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Als ich ein Kind war, hatte ich oft Langeweile. Ich hatte nur eine Freundin. Margot war oft krank und dann mußte ich mich allein beschäftigen.
Nicht weit von unserem Haus war ein kleiner Wald und mitten darin stand ein kleines Schlösschen mit einem großen Turm. Die Leute hier nannten es "das Waldschlösschen". ...
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Veröffentlichungsjahr: 2020
Das Waldschlösschen
Als ich ein Kind war, hatte ich oft Langeweile. Ich hatte nur eine Freundin. Margot war oft krank und dann mußte ich mich allein beschäftigen.
Nicht weit von unserem Haus war ein kleiner Wald und mitten darin stand ein kleines Schlösschen mit einem großen Turm. Die Leute hier nannten es "das Waldschlösschen".
Die Kinder glaubten, dass es ein Hexenhaus sei und die alte Frau die darin wohnte sei eine Hexe. Wir Kinder gingen immer in kleinen Gruppen in das Wäldchen um im Mai Maikäfer zu fangen . Im Herbst sammelten wir Kastanien und Eicheln die brachten wir dann zum Förster.
Nun hatten wir Sommerferien und meine Feundin war wieder einmal zur Kur, da fasste ich den Entschluß einen Ausflug zu diesem Wäldchen zu machen. Ich wollte das Geheimnis erforschen und leise um das Waldschlösschen schleichen. "Darf ich zum Waldschlösschen gehen?" fragte ich meine Mutter nach dem Mittagessen. Sie hatte nichts dagegen, deshalb machte ich mich gleich auf den Weg.
Der Weg war nicht weit, aber er kam mir endlos vor. An der linken Straßenseite standen die Strommasten und ich bildete mir ein sie summten: "gleich kommt die Hexe".
Inzwischen war ich bei den ersten Bäumen angelangt und das Waldschlösschen lag nun genau vor mir.
In diesem Augenblick wurde die Haustür von innen langsam geöffnet und eine alte Frau mit einem Krückstock kam aus dem Haus. Ich spürte wie sich meine Haare sträubten und mir lief es vor lauter Angst kalt über den Rücken Da merkte ich, dass ich keinen Schritt weiter laufen konnte, meine Füße waren wie Blei und meine Knie zitterten.
"Komm näher zu mir, Anne" sagte sie freundlich.
"Ach du lieber Gott" dachte ich, "sie kennt mich und sie hat auf mich gewartet." Ich versuchte wegzulaufen, aber dann sah ich in ihre freundlichen Augen. Also ging ich zögernd auf sie zu. Die Frau kam jetzt die Stufen herunter und setzte sich auf die Bank neben ihrem Haus.
"Komm, setz dich zu mir" sagte sie sanft. "Du mußt keine Angst haben, ich werde dir ein Märchen erzählen, bevor du wieder nach Hause gehst."
Zaghaft setzte ich mich zu ihr auf die Bank und sie erzählte mir das Märchen von Mettwürstchen und Mäuschen. Als das Märchen zu Ende war begleitete sie mich noch bis zur Straße. "Du kannst mich besuchen sooft du willst," sagte sie zum Abschied zu mir und sie winkte mir lange nach.
Tatsächlich habe ich sie noch sehr oft besucht und sie hat mir noch viele Märchen erzählt, die in keinem Märchenbuch zu lesen waren. Eines Tages sagte sie zu mir: "Du bist jetzt zu alt dir Märchen erzählen zu lassen. Es ist an der Zeit dass du die Geschichten weiter erzählst, damit sie nicht ganz vergessen werden."
An diesem Abend gab sie mir ein Schächtelchen. "Heb es gut auf, du wirst es sicher einmal brauchen." Ich warf einen Blick in die Schachtel. "Was ist das?" fragte ich. Die Märchenfrau lächelte und sagte "ein Fernglas und eine rosarote Brille. Durch die Brille sieht alles viel freundlicher aus und aus der Ferne betrachtet sieht auch der hässlichste Vogel schön aus." Sie winkte mir nach wie jedesmal als ich die Straße hinabging.
Ich hatte den Eindruck, dass sie müde war.
Etwa 20 Jahre später kam ich mit meinen beiden jüngsten Töchtern wieder zu Besuch in die Stadt. Wir machten einen Spaziergang zum Waldschlösschen. Keine Spur von der Märchenfrau, das Haus sah verlassen aus, nur die alte Bank stand immer noch an der gleichen Stelle. Ich konnte es nicht bleiben lassen und setzte mich darauf. "Setzt euch zu mir," sagte ich zu meinen Töchtern, " ich werde euch ein Märchen erzählen."
Dann erzählte ich ihnen die Geschichte von Mettwürstchen und Mäuschen.