Die Märkte von morgen - O´Neill Jim - E-Book

Die Märkte von morgen E-Book

O´Neill Jim

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Beschreibung

Vor 10 Jahren hat Jim O'Neill eine gewagte Prognose aufgestellt: Die vier Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien und China würden binnen weniger Jahrzehnte die größten westlichen Volkswirtschaften hinter sich lassen – die Geburtsstunde der BRICs. Das Konzept hat sich etabliert. Seit "Erfindung" der BRICs haben sich die Voraussagen mehr als bewahrheitet: In den vergangenen 10 Jahren sind alle vier Länder signifikant gewachsen und zählen heute bereits zu den zehn größten Volkswirtschaften der Welt. Und die Erfolgsstory geht weiter: Warum die BRIC-Staaten nicht CRIPs oder BICs heißen, welchen Einfluss Faktoren wie BIP, Demografie, Währung und Regierungspolitik haben, wie die Zukunft dieser Länder aussehen könnte, welche Faktoren bei Investments in die neuen Wachstumsmärkte der Weltwirtschaft beachtet werden sollten und welche Folgen die Entwicklung dieser Länder auch für Deutschland hat – all diese Fragen beantwortet der "Erfinder" der BRICs in diesem Buch.

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Seitenzahl: 339

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

1. Auflage 2012

© 2012 FinanzBuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86 D-80636 München Tel.: 089 651285-0 Fax: 089 652096

Copyright © Jim O´Neill, 2011. All rights reserved.

The moral right of the author has been asserted.

First published in Great Britain in the English language by Penguin Books Ltd.

Die Originalausgabe erschien 2011 unter dem Titel »The Growth Map – Economic Opportunity in the BRICs and Beyond« bei Penguin Books Ltd. All rights reserved.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Die im Buch veröffentlichten Ratschläge wurden von Verfasser und Verlag sorgfältig erarbeitet und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Ebenso ist die Haftung des Verfassers beziehungsweise des Verlages und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ausgeschlossen.

Übersetzung: Horst Fugger

Lektorat: Marion Reuter

Satz: HJR, Jürgen Echter, Landsberg am Lech

Epub: Grafikstudio Foerster, Belgern

ISBN 978-3-86248-240-5

Weitere Infos zum Thema

www.finanzbuchverlag.de

Für meine Familie

Inhaltsverzeichnis

Einführung: Verwegenes Wachstum

1 Die Geburtsstunde der BRICs

2 Von »Emerging Markets« zu entwickelten Volkswirtschaften

3 Die BRICs nehmen Fahrt auf

4 Die neuen Wachstumsmärkte

5 Gibt es genug Ressourcen?

6 Konsum

7 Neue Verbündete

8 Eine neue Weltordnung

9 Investieren und prosperieren

Schlussfolgerung: Eine bessere Welt

Danksagung

Einführung: Verwegenes Wachstum

Im Frühling 2008 buchte ich für meine Frau ein Überraschungsgeschenk zum 25. Hochzeitstag: eine Trekkingtour bis zum Basislager am Mount Everest im Himalaja-Gebirge. Ich hatte die Reise für den Oktober gebucht. Drei Wochen vor unserem Abreisetermin erklärte sich Lehman Brothers, die viertgrößte Bank in den USA, für insolvent. Das löste eine weltweite Finanzkrise aus.

Damals war ich noch Chefvolkswirt in der Londoner Niederlassung von Goldman Sachs, einer anderen führenden amerikanischen Investmentbank. Ich war hin- und hergerissen. Sollte ich die Reise trotzdem unternehmen? Damit wäre ich nicht nur zwei Wochen nicht in meinem Büro, sondern auch praktisch nicht zu erreichen. Und dies vor dem Hintergrund, dass die Welt der Finanzen zu kollabieren schien. Nach reichlicher Überlegung entschloss ich mich für die Reise. Würde ich auf den Tag warten, an dem es auf der Welt keine Krise gäbe, könnte ich niemals Urlaub nehmen. Und ich brauchte diese Auszeit. In den Wochen zuvor hatte ich pausenlos gearbeitet, auch an den Wochenenden. Wenn ich im Büro bliebe, würde das die Krise auch nicht lösen. Aber die Reise würde mir Zeit geben, um weit weg von all dem Lärm nachdenken zu können.

Auf dem Weg zum Mount Everest verbrachten wir eine Nacht in der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu und warteten auf den haarsträubenden Flug zum Tenzing-Hillary Airport in Lukla. Beim Abendessen waren wir die einzigen Gäste im Restaurant, und daher hatte der Oberkellner Zeit, mit uns zu plaudern. Irgendwann erwähnte er die weltweite »Kreditkrise«. Für uns Menschen aus dem Westen ging es bei dieser Krise darum, dass man plötzlich keine Kredite mehr bekam. Aber in Nepal, wo so viele Geschäfte durch Barzahlung oder im Tauschhandel abgewickelt werden, spielte dies keine Rolle. Was unserem gesprächigen Oberkellner Sorgen machte, war der unaufhörliche Anstieg der Energiepreise. Zahlungsausfälle bei minderwertigen Hypotheken interessierten in Kathmandu niemanden, aber die Benzinpreise waren definitiv ein Thema.

Als er so redete, dämmerte mir allmählich, dass seine Sorgen sicherlich auch die Sorgen der Menschen in China und Indien waren. Sollte der Ölpreis wieder auf sein früheres Niveau sinken, wäre diese Krise, die wir alle für »global« hielten, in keiner Weise global, sondern ausschließlich eine Angelegenheit der westlichen Länder. Für diese Einsicht schulde ich diesem Oberkellner einen großen Drink.

Auf dem Weg zum Basislager des Mount Everest erreichten wir eine kleine Stadt namens Namche Bazaar. Sie liegt am Rand einer Hochebene, etwa 3.800 Meter über Meereshöhe. Auf dem Markt dieser Stadt versorgen sich die vielen Bergsteiger, die den Everest bezwingen wollen, und auch alle ortsansässigen Händler. Tibetanische Kaufleute führen ihre Yaks und Esel über die hohen und bedrohlichen Gebirgspässe, um ihre Waren zum Markt zu bringen. Ich hatte schon viel über diese wagemutigen Händler gelesen, aber es fiel mir schwer, diese Geschichten zu glauben. Dann stellte ich jedoch fest, dass sie nicht nur den langen und beschwerlichen Weg nach Namche Bazaar auf sich nahmen, sondern auch Informationen über die Marktsituation austauschten – und zwar mit Mobiltelefonen. Das erstaunte mich. Diese Händler telefonierten hoch in den Bergen des Himalaja-Massivs über ein chinesisches Netz miteinander, während ich nicht einmal in vielen Teilen Großbritanniens ein Signal bekam.

In einem der letzten Zeitungsartikel, die ich vor meiner Abreise aus London gelesen hatte, wurde behauptet, die Globalisierung wäre nun vollendet. Aber hier, hoch im Himalaja, konnte ich beobachten, dass eines der großartigsten modernen Werkzeuge des Handels von Menschen verwendet wurde, die man auf den ersten Blick wohl als primitiv bezeichnet hätte. Das war ein sehr überzeugendes Beispiel dafür, dass die Globalisierung noch voll im Gang war. Damals wurde mir klar, wie engstirnig manche von uns sein können.

2001 schrieb ich für die Global-Economics-Reihe von Goldman Sachs eine Forschungsarbeit, in der es um das Verhältnis der führenden Volkswirtschaften der Welt zu einigen der größeren Volkswirtschaften aus den aufstrebenden Ländern ging.1

Ich dachte, die Weltwirtschaft würde in den kommenden Jahrzehnten durch das Wachstum von vier bevölkerungsreichen und wirtschaftlich ehrgeizigen Ländern beflügelt werden: Brasilien, Russland, Indien und China. Aus den Anfangsbuchstaben dieser Länder prägte ich das Akronym BRIC, um sie zu beschreiben.

Allein aufgrund dieser Bezeichnung hat sich meine Karriere seither stark verändert. Schon damals sah ich diese vier Volkswirtschaften nicht mehr als traditionelle »Emerging Markets«. Nun, zehn Jahre später, ist es mir sogar noch wichtiger, die Welt davon zu überzeugen, dass diese Länder, neben einigen anderen aufsteigenden Sternen, heute und in Zukunft die Wachstumsmaschinen der Weltwirtschaft sein werden.

Als im September 2008 die Kreditkrise ausbrach, prognostizierten viele, die BRIC-Story wäre vorbei. Es gab Situationen, in denen ich mir ähnliche Sorgen machte. Unmittelbar nach der Krise fielen die Aktienmärkte der BRIC-Staaten stärker als die der etablierten Industriestaaten, und es sah so aus, als könnte der weltweite Handel auf Dauer beschädigt werden. Diese Befürchtungen erwiesen sich natürlich als vollkommen unbegründet. In gewisser Hinsicht wurde die BRIC-These damals wirklich erwachsen. Sie widerstand den Erschütterungen der Fundamente der Weltwirtschaft und ging stärker denn je aus ihnen hervor.

Meine Studie sorgte bei ihrem Erscheinen nicht für sofortiges Aufsehen, und meine wichtigsten Argumente hielt man damals nicht für allzu tiefschürfend. Auf der Basis meiner Analyse der weltweiten Bruttoinlandsprodukte schrieb ich, dass Brasilien, Russland, China und Indien, auf die damals 8 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung entfielen, im folgenden Jahrzehnt einen weitaus höheren Anteil erreichen würden. Ich bemerkte, dass China bereits ein höheres Bruttoinlandsprodukt (BIP) erreicht hatte als Italien – ein unumstrittenes Mitglied der G7-Gruppe der wirtschaftlichen Supermächte, und dass China im Lauf des Jahrzehnts auch noch eine Reihe anderer G7-Staaten überholen würde. Ich prognostizierte, dass in den kommenden zehn Jahren der Anteil der BRIC-Staaten – vor allem Chinas – am weltweiten BIP markant steigen würde. Die Welt würde darauf achten müssen.

Ich prognostizierte, dass Brasilien – unter höchst vorteilhaften, damals aber auch äußerst unwahrscheinlichen Umständen – sein BIP bis 2011 auf ein Niveau »nicht weit hinter Italien« steigern könnte. Das BIP Brasiliens überstieg das BIP Italiens im Jahr 2010. Brasilien wurde zur siebtgrößten Volkswirtschaft der Welt und erreichte ein BIP von etwa 2,1 Billionen US-Dollar.

Die drei anderen BRIC-Staaten verzeichneten ähnlich beeindruckende Fortschritte. Ein Beispiel: In den ersten beiden Monaten des Jahres 2011 erfuhren wir, dass China Japan als zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt überholt hatte. IndiGO, eine kaum bekannte indische Niedrigpreis-Fluggesellschaft, hatte 180 Flugzeuge vom Typ A320 bestellt. Damit erreichte sie zwei Drittel der Größe der in Europa seit Langem etablierten Fluggesellschaft easyJet. Und Russland wurde zum größten Automarkt Europas.

Alle vier BRIC-Länder haben die Erwartungen übertroffen, die ich 2001 in sie gesetzt hatte. Im Rückblick sehen diese frühesten Prognosen, obwohl sie damals viele Leute geschockt haben, heute ziemlich konservativ aus. Die BIPs der BRIC-Länder haben sich seit 2001 fast vervierfacht, von etwa 3 auf 11 bis 12 Billionen US-Dollar. Das weltweite Wirtschaftswachstum hat sich seit 2001 verdoppelt, und ein Drittel dieses Wachstums kam aus den BRIC-Staaten. Ihre kombinierten BIPs wuchsen mehr als doppelt so stark wie das BIP der USA. Das war so, als wären in einem einzigen Jahrzehnt ein neues Japan und ein neues Deutschland oder fünf Vereinigte Königreiche geschaffen worden.

Manche Beobachter sagen, die Auswirkungen der BRIC-Staaten auf die Weltwirtschaft wären übertrieben dargestellt worden, weil ihr Wachstum hauptsächlich durch Exporte in die etablierten Industrieländer und durch steigende Rohstoffpreise verursacht worden wäre. Für China spielten die Exporte natürlich eine bedeutende Rolle, aber seit der Kreditkrise 2008 und dem darauf folgenden Rückgang der Nachfrage in den USA und in anderen Ländern ist dies nicht mehr der Fall. In Indien war die Binnennachfrage im vergangenen Jahrzehnt der bedeutendste Faktor der wirtschaftlichen Entwicklung. Die wesentlichen Wachstumsfaktoren in den BRIC-Ländern sind immer mehr die inländischen Konsumenten sowie der Anstieg der Ausgaben für Infrastruktur. Das durch Kredite angeheizte Wachstum der Nachfrage in den USA spielte für den Aufstieg der BRIC-Volkswirtschaften mit Sicherheit eine Rolle. Aber sogar seit 2008, und trotz der anhaltenden Probleme in den USA, sind die BRIC-Volkswirtschaften weiter gewachsen.

Man kann die Daten interpretieren, wie man will: Die Bedeutung der BRIC-Staaten für die Weltwirtschaft ist unbestritten. Der persönliche Konsum in den BRIC-Staaten ist in die Höhe geschossen. Zwischen 2001 und 2010 sind die inländischen Ausgaben in China um etwa 1,5 Billionen US-Dollar gestiegen. Das entspricht ungefähr der Wirtschaftsleistung des Vereinigten Königreichs. In den drei anderen Ländern war das Wachstum ähnlich, vielleicht sogar noch ein wenig höher. Auf die BRIC-Länder entfallen mittlerweile etwa 20 Prozent des Welthandels, während es 2001 noch weniger als 10 Prozent waren. Der Handel zwischen den BRIC-Staaten ist viel schneller gewachsen als der Welthandel insgesamt.

Angesichts der Erfolge der BRIC-Staaten kann es kaum überraschen, dass nun viele andere Länder den Ehrgeiz haben, die »neuen« BRICs zu werden. Ich habe Freunde aus Indonesien, die mir ständig damit auf die Nerven gehen, aus BRIC BRICI zu machen. Mexikanische Politiker sagen mir, eigentlich müsse es BRICM heißen. In der Türkei wünscht man sich die Bezeichnung BRICT.

2003 veröffentlichten Dominic Wilson und Roopa Purushothaman, meine Kollegen bei Goldman Sachs, eine Nachfolgestudie mit dem Titel »Dreaming with BRICs: The Path to 2050«. Sie führten damit meine ursprüngliche Studie bis zur Mitte des Jahrhunderts fort.2 Sie schrieben, China könnte bis 2035 die USA als größte Volkswirtschaft der Welt überholen. Und die Volkswirtschaften der vier BRIC-Staaten könnten größer werden als die der G7.

Diese Studie erregte einige Aufmerksamkeit, obwohl sie von vielen Lesern als reichlich fantasievoll wahrgenommen wurde. Spätere Untersuchungen zeigten allerdings, dass dies überhaupt nicht der Fall war. Chinas Wirtschaftsleistung – sein Bruttoinlandsprodukt – könnte bereits 2027 jener der USA entsprechen – und vielleicht sogar schon früher. Seit 2001 hat sich das BIP Chinas von 1,5 auf 6 Billionen US-Dollar vervierfacht. Nach volkswirtschaftlichen Kriterien könnte man also sagen, dass China innerhalb eines Jahrzehnts drei neue Chinas geschaffen hat. Und mit hoher Wahrscheinlichkeit werden die kombinierten BIPs der vier BRIC-Nationen noch vor 2020 das BIP der USA übertreffen.

2005 untersuchte mein Team bei Goldman Sachs, welche anderen Länder den BRICs folgen könnten. Wir einigten uns auf eine Gruppe, die wir »Next Eleven« nannten, oder kurz »N-11«: Bangladesch, Ägypten, Indonesien, der Iran, Südkorea, Mexiko, Nigeria, Pakistan, die Philippinen, die Türkei und Vietnam. Wir trauten zwar keinem der N-11-Länder ein Wachstumspotenzial wie den BRIC-Nationen zu, aber wir prognostizierten, dass Mexiko und Südkorea für die Weltwirtschaft fast ebenso bedeutend werden könnten wie die BRICs.3

Ebenso wie bei den BRICs war ich erstaunt, wie rasch und umfassend das N-11-Konzept angenommen wurde. Es wurde zu einem wichtigen, von Investoren und Politikern zur Interpretation der Veränderungen der Weltwirtschaft verwendeten Begriff. Solche Begriffe sind wegen der Geschwindigkeit und des Ausmaßes dieser Veränderungen heute wichtiger als je zuvor. Die BRICs und die N-11-Nationen erklären zwar nicht alles, aber sie haben nützliche und dauerhafte Modelle geliefert, die das Verständnis erleichtert haben, was in der Weltwirtschaft und an den Märkten vor sich geht.

Anfang 2011 wurde mir klar, dass man die Bezeichnung »Emerging Markets« auf die BRICs sowie die vier N-11-Länder Indonesien, Südkorea, Mexiko und die Türkei nicht mehr länger anwenden konnte. Diese Nationen weisen heute größtenteils eine gesunde Staatsverschuldung, solide Handelsnetze und eine enorme Anzahl von Menschen auf, die auf der Wohlstandsleiter nach oben klettern. Wenn Investoren das Ausmaß der Chancen in diesen Ländern verstehen wollen und wenn Politiker begreifen wollen, was sich in der Welt verändert, dann müssen sie diese Nationen von den traditionellen »Emerging Markets« unterscheiden. Ich kam zu dem Entschluss, dass »Growth Markets«, also »Wachstumsmärkte«, eine treffendere Bezeichnung wäre.

Allerdings sollte die Popularität einer so einfachen Kategorisierung schon eine Warnung sein. 1977, als ich kurz vor dem Abschluss meines Studiums der Wirtschafts- und Finanzwissenschaften stand, meinte mein Professor, ich sollte in Wirtschaftswissenschaften promovieren. Er sagte, ich könnte an der University of Surrey ein Stipendium erhalten. Ich nahm das Angebot an und erlebte eine spannende Zeit.

Man schrieb das Jahr 1979, und die Revolution im Iran hatte gerade eine zweite Ölkrise ausgelöst. Daher schien es mir interessant, mein Wissen über monetäre Ökonomie auf die Ölproduzenten in der OPEC und ihre Investitionen anzuwenden. In den beiden folgenden Jahren beschäftigte ich mich intensiv mit Theorien zu Ölpreisen, Kartellen und der internationalen Investition von Kapital. Im Gespräch mit anderen Ökonomen mache ich oft den Scherz, die einzige Lehre aus meinem Doktorandenstudium sei es gewesen, nicht den Verstand zu verlieren. Es war schon eine Herausforderung, endlose Stunden und Tage allein in einem Computerraum oder in der Bibliothek zu sitzen, um die definitive Antwort auf die Frage zu finden, wie die OPEC ihre Überschüsse investieren sollte. Aber diese Arbeit zwang mich zur Feststellung, dass die Ökonomie zu den Sozialwissenschaften gehört. In der Ökonomie gibt es keine Sicherheit. Was als akzeptierte Ansicht durchgeht, ist oft nicht mehr als ein fauler Konsens und übermäßiges Vertrauen angesichts einer ungeordneten Komplexität.

Ende der 1970er- und Anfang der 1980er-Jahre war man allgemein davon überzeugt, dass die Rohölpreise bis weit in die Zukunft steigen würden. Aber Mitte der 1980er-Jahre waren die Ölpreise gesunken. Dieser Trend hielt während des größeren Teils der beiden folgenden Jahrzehnte an. Das Konsensdenken, selbst unter hochgebildeten Ökonomen, verkannte die Reagibilität von Angebot und Nachfrage auf steigende Ölpreise. Auf kurze Sicht reagieren Öllieferanten und Verbraucher nur langsam auf Preisschübe. Aber auf lange Sicht sind sie nachweislich viel flexibler, als die Ökonomen es ihnen zugetraut hatten. Im Zusammenhang mit der enormen Energienachfrage Chinas werde ich auf dieses Thema noch einmal zu sprechen kommen, aber ich erwähne es schon jetzt, um zu zeigen, wie oft die Ökonomen sich irren. Der faule Konsens ist eine mächtige und erstickende Kraft. Wir alle sollten versuchen, ihn zu identifizieren und infrage zu stellen.

Die Technologie treibt eine dramatische neue Phase der Globalisierung an. Unsereökonomischen Modelle haben Mühe, mit der Erosion der Staatsgrenzen Schritt zu halten. Zudem gab es in jüngerer Vergangenheit außergewöhnliche politische Veränderungen. Nach dem Zweiten Weltkrieg trennten sich China und Russland hinsichtlich westlicher Ideen und Wirtschaftspolitik vom Rest der Welt ab. Heute aber dürfen 1,3 Milliarden Chinesen und 140 Millionen Russen größtenteils ebenso leben wie die Menschen im Westen und treffen als Verbraucher auch die gleichen Entscheidungen. Trotz der völlig anderen politischen Systeme ist klar, dass auch sie die Früchte wachsenden individuellen Wohlstands genießen.

Der Fußballclub Manchester United, dessen leidenschaftlicher Fan ich schon seit meiner Kindheit bin, hat, wie berichtet wird, in China 70 Millionen registrierte Nutzer seiner Website. McDonald’s betreibt in Russland und China florierende Restaurants. In beiden Ländern werden ständig schicke Modeboutiquen eröffnet. Der französische Luxuswarenhersteller Louis Vuitton verzeichnet explosives Wachstum in China und in den anderen BRIC-Nationen, und sogar in seinen Läden im Westen entfällt ein großer Teil der Umsätze auf Touristen aus diesen Ländern.

Tatsächlich können sich französische Studenten heute ein wenig Geld nebenbei verdienen, wenn sie als »Gastkäufer« luxuriöser Taschen in Louis Vuittons berühmtem Pariser Stammgeschäft in der Nähe der Champs-Élysées auftreten. Der Chef von Louis Vuitton hat mir erzählt, wie das funktioniert. Chinesische Banden bezahlten früher Leuten zweitägige Reisen nach Paris inklusive sämtlicher Spesen unter der Bedingung, dass sie mit vier Louis-Vuitton-Taschen zurückkamen, die man dann in China zu weit höheren Preisen verkaufen konnte. Als Louis Vuitton das herausfand, wurde ein Limit von einer Tasche pro Person eingeführt. Um dieses Limit zu umgehen, bieten chinesische Besucher heute Menschen auf der Champs-Élysées 50 US-Dollar an, damit sie eine Tasche für sie kaufen.

Chinas bewusste Entscheidung, die Globalisierung im eigenen Interesse zu nutzen, indem man ausländische Direktinvestitionen förderte und stärker am Welthandel teilnahm, hat meiner Meinung nach entsprechende Aktionen in Indien ausgelöst. Es gibt zwar viele Faktoren, die Wirtschaftswachstum fördern, aber meiner Überzeugung nach hat Chinas Erfolg in den vergangenen 30 Jahren den indischen Politikern gezeigt, dass es möglich ist, für mehr als eine Milliarde Menschen einen dramatischen Anstieg des Lebensstandards herbeizuführen, ohne die Grundlagen der sozialen und kulturellen Struktur zu verändern.

Durch die Entscheidung, sich in der Weltwirtschaft stärker zu engagieren, wurden die BRICs auch offen für die besten Aspekte der makroökonomischen politischen Maßnahmen in den Ländern des Westens. Ihre Politiker und Wissenschaftler wollten die westlichen Wachstumslektionen plötzlich lernen und anwenden.

In Brasilien erwies es sich zum Beispiel als echte Umwälzung, etwas gegen die Hyperinflation zu unternehmen, die auf die Wirtschaft des Landes über Jahrzehnte eine verheerende Wirkung gehabt hatte. Die Übernahme und die disziplinierte Umsetzung inflationsbekämpfender Maßnahmen halfen dabei, das Brasilien des Jahres 2000 auf einen ganz anderen Weg zu bringen als das Brasilien des Jahres 1960.

Der Aufstieg und der beständige Erfolg Brasiliens, Russlands, Indiens und Chinas haben viele überrascht – auch mich selbst. Das ist ein Phänomen, das das Leben vieler Millionen Menschen in diesen Nationen zu verändern begonnen hat. Es half ihnen gegen die Armut und stachelte ihren Ehrgeiz an – und es betrifft uns alle immer mehr. Das BRIC-Konzept, der rasche Aufstieg dieser Volkswirtschaften und die rosigen Aussichten ähnlicher Länder sind zu einem vorrangigen Thema unserer Generation geworden.

1 Die Geburtsstunde der BRICs

Die Idee hatte schon zwei Monate zuvor begonnen, sich in meinen Gedanken zu formen. Ich war in New York gewesen, um im Marriott Hotel im World Trade Center eine Rede vor der National Association of Business Economists zu halten. Der Titel meiner Rede war »Der Ausblick für den Dollar«, und ich profitierte dabei stark von meiner Laufbahn als Devisenspezialist. Die BRICs erwähnte ich kein einziges Mal. Die einzige BRIC-Volkswirtschaft, über die ich damals intensiv nachdachte, war China. Zwei Tage später war ich wieder in London, erschöpft von der dreitägigen Reise über den Atlantik und wieder zurück. Ich war damals Co-Leiter der Abteilung für globale Wirtschaft bei Goldman Sachs. Am frühen Nachmittag nahm ich an einer Audio-/Videokonferenz mit unseren führenden Ökonomen aus der ganzen Welt teil. Das war ein Musterbeispiel für Globalisierung in Aktion; verschiedene Stimmen und Meinungen kamen aus New York, Tokio und Hongkong, während wir in London saßen.

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