Es wird alles gut - Anni Lechner - E-Book

Es wird alles gut E-Book

Anni Lechner

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Beschreibung

Der Ausflug zum Oktoberfest verändert das Leben der jungen Andrea. Gleich zwei Männer können den Blick nicht mehr von ihr wenden, wenn auch aus Gründen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Der junge Michael Kreuzer verliebt sich auf den ersten Blick in die junge Frau im rosa Dirndl. Doch umgeben von ihren Freunden bemerkt Andrea den jungen Mann nicht, der seinerseits nur aufschnappt, aus welchem Dorf sie stammt. Der reiche Unternehmer Hohwald hingegen glaubt, in Andrea seine Tochter zu erkennen, die er vor vielen Jahren verloren zu haben glaubt. Beide Männer machen sich auf die Suche nach der jungen Frau und das Schicksal nimmt seinen Lauf… Dieser und die beiden spannenden Romane „Du kommst mit mir“ und „Das werd‘ ich dir nie vergessen“ sind in diesem Buch enthalten.

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Seitenzahl: 334

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Anni Lechner

Es wird alles gut

Du kommst mit mir

Das werd‘ ich dir nie vergessen

Anni Lechner: Band 27, Es wird alles gut ... und zwei weitere spannende Romane

Copyright © by Anni Lechner

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Verlagsagentur Lianne Kolf.

Überarbeitete Neuausgabe © 2017 by Open Publishing Verlag

Covergestaltung: Open Publishing GmbH – Mathias Beeh

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Erlaubnis des Verlags wiedergegeben werden.

eBook-Produktion: Datagroup int. SRL, Timisoara

ISBN 978-3-95912-241-2

Es wird alles gut

Obwohl das Bierzelt brechend voll war, strömten noch immer Leute hinein. Als Fredi sich der Masse anschließen wollte, hielt Michael Kreuzer es für vergeudete Zeit, auf gut Glück drei freie Plätze in der »Bräurosl« zu suchen. Fredi lachte ihn jedoch nur aus.

»Verlasst euch auf mich. Wir kriegen einen Platz.«

»Dafür wirst du aber ein paar Leute umbringen müssen«, spottete Armin, der am liebsten auch wieder gegangen wäre.

Fredi steuerte zielstrebig auf die nächste Bedienung zu, die sich mit ihren Bierkrügen durch die Menschen zwängte, und zupfte sie am Arm. »Du, Zenzi, du hast doch gewiss noch einen Platz für uns drei.«

»Ich heiß Rita, und dass kein Platz frei ist, sieht ein Blinder mit dem Krückstock«, antwortete die Frau.

Im selben Moment erschien ein Zwanzigeuroschein wie durch Zauberhand in Fredis Fingern. »Es muss ja ned umsonst sein, Rita.«

Die Frau ließ den Geldschein blitzschnell verschwinden. »Kommt’s mit! Ich werde schauen, ob ich was für euch finde. Und ihr macht endlich Platz, damit ich durchkomme!«, herrschte sie einige Leute an, die ihr im Weg standen.

Fredi zwinkerte seinen Freunden zu. »Na, was hab ich euch gesagt?« Kurz darauf blieb die Bedienung an einem Tisch stehen, an dem eine ländlich gekleidete Gruppe von Burschen und Mädchen saß.

»Da ist euer Bier.« Dabei zählte sie mit sicherem Auge die Zentimeter, welche die Leute noch zusammenrücken konnten. »Habt ihr was dagegen, wenn sich die drei Herren zu euch setzen? Es hat Schwierigkeiten mit ihrer Reservierung gegeben.«

Fredi gab sich großzügig. »Auf eine Maß oder zwei kommt’s uns fei ned an.«

Der Sprecher der Gruppe, ein schneidig aussehender Bursche mit einem Oberlippenbärtchen und dunklen Haaren sah sich kurz zu seinen Gefährten um. »Gegen eine oder zwei Freimaßen haben wir gar nie nix, ned wahr, Männer?«

Fredi wandte sich der Bedienung zu. »Bringen Sie uns dreien jedem eine Maß und dazu drei Maß für den Tisch.« Danach warf er einen prüfenden Blick auf die Mädchen der Gruppe und fand, dass sie bis auf einen Blondschopf im rosa Dirndlkleid eher durchschnittlich aussahen. Die Blonde schien ihm jedoch eine Sünde wert. Das Gesicht des neben ihr sitzenden Burschen zeigte Fredi jedoch, dass sie für ihn und seine Freunde tabu war. Auch die anderen Dörfler sahen nicht so aus, als wenn er unbesorgt mit ihren Freundinnen flirten könnte.

Fredi zupfte seine beiden Begleiter bedauernd am Ärmel. »Also, Freund, lasst die Madln in Ruhe! Die Bauern schauen ned so aus, als ob sie sich was gefallen lassen würden.« Michael und Armin nickten und setzten sich auf die Plätze, die durch das Zusammenrücken der Gruppe frei wurden. Kurz darauf tauchte die Bedienung wieder auf und brachte das bestellte Bier. Fredi nahm seinen Krug und prostete den anderen Burschen zu.

»Wo kommt ihr denn eigentlich her?«

»Aus St. Bernhard am Raukogl«, antwortete deren Wortführer. »Und was seid’s denn ihr nachher für welche?«

Fredi erzählte ihm, dass er und seine Freunde vor Kurzem ihr Studium beendet hätten und heute Abschied feiern würden, weil er morgen nach Amerika flog.

Michael Kreuzer folgte dem Gespräch eine Weile, verlor aber schließlich das Interesse daran. Fredis Sprüche kannte er bereits alle, und sie wurden durch die Wiederholung nicht besser. Er ärgerte sich auch über Fredis Idee, ihren letzten gemeinsamen Abend auf dem Oktoberfest im Bräuroslzelt zu verbringen. Viel lieber wäre er in einer Innenstadtkneipe gesessen, wo man sich wenigstens noch unterhalten konnte. Hier war es einfach zu laut dazu. Außerdem störten ihn die fremden Leute am Tisch.

Während Fredi die Dörfler mit seinen Sprüchen unterhielt, schweifte Michaels Blick gelangweilt über die Gruppe. Als er zu dem hübschen, blonden Mädchen kam, zuckte er wie unter einem elektrischen Schlag zusammen. Etwas Lieblicheres hatte er noch nie gesehen. Sein Unmut war mit einem Schlag vergessen. Michael lächelte das Mädchen an und versuchte zu erkennen, ob seine Augen das Azurblau des Sommerhimmels oder das dunklere Blau eines tiefen Bergsees ausstrahlten. Er bewunderte ihr zierliches Näschen mit den drei vorwitzigen Sommersprossen und ihre sanft geschwungenen Lippen. Noch während er überlegte, wie er das Mädchen am besten ansprach, klang Fredis Stimme auf.

»Wollen wir noch ein paar Maß bestellen?«

»Wenn du zahlst.« Lukas Drexler, der neben der bildschönen Andrea saß, lachte erfreut, als Fredi nach der Bedienung rief. Eine Freimaß war genau das, was sein arg dünn gewordener Geldbeutel jetzt brauchen konnte. Er zog Andrea enger an sich und versuchte sie zu küssen. Sie drehte jedoch rasch genug das Gesicht beiseite, so dass sein knallender Schmatz nur ihre Wange traf.

Lukas verzog enttäuscht sein Gesicht. Er hatte so gehofft, dass der heutige Tag ihn bei Andrea ein gutes Stück weiter bringen würde. Schließlich sah man sie daheim in St. Bernhard bereits als Paar an. Andererseits konnte er froh sein, weil sie so vernünftig war. Die Kriegler Rosi ließ sich von ihrem Berni abbusseln, schleppte ihn dafür aber immer wieder gnadenlos ins Freie. Eben kamen die beiden von einer wilden Fahrt auf dem Olympia-Looping zurück. Während Rosis Augen nur so strahlten, wechselte Bernis Gesichtsfarbe bereits ins Grünliche.

Nach einer weiteren Maß Bier fand Lukas es an der Zeit, sich ebenfalls als Kavalier zu erweisen und zupfte Andrea am Ärmel. »Was ist, Schatzerl, wollen wir auch auf den Olympia-Looping oder willst du lieber auf dem Euro-Star fahren?«

Andrea schüttelte den Kopf. »Ich bin am Nachmittag schon zweimal gefahren. Das reicht mir.«

»Aber ich tät gern noch einmal fahren.« Andreas Cousine Irmi sah Lukas mit bettelnden Augen an. Irmi war ein etwas molliges Geschöpf mit rundlichem Gesicht und dunklen Haaren, aber durchaus ansehnlich. Als einziges Mädchen der Gruppe hatte sie noch keinen festen Freund, obwohl ihr einige Burschen den Hof machten. Sie war jedoch heimlich in Lukas verliebt und beneidete Andrea glühend, weil sie als sein Mädchen galt.

»Allein trau ich mich ned. Da find ich gewiss nimmer zu euch her«, setzte Irmi etwas kläglich hinzu, als Lukas nicht gleich reagierte.

Andrea gab ihrem Begleiter einen Stoß. »Komm, Lukas, den Gefallen kannst du der Irmi wohl tun.«

Lukas nahm zur Kräftigung einen großen Schluck aus seinem Maßkrug. »Also packen wir’s, Irmi. Aber glaub ned, dass du mich auf so ein Teufelsding hinaufbringst, bei dem einem der Magen durch die Gurgel heraushüpft.«

»Gewiss ned. Ich mag solche Fahrgeschäfte auch ned«, versicherte Irmi ihm eifrig.

Andrea sah die beiden in der Menschenmasse verschwinden und fragte sich, weshalb sie nicht ihre kindliche Freude teilen konnte. Sie hatte jedoch nicht die Zeit, ihren Gedanken lange nachzuhängen, denn Franz Resch, der inoffizielle Anführer ihrer Gruppe wandte sich ihr zu. Franz war der Sohn des Besitzers des neuen Berghotels in St. Bernhard und gehörte dadurch automatisch zu denen, die ihm Ort etwas galten. Er war schon ein paar Mal bei Andrea abgeblitzt, versuchte jetzt aber erneut sein Glück.

*

»Sie wollen also unbedingt auf das Oktoberfest?« Paul Hohwald bemühte sich, ruhig zu bleiben. Schließlich war Peer Arvidson ein zu wertvoller Kunde, um ihn wegen seiner persönlichen Abneigung gegen die Münchner Abzock- und Krawallfete, wie er das Oktoberfest für sich nannte, zu verprellen.

Sein dänischer Gast verzog das Gesicht zu einem breiten Grinsen. »Ich wollte schon immer einmal das Oktoberfest erleben, doch ließ es sich noch nie mit meinem Terminkalender vereinbaren. Darum bin ich ja so froh, dass es diesmal klappt.«

»Wenn es Ihr Wunsch ist, fahren wir eben hin.« Hohwald drückte die Ruftaste zu seiner Sekretärin. »Frau Meindl, glauben Sie, dass Sie uns noch zwei oder besser gleich drei Plätze in einem der Oktoberfestzelte besorgen können?«

»Für heute noch?« Frau Meindl klang entsetzt. Da Arvidson am nächsten Nachmittag nach Kopenhagen zurückflog, würde sie ein Wunder vollbringen müssen. Es dauerte auch eine gewisse Zeit, bis sie im vierten Wiesnzelt, in dem sie anfragte, die drei benötigten Plätze in einer Box erhielt. Sie stand erleichtert auf und klopfte an Hohwalds Tür.

»Es hat geklappt. Sie können sich gleich auf den Weg machen.«

»Ich hoffe, Sie kommen mit«, antwortete Hohwald mit einem gequälten Lächeln. »An einem Tag wie heute dürfen Sie mich nicht im Stich lassen.«

»Ich komme gern mit.« Frau Meindl freute sich darauf, denn seit sie bei Hohwald arbeitete, hatte ihr Chef nie mit ihr das Oktoberfest besucht.

Hohwald musterte seine Sekretärin anerkennend. »Welches Zelt haben Sie denn so verzaubert, dass es um drei Plätze größer geworden ist?«

»Wir gehen in die »Bräurosl«.« Frau Meindl wunderte sich über die jähe Veränderung in Hohwalds Gesicht. Für einen Augenblick sah er wirklich so aus, als wolle er ihr an die Kehle gehen. Er hatte sich jedoch rasch wieder in der Gewalt. In seinem Innern brodelte es jedoch heftig. Warum musste seine Sekretärin ausgerechnet in der »Bräurosl« freie Plätze finden?, dachte er erbittert. Dort hatte schließlich vor zwanzig Jahren sein Unglück begonnen. Hohwald erwog für einen Moment, Frau Meindl und Arvidson allein zum Oktoberfest zu schicken. Doch dies hätte so ausgesehen, als wolle er die zwei für diesen Abend verkuppeln, und außerdem war er niemand, der sich drückte.

Obwohl die Rushhour längst vorüber war, brauchten sie eine Dreiviertelstunde bis zur Theresienwiese. Kurz darauf tauchten sie in das Menschenmeer ein, das sich zwischen den Bierzelten, Fahrgeschäften und Ständen hindurchwälzte. Arvidson war von dem, was er sah, fast außer sich vor Entzücken. Frau Meindl musste ihn schließlich sanft daran erinnern, dass die mühsam ergatterten Plätze in Gefahr waren, wenn sie nicht bald in der »Bräurosl« erschienen.

Wenig später saßen sie im Hubertusstüberl des großen Wiesnzeltes mit einem herrlichen Ausblick über das brechend volle Zelt. Während Hohwald sich am liebsten die Ohren verstopft hätte, genoss sein dänischer Gast die laute Musik, den Bierdunst und den Geruch der Brathendl mit vollen Zügen. Er sprach dem Wiesnbier auch in einer Weise zu, wie es nur ein Skandinavier konnte. Als schließlich auch noch die Sängerin Karolin Weidner auf der Bühne erschien und jodelte, war Arvidson schier aus dem Häuschen.

Hohwald überließ es Frau Meindl, sich um seinen Gast zu kümmern und kämpfte gegen die Geister aus der Vergangenheit an, die ihn mit aller Macht packten. Vor zwanzig Jahren war er mit seiner Tochter Susanne in die »Bräurosl« gekommen. Als sie schon glaubten, keinen Platz mehr zu finden, hatte eine Gruppe Bergler sich ihrer erbarmt und war enger zusammengerückt. Heute wünschte er, es wäre nicht geschehen. Zu der Gruppe hatte ein junger, gut aussehender Bursche gehört, ein Kleinbauernsohn, wenn er sich noch richtig erinnerte. Susanne war von ihm wie verzaubert gewesen. Ohne dass Hohwald es wusste, hatte sie mit dem Burschen die Adressen getauscht und sich mit ihm verabredet. Zwei Wochen später hatte sie ihren Vater mit der Nachricht überrascht, ihren Bergbauern heiraten zu wollen.

Hohwald hatte es nicht glauben können. Seine Tochter, an der er nach dem Tod seiner Frau mehr als alles hing, wollte ihr Studium, ja ihr ganzes gewohntes Leben aufgeben, um Kuhställe auszumisten und Hühner zu füttern. Dabei hatte er schon einen passenden jungen Mann für sie ins Auge gefasst gehabt, den Sohn eines Geschäftsfreundes. Dieser wäre auch ein guter Nachfolger für seine Firma gewesen. Doch Susanne hatte seine Einwände lächelnd beiseitegeschoben und erklärt, dass sie ihren Martin lieben würde.

Hohwald hatte ihr den Umgang mit dem jungen Bergbauern schlichtweg verboten. Susannes Kopf war jedoch nicht weniger hart gewesen wie sein eigener. Vor die Wahl gestellt, sich zwischen ihm und ihrem Bauern zu entscheiden, hatte sie sich für ihren Martin entschieden. Später hatte sie versucht, wieder mit ihrem Vater Kontakt aufzunehmen. Doch Hohwald hatte ihre Briefe ungeöffnet zurückgeschickt. Nach einem knappen Jahr war ein letzter Brief gekommen und danach keiner mehr. Seitdem hatte Hohwald nichts mehr von seiner Tochter gehört. Hier an dieser Stelle, an der er Susanne verloren hatte, spürte er, wie sehr er sie noch immer vermisste.

Dieser Gedanke trieb ihm die Tränen in die Augen. Weil Frau Meindl und Arvidson es nicht sehen sollten, starrte er in das Zelt hinein. Nicht weit von ihm entfernt ging es an einem Tisch recht lustig zu. Hohwald blickte hin und verzog das Gesicht, als er die Gebirgstrachten der jungen Leute sah. Genauso wie diese Burschen dort hatte auch der Mann ausgesehen, mit dem Susanne gegangen war.

Plötzlich traf es ihn wie ein Schlag. Bei dieser Gruppe saß seine Tochter. Sie trug zwar nicht wie damals Jeans und Bluse, sondern ein rosafarbenes Dirndlkleid. Hohwald hätte sie jedoch in jeder Kleidung erkannt. Er wollte schon aufspringen und zu ihr hineilen, als ihm sein Verstand sagte, dass es nicht sein konnte. Schließlich war die Zeit nicht stehen geblieben. Susanne musste jetzt knapp über vierzig Jahre alt sein. Doch was er vor sich sah, war ein Mädchen in der ersten Blüte ihrer Jugend.

Es muss sich also doch um eine zufällige Ähnlichkeit handeln, dachte Hohwald enttäuscht, als ihm plötzlich ein anderer Gedanke durch den Kopf schoss. Hatte Susanne vielleicht eine Tochter, die genauso aussah wie sie im gleichen Alter? Am liebsten hätte er das blonde Mädchen gefragt, ob sie seine Enkelin sei. Er erinnerte sich jedoch früh genug daran, dass er es gewesen war, der alle Brücken zu Susanne und ihrem Mann abgebrochen hatte. Das Mädchen würde ihn wohl kaum mit offenen Armen empfangen und ihn vielleicht sogar über ihre Herkunft belügen. Ich muss zuerst mit Susanne ins Reine kommen, dachte er bedrückt. Doch dazu musste er erst wissen, wohin sie damals gezogen war.

Da die Musik im Moment schwieg, konnte er die laut geführte Unterhaltung am anderen Tisch mithören. Der Ortsname St. Bernhard, der genannt wurde, rief eine ferne Erinnerung in ihm wach. So konnte der Ort, aus dem Susannes Ehemann stammte, durchaus geheißen haben. In diesem Augenblick wusste Hohwald, was er zu tun hatte.

*

Michael Kreuzer überlegte verzweifelt, wie er mit Andrea ins Gespräch kommen sollte. Zu seinem Leidwesen saß sie ein ganzes Stück von ihm entfernt. Obwohl immer wieder ein paar Dörfler aufstanden, um nach draußen zu gehen, blieben die Burschen und Mädchen, die zwischen ihnen saßen, eisern auf ihrem Platz. Dafür versuchte jetzt einer ihrer Begleiter sein Glück bei ihr. Obwohl sie seinen plumpen Annäherungsversuchen geschickt auswich, gab der Bursche nicht auf.

»Also, Andrea, wenn du mich erhörst, gehe ich heute noch zu meinen Eltern und sage ihnen, dass du ihre Schwiegertochter wirst«, erklärte er theatralisch.

Andrea lachte hell auf. »Aber, Franz, die sperren dich doch für die nächsten Tage bei Wasser und Brot in den Keller, wenn du ihnen damit kommst.«

»Außerdem vererbt dir der Lukas einen Binkel, dass dir kein Hut mehr passt, wenn du die Andrea ned in Ruhe lässt«, warf Berni ein.

»Wenn die Andrea ihm sagt, dass jetzt ich ihr Freund bin, kann er nix dagegen tun«, widersprach Franz heftig.

Bernis Grinsen wurde noch breiter. »Gib’s lieber auf, Franz! Du weißt doch, dass du bei der Andrea ned landen kannst. Oder hast du vielleicht schon vergessen, was für eine kräftige Handschrift sie schreibt.«

Während die anderen lachten, griff Franz unwillkürlich an seine Wange.

»Komm, trink lieber dein Bier aus, damit wir uns eine frische Maß bestellen können«, riet Berni ihm lachend. »Wenn du morgen deinen Rausch ausgeschlafen hast, wirst du mir für meinen guten Rat dankbar sein.«

»Depp«, rief Franz voller Inbrunst. Doch selbst in seinem Rausch begriff er, dass er eine gewisse Grenze nicht überschreiten durfte. Er gab zwar vor, Lukas nicht zu fürchten. Doch dessen Muskeln waren durch die harte Arbeit auf dem Bauernhof gestählt, während er selbst lieber im Hotel seines Vaters saß und sich mit den Gästen unterhielt.

»Langsam dürften die Irmi und der Lukas auch wieder kommen. Sie werden doch draußen nix miteinander angefangen haben«, stichelte Rosi Kriegler in Richtung Andrea. Sie neidete dem hübschen Mädchen ihr Aussehen und auch ein wenig den strammen Bauernburschen, der um sie warb.

Andrea winkte nur lächelnd ab. Es war jedoch gut, dass sie Irmi und Lukas in diesem Augenblick nicht sah. Irmi hatte Lukas auf ein halbes Dutzend Fahrgeschäfte geschleppt und setzte sich jetzt neben ihm in eine Zweiergondel des Musikexpress. Lukas gefiel es, als Irmi sich plötzlich an ihn lehnte und mit großen, verträumten Augen zu ihm aufsah. Es sprach so viel Vertrauen aus ihrem Blick, dass er förmlich um einige Zentimeter wuchs. So hatte Andrea ihn noch nie angesehen. Bei ihr hatte er immer ein wenig das Gefühl, als würde sie ihn nicht ganz ernst nehmen.

Nüchtern hätte Lukas niemals den Arm so um Irmi gelegt, wie er es jetzt tat. Er spürte ihren warmen, weichen Körper, ihr hastiges Atmen und wurde kühner. Andrea zuckte immer zusammen, wenn sich seine Finger gewissen Regionen näherten, und entwand sich seinem Griff. Doch bei Irmi konnte er so weit gehen, wie ein Bursche es bei einem Mädchen wollte. Dazu schloss sich plötzlich das Verdeck der Gondel, und die Musik aus dem kleinen Lautsprecher in der Rückwand wurde noch schmachtender.

»Jetzt müssten wir uns eigentlich abbusseln.« Irmi zog Lukas Gesicht zu sich herab und presste ihren Mund auf seine Lippen. Lukas war nur einen Augenblick überrascht, dann ergriff er das dargebotene Geschenk mit beiden Händen. Sie küssten sich noch, als die Gondel längst stand und die nächsten Fahrgäste lautstark ihren Platz forderten.

*

Dieser Abend auf dem Oktoberfest blieb etlichen Leuten im Gedächtnis. Michael Kreuzer träumte bis in den nächsten Tag hinein von der schönen, blonden Andrea im rosa Dirndlkleid. Paul Hohwald konnte hingegen nicht schlafen. Er saß noch lange nach Mitternacht in seinem Wohnzimmer und blätterte die alten Fotoalben durch, die er seit Jahren nicht mehr in die Hand genommen hatte. Während er die Bilder seiner Tochter betrachtete, verglich er sie mit dem jungen Mädchen, das er an diesem Abend gesehen hatte. Die Ähnlichkeit war mehr als verblüffend. Selbst das Lächeln war das Gleiche.

In St. Bernhard schlug Lukas sich mit einem gewaltigen Brummschädel und einem ziemlich schlechten Gewissen herum. Es war zwar gestern zwischen ihm und Irmi nicht zum Äußersten gekommen. Doch das war weniger ihr Verdienst gewesen, denn sie hatten auf der überfüllten Theresienwiese kein stilles Plätzchen für sich finden können. Auch Irmi schämte sich deswegen, wenngleich sie die Erinnerung daran nicht missen wollte. Wenigstens einmal hatte sie Lukas nahe sein und ihn küssen können.

Die Einzige, die unbeirrt ihrem Tagwerk nachging, war Andrea selbst. Obwohl sie erst um drei Uhr morgens nach Hause gekommen war, stand sie in der Früh auf, um ihrem Großvater bei der Stallarbeit zu helfen. Als Georg Bachmaier seine Enkelin sah, hob er verwundert den Kopf.

»Aber, Dirndl, das hätt’s ned gebraucht. Du musst doch totmüde sein.«

Andrea schüttelte lachend den Kopf. »So schlimm ist’s auch wieder ned, Opa. Schließlich bin ich noch jung. Wenn ich da eine kurze Nacht ned aushalte, müsst ich schon ein Murmeltier sein.«

»Das bist du gewiss ned.« Der Alte sah seine Enkelin lächelnd an und fand, dass sie trotz der paar Stunden Schlaf wie das blühende Leben aussah. Trotzdem vermisste er den Ausdruck der Freude, den er eigentlich erwartet hatte.

»Hat’s dir denn auf dem Oktoberfest gefallen?«, fragte er neugierig.

Andrea zuckte etwas unschlüssig mit den Schultern. »Ja, schon. Es war mir halt zu viel Trubel dort. Außerdem ist es teuer, sag ich dir. Wenn du da ned aufpasst, bist du leicht einen Haufen Geld los.«

»Man fährt ja ned auf das Oktoberfest, um zu sparen. Außerdem arbeitest du unterm Jahr genug, um dir etwas leisten zu können.«

Andrea beantwortete diesen leichten Tadel mit einem strahlenden Lächeln. »Ich hab’s mir schon gut gehen lassen, Opa. Ich bin ein paar Mal Achterbahn gefahren, hab mir ein halbes Hendl und zwei Limo geleistet und sogar ein paar Lose gekauft. Gewonnen habe ich allerdings nix.«

Ihr Lachen wirkte ansteckend. »Du bist mir schon so ein Racker«, rief der Alte. »Wenn wir dich ned hätten ...« Er wurde schlagartig ernst und dachte an seine Schwiegertochter, die aus der Großstadt gekommen war und klaglos auf dem kleinen Bauernhof mitgearbeitet hatte. Zum großen Unglück war sie nach einem guten Jahr kurz nach Andreas Geburt gestorben. Sein Sohn Martin hatte den Tod der geliebten Frau nicht überwunden und den Baum, durch den er nur kurze Zeit später bei der Arbeit im Staatsforst das Leben verlor, wohl eher als Freund und Erlöser angesehen. Georg Bachmaier und seiner Frau Barbara war nur die kleine Andrea geblieben. Doch das Kind hatte ihnen die Kraft gegeben, weiterzuleben und den Verlust des Sohnes zu überwinden.

Der alte Bachmaier schüttelte die trüben Gedanken ab, die ihn so unvermittelt überfallen hatten, und sah zu, wie Andrea mit geschickter Hand die Kühe molk. Es gab zwar eine elektrische Melkmaschine auf dem Hof, doch war deren Kompressor schadhaft geworden und musste irgendwann einmal ersetzt werden. Da die Reparatur eine hübsche Summe kostete, schob man sie immer weiter vor sich her. Zuerst hatten Bachmaier und seine Frau gemurrt, weil sie wieder nach alter Sitte mit der Hand melken mussten. Mittlerweile hatten sie sich daran gewöhnt und merkten, dass sie die Segnungen der Technik nicht unbedingt vermissten. Allerdings hatten sie auch nur fünf Kühe im Stall, so dass sie mit der Arbeit gut zurechtkamen. Einer der großen Bauern wie der Kriegler, dessen Hof etwas weiter unten im Tal lag, hätte natürlich nicht auf die Melkmaschine verzichten können. Vom Kriegler sprangen die Gedanken des Alten zu ihrem Nachbarn Lukas Drexler weiter, dessen Anwesen er durch das kleine Stallfenster sehen konnte.

»Und, Andrea? Hat sich der Lukas als richtiger Kavalier erwiesen?« Es war Bachmaiers sehnlichster Wunsch, dass aus seiner Enkelin und Lukas ein Paar wurde, damit sie die beiden kleinen Höfe zu einem Anwesen vereinigten, das sich selbst mit dem Krieglerhof messen konnte.

»Ich kann ned klagen«, antwortete Andrea ohne besondere Begeisterung. »Er hat mir eine Riesenbrezn spendiert und ein Lebkuchenherz, auf dem sein und mein Bild drauf zu sehen sind.«

»Eure Bilder«, rief der Alte überrascht. »Wie ist denn das möglich?«

»Die haben am Stand eine Sofortbildkamera gehabt und die Fotos gemacht. Wir haben bloß ein paar Minuten auf die zwei Herzen warten müssen«, klärte Andrea ihn auf.

»Zwei Lebkuchenherzen, also hat der Lukas auch eines.«

»Aber, Opa, der Lukas trinkt doch lieber eine Maß Bier, als dass er sich ein Lebkuchenherz kauft. Nein, das andere war für die Irmi. Auf deren Bild sind wir alle drei drauf zu sehen.«

»Eine Brezn und ein Lebkuchenherz ist aber arg wenig dafür, dass ihr so gut wie verlobt seid«, wandte Bachmaier enttäuscht ein.

»Du weißt doch, dass der Lukas ned viel Geld hat. Außerdem braucht ein Mannsbild auf dem Oktoberfest mehr als ein Madl. Denk doch bloß dran, was eine Maß Bier dort kostet. Dafür kriegst du bei unserem Wirt fast vier Halbe. Und besser eingeschenkt ist’s auch.«

Bachmaier freute sich, weil Andrea ihren Begleiter verteidigte, obwohl er sich nicht gerade großzügig gezeigt hatte. »Haben die Burschen viel getrunken?«, fragte er.

»Das kannst du laut sagen. Der Bus hat auf dem Heimweg alle paar Minuten stehen bleiben müssen, weil ihnen die Blase gedrückt hat«, erklärte Andrea und machte fröhlich bei ihrer Arbeit weiter. Eine Stunde später war alles fertig. Während aus dem Stall das zufriedene Muhen der Kühe drang, stand Andrea in der Küche, um das Frühstück zu bereiten.

Der Großvater saß auf der Eckbank unter dem Herrgottswinkel, rauchte seine Pfeife und sah ihr wohlgefällig zu. »Wann meinst du, dass es mit dir und dem Lukas so weit sein könnt?«

Ein leichter Schatten huschte über Andreas Gesicht. »Das kann ich ned sagen, Opa. Vielleicht in einem Monat, vielleicht in einem Jahr, vielleicht auch nie.« Sie bedauerte dieses »nie« sofort, da ihr Großvater plötzlich betrübt aussah.

»Ist dir der Lukas denn so zuwider?«

»Zuwider grad ned«, gab Andrea zu. »Aber ich weiß ned, ob das die große Liebe ist, wenn ein Bursch und ein Madl bloß deswegen heiraten, damit ihre Höfe zusammenkommen.«

»Es wäre halt wichtig für die Zukunft«, antwortete der Alte leise. »Die zwei Höfe sind zu klein, als dass sie auf Dauer bestehen könnten. Der Lukas arbeitet eh im Winter im Staatsforst, um sich was zusätzlich zu verdienen. Wir haben halt unsere Alm, die für unsere paar Stück Jungvieh zu groß ist.«

»Darum haben wir auch die Jungtiere vom Lukas mit oben und einige Stück Pensionsvieh vom Kriegler«, wandte Andrea ein.

»Der Kriegler tät uns die Alm sofort abkaufen, wenn wir wollten. Aber ich will ned.« Die Stimme des Alten klang kämpferisch. Er hatte zeit seines Lebens zu viele kleine Demütigungen durch den jetzigen Krieglerbauern und dessen Vater hinnehmen müssen, um ihnen die schöne Alm überlassen zu können.

»Ich will’s auch ned«, stimmte Andrea ihm zu, um dann auf ein anderes Thema überzuleiten. »Nach dem Frühstück steig ich wieder auf, damit die Oma heimkommen kann.«

»So eilig ist’s auch wieder ned«, wehrte Bachmaier ab. »Die Barbara hat gewiss nix dagegen, wenn du erst am Nachmittag kommst. Sie weiß ja, dass ihr spät von München zurückgekommen seid.«

Andrea verzog ärgerlich das Gesicht. »Es ist irgendwie dumm, dass wir gleich am ersten Wochenende zum Oktoberfest gefahren sind. Gegen Ende wär’s mir lieber gewesen. Dann hätten wir unseren Almabtrieb hinter uns gehabt, und die Oma hätt ned hinaufmüssen.«

»Sie wäre trotzdem hinauf, denn bei so einem schönen Wetter wie gestern und heute kommen gewiss Bergwanderer zu unserer Hütte, um dort zu rasten«, erklärte der Alte.

»Da kannst du schon recht haben«, stimmte Andrea ihm zu. »Unsere Alm liegt halt günstig. Darum ist ja der Herr Hotelbesitzer Resch ned weniger scharf auf die Alm als der Großbauer Kriegler.«

»Scharf darauf können sie ja ruhig sein«, spottete der Alte. »Aber die zwei gehören zu den Honoratioren von St. Bernhard und haben so einem Kleinbauern wie mir zu lange gezeigt, dass sie sich für etwas Besseres halten. Darum verkaufe ich ihnen die Alm ned, und wenn wir von selbst gezogenen Erdäpfeln leben müssen.«

»Wie war denn heuer die Ernte?«, wollte Andrea wissen.

»Ned schlecht«, antwortete Bachmaier. »Vielleicht ned ganz so gut wie im letzten Jahr, aber es langt.«

»Das freut mich.« Mit diesen Worten wandte Andrea sich wieder ihrer Arbeit zu. Wenig später saßen die beiden am Tisch und löffelten die Milchsuppe, die nach alter Tradition auf den Tisch kam. Danach bereitete Andrea noch alles vor, damit die Großmutter das Mittagessen kochen konnte, wenn sie von der Alm herabkam, und packte ihren Rucksack. Obwohl sie in gut zwei Wochen Viehscheid halten wollte, musste sie einiges mitnehmen. Sobald der erste Schnee kam, würde sie ebenfalls wieder hochsteigen. Die Almhütte lag zwar nur am Rand des Skigebietes von St. Bernhard. Dennoch kamen genug Wintersportler vorbei, um sie mit Gewinn bewirtschaften zu können.

*

Paul Hohwald schreckte durch das Läuten des Telefons aus seinen Gedanken hoch. Es war seine Sekretärin, die sich wunderte, weil er sich bislang noch nie verspätet hatte. Er beruhigte sie und erklärte, dass er sich jetzt auf den Weg machen würde. Eine Stunde später betrat er sein Büro. Frau Meindl hatte ihm bereits die Post bereitgelegt. Doch als Hohwald sie durchsah, gelang es ihm nur mit Mühe, sich darauf zu konzentrieren. Immer wieder erschien das Bild des Mädchens, das seiner Tochter wie aus dem Gesicht geschnitten war, vor seinen Augen.

Schließlich beugte Hohwald sich vor und drückte die Taste der Sprechanlage. »Frau Meindl, haben Sie einen Moment Zeit für mich?«

Keine zehn Sekunden später erschien die Sekretärin in seinem Büro. »Was kann ich für Sie tun, Herr Hohwald?«

»Ich werde für ein paar Tage in die Berge fahren. Glauben Sie, dass Sie in der Zeit allein zurechtkommen?«

Nach einem kurzen Blick in ihre Unterlagen nickte Frau Meindl. »Ich glaube schon. Außerdem sind Sie ja ned aus der Welt, wenn was sein sollte.«

Hohwald klappte seine Mappe zusammen und reichte sie ihr. »Sie können mich jederzeit auf dem Handy erreichen.« Dann verabschiedete er sich und fuhr nach Hause. Kurze Zeit später lenkte er seinen Wagen über die südlichen Ausfallstraßen in Richtung Gebirge. Das Navigationssystem seines Autos war ausgezeichnet, denn er fand St. Bernhard am Raukogl auf Anhieb. Es dämmerte bereits, als er in den Ort einfuhr. Die alten Bauernhöfe an der Straße mit ihren ausladenden Dächern und ihren hölzernen Obergeschossen ließen ihn eine alte Gastwirtschaft mit unbequemen Betten und knarrenden Treppen erwarten. Entsprechend erleichtert hielt er vor dem großen Ferienhotel Resch an. Sein Wagen stand noch nicht richtig, da eilte auch schon ein Page auf ihn zu.

»Grüß Gott, mein Name ist Hohwald«, stellte Hohwald sich vor. »Ich brauche ein Zimmer für mehrere Tage. Sie haben doch sicher etwas frei.«

Der Page nickte eifrig. »Um die Zeit immer. In der Saison ist natürlich mehr los.«

Hohwald stieg aus und reichte dem Burschen die Autoschlüssel, damit er den Wagen in die Garage fahren konnte. Er selbst betrat das Hotel und ging langsam zum Empfang. Veronika Resch, die Ehefrau des Besitzers, hatte ihn bereits als erfolgreichen Geschäftsmann aus der Stadt eingeordnet und empfing ihn entsprechend freundlich. Sie nahm auch Hohwalds Ankündigung, dass er nicht genau wüsste, wie lange er bleiben würde, ohne mit der Wimper zu zucken hin.

»Ich werde Ihnen Zimmer elf geben. Es ist das beste Zimmer von denen, die nicht vorausgebucht sind.« Frau Resch klatschte in die Hände. Die Geschwindigkeit, mit der ein Zimmermädchen heranschoss, deutete auf ein straffes Regiment hin. »Der Herr hier nimmt Zimmer elf. Ist dort alles in Ordnung?«

»Freilich, Frau Resch, Zimmer elf ist tipptopp«, versicherte das Zimmermädchen wie aus der Pistole geschossen.

Frau Resch wandte sich mit einem zufriedenen Lächeln an Hohwald. »Ich habe nichts anderes erwartet. Aber wissen Sie, ich vergewissere mich lieber vorher, bevor ich einem Gast wie Ihnen ein noch nicht gemachtes Bett oder einen nicht geleerten Mülleimer zumute.«

Hohwald empfand die redselige Frau etwas lästig und erklärte, auf sein Zimmer zu wollen.

»Selbstverständlich. Die Heidi führt Sie gleich hoch.«

Hohwald folgte dem vorauseilenden Mädchen. Das Zimmer, in das sie ihn brachte, war ganz ordentlich. Der Ausblick auf das herrliche Bergpanorama raubte ihm hingegen schier den Atem. Als Hohwald ans Fenster trat und zu den grauen Felsriesen aufblickte, die das Tal umgaben, sagte er sich, dass es kaum etwas Schöneres geben konnte. Dann suchte sein Blick die erleuchteten Fenster der Bauernhöfe und Häuser im Ort. Irgendwo dort musste Susanne leben, fuhr es ihm durch den Kopf.

»Kann ich noch etwas für Sie tun?«, fragte das Zimmermädchen.

Hohwald wollte schon den Kopf schütteln, als ihm einfiel, dass sie seine Tochter kennen könnte. »Ich bin auf der Suche nach einer Bekannten, die vor zwanzig Jahren hierhergezogen ist. Ihr Vorname ist Susanne.«

Das Zimmermädchen dachte kurz nach und schüttelte den Kopf. »Das tut mir leid, aber da fällt mir auf Anhieb niemand ein. Es gibt zwar zwei Frauen im Ort, die Susanne heißen. Aber die eine ist eine ältere Witwe aus Köln, die vor drei Jahren nach St. Bernhard gekommen ist. Die Zweite ist die Frau des Gemeindeschreibers, und die ist hier geboren und aufgewachsen.«

»Es hätte ja sein können.« Hohwald ließ sich seine Enttäuschung nicht anmerken. Für sich dachte er, dass er ja nicht auf Anhieb mit einem Erfolg hatte rechnen können. Auf alle Fälle musste Susanne hier leben, denn er hatte genau gehört, dass die Gruppe aus der »Bräurosl« von hier stammte. Wenn Andrea seine Enkelin war, würde er über sie auch ihre Mutter finden.

Da Heidi noch immer an der Tür wartete, drückte Hohwald ihr ein Geldstück in die Hand und verabschiedete sie. Kurz darauf klopfte es an der Tür, und der Page kam mit seinen Koffern herein. »Ich habe Ihr Auto in der Garage abgestellt. Wollen Sie, dass es gewaschen wird?«

»Warum nicht.« Auch diesmal wechselte ein Zweieurostück den Besitzer. Hohwald überlegte, ob er den Pagen nach Andrea fragen sollte, entschied sich jedoch dagegen. Es würde nur Gerede geben. Außerdem war der Ort nicht so groß, dass sie oder Susanne ihm im Lauf der nächsten Tage nicht begegnen würden. Am liebsten hätte er das Hotel ja sofort verlassen, um mit seiner Suche zu beginnen. Doch die durchwachte Nacht forderte jetzt von ihm ihren Tribut.

*

Michael Kreuzer ging die hübsche Andrea nicht mehr aus dem Kopf. Er hatte zwar nur ein paar belanglose Sätze mit ihr wechseln können. Seine Sehnsucht nach ihr war jedoch so groß, dass er beinahe vergessen hätte, Fredi am Flughafen zu verabschieden. Auf ihren Freund Armin mussten die beiden jedoch verzichten. Fredi ärgerte sich darüber, denn schließlich waren sie vier Jahre lang zusammen durch dick und dünn gegangen. Michael war schließlich froh, als sein schimpfender Freund in der Abfertigungshalle verschwand. So hatte er sich den Abschied von seiner Studentenzeit eigentlich nicht vorgestellt. Während er von einer gewissen inneren Leere erfüllt nach München zurückfuhr, dachte er plötzlich an Cornelia. Sie war die Tochter eines wohlhabenden Geschäftsmannes und sehr an ihm interessiert. So sehr, dass ihr Vater ihm einen guten Posten in seiner Firma angeboten hatte.

Bis gestern hatte Michael wirklich überlegt, das Angebot anzunehmen. Doch jetzt wusste er, dass er es nicht tun konnte. Cornelia war zwar hübsch, doch er empfand für sie nicht mehr als für jedes beliebige Mädchen, das er auf der Straße traf. In diesem Moment schob sich Andreas Bild mit aller Macht in seine Gedanken, und er sehnte sich danach, sie in seinen Armen zu halten und zu küssen.

Sein Verstand wehrte sich gegen diese Gefühle und versuchte ihm einzureden, dass es für ihn das Beste wäre, sich an Cornelia zu halten. Sie und ihr Vater würden ihn mit offenen Armen empfangen. Sein Herz wehrte sich jedoch vehement gegen diesen Gedanken. Als er wenig später in seiner Studentenbude saß, hatte er seinen Entschluss gefasst. Er nahm den Telefonhörer in die Hand, um endgültig Klarheit zu schaffen. Er kam jedoch kaum zu Wort, da Cornelia ihn sofort mit Vorwürfen überschüttete.

»Michael, du untreue Tomate. Wo hast du denn die ganze Zeit gesteckt? Ich habe dich pausenlos angerufen.« Es war gelogen, denn der Anrufbeantworter hatte nur ein einziges Gespräch aufgezeichnet.

»Du wusstest doch, dass ich Fredi zum Flughafen bringen wollte. Ich ...« Michael wurde sofort wieder unterbrochen.

»Armin hat mir erzählt, dass ihr gestern auf dem Oktoberfest gewesen seid. Warum hast du mich nicht mitgenommen?« Cornelia klang verärgert. Gleichzeitig spürte Michael eine ungewohnte Eifersucht bei ihr. Da er ihr nie einen Anlass dafür gegeben hatte, musste ein anderer Grund dahinterstecken. Er fragte sich, ob Armin ihr irgendwelche Lügen erzählt hatte. Schließlich hatte sein Freund ihm oft genug gesagt, wie sehr er ihn wegen seiner Bekanntschaft mit Poschner und dessen Tochter beneiden würde.

»Es war ein Herrenabend, Cornelia. Wir haben Fredi verabschiedet. Da hätte eine Frau nur gestört.« Michael musste gegen das Gefühl ankämpfen, sich schäbig zu benehmen. Dabei hatte er Cornelia nie Hoffnungen gemacht.

»Armin hat es mir aber anders erzählt«, antwortete Cornelia scharf.

»War er heute bei dir? Ich dachte, er schläft seinen Rausch aus.«

»Wir haben miteinander telefoniert.« Erst der spürbare Triumph in Cornelias Stimme zeigte Michael, dass sie seine Worte als Zeichen der Eifersucht interpretierte.

»Dann stehst du besser mit Armin als ich. Mich hat er nämlich nicht angerufen.«

»Er hat mich für heute Abend ins »Chez Nous« eingeladen. Wenn dir nichts Besseres einfällt, werde ich seine Einladung annehmen.« Wenn Cornelia geglaubt hatte, Michael damit beeindrucken zu können, sah sie sich getäuscht.

Michael atmete erleichtert auf, als er es hörte. »Dann wünsche ich euch beiden viel Spaß. Ach übrigens, du brauchst mich in der nächsten Zeit nicht mehr anzurufen. Ich verreise nämlich.«

»Du Schuft«, schrie Cornelia noch ins Telefon, dann knallte sie den Hörer auf die Gabel. Eine halbe Stunde später rief Armin an.

»Servus, Michael, hast du den Fredi gut zum Flughafen gebracht?«

»Das war doch selbstverständlich. Er hätte sich sicher auch gefreut, dich zu sehen«, antwortete Michael.

»Ich hatte anderes zu tun.« Armin klang bei diesen Worten sehr zufrieden.

»Ich weiß, du musstest Cornelia anrufen.«

»Bist du sauer, weil ich sie dir ausgespannt habe?« Michael spürte das versteckte Lauern in Armins Stimme. So ganz war sein Freund sich seiner Sache doch nicht sicher.

»Was heißt sauer? Ich finde halt die Art schäbig, wie du es gemacht hast.«

Armin schnaubte empört ins Telefon. »Jetzt tu ned so, als wenn ich ein Verbrecher wäre. Im Krieg und in der Liebe sind nun einmal alle Mittel erlaubt.«

»Das ist deine Ansicht«, gab Michael kühl zurück.

Armin wurde jetzt deutlicher. »Ich warne dich, Michael. Komm mir bei der Cornelia ja nimmer in die Quere.«

»Hast du Angst, dass ich dir deinen Goldfasan wieder wegnehmen könnte?«, spottete Michael. »Nein, Armin, da kannst du ganz beruhigt sein. Du kannst die Cornelia geschenkt haben, wenn du willst, sogar mit Schleifchen.«

»Bloß weil du den Kürzeren gezogen hast, brauchst du dich jetzt ned aufzuführen.«

Michael hatte keine Lust, sich mit seinem Exfreund, wie er Armin in Gedanken bereits nannte, zu streiten. »Ciao, Armin, die Cornelia wartet auf dich!« Mit diesen Worten legte er auf und lachte erst einmal, bis ihm die Rippen wehtaten. Den Job in Poschers Firma war er zwar los, und er würde sich nun selbst eine passende Stelle suchen müssen. Doch vorher wollte er noch ein paar Tage Urlaub machen. Wie hieß dieser Ort in den Bergen, aus dem Andrea stammte, noch? St. Bernhard am Raukogl! Michael beschloss, am nächsten Morgen dorthin zu fahren.

*

Andrea träumte gerade von einem Kuss, als dieser plötzlich immer feuchter wurde. Als sie die Augen öffnete, stand ihr Bernhardiner Hansi neben ihr und leckte ihre Wange mit seiner langen, warmen Zunge ab.

»Pfui Teufel, Hansi, lass das«, schimpfte sie lachend. Hansi, der mit seinem langen, braunweiß gefleckten Fell wie ein riesiges Plüschtier aussah, gab einen zufrieden Laut von sich. Es hörte sich an, wie »jetzt habe ich dich doch wach bekommen«. Als Andrea auf den Wecker schaute, war es auch höchste Zeit zum Aufstehen. So lange hatte sie noch nie geschlafen. Allerdings hatte sie auch noch nie so seltsame Dinge geträumt wie in dieser Nacht. Sie konnte sich zwar nicht mehr genau daran erinnern, doch noch jetzt glaubte sie die warme, streichelnde Hand eines Mannes, der nicht Lukas gewesen war, auf ihrer Haut zu spüren.

»Ich glaube, ich werd mannstoll. Der Opa hat wohl recht, wenn er meint, dass ich bald heiraten sollte«, verspottete sie sich selbst. Doch während sie ihr Kleid überstreifte, spürte sie ein unbekanntes Gefühl in sich, das sie selbst bei der Arbeit nicht verließ. Während sie das Vieh auf die Weide trieb, dachte sie an den Wunsch ihres Großvaters, dass aus ihr und Lukas ein Paar werden sollte. Er sah vor allem die Gelegenheit, aus den beiden in der Dorfhierarchie weit unten stehenden Kleinbauernanwesen einen Hof zu machen, der in St. Bernhard etwas galt. Andrea verstand seine Beweggründe. Sie fragte sich jedoch, ob sie es wirklich tun sollte. Lukas war ihr zwar nicht direkt zuwider. Doch würde die nachsichtige Sympathie, die sie für ihn empfand, für eine Ehe ausreichen? Ihr klangen die Worte ihres Großvaters, dass die Liebe mit der Ehe und den Kindern kommen würde, etwas schal in den Ohren. Sie dachte auch an ihre Mutter, die mit ihrem gesamten bisherigen Leben gebrochen hatte, um dem geliebten Mann nach St. Bernhard zu folgen. Ihre Eltern mussten in der kurzen Zeit, die sie miteinander hatten verbringen können, sehr glücklich gewesen sein. Daher fragte Andrea sich, ob nicht auch sie das Recht auf eine himmelstürmende Liebe hatte, auch wenn der Wunsch ihres Großvaters dadurch nicht in Erfüllung ging.

Während ihre Gedanken sich überschlugen, musterte Andrea mit kundigen Blicken das ihr anvertraute Vieh und registrierte zufrieden, dass alle Tiere gesund und in gutem Zustand waren. Jetzt am Morgen sprangen sie noch übermütig herum, und Hansi hatte einiges zu tun, um sie von den gefährlichen Stellen fernzuhalten. Doch schon bald siegte der Hunger, und das Jungvieh begann, um die Hütte herum zu grasen. Andrea hatte jetzt Zeit für sich selbst. Als Erstes schöpfte sie einen Eimer Wasser aus dem Brunnen und trug ihn ins Haus. Keine Sennerin, die etwas auf sich hielt, wusch sich im Freien am Brunnen, so wie es die Männer taten. Auch wenn um diese Zeit noch nicht viele Leute unterwegs waren, konnten doch zufällig vorbeikommende Wanderer sonst Dinge sehen, die nicht für sie bestimmt waren.