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Volker Reinhardt

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Beschreibung

Der Aufstieg der Medici zur fürstlichen Herrschaft über Florenz und die Toskana verläuft steil. Er wird mit Mitteln gebahnt, die für Europa zukunftsweisend werden sollten und zugleich die besten Köpfe der Zeit in ganz neuartiger Weise über Politik und Moral, über Erfolg und die Verlaufsgesetze der Geschichte nachdenken lassen. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts durch erfolgreiche Bankgeschäfte reich geworden, gelingt es den Medici, 1434 eine Machtstellung zu errichten, die ein Jahrhundert lang überwiegend informell, inoffiziell und indirekt bleibt und daher zum Experimentieren mit Verfassungsformen und Machttechniken zwingt. Deren vielleicht wichtigste ist Kulturpatronage, die Propaganda in Kunstwerken. Beide Ebenen sollen in diesem Buch, das erstmals seit längerer Zeit die stark aufgesplitterte historische Forschung zusammenzuführen versucht, aufeinander bezogen werden: die Ebene der überzeugungsmächtigen, aber gelegentlich auch Ablehnung provozierenden Bilder und die schwierige Ausübung der Macht in einem sehr labilen System. Nur vor diesem Hintergrund wird die Geschichte einer ungewöhnlichen Familie und der Stadt Florenz verständlich, in der eine neue Kunst, die der Renaissance, entsteht.

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Volker Reinhardt

DIE MEDICI

Florenz im Zeitalter der Renaissance

C.H.Beck

Zum Buch

Der Aufstieg der Medici zur fürstlichen Herrschaft über Florenz und die Toskana verläuft steil. Er wird mit Mitteln gebahnt, die für Europa zukunftsweisend werden sollten und zugleich die besten Köpfe der Zeit in ganz neuartiger Weise über Politik und Moral, über Erfolg und die Verlaufsgesetze der Geschichte nachdenken lassen. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts durch erfolgreiche Bankgeschäfte reich geworden, gelingt es den Medici, 1434 eine Machtstellung zu errichten, die ein Jahrhundert lang überwiegend informell, inoffiziell und indirekt bleibt und daher zum Experimentieren mit Verfassungsformen und Machttechniken zwingt. Deren vielleicht wichtigste ist Kulturpatronage, die Propaganda in Kunstwerken. Beide Ebenen sollen in diesem Buch, das erstmals seit längerer Zeit die stark aufgesplitterte historische Forschung zusammenführt, aufeinander bezogen werden: die Ebene der überzeugungsmächtigen, aber gelegentlich auch Ablehnung provozierenden Bilder und die schwierige Ausübung der Macht in einem sehr labilen System. Nur vor diesem Hintergrund wird die Geschichte einer ungewöhnlichen Familie und der Stadt Florenz verständlich, in der eine neue Kunst, die der Renaissance, entsteht.

Über den Autor

Volker Reinhardt, geb. 1954, Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Fribourg, ist einer der führenden Kenner der italienischen Renaissance. Bei C.H.Beck erschienen von ihm u.a. Biographien über Michelangelo, Leonardo da Vinci, Machiavelli und Papst Pius II. Piccolomini sowie in der Reihe C.H.Beck Wissen «Die Borgia» (4. Aufl. 2020), «Die Renaissance in Italien» (4. Aufl. 2019) und «Geschichte von Florenz» (2013).

Inhalt

I. Mythen und Ursprünge

Sibyllinische Bilder

Phönix aus der Asche

II. Der unaufhaltsame Aufstieg zur Macht (1400–​1434)

Geldquellen und Geldanlage

Regeln und Mentalitäten

Patron und Klienten

III. Cosimo de’ Medici – Der Umbau der Republik (1434–​1464)

Machteroberung und Machtsicherung

Vater des Vaterlands oder Pate?

Kosmische Bilder

Netze knüpfen

IV. Piero de’ Medici – Nachfolgekrise und Nachfolgesicherung (1464–​1469)

Die Macht des kranken Mannes

V. Lorenzo de’ Medici – Goldenes Zeitalter oder Tyrannis? (1469–​1492)

Wirtschaftskrise und Kulturblüte

Auf Leben und Tod

Krieg und Konsolidierung

Poesie, Philosophie und populäre Feste

VI. Krisen, Vertreibungen und Restaurationen (1492–​1537)

Auswege aus der Sackgasse und der Weg ins Exil

Zwischenzeit

Florenz am Tiber

VII. Cosimo I. – Größe und Grenzen des Prinzipats oder: Vom Umschreiben der Familiengeschichte (ab 1537)

Die letzte der Metamorphosen

ANHANG

Auszug aus dem Stammbaum der Medici: Tafel I

Auszug aus dem Stammbaum der Medici: Tafel II

Karte: Italien zur Zeit der Renaissance

Karte: Die Innenstadt von Florenz heute

Literatur

Sammelbände mit wichtigen Einzelbeiträgen

Grundlegende Monographien und Aufsätze

Bildnachweis

Personenregister

I. Mythen und Ursprünge

Sibyllinische Bilder

Einmal an der Spitze von Florenz, haben die Medici von Anfang an extreme Urteile provoziert: Bürger unter Bürgern in einer Bürgerrepublik – oder verkappte Fürsten im Bürgergewande? In einem Punkt aber fallen beide Bewertungen zusammen: Ihre Macht überstieg im 15. Jahrhundert die der von ihnen bekleideten Ämter, sie beruhte entweder auf durch Verdienste um das Gemeinwesen erworbener Autorität oder auf schleichender Aushöhlung des Staates. In beiden Fällen blieb ein mit traditionellen politischen Kriterien unauflöslicher Rest, etwas Ungreifbares, Unbenennbares. Freunde wie Feinde erkannten früh, dass diese schillernde Position den Zwang zum virtuosen Rollenspiel mit sich brachte, ein anderer zu scheinen als zu sein. Auch das konnte man positiv, als heilsamen Demutsgestus, oder negativ, als perfide Täuschung sich allmählich entpuppender Tyrannen, auslegen. Die Notwendigkeit, intensive Imagebildung zu betreiben, neue Formen politischer Propaganda zu entwickeln, ja über die ein Jahrhundert lang immer mehr oder weniger prekäre Wirklichkeit hinaus eine Art virtuelle Medici-Realität zu entwerfen, all das ist in dieser Zwischen- und Zwitterstellung angelegt.

Florenz wird im 15. und frühen 16. Jahrhundert dadurch in ganz anderer als von Jacob Burckhardt gedeuteter Weise zum ersten europäischen Staat als Kunstwerk. Nicht in der labyrinthisch verschlungenen Verfassung, nicht in der traditionalen Gesellschaft, nicht in der konservativen Mentalität, sondern durch die Virtuosität, mit der Bilder von Herrschaft und führender Familie lanciert, projiziert werden. Dass der Mächtige heucheln, als Fuchs und Löwe handeln, modern formuliert, Mythen konstruieren können muss: dieser Erkenntnis verleiht zur Empörung und praktischen Belehrung des christlichen Europa mit Niccolò Machiavelli (1469–​1527) ein Florentiner Ausdruck. Dass der Historiker hinter die Fassaden zu dringen, hinter den Maskierungen die wahren Motive der Mächtigen und damit ein Chaos an Triebhaftigkeit und Leidenschaft freizulegen hat, ohne Vorhersagbarkeit und metaphysischen Sinn zu finden: auch diese erregende Entdeckung des florentinischen Patriziers Francesco Guicciardini (1483–​1540) ist vor dem Hintergrund des Lehrstücks zu sehen, das die Medici ein Jahrhundert lang mit exemplarischer Prägnanz darboten. Es handelt davon, wie man ohne jede herkömmliche Legitimation Macht erobert, ausbaut, umformt, gefährdet, verliert, wiedergewinnt, in neue Formen gießt – und schließlich auf Dauer behauptet.

Mitte des 15. Jahrhunderts wies Italien unter den fünf Vormächten der sogenannten Pentokratie mit Venedig eine Adelsrepublik, mit Mailand eine durch Reichstitel verzierte Einzelherrschaft, im Süden, in Neapel, eine echte Monarchie mit neuer, aragonesischer Dynastie, nördlich angrenzend im Kirchenstaat eine geistliche Wahlmonarchie auf; unterhalb davon wenige Republiken und einige Signorien, Einzelherrschaften lokaler Familien. Dazu kam als fünfte, politisch-militärisch gesehen wohl schwächste Großmacht Florenz unter den Medici, die sogar aus der Doppeldeutigkeit ihrer Position Kapital schlugen und lästige Forderungen echter Einzelherrscher, signori, mit dem Hinweis, nur Bürger einer Republik zu sein, schonend zurückwiesen.

Die Gegensätzlichkeit der Bilder, die sich Europa von den Medici machte, hat sich nach ihrem Aussterben 1737 weiter verstärkt. Für Voltaire Urheber einer kulturellen Blütezeit und damit Perikles, Augustus und Ludwig XIV. an die Seite zu stellen, für den Dichter Vittorio Alfieri (1749–​1803), einen der frühen Wortführer des Risorgimento, der nationalen Einigungsbewegung Italiens, Meuchelmörder des demokratischen Volksgeistes, für die Kulturhistoriker des 19. Jahrhunderts Hervorbringer eines allzu rasch erfrorenen Menschheitsfrühlings, haben die Medici in ihrer Vieldeutigkeit sogar das sonst eher nüchterne Vokabular der Sozialhistoriker um farbige, ja anrüchige Metaphern bereichert. Einer der besten Kenner ihrer Geschichte hat die Rolle Cosimos des Älteren (1389–​1464) zumindest in Frageform mit der eines padrino, des Paten von Florenz, gleichzusetzen gewagt.

Medici und Mafia haben sicherlich eines gemeinsam: Ihre Macht beruht auf einem Beziehungsnetz, das mit den staatlichen Institutionen nicht identisch ist, also auf Patronage, auf dem Basisverhältnis von Patron und Klient. Nüchterner fasst denselben Sachverhalt der von den Zeitgenossen verwendete, familiär angehauchte Begriff maestro della bottega zusammen, was ungefähr «Chef des Betriebs», also gleichfalls das Ziehen vieler Fäden mit einer Hand bedeutet.

Klar definiert wird die Rolle der Medici erst spät – und auch dann noch merkwürdig genug. Der erste Medici mit wirklichem Herrschertitel, Alessandro (1510–​1537), ist ab 1531 Herzog einer Republik und somit ein Unikum. Erst mit seinem Nachfolger schließt sich diese Kluft, denn Cosimo I. (1519–​1574) ist ab 1569 Großherzog Etruriens, d.h. der Toskana, womit es bis 1737 titelmäßig sein Bewenden hat. Als Bilder und Wirklichkeit ab etwa 1540 nicht mehr, wie vorher, krass auseinanderklaffen, sondern in einem für europäische fürstliche Territorien üblichen Verhältnis zueinander stehen – die Machtansprüche übersteigen die tatsächliche Macht beträchtlich –, ist die Einzigartigkeit der florentinischen Geschichte zu Ende. Sie besteht also gerade in der Spannung und Spannweite zwischen Schein und Sein, zwischen einer Gegenwart, die so nicht bleiben kann, und einer angestrebten Zukunft, die unverblümt so nicht ausgesprochen werden darf.

Als Mythen-Bildner in eigener Sache sind die Medici schon zu Lebzeiten zu Mythen und Antimythen geworden, an denen alle Epochen Bedarf hatten. Auch die heutige Zeit? Wenn man die Fülle von Trivialliteratur, von Filmen zum Komplex «sex and crime in the Renaissance» überschaut, dann lautet die Antwort: mehr denn je. Der schönheitstrunkene, amoralische Herrenmensch der Renaissance hat seine Aufgabe, die von Klimawandel, Stress und einer unentwirrbaren soziopolitischen Realität niedergedrückten Gemüter in eine herrliche Gegenwelt ohne Bürokratien und Fallstricke des Über-Ichs zu entführen, noch längst nicht zu Ende erfüllt.

An der Konstruktion der Medici-Mythen war die historische Forschung erst mitbeteiligt, um sie später umso gründlicher abzutragen. Um 1900 zum Übermäzen, ja Philosophen-Herrscher (auch das bereits ein Bild des 15. Jahrhunderts!) vergeistigt, stürzte die schillerndste Gestalt der Familie, Lorenzo il Magnifico, «der Prächtige» (1449–​1492), danach geradezu in ein schwarzes historiographisches Loch: Kulturblüte in Florenz trotz Medici, hieß es zeitweise. Dieser Wechsel zwischen Errichten und Verbrennen von Altären wird heute nüchterner betrieben; fast hat es den Anschein, als müssten die Medici jeder Historikergeneration zwischen den Fingern zerrinnen und provisorisch neu konstruiert werden. Dieses Zerbröckeln der Bilder betrifft pittoreske und zentrale Aspekte. Cosimo der Ältere (1389–​1464), der lakonisch-kaustische, jovial-kurz angebundene Schöpfer von Witzworten, dessen milde beißende Weisheit der Menschencharakterisierung in den Sprichwortschatz Italiens eingegangen ist: ein Mythos, von der Familie zum höheren Ruhm, des Verblichenen wie ihrer selbst, lanciert? Sein Enkel Lorenzo il Magnifico als lebenslanger Anhänger des kühn spekulierenden neoplatonischen Philosophen Marsilio Ficino (1433–​1499), dessen Ideen – Aufstieg der Seele über die täuschenden Sinneseindrücke hinauf zu sublimeren Daseinsformen, zur Wiedervereinigung mit der Weltseele – er in liebliche poetische Bilder umgesetzt hat? In Wirklichkeit kurze Lehrzeit und lange Entfremdung. Die Platonische Akademie Cosimos des Älteren, bis in neueste Gymnasiallehrbücher Paradebeispiel für die Institutionalisierung des neuen Renaissance-Geistes: ein eher lockerer Gesprächs- und Vortragskreis. Totentanz, aber auch Wiederauferstehung der Mythen! Wer zum Beispiel glaubte noch an die Kunstschule Lorenzos im Garten bei S. Marco, die erst ein Menschenleben später der erste Kunsthistoriker Giorgio Vasari (1511–​1574) in bewegten Worten rühmte? Man unterstellte ihm, dass er seinen Herrn Cosimo I. durch ein erfundenes illustres Vorbild zur Akademiegründung animieren wollte. Aber unumstößliche Quellen belegen: Es gab ihn doch, den lieblichen Garten, sogar mit antiken Statuen, und der angebliche Meisterschüler Michelangelo muss ebenfalls darin geweilt haben.

Fazit dieser Beispiele: die Forschung ist heute von einem einheitlichen, allgemein akzeptierten Bild der Medici weiter denn je entfernt. Dementsprechend zerfallen ihre Resultate in Einzelbeiträge, liegt die letzte anspruchsvolle Familienbiographie zwanzig Jahre zurück. Allgemein lassen sich heute drei Hauptrichtungen unterscheiden, von denen sich die erste leicht ironisch als die der Intentionalisten bezeichnen ließe. Sie versucht, politische Nutzanwendung bis in die letzten Verästelungen scheinbar so privater Tätigkeiten wie Verseschmieden und Kuraufenthalt aufzuzeigen. Ausformuliert oder unausgesprochen liegt diesen an sich sehr ergiebigen Forschungen die Konzeption eines Meisterplans zugrunde, den die Medici als Meisterakteure und -regisseure des eigenen Aufstiegs unbeirrt durch Generationen hindurch verfolgen. Der experimentelle Charakter der Mediceischen Strategien lässt an diesem Konzept Zweifel aufkommen. Die zweite Hauptrichtung, man könnte sie die Separatisten nennen, trennt Macht und Privatsphäre. Dann existiert, Beispiel Lorenzo il Magnifico, der Dichter religiöser und amouröser Themen weitgehend unabhängig vom Politiker und Bankier, und der Historiker ist einerseits von der Pflicht entbunden, hinter jeder Metapher eine politische Aussage, hinter jedem geförderten Philosophen einen nützlichen Handlanger, hinter jedem gemalten Heiligen einen Medici zu sehen. Andererseits steht er jetzt vor einem noch größeren Dilemma, nämlich den privaten Ästheten, der in seiner von Bächen umrauschten Villa über das summum bonum, das höchste Gut, grübelt, vom Machtmenschen zu trennen, der seine Feinde ohne Prozess aus dem Fenster des Stadtpalastes aufhängen lässt.

Die Diagnose Gespaltenheit, ja Schizophrenie wird wiederum von der dritten Richtung der Realisten vehement bestritten, deren Quellen vor allem die vielen Tausend erhaltenen Briefe der Medici, aber auch Protokolle von Ratssitzungen und ähnliche Dokumente sind. Dank ihrer Auswertung wissen wir heute recht genau, mit welchen Mitteln und auf welche Personen(gruppen) gestützt die Medici als Politiker in Florenz operierten. Ungedeutet hingegen bleiben dabei die Zeichen an der Wand: die Kuppel mit Tierkreiszeichen über der Medici-Grablege in S. Lorenzo, einer der Heiligen Drei Könige mit Medici-Identität.

Eine ganzheitliche Geschichte der Medici in ihrem Jahrhundert lässt sich nur schreiben, wenn man auch die gemalten und gemauerten Quellen miteinbezieht, so schwierig ihre Botschaft nach einem halben Jahrtausend auch zu entziffern sein mag. Dann aber stellt sich die Biographie der Familie nicht als Geschichte eines vorgezeichneten Königsweges zur Macht dar, wohl aber als Wille, diese zu erobern, zu behaupten, zu verwandeln. Und unter den Mitteln, die dazu eingesetzt wurden, spielt Propaganda in Kunstwerken eine wichtige Rolle. So gesehen, zeichnet sich die Geschichte der Medici als kühnes Vorpreschen und taktisches Zurückweichen ab, als Annehmen und Verwerfen von Instrumenten und Strategien, als Experimentieren mit den Techniken der Macht.

Dem Gemeinplatz, dass die Renaissance durch machtvolle Entfaltung des Individuums geprägt sei, auf fast groteske Weise zuwider, haben die ersten drei Generationen der Medici an der Macht nur sehr wenige authentische Bildnisse hinterlassen; fast alle Porträts sind kommemorativ, erinnernd und verherrlichend aus späterer Zeit. Cosimo, Piero, Lorenzo bleiben daher eigentümlich bildlos in einer Zeit sich reich entwickelnder Bildersprache; die Statuen auf den Gräbern der nächsten bzw. übernächsten Generation von der Hand Michelangelos zeigen keine historischen Persönlichkeiten. Etwas pointiert lässt sich in dieser Porträtarmut ein historischer Sachverhalt widergespiegelt finden. Wir wissen sehr wenig über die Medici als Individuen. Und das Wenige, was wir zu wissen glauben, ist, wie erwähnt, permanent demontagegefährdet. Dass man aus Gedichten nicht automatisch auf persönliches Erleben schließen darf, ist eine allgemeine literaturwissenschaftliche Grundregel. Noch größere Vorsicht aber ist angebracht, wenn der Poet Lorenzo il Magnifico heißt, der mächtigste Mann von Florenz und, wie aus vielen Briefen zu entnehmen, um seine Wirkung nach außen äußerst besorgt ist. Und auch Lorenzos Briefe sind diffizile Quellen, vor allem, wenn sie den Politiker im idyllischen Ambiente lieblicher Villen-Halbeinsamkeit präsentieren; der bukolische Ton darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Attitüden gesucht, Posen gestellt sind. Ohne in den Fehler zu verfallen, in allem und jedem gezielte Imagebildung zu suchen (und dann unweigerlich auch zu finden): die ersten drei Medici an der Macht haben in steigendem Maße eine Ritualisierung und Funktionalisierung des Privaten praktiziert, die Parallelen zur Ausgestaltung des höfischen Lebens in den italienischen Einzelherrschaften der Zeit zeigen, durch das bewusste Spiel mit einer – dem signore nicht zur Verfügung stehenden – Vielzahl von Rollen, Masken und Verhaltensmustern aber auch in die Zukunft weisen. Durch die Nutzung der häuslichen, familiären Sphäre für soziale und politische Strategien wird sie öffentlich, private Räumlichkeiten und Befindlichkeiten werden zu Prestige-Quellen. Eine Geschichte der Medici in Pantoffeln kann daher nicht geschrieben werden. Ganz verschlossen aber muss der seit jeher heiß ersehnte Blick in den Bereich des Menschlich-Allzumenschlichen nicht bleiben, auch Fassaden haben ihre Risse. Ob man solche findet oder wieder nur Masken aufsitzt, ist vor allem eine Frage der Quellenkritik. Nur wenn auf Außenwirkung gerichtete und in dieser Hinsicht unverdächtige Zeugnisse zusammenfallen, sind Rückschlüsse auf Psyche und Seelenlagen einigermaßen legitim; auch dann bleiben solche Psychogramme zerbrechliche Konstrukte.

Dafür, dass eine Geschichte der Medici allein als ein Generationen übergreifender Prozess der Machteroberung und -umgestaltung, nicht aber als Abfolge von Einzelschicksalen geschrieben werden kann, sind zwei weitere Faktoren ausschlaggebend. Zum einen die exemplarische Geschlossenheit des inneren Familienverbandes, die gemeinsames Planen, Vorgehen, Wirtschaften zur Folge hat. Die in den letzten Jahren intensiv unternommenen Versuche, individuelle Fingerabdrücke in Bau- und weiteren Kunstprojekten, aber auch in politischen Strategien nachzuweisen, sind häufig schon deshalb zum Scheitern verurteilt, weil ein solches Auseinanderdividieren der Absicht der Handelnden widerspricht, Nutzen und Prestige der Familie als Ganzer zukommen zu lassen.

Zum anderen ist die Geschichte der Medici aus der Geschichte von Florenz nicht herauszulösen. Dieser Sachverhalt gilt für jede führende Familie im Italien der Zeit, für die Medici aber in besonderem Maße. Ihr gut ein Jahrhundert langer, vielfach verschlungener Weg zur institutionalisierten Macht wurde durch spezifisch florentinische Voraussetzungen windungsreich und dornig; auf sie heißt es also vorab einen kurzen Blick zu werfen.

Seit dem späten 13. Jahrhundert war in Italien die Umwandlung kommunaler, d.h. republikanisch aufgebauter, politischer Systeme in Einzelherrschaften nicht selten vollzogen worden. Sie mit den Maßstäben moderner Totalitarismuserfahrung zu dämonisieren ist aus mehreren Gründen unhistorisch. Oft war die Signorie einziges Mittel, dem Zerfleischungskampf rivalisierender Clans innerhalb der Oberschicht Einhalt zu gebieten; zudem regierte der signore, obgleich nominell von Beschränkungen frei, notwendigerweise im sozioökonomischen Interesse der Elite. Darüber hinaus war sein Regierungsstil, wie schon Machiavelli erkannte, konservativer, im eigenen Überlebensinteresse auf Ausgleich im Innern gerichtet.

Den Florentinern allerdings war diese nivellierende Indifferenz der modernen Historiker fremd. Ihre führenden Humanisten haben um 1400 die in heutiger Sicht eher geringe funktionale Differenz zwischen Republik und Einzelherrschaft zur Kluft zwischen zwei politischen Welten vertieft, die Signorie als finstere tyrannische Gegenwelt zum lichten republikanischen Modell gezeichnet. Darin schlägt sich letztlich eine kollektive Mentalität nieder. Die Ober-, Mittel- und zumindest zeitweise auch die Unterschicht von Florenz waren dem republikanischen System als Freiheitsgaranten, als allein angemessenem Entfaltungsrahmen ihrer Stadt, mit Leib und Seele ergeben. Auf dessen Umwandlung in eine Signorie aber mussten die langfristigen Bemühungen der Medici letztendlich gerichtet sein – zu einsturzgefährdet war ihre drei Generationen lang tatsächlich bekleidete Stellung.