Die modernen Wanderarbeiter*innen - Kathrin Birner - E-Book

Die modernen Wanderarbeiter*innen E-Book

Kathrin Birner

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Beschreibung

In einer Welt, die sich zunehmend wirtschaftlich, sozial und politisch vernetzt, spielen grenzüberschreitende Arbeits- und Produktionsverhältnisse eine immer größere Rolle. Innerhalb Europas hat insbesondere die zeitlich befristete Arbeitsmigration deutlich zugenommen. Gerade Deutschland hat sich zu einem der wichtigsten Zielländer für die wachsende Zahl moderner Wanderarbeiter*innen entwickelt, deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass sie nur vorübergehend in einem anderen europäischen Land arbeiten. Für sie hat sich inzwischen der Begriff »mobile Beschäftigte« etabliert. Ihre Arbeit in Deutschland ist gekennzeichnet durch extreme Ausbeutung, lebensgefährliche Arbeitsbedingungen, Lohnraub und die Umgehung arbeitsrechtlicher Normen. Das Buch beschreibt die prekären Arbeits- und Lebensverhältnisse, die den Alltag der Betroffenen prägen und die zuletzt, beispielsweise in der Fleischindustrie und im landwirtschaftlichen Sektor, auch medial für Aufsehen sorgten. Daneben skizziert es die bisher wenig beachteten Ansätze der gemeinsamen Organisierung von Wanderarbeiter*innen zur Verbesserung ihrer Situation, von Streiks, über Baustellenbesetzungen und Demonstrationen bis hin zu der Frage, wie es gelingen kann, sich unter diesen prekären Bedingungen zu organisieren und welche Rolle Gewerkschaften dabei spielen können.

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Seitenzahl: 207

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Kathrin Birner (* 1985) arbeitet als Gewerkschaftssekretärin und ist im Netzwerk der Global Labour University aktiv. Die Politikwissenschaftlerin beschäftigt sich unter anderem mit gewerkschaftlichen Graswurzel-Kampagnen, Wertschöpfungsketten bei Amazon und autoritären Denkmustern.

Stefan Dietl (* 1985) ist seit seiner Ausbildung Mitglied der Gewerkschaft ver.di. Neben seiner ehrenamtlichen Tätigkeit als Vorsitzender des ver.di Bezirks Oberpfalz und im Landesvorstand der ver.di Bayern schreibt er zu sozial- und wirtschaftspolitischen Themen u.a. für die Jungle World. Zuletzt erschien im Unrast Verlag sein Buch Prekäre Arbeitswelten – Von digitalen Tagelöhnern bis zur Generation Praktikum.

Kathrin Birner & Stefan Dietl

Die modernenWanderarbeiter*innen

Arbeitsmigrant*innen im Kampf um ihre Rechte

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

Kathrin Birner & Stefan Dietl:

Die modernen Wanderarbeiter*innen

1. Auflage, März 2021

eBook UNRAST Verlag, Juni 2022

ISBN 978-3-95405-107-6

© UNRAST Verlag, Münster

www.unrast-verlag.de | [email protected]

Mitglied in der assoziation Linker Verlage (aLiVe)

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung

sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner

Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter

Verwendung elektronischer Systeme vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlag: UNRAST Verlag, Münster

Satz: cuore.berlin

Inhalt

Einleitung

1. Die modernen Wanderarbeiter*innen      Mobile Beschäftigung in Deutschland

2. Arbeits- und Lebensbedingungen von       Wanderarbeiter*innen in Deutschland

3. Abschreckung statt Hilfe      Das System »Finanzkontrolle Schwarzarbeit«

4. Mechanismen der Spaltung      Rassistische Ausgrenzung und Diskriminierung von Arbeitsmigrant*innen

5. Schuften für den Standort D      Die Ökonomie der Werkverträge und Subunternehmen

6. Fight back      Wanderarbeiter*innen im Kampf um ihre Rechte

Danksagung

Quellenverzeichnis

Einleitung

Fast 2.000 Menschen drängen sich am Osterwochenende 2020 dicht an dicht im Wartebereich des Flughafens im rumänischen Cluj. Während in ganz Europa im Zuge der COVID-19-Pandemie Ausgangsbeschränkungen und die Schließung ganzer Wirtschaftszweige den Alltag bestimmen, werden immer mehr Menschen in überfüllten Reisebussen aus dem ganzen Land an den kleinen Flughafen gebracht. Erst nach und nach gelingt es Sicherheitskräften, mit Barrieren und Polizeikordons den gebotenen Mindestabstand zum Infektionsschutz zwischen den Wartenden einigermaßen sicherzustellen. Der Grund für den Zustrom auf das Flughafengelände sind drei Sondermaschinen, die an diesem Tag in Richtung Deutschland abheben.

Wenige Tage zuvor hatte die deutsche Bundesregierung den Weg dafür geebnet, Erntehelfer*innen mit Charterflügen ins Land zu bringen. Mitten in der weltweiten Pandemie und bei geschlossenen Binnengrenzen werden so Zehntausende migrantische Saisonarbeitskräfte zur Spargel- und Hopfenernte eingeflogen. Beinahe zeitgleich werden auch Sonderregelungen zur Einreise von Grenzpendler*innen im Pflegesektor getroffen. Die hastigen Reaktionen der Bundesregierung im Zuge der COVID-19-Pandemie zeigen, wie sehr die deutsche Wirtschaft auf die innereuropäische Arbeitsmigration angewiesen ist. Das gilt nicht nur für die Landwirtschaft und den Pflegesektor; in sämtlichen Bereichen, von der Baubranche über den Logistiksektor und die Fleischindustrie bis hin zur Automobilproduktion sind Migrant*innen aus anderen EU-Ländern unentbehrlich. Sie sind tagtäglich tausendfach präsent, ob im LKW, auf der Baustelle oder in Fabriken, und sind trotz ihrer wichtigen Rolle im Alltag weitgehend unsichtbar. In den vergangenen Jahren wuchs vor allem die Zahl der Arbeitsmigrant*innen, die ihr Heimatland nur einige Wochen und Monate verlassen, um in Deutschland zu arbeiten und anschließend zu ihren Familien zurückzukehren.

Diese modernen Wanderarbeiter*innen und die medial und öffentlich wenig beachteten prekären Bedingungen, unter denen sie gezwungen sind, in Deutschland zu arbeiten und zu leben, aber auch der Widerstand gegen Lohnraub, Arbeitszeitbetrug, menschenunwürdige Unterbringung und Schikanen stehen im Zentrum dieses Buches. Der Fokus liegt dabei auf der innereuropäischen Arbeitsmigration. Diese Begrenzung ergibt sich zum einen daraus, dass sich die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Migration aus EU-Mitgliedsstaaten deutlich von den Regelungen für die Migration aus Drittstaaten unterscheiden. Zum anderen aus der essenziellen Bedeutung, die die zeitlich befristete Zuwanderung aus der EU für zahlreiche Branchen in Deutschland hat. Das EU-Recht zur grenzüberschreitenden Arbeitsmigration bildet nicht nur den Rahmen, sondern auch die Grundlage für die Ausbeutung migrantischer Arbeitskraft, von der Deutschland wie kein zweites EU-Land profitiert.

Das erste Kapitel skizziert daher zunächst, wie sich die Binnenmigration innerhalb der Europäischen Union in den letzten Jahren und insbesondere im Zuge der EU-Osterweiterung entwickelt hat. Im Mittelpunkt stehen dabei die Rolle der deutschen Austeritätspolitik, die ein Heer an mobilen Beschäftigten aus Osteuropa und Südeuropa hervorgebracht hat, ebenso wie die Instrumente der Entsendung, die Scheinselbstständigkeit und die Werkverträge, die von den Unternehmen zur Umgehung von arbeits- und sozialrechtlichen Standards genutzt werden.

Einen Einblick in die konkreten prekären Arbeits- und Lebensbedingungen von Wanderarbeiter*innen in Deutschland gibt das zweite Kapitel. Anhand zahlreicher Beispiele schildert es die Situation von Wanderarbeiter*innen in der Fleischindustrie, der Landwirtschaft, der häuslichen Pflege, der Transport- und Logistikbranche, dem Baugewerbe und dem industriellen Sektor.

Angesichts der katastrophalen Arbeitsbedingungen von Arbeitsmigrant*innen wird vielfach eine Ausweitung von Kontrollen und eine bessere personelle und finanzielle Ausstattung der dafür zuständigen Behörde »Finanzkontrolle Schwarzarbeit« gefordert. Das dritte Kapitel befasst sich kritisch mit diesem Ruf nach mehr staatlichen Kontrollen und verdeutlicht, dass behördliches Handeln sich derzeit meist gegen die Betroffenen richtet und so zur Entrechtung und Isolation von Wanderarbeiter*innen beiträgt.

Die Basis für die prekären Arbeits- und Lebensverhältnisse mobiler Beschäftigter bildet nicht zuletzt deren systematische rassistische Diskriminierung und die damit verbundene Spaltung der Belegschaften. Das vierte Kapitel zeigt, wie Rassismus und Ausbeutung bei der Beschäftigung weitgehend entrechteter Wanderarbeiter*innen Hand in Hand gehen.

Das fünfte Kapitel beschreibt das Vorrücken prekärer Beschäftigungsverhältnisse, die den Alltag von Wanderarbeiter*innen bestimmen, von den Rändern der kapitalistischen Produktion in deren Kernbereiche wie den industriellen Sektor. Zudem analysiert es die zentrale Rolle von Werkverträgen und Subunternehmertum bei der Flexibilisierung der Arbeitsbeziehungen im postmodernen Kapitalismus.

Allen Widrigkeiten zum Trotz regt sich jedoch auch Widerstand. Das Schlusskapitel des Buches widmet sich den oft wenig beachteten Kämpfen von Wanderarbeiter*innen um ihre Rechte. Es berichtet über juristische Auseinandersetzungen, Streiks und Arbeitskämpfe, schildert die Versuche der gemeinsamen kollektiven Organisierung von Wanderarbeiter*innen und lässt unterstützende Aktivist*innen wie auch Betroffene selbst zu Wort kommen. Dabei beleuchtet es auch die ambivalente Rolle der Gewerkschaften, wenn es um die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen von Arbeitsmigrant*innen geht.

Im Zuge der COVID-19-Pandemie richtete sich nicht nur angesichts der spektakulären Bemühungen zur Einreise von Saisonkräften in der Landwirtschaft, sondern gerade auch wegen der massenhaften Infektionen mit dem Corona-Virus in deutschen Schlachthöfen die öffentliche Aufmerksamkeit zumindest kurzzeitig auf die prekären Lebensumstände von Wanderarbeiter*innen in Deutschland. Dieses Interesse war jedoch nur von kurzer Dauer und ohne nachhaltige Wirkung.

Dieses Buch möchte einen kleinen Beitrag dazu leisten, dauerhaft Licht in die Schattenwelt der Ausbeutung migrantischer Arbeitskraft und die ökonomischen Hintergründe zu bringen. Keinesfalls ist es Anspruch dieses Buches, den Betroffenen »eine Stimme zu geben«. Die haben sie durchaus selbst und sind, wie die im Schlusskapitel beschrieben Beispiele zeigen, auch willens und in der Lage, sie einzusetzen und für ihre Rechte zu kämpfen. Es will vielmehr auf diese – sowohl in der politischen Linken, aber auch in den etablierten Gewerkschaften – häufig wenig beachteten Kämpfe aufmerksam machen und die Ansatzpunkte für solidarisches Handeln verbreitern. Damit versteht es sich auch als Anregung für die notwendige Diskussion darüber, wie eine gemeinsame, kollektive Organisierung zur Verbesserung der Lohn- und Arbeitsbedingungen aussehen kann.

1. Die modernen Wanderarbeiter*innen

       Mobile Beschäftigung in Deutschland

Sowohl weltweit als auch in Europa hat die Arbeitsmigration in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. In einer Welt, die sich zunehmend wirtschaftlich, sozial und politisch vernetzt, spielen grenzüberschreitende Arbeits- und Produktionsverhältnisse eine immer größere Rolle. Nicht nur Waren überqueren täglich Ländergrenzen und Kontinente, sondern auch ihre lohnabhängigen Produzent*innen. 164 Millionen Arbeitsmigrant*innen gibt es derzeit weltweit und sie machen damit mehr als zwei Drittel der gesamten internationalen Migration aus. Alleine in den vergangenen fünf Jahren stieg ihre Zahl um zehn Prozent. In vielen Teilen der Welt ist die Arbeitsmigration seit Menschengedenken Teil der Lebenswirklichkeit. So auch in Europa. Schon immer war der Kontinent geprägt von Wanderbewegungen. Die heute bekannten Formen der Arbeitsmigration wurden hier im Zuge der Industrialisierung zum Massenphänomen. Fast die Hälfte der grenzüberschreitenden Arbeitsmigration konzentriert sich aktuell auf zwei Weltregionen, die zugleich zu den am meisten industrialisierten Gegenden der Welt gehören – Nordamerika mit 23 Prozent und Westeuropa mit 24 Prozent.

In Europa wuchs spätestens seit dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus in den Staaten Osteuropas und seit der EU-Osterweiterung insbesondere die zeitlich befristete Arbeitsmigration. Moderne Wanderarbeiter*innen überschreiten regelmäßig die europäischen Binnengrenzen, um ihre Heimat für wenige Monate oder Jahre zu verlassen und ihren Lebensunterhalt in einem anderen Land zu bestreiten. Viele von ihnen kehren dabei zwischenzeitlich immer wieder in ihr Heimatland und zu ihren Familien zurück. In gewerkschaftsnahen Debatten hat sich für diese Arbeitnehmer*innen, deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass sie Staatsbürger*innen eines anderen Landes sind, die in einem Zielland nur vorübergehend arbeiten und ihren Lebensmittelpunkt nicht (oder noch nicht) dorthin verlegt haben, der Begriff ›mobile Beschäftigte‹ herausgebildet.

Die Arbeitsmigration in Europa und Deutschland wird von den vorherrschenden Grundprämissen der EU-Migrationspolitik bestimmt. Das europäische Migrationsregime beruht einerseits auf der rigorosen Abschottung nach außen und andererseits auf der inneren Öffnung. Eine restriktive Einwanderungspolitik gegenüber den Bürger*innen von Drittstaaten und die tödliche Abschottung gegenüber Geflüchteten geht mit dem Recht auf Freizügigkeit für EU-Bürger*innen einher. EU-Bürger*innen brauchen für ihre Einreise und ihren Aufenthalt in einem anderen EU-Staat weder ein Visum noch eine Aufenthaltserlaubnis. Das EU-Freizügigkeitsgesetz gewährt ihnen ein grundsätzliches Recht auf Einreise und Aufenthalt, das sich nach fünf Jahren in ein Daueraufenthaltsrecht umwandeln kann. Sie dürfen ihren Aufenthalts- und Arbeitsort innerhalb der Europäischen Union frei wählen, dürfen also sowohl in einem anderen EU-Land einer abhängigen Beschäftigung nachgehen, als auch als Selbstständige in jedem EU-Land ein Gewerbe anmelden.

Eines der Hauptzielländer der Migration nach Europa wie auch der binneneuropäischen Migration ist Deutschland. Seit Jahren steigt die Zahl der Zuwanderungen nach Deutschland rasant an. Belief sich die Nettozuwanderung, also die Zuzüge abzüglich der Fortzüge, in der ersten Dekade dieses Jahrhunderts noch auf 100.000 Personen im Jahr, waren es in den vergangenen zehn Jahren etwa 400.000 jährlich. So zogen 2018 1.383.581 Staatsangehörige anderer Länder nach Deutschland, während 923.581 das Land wieder verließen. Deutschland ist damit in Bezug auf die absolute Zunahme das wichtigste Zuwanderungsland in der EU. Etwa zwei Drittel der Zugewanderten kamen aus Staaten der Europäischen Union. Die meisten von ihnen stammen aus Polen, Rumänien, Bulgarien und seit der Zuspitzung der sogenannten Finanzkrise zunehmend aus Italien, Spanien und Griechenland. Durch die anhaltende Krise in den Ländern Südeuropas sind zudem Umlenkungsprozesse zu beobachten. Viele der aus Bulgarien und Rumänien nach Deutschland Zugewanderten haben zuvor in Spanien oder Italien gearbeitet.

Darüber, wie viele Menschen jedoch in Deutschland zeitlich befristet tätig sind, wie viele als Arbeitsmigrant*innen regelmäßig die deutschen Grenzen überqueren, ist wenig bekannt. Die grenzüberschreitende Arbeitsvermittlung mittels privater Agenturen aus dem In- und Ausland ist zu einem äußerst lukrativen, aber auch unüberschaubaren Markt geworden. Die Datenlage zur mobilen Beschäftigung in Deutschland ist äußerst schlecht und aus den wenigen Zahlen, die überhaupt vorliegen, lassen sich kaum Rückschlüsse ziehen. Aus offiziellen Erhebungen lässt sich weder ableiten, wie viele Wanderarbeiter*innen es in Deutschland gibt, noch welcher Beschäftigung sie nachgehen und unter welchen Bedingungen sie arbeiten. Ursache für diese Erkenntnislücke ist, dass viele Beschäftigungsverhältnisse von den verfügbaren statistischen Daten nicht erfasst werden. Das gilt zum Beispiel für die Entsendung, einer der häufigsten Beschäftigungsformen von Wanderarbeiter*innen in Deutschland, bei der der Arbeitgeber seinen Sitz in einem anderen Land hat. Daten darüber, wie viele Menschen als entsandte Beschäftigte in Deutschland tätig sind, können nur anhand der sogenannten A1-Bescheinigung, der Anmeldung zur Renten- und Sozialversicherung im Herkunftsland, erfasst werden. Allerdings nur, wenn diese vom Entsendeunternehmen ausgefüllt und außerdem an die deutsche Rentenversicherung übermittelt wird, was häufig nicht passiert. 2019 wurden knapp 429.000 dieser A1-Bescheinigungen in Deutschland registriert. Damit wurde ein Viertel aller A1-Bescheinigungen in Europa für die Arbeit in Deutschland ausgestellt. Die Entsendung ist jedoch nicht die einzige Beschäftigungsform von Wanderarbeiter*innen. So wächst etwa die Zahl der Wanderarbeiter*innen, die als Scheinselbstständige nach Deutschland vermittelt werden und deren Zahl nicht erfasst wird.

Zwar ist unklar, wie viele mobile Beschäftigte in Deutschland arbeiten, unübersehbar ist hingegen die enorme Bedeutung migrantischer Arbeitskraft für weite Teile der deutschen Wirtschaft. Ohne die Hunderttausenden Wanderarbeiter*innen, die regelmäßig ihre Heimatländer zur Arbeit in Deutschland verlassen, würde die Produktion in zahlreichen Wirtschaftszweigen zum Erliegen kommen. Das zeigten nicht zuletzt die hektischen Reaktionen der Bundesregierung im Zuge der Corona-Pandemie, als es um die Regelungen zur Einreise von Saisonarbeitskräften und Grenzpendler*innen ging. Gerade die Regelungen der Europäischen Union zur grenzüberschreitenden Arbeitsmigration produzieren eine Gruppe extrem mobiler Arbeitskräfte, deren Ausbeutung durch niedrige Löhne und prekäre Beschäftigungsverhältnisse die Basis der Profite in Branchen wie dem Bau, der Fleischverarbeitung, dem landwirtschaftlichen Sektor, in der Pflege, der Logistik und zunehmend auch im industriellen Sektor bildet. Die Ausbeutung von Wanderarbeiter*innen ist eine der Grundlagen des deutschen Exportmodells. Exportweltmeister oder vielmehr Exporteuropameister – ein Großteil der hierzulande produzierten Waren wird letztlich an europäische Nachbarn verkauft – ist Deutschland nicht zuletzt aufgrund des billigen Imports von Arbeitskraft und der damit verbundenen Senkung der Produktionskosten, mit der es gelingt, in der internationalen Staatenkonkurrenz die Nase vorn zu haben. Gerade durch den steigenden deutschen Exportüberschuss wächst das wirtschaftliche und soziale Gefälle in Europa weiter – und damit einer der wesentlichen Gründe, warum so viele mobile Beschäftigte regelmäßig für bestimmte Zeit gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen, um in Deutschland zu arbeiten.

1.1 Mythos Freiwilligkeit

Dass sich Deutschland in den vergangenen Jahren zu einem der Hauptzielländer für mobile Beschäftigte in Europa entwickelt hat, hat mehrere Gründe. Dabei kommt zum einen der EU-Osterweiterung eine zentrale Bedeutung zu. Insbesondere mit der Einführung der vollen Arbeitnehmer*innenfreizügigkeit für Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Slowenien, die Tschechische Republik und Ungarn im Jahr 2011, beziehungsweise für Rumänien und Bulgarien zum 1. Januar 2014, haben sich die europäischen Arbeitsmarktbeziehungen weiter verflochten und zahlreiche Arbeiter*innen zog es aufgrund des massiven Lohngefälles innerhalb der EU von Ost nach West. Zum anderen ist die zunehmende Zahl an Beschäftigten, die als Wanderarbeiter*innen nach Deutschland kommen, Resultat der verheerenden Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2007, durch die vor allem die Arbeitsmigration aus Südeuropa in die Bundesrepublik eine neue Bedeutung gewonnen hat. Auch wenn es oftmals suggeriert wird, wäre es ein Fehler, hierbei von einer rein frei gewählten und selbstbestimmten Mobilität auszugehen. Der Grund liegt vielmehr im wirtschaftlichen Gefälle innerhalb Europas und den in einigen Staaten Süd- und Osteuropas besonders ausgeprägten, anhaltenden Krisenerscheinungen. Entgegen allgemeiner romantischer Verklärung suchen viele Wanderarbeiter*innen in Deutschland keine neue Perspektive oder gar langfristig eine neue Heimat, sondern haben in ihren Herkunftsländern schlicht keine Zukunft oder kein Auskommen mehr. Nicht zuletzt auch aufgrund der deutschen Niedriglohnkonkurrenz und der deutschen Austeritätspolitik.

Die Erweiterung der Europäischen Union nach Osten sorgte nicht nur für kostengünstige Produktionsmöglichkeiten für westeuropäische Unternehmen in diesen Ländern, sondern auch für den einfacheren Zustrom billiger Arbeitskräfte nach Westeuropa. Wesentlicher Antrieb für die dauerhafte und befristete Arbeitsmigration sind die extrem ungleichen Lebensverhältnisse innerhalb der EU. So liegt das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf in Deutschland bei 41.340 Euro im Jahr. In Rumänien sind es gerade einmal 11.400 Euro und in Bulgarien gar nur 8.680 Euro. Auch in anderen Ländern Osteuropas ist das BIP pro Kopf nicht einmal halb so hoch wie in Deutschland. In Polen liegt es bei 13.730 Euro, in der Slowakei bei 17.270 Euro und in Tschechien bei 20.640 Euro. Während die Löhne in den neuen EU-Mitgliedstaaten zuletzt nur langsam anstiegen, näherten sich die Lebenshaltungskosten rasant dem europäischen Durchschnitt an. Eine Entwicklung, die in den ärmsten Ländern der Europäischen Union zu wachsender Armut führt. So gelten in Rumänien und Bulgarien jeweils 33 Prozent der Bevölkerung als arm, haben also selbst unter Einbeziehung staatlicher Transferleistungen ein Einkommen von weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung ihres Landes zur Verfügung. Deutlich wird die Divergenz innerhalb der Union der europäischen Staaten, wenn man sich vor Augen führt, dass die Bürger*innen, die in den ärmsten Ländern Europas zu den reichsten 20 Prozent gehören, in den reichen Ländern der Union, wie Deutschland, zu den 20 Prozent der Ärmsten zählen würden.

Eine Folge der sozialen und wirtschaftlichen Diskrepanz in Europa ist eine wahre Massenauswanderung von Ost nach West. Alleine Bulgarien verlor seit 1990 19 Prozent seiner Bevölkerung. Laut Zukunftsprojektionen der Vereinten Nationen liegen die bis 2050 am schnellsten schrumpfenden Länder allesamt in Osteuropa. Eine weitere Folge ist die wachsende Zahl von Arbeiter*innen, die mindestens einige Monate lang ein Auskommen in Deutschland und anderen Ländern Westeuropas suchen, um anschließend in ihr Heimatland zurückzukehren. Im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2007 und der ihr folgenden Eurokrise wuchs die Kluft weiter. Während die deutsche Wirtschaft zu den Gewinnerinnen der weltweiten Krisenentwicklung gehörte und das deutsche BIP auch in den Jahren nach der Krise weiter stieg, waren zahlreiche Staaten Osteuropas von einer tiefen Rezession betroffen. Nicht zuletzt aufgrund des Drucks der deutschen Austeritätspolitik wurden die Arbeitsmärkte in den Ländern Osteuropas im Zuge der Krise weiter flexibilisiert und liberalisiert. Vor allem die Gewerkschaften wurden geschwächt und die Bedingungen für den Abschluss von Tarifverträgen erschwert. In der Folge ging die Tarifbindung teils dramatisch zurück, mit verheerenden Auswirkungen auf die Verhandlungsposition von Arbeitnehmer*innen. In Rumänien etwa, das unter der Aufsicht der Troika aus Internationalem Währungsfonds, Weltbank und Europäischer Kommission stand, sank die Tarifbindung zwischen 2007 und 2017 um 63 Prozentpunkte, was einer faktischen Abschaffung von Tarifverträgen gleichkommt. Fielen 2007 noch 98 Prozent aller Arbeitnehmer*innen unter einen Tarifvertrag, waren es zehn Jahre später nur noch 35 Prozent. Die ökonomische Krise in Folge der COVID-19-Pandemie könnte diese Entwicklung noch vertiefen und das wirtschaftliche und soziale Ungleichgewicht innerhalb der EU verschärfen.

Auch die wachsende Zahl von Wanderarbeiter*innen aus den Ländern Südeuropas hat ihre Ursache vor allem in der Wirtschaftskrise und den folgenden sozialen Verwerfungen. Vor der Krise waren Spanien und Italien die wichtigsten Zuwanderungsländer der Europäischen Union. Auch viele Wanderarbeiter*innen aus Osteuropa arbeiteten dort, insbesondere im landwirtschaftlichen Sektor und in der Bauwirtschaft. Im Zuge der Krise verließen hingegen gerade junge Leute in Scharen die besonders krisengebeutelten Länder wie Griechenland, Italien und Spanien auf der Suche nach Arbeit in Richtung des Krisengewinners Deutschland. Der anhaltende wirtschaftliche Einbruch Südeuropas führte in den vergangenen Jahren zu einem regelrechten Boom der grenzüberschreitenden Arbeitsvermittlung von Südeuropa nach Deutschland, insbesondere im Logistiksektor und in der Bauwirtschaft, aber auch in der Industrie.

Dass die Finanzkrise letztlich zur Eurokrise wurde, die insbesondere in Südeuropa wirtschaftliche Zerstörungen hinterließ, die bis heute anhalten, ist vor allem auf die deutsche Wirtschafts-, Außenhandels- und Europapolitik zurückzuführen. Die deutsche Volkswirtschaft weist seit Anfang des Jahrtausends einen hohen Leistungsbilanzüberschuss auf, der im letzten Jahrzehnt dauerhaft zwischen sechs Prozent und neun Prozent des BIP lag. Das heißt, dass im Inland weit weniger Güter und Dienstleistungen nachgefragt als produziert werden. Die steigenden Exporte Deutschlands in den Euroraum bei gleichzeitig zunehmenden Leistungsbilanzdefiziten in den südlichen Ländern der Eurozone erwiesen sich im Zuge der globalen Finanzkrise als entscheidender Krisenkatalysator. Entgegen manch medialer Interpretation ist der deutsche Leistungsbilanzüberschuss nicht das Resultat des größeren Fleißes ›der Deutschen‹ gegenüber ihren europäischen Nachbarn oder Folge des deutschen Erfindergeistes, sondern vielmehr logisches Resultat der neoliberalen Umstrukturierung des Arbeitsmarktes, mit der ein Niedriglohnsektor bisher unbekannten Ausmaßes in Deutschland etabliert wurde. Mit der Lohndumping-Konkurrenz aus Deutschland konnten und können dessen europäische Nachbarn schlicht nicht mithalten.

Voraussetzung für dieses Exportmodell waren die von der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder eingeleiteten Agenda-Reformen. Durch die Senkung der betrieblichen Lohnnebenkosten und die damit verbundene Erhöhung der Sozialabgaben für die Beschäftigten, die Deregulierung des Arbeitsmarktes, die teilweise Neutralisierung kollektiver Tarifregelungen, die systematische Schwächung der Gewerkschaften und eine weitgehende Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge sanken die Lohnstückkosten im verarbeitenden Gewerbe von 2002 bis 2007 um elf Prozent, nachdem sie im Zeitraum von 1991 bis 2002 um 13 Prozent gestiegen waren. Der Wettbewerbsvorteil der deutschen Wirtschaft durch niedrige Löhne und geringe Sozialabgaben wurde durch drastische Steuererleichterungen für Unternehmen – die von den abhängig Beschäftigten durch Sozialabbau bezahlt wurden – noch verstärkt.

»Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt«[1], lobte der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder sein Reformwerk. Dies schuf in Verbindung mit der gemeinsamen Euro-Währung ein massives wirtschaftliches Ungleichgewicht in Europa, das die Finanzkrise letztlich zur Krise des Euros werden ließ. »So hat das deutsche Lohndumping, das aufgrund der Erosion der Tarifbindung in der Vorkrisenzeit entstand, über die Leistungsbilanzdifferenzen letztlich auch Südeuropa erreicht«, fasst der langjährige Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Frank Bsirske die Entwicklung zusammen[2]. Auf die Staatsschuldenkrise der Länder Südeuropas reagierte die EU unter Führung Deutschlands mit der Verpflichtung auf einen rigiden Sparkurs. Die ›Rettung‹ des Euros knüpfte die deutsche Bundesregierung an ein Austeritätsdiktat, das nicht nur große Teile der Bevölkerung in Armut stürzte, sondern auch katastrophale Auswirkungen auf die Volkswirtschaften der Krisenländer hatte. Während die deutsche Wirtschaft als Gewinnerin aus der Krise hervorging, wurden die Staaten Südeuropas kaputtgespart und das Ungleichgewicht in Europa weiter verschärft.

Die erzwungenen staatlichen Sparmaßnahmen in den Krisenländern haben das Wirtschaftswachstum gesenkt, die Arbeitslosigkeit in die Höhe schießen lassen, die wirtschaftliche Abwärtsspirale sinkender Einkommen und fehlender Nachfrage verstärkt und letztlich sogar die Staatsverschuldung weiter steigen lassen. So stieg durch die Austeritätspolitik in Griechenland die Staatsverschuldung von 120 Prozent des BIP auf rund 176 Prozent des BIP an. Die von Deutschland diktierten Sparmaßnahmen sind nicht nur gescheitert, sondern hatten zudem verheerende Auswirkungen auf die Menschen in Südeuropa. 2013 erreichte die Arbeitslosigkeit in Griechenland 27,5 Prozent, in Spanien 26,1 Prozent und in Italien 12,1 Prozent. Insbesondere junge Menschen waren von der Entwicklung betroffen. In Griechenland stieg die Jugendarbeitslosigkeit, wobei junge Menschen bis einschließlich 24 Jahren hierbei berücksichtigt werden, im Jahr 2013 auf 59,1 Prozent, in Spanien auf 55,9 Prozent und in Italien auf 38,4 Prozent. Durch die von der EU erzwungene Aushöhlung des Tarifsystems wurden zudem die Gewerkschaften erheblich geschwächt. So wurden in Griechenland, Spanien, Italien und Portugal die Möglichkeiten ausgeweitet, auf Unternehmensebene Flächentarifverträge zu umgehen, während es gleichzeitig deutlich erschwert wurde, Tarifverträge allgemeinverbindlich erklären zu lassen. In Portugal brach die Zahl tarifgebundener Beschäftigter daraufhin von 1,9 Millionen auf 240.000 im Jahr 2013 ein. In Griechenland fiel die Tarifbindung bis 2013 von 83 Prozent auf 40 Prozent aller Lohnabhängigen. Seitdem werden in Griechenland keine offiziellen Zahlen zur Tarifbindung mehr erhoben.

Die Bevölkerung Griechenlands hatte am schwersten unter dem Spardiktat zu leiden. So betrugen die durchschnittlichen Löhne und Gehälter in der verarbeitenden Industrie in Griechenland im Jahr 2008 etwa 48 Prozent derjenigen in Deutschland, inzwischen sind es nur noch knapp 35 Prozent. Verglichen mit dem Vorkrisenstand schrumpfte die Wirtschaft Griechenlands um ein Viertel. Die verfügbaren Einkommen sind im Schnitt sogar um ein Drittel eingebrochen. Noch immer liegt die Arbeitslosenquote bei 17 Prozent und damit mehr als doppelt so hoch wie im europäischen Durchschnitt. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt weiterhin bei 40 Prozent. Als Folge der konstant hohen Arbeitslosigkeit in Kombination mit drastischem Sozialabbau gehören Hunger und Unterernährung inzwischen zum griechischen Alltag. 70 Prozent der Sozialleistungen wurden in den vergangenen Jahren abgebaut und mehr als 20 Prozent der griechischen Bevölkerung gelten in der Folge als extrem arm und sind nicht in der Lage, ihre grundlegenden Bedürfnisse zu befriedigen.

Fehlende Perspektive und wachsende Armut führten zu einer regelrechten Massenauswanderung und mehr als eine halbe Million griechischer Lohnabhängiger verließen in den Jahren der Krise ihr Land, um anderswo in Europa Arbeit zu finden. Auch die Krisenländer Spanien und Italien wurden vom Einwanderungsmagnet zum Auswanderungsland. Schnell begann die deutsche Wirtschaft, unterstützt von der Bundesregierung, nicht nur mit der Anwerbung hochqualifizierter Arbeitskräfte in Südeuropa, sondern auch mit dem Aufbau dubioser Vermittlungsagenturen, die mobile Beschäftigte zum kurzfristigen Arbeitseinsatz nach Deutschland entsandten.

Das durch die Krise und insbesondere das deutsche Spardiktat verfestigte wirtschaftliche und soziale Ungleichgewicht in Europa sorgt dafür, dass dieser Zustrom billiger Arbeitskräfte aus Südeuropa bis heute nicht abreißt. So ist die Arbeitslosigkeit nicht nur in Griechenland weiterhin hoch. Während sie in Deutschland bei 4,5 Prozent liegt, übersteigt sie in Spanien noch immer 16 Prozent und in Italien liegt sie bei zehn Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit ist in Griechenland noch immer die höchste in ganz Europa, gefolgt von Spanien mit mehr als 40 Prozent und Italien mit 30 Prozent. In Deutschland liegt sie hingegen weiterhin bei sechs Prozent. Während die Industrieproduktion in Deutschland bereits kurz nach der Finanz- und Wirtschaftskrise das Vorkrisenniveau überstieg und bis 2020 kontinuierlich wuchs, liegt sie in Spanien, Italien und Griechenland noch immer 20 Prozent unter dem Wert von 2007. Auch in der Gesamtwirtschaftsleistung haben die Länder Südeuropas weiter an Boden verloren. In den vergangenen zehn Jahren stieg die Wirtschaftsleistung Deutschlands um 32,8 Prozent. In Italien, immerhin der drittgrößten Volkswirtschaft Europas, um gerade einmal 9,8 Prozent, in Griechenland um 7,7 Prozent. Die ökonomischen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie, die heute noch nicht abzusehen sind, dürften das wirtschaftliche Gleichgewicht weiter in Richtung Deutschland verschieben.

Die extreme Mobilität der Wanderarbeiter*innen aus Ost- und Südeuropa ist also in den wenigsten Fällen tatsächlich selbst gewählt. Sie ist Resultat der wachsenden sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheit in Europa, welche wiederum durch den größten Profiteur der Ausbeutung mobiler Beschäftigter – Deutschland – aufrechterhalten und verschärft wird. Denn die deutsche Austeritätspolitik und das deutsche Exportmodell tragen entscheidend zu den Bedingungen bei, die mobile Beschäftigte dazu nötigen, ihre Heimatländer zur zeitlich befristeten Arbeit unter prekärsten Bedingungen zu verlassen.

1.2 Formen mobiler Beschäftigung