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Volker Reinhardt

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Beschreibung

Venedig war Adelsrepublik, Neapel eine Monarchie, Mailand eine Einzelherrschaft. Es gab den Kirchenstaat, die verschiedenen Signorien…Doch seit wann gibt es den Staat Italien? Volker Reinhardt schildert die Geschichte dieses Landes vom Mittelalter bis zur Gegenwart und zeigt,wie die historische Vielfalt der Staats- und Verfassungsformen und der weit in die Vergangenheit zurückreichende Riss zwischen Nord und Süd das nationale Bewusstsein Italiens bis heute bestimmen.
Nach dem Untergang des Römischen Reichs waren die Apenninenhalbinsel und Sizilien politisch und kulturell fragmentiert, bis sich um das Jahr 1000 ein neues Bewusstsein dafür herausbildete, was "Italien" ist: das Land der Urbanität, kulturell veredelt durch die Nähe zur Antike, durch die Alpen geschützt vor der Barbarei der Germanen. In dieser Zeit des beginnenden Zusammenwachsens setzt Volker Reinhardts kleine "Geschichte Italiens" ein. Er beschreibt, wie Stadtrepubliken, Fürstentümer und der Kirchenstaat, oft im Bunde mit äußeren Mächten, um die Vorherrschaft in Italien kämpften und sich in dieser Konkurrenz eine einzigartige Hochkultur herausbildete, die wiederum das Gefühl der italienischen Einheit und Überlegenheit nährte. Im 19. Jahrhundert wurde die politische Einigung im Zeichen einer großen Geschichte zu einer Mission, die die Anhänger des Risorgimento beflügelte und die der Faschismus zur Errichtung einer Diktatur missbrauchte. Heute ist Italien zerrissen zwischen Nord und Süd, Rechtspopulisten und Linken, aber gerade dadurch ist die Sehnsucht nach innerer Einheit und Abgrenzung nach außen übergroß. - Das bewährte Standardwerk wurde für die vorliegende fünfte Auflage überarbeitet und aktualisiert.

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Volker Reinhardt

GESCHICHTE ITALIENS

C.H.Beck

Zum Buch

Nach dem Untergang des Römischen Reichs waren die Apenninenhalbinsel und Sizilien politisch und kulturell fragmentiert, bis sich um das Jahr 1000 ein neues Bewusstsein dafür herausbildete, was «Italien» ist: das Land der Urbanität, kulturell veredelt durch die Nähe zur Antike, durch die Alpen geschützt vor der Barbarei der Germanen. In dieser Zeit des beginnenden Zusammenwachsens setzt Volker Reinhardts kleine «Geschichte Italiens» ein. Er beschreibt, wie Stadtrepubliken, Fürstentümer und der Kirchenstaat, oft im Bunde mit äußeren Mächten, um die Vorherrschaft in Italien kämpften und sich in dieser Konkurrenz eine einzigartige Hochkultur herausbildete, die wiederum das Gefühl der italienischen Einheit und Überlegenheit nährte. Im 19. Jahrhundert wurde die politische Einigung im Zeichen einer großen Geschichte zu einer Mission, die die Anhänger des Risorgimento beflügelte und die der Faschismus zur Errichtung einer Diktatur missbrauchte. Heute ist Italien zerrissen zwischen Nord und Süd, Rechtspopulisten und Linken, aber gerade dadurch ist die Sehnsucht nach innerer Einheit und Abgrenzung nach außen übergroß. – Das bewährte Standardwerk wurde für die vorliegende fünfte Auflage überarbeitet und aktualisiert.

Über den Autor

Volker Reinhardt, geb. 1954, ist Professor für Allgemeine und Schweizer Geschichte der Neuzeit an der Universität Fribourg. Bei C.H.Beck erschienen von ihm u.a. «Die Macht der Schönheit. Kulturgeschichte Italiens» (2019), «Leonardo da Vinci. Das Auge der Welt» (2. Aufl. 2018) sowie in C.H.Beck Wissen «Geschichte Roms» (3. Aufl. 2019), «Die Medici» (5. Aufl. 2013) und «Die Renaissance in Italien» (4. Aufl. 2019).

Inhalt

I. Prolog: Die Entdeckungen der Nation

II. Italien im späten Mittelalter

Konturen der politischen Landkarte

Eliten: Herkunft und Habitus

Unterschichten: Lebenswelten und Mentalitäten

Gewalt

Freistaat kontra Tyrannis?

Beispiele: Mailand und die Visconti

Unordnung und frühe Konsolidierung

III. Am Beginn der Neuzeit

Wirtschaftsblüte oder Wirtschaftskrise?

Allianzen, Kriege, «Pax Hispanica»

Beispiele: Musterhöfe

Herrscher und Humanisten

Beispiele: Florenz und die Medici

IV. Im Konfessionellen Zeitalter

Kirche, Konzil, Kultur

Konjunkturen und Krisen

Beispiele: Päpste, Prälaten, Paläste

V. Ancien régime und Aufklärung

Die Intellektuellen und die Politik

Reformprogramme, Reformgrenzen

Verwandlungen des alten Staates

Beispiele: Herbst an der Lagune?

VI. Revolutionen, Restaurationen, Risorgimento

Republikaner, Generäle, Honoratioren

Die Nation als Wille und Vorstellung

Das Jahrzehnt Cavours

VII. Wegmarken einer schwierigen Modernisierung

Der gespaltene Einheitsstaat

Das faschistische Italien

Nachkriegs-Italien oder: Die irritierende Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen

Zeittafel

Literatur

1. Gesamtdarstellungen/Epochenabrisse

2. Geschichte von Regionen und Städten

3. Biographien, Einzelaspekte

Personenregister

I. Prolog: Die Entdeckungen der Nation

Als die sizilianischen Bauern 1860 aufgerufen waren, über den Anschluss an ein von den Alpen bis zum Ätna reichendes Königreich Italien abzustimmen, hielten sie «Italia» für die Gemahlin des regierenden Königs von Sardinien-Piemont. Dessen Premierminister Camillo Cavour, politischer Architekt des neuen Nationalstaates, sprach piemontesischen Dialekt und perfekt Französisch, Italienisch hingegen nur sehr unvollkommen. Der Süden Italiens blieb ihm in jeder Hinsicht fremd, und dessen sofortigen Anschluss hat er weder gewollt noch geplant, sondern dem Zwang der Umstände entsprechend vollzogen. Im neuen Königreich von 1861 koexistierten, schon bald mehr feindlich als friedlich, viele Italien, von denen nicht wenige weit in die Vergangenheit zurückreichten. So kostete der schmutzige Krieg zwischen der ländlichen Bevölkerung im Süden mit ihrer ganz traditionellen Mentalität und der Armee 1861 bis 1865 nicht nur mehr Opfer als alle Einigungskriege zusammen, er ließ auch nachdenkliche Intellektuelle an der Einheit der Nation (ver)zweifeln.

Nationalgefühl und Nationalismus sind keine Hervorbringungen des 19. und 20. Jahrhunderts. Schon ein Jahrtausend zuvor hatten Italiener eine eingängige Definition des Eigenen und des Fremden: Italien, das war das Land der Urbanität, des geregelten, zivilisierten, kulturell durch die Nähe zur Antike geadelten und veredelnden Lebens. Es war durch die Alpen geschützt vor der instinktgeleiteten, triebergebenen, rohen, verwüstenden Barbarei der Germanen, die sich jedoch, vom Eroberer zum Siedler geworden, unter das sanfte Joch der überlegenen Daseinsform spannen ließen. Immer auf eine schmale Bildungselite beschränkt und mit leidenschaftlichem Lokal- und Regionalpatriotismus vereinbar, reicherte sich gesamtitalienisches Wir-Bewusstsein seit dem 14. Jahrhundert mit antiken Argumenten und Motiven machtvoll an, bewahrte aber bei aller Einkleidung in die Formeln klassischer Rhetorik seine Wesenszüge: Im Gegensatz zu ihren Rivalen in Deutschland, die Abstammungsreinheit zu einem entscheidenden Abgrenzungsmerkmal ihrer Nation erhoben, bestimmten italienische Humanisten italianità nicht in erster Linie genealogisch, sondern durch geschichtliche Dynamik. Das ruhige Bewusstsein eines unverlierbaren kulturellen Vorrangs wurde auch vom Ende des 17. Jahrhunderts an, als führende Intellektuelle zunehmende Rückständigkeit gegenüber dem atlantischen Europa festzustellen begannen, in seinen Grundfesten nicht erschüttert. Geprägt durch die humanistische Denkfigur von antiker Hochkultur, Niedergang im mittleren Zeitalter als Folge barbarischer Invasionen und nachfolgendem allmählichem Wiederaufstieg, ging es den Vertretern der italienischen Aufklärung im 18. Jahrhundert darum, die widrigen Umstände zu beheben, die Italien jetzt, vorübergehend, daran hinderten, die ihm zukommende kulturelle Vorrangstellung einzunehmen. Diese zurückzugewinnen sahen sie einen vorgezeichneten Weg: loyale Reformarbeit an der Seite der die staatlichen Gebilde auf italienischem Boden regierenden Mächtigen, gleichgültig, ob italienischen Ursprungs oder nicht.

Dass eine Heilung der dem Nationalgeist von fremder Hand geschlagenen Wunden nur im Nationalstaat gefunden werden könne, diese Erlösungsbotschaft wurde im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts nur von sehr wenigen, dafür machtvoll (an)klagenden Stimmen verkündet. Für die nachfolgenden drei Generationen italienischer Intellektueller aber wurde die Einigung des Landes zu einer Mission, sie zu erfüllen zur alleinigen Existenzberechtigung, zum Nachweis, einer großen Geschichte würdig zu sein.

Der seit dem Import der Französischen Revolution ab 1796 heftig beschleunigte Geschichtsverlauf spiegelte sich im Aufruf zur unverzüglichen Tat. Hatten fremde Hände die Geschichte Italiens auch perfide abgebrochen, so hatte es sich doch aus eigener Willensschwäche danach nicht wieder aufgerichtet. Nationale Wiederbelebung lautete daher das Gebot der Stunde. «Risorgimento» bedeutete in den Herzensergießungen hochgestimmter romantisch-patriotischer Literaten die Rettung von Nation und Nationalgeist vor dem Geschichtstod. Für diese Wiederauferstehung aber war die Freilegung der wahren, authentischen Nationalgeschichte Voraussetzung. Das intellektuelle Risorgimento war daher in höchstem Maße historistisch, d.h. durch die Reflexion, ja Aneignung von Geschichte geprägt. Die Geschichte wurde zum Lehrbuch der Nation, in dem jede ideologische Richtung die sie bestätigende Lektion aufschlug. So projizierte die demokratische Linke in die mittelalterliche Stadtkommune Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit hinein, während die gemäßigten liberalen Kräfte in der Geschichte auf einmal die Qualitäten der piemontesischen Herrscher «entdeckten», deren Nachfolger sie sich als Schutzherren der Einigung wünschten. Auf dem Grunde aller geschichtlichen Reflexionen und Konstruktionen jedoch lebte die Hoffnung auf Wiederanknüpfung an historische Größe.

In dieser Zuversicht aber sahen sich die nach 1860 politisch aktiven Generationen getrogen. Mit der Verheißung, Italien wieder auf die Gipfel seiner Geschichte und von dort zu neuen Ufern zu führen, gewann daher der Faschismus gerade im Bildungsbürgertum Anhänger. Die grotesk großsprecherischen faschistischen Anlagen der Piazza della Vittoria in Brescia oder des EUR-Viertels vor den Toren Roms verkündeten diesen Anschluss an die Großzeiten des römischen bzw. venezianischen Imperiums als bereits vollzogen. Und schließlich lebt die Denkfigur der veruntreuten, im wahren Nationalstaat zu korrigierenden Geschichte in den «historischen» Trivialmythen der Padanien-Demagogie unserer Tage verkleidet fort.

Die durch die Jahrhunderte mit zielgerichteter Notwendigkeit auf den Nationalstaat zulaufende Geschichte Italiens ist also ein Mythos des 19. Jahrhunderts. Von der Spätantike an gab es keinen gemeinsamen staatlichen Rahmen, sondern immer eine Vielzahl politischer Gebilde auf dem Boden «Italiens», dessen Grenzen, über unstrittige Kernbereiche hinaus, auch für die Intellektuellen nie eindeutig waren – von der Sprache ganz zu schweigen. Obwohl sich zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert ein verbindlicher Kanon für die literarische Hochsprache herausbildete, lagen zwischen Sizilien und Piemont auch grammatikalisch Welten.

Die sozial- und kulturgeschichtliche Forschung der letzten Jahrzehnte hat gewiss die Umrisse eines italienischen «Sonderweges» durch die mittelalterliche und frühmoderne Geschichte herausgearbeitet. Unter ihnen besitzt das Element der Antizipation – konkret der Vorzeitigkeit von Banken und Großhandel, von Verstädterung und Stadtstaaten, auch von Elitenverschmelzungen, Hofbildung und höfischer Kultur – leitmotivischen Charakter. Doch kann keines dieser Merkmale für alle Teile des heutigen Italien Gültigkeit beanspruchen. Ein Überblick über die italienische Geschichte vom späteren Mittelalter bis in unsere Tage wäre daher ein künstliches Unterfangen ohne die geschichtsmächtige Mythenbildung Nationalgeschichte. Ohne die Vorstellung von einer einigenden Geschichte als Kernbestandteil eines italienischen Nationalbewusstseins wäre der Nationalstaat nicht entstanden, ohne sie ist er nicht zusammenzuhalten. Geschichtliche Mythen als solche zu erweisen und mit nüchterneren Bewertungen zu kontrastieren bedeutet zugleich, ihre Entstehung und ihre Funktion zu verstehen.

II. Italien im späten Mittelalter

Der Aufstieg Roms von der Hirtensiedlung an den sieben Hügeln zum Zentrum des mittleren und dann zur Vormacht ganz Italiens vom 14. bis 3. Jahrhundert v. Chr., Italien erst als Mittelpunkt, dann als ein Teil des römischen Imperiums unter anderen, nach dessen Zerfall im Westen ab 476 Invasion und Königreich der Ostgoten, Einfall, Ansiedlung und Herrschaftsbildung der Langobarden ab 568, ihre Unterwerfung durch die Karolinger im 8. Jahrhundert, die ottonische Eroberung Oberitaliens wiederum zwei Jahrhunderte später, das Normannenreich des 11. und 12. Jahrhunderts im Süden, die anschließende staufische Herrschaft: Etappen der Geschichte auf italienischem Boden, gewiss, aber auch Geschichte Italiens?

Metternichs italienische Patrioten empörende Bemerkung, Italien sei nichts als ein geographischer Begriff – seit wann ist sie nachweislich falsch? Anders gefragt: Seit wann ist Italien so weit Nation, dass sich eine Geschichte Italiens erzählen lässt? Seit es über die rudimentäre Abgrenzung vom barbarischen Rest der Welt hinaus ein geschärftes Bewusstsein für die Eigenart, die Eigenständigkeit, das eigene Schicksal, seit es ein emotional hochbefrachtetes Italien in den Köpfen gibt – nicht in vielen, aber in herausragenden, produktiven, die Nation mit präzisen Konturen versehenden Köpfen.

Auch diese Kopfgeburt der Nation vollzog sich nicht schlagartig, doch treten im 14. Jahrhundert herausragende Geburtshelfer auf: An der Verdichtung der Nation zu einer in sich geschlossenen Vorstellungswelt haben Dichter-Humanisten wie Francesco Petrarca (1304–​1374) großen Anteil. Die innere Geschlossenheit, die Harmonie und Perfektion des gedachten, geträumten, erträumten Italien kontrastierte um 1380 auf das Heftigste mit der Uneinheitlichkeit, mit der Zersplitterung und Unfriedfertigkeit auf dem Boden Italiens, auf dem harten Boden der politischen Tatsachen.

Konturen der politischen Landkarte

Epochengrenzen sind überwiegend Konventionen, Memorierungshilfen. Zwischen dem spätmittelalterlichen und dem frühneuzeitlichen Italien stechen bei allem langsam vonstattengehenden Wandel ausgeprägte Kontinuitäten ins Auge. So stammte der 1730 verstorbene Papst Benedikt XIII. Orsini aus einer Familie, die schon von 1277 bis 1280 den Stuhl Petri besetzte und in den nachfolgenden fünfhundert Jahren nicht nur in Rom, sondern auch im südlichen Italien einen Machtfaktor ersten Ranges darstellte; sein im selben Jahr gewählter Nachfolger Klemens XII. Corsini konnte als Ruhmestitel nicht nur einen Heiligen des 14. Jahrhunderts (Andrea Corsini, gest. 1374), sondern noch viel weiter zurückreichende Ämtertraditionen in Florenz vorweisen. Auch und gerade in den Republiken des 18. Jahrhunderts, in Venedig, Genua, Lucca, trugen die führenden Familien der engsten Machtzirkel Namen, die seit Jahrhunderten auf patrizischen Prunkgrabmälern prangten – untrügliche Zeichen dafür, dass sich in Italien Führungsschichten nach verschiedenen Ergänzungs- und Verschmelzungsprozessen früh, schon im 14. Jahrhundert, weitgehend abgeschlossen hatten. Wer in den nächsten vierhundert Jahren sozial und politisch aufsteigen wollte, hatte den Weg durch das Nadelöhr der nützlichen Beziehungsnetze zu beschreiten.

Kontinuität prägte nicht nur die Eliten, sondern auch die Staatenlandschaft. Die Grobgliederung der politischen Landkarte von 1380 war, gleichsam im Gegenlicht, dreieinhalb Jahrhunderte später durchaus noch erkennbar: im Norden bis einschließlich der Toskana einst wie jetzt das zum Heiligen Römischen Reich gehörige und damit der Lehenshoheit des Kaisers unterstehende Königreich Italien. Daran angrenzend von Bologna im Nordosten bis kurz vor Gaeta im Südwesten der Kirchenstaat als politisches Gebilde eigener Art unter der Herrschaft des Papstes, der über das im Süden anschließende Königreich Sizilien die Lehenshoheit beanspruchte.

Sowohl 1380 als auch 1730 war die Hoheit des Reichs im Norden Italiens Fiktion und lebendiger Bezugspunkt zugleich. Seit dem Tod Friedrichs II. im Jahr 1250 hatte kein Kaiser mehr über längere Zeit unmittelbare Herrschaft in Italien ausgeübt – und doch blieb das Reich als Legitimation und Recht stiftende Instanz, auch als indirekter Machtfaktor präsent. So erwarb die Republik Venedig, selbst seit Jahrhunderten der Reichshoheit entwachsen, für ihre auf dem italienischen Festland gewonnenen Gebiete 1523 formell die Rechte vom Kaiser. Und auch die Signori, obwohl als Einzelherrscher durch ausdrückliche Machtübertragung formell legitimiert, zahlten dem Reichsoberhaupt im 14. und 15. Jahrhundert riesige Summen für Markgrafen- und Herzogstitel. An Nischenplätzen zwischen den – Kaiser und Reich de facto längst entzogenen – oberitalienischen Machtblöcken aber bestanden kleinere adelige Herrschaften fort, bis ins 18. Jahrhundert dem Reich lehenspflichtig und ihm zugleich für ihr Überleben verpflichtet.

Die wichtigsten Steine des politischen Mosaiks von 1380 waren dreieinhalb Jahrhunderte später trotz mancher Dynastiewechsel oder Verfassungsumbauten durchaus wiederzuerkennen: Im Nordosten die Adelsrepublik Venedig, 1380 noch mit bescheidenem Festlandbesitz, seit dem 15. Jahrhundert im Westen bis Bergamo und Brescia, im Süden bis nördlich von Ferrara ausgreifend, im Inneren de jure vom Adel als Ganzem regiert, de facto von dessen (einfluss)reichsten Familienzweigen dominiert, seit dem 16. Jahrhundert überwiegend auf die Behauptung des Status quo gerichtet, aber bis weit ins 18. Jahrhundert hinein lebensfähiger als gemeinhin geschildert.Westlich davon erstreckte sich das Herrschaftsgebiet der Visconti, die sich seit 1395 mit dem (für eine horrende Summe vom Kaiser erworbenen) Titel der Herzöge von Mailand schmückten – um diese Zeit auf dem Weg zu einer oberitalienischen Hegemonie, die nicht von Dauer sein würde. Ab 1450 unter der Nachfolgedynastie der Sforza, wurde die lombardische Metropole ab 1499 für drei Dutzend Jahre die am heißesten umkämpfte Stadt Europas. Danach für mehr als anderthalb Jahrhunderte Teil des spanischen Imperiums, geriet das Herzogtum Mailand als willenloses Faustpfand europäischer Kabinettspolitik Anfang des 18. Jahrhunderts unter österreichische Herrschaft.

Die immer enger verflochtenen und stärker abgegrenzten einheimischen Eliten huldigten den neuen Herren und blieben bestehen, d.h., sie behielten ihren beherrschenden Einfluss auf der lokalen Ebene – bis ab etwa 1770 ein schärferer (Reform-)Wind wehte.

Stärkste Macht im Westen und zugleich an der äußersten Peripherie der italianità waren die Grafen (ab 1416 Herzöge) von Savoyen, die eine in Piemont regierende Seitenlinie seit dem späteren 14. Jahrhundert erst kontrollierten und dann (1418) beerbten, 1413 das angrenzende Gebiet der Markgrafen von Saluzzo eingliederten und als nächstes die Markgrafschaft Montferrat ins Visier nahmen, die sie, durch schwere dynastisch-politische Krisen im 16. Jahrhundert zurückgeworfen, allerdings erst Anfang des 18. Jahrhunderts gewannen. Im Spanischen Erbfolgekrieg nach atemberaubendem Macht- und Schlachten-Roulette aufseiten der Sieger wurde der fähigste italienische Herrscher der Zeit, Herzog Vittorio Amedeo II., durch den Frieden von Utrecht (1713) König von Sizilien. Doch diese Neuerwerbung lag zu fern und war zu andersartig; so blieb einige Jahre später nur der Tausch gegen das politisch bedeutungsarme und wirtschaftlich rückständige, aber einen Königstitel liefernde Sardinien: Etappen einer langsamen, aber über Jahrhunderte mit äußerster Zähigkeit verfolgten Expansion und inneren Konsolidierung eines Mittelstaates, der bis zur zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts höchstens am Rande italienischer Kulturentwicklung stand – von einer ihm später angedichteten «italienischen Mission» ganz zu schweigen.

Südlich anschließend, von Ventimiglia bis Portovenere reichend, lag die Republik Genua: wegen ihrer Turbulenzen zwischen den herrschenden Clans seit jeher berüchtigt, nach Befriedungsphasen ab 1528 im 18. Jahrhundert wieder zunehmend instabil, im 16. und 17. Jahrhundert führender Finanzplatz des Mittelmeeres, mit schmalem, immer wieder durch kommunale und feudale Privilegien durchbrochenem und politisch wenig gegliedertem Territorium.

An Genua grenzte die Republik Lucca mit ihrem winzigen Gebiet. Anfang des 14. Jahrhunderts unter der Führung des – von Niccolò Machiavelli in einer ebenso roman- wie thesenhaften Biographie gewürdigten – Castruccio Castracani gegen Florenz siegreich, überlebte diese Republik als von wenigen Familien beherrschter Freistaat durch kluge Diplomatie und mangels Bedeutung bis in die Zeit Napoleons; im Gegensatz dazu unterlag Siena 1555 dem späteren ersten Großherzog der Toskana aus der Familie Medici.

Florenz selbst, um 1380 noch Gralshüterin republikanischer Freiheitswerte, de facto aber ebenfalls von etwa sechs Dutzend Familien dominiert, geriet ab 1434 zunächst unter informelle, ab 1537 endgültig unter fürstliche Herrschaft der Medici. Als deren letzter, erbenloser und sympathisch dekadenter Spross 1737 starb, wurde die Toskana mit unveränderten Grenzen lothringisch-habsburgischer Besitz.