es für ihre Mutter nicht leicht gewesen war, das elterliche Hotel nach einer gescheiterten Ehe zu übernehmen und weiterzuführen. Doch so erfolgreich sie als Geschäftsfrau auch war, als Mutter war sie manchmal nur schwer zu ertragen. Dabei half Heidi ihrer Mutter gerne bei der Arbeit und nahm ihr auch viele Pflichten ab. Auf Sigis große Hilfe, wie ihre Mutter es nannte, hätte sie jedoch gut und gern verzichten können. Die meiste Zeit stand er ihr nur im Weg und schaute sie schafsdämlich an.

»Wenn die Mama ned bald mit ihrem Sigi aufhört, muss ich mir noch einen anderen Schatz suchen, damit's endlich Ruh gibt. Dabei hab ich ned die geringste Lust dazu«, fauchte sie wütend und stieg die Treppe hoch, um nachzuschauen, ob die Betten der Gästezimmer schon neu bezogen waren.

*

Anna Meindl blieb vor dem Wohnzimmer stehen und wischte sich die verräterischen Tränenspuren ab, bevor sie eintrat. Sigis Mutter Kathrin Wenz, eine etwas vierschrötige Frau in einer alten Kittelschürze wartete bereits voller Spannung auf sie.

»Grüß dich, Anna. Na, was hat die Heidi zu deinem Vorschlag gesagt?«, fragte sie erregt.

»Grüß Gott, Kathrin. Ich bin leider erst heut dazu gekommen, mit ihr zu reden. Sie war natürlich ein wengerl überrascht und hat gemeint, dass sie bis jetzt noch gar ned ans Heiraten gedacht hätt«, erwiderte Anna Meindl vorsichtig. An ihrem leicht verzogenen Gesicht erkannte Kathrin Wenz, dass das Gespräch zwischen Mutter und Tochter nicht ganz nach Wunsch verlaufen war.

»Gegen meinen Sigi kann sie doch gewiss nix einzuwenden haben. Er ist ein christlich erzogener Bursch und hat keine einzige Unart, wie zum Beispiel der Thalhammer Luggi!«, sagte sie mit mahnender Stimme.

»Das hab ich der Heidi auch gesagt. Aber sie ist halt noch ein halbes Kind und hat sich noch keine Gedanken über ihren Zukünftigen gemacht«, meinte Anna Meindl seufzend.

»Dann müssen's eben wir für sie tun. Die Heidi wird jetzt bald achtzehn. Da fängt selbst das bravste Dirndl langsam an, sich nach einem Schatz umzuschauen. Wenn wir zwei ned ihr Glück im Aug behalten, bleibt sie vielleicht auch an so einem Loder hängen, wie du damals vor zwanzig Jahr! Es war ja ein Glück für dich, dass deine Mutter selig noch gelebt hat, als die Untreue vom Matthias ans Tageslicht gekommen ist. Stell dir nur vor, du hättest es erst zwei Jahr später gemerkt. Dann hätt ihm doch glatt das halberte Hotel gehört. So bist du ihn wenigstens noch billig losgeworden!«

»Du hast ja recht, Kathrin. Aber ich kann doch die Heidi ned zwingen, sich an ihrem achtzehnten Geburtstag mit dem Sigi zu verloben.«

»Wenn sie's ned an ihrem Geburtstag tun will, musst du darauf dringen, dass sie‘s spätestens an deinem tut. Du musst ihr nur begreiflich machen, dass es das schönste Geschenk wär, das sie dir machen kann!«, drängte Kathrin Wenz.

»Ich werd noch einmal mit ihr darüber reden«, antwortete Anna Meindl ausweichend. Über Kathrin Wenz` Gesicht huschte dennoch ein Ausdruck der Zufriedenheit.

»Da musst du schon aufpassen, dass sich die Heidi in ihrer Unerfahrenheit ned in so einen verruchten Kerl wie den Thalhammer Luggi verschaut. Er soll jetzt schon wieder eine Klag wegen der Alimente am Hals haben. Aber sag's ja ned weiter. Der Thalhammer wär imstand, seine Wut an dem armen Sigi auszulassen. Du weißt ja, was für ein Raufbold er ist!«

Anna Meindl nickte beeindruckt. »Da hast du schon recht. So einer wie der Thalhammer Luggi ist nix für mein Dirndl. Der tät bloß den Zimmermadln und Kellnerinnen nachsteigen.«

»Und den weiblichen Gästen ned zu vergessen«, wandte Kathrin Wenz ein. »Anna, wir zwei müssen alles tun, damit es zwischen deiner Heidi und meinem Sigi was wird. Mit meinem Buben kriegst du einen Schwiegersohn ins Haus, der dir jeden Wunsch von den Augen ablesen wird!«

»Ich werd die Heidi schon noch von Sigis Vorzügen überzeugen, Kathrin«, versprach ihr Anna Meindl eilig. Kathrin Wenz nickte zufrieden und stand auf.

»So, aber jetzt muss ich heimgehen. Der Sigi kommt bald von der Arbeit heim und hat sonst nix zum Essen!«

»Sag ihm einen schönen Gruß von mir!«

»Soll ich ihm auch einen Gruß von der Heidi ausrichten?«, fragte Kathrin Wenz lauernd. Anna Meindl zögerte einen Augenblick und überlegte, was sie darauf antworten sollte.

»Du kannst ihn auch von der Heidi grüßen. Er soll sich wieder einmal bei uns sehen lassen. Wie wär's am nächsten Sonntag. Da könntest du mitkommen und ein bisserl mit mir reden«, sagte sie schließlich mit einem tiefen Seufzer.

»Damit das junge Paar ein paar Minuten Zeit für sich selbst hat«, meinte Kathrin Wenz lächelnd und verließ den Raum.

*

»Na, hast du mit der Tante gesprochen?« Sigi Wenz hatte die Haustür noch nicht hinter sich geschlossen, als er seine Mutter schon nach dem Erfolg ihres Besuches bei Anna Meindl fragte.

»Sie lässt dich grüßen. Aber sag ned andauern Tante zu ihr. Sonst denken die Leut womöglich noch, du und die Heidi, ihr seid zu eng miteinander verwandt, um heiraten zu können.«

»Die Tante hat also schon von der Hochzeit gesprochen?«, fragte Sigi gespannt nach.

"Das schon. Aber die Anna hat auch gesagt, dass die Heidi bis jetzt ned ans Heiraten gedacht hat.“

»Dann wird's Zeit, dass sie's tut«, antwortete Sigi eifrig und setzte selbstbewusst hinzu. »Besser als mit mir kann sie's ned treffen.«

Seine Mutter musterte ihn unwillkürlich und fand, dass Sigi vielleicht ein bisschen übertrieb. Er war knapp über mittelgroß und etwas schmal in den Schultern. Sein Gesicht war eher länglich, und seine großen, wasserhellen Augen standen etwas hervor. Kathrin Wenz fand auch, dass sein Haar etwas unmodisch geschnitten war, und sagte es ihm.

»Ich geh gleich morgen zum Schober und lass mir die Haare schneiden«, versprach ihr Sigi.

»Fahr lieber zum Friseur in der Stadt. Unser alter Bader bringt doch nix Richtiges mehr zustand.«

»Aber, Mutter, in der Stadt kost's Haarschneiden drei Euro mehr wie beim Schober«, protestierte Sigi.

»Als zukünftiger Hotelier musst du schon ein bisserl mehr auf dein Aussehen achten als früher. Außerdem ist die Heidi vom Hotel her gut frisierte und gekleidete Männer gewöhnt. Also richt‘ dich danach«, rief Kathrin Wenz und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.

»Reg dich ned auf, Mutter. Ich fahr schon zum Stadtfriseur. Ich hab halt bloß gemeint, dass zwischen dir und der Tante schon alles ausgemacht wär«, rief Sigi erschrocken.

»Die Anna hab ich auch auf meine Seite gebracht«, erklärte seine Mutter zufrieden. »Jetzt heißt's noch, auch bei der Heidi ans Ziel zu kommen. Mein Gott, du bist doch ein junger Bursch und wirst wohl wissen, was so ein unerfahrenes Dirndl von einem Mannsbild hören will. Übrigens, die Anna hat uns für den nächsten Sonntag eingeladen. Schau zu, dass dein bester Trachtenanzug in Ordnung ist.«

*

Heidi dachte in diesen Tagen an nichts weniger als ans Heiraten. Sie hatte nicht nur eine Menge Aufgaben im Hotel zu erfüllen, sondern musste auch den neuen Kaplan bei der Organisation der diesjährigen Wallfahrt nach Altötting unterstützen. Es war nicht immer ganz einfach, passende Quartiere für die sechzig bis siebzig Menschen zu finden, die an dem drei Tage dauernden Fußmarsch teilnehmen wollten. Daher war sie nicht gerade erfreut, als ihr die Mutter am Samstagabend sagte, dass sie Kathrin Wenz und ihren Sohn für den Sonntag eingeladen hätte.

»Muss das sein, Mama? Du weißt doch, dass ich morgen früh wegen der Wallfahrt zum Pfarrhof muss. Danach hab ich gewiss einen Haufen Arbeit, die ich gern am Nachmittag erledigt hätt«, beschwerte sie sich bei ihrer Mutter.

»Das kannst du doch auch am Montag machen. Der Sigi nimmt sicher gern einen Tag Urlaub, um statt deiner im Hotel zu helfen«, antwortete ihre Mutter zwar etwas kleinlaut, aber durchaus bereit, ihren Willen durchzusetzen.

»Die Arbeit, die ich machen muss, kann er ned, und für das, was er kann, haben wir genügend andere Leut«, erwiderte Heidi ungehalten.

»Wenn man dich so hört, hat man fast das Gefühl, dass du den armen Sigi ned magst«, rief ihre Mutter im jammernden Tonfall.

»Ich hab nix für und nix gegen ihn. Er ist mir halt ein bisserl zu moralinsauer. Ich mag mehr Leute, die auch einmal lachen und fröhlich sind und ned wie das Leiden Christi persönlich herumlaufen.«

»Mein Gott, du hast wirklich die Frivolität von deinem Vater geerbt«, rief Anna Meindl und schlug entsetzt die Hand über dem Kopf zusammen.

»Ich weiß ned, was an einem fröhlichen Lachen frivol sein soll«, erwiderte Heidi bissig und stand auf. »So, ich geh noch einmal ins Büro hinüber, sonst bleibt mir wegen dem depperten Sigi noch zu viel Arbeit liegen!«

Anna Meindl sah ihr nach und schüttelte seufzend den Kopf. »Wenn's ned anders wird, muss ich wirklich noch mit dem Dirndl reden«, flüsterte sie vor sich hin und sah sich dabei so ängstlich um, als befürchte sie einen heimlichen Lauscher an der Wand.

*

Als Kathrin Wenz und ihr Sohn am Sonntagvormittag im Hotel Meindl erschienen, war zumindest gegen Sigis Aussehen nichts einzuwenden. Anna Meindl sah sofort, dass er einen neuen, sportlicheren Haarschnitt besaß und in seinen besten Sachen gekleidet war. Sie begrüßte die beiden überschwänglich und entschuldigte ihre Tochter.

»Die Heidi ist vorhin noch einmal schnell zum Pfarrhof hinübergelaufen. Sie wird aber gleich wieder da sein. Kommt erst einmal ins Haus. Das Essen wird in einer Stund serviert. Ihr trinkt doch derweil gewiss eine Kleinigkeit?«

»Gegen ein Tasserl Kaffee hätten wir nix, ned wahr, Sigi«, antwortete Kathrin Wenz.

»Gewiss ned, Mutter. Aber was ich fragen wollt, Tante Anna. Ist die Heidi wegen der Wallfahrt beim Pfarrer?«

»Ja, nachdem der Bichlmaier, der das früher alleweil gemacht hat, im letzten Winter weggezogen ist, hat die Heidi die Organisation übernommen«, berichtete Anna Meindl.

»Da hätt ich ihr doch helfen können. Schließlich kenn ich mich in unserer Kirchengemeinde gewiss besser aus als sie«, meinte Sigi etwas verärgert.

»Die Heidi ist ja bloß hinüber, um die bisherigen Anmeldungen abzuholen«, schwächte Anna Meindl ab.

»Sigi, mach ein freundlicheres Gschau. Sonst kriegt die Heidi noch Angst vor dir, wenn's hereinkommt«, sagte seine Mutter zwar lachend, aber mit ernstem Unterton.

»Da muss er sich schon noch ein bisserl anstrengen, damit ich Angst vor ihm krieg!« Heidi war eben ins Zimmer gekommen und hatte die letzte Bemerkung mit angehört. Ihre Worte sollten spöttisch klingen. Die drei anderen bogen sie jeweils so zurecht, wie es ihnen in den Kram passte. Heidi hatte keine Angst oder Abscheu vor Sigi, also war er ihr vielleicht doch sympathisch, hoffte ihre Mutter von ganzem Herzen. Auch Sigi und seine Mutter sahen es eher positiv.

Heidi blinzelte, als sie diese Wirkung auf den Gesichtern der anderen widerspiegeln sah, zuckte aber mit den Schultern und setzte sich an den Tisch.

»Grüß dich, Tante. Servus, Sigi. Wie geht's euch? Hoffentlich gut«, grüßte sie die Gäste eher höflich als erfreut.

»Und was spricht unser Hochwürden so?«, fragte Kathrin Wenz neugierig.

»Ich hab unseren Pfarrer heut ned gesehen. Der ist nämlich in Traunstein auf Besuch. Außerdem ist die Wallfahrt ja immer die Sach vom Kopratter gewesen«, erwiderte Heidi.

»Es ist doch jetzt ein neuer Kaplan da, ein noch recht junger dazu. Ich find's ned recht, dass unser Hochwürden zulässt, dass sein Lehrbub mit einem Madl wie dir allein in einem Zimmer zusammensteckt?«

»Aber, Tante Kathrin, wir sind doch nimmer im Mittelalter«, lachte Heidi auf. »Außerdem stellst du mir da ein sehr schlechtes Zeugnis aus, wenn man mich mit einem Mannsbild ned allein lassen kann!«

»So hab ich's ned gemeint. Ich hab nur ...«, stotterte Kathrin Wenz und wusste nicht, was sie sagen sollte.

»Die Tante Kathrin meint halt, dass dir der Sigi bei der Wallfahrt helfen könnt«, eilte ihr Anna Meindl zu Hilfe.

»Sie will mich also gleich mit zwei Männern in ein Zimmer sperren«, spottete Heidi zurück.

»Findest du ned, dass du langsam frech wirst«, rief ihre Mutter zornig. »Die Kathrin meint es doch nur gut mit dir. Außerdem muss ich ihr recht geben, dass der neue Kaplan etwas arg weltlich für einen geistlichen Herrn auftritt.«

»Also, ich find ihn ganz in Ordnung. Es ist doch gleich ganz was anderes, wenn ein modernerer Wind durch das Pfarrhaus weht!« Heidi war sichtlich verärgert, und für einen Augenblick sah es so aus, als wenn sie aufstehen und gehen würde. Der verzweifelte Blick ihrer Mutter veranlasste sie jedoch, zu bleiben.

»Ich will ja nix gegen den neuen Kaplan sagen. Aber ich halt's ned für richtig, wenn ein Geistlicher in Jeans und offenem Hemd herumläuft und sich mehr für Motorräder als das Seelenheil der ihm anvertrauten Gemeinde interessiert«, wandte Sigi ein.

»Kommt, Kinder, macht uns den Gefallen und redet von etwas anderem. Es gibt ja schließlich noch mehr Sachen auf der Welt«, sagte Kathrin Wenz, um den im Raum schwebenden Streit abzuwenden und gab Sigi einen Fußtritt, als dieser den Mund zur Gegenrede öffnen wollte.

»Wisst ihr schon das Neueste über den Thalhammer Luggi?«, fuhr Kathrin Wenz fort und erzählte ihren staunenden Zuhörern die neuesten Gerüchte über den Burschen.

»Ich frag mich nur, wieso es immer wieder Madln gibt, die auf so einen Burschen hereinfallen«, beendete sie ihren Bericht und behielt dabei Heidi scharf im Auge.

»Es muss jede selbst wissen, was sie tut. Mich könntest du mit so einem Burschen jagen. Wenn ich mir einmal einen Schatz such, so soll es ein vernünftiger Bursch sein, und kein solcher Feuerkopf«, erklärte Heidi achselzuckend.

»Man sieht halt gleich, dass du ein vernünftiges Madl bist«, stimmte ihr Kathrin Wenz zu. »Meinem Sigi tät's zum Beispiel ned einfallen, den ganzen Tag im Wirtshaus zu hocken und zu saufen, oder hinter den Weiberkitteln herzurennen«, lobte sie ihren Sohn. Doch auch diesmal zuckte Heidi nur mit den Achseln.

»Man kann das eine genauso übertreiben wie das andere. Wie heißt's so schön im Volksmund? Wer noch niemals einen Rausch gehabt, das ist kein braver Mann.«

»Der Sigi kann sich doch ned deswegen einen Rausch antrinken, nur weil du es so willst?« Anna Meindl schämte sich wegen Heidis abschätziger Worte ein wenig vor ihren Gästen.

»Das Dirndl meint ja ned, dass er zum Säufer werden soll. Aber als zukünftiger Hotelier kann er sich ned ausschließen und muss auch einmal ein Schnapserl mittrinken«, bog Kathrin Wenz das Gespräch wieder nach ihrem Sinn um. Sie sah, dass Heidi plötzlich abwehrbereit auf ihrem Stuhl saß, nahm es aber nicht ernst. Es war nur wichtig, ihr keine Abneigung gegen das Heiratsprojekt einzuflößen.

»Da wird sich unser Hochwürden und natürlich auch der Kaplan gewiss sehr freuen, weil du ihnen so selbstlos bei den Vorbereitungen zur Wallfahrt hilfst«, wandte sie sich an das Mädchen.

»So schlimm ist die Arbeit auch wieder ned. Ich muss halt zusehen, dass ich bei den Übernachtungen die richtigen Paare zusammenpack.«

»Das kann man aber auch ein bisserl anders interpretieren«, meinte Kathrin lächelnd.

»Ich darf zum Beispiel die Klingerin von Hemberg ned mit ihrer Nachbarin, der Drassl Rosa, in ein Quartier stecken, weil die sich spinnefeind sind«, erklärte Heidi eifrig, ohne den leicht schlüpfrigen Unterton in Kathrins Worten zu bemerken. Die andere lächelte und dachte sich, dass das Mädchen noch harmloser in ihrem Wesen war, als sie gedacht hatte.

»Du machst das schon richtig, Heidi. Bist ja ein fleißiges Dirndl. Übrigens, gehst du auch bei der Wallfahrt mit?«, fragte sie weiter.

»Ich weiß es noch ned. Es sind immerhin drei Tage, die wir unterwegs wären. So lang möcht ich die Mama eigentlich ned allein lassen«, erwiderte Heidi.

»Für das Seelenheil sind drei Tage im Jahr wirklich ned viel. Ich bin bis jetzt jedes Jahr mitgegangen und spür den Segen des Herrn durchaus«, warf Sigi etwas belehrend ein.

»Das mein ich auch«, stimmte ihm Anna Meindl zu. »Wir sind doch keine Heiden, die nur das Gold als ihren Gott ansehen. Also, die drei Tag komm ich wirklich auch allein zurecht. Du kannst also ruhig mitgehen, Heidi. Es ist ja ned so, dass du unter fremde Leut wärst. Du hast doch den Sigi bei dir.«

Heidi hörte die Nachtigall nicht nur trapsen, sondern mit genagelten Schuhen auf sie zustampfen. Ihre Mutter und deren Cousine wollten sie wohl unbedingt diese drei Tage mit Sigi zusammenbringen. Für einen Augenblick war sie darüber empört, doch dann spielte ein schelmisches Lächeln um ihre Lippen. Es waren auch drei Tage, an denen sie die Gelegenheit hatte, Sigi ein für alle Mal den Zahn zu ziehen, sie heiraten zu wollen.

»Warum eigentlich ned. Es ist ja ned bloß wegen dem Christentum. Ich muss als Organisatorin auch die Quartiere kennenlernen, die ich ausgesucht hab!«

»Also, du kommst mit nach Altötting?«, fragte Sigi eifrig und sah sich in seinen Gedanken schon mit dem schönen Mädchen an seiner Seite vor dem Marienaltar in der Gnadenkapelle knien.

*

In den nächsten Tagen musste sich Heidi noch oft die Loblieder ihrer Mutter auf Sigi anhören. Wenn es danach ging, war er der beste Mann auf Erden und nur geboren worden, um der ihre zu werden. Mehr als einmal lag dem Mädchen auf der Zunge, die Mutter aufzufordern, doch selbst dieses Musterbeispiel zu heiraten und sie mit dieser Idee in Ruhe zu lassen. Sie hielt sich jedoch im Zaum und vergrub sich in ihre Pflichten und Aufgaben. Die Planung der Wallfahrt, die Franz Bichlmaier früher so nebenbei miterledigt hatte, wuchs sich für sie zur Arbeit aus, denn die Leute drückten ihr beinahe die Haustür ein, um sich über den Stand der Dinge zu informieren und vor allem, um ihre Wünsche zu äußern, die selbst ein Heiliger kaum hätte erfüllen können.

»Ich hab irgendwie das Gefühl, als wenn mir die Leut ned zutrauen, mit dem Ganzen fertig zu werden«, beschwerte sich Heidi zwei Tage vor der Wallfahrt bei Kaplan Rautinger.

Dieser, ein noch junger Mann, der am liebsten Jeans trug und einer Soutane wenig abgewinnen konnte, lachte nur darüber.

»Lass dich ned verdrießen, Heidi. Nächstes Jahr wird alles anders sein. Aber heuer haben sie ned nur eine neue Organisatorin, sondern auch noch einen neuen Kaplan. Da ist es verständlich, wenn die Leute neugierig sind. Und mehr als Neugier ist es ned, denn keiner von denen, die mich auf die Wallfahrt angesprochen haben, hat sich negativ über dich geäußert. Einige Leute haben dich im Gegenteil sogar über den grünen Klee gelobt. Aber jetzt zu etwas anderem. Der Bichlmaier war ja ned bloß der Organisator, sondern auch der Fahnenträger bei der Wallfahrt. Das heißt, dass wir die Fahne heuer jemand anderem geben müssen. Kannst du mir da einen Rat geben, ich will nämlich keinen benachteiligen oder vor den Kopf schlagen.«

»Die meisten von diesen Büffeln hätten es aber einmal dringend nötig, dass man sie auf ein christliches Maß zusammenstaucht«, erwiderte Heidi lachend.

»Jetzt redest du schon wie deine Tante, die Wenz Kathrin. Die hat mich übrigens dringend davor gewarnt, die Fahne an den Thalhammer Ludwig zu übergeben. Er hätt keinen christlichen Lebenswandel ned, hat sie gemeint. Ich geb ja im Allgemeinen nur wenig auf Tratsch. Aber es ist auch meine erste Wallfahrt, und da will auch ich alles richtig machen.«

»Ich glaub, wir zwei haben die Sache schon gut gemacht, Herr Kaplan. Aber was die Wallfahrt betrifft, brauchen wir ned bloß einen Fahnenträger, sondern auch jemand, der das Kreuz voranträgt. Die letzten Jahre hat das immer der alte Mureder getan. Aber der ist jetzt über siebzig und nach seiner Hüftoperation vor einem halben Jahr noch ned so weit, dass er heuer mitgehen könnt.«

»Puh, das ist natürlich unangenehm. Man will ja eigentlich die Tradition einer solchen Wallfahrt bewahren. Aber bei uns in Sollnberg scheint alles auf einmal neu werden zu müssen!«

»Bis auf das Ziel der Wallfahrt. Seit mehr als einhundert Jahren wallfahren die Sollnberger am Dreifaltigkeitstag nach Altötting. Dabei haben sie so viele Kreuz- und Fahnenträger erlebt, dass es auf zwei weitere ned ankommt«, meinte Heidi scherzend.

»Und wen sollen wir nehmen?«

»Da die Tante so darauf erpicht ist, dass die Fahne von christlichen Händen getragen wird, sollten wir ihren Sohn, den Sigi dafür nehmen«, erwiderte Heidi, der dies wahrlich kein Engel, sondern ein kleines Teufelchen ins Ohr flüsterte. Wenn Sigi die Fahne trug, konnte er sich weniger um sie kümmern, und sie hatte ihre Ruhe vor ihm.

»Und das Kreuz?«, fragte Rautinger, der ihren Vorschlag ernst genommen hatte.

»Das sollte, um es mit der Tante zu sagen, eigentlich ein Sünder tragen. Ich schlag den Thalhammer Luggi vor. Er kann dabei einiges von dem abbüßen, was er auf dem Kerbholz hat.«

»Na, so schlimm find ich den Ludwig auch wieder ned. Er trinkt halt von Zeit zu Zeit ein Maßerl über den Durst. Aber sonst ist er anständiger als manch anderer. So will er zum Beispiel die Hampl Julia noch rechtzeitig genug heiraten, damit der Nachwuchs als Thalhammer auf die Welt kommen kann«, wandte der Kaplan ein.

»Mich freut's für den Luggi, und für die Julia natürlich auch. Hoffentlich hält sie ihn auch fest genug am Zügel, damit er ihr ned ausbrechen kann!«

»Wenn man dich so hört, könnt man meinen, dass du eine arge Beißzang wärst«, meinte der Kaplan kopfschüttelnd.

»Vielleicht bin ich's auch«, erwiderte Heidi lachend und warf einen letzten Blick auf ihren Notizzettel.

»Also, ich wär mit meinen Punkten fertig. Wenn Sie nix mehr für mich haben, geh ich heim und komm übermorgen rechtzeitig zum Abmarsch wieder!«

»Fast hätt ich's vergessen. Der Pfarrer aus Hochbruck hat vorhin angerufen und gesagt, dass sich seine Wallfahrer uns anschließen wollen«, informierte sie der Kaplan.

»Ui jeggerl, hoffentlich wird das keine Katastrophe mit den Quartieren. Die Hochbrucker haben nämlich ihre Wallfahrt sonst immer eine Woch nach uns gehalten. Es könnt leicht sein, dass wir unterwegs zu wenig Betten haben.«

»Dir wird schon etwas einfallen«, meinte Kaplan Rautinger hoffnungsvoll und verabschiedete sich von Heidi. Diese kehrte nachdenklich ins Hotel zurück und holte sich dort ihre Quartierliste aus dem Büro.

*

Am Freitag vor dem Dreifaltigkeitstag versammelten sich die Wallfahrer noch vor Tau und Tag auf dem Kirchhof. Es waren diesmal mehr Leute als sonst dabei. Die Jüngeren wollten den neuen Kaplan besser kennenlernen, und viele Ältere waren darauf gespannt, wie sich Heidi als Organisatorin der Wallfahrt machen würde.

Schon eine Stunde vor dem Abmarsch ging Heidi herum, hakte die Namen auf ihrer Liste ab und stellte die Gruppe zusammen. Diejenigen, die vorne oder hinten gingen, erhielten Laternen, welche die Autofahrer auf der Marschstrecke vor den Wallfahrern warnen sollte. Heidi hatte auch mehrere Jacken mit reflektierenden Streifen von der freiwilligen Feuerwehr ausgeliehen, um die Sicherheit der ihr Anvertrauten zu erhöhen.

Sigi wich zunächst nicht von ihrer Seite und hoffte, die drei Tage neben ihr gehen zu können. Anna Meindl hatte ihrer Tochter auch entsprechend in den Ohren gelegen, aber nicht mehr als »ja ja, mal schauen« zur Antwort erhalten. Ebenso wie ihre Cousine Kathrin Wenz schloss sie daraus, dass Heidi ihren Worten gehorchen würde.

Umso größer war Sigis Überraschung, als Heidi ihn und Ludwig Thalhammer zu sich rief und in die Sakristei führte. Der alte Dorfpfarrer Ignaz Steinlein begrüßte sie freundlich und reichte ihnen die Hand.

»Ich tät gern mit euch kommen. Aber in meinem Alter ist mir der Weg nach Altötting zu Fuß zu anstrengend. Ich komm aber am Sonntag mit dem Auto nach, um euren Einzug zu segnen. Wie ihr wisst, ist es die Sache von meinem Kopratter, die Wallfahrt durchzuführen. Er muss auch die Posten vergeben und dabei schauen, dass niemand benachteiligt wird. Ich war zwar ein bisserl überrascht, als er mir seinen Vorschlag für den Kreuz- und den Fahnenträger genannt hat. Aber als ich darüber nachdachte, hab ich gemerkt, dass er recht hat. Nimm also du, Ludwig das Kreuz und du, Sigi unsere Kirchenfahne. Geht mit Gott, auch du, Dirndl. Du hast deine Sache wirklich gut gemacht!«

Während Ludwig Thalhammer eifrig den Tragegurt ergriff, den ihm der Mesner reichte und auf das schwere Kreuz zuging, um es an sich zu nehmen, stand Sigi mit offenem Mund in der Sakristei und wusste nicht, was er sagen sollte.

»Was ist jetzt, Sigi, nimm die Fahne. Es geht gleich los«, forderte ihn der Mesner auf.

»Ja, ich wollt eigentlich neben der Heidi gehen«, stotterte Sigi.

»Neben der tät ich auch gern hergehen«, meinte der Mesner lachend. »Aber tröst dich. Ihr zwei habt eins gemeinsam. Ihr tragt nämlich beide was, du die Fahne und sie die Verantwortung!«

Heidi musste die Sakristei verlassen, sonst wäre sie noch in ein lautes Gelächter ausgebrochen. Draußen rief sie die Leute zusammen und ging noch einmal die Reihe ab. Ludwig Thalhammer zwinkerte seiner Braut Julia zu und nahm mit dem Kreuz den Platz an der Spitze ein. Sigi folgte ihm, mehr vom Mesner getrieben als aus eigenem Willen. Heidi stellte zwei Leute, die sich noch kurzfristig zur Teilnahme an der Wallfahrt entschlossen hatten, als vorletztes Paar in die lange Doppelreihe, ergriff jetzt ebenfalls eine Laterne und schwenkte sie über den Kopf. Der Kaplan stimmte das »Gegrüßet seist du, Maria an« und marschierte los. Die Wallfahrer fielen in das Gebet ein und folgten ihm auf dem Fuß.

*

Heidi erkannte rasch, dass es leichter gewesen wäre, eine Herde Kühe nach Altötting zu treiben als die zu dieser frühen Stunde noch müden Wallfahrer. Sie musste zweimal von hinten nach vorne und wieder zurück, um die Leute auf der rechten Fahrbahnseite zu halten. Danach stauchte sie den jungen Hoferer zusammen, der die ihm übergebene Lampe an einem Band hängend auf der Brust trug, anstatt die Gruppe damit nach hinten abzusichern. Zum anderen waren die Autofahrer anscheinend dem Wahn verfallen, dass die Straße ihnen allein gehören würde, und fuhren so eng an den Wallfahrern vorbei, dass Heidi jedes Mal das Schlimmste befürchtete, wenn sich Scheinwerfer näherten.

Das Mädchen schwitzte Blut und Wasser, bis endlich die Morgendämmerung hereinbrach und die Helligkeit des Tages mehr Sicherheit versprach. Als Heidi zur Spitze des Zuges vorlief und einen kurzen Blick mit dem Kaplan wechselte, erkannte sie, dass er von denselben Sorgen und Ängsten wie sie geplagt wurde.

»Ich frag mich, warum die Wallfahrer immer so früh aufbrechen müssen«, meinte er schließlich seufzend.

»Herr Kaplan. Wir haben heut gut fünfzig Kilometer vor uns. Da müssen wir uns schon ranhalten«, erwiderte Heidi betont munter und schrie dann zur Kleissner Leni nach hinten, dass sie gefälligst in der Reihe bleiben sollte."

»Es hilft nix, Heidi. Ich muss einmal auf die Seiten«, rief die rundliche Bäuerin zurück und verschwand in einem Gebüsch.

»Die ganze Gruppe langsamer gehen«, befahl Heidi und gab von der Spitze aus das Tempo vor. Einige andere nützten jetzt ebenfalls die Gelegenheit, sich zu erleichtern und so dauerte es einige Zeit, bis die Marschkolonne wieder ihr normales Tempo erreichte. Heidi kehrte wieder zu ihrem Platz am Ende des Zuges zurück und zog ihre Landkarte hervor, um nachzuschauen, wie weit sie schon gekommen waren. Noch waren es erst wenige Kilometer. Doch in gut zwei Stunden würden sie den ersten Rastplatz erreichen, an dem sie sich auch mit den Wallfahrern aus Hochbruck vereinigen wollten. Heidi war gespannt auf die anderen. Sie kannte Hochbruck eigentlich nur vom Durchfahren und hatte keine Bekannten dort.

Da sie noch einen Zahn zulegten, kamen sie als Erste bei der Wirtschaft an. Die Bedienungen hatten sie schon von Weitem gesehen und schleppten bereits Weißwürste und Brezn in den Garten, in dem die Tische für die Wallfahrer aufgestellt waren.

»Was wollt ihr trinken?«, fragte die Wirtin und machte ihre Striche auf der Liste. Die meisten Männer, ja selbst der Kaplan verlangten Bier. Nur Sigi machte eine Ausnahme und bestellte ein Tafelwasser. Er zog dabei ein so unglückliches Gesicht, dass er Heidi beinahe leidtat.

»Was ist, Sigi, bist du schon müd?«, fragte sie spöttisch, um diesem Gefühl nicht nachzugeben.

»Also, ich hab mir das ganze fei anders vorgestellt. Ich seh dich fast überhaupt ned, und dann ist die Fahne so schwer, dass es mir die Schulter schief zieht!«, antwortete er kläglich.

»Und so was will ein Mannsbild sein! Was soll da der Luggi sagen. Dem sein Kreuz ist fast doppelt so schwer wie die Fahne!«

»Aber leichter zu tragen. Und er ist auch größer und stärker als ich.«

»Und ich hab gedacht, deine Stärke liegt im Glauben«, erwiderte Heidi bissig und ließ Sigi an seinem Platz sitzen, während sie sich selbst zu Ludwig Thalhammer und dessen Braut gesellte. Julias Schwangerschaft war nicht mehr zu übersehen. Obwohl sie wegen der Anstrengung kräftig schwitzte, wirkte sie so glücklich und selbstzufrieden, dass Heidi unwillkürlich Neid empfand.

Sie bestellte sich ein großes Glas Apfelschorle und ging dann ihren Weißwürsten zu Leibe. Essen und Trinken gaben ihr rasch die gute Laune zurück, und sie stand auf, um nach den Wallfahrern aus Hochbruck zu schauen, deren Gebete bereits aus der Ferne zu hören waren.

»Da hätten wir uns gar ned so schicken brauchen«, meinte die Kleissner Leni am Nebentisch.

»Aber mir ist's so schon lieber«, antwortete die Wirtin lachend. So einen großen Topf, dass wir für euch und die Hochbrucker auf einmal die Weißwürst warm machen könnten, haben wir nämlich ned."

»Dann war's gut, dass die Heidi so ein scharfes Tempo angeschlagen hat. Wir können wenigstens unsere Weißwürst in aller Ruh essen und brauchen uns ned zu hetzen. Außerdem sind wir dann beim Wallfahren vor den Hochbruckern, und das ist gewiss kein Fehler, wenn's ans Mittagessen geht!«, gab Ludwig Thalhammer lachend zurück.

»Aber bis es ans Mittagessen geht, darfst du noch einmal zwanzig Kilometer laufen«, meinte Heidi und ging zusammen mit Kaplan Rautinger den Hochbruckern entgegen. Deren Wallfahrergruppe war etwas kleiner als die Sollnberger, dafür aber durchgehend in die Tracht ihrer Heimat gekleidet. Nur der Pfarrer trug einen schwarzen Anzug und hatte als einziger Mann keinen Hut auf. Er war ein schon älterer, freundlich wirkender Mann, der erfreut auf den Kaplan zukam und ihm die Hand reichte.

»Grüß Gott, Rautinger! Ihr müsst ja heut noch vor den Hühnern aufgestanden sein, weil ihr vor uns da seid. Immerhin habt ihr ja zwei Kilometer weiter zu laufen gehabt wie wir. Wie geht's meinem Amtsbruder Steinlein? Ich hoff, er kommt nach Altötting. Ich tät mich nämlich gern wieder einmal mit ihm unterhalten!«

»Unser Hochwürden hat fest versprochen, dass er kommt«, antwortete der Kaplan und bat den Pfarrer an seinen Tisch. Die Wirtin stand schon mit einer Terrine Weißwürste bereit und legte dem geistlichen Herrn gleich vor.

Auch die übrigen Hochbrucker suchten sich jetzt einen Platz. Ihr Fahnenträger, ein baumlanger Kerl, sah sich zuerst suchend um und kam dann zu Ludwig Thalhammer an den Tisch.

»Ja Servus, Luggi«, grüßte er. »Sag bloß, die haben dir die Fahne anvertraut«, meinte er lachend und wies mit dem Kinn auf die an einer Kastanie lehnende Kirchenfahne der Sollnberger. Ohne eine Antwort abzuwarten, stellte er seine Fahne daneben und winkte der Bedienung zu.

»Grüß dich, Kathl. Heut bringst du mir ein Radler. Wenn ich zu bierig werd, fall ich vielleicht noch samt der Fahne hin, und das gäb ein schlechtes Bild ab!« Danach setzte er sich neben Ludwig Thalhammer und musterte die anderen am Tisch mit interessierten Blicken.

»Das ist meine Braut, die Hampl Julia. Unseren Kaplan kennst du ja schon. Ja, und das hübsche Dirndl, das eben eure Kreuzträgerin begrüßt, ist unsere Organisatorin, die Meindl Heidi.«

»Das ist also die Heidi. Saxndi, die schaut aber wirklich sauber aus. Ist sie noch frei?«, fragte er interessiert.

»Bis jetzt schon, wenn sich auch der Wenz Sigi große Hoffnungen zu machen scheint«, antwortete Ludwig lachend.

»Ich glaub, ich muss doch einmal öfters zu euch nach Sollnberg umischaun«, meinte der Hochbrucker lachend und nahm der Kellnerin das Glas mit dem Radler ab.

Heidi hatte das kleine Zwischenspiel nicht mitbekommen, da sie ihre Schäflein bat, ein wenig zusammenzurücken, damit die Neuangekommenen alle Platz fanden. Die Kreuzträgerin der Hochbrucker begleitete sie dabei wie ein Schatten. Es war eine große, etwas hager wirkende junge Frau mit schmalem, nicht unhübschem Gesicht und schwarzem, zu einem strengen Knoten frisiertem Haar.

»Dir liegt das Befehlen anscheinend im Blut, denn deine Leut gehorchen dir aufs Wort«, lobte sie Heidi mit einem gewissen Neid in der Stimme.

»Aber geh, wir sind doch ned beim Militär, sondern auf einer Wallfahrt. Da muss man den Leuten nix befehlen. Die wissen schon selbst, was sie tun müssen«, wehrte Heidi ab.

»Als Wallfahrer sind wir Soldaten Christi«, antwortete die andere zu ernst, als dass es Heidi für einen Scherz halten konnte.

»So kann man's natürlich auch sehen. Aber ich bin mehr fürs Zivile. Heh, Salli, rück noch ein bisserl. Du fällst schon ned runter von der Bank!« Heidi winkte eine der Hochbrucker Wallfahrerinnen, die bis jetzt noch keinen Platz gefunden hatte, mit ihr zu kommen und brachte sie an einen Tisch unter. Als sie sich darauf umschaute, sah sie, dass nur noch die Kreuzträgerin der Hochbrucker ohne Sitzplatz war. Heidi warf rasch einen Blick in die Runde. Die Leute saßen mittlerweile jedoch so dicht gedrängt, dass kein Mäuschen mehr dazwischen gepasst hätte. Nur an ihrem eigenen Tisch war mit einiger Mühe noch eine zusätzliche Person unterzubringen.

Heidi war nicht grade erfreut, denn die andere war ihr doch etwas unsympathisch, und sie hätte sie am liebsten zu Sigi gesetzt. Da sich dieser auch mehr als Soldat Jesu fühlte, gab es schließlich eine Gemeinsamkeit zwischen den beiden. So aber winkte sie der andern zu und deutete auf ihren Tisch.

»Komm, setz dich zu uns«, lud sie sie ein. Die junge Frau kam zwar mit ihr, bog aber dann zu einem anderen Tisch ab und blieb hinter einem jungen Mann stehen. Er fiel Heidi erst jetzt auf. Doch als sie ihn sah, spürte sie ihr Herz einen Tick schneller schlagen. Der Bursche war schlank, gut gebaut und für einen Mann recht hübsch, ohne jedoch weichlich zu wirken. Er besaß ein fröhliches Gesicht mit sanften dunklen Augen, die im ziemlichen Gegensatz zu seinem von Wind und Sonne zerzausten hellblonden Haar standen, aber irgendwie zu ihm passten. Neben dem Burschen saß ein junges Mädchen, das ihm so ähnlich war, wie es nur Geschwister sein konnten.

Die Kreuzträgerin aus Hochbruck, die es bis jetzt noch nicht für nötig befunden hatte, Heidi ihren Namen zu nennen, legte dem blonden Mädchen ihre Rechte auf die Schulter. »Meinst du ned, dass du aufstehen könntest, Resi«, sagte sie ziemlich laut und hochfahrend zu der anderen.

Das blonde Mädchen schaute auf und verzog ihr Gesicht zu einer spöttischen Grimasse.

»Von Höflichkeit hast du wohl noch nie etwas gehalten, Susi. Aber ich will ja ned so sein. Noch viel Vergnügen miteinander!« Mit diesen Worten stand sie auf und räumte den Platz. Ihr Bruder sah ihr halb verzweifelt, halb lachend nach und rückte noch etwas zur Seite, damit die Kreuzträgerin Platz fand, ohne ihn berühren zu müssen. Das andere Mädchen schaute sich indessen nach einem freien Platz um, ohne auf die Schnelle etwas zu finden.

»Komm mit mir«, rief ihr Heidi zu und führte sie an ihren eigenen Tisch. »Könnten Sie noch ein bisserl zusammenrücken, damit das Madl da noch herpasst?«, fragte sie die beiden geistlichen Herren. Diese taten ihr den Gefallen, und die beiden Mädchen setzten sich hin.

»Übrigens, ich bin die Meindl Heidi aus Sollnberg«, stellte Heidi sich vor.

»Und ich wär die Bruckner Resi aus Hochbruck. Was ich dich fragen wollt: Hat deine Mutter mit Mädchennamen ned Stranninger geheißen?«

»Ja, das stimmt«, erwiderte Heidi verwundert.

»Da siehst du, wie klein die Welt ist. Wir sind nämlich miteinander verwandt. Dein Urgroßvater und der meine waren nämlich Brüder.«

»Das ist aber schon eine gewisse Zeit her«, kommentierte Heidi lachend den Grad der Verwandtschaft.

»Darum sind wir ja bis jetzt auch ned zusammengekommen. Aber mich freut's trotzdem. Wenn wir zwei nämlich ein bisserl ratschen, erfahr ich vielleicht doch etwas über gemeinsame Bekannte!«

»Aber, Resi, eine Wallfahrt ist doch zum Beten da und ned zum Ratschen«, tadelte sie der Hochbrucker Pfarrer mild.

»Aber, Herr Pfarrer. Eine Wallfahrt, auf der ned auch geratscht wird, das hat's noch nie gegeben«, gab Resi lachend zurück.

»Wir versprechen Ihnen hoch und heilig, dass wir unter dem Ratschen auch das Beten ned vergessen, Hochwürden«, stimmte ihr Heidi zu. Sie hatte eine spontane Sympathie zu dem nur wenig älteren Mädchen gefasst und freute sich auf die Gespräche mit ihr. Vielleicht konnte sie sogar mit ihr das Quartier teilen. Dann würden die Tage der Wallfahrt gewiss nicht langweilig werden.

»Du, Resi, wer ist denn eigentlich eure Kreuzträgerin? Die führt ja ein Regiment, als wenn ihr alle ihre Untertanen wärt.«

»Die Höllberger Susi gilt schon was in Hochbruck. Sie ist nämlich die reichste Erbin im weiten Umkreis und bringt das auch deutlich zum Ausdruck. Natürlich nur auf christliche Weis«, setzte sie mit einem schelmischen Seitenblick auf ihren Dorfpfarrer hinzu. Dieser hatte inzwischen jedoch ein angeregtes Gespräch mit Kaplan Rautinger begonnen und achtete nicht mehr auf sie.

»Und wer ist der blonde Bursch, der neben ihr sitzt?«, fragte Heidi gespannt.

»Das ist bloß mein Bruder Stefan. Ich weiß ned, wieso die Susi derzeit auf ihn steht. Für mein Gefühl passen die zwei zusammen wie ein sonniger Maitag und ein Herbstgewitter. Der Stefan ist nämlich ein lustiger Kerl, der sich gewiss von keiner Betschwester als Ehemann ins Haus holen lässt.«

»Da wär ich mir an deiner Stell ned so sicher. Wenn ein Madl reich ist, wird ein Männerherz leicht weit«, witzelte Heidi.

»Na ja, sie ist wirklich reich. Und du weißt ja, wer nix erheiratet und nix erbt, bleibt ein armer Teufel, bis er sterbt!«, erwiderte Resi mit besorgter Stimme.

»Was ist mit dem Teufel, Resi?«, fragte in dem Moment der Hochbrucker Pfarrer und beendete dadurch die kleine Unterhaltung.

»Nix, Herr Pfarrer, ich hab bloß ein Sprichwort losgelassen«, antwortete Resi und wurde dabei puterrot. Heidi zwang sich, weniger an blonde, gut aussehende Burschen und schwarzhaarige Kreuzträgerinnen zu denken und stand auf, um nachzusehen, ob ihre Wallfahrergruppe zum Weitermarsch bereit war.

*

Als es dann weiterging, dachte Heidi doch mehr an Stefan Bruckner, als es für ihren Seelenfrieden gut war. Immer wieder schaute sie sich nach ihm um. Er ging mit seiner Schwester gleich hinter dem baumlangen Fahnenträger und Susi Höllberger, die das Kreuz mit der entrückten Miene einer Märtyrerin trug. Wahrscheinlich war es sogar ein Martyrium für sie, das schwere Ding zu tragen, dachte sich Heidi. Selbst der Traggurt half da nicht viel. Sie wunderte sich, warum Susi das Kreuz nicht von jemand anderes tragen ließ. Kräftige Männer gab es genug bei den Hochbruckern. Susis Ehrgeiz schien jedoch auf eine bedeutende Rolle in der Kirchengemeinde hinzuzielen. Und auf den schmucksten Burschen, den Heidi bisher gesehen hatte.