Die Madonna im Pelzmantel - Sabahattin Ali - E-Book

Die Madonna im Pelzmantel E-Book

Sabahattin Ali

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Beschreibung

In Ankara kennt man Raif Efendi als duldsamen Mann, der weder die Eskapaden seiner Töchter noch die Verleumdungen am Arbeitsplatz meistert. Kaum jemand ahnt, wer sich hinter der Maske stummen Gleichmuts verbirgt. Ein eng beschriebenes Schulheft lüftet endlich sein Geheimnis. Die Aufzeichnungen führen in das Berlin der zwanziger Jahre. Arbeiter und Bohemiens heben in miefigenAbsteigen die Gläser auf eine ungewisse Zukunft, und eine geheimnisvolle junge Malerin - die »Madonna im Pelzmantel« - kreuzt wie zufällig Raifs Wege. Als er sie eines Abends in einem Nachtklub wieder trifft, weiß er, dass ihrer beider Schicksal untrennbar verwoben ist. Eine hinreißende deutsch-türkische Liebesgeschichte und eine Ode an das Berlin der wilden Zwanziger.

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Seitenzahl: 297

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SABAHATTIN ALI

DIE MADONNA IM PELZMANTEL

Roman

Aus dem Türkischen von Ute Birgi-Knellessen

DÖRLEMANN

Die türkische Originalausgabe erschien unter dem Titel »Kürk Mantolu Madonna« 1943 bei Remzi Kitabevi, Istanbul. Der Roman erschien zwischen dem 18. Dezember 1940 und dem 8. Februar 1941 in Fortsetzungen in der Zeitung Hakikat. Der vorliegende Text folgt der kritischen Ausgabe Sabahattin Ali:Bütün Romanlari (Alle seine Romane), erschienen bei Yapi Kredi Yayinlari 2004, S. 713–874. Die Übersetzung des vorliegenden Romans wurde im Rahmen des TEDA-Projekts vom türkischen Ministerium für Kultur und Tourismus gefördert. Übersetzerin und Verlag bedanken sich hierfür. eBook-Ausgabe 2014 Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten Copyright © 1943 Sabahattin Ali Copyright © 2008 Dörlemann Verlag AG, Zürich Umschlaggestaltung: Mike Bierwolf Satz und E-Book-Umsetzung: Dörlemann Satz, Lemförde ISBN 978-3-908778-40-0www.doerlemann.com

Unter allen Menschen, die meinen bisherigen Lebensweg kreuzten, hat einer mich ganz besonders beeindruckt. Und obwohl seit unserer ersten Begegnung Monate vergangen sind, hält dieser starke Eindruck unvermindert an. Wann immer ich mit mir allein bin, taucht in aller Lebendigkeit das offene Gesicht des RaifEfendi vor mir auf, mit seinen etwas weltfremd dreinblickenden Augen, die jedoch immer sofort zu einem Lächeln bereit waren, sobald sie auf einen Menschen fielen. Dabei war Raif Efendi keineswegs außergewöhnlich, vielmehr gehörte er zu jenen ganz normalen Sterblichen ohne herausragende Eigenschaften, wie sie uns täglich zu Hunderten begegnen und denen wir kaum einen Blick schenken. Mit Sicherheit gab es in keiner der uns mehr oder weniger bekannten Facetten seines Lebens irgendwelche besonderen Umstände, die unsere Neugierde hätten wecken können. Beim Anblick solcher Zeitgenossen fragen wir uns oft: »Wozu leben sie überhaupt? Welches Ziel verfolgen sie in ihrem Dasein? Wo liegt die Logik oder der tiefere Sinn, der ihnen befiehlt, auf dieser Erde zu wandeln?« Doch bei derartigen Überlegungen sehen wir eben nur das Äußere jener Menschen. Es kommt uns gar nicht in den Sinn, dass auch sie einen Kopf mit sich herumtragen, in welchem, ob sie es wollen oder nicht, ein zum ständigen Funktionieren verurteiltes Hirn liegt, das ihnen ihr ganz eigenes Bewusstsein gibt. Wenn wir, statt diesen für uns undurchschaubaren Individuen jegliches Seelenleben abzusprechen, auch nur ein wenig neugierig wären und ihre verborgene Innenwelt zu erforschen versuchten, würden wir sehr wahrscheinlich auf überraschende Dinge, ja unerwartete Schätze stoßen. Doch der Mensch zieht es offensichtlich vor, auf bekanntem Terrain zu forschen. In einen Brunnen hinabzusteigen, von dem alle wissen, dass er von einem Ungeheuer bewohnt wird, setzt ja viel weniger Mut voraus, als wenn der Held keine Ahnung hat von dem, was ihn dort unten erwartet. Und so ist es eigentlich nur dem Zufall zu verdanken, dass ich Raif Efendi dann doch noch besser kennenlernte.

Nachdem ich meinen Posten als kleiner Beamter in einer Bank verloren hatte– ich weiß immer noch nicht, weshalb ich entlassen wurde; man hatte mir etwas von Sparmaßnahmen erzählt, doch war eine Woche später meine Stelle wieder besetzt–, suchte ich in Ankara lange Zeit nach einer neuen Beschäftigung. Meine geringen Ersparnisse gestatteten mir, die Sommermonate ohne allzu große Entbehrungen hinter mich zu bringen. Der nahende Winter jedoch machte mir zwingend klar, dass es bald ein Ende haben musste mit meinen Übernachtungen auf den Sofas meiner Freunde. Ich hatte nicht einmal mehr genügend Geld, um meine in Kürze ablaufende Essenskarte fürs Restaurant zu erneuern. In vollem Bewusstsein, dass doch nichts dabei herauskäme, ging ich zu unzähligen Vorstellungsgesprächen. Trotzdem war ich stets sehr betrübt, wenn diese dann tatsächlich mit einem abschlägigen Bescheid endeten. Und als ich von einem Geschäft, bei dem ich mich– ohne Wissen meiner Freunde– für einen Verkäuferposten beworben hatte, eine ablehnende Antwort erhielt, lief ich ganz verzweifelt bis in die späten Nachtstunden durch die Straßen der Stadt. Selbst bei den stets gut begossenen Abendessen, zu denen ich hin und wieder von Bekannten eingeladen wurde, gelang es mir nicht, meine hoffnungslose Lage zu vergessen. Eigenartigerweise nahm, im gleichen Maße wie meine Not– wusste ich doch oft nicht, wovon ich am nächsten Tag leben sollte–, auch meine Zurückhaltung und Schüchternheit zu. Begegnete ich Bekannten, die ich früher um ihre Unterstützung bei meiner Arbeitssuche gebeten hatte und die mir durchaus freundlich entgegengekommen waren, so senkte ich nun den Kopf und lief eilig an ihnen vorbei. Auch gegenüber meinen Freunden, von denen ich mir bisher doch immer ohne Scheu Geld ausgeliehen oder mich zum Essen hatte einladen lassen, war mein Verhalten von Grund auf verändert. Fragten sie mich: »Wie geht’s denn so?« antwortete ich mit einem einfältigen Lächeln: »Soweit ganz gut. Ich finde immer wieder einmal eine Stelle auf Zeit!« und lief eilig davon. Je mehr ich die Menschen brauchte, desto größer wurde mein Drang, sie zu meiden.

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