Die Löwin von Jerusalem - Ruben Laurin - E-Book

Die Löwin von Jerusalem E-Book

Ruben Laurin

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Beschreibung

Israel, 1000 v. Chr. - Bathseba ist knapp sechzehn, als sie dem Menschen begegnet, der zu ihrem Schicksal werden soll: dem Hirtenjungen David. Vor den Toren Hebrons rettet sie ihm das Leben, und beide verlieben sich sofort ineinander. Doch Bathsebas Vater hat andere Pläne und zwingt seine Tochter, den groben Uriah zu heiraten, einen Offizier des Königs Saul. Voller Verzweiflung zieht David in den Krieg und steigt nach seinem Kampf gegen Goliath selbst zum König auf. Bathseba, gefangen in einer unglücklichen Ehe, kann jedoch ihren Traum von einem gemeinsamen Leben mit David nie vergessen - und fasst einen verzweifelten Plan, der sowohl ihren Tod als auch ihre Freiheit bedeuten könnte ...

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Seitenzahl: 407

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Cover

Über das Buch

Über den Autor

Titel

Impressum

Zitat

Widmung

Personen

Zeittafel (v. Chr.)

Prolog

Erstes Buch

1 Mann in Schwarz

2 Hirte aus Bethlehem

3 Langeweile

4 Hirschsehnen

5 Wiedersehen

6 Löwin

7 Verhungern lassen

8 Preis des Lebens

9 Verbotener Name

10 Harfe

11 Mutter eines Königs

12 Danklied

13 Festtag

14 König Saul

Zweites Buch

15 Großmacht

16 Verräter

17 Botschaften

18 Kriegsheld

19 Nathan, der Prophet

20 Riese

21 Rüstung

22 Gelächter

23 Verloren

24 Zufall

25 Tritte in den Bauch

Drittes Buch

26 Mordplan

27 Ausschlag

28 Königskinder

29 Löwin

30 Sturm

31 Abschiedskuss

32 Schwarzer Hund

33 Nachrichten

34 Rebellen

35 Alter Zauberer

36 Nichts gesehen

37 Wer das Schwert nimmt

38 Liebesverse und Mordbefehl

39 Strafpredigt

40 Friedensbringer

Epilog

Glossar

Nachwort und Dank

Über das Buch

Israel, 1000 v. Chr. – Bathseba ist knapp sechzehn, als sie dem Menschen begegnet, der zu ihrem Schicksal werden soll: dem Hirtenjungen David. Vor den Toren Hebrons rettet sie ihm das Leben, und beide verlieben sich sofort ineinander. Doch Bathsebas Vater hat andere Pläne und zwingt seine Tochter, den groben Uriah zu heiraten, einen Offizier des Königs Saul. Voller Verzweiflung zieht David in den Krieg und steigt nach seinem Kampf gegen Goliath selbst zum König auf. Bathseba, gefangen in einer unglücklichen Ehe, kann jedoch ihren Traum von einem gemeinsamen Leben mit David nie vergessen – und fasst einen verzweifelten Plan, der sowohl ihren Tod als auch ihre Freiheit bedeuten könnte ...

Über den Autor

Ruben Laurin ist das Pseudonym eines preisgekrönten Autors, der vor allem phantastische und historische Romane verfasst. Seine Faszination für die Geschichte der Stadt Magdeburg und die mittelalterliche Kirchenarchitektur brachten ihn auf die Idee, einen Roman über den Bau des Magdeburger Doms zu schreiben: Die Kathedrale des Lichts. Ruben Laurin lebt in der Nähe von Karlsruhe. Ruben Laurin wurde für „Das weiße Gold der Hanse“ mit dem goldenen Homer ausgezeichnet und ist somit der Gewinner des HOMER-Literaturpreis für den besten historischen Roman aus dem Jahr 2019.

RUBEN LAURIN

DIE LÖWIN VON JERUSALEM

Bathseba – Die Freiheit war ihr Traum, König David ihr Schicksal

Roman

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Die Veröffentlichung dieses Werkes erfolgt auf Vermittlung der Literarischen Agentur Peter Molden, Köln.

Copyright © 2024 by Ruben Laurin Diese Ausgabe 2024 by Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten. Textredaktion: Friederike Haller, Wortspiel, Berlin Covergestaltung: Kirstin Osenau Covermotiv: © ILINASIMEONOVA / Trevillion Images; © NSA Digital Archive / iStock / Getty Images Plus; © Lukasz Szwaj / Shutterstock; PicsPicturesque / Shutterstock Satz und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-7517-4202-3

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Sie finden uns im Internet unter luebbe.de Bitte beachten Sie auch: lesejury.de

Your faith was strong but you needed proof

You saw her bathing on the roof

Her beauty and the moonlight overthrew you

She tied you to a kitchen chair

She broke your throne, and she cut your hair

And from your lips she drew the Hallelujah

Du glaubst, doch suchst du den Beweis,

Du sahst sie baden, dir ward heiß,

Überwältigt von der Schönheit und dem Mondlicht.

Sie hielt dich fest, ihr ward ein Paar,

Sie brach den Thron, sie schnitt dein Haar

Und aus dem Mund zog sie dein Halleluja.

Leonard Cohen

Übertragung von Misha G. Schoeneberg

Für Mike Godyla

Personen

Bathseba

Hirtin, Geliebte Davids, Uriahs Frau

David

Hirte, Rebell, Sänger, König

Uriah

Bathsebas Mann

Saul

König von Juda

Jonathan

Sauls Sohn und Davids Freund

Abner

Sauls Vetter und Feldhauptmann

Joab

Rebell, Feldhauptmann Davids

Abisai

Joabs jüngerer Bruder

Asahel

Joabs jüngerer Bruder

Zeruja

Mutter des Joab, Abisai und Asahel

Ahitofel

Bathsebas Großvater

Nathan

Priester und Prophet

Benaja

Hauptmann der königlichen Leibgarde

Eliam

Bathsebas Vater

Miriam*

Bathsebas Tante und Pflegemutter

Rahel*

Bathsebas Magd

Gedor*

Aufseher des königlichen Harems

Zadok

heilkundiger Hohepriester

Die mit einem Stern (*) gekennzeichneten Personen sind fiktiv; ein Glossar findet sich am Ende des Buches.

Zeittafel (v. Chr.)

etwa 1400

israelitische Stämme fallen unter Josua in Kanaan ein, dem Gebiet des heutigen Palästinas

bis nach 1050

charismatische Heerführer und Richter regieren über den losen Verbund der zwölf Stämme Israels

bis ca. 1012

Kämpfe mit Philistern und Ureinwohnern Kanaans; Samuel ist Prophet und letzter Richter Israels

1012 – 1004

Saul, Nachfolger Samuels, regiert als erster judäischer König von Gibea aus

1004 – 998

David ist König von Juda in Hebron

997 – 965

David regiert in Jerusalem als König von ganz Israel

965 – 926

Bau des ersten Tempels und Blütezeit des Königreichs Israel unter Salomo, dem Sohn Davids

Prolog

Dort kommt sie. Da drüben, auf der anderen Seite des Torplatzes. Die in dem aschgrauen Gewand, die ihre Schafe und Lämmer aus der Korbmachergasse treibt. Siehst du sie? Schau nur, wie anmutig sie schreitet, wie freundlich sie die Leute grüßt, wie fröhlich sie ihr Lachen nach allen Seiten wirft!

Bathseba heißt sie, bald sechzehn Sommer alt. Wir kennen sie, und du wirst sie kennenlernen. Die Leute hier in Hebron nennen sie Dadida, wir nennen sie die Löwin von Jerusalem – wir, die wir wissen, was früher geschah, was einst geschehen wird und was jetzt gerade geschieht.

Jetzt gerade beugt sie sich zum jüngsten ihrer Lämmer hinunter, weil es vor dem Hund des Waffenschmiedes scheut. Sieh doch, wie zärtlich sie den plärrenden Wollknäuel an ihre Brust drückt! Wie streng sie dem Hund gebietet – mit einem einzigen Blick. Hast du das gesehen?

Wir haben ein Auge auf Bathseba, schon von Anfang an. Seit man sie zu ihrer Mutter ins Grab gelegt hat. Erst hat der totgesagte Säugling Mäulchen und Äuglein aufgerissen, dann fing er an zu quäken, dann hat man ihn aus der Grube gezogen und zu einer Amme gebracht.

Wir haben ein Auge auf dieses Menschenkind, denn die tot sein müssten, fesseln unsere Aufmerksamkeit. Nicht die anderen, die ihre Tage vertun, als sei es selbstverständlich, am Leben zu sein. Nicht die viel zu vielen, die dahinwirbeln im Strom des Werdens und Vergehens wie Treibgut im Wildwasser.

Jetzt führt sie ihre Herde zur Tränke, legt ihren Hirtenstab über den Trog, füllt ihren Wasserschlauch, lässt die Tiere saufen. Ein langer Tag liegt vor ihr, ein Tag weit draußen in den Hügeln, wo schon zwei auf sie warten. Zwei, von denen sie noch nichts weiß: ihr künftiger Liebesgefährte und der allzeit gefräßige Tod.

Jetzt richtet sie sich auf, nickt den Kriegern dort zu, schreitet an den Kamelen und Maultieren vorbei in den Torplatz hinein. Hörst du, wie kraftvoll sie bei jedem Schritt ihren Stab aufsetzt? Siehst du, wie Sauls Soldaten hinter ihr hergaffen? Und sie gaffen nicht ohne Grund, denn schau nur, wie Bathsebas schwarzes Haar in der Morgensonne glänzt, wie ihre dunklen Augen leuchten, wie bezaubernd sie lächelt, wie grazil sie die Hüften schwingt.

Ob sie schön ist? Frag nicht uns, frag die Leute in Hebron. »Bathseba ist die schönste Jungfrau der Stadt«, werden sie dir antworten, »deswegen nennen wir sie ja Dadida«, werden sie sagen, Dadida, die Liebliche.

Jetzt bleibt sie am Karren des Brotbäckers stehen, scherzt und plaudert, setzt das Lamm ab, gibt dem Bäcker ein Stück Käse für zwei Gerstenfladen, geht weiter. Sie tritt in den Schatten der Stadtmauer, taucht ein ins kühle Gewölbe des Tores, lacht und grüßt nach allen Seiten – grüßt die Bettler, die Sänger, die Würfelspieler, die Leviten, den Säbelmann, die Greise. Und nun heben auch die wenigen jungen Männer im Tor ihre Blicke.

Das Gemurmel verstummt, jetzt, da sie vorüber geht, merkst du es auch? Der Gesang, das Palaver, das Geklapper der Würfel, das Harfenspiel. Einen Augenblick herrscht Stille, bevor er wieder anhebt, der Lebenslärm des neuen Tages, und Bathseba nähert sich den Torwächtern.

Und uns.

Wir sehen sie, doch wird sie uns sehen? Sag nichts! Sei still, warte es ab.

Erstes Buch

Der Hirte

1

Mann in Schwarz

Die Stadt ist erwacht. Bathseba treibt schon ihre Schafe über den Torplatz und grüßt nach allen Seiten. Wer ihr ins Gesicht schaut, sieht, dass sie froh ist; selbst der mürrische Schmied kann nicht anders, als zurückzulächeln.

Viele schauen ihr ins Gesicht, denn überall stehen und sitzen sie bereits, die Leute von Hebron – treiben Handel, flechten Körbe, backen Gerstenfladen, schmieden Nägel und Sicheln, tränken Kamele, Maultiere und Ziegen, grüßen, palavern, schimpfen und lachen.

Bathseba liebt das. Sie liebt es einzutauchen in das bunte Leben ihrer morgendlichen Stadt, es zu hören, zu sehen und zu riechen macht sie froh.

Bald wird sie draußen sein zwischen den Hügeln, allein mit ihren Schafen. Sie freut sich darauf, denn auch das mag sie gern – allein sein mit den Schafen, den Vögeln, den Käfern, dem Gras und den Wolken.

Erst einmal aber ist Bathseba nun im Tor angekommen. Hinter ihr gießt die Morgensonne ihren schönen Glanz über den Torplatz von Hebron, über Marktstände, Viehtränke und Menschengetümmel. Vor ihr weitet sich das Gewölbe des noch halbdunklen Nordtores. Als sie hinein geht, wird es so düster, als würde jemand alle Fackeln im Haus gleichzeitig in den Sandbottich stecken.

Sie ruft ihre Schafe – manche mit Namen –, weist ihnen mit dem Stab den Weg durch das Halbdunkel. Das Gemäuer ringsum strahlt noch Nachtkühle aus; Stimmengewirr, Gesang und Gelächter hallen auf allen Seiten. Nur Männerstimmen vernimmt sie, Frauen sitzen selten im Tor.

Ihre Herde drängt sich um sie, vierundzwanzig Schafe, sieben Lämmer und ein ungeduldiger Bock. Der blökt, läuft voraus, prescht den noch verriegelten Flügeln des Außentors entgegen. Bathseba blinzelt nach rechts, schaut nach links, ruft Morgengrüße, während sie ihm folgt.

Auf einmal wird es merkwürdig still. Ihre Augen gewöhnen sich rasch an das Dämmerlicht, schemenhafte Umrisse verwandeln sich in sitzende Männer, und alle gucken sie an: Greise, Priester, Wächter, wandernde Sänger, Spieler, Bettler, ein Fremder und sogar dessen Esel.

Doch nur einen Atemzug lang währt die Stille, dann erklingt wieder Harfenspiel, ertönt wieder die Stimme eines Sängers, und Gemurmel, Palaver und Gelächter umgeben sie so laut wie zuvor. Im Vorübergehen dringen Sätze und Satzfetzen an ihr Ohr: Gerüchte und Geschichten machen die Runde, Neuigkeiten werden ausgetauscht, Nachrichten von der Küste des Mittelländischen Meeres, aus den Fischerdörfern am See Genezareth und vom Ostufer des Jordans. Bathseba ist neugierig, also geht sie langsamer und lauscht.

Einige Männer fuchteln mit den Armen, malen die Taten der Menschen in die Luft, von denen sie erzählen, schneiden Grimassen, um deren Gesichtszüge zu mimen. Sie rufen, krächzen, fauchen und flüstern, um Stimmen nachzuahmen und Worte wiederzugeben, die sie von irgendwelchen Männern oder Frauen aus irgendwelchen Städten oder Dörfern Israels gehört haben.

Bathseba würde sich gern dazusetzen, um wenigstens eine oder zwei der Geschichten zu erfahren, doch hat sie je eine Frau hier im Tor von Hebron sitzen sehen? Außerdem drängen ihre Schafe vorwärts.

Auch vom Krieg gegen die Philister ist die Rede, und Bathseba geht noch langsamer, um zu erfahren, wie die Sache Israels steht, denn ihre älteren Brüder sind mit dem König in den Kampf gezogen. Doch keiner der Männer weiß etwas Neues.

Ein Kamelhändler aus Moab grabscht plötzlich nach dem Saum ihres Gewandes und hält ihn fest. »Nur deinen Schatten zu küssen, macht mich nicht satt, schönes Mädchen.« Der Moabiter spitzt die Lippen zum Kussmund, sein grauer Bart ist ein dünner Zopf. Ein alter Priester schlägt ihm mit seinem Krückstock auf die Finger, sodass er Bathsebas Gewand gleich wieder loslässt.

»Der Gott Abrahams und Isaacs segne dich, hübsches Täubchen.« Ein Fremder, nicht viel älter als sie, grinst frech zu ihr herauf. »Wie heißt du?« Dieser junge Bursche kräht mehr, als dass er spricht und hat einen Silberblick. Er trägt einen verschrammten Lederharnisch unter einem langen grauen Umhang. Seine Schenkel sind braun gebrannt und dick wie der Stamm eines alten Olivenbaums. Dunkler Flaum bedeckt sein breites Kinn, und strähniges schwarzes Haar, das ihm bis auf die Brust reicht, rahmt sein rundes Gesicht ein. Der breite Säbel, der neben ihm im Staub liegt, sieht schwer aus und schmutzig. »Wie heißt du, Täubchen, und wer ist dein Vater?« Wie gegen einen großen Haufen Schnee lehnt er gegen seinen weißen Esel, der sich hinter ihm hingelegt hat. »Bei meinem Arsch – willst du mir nicht antworten?« Er streckt sein Bein aus, sodass Bathseba drübersteigen muss. »Sag mir, wer dein Vater ist, los!«

»Was geht’s dich an?« Sie tritt ihm gegen den Fuß. »Und du hast mich nicht Täubchen zu nennen!« Unter zornig gerunzelten Brauen blitzt sie ihn an und geht weiter, vorbei an den letzten Männern im Gewölbegang des Tores, den würfelnden Wächtern. Noch zehn Schritte bis zum verriegelten Außentor.

Einer der Wächter erhebt sich, erreicht vor ihr die schweren Flügel, drängt ihren Bock beiseite und winkt seinen Knecht zu sich, damit er ihm helfe, den Sperrbalken aus dem Riegel zu stemmen.

Der fremde Bursche kräht ihr hinterher: »Was, wenn ich nun ein Bote Gottes wär’, he?! Nach Hebron gesandt, um dir Glück zu verheißen? Dann hättest du gerade einen Engel getreten!«

»Ein Engel wüsste, wer mein Vater ist«, sagt sie, ohne sich nach ihm umzudrehen.

Einige Männer lachen.

»Wenigstens hat sie dich berührt!«, ruft der Kamelhändler, und noch mehr Männer lachen. Der alte Levit aber herrscht ihn und den Flaumbart an, sie mögen ihre Zungen im Zaum halten.

Bathseba wendet nun doch den Kopf, tut so, als wolle sie zwei zurückbleibende Schafe zu sich winken, fasst jedoch nur den Flaumbart ins Auge: Mit spöttischem Grinsen deutet der auf den schimpfenden Leviten, macht eine abfällige Geste und schneidet eine Grimasse, wobei er so stark schielt, dass Bathseba nicht sagen könnte, ob er links oder rechts an ihr vorbeiguckt.

Sie erschrickt, denn einen Atemzug lang sieht sie die Härte in seinem Blick und den grausamen Zug um seinen Mund.

»Bathseba!«

Sie fährt herum, doch da ist keiner.

Hat nicht jemand ihren Namen gerufen!? Jemand am Ende des Torgewölbes, ganz bestimmt! Einer der beiden Wächter? Nein, die mühen sich immer noch, den schweren Torriegel zu lösen, achten weder auf sie noch auf irgendeinen Rufer.

Ich hab’ doch einen meinen Namen rufen hören, denkt sie. Sie will schon an ihren Sinnen zweifeln, da erkennt sie im Halbdunkel die Umrisse eines Mannes, der in einer Nische des Außentorgemäuers hockt. Oder ist es eine Frau?

»Komm her zu mir, Bathseba, Tochter Eliams.«

Nein, so groß ist keine Frau. Und so spricht auch keine Frau. Nicht mit so einer klaren und zugleich tiefen Stimme; die erinnert Bathseba an das Rauschen von Wasser.

Sie zögert zunächst, dann nähert sie sich schließlich doch der großen Gestalt, die ganz und gar in schwarzes Tuch gehüllt ist und beinahe mit der Mauernische verschwimmt. Wer ist denn dieser Fremde, der ihren Namen kennt? Der sogar weiß, wer ihr Vater ist? Bathseba will es erfahren, unbedingt.

Sie geht sehr langsam, bleibt zwei Schritte vor der Gestalt stehen, beugt sich zu ihr hin, schaut ihr ins Gesicht. Ein bartloses Gesicht, perlweiß und ebenmäßig, mit großem Mund über kantigem Kinn, mit vorspringenden Wangenknochen, scharf geschnittener Nase und klaren grauen Augen.

Ein schönes Gesicht. So überirdisch schön, dass ihr unheimlich wird.

»Komm näher, Bathseba.«

Widerwillig gehorcht sie, sie kann nicht anders. »Ich habe dich noch nie hier in Hebron gesehen«, sagt sie heiser, während rechts von ihr die Wächter die Torflügel voneinander lösen. »Woher kennst du meinen Namen?«

»Wir wissen die Namen aller Menschen, die wir kennen wollen.«

Der Klang der fremden Stimme dringt ihr tief in Brust und Bauch, die Härchen in ihrem Nacken und auf ihren Oberarmen richten sich auf. Der Fremde ist ihr nicht geheuer. Sie will einen Schritt zurückweichen, will schnell ihren Schafen und Lämmern hinterher aus dem Tor huschen, doch sie kann sich nicht bewegen. Hat sich denn ihr Stab in den breiten Fugen des Steinbodens verklemmt? Ist sie etwa festgewachsen?

»Diesen da zum Beispiel wollen wir kennen.« Der Unheimliche hebt den Arm unter seinem schwarzen Gewand, und eine haarlose Hand erscheint zwischen den Falten, feingliedrig, mit perlweißer Haut und ungewöhnlich langen Fingern. Sie deutet auf den Säbelburschen und seinen Esel. »Er heißt Joab und stammt aus der Gegend von Bethlehem. Seine Mutter heißt Zeruja, und der Zimmermann Seraja ist sein Vater. Du bist ihm nicht zum letzten Mal begegnet.«

Aus Bethlehem? Joab? Bathseba schaut zurück, und nun erinnert sie sich: Sie hat den unverschämten Burschen mit dem Silberblick tatsächlich schon einmal gesehen – vor zwei Jahren, als sie den Verwandten in Bethlehem bei der Olivenernte geholfen hat; da ist ihm noch kein Bart gewachsen.

Jetzt streitet der Flaumbart mit dem Priester und beachtet sie nicht mehr. Niemand beachtet sie noch, auch die Wächter nicht. Nur der Unbekannte in Schwarz.

»Hüte dich vor Joab«, sagt er. »Denn der Tod ist sein Begleiter, wohin er auch gehen wird. Und wir wissen, wohin er gehen wird.«

Die große weiße Hand verschwindet wieder unter dem schwarzen Gewand, der Perlhäutige hebt den Blick, und Bathseba muss blinzeln, denn ihr ist, als würde sie in die tief stehende Abendsonne schauen.

»Auch dich wollen wir kennen, Bathseba. Du bist die Tochter Eliams und die Enkelin des klugen und gütigen Ahitofels, den wir sehr gern haben.«

Angst und tiefer Schrecken ergreifen Bathseba plötzlich, und ein Zittern durchbebt sie von den Zehenspitzen bis zum Scheitel. Sie ringt nach Luft, atmet wie gegen eine kalte Barriere in der Brust. »Und du?« Kaum gehorcht ihr die Stimme noch, doch wenigstens kann sie endlich ihren Hirtenstab heben. Sie stemmt ihn zwischen sich und den Unheimlichen in den Steinboden und versucht vergeblich, den Kloß im Hals herunterzuschlucken. Ihre Hände zittern, ihr Stab bebt, nur ein Flüstern entringt sich ihrer Kehle. »Wer bist du denn?«

»Wir sind, die wir sind. Und du bist Bathseba aus Gilo. Nach dem Tod deiner Mutter hat man dich hierher nach Hebron gebracht, damit die Schwester deiner Mutter dich säuge und aufziehe.«

»Ich kenn’ dich nicht«, flüstert Bathseba und schüttelt den Kopf. »Woher weißt du das denn alles?«

»Wie an so vielen Tagen zuvor wirst du auch heute die Herde ihres Mannes aus der Stadt treiben.« Der Unheimliche geht nicht auf ihre Frage ein, redet einfach weiter. »Und draußen, zwischen den Hügeln, wirst du einem Hirten begegnen. Auch den wollen wir kennen.«

»Was?« Sie atmet tiefer, versucht ihre Angst zu beherrschen. Ihre Gestalt strafft sich, und ihre Stimme klingt nun ein wenig fester. »Aber ich treffe fast immer andere Hirten draußen auf den Weiden.«

»Wir sprechen von deinem Mann, Bathseba.«

»Von meinem Mann?« Erst stutzt sie, dann lacht sie. »Was redest du denn da für einen Unsinn? Ich hab gar keinen Mann!« In diesem Augenblick erscheint ihr der Fremde gar nicht mehr unheimlich. In diesem Augenblick glaubt sie, einen Schwätzer vor sich zu haben. Oder einen Verrückten. »Und der Mann, dem ich versprochen bin, ist auch kein Hirte, sondern ein Soldat. Mit König Saul und seinem Sohn Jonathan ist er weit fort an die Küste gezogen, um gegen die Philister zu kämpfen, weil sie uns die Bundeslade geraubt haben. Das weiß doch jeder, der Ohren am Kopf hat und den Boten zuhören kann.«

Der Fremde in der Mauernische nickt. »Seit drei Tagen belagern Uriah und die Soldaten des Königs Askalon, die Fürstenstadt der Philister.« Er antwortet mit ruhiger Stimme. »Wie sollten wir das nicht wissen? Doch wir sprechen nicht von jenem Hethiter, der in Gilo bei deinem Vater um dich geworben hat. Wir sprechen nicht von Uriah, Bathseba, wir sprechen von …«

»Weg da, Mädel!«, herrscht plötzlich der Wächter sie an.

Sie muss schnell zur Seite treten, weil er den Torflügel an ihr vorbeizerrt. Den Schwarzgewandeten in der Außenmauer würdigt er keines Blickes, verdeckt ihn und die Nische mit dem Tor. Sieht er ihn denn gar nicht?

»Du kennst auch Uriah?« Bathseba ist verwirrt, denn nur ihre engsten Verwandten wissen schon, wem ihr Vater sie versprochen hat. Sie drängt sich an dem Wächter vorbei und tritt hinter den Torflügel. »Wer hat dir verraten, dass Uriah und ich …?« Sie verstummt, denn da sitzt keiner mehr. Die Mauernische ist leer, der Unheimliche ist verschwunden.

Bathseba vergisst zu atmen. Auf einmal klopft ihr das Herz in der Kehle.

2

Hirte aus Bethlehem

Wie lange hat sie reglos gestanden, die leere Mauernische angestarrt und ihrem Herzschlag gelauscht? Bathseba weiß es nicht, als sie zusammenzuckt, weil der Wächter sie an der Schulter berührt. Verwirrt schaut sie ihn an – wie ein scheues Mädchen, das sich verlaufen hat.

»Schläfst du mit offenen Augen, Mädel?« Der Wächter schüttelt unwillig den Kopf. »Wenn du noch länger hier rumstehst, zerstreuen deine Schafe sich zwischen den Hügeln, und dann möchte ich nicht in deiner Haut stecken, wenn du ohne die Herde nach Hause kommst.«

Bathseba guckt hinter sich, guckt nach links und rechts – Männer palavern, würfeln und lachen; ein Esel schreit, der Kamelhändler zwinkert ihr zu, und sie begegnet dem lauernden Blick des Säbelburschen. Doch nirgendwo ist noch ein Schaf oder ein Lamm zu sehen. Sie stolpert zum Tor. Voller Angst und wie halb betäubt wankt sie aus der Stadt. Ihr Mund ist trocken, die tiefe Stimme des Unheimlichen tönt ihr noch im Ohr. Bei jedem Schritt muss sie sich auf ihren Hirtenstab stützen, so weich sind ihre Knie.

Was ist das gewesen?

Sie atmet schwer. Ein Tagtraum? Sie versucht, den Kloß im Hals herunterzuschlucken. Eine Erscheinung? Sie späht ängstlich hinter sich, doch niemand verfolgt sie. Was beim Allmächtigen ist das gewesen? Sie beginnt zu rennen.

Kaum weiß sie noch, wohin sie läuft, während die Stadtmauer Hebrons hinter ihr zurückbleibt. Bald holt sie die Herde ein, doch nur mit Mühe gelingt es ihr, die Schafe und Lämmer beieinanderzuhalten.

Erst als die zweite Hügelkette hinter ihr liegt, geben Angst und Verwirrung ihren Geist nach und nach frei, und sie kann wieder klare Gedanken denken. Wer ist dieser Fremde gewesen? Woher weiß er, dass ihre Mutter bei ihrer Geburt gestorben ist? Woher kennt er ihren Namen? Wer hat ihm verraten, dass sie einmal die Frau des Hethiters Uriah werden soll?

Bathseba sucht nach Erklärungen, während sie die Herde hangaufwärts treibt, und je gründlicher sie nachdenkt, desto müheloser fallen sie ihr zu.

Irgendwer in der Familie konnte wieder einmal seine Zunge nicht im Zaum halten, wahrscheinlich ihre Tante Miriam, die Schwester ihrer toten Mutter. Ist sie nicht in der ganzen Umgebung bekannt für ihr loses Maul? Und der Unbekannte in Schwarz ist ein Reisender gewesen, weiter nichts. Tauchen nicht Monat für Monat irgendwelche Boten oder Kaufleute aus Ägypten, dem Libanon oder aus Babylonien in Hebron auf? Und bestimmt ist er die schmale Treppe hinaufgestiegen, die von der Mauernische bis ganz nach oben zum Wehrturm führt. Was denn sonst? Sicherlich kommt er von der Küste – wie sonst sollte er wissen, dass Sauls Heer die Fürstenstadt Askalon belagert? Noch hat keiner der königlichen Boten, die alle drei Tage durch Hebron kommen, davon berichtet.

Die Begegnung im Tor erscheint ihr nun gar nicht mehr so unheimlich, der Schrecken verfliegt endgültig, und Bathseba spürt plötzlich Hunger und Durst. In einem Hang neben einer der vielen Höhlen hier setzt sie sich auf einen Stein, trinkt Wasser und macht sich über den ersten Brotfladen her. Schafe und Lämmer weiden ein Stück unter ihr in der Hügelmulde, wo das Gras am grünsten ist.

Nach dem Essen streckt sie sich im Hang aus, verschränkt die Arme unter dem Kopf, sieht die Wolken über sich vorüberziehen, guckt den Starenschwärmen nach, die nach Süden fliegen. Keine Spur mehr von Verwirrung und Schrecken in ihrer Brust – Bathseba ist wieder froh.

Auf einmal erhebt sich Gebrüll jenseits der Hügelkuppe. Die Tiere heben die Köpfe, stehen wie versteinert und lauschen.

Bathseba springt auf und läuft zum Hügelkamm hinauf. Dort legt sie die Hand über die Augen, blinzelt hinüber zum nächsten Hang – breitbeinig steht dort ein Mann vor einem Höhleneingang, droht mit seinem Stab, zerrt seine Steinschleuder aus der Gurttasche.

Gegen wen will er kämpfen? Und warum brüllt er wie ein Stier in Todesnot? Bathseba stockt der Atem, als sie es erkennt: Kaum zehn Schritte unter dem Brüllenden pirscht sich, tief ins gelbliche Gras geduckt, eine Löwin an ihn heran.

Eine Löwin? Bathseba blinzelt, kneift die Lider zusammen, reißt die Augen wieder auf und schaut ganz genau hin, doch es bleibt dabei – eine Löwin.

Den brüllenden Mann über der Raubkatze erkennt Bathseba an seiner Stimme, an den sonnengebräunten Gliedern und am schwarzen Lockenkopf – es ist ein Hirte aus Bethlehem, der jüngste Sohn Isais. Bei der Olivenernte in Bethlehem und bei der Weinlese in Hebron und Gilo haben sie zusammen Oliven und Weintrauben gepflückt, haben gelacht und gespielt.

Isais Sohn? Normalerweise kommt er nur zu Familienfeiern und zur Weinlese nach Hebron. Was hat der Bursche jetzt, im Frühsommer, hier in den Hügeln vor der Stadt verloren?

Das Gleiche wie sie, begreift sie, als in der Höhle hinter dem Hirten das Geblöke von Schafen laut wird. Er hat seine Schafe geweidet. Und muss nun den Eingang zur Höhle, in der er seine Herde in Sicherheit gebracht hat, gegen die Raubkatze verteidigen. Bathseba sieht sofort, dass ihm das nicht gelingen wird – nicht gelingen kann. Ein Halbwüchsiger gegen eine ausgewachsene hungrige Löwin? Er wird sterben, denn nicht einmal fliehen kann er noch!

Sie denkt nicht lange nach, packt ihren Stab, rennt den Hügel hinunter und schreit aus Leibeskräften.

Sie war noch ein kleines Mädchen, als man zuletzt Löwen im Bergland von Judäa gesehen hat. Löwen scheuen meist zurück, wenn man laut genug brüllt, hat sie damals von ihrem Vater gelernt. Es sei denn, sie sind sehr hungrig.

Die Löwin dort oben beeindruckt das Gebrüll des Hirten aus Bethlehem keineswegs. Die in Panik blökenden Schafe hinter ihm in der Höhle scheinen ihr eine zu leichte Beute zu sein. Oder hat sie es auf Menschenfleisch abgesehen? Auf den Jungen?

Im Laufen sieht Bathseba, wie dem Burschen die Schleuder aus den Fingern gleitet, wie das Raubtier sich immer näher an ihn heranschiebt. Er beschimpft es, er verflucht es, er bespuckt es, er rudert mit den Armen und stampft mit den Füßen auf. Doch die Löwin schreckt das nicht – schon duckt sie sich zum Sprung.

Bathseba läuft schneller, schreit lauter. Im Geröll vor einer Höhle stolpert sie und stürzt hin. Ihre Hand schließt sich um einen Stein, während sie sich hochstemmt. Sie rennt weiter, schreit weiter, stürmt in die Talsohle hinab.

Dort verlässt sie die Kraft. Sie bleibt stehen und schöpft Atem, denn es ist anstrengend zu schreien, während man rennt. Keuchend blickt sie zur Löwin und zum brüllenden Hirten hinauf.

»Renn weg!«, schreit der und tastet mit dem Fuß nach seiner Schleuder. »Rette dich, wenn du kannst! Mach kehrt und lauf!«

Bathseba packt den Stein, holt aus und schleudert ihn den Hang hinauf auf die Löwin. Und schreit weiter.

Der Stein trifft die Löwin nicht, prallt aber dicht neben ihrem Schwanz ins Gras, sodass die gewaltige Raubkatze auffährt und hinter sich äugt. Und Bathseba erspäht.

Und jetzt brüllt auch die Löwin. Stimmt ein Gebrüll an, das Bathseba durch alle Glieder und bis in die Knochen fährt und dessen röhrendes Echo sich an den Hängen bricht. Zugleich wirft das Raubtier sich herum und setzt in gewaltigen Sprüngen den Hügel herab.

Bathseba entgegen.

3

Langeweile

Komm mit uns, wir wollen dir eine Stadt zeigen. Schau, dort drüben hinter den Mauern auf dem Berghang, da liegt sie. Siehst du die wuchtigen Türme aufragen und ringsum die weißen Gebäude? Das ist die Königsburg. Den Berg, auf dem sie über der Stadt thront, nennen deren Bewohner Zion.

Schau nur, die vielen Häuser unterhalb der Burg! Schau, wie das Weiß ihrer flachen Dächer im Licht der Abendsonne strahlt, wie ihre krummen Reihen sich talwärts schlängeln und sich am Fuß des Hügels in seinem Schatten zusammendrängen. Siehst du die Gassen und Straßen und Plätze und das Menschengewimmel überall?

Das ist Jerusalem. Und die Bergstadt darüber, das Viertel auf dem Zion rund um die Burg, das nennen Jerusalems Bewohner die Stadt Davids.

Lass uns noch näher herangehen, komm mit. Wir wollen dir einen Mann zeigen, den wir kennen, seit man ihn aus dem Leib seiner Mutter gezogen hat. Wir wollen, dass auch du ihn kennenlernst. Dort oben auf dem höchsten und größten der flachen Dächer – schau hin! –, dort schlendert er an der Brüstung entlang. Siehst du die Harfe auf seinem Rücken? Siehst du seinen kurzen schwarzen Bart und seine langen und dichten schwarzen Locken? Schau nur, wie braun gebrannt er ist und wie sein kurzes rotes Gewand im Abendwind flattert.

Das ist der Mann, den wir meinen. Er hat diese Stadt erobert – Jerusalem. Er hat sie neu erbaut und sich diese stark befestigte Burg mit den vier Türmen und vier Toren errichtet. Das ist David, der König von Israel.

Für viele ist er ein begnadeter Sänger und Dichter, für andere ein jähzorniger Totschläger. Einige nennen ihn einen treuen Freund und zärtlichen Liebhaber, andere behaupten, er sei ein geiler Weiberheld und wilder Räuber, an dessen Händen viel zu viel Blut klebt. Für die einen ist er ein erbarmungsloser Krieger, für die anderen ein frommer und gütiger Herrscher.

Für uns ist er einfach nur ein Mensch.

Ein Mensch unter Menschen, verstehst du? Einer jedoch, den wir kennen wollen.

Schau, wie er über sein Dach schlendert, während der Himmel über ihm sich rot färbt – hin und her, hin und her. Kannst du ihn sehen? Manchmal bleibt er stehen, rührt sich lange nicht und guckt so aufmerksam in den Himmel hinauf, als wolle er das Abendrot tief in seine Seele saugen. Manchmal verharrt er an der Brüstung und lässt seinen Blick über die Dächer Jerusalems schweifen. Und jetzt – schau nur! –, jetzt zieht er die Harfe vom Rücken, zupft eine Saite, zupft eine zweite und dritte. Und nun schlägt er alle Saiten auf einmal an, und das so kraftvoll, dass man es wahrscheinlich bis hinunter zu den Brunnen im Tal hört, wo der Bach Gihon entspringt und das Volk Jerusalems sich zu versammeln pflegt.

Was macht der König da?, fragst du dich, was geht in ihm vor? Grübelt er? Schmiedet er Verse? Denkt er nach? Komponiert er ein neues Lied?

Nichts von alledem.

Er langweilt sich.

David wäre in dieser Abendstunde lieber woanders als hier in Jerusalem auf dem Dach seiner Burg. Er wäre jetzt gern an der Seite seines Waffenbruders und Feldherrn Joab, um mit ihm an der Spitze seines Heeres das Land der Ammoniter zu verwüsten und ihre Königsstadt zu erobern.

Doch Joab hat ihn nicht mitnehmen wollen auf den Frühjahrsfeldzug. »Du hast genug gekämpft«, hat er ihm erklärt, »du bist tausend Mal haarscharf am Tod vorbeigeschrammt, jetzt reicht es. Bleibe hier in der Stadt. Ein lebendiger König in Jerusalem nützt Israel mehr als ein toter Kriegsheld auf dem Schlachtfeld im Gebirge der Ammoniter.«

Also ist er geblieben.

Und jetzt langweilt er sich.

Du zweifelst? Ein König langweilt sich nicht, denkst du? Ein Sänger, ein Totschläger, ein Dichter, ein Räuber, ein Musiker, ein Verehrer der Frauen – Langeweile? Niemals!

Du täuschst dich. Pass auf, was gleich geschehen wird.

David bleibt wieder an der Brüstung stehen, diesmal an der Ostseite des Daches. Er blickt hinunter in den Hof, der an die Ostmauern seiner Burg grenzt. Sieh nur, wie seine Gestalt sich plötzlich strafft, wie er die Brauen runzelt. Er hat etwas entdeckt, das seine Langeweile von einem Augenblick auf den anderen vertrieben hat. Etwas, das du noch nicht erkennen kannst.

Wir aber wissen, was er da unten entdeckt hat, wir wissen auch, was nun geschehen wird. Und du wirst es gleich erfahren. Komm mit, lass uns so nahe wie möglich herangehen.

Der königliche Sänger hängt sich die Harfe wieder auf den Rücken, und schau nur, wie auf einmal sein Blick brennt. Jetzt beugt der Totschläger und Kriegsmann sich über die steinerne Dachbrüstung, streicht sich die schwarzen Locken aus dem Gesicht und bewegt die Lippen, als murmle er einen Namen. Hast du es gesehen? Und jetzt verharrt der fromme Herrscher reglos und späht und späht und späht.

Kann er sich denn gar nicht sattsehen?

Nein, kann er nicht.

Was um alles in der Welt mag denn seinen Blick derart fesseln, dass er wie eine steinerne Statue dasteht und nur noch schauen kann?

Die Gestalt einer Frau.

Einer badenden Frau.

Das ist es, was seinen Blick fesselt. Und es ist nicht irgendeine Frau, die dort unten im Hof badet, es ist eine Frau, die wir kennen. Auch der König kennt sie.

Auch du.

Eben noch haben wir sie im Stadttor von Hebron gesehen; eben noch haben wir sie in die Hügel des judäischen Berglandes begleitet; eben noch hat sie geschrien, hat einen Stein nach einer Löwin geworfen, damit das Raubtier von jenem Hirten aus Bethlehem ablässt. Und jetzt badet sie im Hof unterhalb der Königsburg.

Für Bathseba mögen Jahre vergangen sein seit jenem schicksalhaften Tag in den Hügeln vor Hebron, für uns nur ein Wimpernschlag. Und nicht einmal das.

Bathseba hat zu viel erlebt seitdem, um noch dieselbe sein zu können, die sie damals gewesen ist. Wir aber sind dieselben. Immer – ob im Stadttor von Hebron oder in den Bergen und Weidetriften davor, ob irgendwann und irgendwo auf der Welt oder hier und jetzt an deiner Seite über den Dächern von Jerusalem, während du mit uns den Mann an der Brüstung und die badende Frau unten im Hof beobachtest.

Für die Frau im Badezuber sind schmerzliche Jahre ins Land gegangen, seit die hungrige Löwin von dem jungen Hirten aus Bethlehem abgelassen hat, um stattdessen Jagd auf sie zu machen. Schwere und viel zu viele Jahre. Für uns, die wir nichts wissen von Zeit und die wir die Schmerzen und Freuden der Menschen nicht empfinden müssen, für uns ist das alles gerade eben geschehen.

In manchen Augenblicken, wenn Bathseba innehält und an ihr Leben zurückdenkt, geht es ihr beinahe wie uns: Eben noch rennt sie in Todesangst und mit dem Gebrüll der Löwin in den Ohren um ihr Leben, und jetzt sitzt sie schon auf dem Innenhof des Hauses ihres Mannes in einem Zuber und badet.

Was ist nur geschehen, fragst du dich?

Wir wissen, was geschehen ist, was geschehen wird und was gerade geschieht. Gerade hebt Bathseba im Badezuber den Blick und schaut hinauf zu dem Mann auf dem Dach der Königsburg.

4

Hirschsehnen

Bathseba hält den Atem an, denn der Himmel sieht aus, als würde er brennen: rote Glutnester zwischen grauen Wolken, die der Abendwind vorübertreibt wie Aschefahnen und Rauch. Ein Zeichen Gottes? Ein böses Omen?

Und unter diesem atemberaubenden Himmel sieht sie den Mann dort oben über der Dachbrüstung lehnen. Ihm zerwühlt der Abendwind die schwarzen Locken, und sein flatterndes Gewand ist rot wie der Himmelsbrand.

Bathseba glaubt, seine Augen zu erkennen, seine schwarzen, glühenden Augen. Aber das stimmt nicht – sie kann sie gar nicht sehen, viel zu groß ist die Entfernung. Doch sie kann sich diese Augen ganz genau vorstellen, denn sie hat sie nie vergessen.

Bathseba senkt den Blick, taucht den Schwamm ins Wasser und fährt fort, sich zu waschen. Schultern, Achseln, Brüste, Scham – ohne jede Eile. Sie ist zufrieden.

Ich wusste, dass du heute Abend wieder aufs Dach kommen wirst, denkt sie, ich wusste, dass du mich sehen wirst.

Nach einer Weile steigt sie aus dem Zuber, wringt ihr schwarzes Haar aus, streift sich das Wasser aus dem Gesicht, von den Brüsten, von den Gliedern. Ihre schlecht verheilten Wunden brennen, ihre blauen Flecken schmerzen noch immer. Und er schaut noch immer zu ihr herab – bewegungslos, wie gebannt. Er, der Geliebte, der Gehasste, der König.

Sie lässt sich Zeit, bis sie nach ihrer Magd ruft, steht nackt vor dem Zuber und flüstert: »Ich wusste, dass du mich erkennen wirst.«

Sie hat den König von Anfang an beobachtet, seit sie mit dem verdammten Hethiter hier neben die Burg gezogen ist, sieben Monate ungefähr ist das her. Inzwischen kennt sie seinen Tagesablauf. Morgens empfängt er wichtige Männer: Statthalter, Berater, Botschafter, Baumeister, Kämmerer, Kriegsleute. Auch der verdammte Hethiter ist ein paarmal dabei gewesen.

Um die Mittagszeit pflegt der König sich mit dem Seher zu besprechen; oder zu schlafen. Am Nachmittag zupft er seine Harfe und dichtet seine Lieder. Gegen Abend speist er mit seinen Freunden, Brüdern, Frauen, Töchtern und Söhnen. Danach geht er oft hinüber ins Frauenhaus, und dann schnürt es Bathseba jedes Mal das Herz zusammen.

Seit einigen Tagen aber steigt er Abend für Abend aufs Dach hinauf, seit sein Heer Jerusalem verlassen hat, um über den Jordan ins Land der Ammoniter zu ziehen. Bathseba hat allen Grund gehabt anzunehmen, dass er auch heute Abend dort oben seine Runden drehen wird.

Sie hat es gehofft – beim Allmächtigen, wie hat sie es gehofft!

Gestern ist der letzte Tag ihrer Monatsblutung gewesen, danach pflegt Bathseba zu baden. Alle Frauen in Israel machen das so. Diesmal hat sie den Zuber in den Hof schaffen und ihn dort mit Wasser füllen lassen. Und jetzt hat er sie gesehen. Und erkannt, daran zweifelt sie nicht.

Die Magd eilt aus dem Haus. Sie heißt Rahel, nach der Erzmutter, und sie ist so jung, wie Bathseba es gewesen ist, als sie David, den Hirten, vor der Löwin gerettet hat – kaum sechzehn Jahre alt. Als wolle sie Bathseba vor den Blicken des Königs schützen, tritt Rahel mit ausgebreitetem Tuch vor sie hin, damit sie sich damit verhüllen kann.

Bathseba schaut noch einmal zum Burgdach hinauf, während sie das Tuch an sich nimmt – der König beobachtet sie noch immer. Schließlich schreitet sie ins Haus. Langsam, ohne jede Hast und mit hoch erhobenem Haupt. Niemand soll ihr ansehen, dass sie Schmerzen hat; niemand soll merken, wie ihr Atem fliegt und wie ihr Herz klopft.

Die Sonne geht unter, die Nacht kommt. Bathseba sitzt an der Hoftür, betrachtet die Mondsichel, schlürft den Tee, den Rahel ihr gebrüht hat: Rosmarin, Beifuß, Salbei und Holunderblüten. Dass diese Kräuter die Fruchtbarkeit einer Frau erhöhen, hat sie dem jungen Mädchen noch nicht verraten.

Alles zu seiner Zeit.

In der Schlafkammer, im Licht einer Fackel, ölt Rahel ihr nach dem Tee die Wunden ein. Seit der verdammte Hethiter mit Joab in den Krieg gezogen ist, lächelt das Mädchen wieder; seit zehn Tagen. Und singt auch wieder, Gott sei Dank!

Gemeinsam singen sie das Lied vom Kalb, das zur Schlachtbank gekarrt wird, und der Schwalbe, die hoch über seiner Todesfahrt durch den Himmel segelt. Das Kalb beneidet die Schwalbe, weil sie frei ist zu fliegen, wohin sie will.

Nach dem Lied muss Rahel weinen. Sie weint oft, denn inzwischen hat sie genauso viel unter dem verdammten Hethiter zu leiden wie Bathseba. Sie hat sich noch nicht daran gewöhnt, wie eine Sklavin behandelt zu werden, wie eine Hure. Bathseba umarmt sie, streichelt sie, flüstert ihr tröstende Worte ins Ohr.

Später, als die Fackeln im Haus gelöscht sind, liegt sie wach und schaut durch die Fensteröffnung in den Sternenhimmel. Darunter zeichnen sich dunkel die Umrisse des Ostturms der Königsburg ab und die Brüstung ihres Daches. Sie denkt an den Mann, der bei Sonnenuntergang dort oben gestanden und sie beobachtet hat.

Hat sie jemals aufgehört, an ihn zu denken seit jenem schicksalhaften Tag in den Hügeln von Hebron?

Sie weiß, dass sie von ihm hören wird. Sie kennt ihn doch – was immer er haben will, nimmt er sich; welches Ziel auch immer er erreichen will, er erreicht es. Morgen wird sie von ihm hören, sie zweifelt nicht daran. Vielleicht schon in der Stunde nach Sonnenaufgang.

Und sie denkt an den verdammten Hethiter. Was für ein Glück, dass er weg ist, dass er mit dem berüchtigten Feldherrn des Königs in den Krieg gezogen ist, mit dem schrecklichen Joab. Gut möglich, dass sie mit ihrem Heer schon vor den Mauern von Rabba stehen, der Königsstadt der Ammoniter, dass sie schon Katapulte und Rammen bauen.

Bathseba schließt die Augen, beißt die Zähne zusammen und schickt ein Stoßgebet zum Allmächtigen. Vielleicht trifft Uriah diesmal ein tödlicher Pfeil, ein Schwert, ein Speer, egal was – Hauptsache, er kommt nicht zurück.

Das hofft sie jedes Mal, wenn er in den Krieg zieht, darum betet sie jedes Mal. Seit sieben Jahren. Und seit Rahel im Haus ist, seit einem Jahr, hoffen und beten sie zu zweit.

Die Abschiedsnacht ist eine Tortur gewesen. Wie viel zu viele Nächte seit der ersten mit ihm. Wie viel zu viele Tage auch, seit ihr Vater sie in das Haus des verdammten Hethiters gebracht hat.

Damals hat Uriah noch in Hebron gewohnt. Und schon damals ist er ein gefürchteter Krieger gewesen, der hohes Ansehen bei König Saul genossen hat. Auch ein reicher Mann ist er damals schon gewesen. Dreißig Rinder hat er besessen. Dazu neunzig Schafe, sieben Esel und drei Pferde. An dem Tag, an dem ihr Vater sie in sein Haus gebracht hat, ist er auch Besitzer einer Frau geworden.

Sie versucht, nicht an diese letzte Nacht zu denken, doch das will ihr nicht gelingen. Ihre Schmerzen halten die Erinnerung wach; die Schmerzen und das brennende Gefühl der Erniedrigung.

Diesmal hat er sie mit Hirschsehnen gefesselt, bevor er sie genommen hat. Und schlimmer zugeschlagen als jemals zuvor. Hat er die Sehnsucht nach David in ihrem Blick gesehen?

Bathseba hat längst aufgehört, Gott zu fragen, wofür er sie so hart bestraft. Und seit sie hier wohnen, wo die höchsten Offiziere des Königs wohnen, hat sie auch aufgehört zu grübeln. Stattdessen sucht sie nach einem Weg in die Freiheit.

Inzwischen glaubt sie, ihn gefunden zu haben.

*

Bathseba schläft unruhig in dieser Nacht, schwere Träume plagen sie. In einem hockt sie in einem Käfig. Der steht auf einem Karren, der von einem Ochsen gezogen wird. Wohin? Sie möchte schreien, doch die Angst drückt ihr die Kehle zu.

Schwalben segeln hoch über dem Käfigkarren, die zwitschern, als wollen sie Bathseba etwas sagen. Sie lauscht den nahezu menschlichen Stimmen der Schwalben, doch ihre Botschaft bleibt ihr ein Rätsel.

Der Ochse zieht den Käfigkarren zu einer Brandruine. Die hat kein Dach mehr und besteht nur noch aus drei verrußten Mauern. Mitten in den Trümmern steht ein Bett, und auf dem Bett sitzt ein Mann. Eisiger Schreck durchzuckt Bathseba, denn sie erkennt Uriah. Mit der Rechten schwingt er eine Peitsche, in der Linken baumelt ein Bündel Hirschsehnen. Er wartet auf sie.

Der Karren hält. Als sei sie eine Schwalbe, die hoch über ihm kreist, sieht Bathseba ihn auf einmal von oben, sieht auch den Ochsen und den Käfig tief unter sich. Im Käfig jedoch hockt nicht mehr sie, sondern eine Löwin.

Die mächtige Raubkatze springt von innen gegen das Gitter des Käfigs, wieder und wieder, springt so lange und so wild, dass es zersplittert. Mit einem einzigen Satz fällt die Löwin den verdammten Hethiter an, reißt ihm die Pranke über Brust, Bauch und Geschlecht, schlägt ihm die Reißzähne in den Hals.

Das Bett in der Ruine färbt sich rot, und hoch über ihm kreist Bathseba mit den Schwalben. Und lacht.

Laut lachend fährt sie aus dem Schlaf. Brennender Schmerz jedoch vertreibt schnell das grimmige Gefühl des Triumphes. Das Bild von der Löwin auf dem blutigen Bett und dem sterbenden Mann in ihren Fängen löst sich auf wie Dunst in der Morgensonne. Nur ein Traum.

Seufzend sinkt Bathseba zurück ins Kissen. Die Striemen auf dem Rücken haben sich entzündet, sie muss sich auf die Seite drehen.

Nur ein Traum …

5

Wiedersehen

Es wird geschehen, Bathseba zweifelt nicht. Sie hat gelernt zu warten. Selten begleitet ein Paukenschlag jene Ereignisse, die ein Menschenleben auf den Kopf stellen, das weiß sie; meist tippeln sie auf leisen Taubenfüßen heran.

Und wirklich: Drei Tage später geschieht es.

Es ist kurz nach Sonnenaufgang, in ihrer Schlafkammer kniet Bathseba vor einem Hocker nieder und beugt sich über ihn, damit Rahel ihr den Rücken salben kann. Der frische Duft des Wundbalsams erfüllt den Raum, und Bathseba schließt die Augen, um ihn tief einzuatmen. Zwischen zwei Atemzügen hört sie Schritte draußen auf der Gasse.

Rahel zuckt zusammen, als es kurz darauf an der Haustür klopft, Bathseba nicht.

»Ich schau nach.« Rahel stellt das Schälchen mit der Heilsalbe auf den Tisch und huscht aus der Kammer.

Bathseba hört erst die Außentür knarren und dann eine hohe Männerstimme. Sie ahnt, wer geklopft hat, schlüpft schnell in ein leinenes Unterkleid und wirft sich ein graues wollenes Gewand über die Schultern.

Rahel kommt zurück und schaut sie aus großen staunenden Augen an. »Ein Bote des Königs.«

In Bathsebas müden Zügen flackert ein Lächeln auf, ein triumphierendes Lächeln. »Hör gut zu, Rahel.« Sofort kehrt kummervoller Ernst in ihre Miene zurück. Sie fasst die Jüngere bei den Schultern und lehnt die Stirn gegen ihre. »Du hast nie einen Boten des Königs vor unserer Tür stehen sehen.«

»Ich weiß wirklich von keinem Boten des Königs vor unserer Tür«, flüstert Rahel. »Ich schwör’s.«

»Ich auch nicht.« Lächelnd streicht Bathseba der Jüngeren über die Wange. »Nun geh’, stell den Wassertopf aufs Feuer und brüh’ mir meinen Tee. Rosmarin, Beifuß, Salbei und Holunderblüten.« Sie lässt das Mädchen los und geht hinaus zu dem Mann, einem Eunuchen namens Gedor. Er steht leicht gebeugt, mit zur Schulter geneigtem Kopf und reibt sich die Hände, als wasche er sie. Dabei verzieht er den Mund zu einem gekünstelten Grinsen und entblößt seine gelblichen Zähne. »Gott segne dich, schöne Bathseba.«

Bathseba kennt den hochgewachsenen dürren Kahlkopf vom Sehen. Alle in Jerusalem kennen ihn, denn er ist der Aufseher über das Frauenhaus des Königs, und oft sieht man ihn mit den Frauen auf dem Markt, im Tor oder vor dem Tempelzelt. »Was willst du?«

Überrascht von ihrer Schroffheit hört Gedor auf, sich die Hände zu reiben. Als verblüffe ihn Bathsebas Frage, zieht er kurz die Brauen hoch. Doch sofort fängt er sich wieder, deutet lächelnd eine Verbeugung an und sagt: »Der König will dich sehen, schöne Bathseba. Heute Nachmittag, wenn der Seher gegangen ist, wartet er in seinem Gemach auf dich.«

Obwohl sie eine Botschaft dieser Art erwartet hat, machen Gedors Worte sie wütend – als könne er über sie verfügen, lässt David sie zu sich rufen! Ist sie denn eine Sklavin?

Eine Zeit lang blickt Bathseba dem dürren Eunuchen ins bartlose Gesicht. Sie mag sein falsches Lächeln nicht, seine hohe krähende Stimme stößt sie ab und sein blaues mit goldenen Sternen besticktes und von seinen spitzen Knochen ausgebeultes Gewand kommt ihr lächerlich vor.

Je länger sie den Eunuchen anguckt, desto enger rücken dessen Augenbrauen zusammen. Das Lächeln will ihm nun nicht mehr recht gelingen.

»Ich werde darüber nachdenken«, sagt Bathseba endlich. »Komme morgen wieder, dann wirst du meine Antwort hören.«

»Aber …!« Fassungslos hebt der Eunuch die Arme, sein langes hohlwangiges Gesicht ist aschfahl geworden. »Aber es ist der König, der dich rufen lässt!«

»Ich weiß schon. Wiederhole, was du ihm auszurichten hast.«

»Bitte …?« Gedors Stimme bricht.

»Du sollst die Botschaft wiederholen, die ich dir aufgetragen habe. Ich will sicher sein, dass du mich richtig verstanden hast.«

Der Eunuch räuspert sich ein paarmal, bevor er gehorcht. Stockend gibt er dann Bathsebas Worte wieder, und sein kleiner Adamsapfel tanzt dabei auf und ab, als würde ein Küken in seinem dünnen Hals stecken und mit dem Köpfchen zucken. Gedor ist so bestürzt, dass er beinahe über seine langen Beine stolpert, als er die Gasse hinunter zurück zum Burgtor eilt.

Bathseba schließt die Tür, lehnt vorsichtig den wunden Rücken dagegen und saugt scharf die Luft durch die Nase ein. Es ist ihr schwergefallen, Davids Aufforderung erst einmal zurückzuweisen, sehr schwer, doch nun ist sie stolz auf sich.

Sie weiß, dass David toben wird; sie kennt ja seinen Jähzorn. Sie lächelt, denn die Vorstellung, dass er bald einen Tisch umtreten und Krüge an der Wand zerschmettern wird, gefällt ihr gut.

Am nächsten Morgen steht der Eunuch wieder vor der Tür. Die Nachricht des Königs klingt unerwartet freundlich: Er würde sich freuen, Bathseba am Nachmittag auf dem Dach zu einem Becher Wein und einer Schale Feigen begrüßen zu dürfen.

»Ich werde kommen.« Bathseba lässt sich ihre Genugtuung nicht anmerken. »Morgen oder übermorgen.«

Dem Boten sinkt die Kinnlade herunter. »Aber der König …«

»Wahrscheinlich am Abend«, schneidet Bathseba ihm das Wort ab. »Den Tag und die genaue Stunde werde ich ihn noch wissen lassen. Richte ihm das aus, Gedor.«

Der Eunuch wiederholt die Botschaft mit heiserer Stimme und ohne Bathseba dabei in die Augen zu schauen. Danach dreht er sich abrupt um und stelzt grußlos davon.

Sieben weitere Tage hält Bathseba den König hin. In der Nacht auf den achten träumt sie erneut von der Löwin. Diesmal bringt der Ochsenkarren sie in keine Ruine, sondern in die Burg von Jerusalem. Auf dem Dach über dem Burghof steht der König und wartet.

Mit einer leichten Berührung ihrer Tatze stößt die Löwin die Käfigtür auf und springt in den Hof. Mit würdevoll erhobenem Kopf stolziert die Raubkatze zum Burgportal. Auf halbem Weg erkennt Bathseba, dass der König auf die Brüstung des Daches geklettert ist. Er ist nackt. Und er lässt seine Schleuder kreisen, mit der er auf die Löwin zielt.

Schweißgebadet fährt Bathseba aus dem Schlaf. Ihr Herz pocht wie verrückt.

Als sie zwei Tage später morgens aufwacht, ist ihr heiß. Sie tastet ihre leicht gespannten Brüste ab und spürt: Sie hat ihre fruchtbaren Tage.